Mit Mama im Hörsaal - Anne
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Mit Mama im Hörsaal - Anne
26 studieren Uni&Job Mit Mama im Hörsaal Zweiter Bildungsweg: Es ist ja toll, wenn ältere Menschen plötzlich den Wunsch verspüren, sich nach Elternzeit und Erwerbsleben nochmal irgendwie neu zu verwirklichen. Aber müssen sie das unbedingt an der Uni tun, in dem Seminar, das Sohn oder Tochter besuchen? Können sie nicht in die Toskana zum Töpfern fahren? Von Anne-Ev Ustorf Manchmal ist Jan Schmied besonders froh, seine Mutter zu sehen. An Tagen, an denen er zu spät in die Uni kommt, zum Beispiel. Wenn sich der Geschichtsstudent morgens um 9.25 Uhr in den Vorlesungssaal des Hamburger Philosophenturms schleicht, zehn Minuten zu spät, nur halb wach und die Augen noch verquollen von der Feier in der Nacht zuvor, dann ist er ganz erleichtert, seine Mutter im Auditorium sitzen zu sehen. Zweite Reihe von unten, dritter Platz von links, da findet er sie meistens – gut zu erkennen am silbrig-blonden Glanz ihrer flotten Kurzhaarfrisur. Jan weiß, dass sie eifrig mitschreibt. Wenn er nett zu ihr ist, wird sie ihm ihre Vorlesungsnotizen über bürgerliche Lebenswelten im 19. Jahrhundert später schnell kopieren. „Sie ist sehr motiviert und nimmt jede Vorlesung mit. Das hat für mich Vorteile, aber auch Nachteile: Fast jeden Tag ruft sie mich aus der Staatsbibliothek an und fragt: Was muss ich jetzt noch mal eintippen, wenn ich das Buch reservieren will? Das ist dann schon ein bisschen anstrengend“, sagt der 22-Jährige. sophie, Theologie, Psychologie oder Geschichte sind bei Studenten älterer Semester gefragt: Etwa zehn Prozent der Psychologiestudenten in Deutschland sind über 40, im Fach Philosophie sind es gar 12,5 Prozent. Die Hemmschwelle, in fortgeschrittenem Alter noch ein Studium aufzunehmen, sinkt zunehmend. Immer häufiger sind also sowohl Eltern als auch ihre Kinder parallel damit beschäftigt, Referate vorzubereiten oder für Zwischenprüfungen zu lernen. Das ist nicht immer einfach für die Kinder – sich aber während der Studienzeit eine latente Konkurrenzbeziehung zwischen Tochter und Mutter – zumindest von Janas Standpunkt aus. „Es hat mich irrational geärgert, dass sie angefangen hat, auch zu studieren“, erzählt Jana. „Ich fand, das war eigentlich meine Rolle. Aber anfangs glaubte ich noch, die schafft das eh nicht. Später, als klar war, dass sie es doch durchzieht und zwar recht erfolgreich, hatte ich das Gefühl, dass sie mein Studium nicht ernstnimmt, weil es kürzer war als ihres. Alexander spannt sie gerne zum Korrekturlesen seiner Hausarbeiten ein Zwischen Jana und Erika entwickelte sich ein latentes Konkurrenzverhältnis Seit einem Semester studieren Heide Schmied und ihr Sohn gemeinsam Geschichtswissenschaften an der Hamburger Uni. Eigentlich war es nicht so geplant. „Geschichte zu studieren, war schon immer mein Traum, aber ich wollte, dass die Kinder erst halbwegs durch die Schule sind“, sagt die 44-jährige Heide. „Und als es dann so weit war, wollte Jan auch Geschichte studieren, allerdings nicht in Hamburg, sondern in Heidelberg“. Doch dort klappte es nicht mit dem Studienplatz – also landeten Mutter und Sohn zusammen im Orientierungsseminar. Anfangs ging Heide Schmied ihrem Sohn nach den Vorlesungen absichtlich aus dem Weg, um ihm nur nicht auf die Nerven zu fallen. Inzwischen kennt sie seine Kommilitonen, und er kennt ihre: hauptsächlich Studenten fortgeschrittener Jahrgänge. Ältere Studierende sind an deutschen Universitäten schon lange keine Seltenheit mehr. Besonders Fächer wie Philo- Flexibel. Viele Senioren wissen nicht, dass sich jeder für 80 bis 100 Euro Semesterbeitrag als Gasthörer an der Universität einschreiben kann – auch ohne Abitur. Darüber hinaus bieten gut ein Drittel der deutschen Hochschulen spezielle Seniorenstudiengänge an. Häufig sind weder Studieninhalte noch Studiendauer verbindlich vorgeschrieben. Einen Überblick über alle Angebote bietet www.senioren-studium.de. i Mutter: „Die Bewunderung kam vor allem durch die Blicke der anderen. Mit 52 noch mal mit einem Studium anzufangen und dann mit einer Eins abzuschneiden, da sage ich heute: Hut ab!“ Mutter Erika arbeitet inzwischen als Psychologin an der Cote d’Azur und therapiert dort deutsche Exilanten. Der Rollenwechsel von der Mutter zur Kommilitonin ist mitunter heikel. So empfanden es auch die Jurastudenten Alexander, 26, und Katharina Simon, 24, deren 51 Jahre alte Mutter Anita seit drei Jahren Philosophie an der Uni Frankfurt studiert – zwar nur als Gasthörerin, dafür aber mit vollem Einsatz. Mindestens drei Tage die Woche ist sie auf dem Campus, abends schreibt sie Fotos: TV-yesterday, Vario Images denn gerade ältere Studenten sind oft hochmotiviert. Eine leidvolle Erfahrung, die auch Jana Buchholz machen musste. Zur selben Zeit wie ihre Mutter nahm die 31-Jährige vor einigen Jahren ein Psychologiestudium auf. Mutter und Tochter studierten allerdings in unterschiedlichen Ländern: Jana an der University of Exeter in England, ihre Mutter Erika Schwerdtner an der Uni Hamburg. Beide wählten ihr Studienfach aus einer ähnlichen Motivation heraus. „Wir hatten wohl dieselben Fragen“, sagt Jana, die mittlerweile als Filmemacherin in Paris lebt. „Wir wollten beide meinen Vater, einen extrem schwierigen Mann, besser verstehen lernen. Jede von uns dachte, dass das Psychologiestudium da helfen würde.“ Das tat es nicht, dafür entwickelte Fürsorglich. Das Studium ist keine Garantie mehr dafür, einen Arbeitsplatz zu finden. Durch die Studiengebühren kann es zudem teuer werden, die Universität zu wechseln. Das sind wohl die Gründe, warum immer mehr Eltern die Zukunft ihrer Kinder in die Hand nehmen und an ihrer Stelle in die Studienberatung kommen. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule in Aachen zum Beispiel hat darauf reagiert und bietet Elternabende an. www.rwth-aachen.de Deswegen habe ich es dann lieber vermieden, mit ihr über Studienthemen zu sprechen.“ Erika Schwerdtner sieht die Sache völlig anders: „Ich fand es schön, dass Jana auch Psychologie studiert hat. So hatten wir eine weitere gemeinsame Sprache. Konkurrenz gab es null Prozent.“ Irgendwann tat Jana ihrer Mutter mal einen Gefallen und begleitete sie zu einer Vorlesung an die Hamburger Uni. Eine grenzwertige Erfahrung: „Aus Gewohnheit habe ich die Freundinnen meiner Mutter dort gesiezt. Später fand ich heraus, dass die kaum älter waren als ich.“ Jana Buchholz schloss ihr Studium mit der Note Zwei ab, Erika Schwerdtner toppte ihre Tochter wenig später mit einer Eins. Doch Janas anfänglicher Neid wich schließlich dem Stolz auf die Neugierig. Und was macht nun das eigene Kind an der Uni? Studiert es fleißig? Seit 2005 laden die Hochschulen und die Stadt Münster jedes Jahr zum Elternalarm-Wochenende (www.elternalarm.de) ein. Papa und Mama können sich so ein Bild vom studentischen Alltag verschaffen. Wer gleich mitstudieren will, kann sich bei BAG WiWA, der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaftliche Weiterbildung für Ältere informieren. www.dgwf.net/bagwiwa Hausarbeiten. Alexander und Katharina betrachten das Studium ihrer Mutter zwar mit Wohlwollen, betonen aber auch die Einschränkungen, die das Familienleben dadurch erfährt – denn beide leben noch zu Hause. „Durch das Studium meiner Mutter gibt es schon mal Engpässe“, sagt Alexander. „Wir müssen uns oft selber verpflegen. Mittags esse ich nun immer in der Mensa, weil es abends nichts Warmes mehr gibt. Aber inzwischen habe ich gelernt zu kochen. Das hat ja auch was Gutes.“ Alexander betreibt nebenbei eine beeindruckende politische Karriere, ist bereits CDU-Ortsvorsteher für seinen Stadtteil in Eppstein und Kreistagsabgeordneter im Main-Taunus-Kreis. Ein Foto mit Kochlöffel würde sich auf der Homepage des Jungpolitikers neben den vielen Schnappschüssen mit politischer Prominenz und Bildern aus der Wehrdienstzeit vermutlich gut machen. Aber was würde er sagen, wenn sich seine Mutter richtig immatrikulieren lassen würde, eine Idee, mit der sie schon länger liebäugelt? „Warum nicht?“, sagt Sohn Alexander. „Der einzige Nachteil wäre höchstens, dass sie mich noch stärker als bisher in Diskussionen über ihr Fach zu verwickeln versuchen würde. Hegels Phänomenologie des Geistes und so weiter. Mein Spezialgebiet ist das nicht gerade. Aber am Ende wäscht eine Hand die andere: Schließlich spanne ich sie ja auch zum Korrekturlesen meiner Hausarbeiten ein.“ Kinderfreundlich. Es gibt immer mehr familiengerechte Hochschulen, trotzdem ist ein Studium nicht leicht mit Kindern zu vereinbaren. Gut, wenn man auf Erfahrungen zurückgreifen kann. An der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim haben Ingrid und John Coughlan das Mentorenprogramm „Karrriere-K(n)ick Familie“ gegründet. Die beiden bekamen als Studenten selbst drei Kinder und kennen sich aus. www.hawk-hhg.de Nervig. Ehrlich gesagt, sind manche Senioren jungen Kommilitonen eine Last. Das geht schon morgens im Hörsaal los, wenn die Silberhaar-Fraktion wieder pro Person drei Plätze für sich selbst, die Ledertasche und die Tageszeitung belegt. Auf der anderen Seite wird die Jugend bekanntlich auch von Jahr zu Jahr schlimmer. Das beste Mittel, sich trotzdem zu verständigen, sind lustige Studentenwitze. Gesprächsstoff gibt es auf www.witzcharts.de