Das Verfahren vor der Mietschlichtungsbehörde und seine Tücken

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Das Verfahren vor der Mietschlichtungsbehörde und seine Tücken
RECHT UND PRAXIS
Barbara Hildbrand-Ineichen
Rechtsanwältin, Siegrist Ries & Partner, Aarau
Das Verfahren vor der
Mietschlichtungsbehörde
und seine Tücken
aus der Sicht des Vermieters
Die Mietschlichtungsbehörde ist bei Streitigkeiten zwischen den Parteien
eines Mietvertrages in aller Regel die erste Anlaufstelle. Der Vermieter sollte sich deshalb damit auseinandersetzen, was es in einem Verfahren vor
dieser Behörde zu beachten gilt und welche Falltüren Gesetz und Rechtsprechung für den Vermieter – aber auch für den Mieter – eingebaut
haben. Die nachfolgenden Ausführungen sollen einen diesbezüglichen
Überblick verschaffen und beschränken sich der Einfachheit halber weitgehend auf die Miete von Wohn- und Geschäftsräumen.
Wann hat der Mieter die Möglichkeit, die
Mietschlichtungsbehörde anzurufen und
was ist bei der Verfahrenseinleitung zu
beachten?
Daraus folgend, dass die Mietschlichtungsbehörde in aller Regel die erste Anlaufstelle
für den Mieter ist, wenn er irgendwelche
Probleme mit dem Mietvertrag, dem Mietobjekt oder der Vermieterschaft hat, sind
die Möglichkeiten mannigfaltig. Die wichtigsten, in der Praxis am meisten vorkommenden Fälle dürften sein: Durchsetzung
von Mängelrechten an der Mietsache
(Verfahren bei hinterlegten Mietzinsen),
Herabsetzung des Mietzinses, Anfechtung
einer Mietzinserhöhung, Anfechtung einer
Kündigung und Begehren um Mieterstreckung.
Auf Seiten der Vermieterschaft kommt
dabei oftmals das Gefühl auf, dass die Last
der Einhaltung der Verfahrensregeln vor
allem den Vermieter trifft. Auch der Mieter
muss sich jedoch mitunter strikten Regeln
unterwerfen, wenn er nicht Gefahr laufen
will, vor der Mietschlichtungsbehörde abzublitzen. So hat das Bundesgericht kürzlich
in einem Urteil vom 7. September 2006
(4C.198/2006) festgehalten, dass ein Mieter, der eine Herabsetzung des Mietzinses
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durchsetzen will, sich zunächst stets direkt
an den Vermieter wenden muss. Wenn er
hingegen diesen Schritt auslässt und direkt
an die Mietschlichtungsbehörde gelangt,
darf diese auf das Begehren des Mieters
nicht eintreten, da es sich bei dem in Art.
270a OR gesetzlich vorgesehenen parteiinternen Vorverfahren um eine Prozessvoraussetzung handelt, die zwingend einzuhalten ist. Gemäss Bundesgericht darf vom
parteiinternen Vorverfahren nur dann abgesehen werden, «wenn der Vermieter von
vornherein klar kundgetan hat, er sei nicht
bereit, den Mietzins zu senken». Dies zu
beweisen obliegt dabei dem Mieter.
Wer also als Vermieter vor die Mietschlichtungsbehörde bestellt wird, ohne dass er
vorher von Seiten des Mieters um eine Herabsetzung des Mietzinses gebeten worden
ist, sollte dies der Mietschlichtungsbehörde
unbedingt mitteilen und verlangen, dass
diese auf das Begehren des Mieters gar
nicht erst eintritt.
Hinzuweisen ist der Vollständigkeit halber
einzig noch auf Art. 270a Abs. 3 OR, wonach
der Mieter dann kein parteiinternes Vorverfahren anstreben muss, wenn er gleichzeitig
mit dem Stellen des Herabsetzungsbegehrens
eine Mietzinserhöhung anficht.
Zusammengefasst gilt deshalb für den Mieter: Im Zweifelsfalle ist ein parteiinternes
Vorverfahren einzuleiten. Für den Vermieter
gilt hingegen: Im Zweifelsfalle ist vor der
Mietschlichtungsbehörde das Fehlen des
parteiinternen Vorverfahrens geltend zu
machen und auf Nichteintreten zu plädieren.
Wann hat der Vermieter die Möglichkeit,
die Mietschlichtungsbehörde anzurufen
und was ist bei der Verfahrenseinleitung
zu beachten?
Im Gesetz erwähnt sind die folgenden
Situationen:
• Die Herausgabe von zu Unrecht bei der
Mietschlichtungsbehörde hinterlegten
Mietzinsen (Art. 259h Abs. 2 OR). Damit
hat der Vermieter die Möglichkeit, das
Herausgabeverfahren zu beschleunigen.
Dies kann aus den folgenden Gründen
interessant sein: Einerseits hat der Vermieter seine vertragskonforme Leistung
trotz hinterlegter Mietzinse weiterhin zu
erbringen und andererseits ist oftmals
von vornherein klar, dass der Mieter
höchstens eine verhältnismässige Reduktion des Mietzinses beanspruchen kann,
sodass dem Vermieter ein gewisser Anteil
Wohnwirtschaft HEV Aargau 12-2006
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des hinterlegten Mietzinses in jedem Fall
zusteht (vgl. SVIT-Kommentar zum
Schweizerischen Mietrecht, 2. Auflage,
Zürich 1998, N 1 zu Art. 259h).
• Gemäss Art. 271 OR sind Kündigungen
ganz allgemein anfechtbar, wenn sie
gegen den Grundsatz von Treu und
Glauben verstossen. In diesen Fällen
kann die Partei, die die Kündigung
anfechten will, innert 30 Tagen nach
Empfang der Kündigung an die Mietschlichtungsbehörde gelangen (vgl. Art.
273 Abs. 1 OR). Dieses Recht steht nicht
nur dem Mieter, sondern auch dem Vermieter zu; letzterenfalls dürfte es jedoch
von eher theoretischer Bedeutung sein.
• Und schliesslich ist die Mietschlichtungsbehörde gemäss Art. 274a Abs. 1 lit. b
OR von Bundesrechts wegen dazu berufen, in sämtlichen Streitfällen zu versuchen, eine Einigung zwischen den Parteien herbeizuführen. Aus dieser Bestimmung hat das Bundesgericht in BGE 118
II 307 abgeleitet, dass sämtliche Streitigkeiten zuerst in einem Schlichtungsverfahren behandelt werden müssen. Daraus folgt, dass Streitigkeiten im Mietrecht nicht dem Friedensrichter, sondern
eben der Mietschlichtungsbehörde vorzulegen sind. Dies gilt somit z.B. auch
dann, wenn Mietzinsforderungen per
Betreibung geltend gemacht werden, der
Betriebene den Rechtsvorschlag erhebt
und es gilt, diesen Rechtsvorschlag zu
beseitigen.
Welche Kompetenzen hat die Mietschlichtungsbehörde?
Die Mietschlichtungsbehörde hat in Streitfällen in aller Regel nur die Kompetenz, zu
versuchen, zwischen den Parteien eine Einigung herbeizuführen. Ihre Funktion ist deshalb in den meisten Fällen der eines Friedensrichters sehr ähnlich.
In den folgenden Fällen kann sie allerdings
entscheiden, das heisst ein Urteil fällen:
• Wenn es um die Hinterlegung des Mietzinses durch den Mieter geht (Art. 259i
OR);
Wohnwirtschaft HEV Aargau 12-2006
• wenn es um die Anfechtung einer Kündigung geht (Art. 271 f., 273 OR); und
• wenn es um die Frage einer Mieterstreckung geht (Art. 272 ff., 273 OR).
In sämtlichen anderen Fällen kann die Mietschlichtungsbehörde lediglich vermittelnd
Einfluss auf die Parteien nehmen.
Was passiert, wenn die Parteien vor der
Mietschlichtungsbehörde eine Vereinbarung treffen?
Wenn die Parteien vor der Mietschlichtungsbehörde eine Einigung finden, so gilt
diese Einigung als gerichtlicher Vergleich
(vgl. Art. 274e Abs. 1 OR). Dies bedeutet,
dass die Parteien einen Vertrag abgeschlossen haben, welcher den Streit mittels
gegenseitigen Nachgebens beseitigt hat.
Ein solcher Vergleich hat grundsätzlich die
gleichen Wirkungen wie ein rechtskräftiges
Urteil. Dies bedeutet, dass die gleiche Streitigkeit nicht noch einmal vor eine richterliche Behörde getragen werden kann und
dass die im Vergleich festgehaltenen
Ansprüche vollstreckbar sind. Enthält der
Vergleich somit z.B. eine Zahlungsverpflichtung, so bildet er einen definitiven Rechtsöffnungstitel, welcher in einer allfällig notwendigen Betreibung eine erhebliche Vereinfachung des Verfahrens bewirkt (vgl.
SVIT-Kommentar, a.a.O., N 2 zu Art. 274e).
Was passiert, wenn die Parteien vor der
Mietschlichtungsbehörde keine Vereinbarung treffen?
Kann vor der Mietschlichtungsbehörde keine Einigung erzielt werden, kommt es für
das weitere Verfahren darauf an, ob der
Mietschlichtungsbehörde im konkreten Fall
eine Entscheidkompetenz zukommt oder
nicht.
In denjenigen Fällen, in welchen der Mietschlichtungsbehörde keine Entscheidkompetenz zukommt, stellt sie die Nichteinigung in einem kurzen Protokoll fest. Es liegt
dann an den Parteien, den zuständigen
Richter innert 30 Tagen anzurufen (Art.
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274f OR). Achtung: Den Richter anrufen
muss diejenige Partei, die auf ihren Begehren beharrt und dies ist nicht in allen Fällen
diejenige Partei, welche das Verfahren vor
der Mietschlichtungsbehörde eingeleitet
hat. Wenn der Mieter die Mietschlichtungsbehörde z.B. zwecks Anfechtung einer
Mietzinserhöhung angerufen hat und es zu
keiner Einigung gekommen ist, so muss der
Vermieter vor den zuständigen Richter treten und die Klägerrolle übernehmen, wenn
er an seinem Begehren um Mietzinserhöhung festhält. Dem Mieter kommt hingegen die in der Regel günstigere Beklagtenrolle zu. In den weitaus meisten Fällen muss
jedoch derjenige den Richter anrufen, der
auch die Mietschlichtungsbehörde angerufen hat.
In denjenigen – oben beschriebenen – Fällen, in welchen der Mietschlichtungsbehörde die Kompetenz zukommt, ein Urteil zu
fällen, wird dieses Urteil hingegen rechtskräftig, wenn die Partei, die unterlegen ist,
nicht innert 30 Tagen den Richter anruft
(Art. 274f OR).
Was ist während der Dauer und nach der
Beendigung des Verfahrens zu beachten?
Während und – zum Teil – nach Abschluss
eines Verfahrens vor der Mietschlichtungsbehörde gewährt das Gesetz dem Mieter
einen Kündigungsschutz. In Art. 271a OR
ist festgehalten, dass der Mieter eine Kündigung in folgenden Fällen anfechten kann:
• Wenn der Vermieter die Kündigung während einem mit dem Mietverhältnis
zusammenhängenden
Schlichtungsoder Gerichtsverfahren ausgesprochen
hat; es sei denn, der Mieter habe das
Verfahren missbräuchlich – also z.B. ohne
sachlichen Grund und nur zum Zweck, in
den Genuss des Kündigungsschutzes zu
kommen – angezettelt.
• Wenn der Vermieter die Kündigung
innert drei Jahren nach Abschluss eines
mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens ausspricht, in welchem er – der
Vermieter –
– zu einem erheblichen Teil unterlegen
ist;
– seine Forderung oder Klage zurückgezogen oder erheblich eingeschränkt
hat;
– auf die Anrufung des Richters verzichtet hat;
– mit dem Mieter einen Vergleich
geschlossen oder sich sonst wie geeinigt hat.
• Wenn zwar kein Schlichtungs- oder
Gerichtsverfahren stattgefunden hat, der
Mieter aber durch Schriftstücke nachweisen kann, dass er sich mit dem Vermieter
ausserhalb eines solchen Verfahrens über
eine Forderung aus dem Mietverhältnis
geeinigt hat. Diesfalls geniesst der Mieter
den Kündigungsschutz ebenfalls für die
Dauer von drei Jahren.
Ausnahmen von diesen Regeln des Kündigungsschutzes gibt es natürlich schon. Sie
sind in Art. 271a Abs. 3 OR festgehalten
und umfassen z.B. die Kündigung wegen
dringenden Eigenbedarfs oder wegen Zahlungsverzugs des Mieters.
Besonders vorsichtig muss der Vermieter
nach einem neueren Bundesgerichtsentscheid dann sein, wenn er in Betracht zieht,
dem Mieter aus wichtigen Gründen (Art.
266g OR) oder wegen unsorgfältigen
Gebrauchs des Mietgegenstandes (Art.
257f Abs. 3 OR) ausserordentlich zu kündigen. In BGE 131 III 33 hat das Bundesgericht nämlich festgehalten, dass die Kündigungssperre während und nach einem
Schlichtungs- oder Gerichtsverfahren auch
dann greift, wenn sich der Streit um die
Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer
ausserordentlichen Kündigung dreht. Damit
hat es den Vermietern den Weg abgeschnitten, nach einer ausserordentlichen
Kündigung, welche im Anfechtungsverfahren als unwirksam qualifiziert worden ist,
anschliessend eine ordentliche Kündigung
auszusprechen. Im Zweifelsfalle sollte deshalb vorsichtshalber der Weg über die
ordentliche Kündigung gewählt werden, da
eine Fehleinschätzung der Rechts- oder der
Beweislage auf Seiten des Vermieters dem
Mieter – den der Vermieter ja in solchen
Fällen gerade so schnell wie möglich loswerden wollte – einen verhältnismässig
hohen Kündigungsschutz verschafft.
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