„Wladimir Putin wird keinen Gang nach Canossa antreten“
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„Wladimir Putin wird keinen Gang nach Canossa antreten“
POLITIK Nr. 258 / Rhein-Neckar-Zeitung Samstag/Sonntag, 8./9. November 2014 21 „Die ukrainische Armee hat riesige Verluste erlitten“, erklärt Wolfgang Ischinger. Hier stehen Passanten vor einer Wand in Kiew, an der Fotos getöteter ukrainischer Soldaten hängen. Foto: dpa NACHRICHTEN Bin Ladens Todesschütze enttarnt Robert O’Neill ist der Mann, der Osama bin Laden erschossen hat – zumindest sagt er das selber. Seine früheren Kameraden der US-Spezialeinheit Navy Seals werfen dem Ex-Elitesoldaten vor, aus der geheimen Mission zur Tötung des Al-Kaida-Chefs (Foto: dpa) vor gut drei Jahren Kapital schlagen zu wollen. O’Neill tingelt nämlich als Motivationsredner durch das Land. Todesschütze des einst meistgesuchten Terroristen der Welt zu sein, dürfte sein Honorar in die Höhe treiben. O’Neill gab seine Identität am Donnerstag in der „Washington Post“ preis. Der 38-jährige Ex-Soldat verteidigt seinen Gang an die Öffentlichkeit: Er habe ohnehin kurz vor der Enttarnung gestanden. Mehr Geld für Pflegebedürftige Der Bundesrat hat die Pflegereform der Regierung am Freitag gebilligt. 2,6 Millionen Pflegebedürftige erhalten damit ab 2015 um vier Prozent höhere Leistungen. Die Betreuung wird sowohl im Heim als auch ambulant ausgebaut. Zuschüsse für den Umbau einer Wohnung im Pflegefall steigen. London darf später zahlen Der britische Premier David Cameron bekommt bis September 2015 Zeit, um die milliardenschwere Nachzahlung bei den EU-Beiträgen zu leisten. Dies beschlossen die EU-Finanzminister am Freitag in Brüssel. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wies jedoch Angaben Londons zurück, es sei auch eine „Halbierung der Rechnung“ von 2,1 Milliarden Euro vereinbart worden. Gewalt bei Trauerfeier „Wladimir Putin wird keinen Gang nach Canossa antreten“ Ex-Botschafter Wolfgang Ischinger über die Gründe für den Ukraine-Konflikt, die Wirkung von Sanktionen und mögliche Lösungen Von Christian Altmeier Heidelberg. Wolfgang Ischinger (68) ist Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Der Diplomat fungierte zuvor unter anderem als deutscher Botschafter in den USA und Großbritannien sowie als Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Ischinger war an der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen der Nato und Russland beteiligt und vermittelte in diesem Jahr als OSZE-Sondergesandter in der Ukraine-Krise. Wir sprachen mit dem Außenexperten am Rande des RNZ-Forums im Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) in Heidelberg. > Herr Ischinger, wie groß ist der Einfluss Russlands auf die Separatisten im Osten der Ukraine? Es ist nicht so, dass die Aufständischen dort jeden Morgen ihre Befehle direkt aus Moskau erhalten würden. Aber die Unterstützung aus Russland ist für die Separatisten schon ungeheuer wichtig. Wenn Moskau die Grenze dichtmachen und sämtliche Lieferungen an Waffen und Lebensmitteln unterbinden würde, würde den Kämpfern dort vermutlich innerhalb weniger Tage der Nachschub ausgehen. Dabei liegt es eigentlich überhaupt nicht im russischen Interesse, den Konflikt anzuheizen. > Inwiefern? Bevor der Ukraine-Konflikt ausgebrochen ist, gab es kein feindseliges Verhältnis Moskaus zu Kiew. Die Menschen in beiden Ländern verstanden sich als Brudervölker. Inzwischen dominiert in der Ukraine die Furcht vor den Russen. Moskau wird als eine Bedrohung für die eigene Sicherheit und für die Einheit des Landes wahrgenommen. Russland hat somit seinen wichtigsten westlichen Nachbarn in Angst versetzt. > Warum befriedet Russland den Konflikt dann nicht? Ich glaube, es gab eine Kette von Ereignissen, die dazu führte. Man muss sich dazu einmal in die Lage in Moskau hineinversetzen: Als die russlandfreundliche Regierung von Viktor Janukowitsch in Kiew gestürzt wurde, herrschte im Kreml die Sorge, dass die neuen Machthaber die Verträge über die russischen Marinestützpunkte auf der Krim kündi- Wolfgang Ischinger beim RNZ-Forum am Donnerstag im DAI. Foto: Rothe gen könnten. Putin hätte dann den Zugang zum Schwarzen Meer verloren, für den Russland einst verlustreiche Kriege gegen die Osmanen geführt hatte. Dies galt es unbedingt zu verhindern. Daher verleibte sich Russland die Krim ein. Das so zu erklären, heißt natürlich nicht, es zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Es handelt sich hier um einen klaren Bruch des Völkerrechts, der nicht ohne Reaktion bleiben konnte. > Aber warum kam es dann zu den Kämpfen in der Ostukraine? Eine gespaltene Ukraine ist kein attraktiver Nato- und EU-Kandidat. Davon abgesehen dienen die Kämpfe auch als Ablenkungsmanöver. Weil Russland mit einer militärischen Antwort der Uk- raine auf die Annexion der Krim rechnen musste, hat man einen weiteren Konfliktherd geschaffen. Und das mit Erfolg: Die ukrainische Armee ist seither nur noch damit beschäftigt, gegen die Separatisten in der Ostukraine zu kämpfen, und sie hat riesige Verluste erlitten. > War es richtig, Sanktionen gegen Russland zu verhängen? Wichtig ist es, das Ziel der Sanktionen nicht aus den Augen zu verlieren. Sie sind keine Strafaktion gegen Russland, wie manche in Amerika glauben. Die Sanktionen sollen Russland dazu bewegen, mehr für die Beilegung des Ukraine-Konflikts zu tun, als dies bisher der Fall ist. Ich selbst stehe Sanktionen grundsätzlich eher skeptisch gegenüber. Aber man musste etwas tun. Und da sich der Westen zu Recht einig darüber ist, dass militärische Mittel nicht in Frage kommen, blieben eben nur Sanktionen. > Und zeigen die Sanktionen Wirkung? Russland spürt die Auswirkungen, das ist keine Frage, besonders im Finanzbereich. Aber Putin wird deshalb keinen Gang nach Canossa antreten. Man muss dafür sorgen, dass die Russen bei einer unbedingt notwendigen, ja längst überfälligen friedlichen Einigung ihr Gesicht wahren können. Außerdem muss man sicherstellen, nicht in eine „SanktionsFalle“ zu geraten. Die westlichen Regierungen müssen jederzeit in der Lage sein, die Sanktionen wieder aufzuheben. Der US-Kongress zum Beispiel sollte eine Aufhebungsentscheidung nicht blockieren dürfen. > Wie könnte eine solche gesichtswahrende Einigung gelingen? Ich bilde mal ein fiktives Beispiel: Angenommen, es gelingt bei den Atom-Verhandlungen mit dem Iran, die in drei Wo- Flexiblere Förderung für junge Familien In Ostjerusalem ist es am Freitag erneut zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften gekommen. Im Stadtteil Schuafat hätten sich Tausende Palästinenser zu einer symbolischen Trauerfeier für den Attentäter Ibrahim al-Akri versammelt. Der hatte am Mittwoch in Jerusalem Fußgänger angefahren und zwei Menschen getötet, er wurde anschließend erschossen. Bei dem Trauermarsch flogen Steine und Feuerwerkskörper (Foto: AFP). Palästinenser zündeten Reifen an. Unglück bei Senfgas-Entsorgung Bei der Vernichtung von Reststoffen syrischer Chemiewaffen in Munster (Niedersachsen) hat es einen Unfall mit drei Verletzten gegeben. Die Mitarbeiter der Gesellschaft zur Entsorgung chemischer Kampfstoffe und Rüstungsaltlasten erlitten Verätzungen durch Reste von Senfgas, als sie einen verunreinigten Behälter in einen Verbrennungsofen schieben wollten. Laut Vertrag hätten die Behälter vollständig entleert sein müssen. Baugesetz wird gelockert Um die vielen Flüchtlinge schneller unterbringen zu können, werden bürokratische Hemmnisse gelockert: Die vom Bundesrat gebilligte Reform des Baugesetzes vereinfacht die Verfahren vorübergehend. Die Unterkünfte sollen zum Beispiel auch in Gewerbegebieten entstehen können. Elterngeld Plus beschlossen – Beantragen der Leistung wird komplexer Von Claudia Wesseling Berlin. Das Elterngeld zählt zu den beliebtesten Familienleistungen. Künftig sollen junge Familien es noch flexibler einsetzen können. Am Freitag beschloss der Bundestag das sogenannte Elterngeld Plus. Es soll Vätern und Müttern erleichtern, schon bald nach der Geburt des Nachwuchses Teilzeit zu arbeiten. Wer einen Antrag stellen will, sollte sich eingehend über die vielen neuen Detailregelungen informieren. > Elterngeld lässt sich strecken: Bislang wird das Elterngeld maximal für 14 Monate ausgezahlt (zwölf Monate plus zwei Partnermonate). Für junge Eltern soll so der durch die Betreuung ihres Nachwuchses entstehende Einkommensausfall abgemildert werden. Das Elterngeld beträgt rund zwei Drittel des bisherigen Einkommens – mindestens 300 und höchstens 1800 Euro. Künftig soll die Familienleistung zeitlich gestreckt bis zu doppelt so lang bezogen werden können. > Anreiz für Teilzeit: Bislang galt auch für Teilzeit-Arbeitnehmer eine maximale Elterngeldzeit von 14 Monaten. Wer frühzeitig wieder stundenweise zu arbeiten begann, musste Kürzungen hinnehmen. Das Elterngeld Plus kann bis zu 28 Monate lang gezahlt werden. Junge Eltern sollen so animiert werden, möglichst frühzeitig wieder zu arbeiten. Den Umfang der Teilzeit können sie selbst bestimmen, mehr als 30 Wochenstunden dürfen es aber nicht sein. > Partnerbonus und Alleinerziehende: Väter und Mütter, die parallel in Teilzeit zwischen 25 bis 30 Wochenstunden gehen, können künftig einen Partnerschaftsbonus von vier zusätzlichen Elterngeld-Plus-Monaten bekommen. Auch Alleinerziehende können die Leistungen beantragen. Eltern von Mehrlingen haben mit der Reform nur noch einen Anspruch auf Elterngeld, bekommen aber Als die Mauer fiel, war... Björn Engholm mit Freunden in Lübeck, unweit der innerdeutschen Grenze, und feierte seinen 50. Geburtstag. Als der damalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein das Lokal verließ, bemerkte er einen ungewohnten Geruch. „Die ersten 20, 30 Trabis waren eingetroffen“, erinnert sich Engholm. „Die Leute waren völlig perplex, dass ich da stand. Und ich war perplex, dass sie da standen – das war einer der rührendsten Momente in meinem Leben.“ weiter einen Mehrlingszuschlag von 300 Euro pro Geschwisterkind. > Elterngeld-Bezüge erhöhen sich nicht: Insgesamt bleibt der Betrag an gezahltem Elterngeld gleich. Es gilt die Faustregel: Ein Elterngeld-Monat sind zwei Elterngeld-Plus-Monate. Die Staatskasse soll die Reform geschätzt nur 100 Millionen Euro mehr kosten. Das Elterngeld insgesamt schlägt laut Familienministerium im Bundeshaushalt 2014 und 2015 mit jeweils mehr als fünf Milliarden Euro zu Buche. > Mehr Flexibilität in der Elternzeit: Von der dreijährigen, unbezahlten Auszeit vom Job können künftig bis zu 24 Monate – statt bislang zwölf – auch noch zwischen dem dritten und dem achten Lebensjahr des Kindes genommen werden. Vater und Mutter können zudem die Elternzeit in je drei statt bisher zwei Abschnitte aufteilen. Für die ersten beiden Abschnitte ist eine Zustimmung des Arbeitgebers nicht nötig, dieser muss aber bis zu 13 Wochen vorher informiert werden. Im dritten Abschnitt kann der Arbeitgeber dringende betriebliche Gründe geltend machen, wenn er einen beantragten Zeitraum ablehnen will. > Start zum Jahreswechsel: Das Gesetz soll zum 1. Januar 2015 in Kraft treten. Das neue Elterngeld Plus gilt dann für Kinder, die ab dem 1. Juli 2015 geboren werden. chen zu Ende gehen sollen, zu einer Einigung zu kommen. Dann hätten die Russen an diesem Erfolg einen großen Anteil, denn Moskau spielt bei den Gesprächen mit Teheran weiter eine durchaus konstruktive, ja hilfreiche Rolle. Ein gemeinsamer diplomatischer Durchbruch könnte dann zu einer Annäherung auch über andere Fragen, auch über die Ukraine führen, vielleicht sogar zu einer Art Gipfeltreffen. So funktioniert Diplomatie. Eins muss klar sein: Unser strategisches Ziel ist ein doppeltes – die Ukraine zu stabilisieren, und die Beziehungen zu Russland langfristig wieder zu normalisieren. Wir dürfen nicht das eine Ziel zu Lasten des anderen aufgeben. > Hätte man den Kreml bei Gesprächen mit der Ukraine früher einbinden sollen? Ja, womöglich hätte man das tun sollen. Ich behaupte nicht, dass der Westen keine Fehler gemacht hat. Aber wir haben mit Sicherheit nichts getan, womit Russland den Bruch des Völkerrechts rechtfertigen könnte, den sie mit der Annexion der Krim begangen haben. Alle Vorwürfe – auch der, dass die Nato im Kosovo ähnlich gehandelt habe – sind ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Moskau hat auf jeden Fall überreagiert. > Die Republikaner in den USA wurden bei den Wahlen gestärkt. Wird dies eine Annäherung an Russland erschweren? Ja und Nein. Einerseits stehen die Republikaner Putin sicherlich misstrauischer gegenüber. Andererseits könnte es sein, dass Obama sich nun mehr auf die Außenpolitik konzentriert, falls die Republikaner seine innenpolitischen Vorhaben blockieren. Auch Bill Clinton hat so gehandelt, nachdem er die Mehrheit im Kongress verloren hatte. In der Außenpolitik kann der US-Präsident auch ohne den Kongress viel bewegen. Wo gehen die Milliarden hin? Schäuble irritiert Koalitionäre Berlin. (rabu) Bildung, Breitband-Ausbau, Sanierung von Straßen und Schienen – kaum hat Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein milliardenschweres Investitionsprogramm angekündigt, wird auch schon über die Verwendung der Mittel diskutiert. Genaue Festlegungen sind in nächster Zeit aber nicht zu erwarten: Erst bis zur Vorstellung der Haushaltseckwerte für 2016 im kommenden Frühjahr soll die Richtung klar sein. „Das Parlament wird sich darüber unterhalten, wie wir das Geld ausgeben wollen“, erklärte SPD-Chefhaushälter Johannes Kahrs. Nicht der Finanzminister entscheide darüber, sondern die Abgeordneten. Schäuble hatte seinen Vorstoß mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Sigmar Gabriel abgestimmt, die Haushälter aus der Koalition aber erst in letzter Minute über seine Pläne informiert. Der CDU-Mann hatte von Spielräumen gesprochen, die bei ansonsten „strikter Ausgabendisziplin“ zum Ankurbeln der zuletzt lahmenden Wirtschaft genutzt werden könnten. Haushaltsexperten der Koalition rätseln allerdings immer noch, welche Spielräume Schäuble gemeint haben könnte. Die Gegenfinanzierung für seine Ausgabenpläne dürfte nicht einfach werden, wenn es beim Ziel bleiben solle, keine neuen Schulden aufzunehmen, heißt es.