Seymour Hersh über das Versagen Obamas in
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Seymour Hersh über das Versagen Obamas in
Nº 05 MAI Sig SP D ma -KR r I ni c G ab S E : ri ht me el wi ll hr 2 016 € 9.00 Österreich: 9.00 €, Benelux: 9.90 €, Italien: 9.90 €, Spanien: 9.90 € , Finnland: 13.00 € CHF 11 Die Akte Assad Seymour Hersh über das Versagen Obamas in Syrien W E LT B Ü H N E Analyse DIE SPALTUNG ÜBERWINDEN Wir Europäer haben ein großes Interesse daran, mit Russland zu kooperieren. Plädoyer für einen Neubeginn Von FR ANK ELBE Illustrationen L AUR A BREILIN G W ir haben Kriege in Europa: einen Bürgerkrieg in der Ukraine, der gleichzeitig ein Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West ist und ein Handelskrieg der USA und der EU gegen Russland und umgekehrt. Beide Seiten belegen einander mit Sanktionen. Die Politik greift zu Mitteln der Ausgrenzung und Gesprächsverweigerung. Das war 1990 nicht vorherzusehen. Der Kalte Krieg wurde beendet, ohne auch nur einen einzigen Schuss abzufeuern. Die konsequente Umsetzung der Nato-Strategie von ausreichender Sicherheit einerseits und Entspannung andererseits führte zur Vernichtung der nuklearen Mittelstreckenwaffen, zur Wiedervereinigung Deutschlands und zu den großen Veränderungen in den OstWest-Beziehungen. Im November 1990 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der KSZE-Staaten in der „Charta für ein neues Europa“ feierlich die Ablösung des „Zeitalters der Konfrontation und der Teilung Europas“. Es gab aber mehr als nur Euphorie und Feierlichkeit. Nämlich Verpflichtungen: Man definierte sich nicht mehr als Gegner, und man wollte die Sicherheitsinteressen eines jeden Partners berücksichtigen. Sicherheit galt als unteilbar und untrennbar mit der aller anderen verbunden. Es bestand der feste Wille, 56 Cicero – 5. 2 016 mit der Sowjetunion in eine neue Ära kollektiver Sicherheit einzutreten. Präsident Bush senior begnügte sich, in dieser neuen Weltordnung „second to none“ zu sein, niemandem „unterlegen“, aber auch niemandem „überlegen“ sein zu wollen. Vielen schien diese Entwicklung unumkehrbar. Das heutige Drama besteht darin, dass der lange, mühsame Weg, über eine Politik der Zusammenarbeit zu mehr Sicherheit zu gelangen, verlassen werden konnte. Einige Partner des Westens betonen schon seit langem, dass in dem von Gorbatschow beschworenen „europäischen Haus“ kein Zimmer für Russland frei ist. Tom Friedman, einer der bedeutenden amerikanischen Journalisten, befand bereits 2008 den Umgang mit Russland merkwürdig: „Wir erwarten von euch Russen, dass ihr euch wie eine westliche Demokratie verhaltet, aber wir werden euch behandeln, als wärt ihr weiterhin die Sowjetunion. Der Kalte Krieg ist für euch vorbei, aber nicht für uns.“ I N D ER RUS S L A N D KR I S E haben Politik, Diplomatie, aber auch Medien und Gesellschaft versagt. Und zwar nicht erst seit Beginn der Ukrainekrise, sondern schon während der zurückliegenden 20 Jahre. Die westliche Politik ist ihren eigenen Prinzipien nicht treu geblieben. 57 Cicero – 5. 2 016 W E LT B Ü H N E Analyse Der aktuellen westlichen Politik fehlt der Respekt vor den Gefahren einer möglichen nuklearen Konfrontation Ihr Handeln wird nicht von der in einer Krise gebotenen Empathie bestimmt. Die Vereinigten Staaten agieren in ihrer Außenpolitik orientierungs- und führungslos. Die westliche Außenpolitik missachtet die faktisch immer noch bestehenden realpolitischen Gesetzmäßigkeiten. Wie von Blindheit geschlagen, fehlt der aktuellen westlichen Politik der Respekt vor den Gefahren einer möglichen nuklearen Konfrontation. Russland und die USA halten sich immer noch mit der Strategie der „gegenseitig gesicherten Vernichtung“ in Schach. Sie stützt sich auf die fahrlässige Annahme, dass sich die Parteien immer rational verhalten werden. Ein ausschließlich vernünftiges Verhalten kann aber nicht wirklich als gesichert angesehen werden. Gesichert ist nur die totale Zerstörung, wenn die Parteien sich irrational verhalten. Der Historiker Michael Stürmer versteht nukleare Waffen als Instrumente politischer Strukturbildung, „denn sie erzwingen Selbstbeschränkung und Souveränitätsverzicht sowie ein hohes Maß an Berechenbarkeit und Vertrauensbildung. Wer diese Grundtatsache menschlicher Existenz vergisst, handelt bei Strafe des Untergangs.“ Die Kubakrise hat uns gelehrt, den Abstand zwischen dem Knopf, der den Nuklearschlag auslöst, und dem Daumen, der den Knopf drückt, möglichst groß zu halten. Bildlich gesprochen haben wir jahrzehntelang eine Matratze nach der anderen zwischen Daumen und Knopf geschoben. Das war und ist der wahre Kern der Entspannungspolitik. Mir scheint aber, dass wir in den zurückliegenden Jahren eine Matratze nach der anderen weggeräumt und das nukleare Risiko wieder erhöht haben. Das Management der Kubakrise war hohe Staatskunst. Kennedy setzte alles daran, eine nukleare Konfrontation zu vermeiden, insbesondere von dem Augenblick an, als die Militärs ihn darüber aufklärten, dass mit etwa 70 Millionen Toten in den USA zu rechnen sei, was sie billigend in Kauf zu nehmen schienen. Er folgte danach in den Verhandlungen mit Chruschtschow unbeirrt den Empfehlungen des englischen Militärhistorikers Liddell Hart, sich „in die Schuhe des Gegners zu stellen, um die Dinge durch seine Augen sehen zu können“. Im heutigen 58 Cicero – 5. 2 016 Umgang mit Russland gehört solcherlei Empathie nicht mehr zu unserem politischen Vokabular. Ein Raunen der Erleichterung ging 2009 durch die Münchner Sicherheitskonferenz, als der amerikanische Vizepräsident Biden die neue amerikanische Politik verkündete, „in den Beziehungen mit Russland die Neustarttaste zu drücken“. Präsident Obama geriet zum Hoffnungsträger und erhielt den Friedensnobelpreis. Aber dann verabschiedete sich Obama gegen Ende seiner ersten Amtsperiode lautlos von seiner Politik – ohne weitere Erklärung und ohne Konsultation mit Amerikas Verbündeten. Der Neokonservativismus nahm fortan Einfluss auf die Außenpolitik der USA. Er ist eine für Amerikaner verführerische Ideologie, die unerschütterlich von der weltweiten Vormachtstellung der Vereinigten Staaten ausgeht. So sah der zielstrebige Plan der Administration vor, den von ihr aufgebauten Kandidaten Jazenjuk durch einen Putsch in das Amt des ukrainischen Ministerpräsidenten zu hieven, den amtierenden Staatspräsidenten Janukowitsch zu verjagen und schließlich – wenn möglich – einen Regimewechsel in Russland zu versuchen. Präsident Obama räumte die amerikanische Verstrickung in den Putsch gegenüber der CNN selbst ein: Der von den USA „vermittelte Deal zur Regierungsumbildung in der Ukraine“ habe Putin „aus dem Gleichgewicht gebracht“. Den „change of regime“ pfiffen gegen Ende 2014 in Washington die Spatzen von den Dächern. D I E O PER ATI O N U KR A I N E geriet aber zum Fiasko. Die Entschiedenheit der russischen Reaktion war nicht ins Kalkül gezogen worden. Putin kassierte die Krim. Der Westen sah darin eine „verbrecherische Annexion“. Es ist richtig, eine Annexion beim Namen zu nennen. Der Westen darf sich aber nicht so auf die Einverleibung der Krim fixieren, als hätte es keine schwärende Vorgeschichte der Krise und keine amerikanische Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine gegeben. In den USA weisen schon seit Mitte 2014 Wissenschaftler, Journalisten, ehemalige Diplomaten und hochrangige CIA-Veteranen der Administration die Hauptverantwortung für die Entstehung des Konflikts zu. Sie habe den „Fortbestand der Realpolitik im 21. Jahrhundert“ ignoriert. Putin habe schon früh und wiederholt gewarnt, dass mit der Integration der Ukraine in die westliche Einflusssphäre eine rote Linie überschritten werden würde. In der Tat hatte der russische Außenminister Lawrow im Februar 2008 den US-Botschafter Burns förmlich einbestellt und ihm mitgeteilt, dass eine NatoMitgliedschaft der Ukraine das Land möglicherweise in zwei Hälften teilen würde – was zum Ausbruch von Gewalt oder sogar zu einem Bürgerkrieg führen könnte, der Russland unter Umständen zwingen würde, eine Entscheidung über eine Intervention zu treffen. Ich frage mich, ob es schlimm gewesen wäre, rechtzeitig die Sorgen der russischen Regierung vor einer Umzingelungspolitik, dem Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien, der Kündigung des ABM-Vertrags und vor dem Zuwachs militärischer Präsenz in Osteuropa ernst zu nehmen. Und ich frage mich schließlich, wie die USA in Putins Lage gehandelt hätten. Die USA und Russland stehen in einer langen Tradition des Ziehens „roter Linien“. Für die Vereinigten Staaten war die Stationierung sowjetischer Raketen in Kuba der Klassiker unter den „roten Linien“. Die Russen zogen eine „rote Linie“, als ihnen die Nato zu dicht auf den Pelz rückte. Henry Kissinger wies darauf hin, dass ein Land, durch das seit Jahrhunderten fremde Armeen marschiert sind, seine Sicherheit notwendigerweise sowohl auf geopolitische als auch auf rechtliche Grundlagen stellt: „Wenn seine Sicherheitsgrenze von der Elbe tausend 59 Cicero – 5. 2 016 Wie die Amerikaner in der Kubakrise, so zogen diesmal die Russen eine „rote Linie“, als ihnen die Nato zu nahe kam Die russische Gesellschaft ist enttäuscht. Besonders die Jüngeren fühlen sich als Verlierer der Geschichte Meilen Richtung Moskau verlegt wird, erhält Russlands Auffassung von einer Weltordnung eine unausweichliche strategische Komponente.“ Die Krise ist nicht durch einen rechtlichen Disput zu lösen. Bei einem Wasserrohrbruch ruft man den Klempner, wenn das Haus nicht volllaufen soll, und nicht den Rechtsgutachter. Diplomatie ist ein Reparaturunternehmen. Sie sollte daran arbeiten, die gegenwärtigen Turbulenzen aufzulösen, Russland wieder seinen Platz in der euroatlantischen Gemeinschaft einzuräumen und ein neues multipolares und globalisiertes Gleichgewicht zu schaffen. Es wird für Europa und die USA keine Sicherheit gegen Russland, sondern nur mit Russland geben. Niemand kann Russland – eine Großmacht mit enormen wirtschaftlichen Ressourcen, eben nicht nur eine Regionalmacht – ohne Nachteile für sich selbst isolieren. „Die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Politik. Sie ist ein Alibi für die Abwesenheit von Politik“, sagte Henry Kissinger. Putin zählt zu den sogenannten „Sabadniki“ – den Westlern in Russland –, und wir sind gut beraten, seine europäische Ausrichtung zu nutzen. Eine wirtschaftliche Zusammenarbeit im Kooperationsraum von Vancouver bis Wladiwostok würde hohes Wachstum erzeugen. Die Teilnahme Nordamerikas an einer solchen Zusammenarbeit würde für alle Beteiligten mehr Synergien schaffen, als wenn sich die USA verweigern würden. Die USA sollten allerdings bedenken, dass sie die Europäer nicht davon abhalten können, diesen Weg unter Umständen auch allein zu gehen. in der russischen Gesellschaft Enttäuschung hervorgerufen. Russen um die 40 Jahre und jünger fühlen sich als die Verlierer der Geschichte. Zu den bittersten Enttäuschungen gehört das Thema Osterweiterung der Nato. Hierzu eine kurze Bemerkung: Im Februar 1990 warb US-Außenminister Baker gegenüber Gorbatschow in Moskau für die Mitgliedschaft des vereinigten Deutschland in der Nato. Er fragte Gorbatschow wörtlich: „Würden Sie ein wiedervereinigtes Deutschland außerhalb der Nato und ohne US-Streitkräfte, dafür vielleicht mit eigenen Atomwaffen, lieber sehen, D IE KR I S E H AT 60 Cicero – 5. 2 016 oder ziehen Sie ein vereintes Deutschland vor, das in die Nato eingebunden ist, während gleichzeitig gewährleistet ist, dass die Nato ihr Territorium um keinen Zentimeter in Richtung Osten ausweitet?“ Gorbatschow nahm Baker so ernst, dass er schon zwei Tage später – beim Besuch von Helmut Kohl in Moskau – seine Zustimmung zur deutschen Einheit erteilte. Ich bin nicht mehr sicher, ob die USA und Europa in ihren außenpolitischen Zielen noch übereinstimmen. Wir wünschen uns ein starkes Europa, das sinnvoll mit Russland und den Vereinigten Staaten zusammenarbeitet. Die Amerikaner haben ihrerseits kein Interesse an einem starken Europa, auch nicht an einem allzu intensiven wirtschaftlichen Schulterschluss zwischen Europa und Russland. Neokonservative wie George Friedman wollen „verhindern, dass sich deutsches Kapital und deutsche Technologien einerseits und russische Rohstoffe und billige russische Arbeitskräfte andererseits verbinden“. Ich halte George Friedman für einen Spinner. Es sorgt mich jedoch, dass sein Entwurf, der auf die Zerstörung der Bindungen zwischen Russland und Deutschland und auf die Spaltung Europas abzielt, sich mit vielem deckt, was in den USA gegenwärtig gedacht und getan wird. Die Vereinigten Staaten unternehmen militärische Alleingänge an der Ostflanke der Nato. In Krisenzeiten sollten aber weitreichende militärische Unterstützungsmaßnahmen im Bündnis abgestimmt werden. Die geplante Verlegung einer US-Panzerbrigade nach Osteuropa ist ein bedrohliches Unterfangen. Amerikanische Militärs – insbesondere Luftwaffengeneral Philip Breedlove – sehen das anders. Sie halten sich zu solchen Schritten berechtigt, wenn innerhalb des Bündnisses kein politischer Konsens für bestimmte Maßnahmen zu erreichen sei. Dies ist nichts anderes als ein Angriff auf die politische Souveränität der Nato. Europa ist aber kein Vorhof der USA. Es ist unser Kontinent. FR ANK ELBE war deutscher Botschafter in Polen und Indien sowie fünf Jahre lang Bürochef von Hans-Dietrich Genscher Foto: Privat W E LT B Ü H N E Analyse