Gesetzliche Regelungen der Sterbehilfe in Europa

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Gesetzliche Regelungen der Sterbehilfe in Europa
BLICK ÜBER DIE GRENZEN
Gesetzliche Regelungen der Sterbehilfe
in Europa
Was ist erlaubt, was ist verboten? Ein uneinheitliches Kaleidoskop
Während in Deutschland die aktive direkte Sterbehilfe noch immer verboten und ein Tabu-Thema ist, an dem Politiker nicht
rühren wollen, geht der Blick vieler Deutscher über die Alpen: Am liberalsten steht die Schweiz zu diesem Thema. Beihilfe
zum Freitod durch Nicht-Ärzte wird toleriert. Und so bieten bekanntlich einige Sterbehilfe-Organisationen eine entsprechende
Begleitung für Schwerstkranke an, die nach reiflicher Überlegung diese letzte Hilfestellung für sich in Anspruch nehmen wollen. Schlagzeilen machte im Sommer 2009 ein Vertrag, den die Oberstaatsanwaltschaft im Kanton Zürich mit der Sterbehilfeorganisation „Exit“ schloss. Die am 7. Juli geschlossene „Vereinbarung über Standesregeln bei der organisierten Suizidhilfe“ definierte die Abläufe einer aktiven Beihilfe zur Selbsttötung, die finanzielle Regelung derselben und legte das zu
verwendende Sterbemittel fest. Dies löste in unserem Nachbarland scharfe Proteste aus. Die Vereinigung Human Life International, die Schweizerische Gesellschaft für Bioethik und die Vereinigung Katholischer Ärzte reichten beim Bundesgericht
eine Beschwerde ein.
ber auch im restlichen Europa nimmt
die Frage, ob auch aktive direkte Sterbehilfe nicht doch ein Menschenrecht ist,
das unter eng gesetzten Regeln gewährt
werden sollte, Gestalt an. Nach den
Niederlanden und Belgien hat jetzt auch
Luxemburg die Möglichkeit der aktiven
direkten Sterbehilfe gesetzlich verankert.
Zu den Ländern nachfolgend in alphabetischer Folge:
A
So wird in Belgien aktive direkte Sterbehilfe durch den Arzt toleriert. Im Landesteil Flandern im Norden beispielsweise hat
sich die Zahl der Anträge auf aktive Sterbehilfe in den vergangenen zehn Jahren
verdoppelt. In 1,9 Prozent aller Todesfälle,
hieß es in einem Medienbericht vom September 2009, sei diese Form der Sterbehilfe praktiziert worden. Im südlichen Wallonien dagegen werde diese Hilfe seltener
angewendet. Seit 2002 ist in Belgien die aktive direkte Sterbehilfe unter bestimmten
Umständen zulässig.
● DÄNEMARK
Das dänische Gesetz zum Patientenrecht
von 1998 besagt, dass passive Sterbehilfe
erlaubt ist. Aktive direkte Sterbehilfe und
Beihilfe zum Suizid ist strafbar. In einem
Zentralregister können Patientenverfügungen hinterlegt werden.
● FINNLAND
Das in Finnland 1993 in Kraft getretene
Patientengesetz umfasst auch Regelungen
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Humanes Leben · Humanes Sterben 2010-1
Bild: www.bilderkiste.de
● BELGIEN
In vielen Ländern Europas gibt es Diskussionen über die Sterbehilfe. Aber mit einer einheitlichen
Regelung ist wohl nicht zu rechnen.
zur Sterbehilfe. Aktive direkte ist nicht erlaubt, passive Sterbehilfe aber möglich.
● FRANKREICH
Frankreich erkannte in einem Gesetz von
2004 an, dass jeder Mensch existenzielle
Entscheidungen für sein eigenes Leben
treffen kann und darf. Danach bedarf jeder medizinische Eingriff der Genehmigung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters. Ärzte dürfen die
Behandlung unheilbar Kranker stoppen
oder begrenzen, wenn der Patient dies
wünscht. Einen von den Sozialisten eingebrachten Gesetzentwurf zur Straffreiheit
für aktive Sterbehilfe hat die französische
Nationalversammlung dagegen gerade
erst im November 2009 abgelehnt. Damit
bleibt die aktive direkte Sterbehilfe in
Frankreich verboten.
● GROßBRITANNIEN
In Großbritannien machte jüngst der Fall
der 14-jährigen, leukämie- und herzkranken Hannah Jones Schlagzeilen, die für
ihr Recht zu sterben bis vor den Obersten
Gerichtshof ziehen wollte. Doch im Herbst
vergangenen Jahres erhielt sie doch noch
ein gesundes Spenderherz. Aber erst der
Fall der 46-jährigen Debbie Purdy, die an
Multipler Sklerose leidet und vor dem
obersten Gericht Großbritanniens auf eine
Klarstellung des Gesetzes pochte, um
Straffreiheit für ihren Ehemann sicher zu
stellen, sorgte für das Vorlegen von Richtlinien für eine straffreie Sterbehilfe. Diese
sollen nun das Selbsttötungsgesetz „Suicide Act“ von 1961 präzisieren, das Selbsttötung zwar nicht mehr verbietet, aber die
Beihilfe dazu.
● ITALIEN
Eine heftige Debatte um Sterbehilfe löste
in Italien Anfang 2009 der Tod von Eluana
Englaro aus, die 17 Jahre lang im Wachkoma gelegen hatte. Ihre Familie hatte vor
dem höchsten Gericht des Landes durchgesetzt, die künstliche Ernährung zu stoppen. Diese genehmigte Sterbehilfe-Maßnahme hatte Ministerpräsident Berlusconi
noch per Eildekret verhindern wollen.
Nachdem Staatspräsident Napolitano dies
ablehnte, brachte Berlusconi noch am selben Abend einen Gesetzentwurf gegen
den Abbruch der künstlichen Ernährung
bei Sterbenskranken ein. Demnach werden Ärzte mit Haftstrafen belegt, die die
künstliche Ernährung abbrechen. Auch
soll es nicht möglich sein, sich vorab mit einer Patientenverfügung dagegen zu wehren. Dem stimmte der italienische Senat
eineinhalb Monate später, am 26. März
2009, mehrheitlich zu.
deutet, dass der handelnde Arzt straffrei
bleibt, wenn er die vorgegebenen Sorgfaltskriterien einhält.
Für Aufsehen sorgte im November 2009
das Bekanntwerden einer Website der
Niederländischen Sterbehilfegesellschaft
(NVVE). Wer mindestens 16 Jahre alt ist
und sich dort gegen eine geringe Jahresgebühr anmeldet, kann Hinweise zur
Selbsttötung erhalten.
● ÖSTERREICH
In Österreich ist nicht nur die aktive direkte Sterbehilfe, sondern auch die Mitwirkung am Suizid verboten und wird mit
Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu
fünf Jahren bestraft (§ 78 des Strafgesetzbuches).
● PORTUGAL
IIn Portugal wird zwischen aktiver und
passiver Sterbehilfe (d. h. auch Beihilfe
In den Niederlanden ist seit dem Jahr
2002 das „Gesetz über die Kontrolle der
Lebensbeendigung auf Verlangen und der
Hilfe bei der Selbsttötung“ gültig und damit die aktive direkte Sterbehilfe unter
bestimmten Bedingungen zulässig. Das be-
In Spanien gibt es seit 2002 ein „Gesetz
über Selbstbestimmung und die Rechte
von Patienten“. In einem „Nationalen Register für Willensverfügungen“ unter der
Regie des Gesundheitsministeriums werden entsprechende Erklärungen verwahrt.
Sterbehilfe und Beihilfe zur Selbsttötung
werden gemäß Artikel 143.4 der Strafgesetzordnung grundsätzlich als Straftaten
angesehen.
● TSCHECHIEN
Und auch in Tschechien gibt es Diskussionen: Seit Jahren sprechen sich immer
mehr Ärzte und Patienten für die Verabschiedung eines Gesetzes zur aktiven Sterbehilfe aus.
Wega Wetzel
Aktive direkte Sterbehilfe: Diese entspricht in Deutschland in der
Regel dem Tatbestand der „Tötung auf Verlangen“, ist in Deutschland gemäß § 216 StGB strafbar, aber z. B. in den Niederlanden unter bestimmten Umständen erlaubt.
Aktive indirekte Sterbehilfe: Dies ist eine akzeptierte Praxis, die Gaben von Schmerzmitteln stark zu erhöhen, aber billigend in Kauf zu
nehmen, dass der Tod eventuell etwas früher als sonst eintreten
kann.
Passive Sterbehilfe: Das Unterlassen jeglicher sterbeverlängernder
(High-Tech-)Medizin und der Abbruch der Behandlung (meist durch
den Arzt), wenn keine Aussicht auf Heilung besteht.
Sterbebegleitung: Dabei handelt es sich um die meist seelische und
BEGRIFFE
● NIEDERLANDE
● SPANIEN
BEGRIFFE
● LUXEMBURG
Im März des vergangenen Jahres hat Luxemburg die Möglichkeit der Sterbehilfe
legalisiert. Bereits im Jahr 2008 hatte das
Parlament das Gesetz mit knapper Mehrheit beschlossen, doch Großherzog Henri
I. weigerte sich aus Gewissensgründen, das
Regelwerk zu unterzeichnen. Daraufhin
focht das Luxemburger Parlament eine
Verfassungsänderung durch und beschränkte die Rolle des katholischen
Staatsoberhaupts auf eine rein repräsentative.
zur Selbsttötung) unterschieden. Beides
wird mit einer Haftstrafe von bis zu drei
Jahren geahndet.
soziale Begleitung des Sterbenden, verbunden mit der Erfüllung von
Grundbedürfnissen wie Wärmeschutz, Schlafmöglichkeit und ausreichender Flüssigkeitszufuhr.
Suizidbegleitung: Die Begleitung eines Suizids kann als „Unterlas-
sene Hilfeleistung“ (§ 323c StGB) gewertet werden. Die neue
schwarz-gelbe Bundesregierung beabsichtigt, gewerbsmäßige Suizid-Begleitung zu verbieten.
Terminale Sedierung: Ein noch uneinheitlich und kontrovers diskutierter Begriff, der die Gabe stark sedierender (beruhigender) Medikamente in der letzten Lebensphase meint, die das Bewusstsein
stark dämpfen oder gar ausschalten.
Vgl. auch:
HLS 2007-4: Freitod- und Sterbehilfe in Europa.
HLS 2007-3: Niederlande: Gesetz zur Sterbehilfe vor fünf Jahren in
Kraft getreten.
HLS 2003-3: Sterbealltag und juristische Begriffe.
Humanes Leben · Humanes Sterben 2010-1
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