Jana A., 3. Bericht Ein Jahr am anderen Ende der Welt 3/4
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Jana A., 3. Bericht Ein Jahr am anderen Ende der Welt 3/4
Jana A., 3. Bericht Und doch habe ich mich entschieden– Elsa Anz heisst die wunderbare Dame, die mir ihre Geschichte erzählt hat! Ein Jahr am anderen Ende der Welt 3/4 „Jeder ganz gewöhnliche, normale Mensch hat seine eigene, aussergewöhnliche Geschichte. Vielleicht denken wir alle, wir wären unbedeutend, unser Leben wäre langweilig, nur weil wir keine weltbewegende Dinge tun, keine Schlagzeilen machen und weil man uns keine Auszeichnungen verleiht. Aber die Wahrheit ist, dass wir alle etwas Faszinierendes tun, etwas Mutiges, etwas, worauf wir stolz sein können. Jeden Tag vollbringen Menschen Dinge, die nicht gefeiert werden, obwohl sie es wert sind, gefeiert zu werden. Das ist es worüber wir schreiben sollten. Über die unbesungenen Helden, über die Leute, die nicht glauben, dass sie Helden sind, weil sie einfach nur das tun, was sie in ihrem Leben tun müssen.“ Zitat aus dem Roman „Hundert Namen“ von Cecelia Ahern Als ich sie und ihre Hunden- und Katzenfamilie in ihrem gemütlichen kleinen Häuschen in Allen besucht habe, um sie für meinen folgenden Bericht auszufragen, war das einer dieser Nachmittage diesen Jahres, den ich noch lange in Erinnerung behalten und von dem ich wahrscheinlich immer wieder erzählen werde. „Um 2 Uhr früh, an einem Montag, es war der 19. April 1937, kam ich in Buenos Aires auf die Welt – aber das musst du eigentlich nicht erwähnen, unwichtig, muss ja nicht jeder wissen, dass ich schon so alt bin.“ Das war ihr erster Kommentar auf meine Bitte, mir einfach ein bisschen von ihrem Leben zu erzählen. Ich möchte hier keine Biografie niederschreiben, sondern mich kurzhalten. Obwohl es die Geschichten von Elsa wirklich wert sind. Allein wie sie von ihrem Reitunfall als junges Mädchen erzählt, den sie als Entschuldigung aller ihrer Macken und Kanten benutzt, ist einzigartig. Als älteste Tochter eines ausgewanderten Hamburgers und einer Argentinierin wuchs die liebe Elsa, mit ihren zwei jüngeren Brüdern, vor ganzen 76 Jahren in Eine Person, die mich inspiriert hat, die mir viel bedeutet, deren Leben mich fasziniert. Eine Person aus meinem neuen Umfeld. Ich sollte jemanden finden, der durch sein Leben oder seinen Einfluss auf mich, euch besser verstehen und vorstellen lässt, wie es sich hier leben lässt! Gar nicht so einfach... Das Zitat von Cecelia Ahern könnte nicht besser meine Probleme, auf der Suche nach der „richtigen“ Person, beschreiben. Ich habe die (Lebens-) Geschichten meiner wunderbaren Omas und Opas im Heim. Ich habe Freunde gefunden, die mich, zumindest ein Jahr, an ihrem Leben teilhaben lassen. Ich durfte Menschen kennenlernen, deren Erlebnisse ganze Bücher füllen würden. Ich könnte über jeden schreiben... 1 Jana A., 3. Bericht Argentinien auf. Nach ihrer Zeit als Kindergärtnerin begann sie ihr Sprachstudium (ausser Spanisch und Deutsch spricht sie Englisch und Französisch) und arbeitete lange Zeit als Übersetzerin, meist als direkte Sekretärin der hohen Chefs von grossen Im- und Exportfirmen. Sie war nicht nur sehr gefragt, die Firmen stritten sich quasi um sie. Deshalb konnte sie sich auch über ihr Gehalt nie beklagen. Mit 45 Jahren, 1982, flog sie das erste und einzige Mal, für 3 Monate, nach Deutschland. Ihr Chef hatte ihr den Flug zu Weihnachten geschenkt. Sie erinnert sich heute noch sehr gerne an diese 3 Monate zurück. Ihre Erinnerungen sind eine Mischung aus deutscher Weihnachtsstimmung, Schnee, Ruhe und Zufriedenheit. „Ich wäre wahrscheinlich dort geblieben, wenn ich nicht meine Mutter in Argentinien gehabt hätte.“ Kurz nach ihrer Ankunft zurück in Argentinien, wurde diese dann auch krank und für Elsa begannen schwierige Zeiten. Um ihre Mutter zu pflegen musste sie ihre Arbeit kündigen. Als diese dann zwei Jahre später verstarb, hatte sie weder Arbeit noch Familie (ihre Eltern hatten sich früh getrennt, zu ihrem Vater hatte sie kaum Kontakt, einer ihrer Brüder wohnte in Deutschland, der andere im Süden Argentiniens). Die Zeiten hatten sich geändert, sie wurde älter und es war schwierig an Arbeit zu kommen. So holte sie ihr Bruder also in den Süden, genauer gesagt nach Patagonien und noch genauer, in das Altenheim in dem ich heute arbeite. Elsa war eine der ersten Mitarbeiterinnen im Heim, zu dieser Zeit wohnten genau 2 deutsche Omas dort und wenn Elsa von dieser Zeit erzählt, kann ich es kaum glauben, dass wir heute ganze 27 Betten haben! Diese Zeit beschreibt sie als die lehrreichste Zeit ihres Lebens und ich glaube, dass auch ich das irgendwann mal, über mein Jahr im Altenheim in Argentinien sagen werde. Aber wer weiss, was noch alles auf mich wartet Durch die Arbeit im Heim kam sie dann auch zur Kirche und ist seitdem jeden Sonntag im Gottesdienst. Allerdings arbeitete sie nur ein knappes Jahr im Heim denn sie fand wieder Arbeit als Übersetzerin, die sie bis zu ihrer Rente auch ausführte. In Allen und in der Kirchengemeinde ist sie aber bis heute geblieben. Heute gibt sie den argentinischen jungen Erwachsenen, die ihren Freiwilligendienst in Deutschland machen, Deutschunterricht und korrigiert die Predigten des Pfarrers. Verheiratet war sie leider nie, ihr einziger Freund, er war Pilot, verstarb bei einem Flugzeugabsturz als sie 18 Jahre alt war. „Danach wollte ich keinen mehr und mich wollte auch keiner – lag wahrscheinlich an meinem Reitunfall!“ Am Anfang musste ich sie sehr ermutigen bis sie dann gar nicht mehr aufhören konnte, mir von ihrem Leben zu erzählen. „Interessiert dich das wirklich? Du bist viel zu geduldig mit mir...“ waren ihre häufigsten Zwischenbemerkungen. Wir tranken Tee und haben Kekse gegessen, sie hat erzählt und ich habe ihr zugehört. Manche Momente waren etwas unangenehm, denn die ein oder andere Träne wurde natürlich vergossen. Aber wir haben auch viel gelacht. Elsa war von Anfang an sehr herzlich und offen zu mir. Obwohl uns nichts weiter als der Gottesdienstbesuch verband. Sie hat mich fasziniert, mir wurde viel von ihr erzählt und ich wollte mehr von ihrem Leben erfahren. 2 Jana A., 3. Bericht Indem ich euch einen Einblick in dieses nicht einfache, aber sehr interessante Leben verschafft habe, habe ich nicht nur euch und mir einen Gefallen getan. Elsa meinte nach meinem Besuch, sie hatte an so viele schöne Dinge in ihrem Leben lange gar nicht mehr gedacht – aber heute wurden sie ihr wieder in Erinnerungen gerufen. „Kurz gefasst, liebe Elsa, was erzählen wir mit deiner Lebensgeschichte jetzt genau über das Leben in Argentinien?“ – „Abgesehen von mir, mehr generell will ich sagen: Argentinien ist ein wunderschönes Land, ich liebe es hier zu leben. Der Argentinier ist nicht dumm, natürlich gibt es Ausnahmen , aber leider nutzen viele ihre Klugheit einzig und allein um sich zu bereichern (Korruption!).“ Seit meinem letzten Bericht ist auch in meinem Leben wieder so Einiges passiert. Ich war im Sommerurlaub in Chile! Wir haben die Familie von Orelis dort besucht, es war wirklich toll und ich habe in ihr eine tolle Freundin gefunden! Ich vermisse sie jetzt schon! so wird Kuchen gebacken, Marmela-de einge-kocht und viel Apfel-kompott gegessen! Am Wochenende nutzen wir die wenigen argentinische Nächte, die uns noch bleiben und tanzen bis die Sonne aufgeht! Ich werde so Einiges ziemlich vermissen... Im Juni fliege ich noch mit 3 anderen Freiwilligen nach Brasilien – das wird bestimmt super! Und im August bin ich dann auch schon wieder zurück. Passend zum Sommer Und somit schliesse ich mit einem weiteren Zitat von Cecelia Ahern: „Denn manchmal muss man ganz gewöhnliche Menschen finden, um zu verstehen wie aussergewöhnlich das Leben ist.“ Im Heim ist momentan alles ganz friedlich. Wenn die Bewohner/innen zufrieden sind, geht es mir auch gut. Ich bin viel im Garten und kämpfe mit dem Laub, ausserdem wohnen wir ja mitten im Apfelparadies und Eure Jana 3 Jana A., 3. Bericht 4