Steinmeier in Moskau

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Steinmeier in Moskau
Steinmeier in Moskau
Dem Russen ist nicht zu trauen
Autor: U. Gellermann
Datum: 21. Dezember 2006
Dem Russen ist nicht zu trauen. Das konnte der deutsche Soldat schon vor
Stalingrad feststellen: Kaum war man tief in den russischen Raum
eingedrungen, hatte weite Teile des Imperiums besetzt, da schlug der Iwan
zurück. Heimtückisch. Dieses spätestens seit der Nazi-Zeit festgefügte
Russland-Bild des deutschen Mainstreams konnte sich in der Westrepublik im
Rahmen der atlantischen Partnerschaft gut halten und kontaminierte auch das
vereinigte Deutschland. »Nicht unkritisch« sagt Außenminister Walter
Steinmeier, vor Beginn seiner Russlandreise in einem Interview, dürfe man
gegenüber den Russen sein. Aus der Diplomatensprache rückübersetzt heißt
das: Werdet demokratisch und seid mit dem Polonium demnächst etwas
vorsichtiger.Düstere Kräfte walten im Kreml, sie nehmen Einfluss auf die
Zusammensetzung einer deutschen Talk-Show, sie machen uns Vorschriften,
wie wir sie behandeln sollen. Falls sie das tatsächlich gemacht haben - die arme
Frau Christiansen dem Dunkel russischer Macht ausgesetzt, um optimale
Bedingungen für ihren dort auftretenden Botschafter zu erreichen - dann sind
die Russen doch dümmer als wir dachten. Denn Putin hätte die Dame nur zu
sich einladen und ihr ein Exklusiv-Interview geben sollen, er hätte Frau
Christiansen sicher so devot vorgefunden, wie der US-Präsident, mit dem sie
schon vor Monaten erfolgreich die Parodie eines kritischen Interviews
aufgeführt hat.Wenn in Russland zur Zeit mafiöse Kreise die Wirtschaft
bestimmen, wenn Russland nicht die Standards der parlamentarischen
Demokratie erfüllt, dann muss man sich erinnern, dass der Versuch tatsächlich
demokratischer Verhältnisse in Russland im Oktober 1993 unter dem Beifall des
Westens niedergeschossen wurde. Boris Jelzin, damals russischer Präsident
und auch bekannt als »Boris die Säufernase« befand sich im
Privatisierungsrausch: Volksvermögen wurde zu Tiefstpreisen verramscht,
Boris Freunde wurden immer reicher und das Volk immer ärmer. Da wagte das
Parlament, die Jelzinschen Gesetze zu blockieren. Zar Boris löste
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verfassungswidrig das Parlament auf, aber die Abgeordneten wollten einfach
nicht nach Hause gehen, sie besetzten das »Weiße Haus« genannte
Parlamentsgebäude. Jelzin orderte Panzer, die beschossen das Haus mit
Granaten. Erst nach 10 Stunden ergaben sich die Abgeordneten. Die rund 200
Toten haben keine Namen.Die westliche Staatengemeinschaft applaudierte
zwar nicht gerade, aber sie intervenierte auch nicht. Die Männerfreundschaft
zwischen Kohl und Jelzin - damals hielt sich hartnäckig das Gerücht, sie
würden sogar die Strickjacken tauschen – blieb von der mörderischen Attacke
auf das russische Parlament unberührt. Nach dem Sieg über die junge russische
Demokratie installierte der Jelzin-Klan, unbelästigt von westlichen
Einsprüchen, eine neue Verfassung, die als Grundlage für eine kaum
eingeschränkte Präsidialmacht diente und so nebenbei auch zur Enteignung
des russischen Volkes führte. Wer am Tag nur ordentlich Speichel leckte, der
wurde am Abend schon mit einem längeren Stück Gas-Pipeline beschenkt, die
natürlich bis dahin Staats- sprich Volkseigentum gewesen war. Der
Kapitalismus siegte im Kernland des sozialistischen Experimentes und das - so
erzählten die Medien, so lächelten die Herren des Westens, so raunten die
apologetischen Wissenschaften – das konnte doch nur gut sein. Mindestens ein
Viertel der Russen lebt unter der Armutsgrenze. Rentner zum Beispiel dürfen
mit 45 Euro monatlich auskommen, das, so sagen Moskau-Kenner, ist eher die
Hungergrenze. Es gibt andere Russen, die kaufen sich Fußballklubs oder
Fabergé-Eier für ein paar Millionen. Der Lukoil-Chef, Wagit Alekperow, hat sich
ein Mausoleum in Form des Tadsch Mahal errichten lassen, das rund 40
Millionen Dollar gekostet hat. Solche Russen können nicht undemokratisch
sein, denn über die kann man ja in der »Gala« lesen. Oder in den
außenpolitischen Seiten der sogenannten Qualitätspresse, wenn sie sich als
politisches Rührstück eignen, wie der immer noch im Gefängnis einsitzende
Michail Chodorkowski.Schon im zarten Alter von 33 Jahren war Chodorkowski
Milliardär und Vorstandvorsitzender des Ölkonzerns Jukos. Wie konnte der
ehemalige Funktionär des sowjetischen Jugendverbandes »Komsomol« so
schnell so reich werden? Erbschaft, Fleiß, Lotto? Natürlich nichts dergleichen,
wer im Russland der frühen 90er Jahre über ausreichend Geld verfügte, um
einen staatlichen Betrieb zu »privatisieren«, der hatte das Geld entweder auf
dem Schwarzmarkt ergaunert oder den Betrieb schlicht geklaut. Das gilt
natürlich für alle heutigen Millionäre, deren Vermögen in der Jelzin-Phase
zusammengerafft wurde. Dass es Chodorkowski erwischt hat, der, wie die
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Frankfurter Allgemeine Zeitung fein bemerkte wegen »Steuerminimierung«
angeklagt war, ist nur insofern ungerecht, als nicht ein paar Dutzend andere
auch verurteilt worden sind. Der Fall des russischen Ex-Milliardärs eignet sich
offenkundig, betrachtet man die deutsche Medienwirklichkeit, nur zum alten
antirussischen Reflex: Der Kreml knechtet seine Bürger. So, wie die mediale
Empörung über »russische Rohstoff-Machtpolitik« zu nichts anderem taugt, als
den Tiefstand deutschen Journalismus zu beweinen. Oder hat sich in den
selben Medien schon mal jemand darüber beschwert, dass die USA
Machtpolitik mit ihrem Militärpotential machen oder die deutsche Regierung
Außenpolitik mit ihrem wirtschaftlichen Exportpotential betreibt?Wenn der
deutsche Außenminister in diesen Tagen Russland besucht, dann tut er gut
daran, sich vor Augen zu halten, dass auch und gerade die Bundesrepublik die
Umwandlung der Sowjetunion in ein Sammelsurium kapitalistischer Staaten
nach Kräften unterstützt hat. Dass es dabei ein wenig rau zu geht ist nur
normal, das war in Manchester, Mitte des 18. Jahrhunderts, als dort der
Kapitalismus entstand, auch nicht anders. Statt sich bei Putin über russische
Demokratiemängel zu beschweren, sollte er lieber dessen Rat einholen, zum
Beispiel darüber, wie man seine Truppen aus Afghanistan zurück holt. Da gibt es
sicher Möglichkeiten des Erfahrungsaustausches. Vielleicht erkundigt sich
Steinmeier auch über Job-Aussichten: Sein ehemaliger Chef, Gerhard Schröder,
ist ja schon bei »Gasprom« untergekommen und wer weiß, wie lange die Große
Koalition noch hält.
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