Interview mit - Osteuropaverein der deutschen Wirtschaft eV
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Interview mit - Osteuropaverein der deutschen Wirtschaft eV
branchen + firmen + märkte Interview mit Verflechtung als Erfolgsmodell Marcus Felsner Zur Person Dr. Marcus Felsner ist seit Ende 2013 Vorsitzender des Ost- und Mitteleuropa Vereins, Berlin/Hamburg. Im Hauptberuf ist Felsner Geschäftsführender Partner von Rödl & Partner. Der Dienstleister, der seine weltweite Entwicklung selbst 1989 in Mittel- und Osteuropa begann, begleitet heute mit rund 4.000 Mitarbeitern deutsche Unternehmen bei Investitionen in 100 Ländern der Erde in der Rechts- und Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung, Unternehmens- und IT-Beratung. Felsner hatte berufliche Stationen u. a. bei der UNO und war als Rechtsanwalt mit Infrastrukturprojekten in Osteuropa befasst. Der Außenwirtschaftsexperte gehört auch den Vorständen des Lateinamerika Vereins, des Afrika-Vereins und der Arab-German Chamber of Commerce (Ghorfa) an. 8 OWC: Herr Felsner, wie ist die Stimmung unter Ihren Mitgliedsunternehmen bezüglich Russland und der Ukraine? K Felsner: Die russische Wirtschaft hat Probleme, die nicht erst mit dem Konflikt um die Ukraine begonnen haben. Viele deutsche Firmen beklagen, dass Russland die Bemühungen um die Modernisierung der Wirtschaft weitgehend eingestellt hat – was aus russischer Sicht umso bedenklicher ist, als die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft ja irgendwann nicht mehr zur Verfügung stehen. Es gibt gewaltige Investitionschancen in Russland, aber die Wirtschaft wächst nicht mehr, Kapital fließt ab. Das zeigt, dass einige russische und ausländische Investoren das Vertrauen in das Land verloren haben. Schon 2011 hatte der russische Präsident angekündigt, Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft in Milliardenhöhe für Projekte in der Gesundheitswirtschaft, Infrastruktur und der Bildung bereitzustellen. Die deutschen Unternehmen, die in Russland aktiv sind, spüren aber nicht, dass davon genug ankommt. Die deutsche Wirtschaft könnte einen großen Beitrag zur industrielOst-West-Contact 6/2014 Foto: OMV Seit Beginn des Transformationsprozesses in Ost- und Mitteleuropa begleitet der Ostund Mitteleuropa Verein e. V. deutsche Unternehmer auf die neuen Märkte. 1989 gegründet, feiert der Verband in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum. OWC sprach mit dem Vorsitzenden Dr. Marcus Felsner über die Attraktivität der östlichen Nachbarn zehn Jahre nach dem EU-Beitritt, aktuelle Entwicklungen im Ukraine-Konflikt und alte und neue Geschäftsfelder des OMV. branchen + firmen + märkte len Modernisierung in Russland leisten, aber das Interesse daran muss natürlich von russischer Seite vorhanden sein. Die Folgen der Krise für die Unternehmen, die heute in der Ukraine engagiert sind, sind noch nicht überschaubar. Das administrative Umfeld ist außerordentlich schwierig geworden, aber die Unternehmen arbeiten normal weiter, da gibt es keine Panik. für den deutschen Mittelstand, sind Konferenzen, Leuchtturmprojekte, Initiativen, die mit der von Putin eingerichteten „Vertikalen der Macht“ organisiert und verabschiedet werden, kaum praktisch nutzbar. Deutsche Mittelständler engagieren sich nachhaltig, brauchen aber belastbare Rahmenbedingungen vor Ort und nicht die Telefonnummer des Kreml. Wir müssen zu einer anderen Form des Austausches kommen, weniger Konferenzfeierlichkeit, mehr praktische gemeinsame Arbeit. OWC: Welche Rolle spielt Russland für die deutsche Wirtschaft, speziell auch für Ihre Mitglieder? K Felsner: Für viele unserer Mitgliedsunternehmen ist das Land OWC: Vor 25 Jahren fiel der Eiserne Vorhang, vor zehn Jahren wurein sehr wichtiger Markt. Wir dürfen aber nicht vergessen: Für den die ersten Länder Ost- und Mitteleuropas in die Europäische die meisten Mittelständler in Deutschland ist Russland heute nur Union aufgenommen. Der Run auf diese neuen Märkte war groß, einer von 30, 40 Märkten, die weltweit bearbeitet werden. Es gibt vor allem seitens der deutschen Wirtschaft. Inzwischen eröffnen einen interessanten Vergleich: Jeder Russe sich weltweit immer neue Märke. Welchen realisiert mit Deutschland ein HandelsvoluStellenwert hat Ost- und Mitteleuropa men von 530 Euro, jeder Tscheche von über heute im Wettbewerb um ausländische Wir brauchen einen 6.000 Euro. Das zeigt, welch unglaubliches Investitionen? Potenzial in der weiteren Verflechtung anderen Austausch.“ K Felsner: Ost- und Mitteleuropa ist eine der russischen Wirtschaft mit Westeuropa der wichtigsten Wachstumsregionen für steckt. Wir haben im OMV eine Debatte die deutsche Wirtschaft und wird das auch angeschoben, wie eine solche Verflechtung vorangetrieben werbleiben. Die östlichen EU-Länder gehören heute zu den innovaden kann. Allerdings hat die russische Regierung daran wohl kein tivsten Produktionsstandorten. Bosch hat kürzlich im rumäniInteresse mehr. schen Cluj die modernsten Motorenwerke der Welt eingeweiht. Auch Daimler hat ein Werk in Rumänien eröffnet. Das industrielle OWC: Wie äußert sich das? Niveau ist in diesen Ländern sehr hoch. Wir erleben gegenwärtig, K Felsner: Der Mittelstand braucht bestimmte Rahmenbedingundass gerade kleine und mittelständische Unternehmen Kapazigen, und er muss sich auf die Einhaltung bestimmter Spielregeln täten nach Europa zurückholen. Die einzelnen Länder haben die verlassen können. In Westeuropa hat man den Eindruck, dass internationale Finanzkrise relativ gut überstanden. Es herrscht diese Spielregeln in Russland nicht mehr Konsens sind. mancherorts Vollbeschäftigung. Das größte Problem, vor dem Noch einmal: In dem heutigen Zustand der dortigen Wirtschaft deutsche Unternehmen heute stehen, besteht in der Suche nach ist Russland nur eines von sehr vielen möglichen Ländern, in qualifizierten Mitarbeitern – eigentlich ein Luxusproblem. denen deutsche Unternehmen investieren können. Die Mehrheit der Unternehmen ist nicht darauf angewiesen, KapiOWC: Der OMV betreut 29 Länder der Region Ost- und Mitteleutal in ein Land zu schaffen, das seine Nachbarn mit Krieg bedroht ropas. Wie weit reicht Europa aus der Sicht Ihres Verbandes? oder nicht einen Mindestbestand an internationalen Spielregeln K Felsner: Die Erfolgsgeschichte der deutschen Wirtschaft beruht anerkennt. Die jüngste Entwicklung kann man nur bedauern. Die auf der engen Verflechtung mit unseren europäischen Nachbarn. Folgen der politischen Krise treffen am schwersten die russische Wir haben einen großen Teil unseres Wohlstands dem Umstand zu Wirtschaft – ohne jedes westliche Zutun. verdanken, dass wir ein europäisches Modell gefunden haben, in dem die Mitgliedstaaten sehr eng zusammenarbeiten. DeutschOWC: Was meinen Sie konkret – abgesehen von den politischen land hat davon mehr als alle anderen profitiert. Wir haben ein groAuseinandersetzungen – welche Spielregeln haben die Russen ßes Interesse daran, dass immer mehr Staaten Teil dieses Modells aufgekündigt? werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir die EU-Erweiterung als K Felsner: Russland hat zwar bei der Gestaltung der rechtliErfolgsgeschichte verstehen und auch kommunizieren. In welchen Rahmenbedingungen für ausländische Investoren große cher Reihenfolge und welche Länder beitrittsfähig sind, das ist Verbesserungen erreicht, trotzdem ist das letztlich nicht die Frage. Land nicht da, wo es entsprechend seinem Polen ist für uns heute ganz selbstverständPotenzial eigentlich hingehört. Das zeigt lich ein Markt vor unserer Haustür, ein Teil EU-Erweiterung ist eine erschreckende Statistik im Doing Busider europäischen Wirtschaftsstrukturen. Erfolgsgeschichte.“ ness Report der Weltbank: Von 54 afrikaWir haben Anlass, dankbar zu sein. Daraus nischen Staaten stehen 34 im Ranking vor erwächst auch Verantwortung. Russland. Mir geht es nicht darum, das Land herabzusetzen. Ich will BegeisOWC: Sie sagen es: Mit Polen und anderen EU-Ländern der Region terung dafür wecken, welch ungeheure Möglichkeiten in der ist die Zusammenarbeit heute business as usual. Welche neuen wirtschaftlichen Annäherung Russlands an Westeuropa liegen. Schwerpunkte ergeben sich daraus für die Arbeit des OMV? K Felsner: Wir orientieren uns nicht an politischen Wunschzetteln, OWC: Dieses Potenzial zu heben, versucht der OMV seit 25 Jahsondern identifizieren konkrete Projekte und bringen Unternehren. Auch in anderen Verbänden oder Gremien, beispielsweise men zusammen. Wir haben Expertenkreise in den Bereichen der Deutsch-Russischen Strategischen Arbeitsgruppe, steht bei Gesundheitswirtschaft, Kreislaufwirtschaft, Agrar- und Ernähjedem Treffen mit russischen Partnern die Verbesserung der Rahrungswirtschaft sowie Logistik eingerichtet. Der Austausch in menbedingungen auf dem Programm. diesen Gremien erfolgt in beide Richtungen. Aber wir müssen K Felsner: Möglicherweise haben wir uns zu wenig Gedanken noch kreativer werden und unsere Förderinstrumente auf den gemacht, wie groß die Unterschiede, auch wirtschaftspolitischer Prüfstand stellen. Art, zwischen Westeuropa und Russland immer noch sind. Man In diesem Jahr wollen wir uns mehr damit beschäftigen, was uns braucht eine Umspuranlage wie für die russische Eisenbahn, die mit Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn verbindet. Diese unser westeuropäisches Erfolgsmodell für die russische WirtLänder sind in einer sehr spannenden Entwicklungsphase – wir schaft verständlich und zugänglich macht. Der Erfolg der deutwollen helfen, dass die deutsche Wirtschaft die nächste Stufe bei schen Wirtschaft beruht auf zentralen Säulen: der Herrschaft des der Entwicklung zum Industriestandort und Verbrauchermarkt Rechts, dem multilateralen Verständnis von Beziehungen, auf mitgestalten kann. Freihandel und auf der friedlichen Lösung von Konflikten. Wir haben mit unseren russischen Partnern offenbar zu wenig über OWC: Vielen Dank für das Gespräch. diese Dinge gesprochen. Für die deutsche Wirtschaft, vor allem Das Interview führte Jutta Falkner. Ost-West-Contact 6/2014 9