Suizidbeihilfe – eine ärztliche Tätigkeit?

Transcription

Suizidbeihilfe – eine ärztliche Tätigkeit?
Aus dem Institut für Medizingeschichte
Universität Bern
Direktor: Prof. Dr. med. Urs Boschung
Arbeit unter der Leitung von Prof. Dr. med. Urs Boschung
Suizidbeihilfe – eine ärztliche Tätigkeit?
Die Diskussion in der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften 1995-2004
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Humanmedizin
der Medizinischen Fakultät der Universität Bern
vorgelegt von
Haller Eleonore Hedi Ruth
von Beinwil am See, Aargau
10.01.2011
Originaldokument gespeichert auf dem Webserver der Universitätsbibliothek Bern
Dieses Werk ist unter einem
Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 2.5
Schweiz Lizenzvertrag lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte zu
http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.5/ch/ oder schicken Sie einen Brief an
Creative Commons, 171 Second Street, Suite 300, San Francisco, California 94105, USA.
1
Von der Medizinischen Fakultät der Universität Bern auf Antrag der Dissertationskommission als Dissertation genehmigt.
Promotionsdatum: 20.04.2011
Der Dekan der Medizinischen Fakultät:
2
Urheberrechtlicher Hinweis
Dieses Dokument steht unter einer Lizenz der Creative Commons
Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 2.5 Schweiz.
http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.5/ch/
Sie dürfen:
dieses Werk vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich
machen
Zu den folgenden Bedingungen:
Namensnennung. Sie müssen den Namen des Autors/Rechteinhabers in
der von ihm festgelegten Weise nennen (wodurch aber nicht der Eindruck
entstehen darf, Sie oder die Nutzung des Werkes durch Sie würden entlohnt).
Keine kommerzielle Nutzung. Dieses Werk darf nicht für kommerzielle
Zwecke verwendet werden.
Keine Bearbeitung. Dieses Werk darf nicht bearbeitet oder in anderer
Weise verändert werden.
Im Falle einer Verbreitung müssen Sie anderen die Lizenzbedingungen, unter
welche dieses Werk fällt, mitteilen.
Jede der vorgenannten Bedingungen kann aufgehoben werden, sofern Sie die
Einwilligung des Rechteinhabers dazu erhalten.
Diese Lizenz lässt die Urheberpersönlichkeitsrechte nach Schweizer Recht
unberührt.
Eine ausführliche Fassung des Lizenzvertrags befindet sich unter
http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.5/ch/legalcode.deInhaltsverzeichnis
3
SUIZIDBEIHILFE – EINE ÄRZTLICHE TÄTIGKEIT?
Die Diskussion in der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften
1995-2004
I
II
III
ZUSAMMENFASSUNG
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
6
8
8
DIE ÄRZTLICHE HALTUNG IN BEZUG AUF DIE BEIHILFE ZUM SUIZID
9 1 EINFÜHRUNG
9 1.1 FRAGESTELLUNG UND ZIELSETZUNG DIESER ARBEIT
1.2 QUELLEN UND METHODEN
11 12 2 GESCHICHTLICHER ÜBERBLICK DER EUTHANASIE UND STERBEHILFE
13 2.1 „EUTHANASIE“ UND VERWANDTE THEMEN IN DER ANTIKE (GRIECHENLAND UND ROM)
13 2.2 BEITRÄGE ZUM THEMA „EUTHANASIE“ UND STERBEHILFE VOM 16. JAHRHUNDERT BIS ZUR
ERSTEN HÄLFTE DES 19. JAHRHUNDERTS.
20 2.3 DER DISKURS ÜBER DIE „AUSSCHEIDUNG DER SCHWACHEN“ IN DER ZWEITEN HÄLFTE DES
19. JAHRHUNDERTS
28 2.4 TÖTUNG AUF VERLANGEN, STERBEHILFE SOWIE DIE ANFÄNGE DER DISKUSSION ZUR
„VERNICHTUNG LEBENSUNWERTEN LEBENS“ IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM (CA. 18951933)
32 2.5 ZUR DISKUSSION UM „EUTHANASIE“ UND STERBEHILFE IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM
(1945 BIS CA. 1980)
38 3 DIE SUIZIDBEIHILFE – EINE ÄRZTLICHE TÄTIGKEIT? DIE DISKUSSION DER
SCHWEIZERISCHEN AKADEMIE DER MEDIZINISCHEN WISSENSCHAFTEN VON
1995-2004
3.1 WER IST DIE SAMW UND WAS TUT SIE?
3.2 DIE AKTUELLE SITUATION DER SUIZIDBEIHILFE IN DER SCHWEIZ (NOVEMBER 2010)
3.3 GRUNDGEDANKEN ZUR DISKUSSION IN DER SCHWEIZ FÜR DIE ÜBERARBEITUNG DER
STERBEHILFERICHTLINIE DER SAMW VON 1995
3.4 DIE ÄRZTLICHEN AUFGABEN
3.5 POLITISCHE VORSTÖSSE ZUM THEMA DER STERBEHILFE
3.6 DER NEUE RICHTLINIENENTWURF
3.7 PARALLELEN MIT DER RICHTLINIE „BEHANDLUNG UND BETREUUNG VON ÄLTEREN,
PFLEGEBEDÜRFTIGEN MENSCHEN“
3.8 AUSGEWÄHLTE PUBLIKATIONEN ALS WEITERE DISKUSSIONSGRUNDLAGE
3.9 KLÄRUNG DER VERWENDETEN BEGRIFFLICHKEITEN
3.10 PSYCHIATRISCHE ERKRANKUNG UND SUIZIDWUNSCH
3.11 DIE RECHTSLAGE IN DER SCHWEIZ
3.12 DER VERNEHMLASSUNGSTEXT
3.13 DIE VERNEHMLASSUNGSPHASE
3.14 DIE WEITERE ÜBERARBEITUNG BIS ZUR DEFINITIVEN RICHTLINIE
3.15 PERSONELLE INFORMATIONEN ZU DER RICHTLINIE
42 42 47 49 50 51 55 63 66 68 68 70 84 91 96 98 4
4 DIE DISKUSSION IN DER SCHWEIZ NACH 2004
100 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 100 102 103 113 116 DIE NATIONALE ETHIKKOMMISSION NIMMT STELLUNG
ERFAHRUNGEN IM UNIVERSITÄTSSPITAL LAUSANNE MIT DER SUIZIDBEGLEITUNG
WEITERE VORSTÖSSE AUF POLITISCHER EBENE
WIE DENKT DIE BEVÖLKERUNG ÜBER SUIZIDBEIHILFE?
DIE ÄRZTLICHE HALTUNG GEGENÜBER DER STERBEHILFE
5 FAZIT UND PERSÖNLICHE STELLUNGNAHME
119 6 ANHANG
122 6.1 6.2 6.3 6.4 DAS ETHISCHE DILEMMA DER SUIZIDBEIHILFE
122 DER SOGENANNTE „HIPPOKRATISCHE EID“
124 GESETZESTEXTE
125 ENDFASSUNG DER SAMW-RICHTLINIE „BETREUUNG VON PATIENTINNEN UND PATIENTEN AM
LEBENSENDE“ VON 2004
126 6.5 RECHTLICHE LAGE DER STERBEHILFE IN DEN EUROPÄISCHEN LÄNDERN
136 6.6 EMPFEHLUNGEN ZUM THEMA SUIZIDBEIHILFE (NEK)
138 6.7 SORGFALTSKRITERIEN IM UMGANG MIT SUIZIDBEIHILFE
145 7 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS
151 5
I
Zusammenfassung
Die Suizidbeihilfe ist seit den 1980er Jahren in der Schweiz ein rege und kontrovers diskutiertes Thema. Dies jedoch ist keineswegs neu und in der Literatur bis in die Antike zurückzuverfolgen. Die Ärzteschaft hielt sich lange aus dieser Thematik heraus, da ihr grundlegendes Prinzip jenes der Lebenserhaltung „um jeden Preis“ war.
Mit einer zunehmenden Gewichtung des Selbstbestimmungsrechtes der Patienten wurden
vermehrt Rufe nach einer ärztlich assistierten Suizidhilfe in bestimmten Notsituationen laut.
Mit der liberalen Gesetzgebung in der Schweiz ist es zudem jeder natürlichen Person erlaubt, im Falle von nicht-selbstsüchtigen Beweggründen Suizidbeihilfe zu leisten. Der Arzt
gerät hiermit in ein Spannungsfeld zwischen Berufsethos und rechtlicher Situation als Privatperson. Wie kann dieser Widerspruch aufgelöst werden? Die Schweizerische Akademie der
Medizinischen Wissenschaften (SAMW) ging dieser Problematik in ihren Diskussionen zur
Überarbeitung der Richtlinie von „Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende“ nach, welche 2004 vom Senat genehmigt wurde.
Argumente der Befürworter wie der Gegner einer Liberalisierung der Suizidbeihilfe wurden in
diese Diskussion miteinbezogen. Gesucht wurde nach einer Lösung, welche die moralischen
Grundwerte sowie die gegebenen rechtlichen Bedingungen für die Ärzteschaft integriert. Gefunden wurde diese Lösung, indem die Suizidbeihilfe grundsätzlich als nicht-ärztliche Tätigkeit eingestuft wurde, jedoch im Rahmen einer Gewissensentscheidung jedes einzelnen Arztes in Einzelfällen ein ärztlich assistierter Suizid vertretbar sein kann.
Diese Kompromissfindung löste im Verlauf weitere Debatten aus, wobei nach 2004 vor allem
die Frage um den „Sterbetourismus“ in den Blickpunkt rückte und zahlreiche politische Vorstösse provozierte.
Der Bundesrat nahm die Thematik auf und schickte Ende Oktober 2009 zwei Varianten des
überarbeiteten Gesetzesartikels Art.115 StGB in die Vernehmlassung. Die erste Variante
schlug eine Suizidbeihilfe-Regelung mit diversen Auflagen, die zweite ein Totalverbot derselben vor. Die Reaktionen blieben nicht aus. Während die zweite Variante mit deutlicher Mehrheit eine Ablehnung erfuhr, wurde die Stossrichtung der ersten begrüsst, jedoch teilweise
stark kritisiert. Die SAMW sprach sich für eine Ablehnung beider Varianten aus, da die vorgegebenen Auflagen zu einer zunehmenden Medikalisierung und einer ungewollten Einbindung der Ärzteschaft in die Suizidbeihilfe auch bei nicht-terminal Kranken führen, ein Totalverbot jedoch nicht der aktuellen gesellschaftlichen Haltung und Akzeptanz entsprechen
würde.
Der Bundesrat hat nach Abschluss der Vernehmlassungsphase geäussert, einen abschliessenden Bericht bis Ende 2010 vorzulegen. Dieser Bericht dürfte mit Spannung erwartet werden.
6
Anhand der Protokolle der Subkommission „Sterbehilfe“ der SAMW, politischer Vorstösse
und Studien zur Thematik der Suizidbeihilfe, zeigt diese Arbeit den Prozess auf, wie die Ärzteschaft sich in der Schweiz im Umfeld des politischen Kontextes (vorerst) positioniert. Zur
Vervollständigung des Bildes erfolgt erst ein geschichtlicher Überblick zur Thematik der Beihilfe zum Suizid von der Antike bis ins 20. Jahrhundert und, im Anschluss an die Genehmigung der Richtlinie, der weitere Verlauf bis 2010.
7
II
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Organisation der SAMW
Abbildung 2: Geltungsbereich der Richtlinie für Patienten am Lebensende
Abbildung 3: Vergleich der Suizidstatistik der Schweiz von 2003 mit 2007
Abbildung 4: Übersicht der politischen Aktivitäten betreffend die Suizidbeihilfe, in
chronologischer Reihenfolge, entsprechend der Zitierung in dieser Arbeit
Abbildung 5: Das ethische Dilemma der Suizidbeihilfe
Abbildung 6: Rechtliche Lage der Sterbehilfe in den europäischen Ländern
III
Abkürzungsverzeichnis
BJ
Bundesamt für Justiz
EACME
European Association of Centres of Medical Ethics
EJPD
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
FAMH
Foederatio Analyticorum Medicinalium Helveticorum (Schweizerischer
Verband der Leiter Medizinisch-Analytischer Laboratorien)
MD-Ph-D
Dr. med. und Dr. phil.
NEK
Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin
NVAE
Non-voluntary active euthanasia
PEG
Perkutane endoskopische Gastrostomie
RRMA
Recherche et réalisation en médecine appliquée
SAMW
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften
SSMBS
Schweizerische Stiftung für Medizinisch-Biologische Stipendien
SSW
Schwangerschaftswoche
StGB
Strafgesetzbuch
VAE
voluntary active euthanasia
WHO
World Health Organization
ZEK
Zentrale Ethikkommission
8
Die ärztliche Haltung in Bezug auf die Beihilfe zum Suizid
1 Einführung
Zur geschichtlichen Entwicklung der „ärztlichen Haltung gegenüber der Beihilfe zum Suizid“
lohnt es sich, etwas weiter in der Geschichte zurückzublicken als nur in die 1980er Jahre, wo
die Diskussion in der Schweiz in der breiten Öffentlichkeit aufkam.
Verfolgt man die Debatten zurück, stellt man fest, dass das Gebiet „Sterben“ und Sterbehilfe
stets ein kontrovers diskutiertes Thema war. Auffallend dabei ist, dass sich die Ärzteschaft
aus der Diskussion bis auf wenige Ausnahmen lange fern hielt. Diskutiert wurde insbesondere unter Politikern und Juristen.
In Büchern und Artikeln zur „Sterbehilfe“ wird explizit auf die Komplexität und die Brisanz der
Thematik hingewiesen. Problematisch sind dabei bereits die im deutschen Sprachgebrauch
häufig verwendeten Begrifflichkeiten wie „Euthanasie“ und eben „Sterbehilfe“.
„Euthanatos“ stammt aus dem Griechischen und wurde in der Antike geprägt. Zum Begriff
„Euthanasie“ können unter den Dichtern und Philosophen der Antike verschiedene, zum Teil
nicht strikt voneinander abtrennbare Bedeutungsgeschichten gefunden werden1:
1. Der leichte Tod ohne vorhergehende Krankheit nach Kratinos (um 500- um 420
v.Chr.), Poseidippos (um 310- 240 v.Chr.) und Philo von Alexandria (um 20 v.Chr.um 50 n.Chr.)
2. Der schnelle Tod: leicht und schmerzlos, wie Kaiser Augustus laut Sueton (um 70um130/140 n.Chr.); durch Feindeshand, nach Josephus (37/38- ca. 100 n.Chr.)
3. Der rechtzeitige Tod im Sinne eines frühzeitigen Todes, eines Todes in der Jugend
nach Menandros (342/342- um293/292 v. Chr., im Rahmen einer Komödie geäussert)
4. Der Tod im übervollen Lebensgenuss: ironisch in der Komödie „Der Fischer“, nach
Menandros
5. Der würdige Tod „nach tugendhafter Art“, stoisches Idealkonzept des Todes eines
Weisen; bzw. ein ehrenvoller Tod im Kampf bzw. bewaffneten Aufstand, nach Polybios (um 200- um 115 v.Chr.)
Wörtlich übersetzt heisst es „guter Tod“. Dieser Begriff ist insofern ambivalent, als dass er
sowohl das Eintreten wie auch das Herbeiführen des „guten Todes“ bezeichnet. Ein
1
Nach Benzenhöfer 2009, S. 18
9
vegleichbarer Denkansatz findet sich beim Begriff „Sterbehilfe“. Damit kann Hilfe beim Sterben oder Hilfe zum Sterben gemeint sein.
Untersucht man den Stoff, der unter diesen beiden Stichworten behandelt wird, offenbart
sich erneut die Breite des Problemfeldes. Es umfasst die Tötung Schwerkranker (aktive „Euthanasie“), über die Tötung behinderter oder schwerkranker Säuglinge („Früheuthanasie“),
hin zu ärztlich assistiertem Suizid, Abbruch bzw. Nichtaufnahme einer lebensverlängernden
Behandlung bei nichteinwilligungsfähigen Kranken bzw. Sterbenden („passive Sterbehilfe“),
Beschleunigung des Todeseintritts als „unbeabsichtigter Nebeneffekt“ bei Schwerkranken
durch die Gabe von schmerzlindernden oder beruhigenden Medikamenten („indirekte Sterbehilfe“) bis hin zur Sterbehilfe im Sinne der eigentlichen Palliativmedizin.
10
1.1
Fragestellung und Zielsetzung dieser Arbeit
Um dieses in der Einführung beschriebene, weit reichende Gebiet einzugrenzen, beschränkt
sich die vorliegende Arbeit auf die ärztliche Haltung in der Schweiz gegenüber der Beihilfe
zum Suizid.
Zentrales Anliegen dieses Berichtes ist es, den Prozess aufzuzeigen, der zu dem 3. Kapitel
„Grenzen des ärztlichen Handelns“ der Richtlinien „Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende“ der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften
(SAMW) geführt hat. Die Rückverfolgung dieses Prozesses stützt sich auf die Protokolle und
den Emailverkehr der Subkommissionsmitglieder „Sterbehilfe“, welche zwischen 2001 und
2004 verfasst wurden und das Ziel hatten, die bestehende „Medizinisch-ethische Richtlinie
für die ärztliche Betreuung sterbender und zerebral schwerst geschädigter Patienten2“ von
1995 zu überarbeiten.
Weitere Richtlinien, die die Thematik „Euthanasie“ und „Sterbehilfe“ genauso beinhalten, wie
zum Beispiel „Behandlung und Betreuung von zerebral schwerst geschädigten Langzeitpatienten“ (2003), „Behandlung und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen Menschen“
(2004), „Grenzfragen der Intensivmedizin“ (1999), „Empfehlung der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie zur Betreuung von Frühgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit (22-26 SSW)“ sowie „Palliative Care“ (2006) werden in dieser Arbeit nicht behandelt,
teilweise jedoch zur Verdeutlichung der Situation zugezogen.
Die Entstehungszeit der Richtlinie macht deutlich, dass die Thematik der Sterbehilfe omnipräsent und kontrovers ist und sich bei den heutigen technischen Möglichkeiten mehr denn
je die Frage nach den Grenzen des ärztlichen Handelns und damit auch des Lebens stellt.
Eine Richtlinie hilft – wie der Name impliziert – eine Richtung aufzuzeigen. Die Diskussion,
welche die dieser Arbeit zugrunde liegenden Richtlinie angeregt hat, wird vermutlich weitergeführt solange es die Menschheit gibt. Auf die politische Situation nach Publikation der
Richtlinie 2004 wird daher ebenfalls kurz eingegangen.
Vergleiche mit anderen westlichen Ländern erfolgen nur insofern, als dass sie Einfluss auf
die Diskussion der Subkommissionsmitglieder genommen haben. Ein Parallelvergleich der
Gegebenheiten vergleichbarer westlicher/ europäischer Länder wäre durchaus wünschenswert, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen, weshalb darauf verzichtet wurde.
Im Anhang findet sich hierzu jedoch einen tabellarischen Überblick, über die aktuellen gesetzlichen Grundlagen in den anderen europäischen Ländern.
2
Es gilt grundsätzlich für alle Funktionen natürlicher Personen die absolute Gleichberechtigung von
Mann und Frau. Der besseren Lesbarkeit halber wird jedoch nur die männliche Form verwendet.
11
1.2
Quellen und Methoden
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile.
Im ersten Teil (Kapitel 2) wird ein Überblick über „Euthanasie“ und Sterbehilfe gegeben, welcher sich am Buch „Der gute Tod?“ von Benzenhöfer anlehnt. Der Fokus liegt dabei vor allem auf ärztlichen Bezeugnissen und Haltungen zur Thematik, kann jedoch, um den Entwicklungsprozess aufzuzeigen, nicht allein darauf beschränkt werden.
Im zweiten und zentralen Teil (Kapitel 3) wird die SAMW als Institution kurz vorgestellt und
schliesslich der Prozess beleuchtet, welcher zum Punkt 4.1 „Beihilfe zum Suizid“ der Richtlinie „Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende“ geführt hat. Hierzu diente
ein intensives Aktenstudium der im Zeitraum von rund 3 Jahren erstellten Protokolle der
Subkommission „Sterbehilfe“, welche eindrücklich die Brisanz der Thematik aufzeigen. Gegner wie Befürworter der Sterbehilfe hatten Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Der
gefundene Konsens bemüht sich, dem gesetzlichen Rahmen, der zusehends stärker gewichteten Patientenautonomie und dem ärztlichen Ethos Rechnung zu tragen. In Anbetracht der
Komplexität der Thematik verwundert es nicht, dass die Richtlinien schliesslich nicht nur Beifall ernteten.
Um die Diskussion in den gesellschaftlichen Kontext einzuordnen, wurde eine Auswahl zeitlich passender Artikel und Studien aus den Printmedien und dem Internet zugezogen. Die
Fülle an Artikeln erforderte eine strenge Auswahl. Eingang fanden die Berichte, welche die
Subkommission „Sterbehilfe“ selbst ihrer Diskussion zugrunde legten. Ergänzt wurden diese
mit zusätzlichen Dokumenten, ebenfalls von Befürwortern und Gegnern der „Sterbehilfe“,
welche mit ihren Argumenten die eine oder andere Position (in der Regel emotionsgeladen)
verdeutlichten.
Im dritten Teil (Kapitel 4) wird die Zeit nach Genehmigung der definitiven Fassung der Richtlinie, also ab November 2004 bis heute (Dezember 2010) umrissen, wobei vor allem die politischen Aktivitäten ins Zentrum gestellt werden. Im Rahmen der Diskussion der Thematik in
der Schweizerischen Ärztezeitung kann ein gewisser Konsens oder zumindest die Tendenz
zu einer Mehrheitsmeinung beobachtet werden.
Den Abschluss (Kapitel 5) bildet eine kurze persönliche Stellungnahme, worin ich die im
Rahmen der Dissertation erworbenen Kenntnisse für meine eigene Meinungsbildung und
ärztliche Haltung in dieser heiklen und schwierigen Frage synthetisiere.
12
2 Geschichtlicher Überblick der Euthanasie und Sterbehilfe
In diesem Kapitel wird ein geschichtlicher Überblick über die Euthanasie und Sterbehilfe von
der Antike bis zur heutigen Zeit aufgezeigt. Der Überblick orientiert sich am Buch „Der gute
Tod?“ von Udo Benzenhöfer 2009 und beschränkt sich – zur Einschränkung der sehr weiten
Thematik – hauptsächlich auf mündige Erwachsene.
Sämtliche Zitate stammen aus Benzenhöfer.
2.1
„Euthanasie“ und verwandte Themen in der Antike (Griechenland und
Rom)
Primär ist festzuhalten, dass in der Antike für Ärzte keine Behandlungspflicht existierte und
die Ärzteschaft an sich auch keiner staatlichen Lizenzierung oder Kontrolle unterstand. Ein
Arzt war in seiner Entscheidung, eine Behandlung durchzuführen oder nicht, nur sich selbst
und seinem Patienten bzw. dessen Angehörigen verpflichtet. Dies führte dazu, dass unheilbar Kranke „aufgegeben“ werden konnten. Wie häufig dies geschah, ist nicht bekannt.
Es gibt Hinweise, dass es vorkam, dass Ärzte Kranke auf Verlangen töteten bzw. Beihilfe
zum Suizid leisteten. Allein die Überlieferung des „hippokratischen Eids“ (siehe unten) legt
nahe, dass es entsprechende Anfragen an Ärzte tatsächlich gab. Aber auch hier fehlen verlässliche Berichte, inwiefern Ärzte solche Handlungen durchführten.
Aus juristischer Sicht ist festzuhalten, dass es einen Tatbestand „Euthanasie“ bzw. „Sterbehilfe“ im antiken Recht nicht gab.
Wichtig für die weiteren ethischen Überlegung bezüglich „Euthanasie“ und Sterbehilfe waren
philosophische Denker wie Platon (428/27-348/47 v. Chr.) und Sokrates (469-399 v. Chr.),
welche die Seele des Menschen für unsterblich und von den Göttern gegeben hielten. Dennoch gelang es ihnen nicht, eine eindeutige Haltung gegenüber der Selbsttötung zu vertreten, obwohl sie sich an dieser Thematik versuchten (z.B. Bestrafung durch die Götter bei
Selbsttötung  Selbsttötung erlaubt, wenn Gott irgendeine Notwendigkeit dazu verfügt hat).
Klar gegen die Selbsttötung sprach sich Aristoteles (384-322 v. Chr.) aus:
„Wer sich nun im Zorn selbst umbringt, tut freiwillig gegen die rechte Einsicht, was
das Gesetz nicht gestattet. Er begeht also ein Unrecht […]. Darum straft ihn auch der
13
Staat, und es hängt über dem, der sich selbst tötet, eine Ehrlosigkeit als auf einem
Menschen, der sich gegen den Staat vergangen hat.“ 3
Im Weiteren schliesst Aristoteles nicht nur Affekt, sondern auch Krankheit explizit als ethisch
akzeptabler Grund für die Selbsttötung aus und begründet dies folgendermassen:
„Wie gesagt also, ist die Tapferkeit eine Mitte im Bezug auf Zuversicht und Furcht in
den genannten Bereichen; sie entscheidet sich und harrt aus, weil es edel ist oder
weil das Gegenteil schimpflich ist. Dagegen zu sterben, um der Armut oder einer Liebe oder irgendeinem Schmerze zu entgehen, zeigt nicht Tapferkeit, sonder eher
Feigheit.“4
Wegweisend und zentral in der griechischen Medizin war das „Corpus Hippocraticum“, eine
„Sammlung“ von ca. 60 Schriften aus allen Bereichen der Medizin, die dem damals legendären Arzt Hippokrates (460/459-399/370 v. Chr.) zugeschrieben wurden, in der mit grosser
Wahrscheinlichkeit aber nur die wenigsten Texte wirklich von ihm selbst verfasst sind. In diesem Werk gibt es nur wenige Textstellen, die zur Frage der Behandlung bzw. Nichtbehandlung unheilbar Kranker Stellung nehmen. So findet sich in der Schrift „Über die ärztliche
Kunst“ („De arte“) von einem unbekannten Autor, der selbst wohl kein Arzt war, folgenden
Passus:
„Es gibt aber auch Leute, die wegen der Ärzte, die Patienten mit zu weit fortgeschrittenen Krankheiten nicht behandeln wollen, die Heilkunst schelten […].
“5
Es ist daher anzunehmen, dass gewisse Ärzte im antiken Griechenland Patienten nicht behandelten, bei denen keine Heilungsaussicht mehr bestand. In der gleichen Schrift wurde
diese therapieabstinente Haltung so begründet, dass man nicht von der „Kunst“ verlangen
dürfe, was sie nicht leisten könne. Gleichzeitig ist festzustellen, dass es Menschen gab, die
die Ärzte deswegen tadelten. Die Aufgabe der Heilkunst wurde folgendermassen definiert:
„Die Kranken gänzlich von ihrem Leiden befreien, die Heftigkeit der Krankheiten abstumpfen und bewusst keine Behandlung versuchen bei denen, die von der Krankheit
überwältigt sind.“6
3
Aristoteles, Nikomachische Ethik, [1986]
Aristoteles, Nikomachische Ethik, [1986]
5
Hippokrates [1962], S. 192, unbekannter Autor, ca. 400 v. Chr.
6
Hippokrates [1962], S.190, „Über die ärztliche Kunst“
4
14
Die hier angebrachten epistemologischen Gründe relativieren sich an mehreren anderen
Stellen im „Corpus Hippocraticum“, wo dem Arzt aus Rücksicht auf seine Reputation, die
Schaden nehmen könnte, von der Behandlung Schwerkranker abgeraten wird. Exemplarisch
angeführt sei hier ein Ausschnitt aus der Schrift „Über die Brüche“ („De fracturis“) eines chirurgisch tätigen Arztes:
„Der Behandlung derartiger Fälle [komplizierte Arm- bzw. Beinbrüche] muss man sich
so gut wie möglich zu entziehen suchen, falls man eine gute Ausflucht hat; denn der
Hoffnungen sind da nur wenige, der Gefahren aber viele; und wenn man die Einrichtung nicht vornimmt, wird man den Anschein erwecken, als verstünde man nichts von
der Kunst, während man andererseits, wenn man die Einrichtung vornimmt, den Patienten eher dem Tode als der Heilung entgegenführt.“7
Hingegen gibt es im „Corpus Hippocraticum“ auch zahlreiche Hinweise, dass antike Ärzte
unheilbar Kranke behandelten. Vermutet wird hierbei häufig eine Ehr- bzw. Ruhmsucht des
Arztes (höheres Ansehen durch Heilung eines „unheilbar Kranken“), aber auch der Wunsch
nach vertieften, verbesserten Kenntnissen („Nil nocere“). So wird in der Schrift „Über die
Krankheiten“ („De morbis“) angeführt:
„Fachgerecht ist es, bei der Behandlung diejenigen Krankheiten, die heilbar sind, bis
zur Heilung zu behandeln, von den unheilbaren aber zu wissen, warum sie unheilbar
sind, und bei der Behandlung der Patienten, die an derartigen Krankheiten leiden, zu
nützen, indem man die Behandlung nach der Heilbarkeit ausrichtet.“8
Ein wichtiger Text in der Diskussion um die „Euthanasie“ ist der „Hippokratische Eid“, der
vermutlich im 4. Jahrhundert v. Chr. abgefasst worden ist und mit grosser Wahrscheinlichkeit
nicht von Hippokrates selbst stammt. Wer diesen Eid verfasst hat, ist bis heute nicht geklärt.
Interessanterweise wird der Eid an keiner Stelle im „Corpus Hippocraticum“ erwähnt.
Mit dem Eid verpflichtete sich der „Schüler der medizinischen Kunst“, sich als Familienmitglied in die Sippe seines Lehrers einzugeben und seinen Lehrvertrag einzuhalten. Im Folgenden einige Ausschnitte aus dem Eid:
„Ich will diätetische Massnahmen zum Vorteil des Kranken anwenden nach meinem
Können und Urteil; ich will sie vor Schaden und Unrecht bewahren.
Ich will weder irgend jemandem ein tödliches Medikament geben, wenn ich darum
gebeten werde, noch will ich in dieser Hinsicht einen Rat erteilen. Ebenso will ich kei7
8
Wittern 1979, S. 732, Corpus Hippocraticum „Über die Brüche“
Wittern 1979, S. 733, Corpus Hippocraticum „Über die Krankheiten“
15
ner Frau ein abtreibendes Mittel geben. In Reinheit und Heiligkeit will ich mein Leben
und meine Kunst bewahren. […]
In alle Häuser, die ich besuche, will ich zum Vorteil der Kranken kommen, mich frei
halten von allem vorsätzlichen Unrecht, von aller Schädigung und insbesondere von
sexuellen Beziehungen sowohl mit weiblichen wie mit männlichen Personen, seien
sie frei oder Sklaven. […]
Wenn ich diesen Eid erfülle und ihn nicht verletze, sei es mir vergönnt, mich des Lebens und der Kunst zu erfreuen, geehrt durch Ruhm bei allen Menschen auf alle
künftige Zeit; wenn ich ihn übertrete und falsch schwöre, sei das Gegenteil von all
diesem mein Los.“9
Anhand der Ausführung „Ich will weder irgend jemandem ein tödliches Medikament geben,
wenn ich darum gebeten werde, noch will ich in dieser Hinsicht einen Rat erteilen“ muss davon ausgegangen werden, dass es Fälle gab, in denen man den Arzt um Beihilfe zur Selbsttötung bzw. Tötung auf Verlangen bat, sonst wäre die Verpflichtung sinnlos gewesen.
L. Edelstein (und auch andere Autoren) verfolgte die Frage der philosophischen Grundanschauung, welche eine solche Verpflichtung implizieren würde. Dabei stiess er auf die Überzeugung von der „Heiligkeit des Lebens“ der Pythagoreer, die sowohl gegen die Beihilfe zur
Selbsttötung als auch gegen die Abtreibung argumentierten10.
Zum Eid abschliessend ist zu vermerken, dass er sich in seinem „ethischen Teil“ als durchaus konsistenter Text erweist mit einer enormen Wirkkraft bis in die Gegenwart.
2.1.1
Christliche Grundeinstellung zur Problematik der Sterbehilfe und Euthanasie
Verfolgt man die Geschichte des Christentums zurück, findet man keine einheitliche Position
zum Thema „Euthanasie“ bzw. Sterbehilfe. Dennoch lässt sich eine Art „Grundeinstellung“ zu
dieser Frage erkennen, indem man Begriffe aufgreift wie „Verfügungsgewalt über das
menschliche Leben“, Erlaubtheit der Fremd- bzw. Selbsttötung oder Umgang mit Schwerkranken.
Nach der Bibel wurde der Mensch von Gott erschaffen. Verschiedentlich wurde daraus abgeleitet, dass das menschliche Leben Gottes alleiniger „Verfügungsgewalt“ unterliege. Exemplarisch wird hier Thomas von Aquin (~1225-1274) zitiert, für den Mord eine Sünde war:
„Gott besitzt die Herrschaft über Tod und Leben; durch seine Anordnung nämlich
sterben sowohl die Sünder als auch die Gerechten“11,
oder auch:
9
Nach der Übersetzung von Edelstein 1969, S. 7f.
Edelstein 1969, S. 21
11
Thomas von Aquin [1985], S. 308, Übersetzung aus der „Summa Theologiae“
10
16
„[…] gerade wie, wer den fremden Sklaven umbringt, gegen den Herrn sündigt, dem
der Sklave gehört.“12
In Bezug auf die Haltung gegenüber der Fremdtötung kann das 5. Gebot des Alten Testamentes angeführt werden:
„Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (2. Mose 20,13; 21,12) ‚Du sollst nicht
töten’. Wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer
mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig […].“13
Dieses Gebot könnte allenfalls auch in Bezug auf die Selbsttötung Anwendung finden. Es
gibt jedoch im Alten Testament keine direkten Verbote, die Legitimität der Selbsttötung betreffend. In der Bibel beschriebene Selbsttötungen fanden entweder unter Ausnahmebedingungen statt oder wurden indirekt als „angemessener“ Abschluss eines sündhaften Lebens
verurteilt.14
Christliche Autoritäten (Augustinus, Thomas von Aquin) verboten später explizit die Selbsttötung. Diese wurde als Sünde angesehen und gar damit bestraft, dass einem Selbstmörder
ein „christliches“ Begräbnis vorenthalten wurde. Benzenhöfer fasst zusammen:
„Aus dem Dargelegten lässt sich nun ‚idealtypisch‘ folgende christliche ‚Grundeinstellung‘ zum Thema ‚Euthanasie/Sterbehilfe‘ rekonstruieren: Das Fremdtötungsverbot
untersagt die ‚aktive Euthanasie‘. Mit dem Verdikt über die Selbsttötung ist auch die
ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung ausgeschlossen.“ 15
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der wiederholt in der Sterbehilfe-Diskussion angeführt wird, ist
der Begriff der „Heiligkeit des Lebens“. Dieser Terminus wurde geprägt in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts durch den Moralhistoriker W.E.H. Lecky (1838-1903):
„Das Christenthum präsentirte sich der Welt zunächst als eine Erklärung der Verbrüderung der Menschen in Christo und machte es dem Christen zur ersten Pflicht, seine
Mitmenschen als heilige Wesen zu betrachten, woraus der wichtige Begriff von der
Heiligkeit alles menschlichen Lebens entstand.“16
12
Thomas von Aquin [1985], S. 306 (= Band 3, 64. Untersuchung, 5. Artikel)
Altes Testament, Bergpredigt, Matthäus 5, 22f.
14
Beispielsweise Matthäus-Evangelium, Kapitel 27: Judas erhängte sich nachdem durch seinen Verrat
Jesus zum Tode verurteilt worden ist.
15
Benzenhöfer 2009, S. 46
16
Deutschen Übersetzung Lecky 1871, S. 14
13
17
Es gibt keine Belege dafür, dass dieser Begriff schon im frühen Christentum entstanden wäre. Im 20. Jahrhundert bezogen sich mehrere christliche Theologen bei der Auseinandersetzung mit der Euthanasie-Frage auf diesen Begriff (z.B. Franz Walter, Moraltheologe: „Die
Euthanasie und die Heiligkeit des Lebens“, München 1935).
Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die „Tötung unheilbar Kranker“ von christlichen
Theologen detaillierter analysiert. Es wird angenommen, dass die Thematik besonders durch
die ab ca. 1920 öffentlich geführte Diskussion über „lebensunwertes Leben“ ins Zentrum
rückte. So wurden schwerwiegende Bedenken gegenüber der Argumentation in der Schrift
von Karl Binding und Alfred Hoche mit dem Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ (1920) geäussert und die Aufgabe der Kirche als Hüterin der Armen, Elenden und Kranken betont.17
Eine deutliche Stellungsnahme lieferte 1931 die „Fachkonferenz für Eugenik“, der übrigens
viele Ärzte angehörten, die sich dafür aussprach,
„dass die neuerdings erhobene Forderung auf Freigabe der Vernichtung so genannten ‚lebensunwerten Lebens‘ mit allem Nachdruck sowohl vom religiösen als auch
vom volkspädagogischen und ärztlichen Standpunkt abzulehnen ist […].“18
Es gab unter den Theologen aber auch Stimmen, die die Zulässigkeit der Tötung Geisteskranker davon abhängig machten, ob Seelenleben vorhanden sei. Ausführungen bezüglich
eines Seelenlebens lieferte der Religionspädagoge Karl Ernst Thrändorf: Zu einem Seelenwesen gehöre das Gehirn, die Erhaltung gehirnloser, also seelenloser Wesen sei „Raub an
den Gesunden“19.
Eine gewichtige Stimme und eine Ausnahme von der ansonsten öffentlichen Haltung der
„Euthanasie-Ablehnung“ bildete die Monographie „Erbpflege und Christentum“ von Theologe
Wolfgang Stroothenke (1913-1945), welche 1940 erschien. Der Autor argumentierte,
„dass der Tod nicht in den Bereich der ‚sittlichen‘, sondern der ‚natürlichen‘ Wertungen gehöre. Er habe mit Sünde nichts zu tun. Aufgrund ‚natürlicher‘ (diesfalls ‚erbpflegerischer‘) Wertung sei deshalb die ‚Tötung missgestalteter Kinder auf Wunsch
der Eltern‘ erlaubt. Aufgrund ‚natürlicher Wertung‘ sei auch die Tötung auf Verlangen
von Schwerkranken zulässig.“20
17
Pastor Martin Ulbrich 1921, Magdeburg-Cracau
Nowak 1977, S. 61
19
Benzenhöfer 2009, S. 49
20
Nowak 1977, S. 124f.
18
18
Den oben aufgeführten Beispielen liessen sich noch zahlreiche andere, die Grundeinstellung
bestätigende, vereinzelt aber auch davon abweichende Argumentationen von Geistlichen
anfügen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in der Regel die „aktive Euthanasie“ und die ärztliche Beihilfe zum Suizid auf christlicher Seite abgelehnt wurden und immer noch werden. Zwei weitere Beispiele verdeutlichen diese Haltung:
1980 wurde eine vom Papst Johannes Paul II. gebilligte, für Katholiken verbindliche, Stellungnahme zum Thema „Euthanasie“ von der Kongregation für die Glaubenslehre formuliert
und publiziert. Darin wurde auf den „Wert des menschlichen Lebens“ hingewiesen, indem
betont wurde, dass die „meisten Menschen das Leben als etwas Heiliges betrachten und
zugeben, dass niemand darüber nach Willkür verfügen darf.“21 Es wurde zudem darauf verwiesen, dass das Leben als „Geschenk der Liebe Gottes“ zu betrachten sei, welches „bewahrt und fruchtbar gemacht werden müsse“22. Daraus wurde gefolgert:
„1.) Niemand könne das Leben eines unschuldigen Menschen angreifen, ohne damit
der Liebe Gottes zu ihm zu widersprechen. 2.) Jeder Mensch müsse sein Leben nach
dem Ratschluss Gottes Führen; es sei ihm als Gut anvertraut. 3.) Der Freitod oder
Selbstmord sei daher ebenso wie der Mord nicht zu rechtfertigen, er bedeute die ‚Zurückweisung der Oberherrschaft Gottes und seiner liebenden Vorsehung.“23
Die Definition der Kongregation für „Euthanasie“ lautete folgendermassen:
„Unter Euthanasie wird hier eine Handlung oder Unterlassung verstanden, die ihrer
Natur nach oder aus bewusster Absicht den Tod herbeiführt, um so jeden Schmerz
zu beenden. Euthanasie wird also auf der Ebene der Intentionen wie auch der angewandten Methoden betrachtet.“24
Die Euthanasie wird in den weiteren Ausführungen als „Verletzung eines göttlichen Gesetze“
angesehen, als eine „Beleidigung der Würde der menschlichen Person“, als „Verbrechen
gegen das Leben“ und „Anschlag gegen das Menschengeschlecht.“25 Im Abschnitt über das
„richtige Mass in der Verwendung therapeutischer Mittel“ wurde ergänzt, dass die Anwendung „unverhältnismässiger Mittel“ zur Lebensverlängerung bei Schwerkranken nicht „verpflichtend“ sei.26 „Wenn der Tod näher kommt und durch keine Therapie mehr verhindert
werden kann, darf man sich im Gewissen entschliessen, auf weitere Heilversuche zu ver-
21
Erklärung 1980, S. 7
Erklärung 1980, S. 7
23
Erklärung 1980, S. 7
24
Erklärung 1980, S. 8
25
Erklärung 1980, S. 8
26
Benzenhöfer 2009, S. 51
22
19
zichten, die nur eine schwache oder schmerzvolle Verlängerung des Lebens bewirken könnten, ohne dass man jedoch die normalen Hilfen unterlässt, die man in solchen Fällen einem
Kranken schuldet.“27
Als zweites Beispiel sei die 1989 erschienene „Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz“ mit dem Titel „Gott
ist ein Freund des Lebens“ erwähnt. In diesem Dokument wird darauf hingewiesen, dass
eine „Unverfügbarkeit“ des andern Menschen bestehe, welche die „Einräumung eines unbedingten Lebensrechts“ und die „prinzipielle Respektierung seines Eigenrechts, seines
Selbstbestimmungsrechts“ bedeute. Kein Mensch habe über „den Wert oder Unwert eines
anderen menschlichen Lebens zu beschliessen, selbst nicht über das eigene. Das Töten
eines anderen „kann unter keinen Umständen eine Tat der Liebe, des Mitleids sein, denn es
vernichtet die Basis der Liebe.“28 Im Weiteren wird die Situation des unheilbar Kranken angeführt, dem der Tod besser zu sein scheint, und der allenfalls verlangt, getötet zu werden:
„Doch müsste ihm dann nicht – schonend, aber klar, gesagt werden, warum dies Verlangen von einem anderen nicht übernehmbar ist? Ein Verzweifelter braucht intensive
Zuwendung, um die Wahrheit zu erfahren, dass auch sein Leben nicht sinnlos ist.“29
Und weiter:
„Käme ein Arzt einem solchen Verlangen nach, so zöge er sich einen zerreissenden
Konflikt zu zwischen seiner ärztlichen Berufspflicht, Anwalt des Lebens zu sein, und
der ganz anderen Rolle, einen Menschen zu töten. Täte er es aus Mitleid – liesse
sich dann vermeiden, dass man ihm auch noch andere Motive zu unterstellen beginnt? Das wäre das Ende jedes Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient.“30
2.2
Beiträge zum Thema „Euthanasie“ und Sterbehilfe vom 16. Jahrhundert
bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit war im Abendland die aktive Tötung eines Schwerkranken – sei es durch einen Arzt oder Nichtarzt – nach Massgabe der christlichen Lehre
untersagt.
Im Folgenden wird auf einige Persönlichkeiten eingegangen, die sich zu der oben genannten
Fragestellung öffentlichkeitswirksam geäussert hatten.
27
Erklärung 1980, S. 12
Benzenhöfer 2009, S. 53
29
Benzenhöfer 2009, S. 53
30
Benzenhöfer 2009, S. 53
28
20
2.2.1
Thomas Morus (1477/78-1535), England, Jurist, Katholik
Das Werk, auf welches im Folgenden Bezug genommen wird, trägt den Titel “De optimo rei
publicae statu, deque nova insula Utopia, libellus vere aureus, nec minus salutaris quam
festivus“ (Erstausgabe: Löwen 1516). Die Übersetzung gemäss U. Benzenhöfer lautet: „Ein
wahrhaft herrliches, nicht weniger heilsames denn kurzweiliges Büchlein von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia“, im Weiteren einfach „Utopia“ genannt.
Inwieweit die in der „Utopia“ geäusserten Gedanken dem damaligen Konsens zu diesem
Thema entsprechen, ist umstritten. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass der Autor
ein Gedankenspiel betreibt, dabei aber die Thematik einer „besseren Welt“ aufnimmt und
damit das Werk von einem gesellschaftskritischen Standpunkt aus gesehen durchaus reale
Ideen vertrete. Inwieweit der Autor hinter seinen geäusserten Ideen wirklich stand, ist schwer
einzuschätzen. Dass „Utopia“ nicht dem Idealstaat von Thomas Morus entsprach, kann mit
einer gewissen Sicherheit festgehalten werden. Was für Gedanken bezüglich der Euthanasie
werden in der „Utopia“ nun beschrieben? Um die entsprechenden Textstellen besser einordnen zu können, wird erst auf die Tugend- und Gesundheitslehre der „Utopier“ eingegangen.
Beschrieben wird ein von der Natur vorgegebenes angenehmes und lustvolles Leben. Es sei
erstrebenswert, sich Lust und Genuss zu verschaffen, wenn andere dadurch nicht beeinträchtigt werden. Die körperliche Gesundheit wurde als Grundbedingung für ein lustvolles
Leben eingeschätzt: „Sie allein macht […] das Leben angenehm und lebenswert, und wo sie
fehlt, bleibt nirgends mehr ein Platz für irgendein Vergnügen.“31 In den Textabschnitten „De
aegrotis“ („Über die Kranken“) und „Mors spontanea“ („Freiwilliger Tod“) wird beschrieben,
was mit den Kranken passieren soll: Beschrieben wird eine Pflege der Kranken „mit grosser
Hingabe“, wobei nichts versäumt werden soll, „wodurch sie ihre Gesundheit wiederherstellen
können, sei es durch Arzneimittel oder durch sorgfältige Diät.“32 Bei unheilbar Kranken wird
eine hingebungsvolle Sterbebegleitung angestrebt:
„Sogar unheilbar Kranken erleichtern sie ihr Los, indem sie sich zu ihnen setzen,
ihnen Trost zusprechen und überhaupt alle möglichen Erleichterungen verschaffen.“33
Ist die Krankheit „dauernd qualvoll und schmerzhaft“ (hier erfolgt der Übergang zum Abschnitt „freiwilliger Tod“), dann würden „Priester und Behörden“ tätig34. Ärzte werden als Berufsgruppe in diesem Abschnitt nicht explizit erwähnt, doch sind sie insofern beteiligt, als
dass sie die Diagnose ‚unheilbar’ stellen. Morus schreibt zu der „dauernd qualvoll und
schmerzhaften“ Situation:
31
Morus [1991], S. 75
Morus [1991], S. 81
33
Morus [1991], S. 81
34
Benzenhöfer 2009, S. 56
32
21
„[…] reden Priester und Vertreter der ‚Behörden’ dem Kranken zu, er solle ‚nicht darauf bestehen, die unheilvolle Seuche noch länger zu nähren, und nicht zögern zu
sterben, zumal das Leben doch nur eine Qual für ihn sei.“35
Aus dem Text geht hervor, dass die Vertreter der Behörde/der Kirche nicht am tatsächlichen
Willen des Kranken interessiert sind, sondern dessen Leben in diesem Zustand als für die
Gesellschaft wertlos einschätzen und daher der Tod die einzige Option darstelle. Dies wird
insofern deutlich, als dem Kranken gegenüber folgende Argumente angeführt werden, dass
er 1.) „allen Anforderungen des Lebens nicht mehr gewachsen“ sei; 2.) er „den Mitmenschen
zur Last“ falle und dass er 3.) „sich selber unerträglich“ sei, da das Leben nur „eine Qual“ für
ihn darstelle („seinen eigenen Tod bereits überlebe).“
36
Die Unterstützung dieser „Behörde“
durch Priester soll deutlich machen, dass der „freiwillige Tod“ kein widergöttlicher Akt ist. Ein
weiteres Zitat aus dem Text sei hier angeführt:
„[…] Der Kranke werde ‚fromm und gottesfürchtig handeln, da er damit dem Rat der
Priester, das heisst der Deuter des göttlichen Willens gehorche.“37
Im Weiteren wird jedoch diese ehrenvolle Handlung des Kranken vom ungebilligten Suizid
abgegrenzt:
„Sonst aber wird keiner, der sich selbst das Leben nimmt, ohne Billigung des Grundes durch Priester und Senat, der Beerdigung oder der Verbrennung gewürdigt; statt
ihn zu begraben, werfen sie ihn schmächlich in einen Sumpf.“38
Ein „freiwilliger Tod“ ist unter solchen Umständen in Frage gestellt.
Wie schliesslich der „freiwillige Tod“ erfolgen soll, wird im Text folgendermassen beschrieben:
„Wen sie damit überzeugt haben, der endigt sein Leben entweder freiwillig durch Enthaltung von Nahrung oder wird eingeschläfert und findet Erlösung, ohne vom Tod etwas zu merken.“39
35
Benzenhöfer 2009, S. 56
Morus [1991], S. 81
37
Morus [1991], S. 81
38
Morus [1991], S. 81
39
Morus [1991], S. 81
36
22
Die Methode des „Einschläferns“ wird nicht näher beschrieben. Einige Interpreten von Morus’
Texten gehen von der Gabe eines Mandragora- oder Schierlingstrank aus.
2.2.2
Francis Bacon (1561-1926), England, Jurist und Philosoph
Auf die dieser Arbeit zugrunde liegende Thematik stiess Francis Bacon im Rahmen einer
Neuordnung der Wissenschaften in der ersten Dekade des 17. Jahrhunderts. Er interessierte
sich unter anderem für den Entwicklungsstand und die Entwicklungsmöglichkeiten der Medizin. Zwangsläufig stiess er dabei auf das Problem der unheilbaren Krankheiten und der „Euthanasie“. So findet sich in seinem Werk von 1605 “Of the Proficience and Advancement of
Learning Divine and Humane” („Über den Stand und den Fortschritt des Wissens von Gott
und den Menschen”) folgende Aussage:
„Nay, further I esteem it the office of a physician not only to restore health, but to mitigate pain and dolors; and not only when such mitigation may conduce to recovery,
but when it may serve to make a fair and easy passage: for it is no small felicity which
Augustus Caesar was wont to wish to himself, that same Euthanasia […].”40
In seinem späteren Werk „De dignitate et augmentis scientiarum“ von 1623 („Über die Würde
und die Vermehrung der Wissenschaften“) nimmt er diesen Gedanken erneut auf und führt
ihn weiter aus: Zum Thema Heilung der Krankheiten bemerkte Bacon, dass dies ein Gebiet
sei, in dem vieles noch „vermisst“ werde. Er reklamierte, dass die Ärzte zu viele Krankheiten
als generell unheilbar oder als unheilbar zum Zeitpunkt der Übernahme der Behandlung taxierten und sich so jeder Verantwortung entziehen würden. Er schloss daraus einen dringenden Forschungsbedarf in diesem Gebiet. Zum Thema „Euthanasie“ hielt er folgendes fest:
„Ferner halte ich es der Pflicht eines Arztes gemäss, dass er nicht nur die Gesundheit
wieder herstelle, sondern dass er auch die Schmerzen und Qualen der Krankheit lindere: und das nicht nur, wenn jene Linderung der Schmerzen zufällig zur Wiederherstellung der Gesundheit dient und beiträgt, sondern auch dann, wenn ganz und gar
keine Hoffnung mehr vorhanden ist, durch die Linderung der Qualen aber ein sanfterer und ruhigerer Übergang aus diesem in jenes Leben verschafft werden kann. […]
In unserer Zeit aber gehört es gleichsam zur Religion der Ärzte, bei den für verloren
gehaltenen Kranken zu bleiben und sie zu beklagen, wo sie doch meines Erachtens,
entsprechend ihrer Pflicht und sogar der Menschlichkeit selbst, ihre Kunst und ihren
Fleiss dahingehend verwenden sollten, dass die Sterbenden leichter und sanfter aus
dem Leben gehen. Diesen Teil aber nennen wir eine Untersuchung über die äussere
40
Bacon [1859], S. 375
23
Euthanasie [Euthanasia exterior] (im Unterschied zu jener Euthanasie, die die Vorbereitung der Seele erfordert). Eine Untersuchung über die äussere Euthanasie aber
gibt es zur Zeit noch nicht.“41
Konkret wurde in dieser Aussage die Aufforderung zur Gabe von schmerzstillenden und betäubenden Medikamenten bei unheilbar Kranken gesehen. Dabei bestand die Gefahr, dass
die Ärzte sich allein mit dem pharmakologischen Aspekt eines Sterbenden beschäftigten, die
erweiterte Sterbebegleitung (in Form von Palliativpflege) jedoch anderen (z.B. Seelsorgern,
Pflegern) überliessen oder delegierten.
2.2.3
Weitere Beiträge des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Der Forschung von Benzenhöfer verdanken wir weitere Informationen aus dem 18. Jahrhundert zur Thematik der Suizidbeihilfe.
1735 verfasste Zacharias Philippus Schulz unter dem Präsidiat von Michael Alberti in Halle
eine Dissertation mit dem Titel „De Euthanasia Medica, Vom Leichten Todt“42. Die Dissertation knüpfte an die im vorangehenden Abschnitt besprochene Passage über „Euthanasia exterior“ in „De dignitate“ von Francis Bacon an. Eine pharmakologische Euthanasie, wie sie
Bacon vertrat, lehnte Schulz ab. Seine Ablehnung fusste unter anderem auf dem Werk
„Gotthold’s Siech- und Siegesbett“ (1687) von Christian Sciver (Theologe und Erbauungsschriftsteller), wovon er folgendes Zitat anführte:
„Wir lassen es dahin gestellt seyn, ob dieser Fürschlag bey denen Herren Aerzten ein
Nachsinnen erwecket hat: ich habe aber wenig Gottesfürchtiger Seelen Abscheiden
gesehen, da man solcher natürlicher Mittel bedürft hätte.“43
Für Schulz war die „Euthanasia Medica“ der „sanfte, ruhige und schnelle Verlauf des natürlichen Todes“.44 Seine Definition bezog er auf eine Übereinstimmung zahlreicher anderer Autoren der Frühen Neuzeit. Schulz hielt fest, dass der „sanfte Tod“ sowohl bei Säuglingen als
auch bei Greisen auftreten könne, dass der Tod im Alter jedoch eher sanfter sei und dass
Menschen eher einen „leichten Tod“ sterben würden, wenn sie lange krank gewesen seien
und viele Kuren über sich hätten ergehen lassen müssen. Er beschreibt zudem Zeichen, die
auf einen nahen „leichten Tod“ hinweisen würden, zum Beispiel eine gewisse Stille und Gelassenheit der Seele und in körperlicher Hinsicht die „Facies Hippocratica“ (im „Corpus Hippocraticum“ beschriebenes „Antlitz des nahen Todes“ mit spitzer Nase, hohlen Augen, einge41
Bacon 1623, zitiert nach der deutschen Übersetzung von Potthoff 1982, S. 25
Benzenhöfer 2009, S. 62
43
Schulz 1735, S. 10
44
Schulz 1735, S. 11
42
24
fallenen Wangen und bleichem Gesicht). In Bezug auf den Umgang mit Todkranken vertrat
Schulz die Auffassung, dass keine Medikamente (erregende wie sedierende) gegeben werden sollten, welche den Tod beeinträchtigen oder aber beschleunigen könnten, denn dies
schien aus christlich bestimmter Sicht des Verfassers als „frivol“45. Nur pflegerische Massnahmen wie die Benetzung der trockenen Zunge und des Rachens sollen durch den Arzt zur
Erleichterung des Sterbeprozesses durchgeführt werden.
Schulz vertrat also wie Bacon die Auffassung, dass in der Regel die Tötung unheilbar Kranker abgelehnt werden soll. Am Ausgang des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde
jedoch das Ansinnen Bacons, wonach der Arzt pharmakologische Mittel zur Beruhigung des
Todkranken einsetzen soll, breiter akzeptiert.
Ein Befürworter der pharmakologisch gestützten Sterbebegleitung war der Niederländer
Nicolaus Paradys (1740-1812). Eine von ihm 1748 gehaltene Abschiedsrede beim Rücktritt
vom Prorektorat als Medizinprofessor in Leiden zum Thema „Euthanasia naturalis“ wurde
1796 ins Deutsche übersetzt und im „Neuen Magazin für Aerzte“ abgedruckt. Den Begriff
„natürliche Euthanasie“ definierte Paradys als „die Kunst, den Tod so leicht, so erträglich als
möglich zu machen, soweit dieses nämlich in unserer Gewalt steht und von natürlichen Ursachen abhänget.“46 Um dies zu ermöglichen sprach er sich dafür aus, dass Ärzte Sterbenskranken den Tod durch medikamentöse Mittel erleichtern sollten. Ebenso enthielt das
Schreiben einen Appell, die Prognostik zu fördern, denn wisse man „einmal das unvermeidliche Schicksal des Kranken gewiss“, dann könne man „oft alle Arzneyen aussetzen“ und die
ganze Aufmerksamkeit darauf lenken, dem Kranken „den Tod zu erleichtern.“47 Er beschrieb
anhand einer Einschätzung der Lebenskräfte der betroffenen Patienten eine Rechtfertigung
für den Einsatz von stärkeren oder schwächeren Medikamenten. Für ärztliche Kollegen erwähnte er insbesondere:
„Gehen Sie an die Betten der Sterbenden. Es ist eine traurige aber doch schöne
Pflicht. Sammeln Sie Ideen zu einer künftigen Geschichte des Todes […]. Lernen Sie
dort Menschlichkeit!“48
Ein weiterer Arzt, der das Thema der Euthanasie aufgriff, war Christoph Wilhelm Hufeland
(1762-1836). Hufeland war ab 1801 königlicher Leibarzt in Berlin und einer der angesehensten Ärzte seiner Zeit. Es ist anzunehmen, dass er durch den Artikel im „Neuen Magazin für
Aerzte“ dazu inspiriert wurde. 1806 publizierte er im „Neuen Journal der practischen Arznei-
45
Schulz 1735, S. 44
Paradys 1796, S. 561
47
Paradys 1796, S. 564
48
Paradys 1796, S. 571
46
25
kunde und Wundarzneiwissenschaft“ einen Aufsatz mit dem Titel „Die Verhältnisse des Arztes“. Die Aufgabe des Arztes stellte er dort nicht allein mit „heilen“ dar, sondern betonte die
Wichtigkeit der Lebenserhaltung oder Linderung von Leiden bei unheilbaren Krankheiten:
„Selbst im Tode soll der Arzt den Kranken nicht verlassen; noch da kann er sein
grosser Wohltäter werden, und wenn er ihn nicht retten kann, wenigstens das Sterben erleichtern.“49
In welcher Form diese Erleichterung vonstattengehen sollte, wurde nicht erwähnt. Hufeland
legte jedoch grosses Gewicht auf den „Hippokratischen Eid“:
„Das Leben des Menschen zu erhalten und wo möglich zu verlängern, ist das höchste
Ziel der Heilkunst, und jeder Arzt hat geschworen, nichts zu thun, wodurch das Leben
eines Menschen verkürzt werden könne.“50
Im Weiteren seiner Ausführungen skizzierte er den „idealen Arzt“, der ein „reiner moralischer
Mensch“ sein müsse:
„Er soll und darf nichts anders thun, als Leben erhalten; ob es ein Glück oder Unglück
sey, ob es Werth habe oder nicht, dies geht ihn nichts an, und masst er sich einmal
an, diese Rücksicht in sein Geschäft mit aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im Staate; denn ist einmal die Linie
überschritten, glaubt sich der Arzt einmal berechtigt, über die Nothwendigkeit eines
Lebens zu entscheiden, so braucht es nur stufenweise Progressionen, um den Unwerth, und folglich die Unmöglichkeit eines Menschenlebens auch auf andere Fälle
anzuwenden.“51
Die Wichtigkeit, sich um unheilbar Kranke zu kümmern, betonte etwas später ebenfalls der
Medizinprofessor Johann Christian Reil (1759-1813). Er griff in seinen Aufzeichnungen das
Wort „Euthanasie“ auf, welches Hufeland in seinen Abhandlungen nie verwendet hatte. Reil
setzt den Euthanasie-Begriff gleich mit „der Kunst des Aus-dem-Leben-Hinaushelfen“ und
widmete diesem Thema das letzte Kapitel in seinem Werk „Entwurf einer allgemeinen Therapie“ (1816). In der Einleitung des Kapitels „Euthanasie, oder von den Hülfen, erträglich zu
sterben“ spricht er von mangelndem Wissen in Bezug auf die Begleitung eines „Aus-demLeben-Scheidenden“. Auf Bacon beziehend hält er fest:
49
Hufeland 1806, S. 14
Hufeland 1806, S. 14
51
Hufeland 1806, S. 15/16
50
26
„Diese Kunst, dem Tod sein Schreckhaftes zu nehmen und seine Bitterkeit zu mindern, empfiehlt Bacon den Aerzten, und meint, die Heilkunde habe dann erst ihre
Vollkommenheit erreicht, wenn sie neben der Kunst, den Tod zurückzuhalten, sich
auch darauf verstehe, den unvermeidlichen Tod so sanft als möglich zu machen.“52
Er verweist auf die grundsätzlichen Massnahmen, die ein Arzt anzugehen habe, und sollte
eine tödliche Krankheit dennoch eingetreten sein, habe der Arzt die Aufgabe,
„Euthanasie zu bewirken, die Plagen der Krankheiten zu mildern, die Seele zu stählen, dass sie mit kraftvoller Resignation den Tod duldet, oder das Bewusstseyn desselben verdunkeln.“53
Zwischen 1820 und 1850 erschienen zahlreiche Dissertationen, die den Begriff „Euthanasie“
in irgendeiner Form im Titel trugen. Den Arbeiten mehrheitlich gemeinsam war die Haltung,
dass es eine wichtige ärztliche Aufgabe sei, sich den Sterbenden zuzuwenden. Die Frage
wurde diskutiert, wann eine Therapie begrenzt werden dürfe und wiederholt wurde festgehalten, dass eine Therapiebegrenzung nicht zu früh erfolgen dürfe, denn es gebe oft überraschende Heilungen. Benzenhöfer kommt zum Schluss54:
„Sterbebegleitung wurde in Schriften des 18. Jahrhunderts vereinzelt, in Schriften des
beginnenden 19. Jahrhunderts dann häufiger als ärztliche Aufgabe thematisiert. Dabei
bediente man sich vielfach des ‚Euthanasie‘-Begriffs zur Bezeichnung der gestellten
Aufgabe. Nahezu durchgängig (Ausnahmen bestätigen die Regel) lehnte man eine
bewusste Beschleunigung des Sterbens durch den Arzt ab. Man erkannte durchaus,
dass die schon von Bacon im 17. Jahrhundert geforderte medikamentöse Schmerzbzw. Leidenslinderung bei Moribunden zu einer ‚unbeabsichtigten‘ Lebensverkürzung
führen könne. Doch scheint sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter Ärzten
die Auffassung durchgesetzt haben, dass man (vorsichtig, um eine Beschleunigung
des Sterbens zu vermeiden) ‚Beruhigungsmittel‘ geben dürfe. Man erkannte auch das
Problem der ‚Leidensverlängerung‘ durch ärztliche Massnahmen bei Moribunden.
Diesbezüglich gab es Stimmen, die darauf hinwiesen, dass man die aktive Therapie
begrenzen dürfe. Eine einheitliche Auffassung hierzu bildete sich jedoch nicht heraus.“
52
Reil 1816, S. 565
Reil 1816, S. 573
54
Benzenhöfer 2009, S. 67f.
53
27
2.3
Der Diskurs über die „Ausscheidung der Schwachen“ in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts
Bis hierher ist festzuhalten, dass Ärzte, bis auf vereinzelte Ausnahmen, in Veröffentlichungen
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine gezielte Lebensverkürzung bei Schwerkranken ablehnten. Diese Grundhaltung änderte sich auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht wesentlich. So findet sich unter dem Stichwort „Euthanasie“ in der „Realencyclopädie der gesamten Heilkunde“ von 1886 die Aussage, dass „bei irgend welchem
berechtigten Hoffnungsfunken“, das Leben eines Schwerkranken zu erhalten sei, alles medizinisch Mögliche getan werden müsse, und zwar energisch, „ohne alle Rücksicht auf Euthanasie“, d.h. auf ruhiges Sterben.55 Sollte aber keine Hoffnung mehr sein, dann käme es darauf an, dem Sterbenden einen „möglichst menschenwürdigen Ausgang zu bereiten“. Der
Arzt sei aber „bei allem Streben nach Euthanasie nicht berechtigt […], das Geringste zu
thun, was zur Verkürzung des Lebens beitragen kann“. Trotz dieser „ärztlichen“ Grundhaltung entwickelte sich der Diskurs zum Thema Euthanasie zunehmend in die Richtung Freigabe der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Grundlegend hierfür waren das Gedankengut des Sozialdarwinismus und der Rassenhygiene bzw. Eugenik.
Diese beiden Themen werden in dieser Übersicht nur kurz abgehandelt, da es sich hierbei
nicht im engeren Sinn um die Thematik der Beihilfe zum Suizid, sondern um gezielte Tötungen handelt. Das Gedankengut ist jedoch wichtig, um die Entwicklung der ärztlichen Haltung
aufzeigen zu können.
2.3.1
Von Charles Darwin zur Rassenhygiene
1859 erschien von Charles Darwin (1809-1882) das Werk „On the Origin of Species by
Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life”.
Durch dieses Werk wurden die Begriffe der „natürlichen Auslese“ und des „Überlebens des
Stärkeren im Kampf ums Dasein“ verbreitet. Obwohl das Werk sich auf die Tierwelt bezog,
erforderte es keine grosse Gedankenanstrengung zu erkennen, dass diese „natürliche“ Entwicklungslehre ebenfalls auf die Entwicklungsgeschichte des Menschen zu beziehen war.
Darwin selbst war zunächst sehr zurückhaltend, was die Anwendung seiner Theorie auf den
Menschen anging. Begründet wurde diese Zurückhaltung mit wissenschaftlicher Vorsicht,
aber auch aus diplomatischen Gründen, da seine Lehre kaum mit der biblischen Schöpfungslehre in Einklang zu bringen war. Seine Gedanken zur menschlichen Spezies kamen
explizit im 1871 erschienen Werk „The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex“
zum Ausdruck. Im Rahmen der Gedanken zum Widerstreit der „natürlichen“ und „künstlichen
Zuchtwahl“ beim zivilisierten Menschen, prägte er den Begriff „Ausscheidung des Schwachen“. Während in einer „natürlichen Auslese“ die an Körper und Geist Schwachen bald eliminiert würden, verhindere der zivilisierte Mensch diese „Ausscheidung“:
55
Benzenhöfer 2009, S. 69
28
„Wir erbauen Heime für Idioten, Krüppel und Kranke. Wir erlassen Armengesetze,
und unsere Ärzte bieten alle Geschicklichkeit auf, um das Leben der Kranken so lange als möglich zu erhalten“.56
Wegen dieser „kontraselektorischen“ Tätigkeit des Menschen könnten die „schwachen“ Individuen der zivilisierten Völker ihre Art fortpflanzen. Niemand, so Darwin, der etwas von der
Zucht von Haustieren verstehe, werde daran zweifeln, dass dies „äusserst nachteilig“ für die
Rasse sei.57 Darwin tat aufkeimendes Mitgefühl für die Schwachen als „nicht vernünftig“ ab
und argumentierte:
„Die Hilfe, die wir dem Hilflosen schuldig zu sein glauben, entspringt hauptsächlich
dem Instinkt der Sympathie, die ursprünglich als Nebenform des sozialen Instinkts
auftrat, aber in der schon früher angedeuteten Weise allmählich feiner und weitherziger wurde“.
Weiter führt er aus:
„Wir können diese Sympathie jetzt nicht mehr unterdrücken, selbst wenn unsere
Überlegung es verlangte, ohne dass dadurch unsere edelste Natur an Wert verlöre.“58
Als Gegenüberstellung wird ein ebenfalls englischer Sozialdarwinist angefügt, Thomas Henry
Huxley (1825-1895):
„Es drängt sich mir […] die Überzeugung auf, dass diejenigen, die da gewöhnt sind,
sich mit der unmittelbaren oder mittelbaren Austilgung der schwachen, unglücklichen
und überflüssigen [Menschen] zu beschäftigen, die dieses Verhalten mit dem Grunde
rechtfertigen, das Naturwalten heilige es und sei das einzige Mittel zur Sicherung des
Rassenfortschrittes, die, wenn folgerichtig, die Medizin unter die schwarzen Künste
rechnen und den Arzt als den unheilvollen Erhalter der untauglichen [Menschen] betrachten müssten, […] und die ihr ganzes Leben der Ausbildung der edlen Kunst der
Unterdrückung natürlicher Neigung und Teilnahme widmen, - dass gerade sie nicht
einen besonderen Vorrat an diesen Gütern übrig behalten werden. Aber ohne diese
56
Darwin [1982], S. 171
Benzenhöfer 2009, S. 71
58
Darwin [1982], S. 172
57
29
Eigenschaften giebt es kein Gewissen und auch keinen Hemmschuh für das Verhalten der Menschen“.59
Ein entschiedener Anhänger von Darwin war Ernst Haeckel (1834-1919), der dessen Theorie
aufnahm und daraus eine „Einheitstheorie“ des Lebens, den so genannten Monismus entwickelte. Er legte dem entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang der unbelebten Materie
über die Tiere bis hin zum Menschen – anlehnend an Darwin – als kausales Prinzip den
Kampf ums Dasein zugrunde. War er in seinen ersten Werken noch zurückhaltender, so akzentuierte er seine Theorie mit deutlicher Bezogenheit auf die Menschheit im 1870 erschienen Werk „Natürliche Schöpfungsgeschichte“, wo sich unter anderem folgender Abschnitt
findet:
„Ein ausgezeichnetes Beispiel von künstlicher Züchtung der Menschen in grossem
Massstab liefern die alten Spartaner, bei denen auf Grund eines besonderen Gesetzes schon die neugeborenen Kinder einer sorgfältigen Musterung und Auslese unterworfen werden mussten. Alle schwächlichen, kränklichen oder mit irgendeinem
körperlichen Gebrechen behafteten Kinder wurden getödtet. Nur die vollkommen gesunden und kräftigen Kinder durften am Leben bleiben, und sie allein gelangten später zur Fortpflanzung. Dadurch wurde die spartanische Rasse nicht allein beständig in
auserlesener Kraft und Tüchtigkeit erhalten, sondern mit jeder Generation wurde ihre
körperliche Vollkommenheit gesteigert […] Auch manche Stämme unter den rothen
Indianern Nordamerika’s, die gegenwärtig im Kampfe um’s Dasein den übermächtigen Eindringlingen der weissen Rasse trotz heldenmüthigster Gegenwehr erliegen,
verdanken ihren besonderen Grad von Körperstärke und kriegerischer Tapferkeit einer ähnlichen sorgfältigen Auslese der neugeborenen Kinder.“60
Seine Tendenz zur Ausscheidung der Schwachen wurde in zahlreichen anderen Textstellen
ebenfalls ersichtlich. So äusserte sich Haeckel kritisch gegenüber der modernen Medizin, die
Kranke und Schwache am Leben erhalte und ihnen so die Möglichkeit zur Fortpflanzung und
zur Vererbung ihrer Krankheiten biete.
Haeckel war mit seinen Äusserungen zum Thema „Ausscheidung der Schwachen“ durchaus
nicht alleine. Erwähnt wird daher noch Alexander Tille (1866-1912), Germanist und Philosoph, der ein radikaler Verfechter der „künstlichen Züchtung“ war. Er stützt sich im Wesentlichen auf Haeckel, formulierte aber seinen eigenen Standpunkt unmissverständlich:
59
60
Thomas H. Huxley: Soziale Essays. Weimar 1897, S.249f., zitiert nach Schungel 1980, S. 49
Haeckel 1870, S. 152f.
30
„Man hat die Notwendigkeit des Fortschritts schon früh empfunden und wo die natürliche Auslese versagte, eine künstliche geschaffen. Künstliche Züchtung tüchtiger
Menschen gab es bereits im alten Sparta. Jedes untüchtige gebrechliche Kind ward
ausgesetzt. Allein die Tüchtigen hinterliessen Nachkommen. So veredelte das Volk
bewusst schon damals seine Kinder, und unter den Indianern Nordamerikas ist noch
heute derselbe Brauch üblich.“61
1895 bekräftige er seine Position im Buch „Von Darwin bis Nietzsche. Ein Buch Entwicklungsethik“:
„Wer die Hebung der Rasse zu seinem Ideal macht und dieses Ideal verwirklichen
will, wird wohl oder übel zur Auslese greifen müssen. Eine direkte Austilgung der
Schwachen, Unglücklichen und Überflüssigen ist meines Wissens noch von keinem
ernsten Menschen vorgeschlagen worden. Aber warum sollte keine indirekte möglich
sein. Unsere sozialen Einrichtungen, unsere Heilkunst, erhalten tausende flackernde
Lebensflämmchen – soll die Gesellschaft, die diese Menschen dem sicheren Tod entreisst, dafür nicht das Recht haben, ihnen die Verpflichtung aufzuerlegen, nicht zu
heiraten, ihnen mindestens die Schliessung einer rechtgültigen Ehe vorzuenthalten?“62
Auf der Basis dieses Gedankenguts entwickelte sich am Ausgang des 19. und zu Beginn des
20. Jahrhunderts die Rassenhygiene bzw. Eugenik, in deren Anfängen von den entsprechenden Autoren (vgl. W. Greg, A.R. Wallace, F. Galton, W. Schallmayer, A. Ploetz) eine
direkte Aufforderung zur „Ausscheidung der Schwachen“ meist vermieden wurde. Zu erwähnen in diesem Zusammenhang ist auch Friedrich Nietzsche, der mit der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ sympathisierte und bezüglich Kranker folgende Aussage machte:
„Der Kranke ist ein Parasit der Gesellschaft. In einem gewissen Zustande ist es unanständig noch länger zu leben. Das Fortvegetiren in feiger Abhängigkeit von Ärzten
und Praktiken, nachdem der Sinn vom Leben, das Recht zum Leben verloren gegangen ist, sollte bei der Gesellschaft eine tiefe Verachtung nach sich ziehn.“63
Bezüglich der Aufgabe der Ärzte äusserte sich Nietzsche wie folgt:
61
[Tille] 1893, anonym erschienene Ausgabe, S. 138
Tille 1895, S. 140
63
Nietzsche [1988], Bd. 6, S. 134
62
31
„Eine neue Verantwortlichkeit schaffen, die des Arztes, für alle Fälle, wo das höchste
Interesse des Lebens, des aufsteigenden Lebens, das rücksichtsloseste Nieder- und
Beiseite-Drängen des entartenden Lebens verlangt – zum Beispiel für das Recht auf
Zeugung, für das Recht, geboren zu sein, für das Recht, zu leben.“64
Auf diesem Boden gedieh das Gedankengut der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, welches seinen Höhepunkt in der „Euthanasie“ im Nationalsozialismus fand.
2.4
Tötung auf Verlangen, Sterbehilfe sowie die Anfänge der Diskussion zur
„Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im deutschsprachigen Raum (ca.
1895-1933)
Zentral und umstritten für die Diskussion der oben genannten Thematik war §216 des
Reichsstrafgesetzbuchs von 1871:
„Ist jemand durch das ausdrückliche und bestimmte Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Gefängnis nicht unter drei Jahren zu erkennen.“
In Folge sei auf einige wichtige Figuren in dieser Diskussion eingegangen:
Adolf Jost (1875- unbekannt), Student der Philosophie, Mathematik und Physik in Göttingen,
veröffentlichte 1895 eine Schrift mit dem Titel „Das Recht auf den Tod“. Zu Beginn dieser
Schrift stellte Jost die Frage, ob es ein Recht auf den Tod gäbe und in welchen Fällen der
Tod sowohl für das Individuum als auch für die menschliche Gesellschaft wünschenswert
sei. Die „sowohl-als-auch-Formulierung“ von Jost wurde von Benzenhöfer im Werk „Der gute
Tod“ in erster Linie als Gewichtung der Problematik der unheilbar geistig oder körperlich
Kranken interpretiert und nicht als Legitimierung des Suizids.65
Zentral in der Argumentation von Jost wurde der Begriff „Wert des Lebens“. Er schrieb: „Der
Werth jedes Gegenstandes […] liegt in seiner Beziehung zur Freude oder zum Leide jedes
Menschen.“66 Der Wert eines Menschen liesse sich aus zwei Faktoren ableiten:
„Der erste Factor ist der Werth des Lebens für den betreffenden Menschen selbst, also die Summe von Freude und Schmerz, die er zu erfahren hat. Der zweite Factor ist
die Summe von Nutzen oder Schaden, die das Individuum für seine Mitmenschen
darstellt. Die Fragestellung für das Recht auf den Tod ist jetzt identisch mit der Frage:
‚Giebt es Fälle, in welchen beide Factoren negativ werden?’“67
64
Nietzsche [1988], Bd. 6, S. 134
Benzenhöfer 2009, S. 82f.
66
Jost 1895, S. 12
67
Jost 1895, S. 13
65
32
Jost untersuchte dann den „Wert des Lebens“ eines unheilbar Kranken, wobei er vor allem
der Gesellschaft Rechnung trug:
„Der Kranke consumiert eine beträchtliche Menge materieller Werthe, mehr als der
gesunde Mensch. Einer von ihnen, oder wenigstens mehrere zusammen absorbieren
die Arbeitskraft mehrerer Leute, die sie zu pflegen und zu warten haben, sie verbrauchen Nahrung und Arzneien etc.“68
Doch auch die „psychischen Einflüsse, die jeder Kranke, insbesondere der Unheilbare auf
seine Umgebung ausübt“, hielt Jost in der Regel für „unheilvolle“.69 Schliesslich kommt er
zum Schluss: „Im Falle der unheilbar Kranken […] trifft beides zusammen, das Mitleid und
das Interesse der Gesellschaft fordern den Tod“ und weiter:
„Es kann nach dem Vorhergehenden keinem Zweifel unterliegen, dass es thatsächlich Fälle giebt, in welchen mathematisch gesprochen, der Werth eines Menschenlebens negativ wird.“70
Zur Umsetzung seines Gedankenguts sah Jost die Lösung darin, dass der Staat den Ärzten
die „gesetzliche Tötung“ der Unheilbaren „gestatte“, sofern der Patient die Tötung verlange.
Zur Absicherung des Verfahrens sei eine rechtskräftige Dokumentation mit Diagnosestellung
des Arztes sowie der Willensäusserung des Patienten vor Zeugen zu erstellen.
Ernst Haeckel nahm 1904 in seinem Werk „Die Lebenswunder“ seine bereits 1870 noch zurückhaltend formulierten Ideen zur „Kindereuthanasie“ wieder auf: Die Tötung behinderter
Kinder wurde ausdrücklich gelobt. Argumentiert wurde damit, dass ein kindliches Gehirn keinem „menschlichen Geiste“ entspreche und daher nicht in den juristischen Bereich der Tötungsdelikte falle. Haeckel forderte nun auch konkret die Freigabe der Tötung unrettbar
Kranker „auf Verlangen“:
„Viele Kranke gehen dem sicheren Tode unter namenlosen Qualen entgegen. Sehr
viele von diesen armen Elenden warten mit Sehnsucht auf ihre ‚Erlösung vom Übel’
und sehnen sich das Ende ihres qualvollen Lebens herbei; da erhebt sich die wichtige
68
Jost 1895, S. 17
Jost 1895, S. 17
70
Jost 1895, S. 18
69
33
Frage, ob wir als mitfühlende Menschen berechtigt sind, ihren Wunsch zu erfüllen
und ihre Leiden durch einen schmerzlosen Tod abzukürzen.“71
Bejaht wurde diese Frage mit dem Hinweis auf den Gnadenstoss schwerkranker Tiere, wozu
wir das Recht, ja geradezu die Pflicht hätten.
Auf die Gedanken Haeckels bezüglich Zulässigkeit der Tötung unheilbar Kranker ohne deren
Einwilligung wird in dieser Arbeit nicht eingegangen. Wichtig festzuhalten ist jedoch, dass er
diese Aufgabe einer „Commission von zuverlässigen und gewissenhaften Ärzten“ auferlegen
wollte. Haeckel wurde zum Propagandisten der Freigabe der „Kindereuthanasie“, der Tötung
auf Verlangen und der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“.
Aufbauend auf den Schriften Haeckels wurde 1906 der „Deutsche Monistenbund“ gegründet,
dem zahlreiche Akademiker angehörten. Haeckel selbst hatte den Ehrenvorsitz inne. In der
von diesem Bund herausgegebenen Zeitschrift „Das monistische Jahrhundert“ erschien im
Mai 1913 ein Brief, den das Bundesmitglied Roland Gerkan eingesandt hatte und welcher
den Ausgangspunkt der monistischen „Euthanasie“-Debatte bildete:
Gerkan, ein junger Mann, der schwer lungenkrank war, stellte in diesem Brief einen
Gesetzentwurf zur Sterbehilfe zur Diskussion […]72:
„§1: Wer unheilbar krank ist, hat das Recht auf Sterbehilfe (Euthanasie).
§2: Die Feststellung des Rechtes auf Sterbehilfe wird durch ein Gesuch des Kranken
an die zuständige Gerichtsbehörde veranlasst.
§3: Auf Grund des Gesuches verfügt das Gericht eine Untersuchung des Kranken
durch den Gerichtsarzt im Verein mit zwei zuständigen Spezialisten. An der Untersuchung können auf Wunsch des Kranken auch weitere Ärzte teilnehmen. Diese Untersuchung hat nicht später als eine Woche nach Einreichung des Gesuchs zu erfolgen.
§4: Bei der Protokollierung des Untersuchungsbefundes ist anzugeben, ob nach der
wissenschaftlichen Überzeugung der untersuchenden Ärzten ein tödlicher Ausgang
der Krankheit wahrscheinlicher ist, als die Wiedererlangung dauernder Arbeitsfähigkeit.
§5: Wenn die Untersuchung die überwiegende Wahrscheinlichkeit eines tödlichen
Ausgangs ergibt, dann spricht das Gericht dem Kranken das Recht auf Sterbehilfe zu.
Im entgegengesetzten Fall wird das Gesuch des Kranken abschlägig beschieden.
§6: Wer einen Kranken auf dessen ausdrücklichen und unzweideutig kundgegebenen
Wunsch schmerzlos tötet, bleibt straflos, wenn dem Kranken nach §5 das Recht auf
71
72
Haeckel 1904, S. 131
Benzenhöfer 2009, S. 86
34
Sterbehilfe zugesprochen worden ist, oder wenn die nachträgliche Untersuchung
ergibt, dass er unheilbar krank war.
§7: Wer einen Kranken tötet, ohne dass dieser es ausdrücklich und unzweideutig gewünscht hat, wird mit Zuchthaus bestraft.
§8: Die §§1-7 finden auch auf Sieche und Verkrüppelte sinngemässe Anwendung.“73
Auf diesen Vorschlag Gerkans folgte eine lebhafte Diskussion bezüglich Sterbehilfe, die nicht
allein auf den „Monistenbund“ beschränkt blieb. Im Rahmen der Debatte erhielt der Brief Zustimmung wie auch Kritik. Insbesondere wies der Arzt Max Beer aus Barmen auf die Gefahr
eines „Dammbruchs“ hin:
„Dass das der erste Schritt sein würde, glaube ich auch, ob aber der letzte, erscheint
mir mindestens zweifelhaft. Ist einmal die Scheu vor der Heiligkeit des Lebens vermindert, die freiwillige Sterbehilfe für die geistig gesunden Unheilbaren und die unfreiwillige für die Geisteskranken eingeführt, wer steht dann dafür, dass man dabei
Halt macht?“74
Trotz der intensiv geführten Diskussion blieb §216 des RStGB von 1871 erhalten.
Zwei zentrale Figuren, die den Weg zu den Tötungspraktiken zur Zeit des Nationalsozialismus ebneten, waren Karl Binding (1841-1920, Professor des öffentlichen Rechts in Leipzig)
und Alfred Hoche (1865-1943, Ordinarius für Psychiatrie in Freiburg). Im Folgenden wird auf
die Inhalte ihres gemeinsamen Werks „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ (1920), die die zugrunde liegende Thematik dieser Arbeit streifen, eingegangen.
Binding äusserte sich im ersten Teil des Werks unter anderem zum Selbstmord wie folgt:
„Der so genannte Selbstmord war nach seiner [Bindings] Auffassung weder eine deliktische noch eine rechtmässige, sondern ‚eine rechtlich unverbotene Handlung‘ […],
die der Mensch als ‚Souverän über sein Dasein und die Art desselben‘ […] unverboten ausübe. Daraus ergebe sich aber, dass diese ‚Anerkennung‘ nur für den ‚Lebensträger‘ selbst gelte. Deshalb falle auch die Teilnahme am Selbstmord (Beihilfe) nach
geltendem Recht unter die Tötungsnorm und sei widerrechtlich, könne bzw. müsse
also unter Umständen bestraft werden. Deshalb sei auch die Tötung auf Verlangen
nach geltendem Recht ‚mit allerbestem Grunde‘ ein Delikt.“75
73
Gerkan 1913, S. 170/171
Beer 1914, S. 9
75
Benzenhöfer 2009, S. 89f.
74
35
Ganz anders sehe die Situation unheilbar Kranker aus, denen der Tod von der Krankheit
sicher und zwar bald bevor stehe. So falle „der Zeitunterschied zwischen dem infolge der
Krankheit vorauszusehenden und dem durch das unterschobene Mittel verursachten Tode
nicht in Betracht“.76 Der als „Euthanasie“ verstandene Vorgang sei rechtlich wie folgt anzusiedeln:
„Durch die ‚reine Heilhandlung‘[!] des Arztes werde an der ‚toddrohenden‘ Lage nichts
geändert ‚als die Vertauschung dieser vorhandenen Todesursache durch eine andere
von der gleichen Wirkung‘ […]. Dies war für Binding ‚keine Tötungshandlung im
Rechtssinne’. Demnach sei die Handlung ‚unverboten‘, auch wenn sie im Gesetz
(§216) nicht explizit als freigegeben erwähnt werde. Dabei komme es auf die Einwilligung des Verlangenden nicht an, auch momentan Bewusstlose könnten ‚Gegenstand
dieses heilenden Eingriffes sein‘.“77
Anhand von Bindings Ausführungen zerfielen die für die Freigabe der Tötung in Betracht
kommenden Menschen in drei Gruppen. Benzenhöfer fasst zusammen:
1. „Die erste Gruppe bestehe aus Menschen, ‚die zufolge Krankheit oder Verwundung
unrettbar Verlorenen, die im vollen Verständnis ihrer Lage den dringenden Wunsch
nach Erlösung besitzen und ihn in irgendeiner Weise zu erkennen gegeben haben‘
[…] In diesem Fall werde die Tat also sowohl durch die Einwilligung des Verlangenden als auch durch das Motiv des Mitleids ‚privilegiert‘, weshalb es – so Binding –
keinen Grund gebe, die Tötung für diese Gruppe nicht freizugeben. Er hielt die Freigabe für eine ‚Pflicht gesetzlichen Mitleids‘ […]. Unbedingt notwendig sei allerdings
die Ernstlichkeit der Einwilligung und die richtige Erkenntnis des Einwilligenden und
des Tötenden. Binding wollte also eine Revision des §216.
2. Die zweite Gruppe bestehe ‚aus unheilbar Blödsinnigen – einerlei ob sie so geboren
oder etwa wie die Paralytiker im letzten Stadium ihres Leidens so geworden sind‘
[…]. ‚Sie haben weder den Willen zu leben, noch zu sterben. So gibt es ihrerseits
keine beachtliche Einwilligung in die Tötung, andererseits stösst diese auf keinen Lebenswillen, der gebrochen werden müsste‘ […]. Er [Binding] sah nur Menschen, ‚die
das furchtbare Gegenbild echter Menschen bilden und fast in jedem Entsetzen erwecken, der ihnen begegnet‘ […]. Für ihn war also die Tötung dieser Menschen ebenfalls freizugeben, zwar nicht für jedermann, aber doch auf jeden Fall für die Angehörigen.
76
77
Binding 1920, S. 17
Benzenhöfer 2009, S. 90
36
3. Es gebe dann noch eine ‚Mittelgruppe‘, die der ‚geistig gesunden Persönlichkeiten,
die durch irgendein Ereignis, etwa sehr schwere, zweifellos tödliche Verwundung,
bewusstlos geworden sind, und die, wenn sie aus ihrer Bewusstlosigkeit noch einmal
erwachen sollten, zu einem namenlosen Elend erwachen würden‘ […]. Binding plädierte auch diesfalls für die Freigabe der Tötung, auch wenn eine Einwilligung nicht
vorliege. Eine Regelbehandlung für solche Fälle liesse sich jedoch nicht aufstellen.
Im schlimmsten Falle, wenn sich herausstellen würde, dass der Täter übereilt gehandelt habe, könne er wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden.“78
Im zweiten Teil des Werkes fanden sich „Ärztliche Bemerkungen“ von Hoche, worin er festhielt, dass die Ärzte es
„z.B. zweifellos als eine Entlastung ihres Gewissens empfinden [würden], wenn sie in
ihrem Handeln am Sterbebett nicht mehr von dem kategorischen Gebote der unbedingten Lebensverängerung eingeengt und bedrückt würden.“79
Hoche bejahte „mit Bestimmtheit“ die Frage, ob es Menschenleben gebe, die so stark die
Eigenschaft eines Rechtsgutes eingebüsst hätten, dass ihre Fortdauer für die Lebensträger
wie für die Gesellschaft dauernd allen Wert verloren habe. Er sah vor allem in Bindings zweiter Gruppe jene Menschen, die die Kriterien des „Wertverlustes“ erfüllten. Insbesondere die
Gruppe der „Frühverblödeten“ schlug Hoche zur Vernichtung vor und schuf den Begriff „Kategorie der Ballastexistenzen“:
„Die Frage, ob der für diese ‚Kategorien der Ballastexistenzen‘ nötige Aufwand gerechtfertigt sei, habe sich in den ‚verflossenen Zeiten des Wohlstandes nicht dringend
gestellt‘ […]. Doch jetzt sei die Lage ‚wie die der Teilnehmer einer schwierigen Expedition, bei welcher die grösste Leistungsfähigkeit aller die unerlässliche Voraussetzung für das Gelingen der Unternehmung bedeutet […]‘. Im letzten Abschnitt seiner
Ausführungen wurde Hoche dann noch prophetisch: ‚Eine neue Zeit wird kommen,
die von dem Standpunkte einer höheren Sittlichkeit aus aufhören wird, die Forderungen eines überspannten Humanitätsbegriffes und einer Überschätzung des Wertes
der Existenz schlechthin mit schweren Opfern dauernd in die Tat umzusetzen‘.“80
Die durch diese Schrift ausgelöste Kontroverse brachte erneut Zustimmung wie auch Kritik
ein. Die deutschen Ärzte wandten sich mehrheitlich gegen die Freigabe der „Vernichtung
78
Benzenhöfer 2009, S. 91f.
Hoche 1920, S. 50
80
Benzenhöfer 2009, S. 93
79
37
lebensunwerten Lebens“. Am „Deutschen Ärztetag“ 1921 in Karlsruhe wurde ein entsprechender Antrag zur „gesetzlichen Freigabe“ der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ nahezu einstimmig abgelehnt. Eugen Wauschkuhn (Berlin-Buch) schrieb 1922 in der „Psychiatrisch-neurologischen Wochenschrift“ mit Bezug auf das Buch von Binding/Hoche und auf
den Gesetzesentwurf von Borchardts von 1922:
„Man sieht, die Synthese von Arzt und Henker, die den Professoren schwante und die
der deutschen Kultur auf die Beine helfen soll, ist dem praktischen Borchardt spielend
geglückt […]. Vielleicht ist es erlaubt zu fragen, wie lange unsere Menschheitsbeglücker ihre Hinrichtungen mit ärztlichem Henker nur auf Geisteskranke beschränken
werden? Wann werden sie entdecken, dass Kriegsbeschädigte, Arbeitsinvalide, Blinde, Taubstumme, Tuberkulöse und Krebskranke nicht produktiv genug sind?“81
Auf die Euthanasie zur Zeit des Nationalsozialismus wird in dieser Arbeit nicht eingegangen,
da sie die Thematik der Beihilfe zum Suizid nicht beinhaltet. Vielmehr ging es in jener Zeit
darum, die gezielten Tötungen unter dem Begriff „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im
juristischen Rahmen zu legitimieren. Von einer „Tötung auf Verlangen“ geschweige denn
einer „Beihilfe zum Suizid“ kann keine Rede sein.
2.5
Zur Diskussion um „Euthanasie“ und Sterbehilfe im deutschsprachigen
Raum (1945 bis ca. 1980)
Dominierend nach 1945 war die Aufarbeitung der „NS-Euthanasie“, auf die aus oben genannten Gründen nur punktuell eingegangen wird. Erwähnenswert ist die Ärztin Alice PlatenHallermund (1910-2008), welche 1948 das Buch „Die Tötung Geisteskranker in Deutschland“
herausgab, gestützt auf Beobachtungen aus den Prozessen der Angeklagten der „NSEuthanasie“-Verbrechen. Platen-Hallermund hielt darin fest, dass der Arzt nur die Aufgabe
habe, Krankheiten zu heilen oder Leiden zu lindern, jedoch nicht die, Richter über Leben und
Tod zu sein. Sie lehnte entsprechend entschieden Forderungen nach „Euthanasie mit Einwilligung“ ab, wie sie ca. 1947 von amerikanischen Ärzten gestellt worden waren.
„Diese freiwillige Euthanasie, die als so human gepriesen wird, kann nur dort vertreten werden, wo ein flacher Eudaimonismus82 die wirklichen Grundlagen des
Menschseins erschüttert hat und der Mensch von Tod und Leiden nichts wissen
will.“83
81
Wauschkuhn 1922/23, S. 217
Der Eudaimonismus ist eine philosophische Lehre oder Haltung aus dem Bereich der Ethik, welche
die Eudaimonie, d. h. das Glück, das gelingende oder das schöne Leben als Ziel allen Strebens betrachtet (aus Wikipedia, Eudämonismus).
83
Platen-Hallermund 1993, S. 10
82
38
Die weitere Diskussion um „Euthanasie“ und Sterbehilfe wurde in den 50er und 60er Jahren
durch die Entwicklung der Intensivmedizin geprägt. Die zentrale Errungenschaft der Intensivmedizin war die optimierte Reanimationstechnik mit Mund-zu-Mund-Beatmung, extrathorakaler Herzmassage und elektrischer Defibrillation. Bereits bestehende Behandlungsmethoden wurden verfeinert und verbessert (Infusion von Blutersatzmitteln; Beatmungsgeräte,
welche eine Langzeitbeatmung ermöglichten). Einhergehend mit diesen medizinischen Neuerungen nahm seit Ende der 50er Jahre die Zahl der Publikationen zu ethischen Fragen der
Reanimation und Lebensverlängerung inklusive Sterbehilfe stetig zu. Im deutschsprachigen
Raum bildete sich einen Konsens heraus, dahingehend, dass die Nichtaufnahme bzw. der
Abbruch einer Intensivtherapie unter bestimmten Umständen zulässig sei. Jedoch wurde bis
in die 70er Jahre kaum für eine „aktive Sterbehilfe“ argumentiert. Diese Diskussion entzündete sich erst an einem Prozess, der 1973 in den Niederlanden geführt wurde:
„Im Februar 1973 musste sich die Ärztin G. Postma-van Boven aus Noordwolde vor
einem Gericht in Leeuwarden verantworten. Sie hatte im Oktober 1971 ihre 78-jährige
Mutter, die nach einem Schlaganfall teilweise gelähmt war und in einem Heim gepflegt wurde, auf deren Bitte durch die Injektion von 200mg Morphin getötet. Die Ärztin wurde zu einer eher symbolischen Strafe von einer Woche Freiheitsentzug auf
Bewährung verurteilt. […]
Einflussreiche deutsche Journalisten, offenkundig durchweg mit Sympathien für die
‚aktive Sterbehilfe‘, versuchten, im Zuge ihrer Berichterstattung über diesen Fall, die
‚Euthanasie‘-Diskussion in Deutschland zu ‚enttabuisieren‘ und eine ‚neue Euthanasie-Debatte‘ einzuleiten. […]
Zunächst erschien am 5.2.1973 ein (namentlich nicht gezeichneter) kurzer Artikel im
‚Spiegel‘84. Im ‚Aufmacher‘ hiess es, dass die holländische Ärztin ‚ihre todkranke [...]
Mutter mit Morphium erlöste [...]‘. Im Artikel wurde pflichtschuldig darauf hingewiesen,
dass in der Bundesrepublik diesbezüglich die Rechtslage eindeutig sei, ‚Sterbehilfe‘
dieser Art sei vorsätzliche Tötung. In einer seltsamen Denkbewegung fuhr der Verfasser dann fort: ‚Für deutsche Nachkriegsmediziner ist das Thema Euthanasie wegen der grausamen Verzerrung des Begriffs vom guten Tod durch NS-Ärzte ohnedies
[...] tabu, obwohl Krankenhausärzte auch hierzulande täglich mindestens mit dem
Problem des indirekten oder passiven Gnadentods konfrontiert sind.‘ Als einer der
wenigen deutschen Ärzte, die ‚das beim Namen nennen‘, wurde der Bonner Neurochirurg Peter Röttgen genannt, der für Patienten, die ‚ohne Bewusstsein unrettbar
84
[Anonym] 1973, S. 74. Alle Zitate im laufenden Text wurden dieser Seite des „Spiegels“ entnommen.
39
dahindämmern [...]‘, das ‚Recht zu sterben‘ fordere. Was Röttgen genau darunter
verstand, wurde nicht geklärt. […]
Im ‚Stern‘ vom 15.2.1973 erschien ein Bericht von Peter Grubbe mit dem reisserischen Titel ‚Sterbehilfe. 200 Milligramm Morphium in die Vene.‘85 […] Seit die moderne Medizin aber nicht nur das Leben, sondern auch das Leiden der Menschen verlängern könne, würden sich Ärzte und Patienten fragen, ‚ob das richtig ist‘ […]. In
Deutschland sei ‚eine offene Diskussion dieser Frage durch Erinnerungen [...] an die
Nazis belastet, die viele Tausend Menschen ermorden liessen [...], weil sie ihnen
nicht ‚lebenswert’ erschienen‘ […]. Der aus diesem Artikel zu gewinnende Eindruck,
dass der ‚Stern‘ im Hinblick auf die ‚aktive Sterbehilfe‘ durchaus permissiv eingestellt
war, wurde noch verstärkt durch einen Kommentar von Sebastian Haffner mit dem Titel ‚Ein Recht auf den Tod‘.86 Der Publizist plädierte, auch wenn er auf Gegenargumente hinwies, letztlich doch für die Freigabe der ‚aktiven Sterbehilfe‘ auf Verlangen:
‚[…] wenn ein für allemal ganz klargemacht wird, dass die Entscheidung bei ihm [dem
Patienten] liegt und nicht beim Arzt – warum dann eigentlich nicht Euthanasie? Mir
scheint, das Recht auf einen leichten Tod ist ein Menschenrecht.‘87 […]
Ob es die Wirkung dieser Veröffentlichungen von ‚Avantgardisten‘ war oder ob sich
einfach der ‚Zeitgeist‘ verändert hatte (und die zitierten Veröffentlichungen nur den
veränderten ‚Zeitgeist‘ widerspiegelten), ist unklar, doch laut einer EMNID-Umfrage
stimmten im Mai 1973 52% der befragten Erwachsenen in Deutschland für den ‚Gnadentod auf Wunsch’.“ 88
2.5.1
„Ärztliche Richtlinien“ mit Ausblick
Ende Januar 1976 tagte in Strassburg die Parlamentarische Versammlung des Europarates,
welche sich mit dem Thema der „Rechte der Kranken und Sterbenden“ auseinandersetzte89.
In der von der Versammlung ausgearbeiteten Empfehlung wurde festgehalten,
„dass seit einiger Zeit allgemeine Übereinstimmung darüber herrsche, dass die Ärzte
in erster Linie den Willen der kranken Menschen respektieren sollten. Die Verlängerung des Lebens ‚als solches‘ dürfe nicht ausschliessliches Ziel der medizinischen
Praxis sein. Der Arzt habe aber ‚kein Recht, den natürlichen Verlauf des Sterbens
absichtlich zu beschleunigen‘.“90
85
Grubbe 1973, S. 126-128
Haffner 1973, S. 128
87
Haffner 1973, S. 128
88
Benzenhöfer 2009, S. 126-128
89
Verhandlungen des Deutschen Bundestages [1976], S. 27-29 und S. 31f.
90
Benzenhöfer 2009, S. 129
86
40
Die Regierungen der einzelnen Ländern wurden aufgefordert, sich zu diesem Thema Gedanken zu machen und Kommissionen zu bilden, welche „ethische Grundsätze für die Behandlung von Sterbenden“ und „ärztliche Richtlinien für die Anwendung von aussergewöhnlichen Massnahmen zur Verlängerung des Lebens“ diskutieren und festlegen sollten.
Diese Empfehlung wurde zunächst in der Schweiz von der Schweizerischen Akademie der
Medizinischen Wissenschaften (SAMW) umgesetzt. 1976 wurde die „Richtlinie für die Sterbehilfe“ veröffentlicht. Es handelt sich um die von der SAMW veröffentlichte 3. Richtlinie
überhaupt (nach „Definition und die Diagnose des Todes“ 1969 und „Forschungsuntersuchungen am Menschen“ 1970).
„Darin [Richtlinie für die Sterbehilfe 1976] hiess es, dass der Arzt den Willen des urteilsfähigen Patienten zu respektieren habe. Beim bewusstlosen oder sonst urteilsunfähigen Patienten sei nach ‚medizinischen Indikationen‘ im Sinne einer Geschäftsführung ohne Auftrag vorzugehen. Hinweise auf den mutmasslichen Willen des Patienten seien zu berücksichtigen. Wichtig war der folgende Passus: ‚Beim Sterbenden,
auf den Tod Kranken oder lebensgefährlich Verletzten
– bei dem das Grundleiden mit infauster Prognose einen irreversiblen Verlauf genommen hat und
– der kein bewusstes und umweltbezogenes Leben mit eigener Persönlichkeitsgestaltung wird führen können
lindert der Arzt die Beschwerden. Er ist aber nicht verpflichtet, alle der Lebensverlängerung dienenden therapeutischen Möglichkeiten einzusetzen.‘
Damit war die ‚passive Sterbehilfe‘ bei bestimmten Patienten zulässig. Auf die Strafbarkeit der ‚aktiven Sterbehilfe‘ wurde ausdrücklich hingewiesen.“91
Drei Jahre später, im April 1979 wurde von der deutschen Bundesärztekammer ebenfalls
eine „Richtlinie für die Sterbehilfe“ verabschiedet, welche sich eng an jene Richtlinie der
SAMW anlehnte.
91
Benzenhöfer 2009, S. 129
41
3 Die Suizidbeihilfe – eine ärztliche Tätigkeit? Die Diskussion der
Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften
von 1995-2004
3.1
Wer ist die SAMW und was tut sie?
Im Jahre 1943 gründeten die fünf Medizinischen und die zwei Veterinärmedizinischen Fakultäten zusammen mit der Verbindung der Schweizer Ärzte FMH die Stiftung Schweizerische
Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) mit folgenden Zielen und Schwerpunkten92:
-
die Klärung ethischer Fragen im Zusammenhang mit medizinischen Entwicklungen
und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft;
-
eine umfassende Reflexion über die Zukunft der Medizin;
-
Engagement in der Hochschul-, Wissenschafts- und Bildungspolitik, verbunden mit
einer Experten- bzw. Beratungstätigkeit zuhanden von Politik und Behörden;
-
Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, insbesondere in der klinischen
Forschung;
-
Die Unterstützung der hohen Forschungsqualität in der biomedizinischen und klinischen Forschung;
-
Die Verbindung der wissenschaftlichen Medizin mit der Praxis.
Gemäss ihrem Leitbild strebt die SAMW nach einem Dialog zwischen Medizin und gesellschaftlichem Umfeld mit entsprechender Würdigung neuer Entwicklungen. Die zentrale Aktivität der medizinischen Fachpersonen beinhaltet die Versorgung der gesundheitlichen Bedürfnisse der Patienten nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, reflektiertem Erfahrungswissen und ethischen Prinzipien. Die Forschung wird als unerlässlicher Bestandteil einer fortgeschrittenen, wissenschaftlich fundierten Medizin angesehen.
Die SAMW hat sich entsprechend ihren Leitgedanken zur Aufgabe gemacht, eine hohe Qualität in der Medizin zu unterstützen, den Nachwuchs insbesondere in der klinischen Forschung zu fördern, die Früherkennung neuer wissenschaftlicher Entwicklungen voranzutreiben und sich für eine rasche Umsetzung gesicherter Erkenntnisse in die Praxis einzusetzen.
Als oberstes Organ der Akademie fungiert der Senat, der sich aus Ehren-, Einzel- und korrespondierenden Mitgliedern, den Vertretern der Gründerfakultäten, der Verbindung Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH, der Medizinischen Fachgesellschaften sowie weiteren Organisationen zusammensetzt.
92
www.samw.ch; Auftrag und Organisation
42
Zweimal im Jahr tritt der Senat zusammen. Die aktuellen Geschäfte sowie die Durchführung
der vom Senat gefassten Beschlüsse werden vom Vorstand kontrolliert und betreut. Ebenfalls obliegt dem Vorstand die Aufgabe der Ausarbeitung und Genehmigung von Stellungsnahmen und Positionspapieren. Der Vorstand bildet sich aus dem Stiftungspräsidenten, zwei
Vizepräsidenten, dem Quästor, dem Präsidenten FMH, dem Präsidenten der ZEK und zwei
bis sieben Beisitzenden. Er trifft sich mindestens viermal jährlich. Das Generalsekretariat,
bestehend aus dem Generalsekretär, ist direkt dem Präsidenten unterstellt und kümmert sich
vor allem um die administrativen Arbeiten. Die Kontrollstelle besteht aus zwei ordentlichen
Rechnungsrevisoren und zwei Suppleanten. Sie überprüfen das gesamte Rechnungswesen
der Akademie und ihrer Kommissionen. Im Rahmen des Forschungsgesetzes wird die
SAMW vom Bund subventioniert. Weitere finanzielle Mittel kommen aus Fondserträgen und
durch Zuwendungen Dritter.
Weitere Stiftungsorgane sind die Kommissionen und deren Subkommissionen. Kommissionen werden zur Ausführung bestimmter Aufgaben vom Senat zusammengestellt und eingesetzt, bearbeiten ihre Aufgabe jedoch selbständig. Sie müssen einmal jährlich über ihre Tätigkeit Rechenschaft ablegen. Sämtliche Kommissionsberichte werden im Jahresbericht der
Akademie veröffentlicht. Aktuell unterhält die SAMW folgende 12 Kommissionen93:
-
Beratende Kommission für die Umsetzung der Richtlinien „Zusammenarbeit Ärzteschaft-Industrie“
-
Begutachtungskommission des Bing-Preises, des Ott-Fonds und des Alzheimer-&
Depressions-Fonds
-
Biomedizinische Bibliotheken
-
Begleitkommission Qualitätsempfehlungen
-
Ethikkommission für Tierversuche
-
Fluor- und Jodkommission
-
Käthe-Zingg-Schwichtenberg-Fonds
-
Expertenkommission des Dr. med. – und Dr. phil.-Programm
-
Expertenkommission RRMA94
-
Schweizerische Stiftung für Medizinisch-Biologische Stipendien (SSMBS)
-
Zentrale Ethikkommission (ZEK)
Für die vorliegende Arbeit ist die Arbeit der ZEK relevant, weshalb diese Kommission etwas
genauer vorgestellt wird.
Die ZEK antizipiert und diskutiert ethische Probleme der Medizin, verfasst Stellungnahmen
zu entsprechenden Themen, fördert den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit mit
verwandten Institutionen und erarbeitet ethische Richtlinien und Empfehlungen als Hilfestel93
94
www.samw.ch/de/Portraet/Kommissionen; November 2010
Commission „Recherche et réalisation en médecine appliquée“
43
lung für die medizinische Praxis oder die biomedizinische Forschung. Diese Richtlinien werden in der Regel in die Standesordnung der FMH aufgenommen und dadurch für
FMH-Mitglieder verbindlich. Die Empfehlungen werden in regelmässigen Abständen überprüft und revidiert. Hierzu werden Subkommissionen gebildet, in denen Vertreter aller entsprechenden Fach- und Meinungsrichtungen ausgewogen einbezogen werden.
So existieren in der Schweiz nicht nur diese bereits erwähnten ersten drei Richtlinien („Definition und die Diagnose des Todes“ 1969; „Forschungsuntersuchungen am Menschen“ 1970;
„Richtlinie für die Sterbehilfe“ 1976). Im Rahmen der technischen Fortschritte, insbesondere
der Intensivmedizin, wurden spezifische Richtlinien betreffend einzelner Patientengruppen
ausgearbeitet, die sich alle in gewisser Weise mit der Selbstbestimmung des Patienten oder
mit Grenzsituationen am Ende des Lebens befassen.
Die aktuell gültigen Richtlinien der SAMW (Stand November 2010), welche die Thematik der
Sterbehilfe beinhalten oder streifen, sind95:
Patientenverfügungen (2009)
Reanimationsentscheidungen (2008)
Medizinische Behandlung und Betreuung von Menschen mit Behinderung (2008)
Palliative Care (2006)
Recht der Patientinnen und Patienten auf Selbstbestimmung (2005)
Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende (2004)
Behandlung und Betreuung von zerebral schwerst geschädigten Langzeitpatienten (2003)
Grenzfragen der Intensivmedizin (1999)
Die „Richtlinie für die Sterbehilfe“ von 1976 wurde bereits mehreren Überarbeitungen unterzogen: 1981 erfolgte eine komplett überarbeitete Auflage, 1989 eine Neuauflage mit kleinen
Änderungen. Aufgrund der hohen Komplexität und anhaltenden Kontroversen wurde die
Thematik in der Folge konkreter eingegrenzt: „Ärztliche Betreuung sterbender und zerebral
schwerst geschädigter Patienten“ 1995, welche 2003 abgelöst wurde durch „Behandlung und
Betreuung von zerebral schwerst geschädigten Langzeitpatienten“ und ergänzend 2004 „Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende“.
So hiess es in den ärztlichen Ausführungen der „Richtlinie für die Sterbehilfe“ 1976 der
SAMW noch:
„[…] Er [der Patient] ist ein in Todesgefahr Schwebender, und es versteht sich von
selbst, dass stets die Lebenserhaltung und wenn möglich die Heilung anzustreben ist.
95
Sämtliche aktuelle medizinisch-ethische Richtlinien finden sich auf:
www.samw.ch/de/Ethik/Richtlinien/Aktuell-gueltige-Richtlinien.html
44
In solchen Fällen hat der Arzt diejenigen Hilfsmittel einzusetzen, die ihm zur Verfügung stehen und geboten erscheinen. Diesen Patienten zu behandeln, ist Lebenshilfe
und keine Sterbehilfe.“96
Wie oben bereits erwähnt, wurde – auch bei bestehendem Wunsch des Patienten – auf die
Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe hingewiesen.
Dieses Gedankengut wurde in der Überarbeitung der Richtlinie 1981 grundsätzlich übernommen. Neu war 1981, dass das Pflegepersonal, d.h. also nicht-ärztliche Personen, in die
Richtlinie mit einbezogen wurde. Ebenfalls wurde in der neuen Richtlinie der Wille des Patienten stärker gewichtet. So wurde darauf hingewiesen, dass der Wille des urteilsfähigen Patienten, nach dessen umfassender Aufklärung, zu respektieren sei, auch wenn er sich nicht
mit der medizinischen Indikation decke.
In der erneuten Überarbeitung von 2004 „Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende“ wurde die Respektierung des Willens des urteilsfähigen Patienten als zentral für
das ärztliche Handeln dargestellt. So lautet einer der ersten Punkte „Recht auf Selbstbestimmung“. Die Aufgabe des Arztes und des Pflegepersonals wurde definiert als das Lindern
von Leiden und den Erhalt einer bestmöglichen Lebensqualität. Als 4. Punkt wurde die Thematik „Grenzen des ärztlichen Handelns“ aufgenommen. Unter diesem Punkt findet sich ein
Abschnitt „Beihilfe zum Suizid“, dessen Entstehung und Kontroverse das Kernstück dieser
vorliegenden Arbeit ausmachen.
96
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften 1976, S. 3
45
Abbildung 1: Organisation der SAMW
46
3.2
Die aktuelle Situation der Suizidbeihilfe in der Schweiz (November 2010)
2004 wurde in der heute noch gültigen Richtlinie „Betreuung von Patientinnen und Patienten
am Lebensende“ festgehalten:
„Gemäss Art. 115 des Strafgesetzbuches ist die Beihilfe zum Suizid straflos, wenn sie
ohne selbstsüchtige Beweggründe erfolgt. Dies gilt für alle Personen.
Die Rolle des Arztes besteht bei Patienten am Lebensende darin, Symptome zu lindern
und den Patienten zu begleiten. Es ist nicht seine Aufgabe, von sich aus Suizidbeihilfe
anzubieten, sondern er ist im Gegenteil dazu verpflichtet, allfälligen Suizidwünschen
zugrunde liegende Leiden nach Möglichkeit zu lindern.
Trotzdem kann am Lebensende in einer für den Betroffenen unerträglichen Situation der
Wunsch nach Suizidbeihilfe entstehen und dauerhaft bestehen bleiben.
In dieser Grenzsituation kann für den Arzt ein schwer lösbarer Konflikt entstehen. Auf
der einen Seite ist die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit, weil sie den
Zielen der Medizin widerspricht. Auf der anderen Seite ist die Achtung des Patientenwillens grundlegend für die Arzt-Patienten-Beziehung. Diese Dilemmasituation erfordert eine persönliche Gewissensentscheidung des Arztes. Die Entscheidung, im Einzelfall Beihilfe zum Suizid zu leisten, ist als solche zu respektieren. In jedem Fall hat der Arzt das
Recht, Suizidbeihilfe abzulehnen. Entschliesst er sich zu einer Beihilfe zum Suizid, trägt
er die Verantwortung für die Prüfung der folgenden Voraussetzungen:
–
Die Erkrankung des Patienten rechtfertigt die Annahme, dass das Lebensende
nahe ist.
–
Alternative Möglichkeiten der Hilfestellung wurden erörtert und soweit gewünscht
auch eingesetzt.
–
Der Patient ist urteilsfähig, sein Wunsch ist wohlerwogen, ohne äusseren Druck
entstanden und dauerhaft. Dies wurde von einer unabhängigen Drittperson überprüft, wobei diese nicht zwingend ein Arzt sein muss.
Der letzte Akt der zum Tode führenden Handlung muss in jedem Fall durch den Patienten selbst durchgeführt werden.“97
In der Schweiz ist Beihilfe zum Suizid (dies gilt für Ärzte und nicht-ärztliches Personal) straflos, wenn sie nicht aus selbstsüchtigen Beweggründen geschieht. Gesundheitliche Probleme
des Sterbewilligen sind laut Gesetz (Strafgesetzbuch Art. 115) keine zwingend notwendige
97
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Betreuung von Patientinnen und
Patienten am Lebensende 2004, S. 6
47
Voraussetzungen, ebenso wenig der Einbezug eines Arztes. Zentrale Themen waren entsprechend in den letzten Jahren nicht nur der ärztlich-assistierte Suizid, sondern auch die
wiederholt in die Schlagzeilen geratenen Sterbehilforganisationen „Exit“ und „Dignitas“.
3.2.1
Die beiden Sterbehilfeorganisationen der Schweiz: EXIT und DIGNITAS
„Exit“ wirbt auf seiner Webseite mit dem Titel: „Exit – Selbstbestimmung im Leben und im
Sterben“ 98. Die Gründung erfolgte am 3. April 1982 in Form eines Vereins. Der Mitgliederbeitrag beträgt 45 sFr. jährlich oder 900 sFr. als Mitglied auf Lebenszeit. Um eine kostenlose
Freitodbegleitung in Anspruch nehmen zu können, ist mindestens eine 3-jährige Mitgliedschaft notwendig, ansonsten werden Kosten im Rahmen des Mitgliederbeitrags auf Lebenszeit erhoben. „Exit“ bietet zudem Dienstleistungen im Rahmen der Unterstützung zur Durchsetzung einer Patientenverfügung, Schutz in medizinischen Grenzsituationen und diverse
Beratungen an. Des Weiteren setzt sich der Verein politisch für eine liberalere Gesetzgebung
im Bereich der Freitodhilfe ein. Obwohl das Gesetz für den Freitod einzig die Urteils99- und
Handlungsfähigkeit voraussetzt, sowie die Wohlerwogenheit und Konstanz des Sterbewunsches ohne Beeinflussung durch Dritte, begleitet „Exit“, gemäss Statuten, nur Menschen mit
hoffnungsloser Prognose, unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung. Die
Sterbewilligen müssen „Exit“-Vereinsmitglied, mindestens 18 Jahre alt sein und ihren Wohnsitz in der Schweiz haben. Unter speziellen Bedingungen und strengen Auflagen ist auch
eine Freitodbegleitung für Menschen mit psychischen Leiden möglich.
„Dignitas“ wurde am 17. Mai 1998 von Ludwig A. Minelli gegründet, ist ebenfalls als Verein
organisiert und hat in seiner Webseite das Ziel „Menschenwürdig leben – Menschenwürdig
sterben“ formuliert100. Mit einer einmaligen Eintrittsgebühr von 200 sFr. und einem jährlichem
Mitgliederbeitrag von mindestens 80 sFr. wird das Mitglied in der Durchsetzung seines Willens unterstützt. Die Unterstützung beschränkt sich – wie bei „Exit“ – nicht nur auf die Sterbebegleitung.
„Dignitas“ gelangte wiederholt negativ in die Schlagzeilen, da die Sterbebegleitungen in eigens dafür gemieteten Wohnungen stattfanden und auch für ausländische Klienten zu erlangen waren, was zu einer Art „Sterbetourismus“ führt(e).
98
www.exit.ch (Stand Oktober 2010)
Urteilsfähigkeit im Sinne dieses Gesetzes ist ein jeder, dem nicht wegen seines Kindesalters oder
infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit oder ähnlichen Zuständen die Fähigkeit
mangelt, vernunftgemäss zu handeln. Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Art. 16.
100
www.dignitas.ch (Stand Oktober 2010)
99
48
3.3
Grundgedanken zur Diskussion in der Schweiz für die Überarbeitung der
Sterbehilferichtlinie der SAMW von 1995
In der „Medizinisch-ethischen Richtlinie für die ärztliche Betreuung sterbender und zerebral
schwerst geschädigter Patienten“ von 1995 unter Abschnitt 2.2 „Urteilsfähiger Patient“ ist zu
lesen:
„Beihilfe zum Suizid ist keine ärztliche Tätigkeit. Der Arzt bemüht sich die körperlichen
und seelischen Leiden, die einen Patienten zu Suizidabsichten führen können, zu lindern und zu ihrer Heilung beizutragen.“ 101
Entsprechend der Richtlinie von 1995 beinhaltete die Grundsatzdiskussion für die neue
Richtlinie denn auch die zentrale Frage: Ist Beihilfe zum Suizid mit dem ärztlichen Ethos zu
vereinbaren? Weiter wurde die Frage aufgeworfen, ob prinzipielle ethische Überlegungen zur
Entscheidung dieser Frage reichten oder ob nicht von der Praxis ausgegangen und eine realistische Regelung innerhalb strenger Grenzen gesucht werden muss und ob überhaupt eine
Notwendigkeit bestehe, ein bestehendes Gesetz (StGB Art. 115) für Ärzte zu „kommentieren“. Die Richtlinie wurde im Rahmen einer Subkommission der ZEK von interdisziplinär zusammengesetzten Mitgliedern in einem zweieinhalbjährigen Prozess erarbeitet. Dabei war
die Ärzteschaft durch sieben Experten unterschiedlicher Fachdisziplinen vertreten, zwei Personen der Pflege sowie je eine Person aus den Disziplinen Recht, Psychologie, Seelsorge
und Ethik.
Ausgangspunkt für die Diskussion war StGB Art. 115:
„Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord: Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen
jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der
Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder
mit Gefängnis bestraft.“
Der Gesetzesartikel lässt offen, wer hilft und aus welchen Motiven geholfen wird (einziger
Ausschluss: selbstsüchtige Beweggründe). Entsprechend darf auch ein Arzt Suizidbeihilfe
leisten. Über die moralische Bewertung wird damit nichts ausgesagt. Die Notwendigkeit dieses Gesetz zu „kommentieren“ wurde darum gesehen, weil es zu weit gefasst sei. Hingewiesen wurde insbesondere auf den Unterschied zwischen einem moralisch-richtigen Verhalten
und einem nicht-strafbaren Verhalten, was für jeden Arzt zur Folge habe, für sich das grobmaschige Gesetz zu interpretieren. Unterschieden werden musste zudem, ob die Interpretation im Rahmen einer spezifischen Standesethik erfolgen sollte oder ob ärztliches Handeln in
101
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften 1995, S. 2
49
einem gesamtgesellschaftlichen Kontext richtig sein muss. Aufgrund eines Gerichtsfalles im
Tessin (Missbrauch einer Patientin), welcher mit einem Freispruch endete, kam die Subkommission „Sterbehilfe“ zum Schluss, dass die aufgeworfenen Fragen im Rahmen des beruflichen Ethos beantwortet werden müssen.
„Das (allgemein) als gut und richtig Erkannte muss für Ärzte ausformuliert werden in
denjenigen Bereichen, welche ihre Arbeit betreffen (also z.B. Vertrauensverhältnis
Arzt-Patientin).“102
3.4
Die ärztlichen Aufgaben
Die generellen ärztlichen Hauptaufgaben wurden wie folgt festgehalten: Prävention, Heilung,
Linderung und Begleitung. Die Suizidbeihilfe wurde eindeutig nicht als Teil des ärztlichen
Handelns im Sinne der erwähnten vier Hauptaufgaben gesehen. Jedoch wurde festgehalten,
dass Suizidbeihilfe aufgrund eines Gewissensentscheids eine menschliche Handlung sein
kann, die auch von einem Arzt ausgeführt werden kann.
Rasch wurde klar, dass bei einer Bejahung der Suizidbeihilfe durch Ärzte auf verschiedene
Gefahren wie die der „Monopolisierung“ („Medikalisierung des Todes“), der Konfliktentstehung mit den ärztlichen Bemühungen um die Suizidprävention und einer negativen Ausweitung in der Interpretation von „unerträglichem Leiden/Schmerz“ bis zum „existentiellen Leiden“ hingewiesen werden muss. Die Aufgabe der SAMW wurde in der Übernahme einer
„Barriere-Funktion“ gesehen. Eine gewisse Lockerung der ursprünglich vertretenen SAMWPosition (Suizidbeihilfe ist keine ärztliche Tätigkeit), jedoch unter strengsten Bedingungen,
wurde somit denkbar:
„Beihilfe zum Suizid kann unter bestimmten Bedingungen nachvollziehbar sein, es ist
aber nicht Teil der ärztlichen Kernaufgaben (Ziele), sondern die Beihilfe erfolgt aus
menschlicher Empathie […].“103
Ebenfalls wurde darauf hingewiesen, dass die Beihilfe zum Suizid nur in Einzelfällen moralisch zu rechtfertigen sei, jedoch nicht als allgemein anerkannte Praxis in Heimen, Spitälern
und bei Hausärzten. Anhand der Schwierigkeit der Beurteilung von existentiellem Leiden
wurde gezeigt, dass es sich hier wesentlich um ein gesellschaftliches und nicht (allein) medizinisches Problem handelt und daher auch von der Gesellschaft „gelöst“ werden muss.
102
103
Protokoll der 4. Sitzung der Subkommission ‚Sterbehilfe’; 05.11.2002, S. 2
Protokoll der 4. Sitzung der Subkommission ‚Sterbehilfe’; 05.11.2002, S. 2
50
Im August 2002 konnte in Bezug auf die ärztliche (ethische) Haltung zur Suizidbeihilfe eine
Bandbreite zwischen ablehnender und Kompromissposition der Subkommission „Sterbehilfe“
beobachtet werden, wobei sich zwei „Grundströmungen“ zeigten:
Für einen Teil der Mitglieder war die Notwendigkeit einer „Regelung“ in den Richtlinien zwingend, damit die Suizidbeihilfe der Halbillegalität enthoben und damit besser „kontrollierbar“
wird; andere befürchteten, dass eine „Regelung“ als Aufforderung missverstanden werden
könnte. Einstimmigkeit bestand soweit, dass eine Formulierung gefunden werden müsse, die
dem Dilemma dieser beiden „Grundströmungen“ Rechnung trage, sowie dass eine Suizidbeihilfe ohne vertrautes Arzt-Patientenverhältnis und ohne umfassende Abklärung der Urteilsfähigkeit auf keinen Fall erfolgen dürfe. Ebenfalls klar war, dass kein Arzt auf Wunsch
des Betroffenen zur Suizidbeihilfe gezwungen werden kann, was unter dem Kapitel „Autonomie des Patienten“ diskutiert wurde:
„[…] ein Arzt kann nicht gezwungen werden, gegen seinen Willen eine aus seiner
Sicht unsinnige Intervention zu unternehmen, die Verpflichtung jedoch, auf Wunsch
des Betroffenen auf eine aus seiner Sicht sinnvolle Intervention zu verzichten, ist verbindlich […].“104
3.5
Politische Vorstösse zum Thema der Sterbehilfe
Auf politischer Ebene in der Schweiz wurde 1994 vom Nationalrat Victor Ruffy eine Motion
eingereicht, die eine Änderung von Art. 115 (Beihilfe zum Suizid) forderte, welche die aktive
Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen straflos erklären sollte. In der Folge wurde vom
Bundesrat 1997 eine „Expertengruppe Sterbehilfe“ (präsidiert von Alt-Ständeratspräsidentin
Josy Meier, Luzern) eingesetzt, die 1999 in einem Bericht drei Forderungen veröffentlichte:
1) Förderung der Palliativpflege in der Schweiz
2) Gesetzliche Regelung der passiven und der indirekt aktiven Sterbehilfe (palliative
Massnahmen, v.a. Analgesie, bei denen als Nebenwirkung ein rascheres Eintreten
des Todes in Kauf genommen wird)
3) Ergänzung von Art. 114 (Tötung auf Verlangen): auf eine Strafverfolgung kann verzichtet werden, wenn der Täter eine todkranke Person auf ihren dringlichen Wunsch
hin tötet (Mehrheitsmeinung; eine Minderheit war gegen die aktive Sterbehilfe).
Der Bundesrat übernahm in seiner Antwort vom 5. Juli 2000 die Minderheitsmeinung.
Im September des gleichen Jahres reichte Nationalrat Franco Cavalli eine parlamentarische
Initiative ein, die vom Bundesrat die Regelung der aktiven Sterbehilfe gemäss dem Mehrheitsvorschlag der Expertengruppe unter Einbezug der neu konstituierten nationalen Ethikkommission forderte. Im März 2001 verlangte Nationalrätin Dorle Vallender in einer parla-
104
Protokoll der 4. Sitzung der Subkommission ‚Sterbehilfe’; 05.11.2002, S. 3
51
mentarischen Initiative105 ebenfalls die Strafloserklärung der aktiven Sterbehilfe, während
Nationalrat Guido Zäch in seiner Motion106 vom 3. Oktober 2001 die Vorschläge der Minderheit der Expertengruppe aufnahm. Der Nationalrat lehnte am 11. Dezember 2001 die Begehren Cavalli und Vallender ab, die Motion Zäch wurden in der Form eines Postulats überwiesen. Damit hatte sich das Parlament zu Aufgabe gemacht, die passive und indirekt aktive
Sterbehilfe gesetzlich zu regeln.
Ende September 2002 reichte Dorle Vallender erneut eine Motion107 „Sterbehilfe und ‚Sterbetourismus’“ ein. Darin verlangte sie, Suizidbeihilfe nur für in der Schweiz wohnhafte Personen zu erlauben, sowie die Sterbehilfeorganisationen einer Bewilligungspflicht zu unterstellen. Die Stellungnahme des Bundesrates vom 29. November 2002 verwies auf den im Juni
2000 erschienen Bericht der Arbeitsgruppe „Sterbehilfe“, welche eine Änderung der gesetzlichen Regelung der Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord als nicht notwendig erachtete.
Die Tätigkeiten von Vereinen wie „Exit“ und „Dignitas“ wurden im Bereich des legalen Rahmens („aus uneigennützigen Beweggründen“) beurteilt. In der Stellungnahme wurde zudem
die Richtlinie der SAMW von 1995 zitiert, worin stand, dass die Suizidbeihilfe „kein Teil der
ärztlichen Tätigkeit“ darstelle. Bezüglich „Sterbetourismus“ wurde jedoch durchaus Handlungsbedarf gesehen, insbesondere darum, weil das schweizerische Strafgesetz liberaler als
das geltende Recht der anderen europäischen Staaten sei und man Konfliktpotential mit den
Nachbarländern minimieren wollte. Am 11. April 2003 wurde eine weitere Motion (03.3180)
der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates eingereicht, die Handlungsbedarf zur
Thematik der Sterbehilfe und Palliativmedizin sah. Dieser Vorstoss wurde im Juni 2003 vom
Ständerat und im März 2004 vom Nationalrat angenommen.
Im Europarat wurde die Thematik der Suizidbeihilfe aufgrund einer „Proposition de résolution“108, vorgebracht von M. Monfils, ab Juli 2001 intensiv diskutiert. In der Resolution wurde
festgehalten, dass es durchaus Ärzte gebe, die bei Patienten in terminalen Phasen oder bei
andauernden und unerträglichen Leiden ohne Hoffnung auf Besserung bereit seien, auf
Wunsch des Patienten Suizidbeihilfe zu leisten. Des Weiteren wurde festgestellt, dass solche
Praktiken bereits Realität seien, in den meisten Ländern jedoch illegal, aber in vereinzelten
Staaten unter gewissen Bedingungen toleriert würden. Gerade weil einzelne Staaten (Niederlande, Belgien) eine entsprechende Gesetzgebung vorsehen würden, sei es notwendig,
105
Parlamentarische Initiative Vallender (01.407) 14.03.2001, Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord.
Neufassung von Artikel 115 StGB
106
Guido Zäch, Motion (01.3523) 03.10.2001, Sterbehilfe. Gesetzeslücken schliessen statt Tötung
erlauben (Regelung der passiven Sterbehilfe und der indirekt aktiven Sterbehilfe, Förderung der Palliativmedizin).
107
Dorle Vallender, Motion (02.3500), Sterbehilfe und „Sterbetourismus” (Änderung von Art. 115 StGB,
Schaffung eines Rahmengesetzes), 30.09.2002
108
Conseil de l’Europe, Assemblée parlementaire, Euthanasie, Doc. 9170, Proposition de resolution
présentées par Ph. Monfils et plusieurs de ses collègues
52
im Rahmen der bestehenden moralischen und spirituellen Werte der gesamten Organisation
diese Fragen zu diskutieren und eine Empfehlung oder Konvention zu verabschieden, in
welcher definiert wird, unter welchen Bedingungen Ärzte und Pflegepersonal („[…] les médecins et le personnel qui les assiste […].“109) in solchen Fällen intervenieren können, ohne
eine Verurteilung fürchten zu müssen.
Die Befürworter argumentierten mit der bereits bestehenden Realität, dass Suizidbeihilfe
durchgeführt werde und bei legaler Regelung nicht in den Bereich obskurer, undurchsichtiger
Praktiken („derrière des portes closes“) abgeschoben würde. Die Patientenautonomie war
ein weiteres wichtiges Argument: Verlange der Patient nichts, geschehe nichts. Kein Arzt
könne die Euthanasie als „Behandlung“ empfehlen. Zudem bestehe ein enormer Rückhalt
der Suizidbeihilfe in der Gesellschaft aller europäischen Länder. Aufgezeigt wurden ergänzend die Grenzen der Palliativmedizin, die in Einzelfällen eine Suizidbeihilfe rechtfertigen
können.
Die Gegner argumentierten mit der Missbrauchsgefahr eines solchen Gesetzes sowie dem
für die betroffenen Patienten entstehenden Druck, diesen Weg zu wählen. Die Schwierigkeit
in diesem Umfeld ein entsprechendes Vertrauensverhältnis Arzt-Patient aufzubauen, wurde
aufgezeigt. Eine wichtige Rolle auf Seiten der Gegner einer Liberalisierung von passiver
Sterbehilfe und aktiver Euthanasie, spielte das Buch von Keown: „Euthanasia, Ethics and
Public Policy, an Argument against Legalisation“110. Als besonders bedenkenswert daraus
wurde das „catch-22-argument“ gesehen, welches im Dezember 2002 ebenfalls in die Diskussion der Subkommission der SAMW-Arbeitsgruppe zur Suizidbeihilfe Eingang fand. Darin
argumentierte Keown wie folgt:
„Wird die moralische Relevanz zwischen bloss Zulassen und Beabsichtigen aufgegeben (und das tun die Mehrzahl der Ethiker heute, indem sie die Direkt-IndirektUnterscheidung als irrelevant und heuchlerisch zurückweisen), dann wird auch der
Widerstand gegen die von allen problematisierte nicht-freiwillige aktive Euthanasie
[…] unmöglich! Denn wenn diese Unterscheidung aufgegeben wird, lassen sich alle
die Situationen, in denen ein Arzt/eine Ärztin heute einen Eingriff mit lebensverkürzender Wirkung unternimmt [aktives Handeln wie Verabreichung von möglicherweise
lebensverkürzend wirkenden Schmerzmitteln/ ‚passive‘ Unterlassung von lebenserhaltenden Massnahmen wie künstliche Ernährung, Beatmung, Antibiose], nur noch
als Fälle von aktiver Sterbehilfe beschreiben; da aber der aktuelle Wille des Betroffenen häufig nicht mehr zu erfragen ist, wäre dafür die einzig korrekte Beschreibung die
LAWER-Definition [Life Termination Acts Without Explicit Request]. In der Konse109
Conseil de l’Europe, Assemblée parlementaire, Euthanasie, Doc. 9170, Proposition de resolution
présentées par M. Monfils et plusieurs de ses collègues
110
John Keown 2002, Cambridge University Press
53
quenz heisst dies, dass man nicht gleichzeitig für die Abschaffung der Direkt-IndirektUnterscheidung plädieren und sich gegen die nicht-freiwillige aktive Sterbehilfe einsetzen kann, weil dies widersprüchlich ist.“111
Zur Verdeutlichung wird der Orignialtext von Keown zitiert:
„Finally, the third definition of euthanasia112 – as embracing both intended and forseen life-shortening – creates a particulary embarrassing problem for those many
supporters of VAE [voluntary active euthanasia] who adopt it and who oppose NVAE
[non-voluntary active euthanasia]. For if:
1 they equate intended death with foreseen death, and
2 they support the administration of palliative drugs to those who are dying in pain
but incapable of asking for those drugs, and
3 if those drugs foreseeably shorten life,
why does this not count, on their own definition, as NVAE? In short, supporters of
VAE who equate intended and foreseen death surely trap themselves in an intellecutal ‚catch-22‘. Either they must drop their opposition to NVAE or they must object to
any palliative care which foreseeably shortens the lives of incompetent patients. There is, of course, a third and more sensible alternative : to drop their equation of intention and foresight.“ 113
Keown plädiert klar für eine Unterscheidung von einer (aktiven) Handlung, die den Tod eines
Patienten beabsichtigt (z.B. Kaliumchlorid-Injektion) und einer (passiven) Unterlassung einer
solchen Handlung, die genauso den Tod in Kauf nimmt oder beabsichtigt (keine Reanimation, keine Antibiose, keine künstliche Ernährung), sowie der eigentlichen palliativen Therapie
mit gewissen Medikamenten, die als Nebeneffekt allenfalls eine Lebensverkürzung zur Folge
haben können. Als zentralen Punkt in der „Euthanasie“-Debatte sieht Keown die Problematik, dass die Begrifflichkeiten nicht einheitlich und eindeutig definiert sind. Dies sei aber eine
Voraussetzung, um eine fruchtbare Diskussion überhaupt führen zu können.
111
Deutsche Übersetzung aus dem Protokoll der 5. Sitzung der Subkommission ‚Sterbehilfe’, S. 1,
SAMW, 13.12.2002, Bern.
112
Keown beschreibt drei mögliche Begriffsdefinitionen von Euthanasie. Die erste beschreibt die rein
aktive Sterbehilfe (‚Euthanasia‘ as the active, intentional termination of life; S. 10), die zweite weiter
gefasste und vom Autor bevorzugte Definition beinhaltet zusätzlich die Unterlassung einer Handlung,
die somit auch zum Tod eines Patienten führt (‚Euthanasia‘ as the intentional termination of life by act
or by omission; S. 12). Die dritte hier angesprochene Variante ist noch weiter gefasst und umfasst
sämtliche Handlungen, bei denen ein möglicher Tod absehbar ist (‚Euthanasia‘ as intentional or foreseen life-shortening; S. 15). Keown 2002.
113
Keown 2002, S.29/30.
54
In einer abschliessenden Bemerkung 2002 zur Thematik der Euthanasie schrieb Dick Marty
in seinem Bericht an den Europarat:
„Ce débat est important, et à l’heure actuelle, il s’impose. L’euthanasie est un sujet
qui soulève manifestement passions et émotions, mais elle appelle aussi des
réponses claires. Ce n’est pas parce qu’on décrète que l’euthanasie est interdite,
qu’elle disparaîtra. […]“ 114
In seiner weiteren Stellungsnahme wies er auf den vollzogenen Wechsel der gesellschaftlichen und juristischen Haltung gegenüber einem Suizidenden hin: Wurden früher Personen
nach missglücktem Suizidversuch wie Kriminelle verfolgt, würde heute deren individueller
Wunsch, ihr Leben zu beenden, respektiert. Schliesslich endete der Bericht mit der Feststellung, dass diese Diskussion keineswegs abgeschlossen sei und dass die 1999 vom Europarat getroffene Ablehnung der Euthanasie nicht eine unverrückbare Haltung beinhalte. Auf die
Wichtigkeit einer Transparenz im Bereich der Sterbehilfe wurde hingewiesen und die in diesem Bereich fortschrittlichen Länder (Niederlande und Belgien) gelobt.
Im internationalen Vergleich ist die Schweizer Rechtspraxis in zwei Beziehungen ein Sonderfall. Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern, welche vorrangig über
die Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe debattieren, fokussiert die Schweizer Rechtspraxis
auf die Suizidbeihilfe. Zudem sind in der Schweiz im Vergleich zu den anderen europäischen
Staaten ungleich mehr Nicht-Mediziner in die Suizidbeihilfe involviert.
3.6
Der neue Richtlinienentwurf
Die Subkommission „Sterbehilfe“ der SAMW verfolgte im Rahmen ihrer Diskussionen eng
die politische Debatte zum Thema. Da politisch wie innerhalb der Subkommission kein einheitlicher Konsens bestand, wurden für die weitere Diskussion Fallbeispiele zugezogen. Die
zwei ersten Fälle betrafen die Sterbebegleitung zweier Patientinnen in einer Zürcher Geriatrieklinik, die im Rahmen der Facharztprüfung für Geriatrie anhand einer vorgegebenen
schriftlichen Arbeit erfasst worden waren. In der Auseinandersetzung mit den Falltexten zeigte sich in erster Linie, dass zuwenig über die Lebensgeschichte der betroffenen Personen
bekannt ist und daher ebenso wenig eine einheitliche Meinung über die passende „Sterbehilfe“ gebildet werden kann. Hinweise, die jedoch thematisiert wurden, waren die Wichtigkeit
der Arzt-Patienten-Beziehung, das rasche In-Frage-Stellen der Urteilsfähigkeit der Betroffenen durch das professionelle Helfernetz sowie die Assoziation Morphin = Sterben, welche in
114
Conseil de l’Europe, Assemblée parlementaire, Dick Marty 2002, rapporteur sur l’euthanasie, pour
un rapport de la Commission des questions sociales, de la santé et de la famille, Remarques finales
55
der Öffentlichkeit scheinbar stark verbreitet und daher unbedingt in den Richtlinien zu thematisieren sei.
Im Februar 2003 wurde von der Subkommission festgestellt, dass die Debatte über die Suizidbeihilfe zunehmend in der Öffentlichkeit stattfindet. Entsprechend diesem Hintergrund
stiegen die Erwartungen an die Richtlinie der SAMW merklich. Ein erster überarbeiteter Entwurf lag zu diesem Zeitpunkt bereits vor.
Im Unterschied zur „Medizinisch-ethischen Richtlinie für die ärztliche Betreuung sterbender
und zerebral schwerst geschädigter Patienten“ von 1995 wurde der neuen Richtlinie eine
Präambel vorangestellt. Diese enthielt die Begründung der Notwendigkeit der Richtlinie,
Hinweise auf den politischen Kontext, Hervorhebung der der Subkommission wichtig erscheinenden Punkte (Patientenautonomie, Suizidbeihilfe) und endete schliesslich mit einem
kurzen Abschnitt über „Menschlichkeit“. Der Geltungsbereich wurde auf die ärztliche Betreuung eingeschränkt, beim Patientengut Neugeborene, Kinder und Jugendliche eingeschlossen.
Unter dem Kapitel „Patientenrechte“ fand sich ein Unterkapitel „Lebensbeendigung auf Verlangen“. Darunter wurde die aktive Sterbehilfe gemäss Art. 114 des Strafgesetzbuches als
strafbar aufgeführt, jedoch mit folgendem Text ergänzt:
„Auch wenn diese grundlegende Norm des Tötungsverbots nicht mehr von allen anerkannt wird, bleibt die entscheidende Bedeutung hervorzuheben, welche die Einhaltung des ärztlichen und pflegerischen Tötungsverbots insbesondere angesichts von
Missbrauchs- und Ausweitungsgefahren für die Gesellschaft hat. Eine Lockerung des
Tötungsverbots und eine mögliche Ausweitung des ärztlichen und pflegerischen Auftrags auf die aktive Sterbehilfe hätte eine Ausweitung der ärztlichen und pflegerischen Entscheidungs- und Handlungsbefugnis zur Folge, die weder aus gesellschaftlicher noch aus ärztlicher und pflegerischer Sicht zu wünschen ist.“115
In der Endfassung 2004 wurde der Untertitel „Lebensbeendigung auf Verlangen“ in „Tötung
auf Verlangen“ umformuliert und eine klare Ablehnung der aktiven Sterbehilfe vertreten:
„Die Tötung eines Patienten ist vom Arzt auch bei ernsthaftem und eindringlichem
Verlangen abzulehnen. Tötung auf Verlangen ist nach Art. 114 Strafgesetzbuch strafbar.“116
115
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Medizinisch-ethische Richtlinien für
die Betreuung sterbender Patienten, 2. Entwurf, Februar 2003, S. 2
116
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Betreuung von Patientinnen und
Patienten am Lebensende, 25. November 2004
56
Die Verdeutlichung dieses Punktes ist einerseits darauf zurückzuführen, dass die Richtlinie
eine Empfehlung an medizinisch tätiges Personal darstellt und nicht politisch orientiert sein
soll. Der politische Kontext blieb trotzdem nicht unberücksichtigt. Ein zentraler Punkt für den
Wegfall des Kommentars sowie die deutliche Ablehnung der „Tötung auf Verlangen“ bestand
in einer vom Bundesrat abgelehnten Erweiterung des entsprechenden Gesetzes mit einer
Sonderklausel, wie sie die Arbeitsgruppe „Sterbehilfe“ des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements 1999 erwogen hatte. Die vorgeschlagene Formulierung dieses neuen Absatzes 2 von Art. 114 StGB lautete:
„Hat der Täter eine in ihrer Gesundheit unheilbar beeinträchtigte, kurz vor dem Tod
stehende Person getötet, um sie von unerträglichen und nicht behebbaren Leiden zu
erlösen, so sieht die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung
an das Gericht oder der Bestrafung ab.“117
Die im ersten Entwurf beschriebene Gefahr des Missbrauchs konnte nach erfolgter Stellungnahme, nämlich die einer Ablehnung bei klarer gesetzlicher Vorgabe, vollständig gebannt
werden. Deutlich schwieriger gestaltete sich die Ausarbeitung der Passage über die „Beihilfe
zum Suizid“. So lagen im 2. Entwurf hierzu zwei zu diskutierende Varianten vor:
„Version A:
Aufgabe der Ärzte und des gesamten Betreuungsteams ist es, unter Achtung der
Selbstbestimmung des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und
nach Möglichkeit wiederherzustellen, Leiden zu lindern und sterbenden Patienten bis
zum Tod beizustehen. Die Beihilfe zum Suizid, welche nach Art. 115 des Strafgesetzbuches nur bei Vorliegen selbstsüchtiger Beweggründe strafbar ist, ist hingegen
kein spezifischer Teil des ärztlichen, pflegerischen oder therapeutischen Auftrags.
Dagegen kann die Beihilfe zum Suizid aufgrund eines Gewissensentscheids eine
menschliche Haltung sein, die auch Ärzte und andere Betreuende ausführen; damit
wird sie allerdings nicht Teil ihres beruflichen Auftrags. Angesichts dessen, dass Ärzte aufgrund der Verschreibungspflichtigkeit einiger todbringender Mittel trotzdem in
die Praxis der Suizidbegleitung involviert sind, ist es notwendig, in diesem Zusammenhang auf einige Gefahren aufmerksam zu machen.
Zum einen könnte der Eindruck entstehen, Ärzte oder andere Angehörige des Betreuungsteams hätten eine besondere Aufgabe und Verantwortung darin, sterbende
Patienten oder auch sterbewillige Menschen in Bezug auf den Suizid zu beraten, sie
117
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartament, Arbeitsgruppe Sterbehilfe 1999, S. 48
57
dabei zu unterstützen und zu begleiten. Diese Sicht entspräche jedoch einer Förderung der allgemein wahrzunehmenden Tendenz zur „Medikalisierung des Todes“. Im
Gegensatz zu diesen Entwicklungen kommt es vielmehr darauf an, auf die Grenzen
des medizinischen Auftrags angesichts des Sterbens hinzuweisen und diese auch
anzuerkennen. Die Suizidbeihilfe gehört daher nicht zum Aufgabenbereich von Ärzten
und anderen Angehörigen des Betreuungsteams, sie kann im Einzelfall den Bemühungen um Linderung von Leiden und Depressionen, der Suizidprävention und der
Lebenserhaltung sogar zuwider laufen.
Zum anderen bestünde bei der ärztlichen oder pflegerischen Suizidbeihilfe eine der
wesentlichen Aufgaben des Betreuungsteams – in erster Linie der behandelnden Ärzte – darin, darüber zu entscheiden, welche Patienten die Hilfeleistung in Anspruch
nehmen dürften, welche hingegen nicht. Dabei geht es um die schwierige, weil massgeblich subjektiv geprägte Bestimmung dessen, was eine unerträgliche Leidenssituation kennzeichnet. Auch angesichts dieser möglichen Aufgabe wird deutlich, inwieweit
die Behandelnden in ein Geschehen einbezogen würden, das ihren beruflichen Aufgaben entgegenläuft: Während sie für die menschliche und fachliche Begleitung der
sterbenden Patienten zuständig sind – zu denken ist vorrangig an das Eingehen auf
unbefriedigte Bedürfnisse, Schmerzen, soziale Isolation und Angst – führt die Praxis
der Suizidbeihilfe zu einem abrupten Abbruch der Betreuung. Stellt die menschliche
und fachliche Betreuung eines sterbenden Patienten nicht selten eine grosse Herausforderung dar, die den Angehörigen des Betreuungsteams einige Anstrengungen abfordert (…), ist die Gefahr relativ gross, dass eine etablierte Praxis der ärztlichen oder
pflegerischen Suizidbegleitung zu einer Vernachlässigung dieser zentralen Aufgaben
führen könnte.
Version B:
Der grösste Teil aller Suizide und Suizidversuche ist die Folge von persönlichen Krisen, Sucht oder psychischer Krankheit. Andererseits bestehen kaum Zweifel, dass in
seltenen Fällen eine Selbsttötung wohlüberlegt, aufgrund einer realistischen Einschätzung der eigenen Situation erfolgen kann – als Bilanzsuizid resp. Freitod. In ersterer Situation ist entschlossene Hilfe zum Leben, allenfalls sogar gegen den momentanen Willen des Suizidalen, geboten. In letzterer Situation verlangt die Respektierung der Freiheit des zum Sterben Entschlossenen, dass dieser nicht an seinem Vorhaben gehindert wird. Auch gibt es in diesem Fall keine zwingenden moralischen
Gründe, warum man diesem Menschen dabei nicht behilflich sein sollte.
Der Wunsch nach ärztlicher Freitodhilfe erscheint ganz überwiegend im Kontext
schwerster, unheilbarer Krankheitszustände. Der Adressat dieses Wunsches ist deshalb oftmals der behandelnde Arzt. Dieser verfügt kraft seines Berufes auch über das
58
Wissen, die Fertigkeiten und über den Zugang zu sicher tödlich wirkenden Substanzen. Wird an den Arzt ein solcher Wunsch herangetragen, kann dies ein Vertrauensbeweis von Seiten des Patienten und der Ausgangspunkt einer offenen Besprechung
der Situation sein. Je nach Einschätzung des Sterbewunsches durch den Arzt wird
eine eingehendere psychosoziale Exploration, gegebenenfalls eine antidepressive
Behandlung oder sogar eine psychiatrische Einweisung nötig sein. Oftmals aber kann
ein solcher Sterbewunsch im Rahmen der medizinischen Gesamtsituation verhandelt
werden, und konkrete Massnahmen zur deren Verbesserung lassen den Patienten
von seinem Wunsch wieder Abstand gewinnen. Es wird aber wohl nicht in jedem Fall
zu vermeiden sein, dass ein Patient seine Situation anhaltend derart beurteilt, dass er
eine Selbsttötung einem als unerträglich empfundenen Weiterleben vorzieht. Dann
steht der Arzt vor der Entscheidung, ob er das Vorhaben des Patienten unterstützen
soll. Lehnt der Arzt eine Beihilfe aus seiner persönlichen Gewissenshaltung heraus
ab, soll er dies dem Patienten rechtzeitig mitteilen. Wenn er sich aber grundsätzlich
dazu bereit erklärt, hat er sich nochmals zu versichern, dass keine Therapieoption
verpasst wurde und dass der Sterbewunsch des Patienten anhaltend und wohlerwogen ist. Auch soll er in jedem Fall den Rat einer kompetenten Drittperson einholen.
Der Entscheidungsprozess muss in der Krankengeschichte festgehalten werden.
Wird der Freitod ausgeführt, verlangt das Gesetz, dass dieser als ein nicht-natürlicher
Todesfall den Untersuchungsbehörden zur Abklärung gemeldet wird.“118
Primär wurde eine Kürzung beider Versionen gewünscht. Insbesondere gehöre Hintergrundsinformation aus edukativen Gründen in den Kommentar, jedoch nicht in den Richtlinientext selbst. Der Kommentar hingegen soll Begründungen und nicht Interpretationen liefern. Nach diesen eher strukturellen Hinweisen wurden schliesslich Fragen aufgeworfen wie,
was sind eigentlich „Sterbende“, was „Sterbewillige“? Ist dies auf irgendeine Art objektivierbar? In der daraufhin geführten Diskussion wurde das Fehlen von moralisch neutralen Begriffen („terminal“/ „unheilbar“/ „sterbend“) sehr deutlich. Einigkeit bestand darin, dass der
Übergang zwischen Leben und Sterben fliessend, d.h. eine Definition ohne interpretativen
Eigenanteil nicht möglich sei. Aufgrund einer Beurteilung des Gesamtzustandes anhand klinischer Anzeichen sei jedoch eine gewisse Objektivierung möglich.
Zur Verdeutlichung der Begrifflichkeiten wurde eine einfache graphische Darstellung herangezogen:
118
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Medizinisch-ethische Richtlinien für
die Betreuung sterbender Patienten, 2. Entwurf, Februar 2003, S. 2/3
59
Geltungsbereich Richtlinie für Patienten am Lebensende
Sterbewillige
(die noch nicht am
Lebensende sind,
sondern aufgrund
ihrer Situation
ihrem Leben ein
Ende setzen
möchten)
Terminal
Kranke
Patienten am Lebensende (die nur noch Stunden,
Tage oder wenige Wochen zu leben haben), Sterbeprozess hat eingesetzt (klinische Anzeichen)
Abbildung 2: Geltungsbereich RL für Patienten am Lebensende. Die Zusammenfassung der drei Untergruppen (Sterbewillige, terminal Kranke und Patienten am Lebensende) entspräche dem Geltungs119
bereich der Richtlinie für Palliativmedizin und -pflege.
Die Subkommission einigte sich darauf, die Begriffe „terminal“, „sterbend“ und „irreversibel“
aus oben erwähnten Gründen nicht zu verwenden, sondern von „Patienten am Lebensende“
zu sprechen.
Anhand der Abbildung 2 eröffnete sich ein weiteres Problemfeld: Mit der Festlegung des Geltungsbereiches auf Patienten am Lebensende äussert sich die Richtlinie nur über „ein Segment der Exit-Fälle“.120 Gerade in Bezug auf die Beihilfe zum Suizid stelle sich die Frage, ob
die Subkommission sich um eine Stellungnahme in den anderen Bereich drücken dürfe (z. B.
neurologische Erkrankungen wie Lateralsklerosen). Problematisch diesbezüglich sei, dass
die meisten „Exit-Patienten“ gerade nicht in die Sterbephase kommen und daher vorher Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen möchten. Dem entgegengehalten wurde die Meinung, dass
die Richtlinie sich nicht zu sehr auf die Beihilfe zum Suizid konzentrieren sollte, die damit
eine unerwünschte Gewichtung erhalten würde. Das Dilemma, dass Suizidbeihilfe weiter
gefasst ist als der Sterbeprozess an sich, bestehe schon in den alten Richtlinien. Entsprechend diesem „Vakuum“ sei es wichtig, dass die Richtlinie klar und verständlich formuliert
werde, damit sie auch im Sinne der „terminal“ Kranken gelesen werden könne. Sie solle auf
die gesetzliche Lage der Schweiz hinweisen und betonen, dass dies für alle Personen so
gelte. In einer kurzen Ausführung im Anschluss soll auf die Sonderrolle des Arztes hingewiesen werden, der nicht nur Rezepte ausfülle, sondern Alternativen zum Suizid und Behandlungsmöglichkeiten aufzuzeigen habe.
119
120
SAMW, Protokoll der Klausursitzung der Subkommission „Sterbehilfe“ Februar 2003, S. 4
SAMW, Protokoll der Klausursitzung der Subkommission „Sterbehilfe“ Februar 2003, S. 4
60
Die Subkommission diskutierte die oben vorliegenden Varianten zur Suizidbeihilfe aus. Präferenzen und Kritik erfolgten für beide Versionen. So wurde die Problematik der Variante B
darin gesehen, dass diese eine „Handlungsanweisung“ im Sinne eines Kriterienkatalogs für
den Arzt enthalte. Solche „safety guards“ dienten primär den Juristen und seien für den Arzt
realitätsfremd. Für Laien, die ebenfalls Suizidbeihilfe leisten können, gäbe es jedoch keine
solchen Anweisungen. Letztendlich gehe es in der klinischen Praxis darum, zu bestimmen,
„was als unerträgliche Leidenssituation gelten darf und was nicht – eine Aufgabe, die
dann
den
Ärzten
zufällt
und
diese
Macht/Entscheidungsbefugnis vergrössert.“
zusätzlich
belastet
bzw.
ihre
121
Ein zentraler Punkt der Problematik sei die Verschreibungsmacht der Ärzte. Wolle man eine
Monopolisierung dahingehend verhindern, müssten Barbiturate ohne Rezept erhältlich sein.
Die Gefahr der Medikalisierung bestehe ohnehin, da Suizidbeihilfe bisher nur im Kontext mit
Krankheit diskutiert werde. Die Ärzte hätten damit unausweichlich eine Sonderrolle, da sie es
sind, die Depressionen behandeln, Schmerzen lindern, etc. können. Falle es dem Arzt zu,
die Plausibilität eines Sterbewunsches zu beurteilen, führe dies unausweichlich zum „Arzt als
Machtfaktor“122. Gewisse Diagnosen erschwerten zudem die Beurteilung massiv: Darf eine
„Lebensmüdigkeit“, welche sicher auch beeinflusst ist von der Angst vor langwieriger Behandlung und (Rehabilitations-) Therapien, mit Antidepressiva behandelt werden? Wie sieht
es aus, wenn der Sterbewunsch auf eine Depression zurückzuführen ist? Gerade bei Hochbetagten stellen sich erhebliche Probleme bezüglich der diagnostischen Kriterien einer Depression. Anhand mehrerer Fallvignetten rang die Subkommission um einen gemeinsamen
Nenner. Festgehalten wurde,
„dass im Spitalalltag teilweise zu lange in Teamsitzungen über einen Patienten gesprochen wird, anstatt das Gespräch mit dem Patienten zu suchen (zuzuhören).“123
Eine Mehrheit wünschte eine neutrale Aussage im Sinne von:
„[…] jeder kann das machen wie er will, ABER: Ein Arzt solle sich besonders schwer
tun, Suizidbeihilfe zu leisten, weil er die Möglichkeit dazu hat.“124
121
SAMW, Protokoll der Klausursitzung der Subkommission „Sterbehilfe“ Februar 2003, S. 6
SAMW, Protokoll der Klausursitzung der Subkommission „Sterbehilfe“ Februar 2003, S. 7
123
SAMW, Protokoll der Klausursitzung der Subkommission „Sterbehilfe“ Februar 2003, S. 8
124
SAMW, Protokoll der Klausursitzung der Subkommission „Sterbehilfe“ Februar 2003, S. 6
122
61
Andere Stimmen vermissten eine klar normative Aussage, noch andere sprachen sich für
eine aus ethischen Überlegungen heraus begründete deutliche Ablehnung der Suizidbeihilfe
aus. Die komplette Ablehnung der Beihilfe zum Suizid fand in der Subkommission keine
Mehrheit. Vielmehr wurde diskutiert, in welchem Umfang die legal gegebene Möglichkeit als
Mensch Suizidbeihilfe zu leisten mit dem ethischen Rollenverständnis des Arztes zu vereinbaren sei.
In der überarbeiteten 4. Fassung der Richtlinie vom März 2003 erschien die Thematik „Beihilfe zum Suizid“ weiterhin unter dem Kapitel „Patientenrechte“, jedoch im neu benannten Unterkapitel „Grenzen“. Darin wurde auf die Grenzen hingewiesen, welche die Respektierung
des Patientenwillens mit sich bringen kann, falls
„ein Patient Handlungen verlangt, welche, mit der persönlichen Gewissenshaltung
des Arztes nicht vereinbar sind oder gegen den medizinischen Auftrag/ Regeln/ Regeln der ärztlichen Kunst respektive geltendes Recht verstossen.“125
Als Unterkapitel wurde die bereits erwähnte „Beihilfe zum Suizid“ und „Tötung auf Verlangen“
angefügt. Während letzteres mit Hinweis auf den Art. 114 StGB eindeutig abgelehnt wurde,
im Kommentarteil aber noch Ergänzungen enthielt, wurde der Text zur Suizidbeihilfe kompakter und konkreter: Als Einleitung erfolgte ein Verweis auf die für alle Personen gültige
gesetzliche Grundlage (Art. 115 StGB). Weiter dann:
„Für Ärzte sieht die SAMW die Hauptaufgabe in diesem Bereich, das Entstehen einer
solchen Situation mit allen möglichen Massnahmen zu vermeiden, insbesondere indem sie dem Patienten Alternativen und sinnvolle Behandlungsmöglichkeiten und
Perspektiven aufzeigen, erläutern und auch anbieten. Sollte trotz Anbieten und Ausschöpfen aller palliativer Möglichkeiten in hoffnungsloser/ aussichtsloser/ unerträglicher Situation am Lebensende, der Wunsch nach Suizidbeihilfe bestehen bleiben, so
ist eine ärztliche Beihilfe zum Suizid einfühlbar/ nicht ausgeschlossen/ akzeptabel.“126
Im Kommentarteil fand die Version B Einzug (siehe Seite 57).
125
SAMW, Medizinisch-ethische Richtlinie für die Betreuung von Patienten am Lebensende, Fassung
4, März 2003, S. 2. Die unterstrichenen Begriffe wurden im Originalprotokoll zur weiteren Diskussion
hervorgehoben (noch unklare Formulierungen/Varianten).
126
SAMW, Medizinisch-ethische Richtlinie für die Betreuung von Patienten am Lebensende, Fassung
4, März 2003, S. 2. Die unterstrichenen Begriffe wurden im Originalprotokoll zur weiteren Diskussion
hervorgehoben (noch unklare Formulierungen/Varianten).
62
3.7
Parallelen mit der Richtlinie „Behandlung und Betreuung von älteren,
pflegebedürftigen Menschen“
Einige Fragen zur Richtlinie wurden im Zusammenhang mit der zeitlich parallel ausgearbeiteten Richtlinie der Subkommission „Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürftigen
Menschen“ in Bezug auf Institutionen aufgeworfen. Die SAMW war sich insofern einig, dass
die verschiedenen Richtlinien sich in grundlegenden Fragen nicht widersprechen sollten. Es
fand daher ein Queraustausch der beiden Subkommissionen statt.
Im Entwurf der Stammversion „Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürftigen
Menschen“ fand sich unter dem Kapitel „Behandlung und Betreuung“ das Unterkapitel „Suizidwunsch“:
„Bei pflegebedürftigen älteren Personen ist ein Suizidwunsch oft verbunden mit dem
Gefühl, eine Last bzw. ein unwertes, teures Leben zu sein. Äussert eine ältere pflegebedürftige Person den Wunsch nach Selbsttötung, suchen Arzt und Pflegepersonal
in jedem Fall das Gespräch mit der betreffenden Person. Dabei werden die Lebenssituation sowie mögliche Verbesserung der Therapie-, Pflege- und Betreuungssituation
angesprochen. Der Arzt und das Pflegepersonal stellen sicher, dass die erforderlichen therapeutischen, psychiatrischen und/oder palliativen Massnahmen vorgeschlagen bzw. durchgeführt werden.“127
Im Kapitel „Suizid unter Beihilfe eines Dritten“ wurde für ältere pflegebedürftige Personen
folgendes angeführt:
„[…] Falls eine Institution den Suizid unter Beihilfe eines Dritten in ihren Satzungen
nicht zulässt, hat sie dies der pflegebedürftigen älteren Person vor einem allfälligen
Eintritt mitzuteilen.
Entschliesst sich eine urteilsfähige ältere Person zur Selbsttötung unter Beihilfe eines
Dritten, so muss dieser Entscheid zwar grundsätzlich respektiert werden; die Institution hat jedoch besondere Schutzpflichten. Ein Suizidwunsch kann Folge einer psychischen Erkrankung, das Resultat von äusserem Druck oder ganz einfach ein Hilferuf
sein. Gerade bei älteren Personen in Abhängigkeitssituationen verdient dieser letztgenannte Aspekt besondere Beachtung.
Aufgaben der Institution
Die Institution zieht einen externen, unabhängigen, in diesen Fragen speziell kompetenten Arzt bei, welcher beauftragt ist sicherzustellen, dass die ältere Person urteilsfähig ist und der Entscheid zum Suizid nicht auf Druck Dritter, auf eine mangelhafte
127
SAMW, Medizinisch-ethische Richtlinien und Empfehlungen zur Behandlung und Betreuung von
älteren pflegebedürftigen Menschen, Stammversion März 2003, S. 11
63
diagnostische Abklärung, auf eine psychische Erkrankung oder auf eine nicht adäquate Behandlung oder Betreuung zurückzuführen ist. Insbesondere überprüft dieser
Arzt die Institution auf ihre Praxis der palliativen Betreuung […].
Rolle des Personals
Dem Personal in der Institution ist es untersagt, an der Vorbereitung oder Durchführung eines Suizids unter Beihilfe eines Dritten aktiv mitzuwirken. Die Begleitung der
Sterbewilligen bzw. die Anwesenheit beim Suizid ist dem Personal freigestellt. Es
kann dazu jedoch nicht verpflichtet werden.“128
Die Informationspflicht der Institutionen bei Ablehnung der Suizidbeihilfe wurde einerseits
begrüsst, andererseits damit eine unnötige Gewichtung dieser Thematik befürchtet. Eine
Festhaltung in den „Haus-Statuten“ der einzelnen Institutionen wurde als genügend erachtet.
Die Frage der Beurteilung der Urteilsfähigkeit eines Sterbewilligen wurde erneut aufgeworfen: Sollte dies tatsächlich als ärztliche Aufgabe definiert werden, dann würde die Ärzteschaft
„auf neue Weise und weitaus stärker als bisher in die Praxis der Suizidbeihilfe einbezogen
werden“129. Diese teilweise so in der Politik geforderte Vorgehensweise (Motion Vallender)
stiess unter Ärzten eher auf Skepsis und Ablehnung. Eine psychisch belastete Person könne
in juristischem Sinne durchaus urteilsfähig sein. Stelle ein Arzt jedoch
„im Zuge einer gewünschten Suizidbeihilfe diese Urteilsfähigkeit fest, so wird er im
Falle später auftretender Probleme haftbar, das heisst: er ist zu einem gewissen Grad
juristisch mitverantwortlich für das gesamte Geschehen der Suizidbeihilfe“130.
Das Untersagen der Suizidbeihilfe ausschliesslich für Personal in Langzeitpflegeeinrichtungen aufgrund besonderer Abhängigkeitsverhältnisse, wurde ebenfalls aufgegriffen, da es
Schnittpunkte zur allgemein formulierten Richtlinie betreffend Patienten am Lebensende beinhaltete. Es stellte sich die bereits vielfach diskutierte Grundsatzfrage, ob nicht dem ärztlichen Personal (egal welcher Einrichtung) aus genau dieser Abhängigkeit heraus, die Suizidbeihilfe verboten werden sollte. Was aber geschähe im Falle einer Zuwiderhandlung, da
strafrechtlich kein Verbot besteht? Die sprachliche Formulierung eines „Verbotes“ in den
Richtlinien erschien ungünstig. Ebenso erschien die Handlungsanweisung zur Vorgehensweise im Falle einer Bitte zur Suizidbeihilfe, wie schon weiter oben beschrieben, problematisch. In der ersten Publikation der Richtlinie „Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürftigen Menschen“ zur Vernehmlassung wurden die aus Sicht der Subkommission
128
SAMW, Medizinisch-ethische Richtlinien und Empfehlungen zur Behandlung und Betreuung von
älteren pflegebedürftigen Menschen, Stammversion März 2003, S. 21
129
Emailverkehr der beiden Subkommissionsleitenden, 24. März 2003
130
Emailverkehr der beiden Subkommissionsleitenden, 24. März 2003
64
„Sterbehilfe“ erachteten heiklen Punkte überarbeitet dargelegt. Die Thematik des „Suizidwunsches“ wurde leicht umformuliert und beibehalten. Im Kapitel G. „Suizid“ wurde die Formulierung des Verbots für Suizidbeihilfe für Langzeitpflegeeinrichtungen in eine Empfehlung
umgewandelt:
„[…] und aus Rücksichtnahme auf die übrigen Bewohner der Institution soll das Personal einer Institution der Langzeitpflege nicht an der Vorbereitung oder Durchführung eines Suizids mitwirken“131,
und mit einer Fussnote ergänzt: Nach einem kurzen Verweis auf den entsprechenden Gesetzesartikel (Art. 115 StGB) folgte ein Zusatz zur Informationspflicht:
„Falls eine Institution den Suizid unter Beihilfe eines Dritten in ihren Satzungen nicht
zulässt, hat sie dies der pflegebedürftigen älteren Person vor einem allfälligen Eintritt
mitzuteilen.“132
In der im Mai 2004 veröffentlichten definitiven Version der Richtlinie zur „Behandlung und
Betreuung von älteren pflegebedürftigen Menschen“ ist im Unterkapitel 5.1. „Begleitung von
Sterbenden“ des Kapitels 5. „Sterben und Tod“, einzig der Verweis auf die Richtlinie „Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende“ zu finden.133 Im zweiten Unterkapitel
5.2. „Umgang mit dem Wunsch nach Suizid“ wird anlehnend an die Stammversion präzisiert:
„Äussert eine ältere, pflegebedürftige Person den Wunsch nach Selbsttötung, sucht
das betreuende Team das Gespräch mit der betreffenden Person. In jedem Fall leiten
der Arzt und das Pflegepersonal Massnahmen zum bestmöglichen Schutz und zur
Unterstützung der betreffenden Person ein. Insbesondere klären sie mögliche Verbesserungen der Therapie-, Pflege- und Betreuungssituation. Dabei sind auch die
vielfältigen Abhängigkeiten der älteren, pflegebedürftigen Person, die das Risiko einer
Suizidalität erhöhen können, zu beachten. Das betreuende Team stellt sicher, dass
die erforderlichen Massnahmen vorgeschlagen bzw. durchgeführt werden, ebenso,
dass ein seelsorgerlicher Beistand vorgeschlagen und, falls gewünscht, vermittelt
wird.“134
131
SAMW 2003, Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürftigen Menschen, 1. Publikation
zur Vernehmlassung, S. 13
132
SAMW 2003, Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürftigen Menschen, 1. Publikation
zur Vernehmlassung, S. 13
133
SAMW 2004, Behandlung und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen Menschen, S. 12
134
SAMW 2004, Behandlung und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen Menschen, S. 12
65
Unter „Empfehlungen“ findet sich dann noch folgender Absatz mit dem Titel „Umgang mit
dem Wunsch nach Beihilfe zum Suizid“:
„Eine besondere Situation liegt dann vor, wenn eine ältere, pflegebedürftige Person in einer Institution der Langzeitpflege einen Suizid unter Beihilfe von Dritten (z.B. einer Sterbehilfeorganisation) plant. […] Es gibt Institutionen, die auf dieser Grundlage die Beihilfe
zum Suizid zulassen. In solchen Situationen ist zu beachten, dass eine Institution der
Langzeitpflege besondere Schutzpflichten hat und daher folgendes beachten muss:
a. Es muss sichergestellt sein, dass die betreffende Person urteilsfähig ist.
b. Es muss sichergestellt sein, dass der Entscheid zum Suizid nicht auf äusseren
Druck oder auf eine nicht adäquate Abklärung, Behandlung oder Betreuung zurückzuführen ist.
c. Es muss sichergestellt sein, dass die Gefühle der Mitbewohner und Mitarbeiter
respektiert werden.
Ältere, pflegebedürftige Personen stehen in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis
zum Personal der Institution; dieses Verhältnis kann beim Personal zu Interessenkonflikten führen. Aus diesem Grund und aus Rücksichtnahme auf die übrigen Bewohner der
Institution soll das Personal einer Institution der Langzeitpflege zu keinem Zeitpunkt an
der Durchführung eines Suizids mitwirken.“135
Auf weitere, die Suizidbeihilfe betreffende Ausführungen, wurde verzichtet.
3.8
3.8.1
Ausgewählte Publikationen als weitere Diskussionsgrundlage
European Association of Centres of Medical Ethics
Als Diskussionsgrundlage im Jahr 2002/2003 standen zahlreiche Publikationen und Veranstaltungen zum Thema des Suizids und der Suizidbeihilfe zur Verfügung. Die EACME136
stellte im September 2002 ihre jährliche Konferenz unter den Titel „End of life decisions“.
Wegweisend war die Legalisierung der Suizidbeihilfe in den Niederlanden und Belgien, was
europaweit für Diskussionsstoff sorgte. Zentral behandelt wurden nicht allein der assistierte
Suizid, sondern auch die Patientenrechte im Allgemeinen und die Palliativmedizin. Am Beispiel der Niederlande konnte beobachtet werden, dass nach erfolgter Legalisierung der Suizidbeihilfe automatisch die Palliativmedizin in den Blickpunkt rückte.
Ein weiterer Punkt war die Interdisziplinarität betreffend Entscheidungen am Lebensende. So
wurde im EACME eine Studie „Euthanasia and Care – Involvement of Nurses in Euthanasia“
135
136
SAMW 2004, Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürftigen Menschen, S. 21
European Association of Centres of Medical Ethics
66
angekündigt, welche die zentrale Rolle der Pflegefachpersonen untersuchen und aufzeigen
sollte:
„The nurse’s involvement in the euthanasia process is defined as the function fulfilled
by the nurse during the course of the euthanasia process. This involvement can refer
to the nurse’s role in notifying the request for euthanasia, the nurse’s participation in
decision-making, and/or the nurse’s presence or assistance during and after the life
terminating action.”
3.8.2
Resultate der EURELD/ MELS-Studie
Auch in der Schweizerischen Ärztezeitung wurde die Thematik angeregt diskutiert. So präsentierte die SAMW in der Ausgabe 2003; 84: Nr.32/33 erste Ergebnisse der internationalen
Studie „Medizinische Entscheidungen am Lebensende in sechs europäischen Ländern“137,
die so genannte EURELD/MELS-Studie138, deren Resultate im Juni 2003 in „The Lancet“
veröffentlicht worden waren. Im Rahmen dieser Studie waren über 20'000 Ärzte, welche zwischen Juni 2001 und Februar 2002 einen Totenschein ausgestellt hatten, zu den dem Todeseintritt vorangegangenen medizinischen Entscheidungen schriftlich befragt worden.
„Dank der Ergebnisse der MELS-Studie, welche insbesondere auch zeigen, dass in
der Schweiz bei rund der Hälfte aller (bzw. bei zwei Dritteln aller erwarteten) Todesfälle medizinische Entscheidungen eine wichtige Rolle spielen, liegen nun endlich Daten vor, wie sie für eine sachliche Auseinandersetzung mit der Thematik entscheidend sind. Die hohe Rücklaufquote der Fragebogen (zwei Drittel wurden retourniert)
erlaubt schlüssige, wenn auch nicht leicht interpretierbare Aussagen und weist darauf
hin, dass die Ärzteschaft die Relevanz dieser Umfrage erkannt hat.“139
Die Studienergebnisse wurden von einigen „schlagzeilengierigen Journalisten und Moralapostel[n]“140 so dargestellt, als ob die Sterbehilfe mit Tötung auf Verlangen gleichzusetzen
wäre. Titel wie „Sterbehilfe in der Schweiz verbreitet“141 und „Brisante Zahlen zur aktiven
Sterbehilfe in der Schweiz“142 tauchten in den Medien auf. Problematisch und uneinheitlich
gestaltete sich in sämtlichen Berichten die Verwendung der Terminologie aktive, passive,
indirekte Sterbehilfe sowie Suizidbeihilfe. Ein Mitglied der Subkommission „Sterbehilfe“ hielt
dazu fest:
137
SAMW, Schweizerische Ärztezeitung 2003; 84: Nr. 32/33, S. 1676-1678
Medical End-of-Life Decisions in Six European Countries, 362: 345-50, Lancet Juni 2003
139
Schweizer Ärztezeitung 2003; 84: Nr.32/33, 1651
140
SAMW September 2003, Email-Verkehr zwischen Subkommissionsmitgliedern
141
NZZ Online, 18. Juni 2003
142
Michael Meier, Tagesanzeiger vom 19.06.2003
138
67
„Allein der Gebrauch der Begriffe ‚Euthanasie‘ und ‚Sterbehilfe‘ im deutschen Sprachraum ist so interessant und kontrovers, dass darüber einige Dissertationen geschrieben werden könnten.“143
3.9
Klärung der verwendeten Begrifflichkeiten
Was für Konsequenzen hatte dies nur für die Ausformulierung der Richtlinie? Diskutiert wurde, ob diese „alten“ Begrifflichkeiten in der Richtlinie verwendet und im Kommentar entsprechend definiert werden sollten, oder, ob man eher auf neuere internationale Terminologie
(aus dem Englischen) setzt, wobei dann gewisse Übersetzungsschwierigkeiten zu bewältigen wären. In der 8. Fassung der Richtlinie, welche Mitgliedern der Zentralen Ethikkommission und ausgewählten Experten zur Vorvernehmlassung zugestellt wurde, einigte man sich
darauf, die Handlungsmöglichkeiten jeweils inhaltlich zu beschreiben und die von der Arbeitsgruppe EJPD verwendeten Begriffe zu erwähnen:
„Die Tötung eines Patienten durch den Arzt (auch ‚aktive Sterbehilfe genannt’)
[…]“144;
„Der Arzt ist verpflichtet, Schmerzen und Leiden zu lindern, auch wenn dies in einzelnen Fällen zu einer Beeinflussung der Lebensdauer führen sollte (die so genannte
‚indirekte aktive Sterbehilfe’)“145;
„In bestimmten Situationen kann der Verzicht auf lebenserhaltende Massnahmen oder deren Abbruch gerechtfertigt sein (auch ‚passive Sterbehilfe’ genannt)“146.
In der definitiven Endfassung wurden sie schliesslich weggelassen.
3.10 Psychiatrische Erkrankung und Suizidwunsch
Im Rahmen von Fallbeispielen wurde der Umgang mit Sterbewünschen in der Schweizerischen Ärztezeitung diskutiert. Mit dem Titel „Ethik im Gesundheitswesen – Fall einer psychisch Kranken mit einer unheilbaren körperlichen Krankheit und Sterbewunsch“147 wurde
ein speziell brisantes Thema aufgegriffen. Darin schilderte G. Ebner den Fall einer älteren
Patientin mit langjährig rezidivierend depressiver Störung, welche mehrere psychiatrische
Hospitalisationen und eine ambulante Betreuung bedingte. Aufgrund eines fortgeschrittenen
Karzinoms wurde die Patientin schliesslich zunehmend pflegebedürftig und äusserte den
Wunsch nach assistiertem Suizid. Dieser Suizidwunsch wurde als reflektiert und nicht im
143
SAMW September 2003, Email-Verkehr zwischen Subkommissionsmitgliedern
SAMW September 2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, Fassung 8a, S. 4
145
SAMW September 2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, Fassung 8a, S. 4
146
SAMW September 2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, Fassung 8a, S. 5
147
G. Ebner 2003
144
68
Rahmen der depressiven Symptomatik beurteilt, die Patientin somit für vollständig urteilsfähig erkannt. Die Patientin liess sich zu jener Zeit aufgrund ihres guten und engen Vertrauensverhältnisses in der psychiatrischen Klinik betreuen. Die psychiatrische Institution stand
damit vor dem Konflikt, ihre institutionellen Aufgaben wahrzunehmen und gleichzeitig die
Selbstbestimmung der Patienten zu achten. Schliesslich führten das Ernstnehmen und die
offene Diskussion über den Suizidwunsch, sowie die Intensivierung/ Verbesserung der palliativen Therapie dazu, dass die Patientin von ihrem Suizidwunsch Abstand gewinnen konnte
und schliesslich ihrer Erkrankung auf „natürliche Weise“ erlag.
In den durch diesen Fall angeregten Überlegungen fanden ethische Konzepte zur Entscheidungsabwägung genauso Eingang wie persönliche Stellungnahmen und Gedanken zu institutionellen Aufgaben. Einheitlich positiv bewertet wurden die offenen Gespräche sowie die
Optimierung der palliativen Behandlung, welche dazu führten, dass die Patientin ihren
Wunsch nach assistiertem Suizid nicht mehr anbrachte. Problematisch wurde erachtet, dass
trotz ausführlicher Fallbeschreibung viele wichtig erscheinende Fragen unbeantwortet blieben. Einigkeit bestand darin, dass eine psychiatrische Institution, deren Hauptaufgabe unter
anderen das Verhindern von Suiziden beinhaltet, selbst keine Suizidbeihilfe leisten solle.
In Form eines Leserbriefs reagierte W. Zimmerli auf die Fallvignette. Er befürwortete die
prinzipiell in allen drei Repliken dargelegte Ablehnung der „aktiven Sterbehilfe“ in psychiatrischen Institutionen, vermisste jedoch eine komplette Ablehnung der Suizidbeihilfe überhaupt.
Mit Bezugnahme auf die Bibel und die Regeln der Standesethik formulierte er folgendermassen:
„Jede Art von aktiver Sterbehilfe oder Beihilfe ist uns verboten, und ich wage zu sagen: Wenn wir davon abweichen, sind wir verloren. […] durch die zunehmend öffentliche Billigung [verliert] die Option der Suizidbeihilfe den privaten Charakter […].“148
Eine weitere Stellungnahme, ebenfalls in Form eines Leserbriefs, lieferte L. Ciompi. Nach
erfolgter Lektüre kam er zum Schluss, dass letztendlich
„alle Votanten von unterschiedlichen sachlichen Perspektiven her eine Art von Nutzen- und Kostenabwägung [versuchen]. Ausgespart bleibt jedoch die Frage, ob solch
rationales Abwägen angesichts von Existenzialien wie Sinn und Wert von Schmerz
und Krankheit, Sterben und Tod überhaupt zulässig sei, und wenn ja, wem sie denn
zustände und mit welcher Begründung.“149
148
149
W. Zimmerli 2003
L. Ciompi 2004
69
Innerhalb der geführten Diskussion vermisse er eine gewisse „Ehrfurcht vor dem Leben“,
eine Akzeptanz, dass nicht nur Aufbau und Entfaltung sondern eben auch Abbau und Einengung (z.B. Alzheimer-Patienten) zum Leben dazu gehören. Diesem Gedankengang folgend
führt er aus, dass
„auch das viel diskutierte Dilemma persönliche Autonomie vs. soziale Abhängigkeit
aus solcher Sicht ein Scheinproblem [ist]. Denn zutiefst abhängig von anderen Menschen – selbst auf der Höhe des Lebens zumindest von der Achtung und Zuneigung
anderer – ist jeder Mensch vom ersten bis zum letzten Lebenstag. Was der Mensch
heute ist, ist er, evolutionär betrachtet, primär dank seiner ausserordentlichen Fähigkeit zur Kommunikation und Kollaboration, d.h. zu gegenseitiger Abhängigkeit.“150
Bezüglich Suizid schlussfolgert er:
„Zutiefst verzerrt bzw. übersehen wird im Licht eines überrissenen Autonomiebegriffs
ebenfalls die Tatsache, dass kein Selbstmord, und sei er noch so ‚verständlich‘, je
Sache des Betroffenen allein ist.“151
3.11 Die Rechtslage in der Schweiz
Ebenfalls 2003 erschien ein Buch „Suizid und Sterbehilfe“152, welches eine Sammlung von
Texten verschiedener Autoren zur Thematik enthielt. Auf einen Beitrag, den die Subkommission „Sterbehilfe“ als Diskussionsgrundlage für ihre Arbeit beigezogen hatte und als „von
besonderem Interesse“153 wertete, wird in der Folge genauer eingegangen. Es handelt sich
dabei um einen Bericht von Kurt Seelmann mit dem Titel „Sterbehilfe: Die Rechtslage in der
Schweiz“. Der Autor verglich darin die Rechtslage der Schweiz mit jener von Deutschland.154
Er hält fest, dass es
„bisher keine Spezialregelung zur Problemstellung der Sterbehilfe [gibt], auch wenn
eine Verlautbarung der Regierung [in der Schweiz] Schritte zu einer solchen Gesetzgebung demnächst erwarten lassen.“155
Er verweist auf die in beiden Ländern gleich verwendeten Einteilungskriterien der Sterbehilfe
in passive, direkt und indirekt aktive Sterbehilfe, die gesondert zu interpretieren seien. Ein
150
L. Ciompi 2004
L. Ciompi 2004
152
Hrsg. Brudermüller G., Marx W., Schüttauf K.: Suizid und Sterbehilfe, Würzburg 2003
153
SAMW 20. Mai 2003, Kurz-Protokoll der Sitzung der Subkommission „Sterbehilfe“, S. 2
154
Aufgrund der besseren Übersicht der vorliegenden Arbeit und dem hauptsächlichen Interesse an
der Situation in der Schweiz, werden die deutschen Verhältnisse nur bedingt dargestellt.
155
Seelmann 2003, S. 136
151
70
deutlicher Unterschied finde sich in Bezug auf die Richtlinien der Schweizerischen Akademie
der medizinischen Wissenschaften (SAMW) – vergleichbar in ihrer rechtlichen Bedeutung
den Richtlinien der Bundesärztekammer in Deutschland:
„Diese Richtlinien [der SAMW] legen die ärztliche Standesethik fest, beschreiben
aber auch den weitgehend unumstrittenen Meinungsstand in der Schweizer Literatur,
und auch die ärztliche Praxis orientiert sich an diesen Richtlinien. Einige Kantone haben sie auf der Ebene des kantonalen Gesundheitsrecht sogar für verbindliches
Recht erklärt.“156
In der angefügten Fussnote folgen entsprechende Beispiele:
„So z.B. Zürich in §21 Abs. 4 der Patientenverordnung (LS 813.13) (‚Ergänzend finden die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften Anwendung.‘) oder in Basel-Landschaft in §1 Abs. 3 der Patientenverordnung
(SGS 930.15) (‚In medizinischer Hinsicht gelten die Richtlinien der Schweizerischen
Akademie der medizinischen Wissenschaften.‘)“157
Zur direkt aktiven Sterbehilfe, die also auf den Eintritt des Todes zielende Massnahmen beinhaltet, hält Seelmann fest, dass sie derzeit strafbar sei. Dazu beruft er sich auf die SAMWRichtlinien: „Auch gegenüber Sterbenden […] sind aktive Massnahmen zum Zwecke der Lebensbeendigung gesetzlich verboten.“158
Von dieser gesetzlichen Grundlage wurde im Bericht von 1999 der Arbeitsgruppe „Sterbehilfe“ des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, wie bereits oben (S. 50) beschrieben, Versuche zur Auflockerung der Praxis erwogen. Eine Kommissionsminderheit hielt an
der ausnahmslosen Strafbarkeit der direkt aktiven Sterbehilfe fest, wofür sich der Bundesrat
schliesslich ebenfalls entschied. Die Rechtsordnung und damit die Strafbarkeit für die direkt
aktive Sterbehilfe blieben somit unverändert.
Zur „indirekt aktiven Sterbehilfe“ fand Seelmann grundsätzlich keine Unterschiede zu
Deutschland:
„Er [der Arzt] darf palliativ-medizinische Techniken anwenden, auch wenn sie in einzelnen Fällen mit dem Risiko einer Lebensverkürzung verbunden sein sollten.“159
156
Seelmann 2003, S. 136
Seelmann 2003, S. 136 Fussnotentext
158
SAMW 1995, Medizinisch-ethische Richtlinie für die ärztliche Betreuung sterbender und zerebral
schwerst geschädigter Patienten, S. 2
159
Seelmann 2003, S.137/ 138
157
71
Interessanter, da unterschiedlich, gestalteten sich nun die Ausführungen zur passiven Sterbehilfe. Seelmann beginnt mit dem urteilsfähigen160 Patienten:
„Dessen gegen lebenserhaltende ärztliche Massnahmen gerichteter Wille ist zu respektieren, da der Eingriff sonst seinerseits eine strafbare Körperverletzung wäre.“161
In der Schweiz bestehe jedoch die Möglichkeit vom Patientenwillen zugunsten der Lebenserhaltung abzuweichen:
„Ein Abweichen vom Patientenwillen kommt ausnahmsweise dort in Betracht, wo sich
nicht entscheiden lässt, ob der aktuell geäusserte dem längerfristig zu vermutenden
Patientenwillen entspricht. Eine solche Situation liegt z.B. dann vor, wenn ein Patient
nach einem Suizidversuch in intensivmedizinische Behandlung gelangt und bei Bewusstsein an seinem Todeswunsch festhält oder bei fehlendem Bewusstsein in einem schriftlichen Dokument eine Behandlung ablehnt oder wenn ihn entsprechende
Zeugen seines Willens begleiten. […]“162
Seelmann schliesst daraus:
„Dogmatisch gesehen ist dies das Postulieren eines Rechtfertigungsgrundes für Körperverletzung, strukturell eines rechtfertigenden Notstands mit Höherbewertung des
voraussichtlichen künftigen Interesses.“163
Mit anderen Worten:
„Der urteilsfähige Patient darf in der Schweiz gegen seinen ausdrücklichen Willen behandelt werden, wenn ein künftiges Interesse am Leben gemutmasst werden
kann.“164
Wie sieht das nun bei urteilsunfähigen Personen aus? Seelmann zitiert die SAMW wie folgt:
160
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (Stand am 01.01.2011), Art. 16: Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist ein jeder, dem nicht wegen seines Kindesalters oder infolge von
Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit oder ähnlichen Zuständen die Fähigkeit mangelt,
vernunftgemäss zu handeln.
161
Seelmann 2003, S. 138
162
Seelmann 2003 S. 138, Fussnotentext
163
Seelmann 2003, S. 138
164
Seelmann 2003, S. 145
72
„Bei unbestimmter Prognose, die grundsätzlich voneinander abweichende Vorgehensweisen zulässt, orientiert sich der Arzt am mutmasslichen Willen des Patienten:
wenn dieser Lebenszeichen äussert, die auf einen gegenwärtigen Lebenswillen
schliessen lassen, sind diese entscheidend. Fehlt es an solchen Zeichen, so dienen
frühere Äusserungen des Patienten, Angaben von Angehörigen und eine allenfalls
vorhandene schriftliche Erklärung des Patienten selber […] als Orientierungshilfen.“165
Und:
„[…] Beim nicht oder nicht voll-urteilsfähigen Patienten kommt es auf seinen mutmasslichen Willen an. Dazu sind Patientenverfügungen und Auskünfte von Angehörigen und Vertrauenspersonen sowie von vorbehandelnden Ärzten zu berücksichtigen.“166
Damit entstehe in der Schweiz ein Dilemma zwischen dem Gedanken der mutmasslichen
Einwilligung einerseits und ‚notstandsähnlichen’ Abwägungen andererseits.
„Die Richtlinien zur Sterbehilfe von 1995 stellen nämlich bei der passiven Sterbehilfe
im Fall des urteilsunfähigen Patienten primär auf die Prognose und die zu erwartenden Lebensumstände des Patienten ab, lassen in zweiter Linie ‚Intensität und Schwere der dem Patienten zugemuteten Eingriffe und Anstrengungen‘ gegen den ‚mutmasslichen Behandlungserfolg‘ abwägen und argumentieren erst bei unbestimmter
Prognose mit dem ‚mutmasslichen Willen des Patienten‘.“167
Seelmann richtet dann den Blick auf Überschneidungen der beiden zitierten Richtlinien „Betreuung Sterbender“ und „Grenzfragen der Intensivmedizin“ und zeigt einen Gesinnungswandel auf:
„Diese neuen Richtlinien zur Intensivmedizin nun rücken die mutmassliche Einwilligung des Patienten im Fall des Abbruchs intensivmedizinischer Massnahmen an die
erste Stelle und lassen ‚ferner’ Faktoren wie Alter, Lebensgeschichte und Lebensqualitätsprognose, an die zweite Stelle treten[..]. Mutmassliche Einwilligung und Abwägungsgesichtspunkte jenseits der mutmasslichen Einwilligung haben also hier ihre
Reihenfolge vertauscht.“168
165
Seelmann 2003, S. 139, Fussnotentext
Seelmann 2003, S. 139, Fussnotentext
167
Seelmann 2003, S. 139/ 140
168
Seelmann 2003, S. 140
166
73
In seiner Interpretation kommt er zu folgendem Schluss:
„[…] Sucht man den roten Faden in den Unterschieden zwischen beiden Rechtsordnungen, so könnte man ihn deshalb sogar primär in der Objektivierung der Kriterien
sowohl für die passive Sterbehilfe als auch für die aufgezwungene Behandlung und in
einer geringeren Achtung der Autonomie des Patienten im schweizerischen Recht
sehen. Selbst wo die Gesetzgebungskommission, ganz beschränkt, direkt aktive
Sterbehilfe für nicht strafbar erklären will, orientiert sie sich weniger an der Autonomie
des Patienten, der insoweit keinerlei Rechte erhält, als an der Ausweitung von Optionen für den Arzt. Darin liegt in der Tat eine durchgehende Linie: Es gibt in der
Schweiz eine grössere Entscheidungsbefugnis des behandelnden Arztes, dem vom
Gesetz, von der Dogmatik und auch von den Akademie-Richtlinien, ja sogar vom
neuen Kommissionsentwurf weit grössere Entscheidungsspielräume belassen werden als dem Arzt in Deutschland. Dazu passt auch, dass eine Kontrolle des Arztes
durch das Betreuungsrecht so gut wie nicht existiert. Auch die Rechtsdogmatik erscheint weniger streng, beschränkt sich eher auf allgemeine Zielvorgaben und fordert
eine konsensorientierte pragmatische Haltung. […] Insgesamt lässt sich wohl sagen,
dass die besondere historische Erfahrung in Deutschland ein Mass an Schutz von
Patientenautonomie und Kontrolle von Medizinpersonen geschaffen hat, das der insoweit lascheren Schweizer Rechtswissenschaft und Rechtspraxis nicht bekannt ist.
Im Inhalt und in der Konstruktion überwiegen in der Schweiz deshalb eher ‚pragmatische‘ Wege für die Lösung des Problems der Sterbehilfe mit einem grossen Vertrauensvorschuss in ärztliche Entscheidungen sowie konstruktiv eine Orientierung an objektiven Notstandserwägungen.“169
3.11.1 Vereinbarkeit der rechtlichen Grundlage mit den Empfehlungen der Richtlinie
Diese ausführliche Beschäftigung mit der rechtlichen Grundlage in der Schweiz soll verstehen helfen, warum in der Subkommission „Sterbehilfe“ gegen eine weitere Einbindung des
Arztes in die Suizidbeihilfe-Praxis argumentiert wurde. Die Entscheidungsbefugnisse und
damit Machtverhältnisse waren schon vor bestehender Richtlinie gewichtig. Sie sollten nicht
ausgebaut werden. Deutlich mehr Gewicht wurde den Patientenrechten, ganz im Sinne des
bereits 1999 erfolgten Wandels, eingeräumt, in gewissem Masse zum Schutz des Arztes.
Verdeutlicht sei dies an der Endfassung der Richtlinie „Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende“: Das Kapitel „Patientenrechte“ wurde in „Recht auf Selbstbestimmung“ umbenannt und direkt der Umschreibung des Geltungsbereichs nachgestellt. Die
Respektierung des Willens des urteilsfähigen bzw. des mutmasslichen Willens des urteilsun169
Seelmann 2003, S. 145
74
fähigen Patienten wurde als zentral angesehen. Um Hinweise auf den mutmasslichen Willen
zu erhalten, seien alle möglichen Informationsquellen auszuschöpfen (Patientenverfügung,
Angehörige, Vertrauensperson, rechtliche Vertretung, Hausarzt).
Die Rechtskraft der Patientenverfügung selbst wurde ebenfalls gestärkt:
„Patientenverfügungen sind zu befolgen, soweit sie auf die konkrete Situation zutreffen und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie dem derzeitigen Willen des Patienten nicht mehr entsprechen.“170
Abweichungen vom mutmasslichen Willen können nicht (mehr) „selbstverständlich“ vom Arzt
beschlossen werden:
„Verweigern die Vertreter (gesetzliche Vertreter oder die Vertrauensperson) eine aus
ärztlicher Sicht unbedingt im Interesse des urteilsunfähigen Patienten stehende Massnahme, sollen alle Möglichkeiten der Vermittlung, z.B. auch über Ethikkonsilien,
ausgeschöpft werden. Bei fehlender Einigung ist die Vormundschaftsbehörde einzubeziehen. Falls in einer Notfallsituation für diese Schritte keine Zeit bleibt, ist eine
Massnahme auch gegen den Willen der Vertreter durchzuführen.“171
Entsprechend der Gewichtung des Willens des Patienten erfolgte im Kapitel „Beihilfe zum
Suizid“ folgende Umformulierung: „[…] Unter gewissen Umständen ist dann die ärztliche
Beihilfe zum Suizid vereinbar mit der ärztlichen Ethik.“172 Der Kommentarteil bestand weiterhin aus der unveränderten Version B (S. 57). Dieser Richtlinienentwurf (5. Fassung) wurde in
einer Art „Vorvernehmlassung“ zwei ausgewählten Experten vorgelegt, die folgende Gedanken anregten:
Als Quantensprung wurde die neu ausgelegte Vereinbarkeit des ärztlichen Ethos mit der
Suizidbeihilfe erkannt, was an sich begrüsst wurde. Als fehlend wurde eine Umschreibung
dieser „gewissen Umstände“ bemängelt. Heisst das nun, dass der Arzt „unter gewissen Umständen“ Suizidbeihilfe leisten solle? Was könnten das für „Umstände“ sein? Was bedeutet
in diesem Zusammenhang der Ausdruck „vereinbar“? Um einem Missverständnis vorzubeugen, wurde vorgeschlagen zu betonen, dass es sich in solchen Situationen um eine Gewissensentscheidung des einzelnen Arztes handle. Entsprechend bedürfte auch diese Formulierung im Kommentarteil weitere Ausführungen, die aufzeigten, dass es in solchen Extremsituationen keine klaren Gebote der ärztlichen Ethik gäbe, was der Arzt tun soll. Die Formulie-
170
SAMW 2004, Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende, S. 4
SAMW 2004, Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende, S. 5
172
Subkomm. „Sterbehilfe“, 20.5.2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, 5. Fassung, S.3
171
75
rung sollte darauf abzielen, sowohl die Verweigerung der Beihilfe als auch die Beihilfe mit
dem ärztlichen Ethos zu vereinbaren. Im Zentrum des ärztlichen Ethos sollte ein „verantwortungsvolles Vorgehen“ stehen, was in beiden Fällen gegeben sein könne. Aufgrund des fehlenden Konsens, politisch wie in der Subkommission, wurde ebenfalls die Möglichkeit einer
Antwortverweigerung bezüglich der Vereinbarkeitsfrage überlegt:
„Derzeit wissen wir noch nicht, ob Beihilfe zum Suizid vereinbar oder unvereinbar ist
mit dem ärztlichen Ethos. Wir verzichten daher vorläufig auf die frühere Formulierung,
dass hier eine Unvereinbarkeit besteht, sagen aber noch nichts über eine mögliche
Vereinbarkeit.“173
Der Hinweis auf die Zulässigkeit einer Gewissensentscheidung wäre damit nicht gegeben,
die Beihilfe zum Suizid würde – im Sinne eines in dubio pro libertate – stillschweigend geduldet, dies jedoch unter dem Vorbehalt einer eventuellen künftigen Einigung der Ärzteschaft
auf die Vereinbarkeits- oder Unvereinbarkeitsthese.
Weiter bedacht wurde, dass das Schreiben eines Rezepts immer eine ärztliche Tätigkeit ist,
da nur Ärzte Rezepte ausstellen dürfen. Dies warf folgende Frage auf:
„Kann ein Arzt als Arzt ein Mittel verschreiben, für welches es keine Indikation gibt,
sondern welches eindeutig vom Patienten dazu benutzt werden wird, sich selbst zu
töten?“174
Die beiden möglichen Antworten lauteten:
„Entweder ist es mit dem ärztlichen Ethos unvereinbar, dies zu tun (Position der alten
Richtlinie) oder es ist eine Gewissensentscheidung, die dem Arzt vorbehalten bleibt.
Im ersten Fall liegt die Beihilfe zum Suizid ausserhalb des Hags [Zaun] des ärztlichen
Ethos, im zweiten Falle – ähnlich dem Schwangerschaftsabbruch – innerhalb. Keineswegs kann man aber sagen, dass der Arzt in solchen Situationen als Mensch und
nicht als Arzt handelt.“175
Zu den Bedingungen, unter welchen eine Suizidbeihilfe mit dem ärztlichen Ethos zu vereinen
sei, wurden ebenfalls Präzisierungswünsche geäussert. So lautete der Entwurfstext:
173
SAMW Subkommission „Sterbehilfe“, Expertenkommentar zur 5. Fassung, Mai 2003, S. 2
SAMW Subkommission „Sterbehilfe“, Expertenkommentar zur 5. Fassung, Mai 2003, S. 2
175
SAMW Subkommission „Sterbehilfe“, Expertenkommentar zur 5. Fassung, Mai 2003, S. 2
174
76
„Trotz Ausschöpfen von therapeutischen, psychiatrischen und palliativen Möglichkeiten kann am Lebensende in einer für den Betroffenen unerträglichen Situation, der
Wunsch nach Suizidhilfe bestehen bleiben.“176
Bemängelt wurde dabei das gesonderte Aufführen der „psychiatrischen“ Möglichkeiten, welche als medizinische Disziplin in den therapeutischen sowie auch den palliativen Möglichkeiten bereits enthalten sei. Die Erwähnung der psychiatrischen Möglichkeiten befremdete
ebenfalls im Zusammenhang mit der Textstelle im Kommentar:
„[…] Je nach Einschätzung des Sterbewunsches durch den Arzt wird eine eingehendere psychosoziale Exploration, gegebenenfalls eine antidepressive Behandlung oder
sogar eine psychiatrische Einweisung nötig sein.“177
Problematisch erschien hier der Bezug zum Geltungsbereich: Sollten Sterbende in die Psychiatrie eingewiesen werden? Zur Klärung wurde vorgeschlagen, im Kommentarteil darauf
hinzuweisen, ob allgemein Aussagen zum Suizid oder Aussagen zu Suizidwünschen am
Lebensende gemacht werden.
Die Formulierung „trotz Ausschöpfen palliativer Möglichkeiten…“178 erschien missverständlich: Bedeutet dies „wenn alle palliativen Möglichkeiten ausgeschöpft sind“, oder eher „obzwar versucht wird, alle palliativen Möglichkeiten auszuschöpfen“? Die erste Leseart wurde
verworfen, da palliative Möglichkeiten niemals ausgeschöpft sein können. Als sinnvoller wurde die zweite Version erachtet, wo der Respekt gegenüber dem Patienten es ab einem bestimmten Punkt verbiete, diesen zu weiteren palliativen Massnahmen ‚zu drängen’. Entsprechend diesem Gedankengang erschien die im Kommentarteil erwähnte Überprüfung, dass
die palliativen Massnahmen ausgeschöpft sind („[…] Wenn er sich aber grundsätzlich dazu
bereit erklärt, hat er sich nochmals zu versichern, dass keine Therapieoption verpasst wurde
[…]179) als ‚Akt der Unmöglichkeit’. Vielmehr sollte auch hier die Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber dem Patienten (Angebote/Möglichkeiten) herangezogen werden, aufgrund
dessen sich der Betroffene im Rahmen des ‚informed consent’ entscheiden kann – was allenfalls bedeutet, dass er an seinem Suizidwunsch festhält.
Ebenfalls als missverständlich wurde der Satz „auch gibt es in diesem Fall keine zwingenden
moralischen Gründe, warum man diesem Menschen dabei nicht behilflich sein sollte“180 aus
dem Kommentarteil angesehen. Sehr wohl können Ärzte aufgrund ihrer religiösen oder sonstigen Bindung zwingend moralische Gründe haben, keine Suizidbeihilfe zu leisten. Dass
176
Subkomm. „Sterbehilfe“, 20.5.2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, 5. Fassung, S. 3
Subkomm. „Sterbehilfe“, 20.5.2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, 5. Fassung, S. 8
178
Subkomm. „Sterbehilfe“, 20.5.2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, 5. Fassung, S. 3
179
Subkomm. „Sterbehilfe“, 20.5.2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, 5. Fassung, S. 8
180
Subkomm. „Sterbehilfe“, 20.5.2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, 5. Fassung, S. 8
177
77
ihnen diese Gründe von den Richtlinien der SAMW abgesprochen werden, kann nicht gemeint sein.
Ein weiterer Diskussionspunkt war, warum von „ärztlicher Beihilfe“ und nicht allgemein von
„Beihilfe zum Suizid“ gesprochen wird. Sollte da eine Abgrenzung zu Sterbehilfeorganisationen und Laien vorgenommen werden? Was umfasst dann genau die ärztliche Tätigkeit, das
Feststellen der Urteilsfähigkeit, das Ausstellen des Rezepts, das Reichen des Bechers?
Von der Subkommission wurde die Option, die Suizidbeihilfe von der ärztlichen auf die persönliche Ebene „zurückzuführen“ zwar als guter „Ausweg aus dem Dilemma“ des fehlenden
Konsens gesehen, jedoch die unterlassene Stellungnahme als ungünstig erachtet. Die Verantwortung würde auf die individuelle Ebene des Arztes gelegt, was den Eindruck entstehen
lassen könnte, dass es zwei Kategorien von Ärzten gäbe. Der Vorschlag, wonach ein Gewissensentscheid des Arztes beide Varianten (Beihilfe und Verweigerung) mit dem ärztlichen
Ethos vereinen lasse, fand mehrheitlich Zustimmung. Die Dilemma-Struktur müsse jedoch
präzisiert sowie eine Art Rahmenbedingungen für die Durchführung definiert werden, um den
Patienten besser zu schützen.
Einig war man sich dahingehend, dass sich sämtliche Aussagen der Richtlinie einzig auf die
im Geltungsbereich beschriebene Personengruppe zu beziehen haben.
Im Juni 2003 wurde das Kapitel „Beihilfe zum Suizid“ mit 3 möglichen Versionen (inkl. Kommentare der verschiedenen Subkommissions-Mitgliedern) präsentiert:
„[Gemeinsamer Text]
Gemäss Art. 115 des Strafgesetzbuches ist die Beihilfe zum Suizid straflos, wenn sie
ohne selbstsüchtige Beweggründe erfolgt. Dies gilt für alle Personen. Für Ärzte besteht die Hauptaufgabe darin, das Entstehen einer solchen Situation mit allen möglichen Massnahmen zu vermeiden, insbesondere indem sie dem Patienten Alternativen und sinnvolle Behandlungsmöglichkeiten und –perspektiven (insbesondere auch
palliativer Art) aufzeigen, erläutern und auch anbieten. Trotz Angebot und Einsatz
[statt: Ausschöpfen] von therapeutischen, psychiatrischen < Vorschlag: psychiatrisch
zu streichen> und palliativen Möglichkeiten kann am Lebensende in einer für den Betroffenen unerträglichen Situation der Wunsch nach Suizidbeihilfe dauerhaft [neu eingefügt] bestehen bleiben.
[unterschiedliche Fortsetzungsvorschläge und Kommentartexte]
Version 1
Der Arzt hat die technische Berechtigung und auch das Wissen, todbringende Mittel
in der passenden Dosis zu verschreiben. Ein entsprechender Wunsch des Patienten
lässt ein Spannungsfeld zwischen den moralisch-ethischen Werten des Patienten und
78
des Arztes entstehen. In diesem höchst persönlichen, die ärztliche Kunst nur am
Rande berührenden Spannungsfeld lassen sich keine allgemeingültigen Richtlinien der medizinischen Ethik definieren. Aus diesem Grund kann aus Sicht der
SAMW (zum heutigen Zeitpunkt?) die Frage nach der Vereinbarkeit der Suizidbeihilfe
mit dem ärztlichen Ethos nicht beantwortet werden. Es muss dem Gewissensentscheid des einzelnen Arztes in der konkreten Lage überlassen werden, ob er Beihilfe
zum Suizid leisten will. (Eine Pflicht dazu kann aus der ärztlichen Ethik jedenfalls
nicht abgeleitet werden?)
Kommentar
1. Arzt kommt erst durch das Verschreiben in eine besondere Lage – Spannungsfeld zwischen Individuen mit unterschiedlichen Werten betont
2. Betonen, dass die ärztliche Kunst (Dosis etc.) und die ärztliche Grundaufgabe
(heilen, begleiten, lindern) kaum berührt werden und darum keine allgemeinen
Leitlinien verfasst werden können
3. Forderung eines Gewissensentscheids, ohne eine Pflicht zur Beihilfe ableiten
zu können. Beihilfe ist damit nur eine „Exklave“ der ars medici, auf welche die
ursprünglichen Regeln und Intentionen der ars medici nicht anwendbar sind.
Der Arzt ist in erster Linie Individuum mit eigenem moralisch-ethischen Standpunkt und der ärztliche Teil kommt sowohl logisch als auch technisch erst
nach dem nicht-ärztlichen Entscheid zur Beihilfe (im Bild: Arzt zieht den weissen Kittel aus, um die Entscheidung zu fällen, und zieht ihn wieder an, um das
Rezept korrekt zu schreiben).
Version 2
Die ärztliche Suizidbeihilfe widerspricht dem traditionellen ärztlichen Ethos. Sie
gehört nicht zu den im eigentlichen Sinne medizinischen Anwendungen der ärztlichen
Kompetenzen, welche in der Heilung, Linderung und Begleitung von Patienten bestehen. Insofern ist die Beihilfe zum Suizid kein Teil der ärztlichen Tätigkeit.
Da derzeit in der Ärzteschaft kein Konsens darüber zu erreichen ist, ob die Beihilfe
mit der ärztlichen Ethik vereinbar ist oder nicht, kann sich für den Arzt in diesem Fall
eine Grenzsituation ergeben, in der er die Entscheidung zugunsten der Beihilfe zum
Suizid wie auch zu ihrer Verweigerung vor seinem Gewissen verantworten muss.
Diese Entscheidung lässt sich nicht unabhängig von der einzelnen Situation regeln
und fällt in die persönliche Verantwortung des handelnden Arztes.
Kommentar
4. Es muss zwischen einer ärztlichen und einer nicht-ärztlichen Anwendung medizinischen Wissens unterschieden werden […]. Die Beihilfe zum Suizid gehört eindeutig nicht zu den ärztlichen Anwendungen medizinischen Wissens,
79
insofern diese durch die Hauptziele der Medizin, nämlich Heilung, Linderung
und Begleitung der Patienten charakterisiert sind.
5. Was die Beihilfe zum Suizid betrifft, so gilt zu respektieren, dass diese nicht
nur in der Bevölkerung insgesamt, sondern auch unter Ärzten in moralischer
Hinsicht unterschiedlich bewertet wird und bewertet werden kann. Dabei spielen insbesondere unterschiedliche Interpretationen des ärztlichen und pflegerischen Fürsorgeprinzips eine Rolle, Bedenken in Hinblick auf eine mögliche
Ausweitung bzw. Gewöhnung, aber auch unterschiedliche Welt- und Menschenbilder bzw. weltanschauliche Hintergründe.
6. Zurzeit besteht kein Konsens darüber, ob die Beihilfe mit der ärztlichen Ethik
vereinbar ist oder nicht. Mit dem Verweis auf die Gewissensentscheidung des
Arztes tragen die Richtlinien dieser Situation Rechnung.
7. Auch wenn die Entscheidung in die persönliche Verantwortung des handelnden Arztes fällt, müssen bei einer Entscheidung zugunsten der Beihilfe gewisse Minimalbedingungen eingehalten werden wie die Urteilsfähigkeit des Patienten, die Dauerhaftigkeit seines Wunsches, das Einholen einer unabhängigen Zweitmeinung eines anderen Arztes, der Ausschluss einer Depression
beim sterbewilligen Patienten bzw. das strikte Einhalten der Bedingung, dass
die Handlung vom suizidwilligen Sterbenden selbst ausgeführt wird, also kein
Hilfsmittel wie Infusionen, PEG- oder Magensonden zur Verabreichung des
todbringenden Mittels eingesetzt werden. Der Entscheidungsprozess muss in
der Krankengeschichte festgehalten werden. Wird der Freitod ausgeführt, verlangt das Gesetz, dass dieser als ein nicht-natürlicher Todesfall den Untersuchungsbehörden zur Abklärung gemeldet wird.
Version 3
Diese Grenzsituationen stellen den Arzt vor die Gewissensentscheidung, ob er Beihilfe zum Suizid leistet oder nicht. Es obliegt der Verantwortung des Arztes, wie er entscheidet. Dies bleibt jedoch immer eine Gewissensentscheidung. Beide Optionen
sind mit dem ärztlichen Ethos vereinbar. Entscheidet sich ein Arzt dazu, Beihilfe zum
Suizid zu leisten, hat er insbesondere folgende Bedingungen einzuhalten: Der Patient
ist urteilsfähig, sein Wunsch ist dauerhaft, die unabhängige Zweitmeinung eines Arztes liegt vor und alternative Möglichkeiten der Hilfestellung wurden erörtert und soweit
gewünscht auch eingesetzt.
Kommentar
8. In einer solchen Grenzsituation gibt es kein klares Gebot der ärztlichen Ethik.
Es ist daher ein Gewissensentscheid des Arztes, ob er Beihilfe zum Suizid
leistet oder nicht. In diesem Sinne sind in der beschriebenen Situation sowohl
80
die Verweigerung der Beihilfe wie die Beihilfe mit dem ärztlichen Ethos vereinbar. In jedem Fall hat der Arzt verantwortungsvoll vorzugehen.
9. Lehnt der Arzt eine Beihilfe aus seiner persönlichen Gewissenshaltung heraus
ab, soll er dies dem Patienten rechtzeitig mitteilen.
10. Wenn er sich aber grundsätzlich dazu bereit erklärt, hat er sich nochmals zu
versichern, dass keine Therapieoption verpasst wurde und dass der Sterbewunsch des Patienten wohlerwogen ist. Auch soll er in jedem Fall den Rat einer kompetenten Drittperson einholen. Der Entscheidungsprozess muss in der
Krankengeschichte festgehalten werden. Wird der Freitod ausgeführt, verlangt
das Gesetz, dass dieser als ein nicht-natürlicher Todesfall den Untersuchungsbehörden zur Abklärung gemeldet wird. “181
Reaktionen der Subkommissionsmitglieder auf die 3 vorgeschlagenen Versionen kamen
zahlreich und teilweise auch vehement:
Variante 1 schied insbesondere wegen der fehlenden Stellungnahme aus. Da die SAMW in
rechtlichem Sinne wie auch auf politischer Ebene einen nicht zu unterschätzenden Einfluss
ausübt, war der Wunsch nach Definition einer klaren Haltung bezüglich der Suizidbeihilfe
gegeben. Zudem erschien die Ansicht unvollständig, dass der Arzt erst durch die Verschreibungsmacht in eine besondere Lage gerate. Vielmehr sei es so, dass die Suizidbeihilfe bisher ausschliesslich im Kontext schwerster, unheilbarer Erkrankungen diskutiert und praktiziert würde.
Favorisiert wurde in mehreren Rückmeldungen eine Kombination der Variante 2 und 3, wobei betont werden sollte, dass die Suizidbeihilfe nicht zu den primär medizinischen Anwendungen ärztlicher Kompetenzen gehöre. Ein spezifischer Nachsatz wurde gewünscht, der
hervorhebe, dass die Einnahme des todbringenden Mittels durch den Patienten selbst erfolgen müsse.
Die Aufzählung, wie sie in Kommentar 7 erfolgt, wurde der allgemein gehaltenen aus Kommentar 10 („dass keine Therapieoption verpasst wurde“, „Rat einer kompetenten Drittperson
einholen“) vorgezogen. Bemängelt an Kommentar 10 wurde, dass er nicht alle klinisch wichtigen Aspekte abdecke und zu wenig auf Missbrauchsgefahren hinweise (z.B. via PEG). Die
Bedingungen, welche für eine Suizidbeihilfe erfüllt sein müssen, sollten möglichst prägnant
und konkret ausformuliert werden. Dem entgegengesetzt bestand der Wunsch, bezüglich
dieser „Checkliste“ nicht zu „technisch“ zu werden.
Die Kommentierungen 4, 6 und 8 wurden als Doppelung des Haupttextes und damit als
überflüssig erachtet. Wegweisend für den Kommentarteil wurden die Kommentare 5, 7 und 9
angesehen.
181
SAMW Juni 2003, 2.3.1 Beihilfe zum Suizid – Varianten
81
An der Version 2 (und auch an Kommentar 7) wurde die Ächtung der Suizidbeihilfe mittels
Infusionen und Sonden gerügt und angefügt, dass auch bei Einsatz solcher Mittel der Sterbewillige durchaus den letzten Akt der zum Tode führenden Handlung selber ausführen könne. Bei Ausschluss dieser Optionen würde man also gerade
„diejenigen Patienten von der Möglichkeit ausschliessen, sich beim Suizid helfen zu
lassen, bei denen wir im Allgemeinen der Ansicht sind, dass Suizidbeihilfe am ehesten zu vertreten ist: Die terminal Kachektischen (ausgeprägter Brechreiz), diejenigen
mit ausgeprägtem ‚pain and symptoms‘ (i.d.R. ausgeprägte zentralnervöse Adaptation an Sedativa), diejenigen mit Krebs in besonders belastenden Lokalisationen
(Schluckunfähigkeit) […]“182.
Ebenfalls eckte die Formulierung „traditionelles ärztliches Ethos“ an. Die Ethik sei „interUND intrakulturellen Änderungen“183 unterworfen und daher im Fluss.
Ein anderer Erweiterungsvorschlag bei Präferenz der Version 2 war:
„Grundsätzlich ist die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit. Kommt es
im Einzelfall trotzdem dazu, dass ein Arzt aufgrund eines Gewissensentscheids Beihilfe zum Suizid leistet, so hat er folgende Bedingungen einzuhalten: …“184
Dabei wurde die Aussage, „im Einzelfall vereinbar mit dem ärztliche Ethos“185 umgangen,
was sonst de facto einer gesellschaftlichen Akzeptanz der ärztlichen Suizidbeihilfe massgeblich beitragen würde. Denn: Der Einzelfall kann nicht ohne Einbettung in die gesellschaftliche Praxis bewertet werden. Im Einzelfall kann tatsächlich eine Vereinbarkeit bestehen, nicht
aber für die allgemein gesellschaftlich etablierte Praxis. Die Einzelfall-Formulierung entstand
durch den Wunsch, die Ultima-ratio-Situation einer solchen Entscheidung zu betonen. Weiter
angemerkt zu oben genanntem Vorschlag wurde, dass das Ethos
182
SAMW August 2003, Email-Kommentar eines Subkommissions-Mitglieds zu den Versionen der
Suizidbeihilfe von Juni 2003
183
SAMW August 2003, Email-Kommentar eines Subkommissions-Mitglieds zu den Versionen der
Suizidbeihilfe von Juni 2003
184
SAMW August 2003, Email-Kommentar eines Subkommissions-Mitglieds zu den Versionen der
Suizidbeihilfe von Juni 2003
185
SAMW August 2003, Email-Kommentar eines Subkommissions-Mitglieds zu den Versionen der
Suizidbeihilfe von Juni 2003, dessen Vorschlag lautete: „Grundsätzlich ist die Beihilfe zum Suizid nicht
Teil der ärztlichen Tätigkeit. Trotzdem kann im Einzelfall eine Gewissensentscheidung, aus Respekt
vor der Patientenautonomie diese Beihilfe zu leisten, mit dem ärztlichen Ethos vereinbar sein.“
82
„die Verantwortung für unser Handeln oder auch für den Verzicht auf unser Handeln
nicht übernehmen [soll/kann], sondern das individuelle Gewissen, das der Güterabwägung (d.h. dem ethischen Dilemma) ‚no harm‘ gegen Autonomie beiwohnt.“186
Wichtige Anregungen zur Sterbehilfe-Debatte kamen auch aus Richtung der Palliativmedizin:
„Die Palliativmedizin stellt nicht die Heilung, sondern die Erhaltung der Lebensqualität
in den Mittelpunkt ihres Bemühens. […] Laut Definition der WHO hat die Palliativmedizin vor allem auch eine präventive Aufgabe, das heisst eine Verhinderung von einschränkenden Symptomen. Oft wird daraus abgeleitet, dass sie dadurch auch eine
Prävention des Sterbewunsches macht. Dies ist aber laut Definition ausdrücklich
nicht ein Ziel, sondern allenfalls ein ‚Nebeneffekt’. In der Tat kann eine qualitätsstandardisierte Palliativmedizin wahrscheinlich einen wichtigen Teil der Sterbewünsche
unterdrücken, aber nicht alle. […] Die moderne Medizin richtet ihr Augenmerk in erster Linie auf eine Quantitätsausweitung des Lebens [(…)]. Dadurch kommt es immer
häufiger zu einer Umwandlung einer akuten in eine chronische Krankheit. Der ‚moderne Palliativpatient’ ist deshalb ein Produkt moderner Medizin. […] Leider wird in
der heutigen Debatte oft die Palliativmedizin als Alternative zur Sterbehilfe ausgespielt. Das ist sie weder historisch noch konzeptuell. […].“187
Die folgende Umformulierung wurde vorgeschlagen:
„In dieser Grenzsituation kann für den Arzt ein unlösbarer Konflikt zwischen der allgemeinen Pflicht, seine medizinische Kompetenzen ausschliesslich zur Heilung, Linderung und Begleitung einzusetzen, und der Aufforderung, in diesem Fall der unerträglichen Situation seines Patienten wirksam und im Respekt für dessen autonome
Entscheidung zu begegnen. Grundsätzlich ist die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der
ärztlichen Tätigkeit. Trotzdem kann im Einzelfall eine Gewissensentscheidung aus
Fürsorge und Respekt vor der Patientenautonomie, Beihilfe zu leisten mit dem ärztlichen Ethos vereinbar sein. Die Verantwortung dafür obliegt dem einzelnen Arzt, der
auch für die Einhaltung folgender Bedingungen zu sorgen hat:
Der Wunsch des Patienten ist wohlerwogen und dauerhaft.
Die Erkrankung des Patienten rechtfertigt die Annahme, dass das Lebensende nahe
ist.
186
SAMW August 2003, Email-Kommentar eines Subkommissions-Mitglieds zu den Versionen der
Suizidbeihilfe von Juni 2003
187
SAMW August 2003, Email-Kommentar eines Subkommissions-Mitglieds zu den Versionen der
Suizidbeihilfe von Juni 2003
83
Alternative Möglichkeiten der Hilfestellung wurden erörtert und soweit gewünscht
auch eingesetzt.
Eine übereinstimmende ärztliche Zweitmeinung liegt vor. Die Einnahme des todbringenden Mittels muss durch den Patienten selbst, ohne medizinische Hilfsmittel erfolgen.“188
An dieser Variante wurde die „Gewissensentscheidung aus Fürsorge“ als nicht mit dem ärztlichen Ethos vereinbar gesehen. Die Achtung der Patientenautonomie könne einziger Grund
sein, aus dem heraus ein Arzt einem Sterbenden beim Suizid im Einzelfall helfen sollte. Ansonsten fand dieser Vorschlag relativ breite Zustimmung.
3.12 Der Vernehmlassungstext
Der für August 2003 erstellte Entwurf der Richtlinie (Fassung 6), nahm sämtliche Anregungen der Subkommissions-Mitglieder auf und stellte diese zur Diskussion. In einer ausführlichen Sitzung wurden die Vorschläge diskutiert und im Abstimmungsverfahren nach dem
Mehrheitsprinzip entschieden. Anhand der Reaktionen auf die im Mai 2004 erschienene
Richtlinie „Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürftigen Menschen“, leitete die
Subkommission „Sterbehilfe“ ab, dass ihre eigene Richtlinie möglichst wenig Interpretationsspielraum offen lassen und gut kommuniziert werden sollte. So kam es in Deutschland zu
einer verzerrten Darstellung mit falsch wiedergegebenen Inhalt der oben erwähnten Richtlinie, zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung mit dem reisserischen Titel „Stilles Töten in
der Schweiz – Ärzte sollen Sterbehilfe leisten, um Kosten zu sparen“189 oder in einem ARDBeitrag („Titel, Thesen, Temperamente“). Die SAMW nahm in einem Schreiben an die Deutsche Bundesärztekammer zu diesen Beiträgen Stellung.
Entsprechend diesem Hintergrund wurde für die Richtlinie „Betreuung von Patienten am Lebensende“ in sämtlichen Kapiteln nach klaren und prägnanten Formulierungen gesucht. In
diese Phase fiel die bereits erwähnte Streichung des Abschnittes im Kommentarteil bezüglich der Tötung auf Verlangen. Die Richtlinie dahingehend („Die Tötung … ist abzulehnen“190)
sei selbstredend, es brauche keine Begründung oder Rechtfertigung des Tötungsverbotes.
Die definitive Formulierung des Abschnittes „Suizidbeihilfe“ orientierte sich bei deutlicher
Präferenz der Subkommissionsmitglieder an der Version 3 (S.79). Anstelle von „mit dem
ärztlichen Ethos vereinbar“ entschied man sich für die offenere Formulierung „ethisch vertretbar“, welche
188
SAMW August 2003, Email-Kommentar eines Subkommissions-Mitglieds zu den Versionen der
Suizidbeihilfe von Juni 2003
189
Süddeutsche Zeitung, 06.02.2004
190
SAMW 2004, Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende, S. 7
84
„die allgemeine ethische Begründbarkeit einer solchen Handlung [bezeichnet], unabhängig davon, ob der Handelnde ein Arzt ist oder nicht. Mit dieser Formulierung wird
betont, dass die Suizidbegleitung im Prinzip nicht Teil des ärztlichen Ethos ist, dass
es aber trotzdem im Einzelfall dazu kommen kann, dass ein Arzt in die Entscheidung
involviert wird.“191
Zur Abgrenzung der Äusserungen in der Richtlinie für die „Behandlung und Betreuung von
älteren pflegebedürftigen Menschen“ sowie Einschränkung der Interpretationsmöglichkeiten,
sollte der Geltungsbereich nochmals speziell hervorgehoben und die eigentliche Aufgabe der
Ärzte beschrieben werden:
„Für Ärzte besteht bei Patienten am Lebensende die Aufgabe darin, zu lindern und zu
begleiten, insbesondere auch palliative Massnahmen zu erläutern und anzubieten.“192
Die folgende Beschreibung des Prozesses wurde verdichtet:
„Trotzdem kann am Lebensende in einer für den Betroffenen unerträglichen Situation
der Wunsch nach Suizidbeihilfe entstehen und dauerhaft bestehen bleiben.“193
Im Weiteren erfolgte die Beschreibung dieser Grenzsituation mit dem Hinweis auf die persönliche Gewissensentscheidung des Arztes, die dann in beiden Fällen (Suizidbeihilfe leisten
oder nicht) ethisch vertretbar ist. Deutlich festgehalten wurde, dass „grundsätzlich die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit ist.“194 Bei den Rahmenbedingungen wurde
aufgenommen, dass die Überprüfung der Wohlerwogenheit des Sterbewunsches sowie das
Fehlen von äusserem Druck von einer Drittperson erfolgen soll, „welche nicht zwingend ärztlicher Herkunft sein muss“195. Betont werden sollte ebenfalls, dass die zum Tode führende
Handlung in jedem Fall durch den Patienten selbst zu erfolgen habe.
Der Kommentarabschnitt wurde gänzlich überarbeitet:
„Im Gespräch über den Suizidwunsch eines Patienten hat der Arzt seine persönliche
Gewissenshaltung transparent zu machen.
Der Entscheidungsprozess muss in der Krankengeschichte festgehalten werden.
Wird ein Freitod ausgeführt, verlangt das Gesetz, dass dieser als ein nicht-natürlicher
Todesfall den Untersuchungsbehörden zur Abklärung gemeldet wird.
191
SAMW August 2003, Protokoll der Sitzung der Subkommission „Sterbehilfe“, S. 2
SAMW August 2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, Fassung 7a, S. 4
193
SAMW August 2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, Fassung 7a, S. 5
194
SAMW August 2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, Fassung 7a, S. 5
195
SAMW August 2003, Protokoll der Sitzung der Subkommission „Sterbehilfe“, S. 2
192
85
In einem Abhängigkeitsverhältnis, wie es beispielsweise aufgrund der eingeschränkten Arztwahl eines Patienten besteht, kann die Freiheit des Arztes, bei einer Beihilfe
zum Suizid mitzuwirken, eingeschränkt sein […].“196
In der ordentlichen Sitzung des Senats der SAMW wurde am 27. November 2003 beschlossen, dass die generelle Ausrichtung der Richtlinie „Betreuung von Patienten am Lebensende“ zu befürworten sei. Zum Geltungsbereich wurde ausgeführt, dass bewusst die anhand
klinischen Zeichen erkennbare Sterbephase gewählt wurde, um die eigentlichen ‚Exit’Situationen auszuschliessen. Zur Suizidbeihilfe wurde die neu erfolgte Differenzierung hervorgehoben: Im Einzelfall und unter gewissen Bedingungen kann ärztliche Suizidbeihilfe als
persönliche Gewissensentscheidung ethisch vertretbar sein. Moniert wurde, dass die dafür in
Frage kommende einzige Begründung, das Autonomieprinzip, nicht erwähnt sei. Gewünscht
wurde ebenfalls eine Klärung, wofür die Richtlinie nicht stehe und den Hinweis darauf, dass
Suizidbeihilfe eine Freiheit, jedoch kein Recht sei.
Nach einer engagierten Diskussion stimmte der Senat einstimmig, mit zwei Enthaltungen,
dem Inhalt zu und ermächtigte den Vorstand zur Veröffentlichung des Vernehmlassungstextes. Der definitive Vernehmlassungstext wurde bezüglich der oben erwähnten Punkte
überarbeitet. So einigte man sich bezüglich der Suizidbeihilfe auf folgende Formulierung:
„In dieser Grenzsituation kann für den Arzt ein schwer lösbarer Konflikt entstehen.
Auf der einen Seite ist die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit, denn
der Arzt ist verpflichtet, seine ärztlichen Kompetenzen zur Heilung, Linderung und
Begleitung einzusetzen. Auf der anderen Seite hat er den Willen des Patienten zu
achten. Das kann auch bedeuten, dass eine persönliche Gewissensentscheidung des
Arztes, im Einzelfall Beihilfe zum Suizid zu leisten, zu respektieren ist. Der einzelne
Arzt trägt dann die Verantwortung für die Prüfung der folgenden Mindestanforderungen: […]“197.
Begründet wurde diese Formulierung anhand folgender Überlegungen:
„Der SAMW ist in der Formulierung des Passus über die Beihilfe zum Suizid der Einzelfall wichtig. Der Einzelfall ist etwas anderes als ein Typus von Fällen, der mit allgemeinen Regeln beschreibbar ist. Die Einzelfallentscheidung kann sich daher nicht
auf allgemeine Regeln stützen, sondern sie hat ein nicht-eliminierbares intuitives
Element, das nicht in Regeln ausbuchstabierbar ist. […] Mit der Formulierung ‚…ist
196
SAMW August 2003, Betreuung von Patienten am Lebensende, Fassung 7a, S. 11
SAMW, Betreuung von Patienten am Lebensende, Stammversion, S. 5. Veröffentlichung zur Vernehmlassung, Januar 2004
197
86
ethisch vertretbar…’ wäre hingegen ein objektiver Geltungsanspruch verbunden. Die
grosse Gefahr läge dann darin, dass in diesem Fall die Vertretbarkeit der Beihilfe zum
Suizid gar nicht mehr aus der Anschauung des Einzelfalls abgeleitet werden würde,
sondern aus den Richtlinien der SAMW. Das ist das falsche politische Signal, das
damit in dieser heiklen und gesellschaftlich umstrittenen Angelegenheit gegeben wird.
Dann wird das auf längere Sicht keine Einzelfallentscheidung mehr sein, sondern eine Regelentscheidung aufgrund der Richtlinien der SAMW.“198
Präzisiert wurde zudem der Absatz „Geltungsbereich“ im Kommentar:
„Gemäss dieser Definition sind Patienten am Lebensende zu unterscheiden von Patienten in der Terminalphase, insofern sich die Terminalphase nicht selten bis zu einem Jahr oder auch länger erstrecken kann. Mit den klinischen Anzeichen ist in erster
Linie gemeint, dass beim Patienten die Vitalfunktionen insuffizient werden. Es ist allerdings hervorzuheben, dass der Eintritt der hier zugrunde gelegten Sterbephase
nicht selten mit ärztlichen Entscheidungen zum Behandlungsabbruch oder –verzicht
im Zusammenhang stehen, so dass eine Abgrenzung stets mit gewissen Unschärfen
verbunden bleibt.“199
Der Vernehmlassungstext wurde im Februar 2004 in der Schweizerischen Ärztezeitung publiziert.200
3.12.1 Medienmitteilung zum Vernehmlassungstext
Um eine zu starke Verzerrung des Inhalts des Vernehmlassungstextes zu vermeiden, erfolgte gleichzeitig zur Veröffentlichung eine Medienmitteilung, worin der Kontext, in dem die
Richtlinien entstanden, erläutert wurde. Darin wurde auf die Diskussionsdynamik in der Politik in Europa und spezifisch in der Schweiz hingewiesen.
„Anlässlich der nationalrätlichen Debatte zur Sterbehilfe in der Wintersession 2001
hat die SAMW in einer Medienmitteilung ihre Ablehnung der aktiven Sterbehilfe bekräftigt und gleichzeitig signalisiert, dass sie ihre bisherige Position zur Beihilfe zum
Suizid überprüfen werde.“201
198
SAMW, Begleitbrief an die Subkommissionsmitglieder „Sterbehilfe“ zur Vernehmlassungsvariante
der Richtlinie „Betreuung von Patienten am Lebensende“, 30. Januar 2004
199
SAMW, Begleitbrief an die Subkommissionsmitglieder „Sterbehilfe“ zur Vernehmlassungsvariante
der Richtlinie „Betreuung von Patienten am Lebensende“, 30. Januar 2004
200
Schweizerische Ärztezeitung 2004; 85: Nr. 6, S. 288-291
201
SAMW, Medienmitteilung, S. 1, 5. Februar 2004
87
Resultate der MELS-Studie wurden herangezogen, um die Häufigkeit von Sterbehilfemassnahmen zu demonstrieren:
„So zeigte die europaweit durchgeführte Studie über medizinische Entscheidungen
am Lebensende (MELS-Studie 2003), dass in der Schweiz der Verzicht auf lebenserhaltende Massnahmen (passive Sterbehilfe) und die Beihilfe zum Suizid wesentlich
häufiger sind als in anderen Ländern: In sieben von zehn erwarteten Todesfällen
spielen medizinische Entscheidungen am Lebensende eine Rolle, und 200 Menschen
(0.36% der Todesfälle) scheiden jährlich durch begleiteten Suizid aus dem Leben.“202
Der Geltungsbereich der Richtlinie wurde besonders hervorgehoben, ebenso die Betonung
des primären Anliegens der Ärzte auf Linderung von Leiden und Erhaltung der bestmöglichen Lebensqualität der Betroffenen. Zur Suizidbeihilfe wurde ausgeführt:
„Die zunehmend höhere Gewichtung der Patientenautonomie hat die SAMW aber
auch bewogen, die ärztliche Beihilfe zum Suizid neu zu betrachten. […], dass die
Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Tätigkeit ist, […]. Andererseits anerkennen sie,
dass Umstände und die Respektierung des Patientenwillens einen Arzt veranlassen
können, im Einzelfall einem sterbenden Patienten Beihilfe zum Suizid zu leisten.“203
Im letzten Abschnitt wurde auf den schwierigen Entstehungsprozess hingewiesen:
„Die SAMW hat sich die Festlegung der Grenzen in diesem Bereich nicht leicht gemacht. Zentraler Inhalt der ärztlichen Tätigkeit bleibt nach wie vor eine fachlich kompetente, einfühlsame Unterstützung und Begleitung hin zum Ende des Lebens. Wenn
der Sterbende den Schritt vom Leben in den Tod selbstverantwortlich aktiv zu tun
wünscht, kann er die Ausführung nicht delegieren. Sein Arzt soll ihn aber deshalb
nicht im Stich lassen müssen.“204
Dieser Erklärungsversuch und insbesondere der Hinweis auf die menschliche Haltung gegenüber Sterbenden, gründete in den beobachteten Reaktionen der Vernehmlassung der
Richtlinie „Behandlung und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen Menschen“, wo die
Ausführungen der SAMW als „taktlos und technokratisch“ sowie „zutiefst unethisch und unärztlich“205 bezichtigt wurden.
202
SAMW, Medienmitteilung, S. 1, 5. Februar 2004
SAMW, Medienmitteilung, S. 2, 5. Februar 2004
204
SAMW, Medienmitteilung, S. 2, 5. Februar 2004
205
Schriftliche Stellungnahme zum Vernehmlassungstext der Richtlinien „Behandlung und Betreuung
von älteren, pflegebedürftigen Menschen“, Juli 2003
203
88
Zu möglichen Fragen in Bezug auf die Richtlinie wurden im Vorfeld der Vernehmlassungsphase entsprechende Antworten der SAMW formuliert. Ziel war eine Erklärung der Haltung
der SAMW aber auch eine Abgrenzung zum politischen Rahmen.
„Warum ist die SAMW gerade heute bereit zu einer offeneren Regelung der Suizidbeihilfe? Werden damit nicht die Resultate aktueller Studien zur heute verbreiteten Praxis der Sterbehilfe (Exit-Studie, MELS-Studie) ethisch legitimiert,
resp. anerkennt die SAMW nicht einfach, dass eine Medikalisierung bereits
stattgefunden hat und Sterbehilfe zum ärztlichen Alltag gehört?
Die Ergebnisse dieser Studien werden ernst genommen, insofern die verbreitete Praxis von medizinischen Entscheidungen am Lebensende überdacht und für die einzelnen Handlungen klare Leitlinien und Grenzen gesetzt werden. Aufgrund zunehmender Möglichkeiten der Medizin besteht tatsächlich eine Tendenz zur Medikalisierung
der letzten Lebensphase. Das Anliegen der RL [Richtlinie] besteht darin, Aufgaben,
Möglichkeiten und Grenzen in der Betreuung Sterbender aufzuzeigen, wie sie aus
Sicht des Behandlungsteams sinnvoll und begründet sind. Die Beihilfe zum Suizid ist
eine Praxis, die aufgrund der strafrechtlichen Regelung nicht verboten ist, quantitativ
jedoch eine untergeordnete Rolle spielt (0.36% aller Todesfälle) und in der Regel unter der Anleitung von Sterbehilfegesellschaften durchgeführt wird. Die offenere Regelung ist in erster Linie mit der Berücksichtigung der Patientenautonomie begründet;
daneben besteht ein Ziel darin, in Bezug auf die bestehende Praxis klare Bedingungen und Grenzen zu setzen.
Bewirkt die Öffnung im Bereich der Suizidbeihilfe einen Dammbruch oder eine
unerwünschte Ausweitung (slippery slope-Effekt)?
Nein, insofern die Grenzen des ärztlichen Handlungsspielraums klar abgesteckt sind.
Entscheidungen zum Behandlungsabbruch und –verzicht wie auch die indirekte Sterbehilfe werden geregelt, die Beihilfe zum Suizid wird nur in Einzelfällen und unter
Einhaltung eindeutig formulierter Minimalbedingungen respektiert, die aktive Sterbehilfe ist verboten. Eine unerwünschte Ausweitung der bestehenden Praktiken wäre
nur dann zu befürchten, wenn die Beihilfe zum Suizid Teil des ärztlichen Auftrags und
die Selbsttötung quasi zu einem Handlungsmodell im Sinne eines ‚Auswegs aus
schwierigen Lebenssituationen‘ würde. Angesichts der aufgestellten Bedingungen,
insbesondere der Forderungen, dass das Lebensende nahe sein muss und bestehende palliative Behandlungsmöglichkeiten erörtert wurden, ist auch aufgrund der Erfahrungen in anderen Ländern eine unerwünschte Ausweitung nicht zu erwarten.
[…]
89
Lässt die SAMW den einzelnen Arzt nicht im Stich, wenn sie keine Regeln mit
objektivem Geltungsanspruch formuliert, sondern angesichts dieses Dilemmas
„nur“ eine persönliche Einzelfallentscheidung des Arztes anerkennt?
Nein, denn die Beihilfe zum Suizid stellt keine spezifische ärztliche Handlung dar und
sollte auch in Zukunft nicht dazu werden. Darum sollte ein Arzt nur im Einzelfall und
unter Einhaltung klarer Minimalbedingungen soweit gehen, einen Patienten im Suizid
zu begleiten. Die Meinungen über die Beurteilung der Beihilfe zum Suizid gehen sowohl in der Ärzteschaft als auch in der Gesellschaft weit auseinander. Die SAMW
kann diese weit reichenden Überzeugungskonflikte nicht lösen. Sie ist mit der vorliegenden Regelung darum bemüht, die Selbstbestimmung der Patienten zu respektieren, in Hinblick auf die bestehende Praxis der Beihilfe zum Suizid klare Minimalbedingungen einzufordern und die dabei von Ärzten eingenommene Rolle von den ärztlichen Aufgaben (zu heilen, zu lindern und zu begleiten) abzugrenzen. Im Rahmen
dieser Bedingungen fällt die Beihilfe in die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen.
[…]
Welche Haltung hat die SAMW gegenüber den Sterbehilfeorganisationen?
Es ist grundsätzlich Sache von Gesellschaft und Politik, die Aktivitäten der Sterbehilfegesellschaften zu beurteilen und in angemessener Weise zu kontrollieren. Insofern
mit dem Lebensschutz ein hohes gesellschaftliches und individuelles Gut auf dem
Spiel steht – zu denken ist insbesondere an den Schutz von behinderten, schwer leidenden und pflegebedürftigen alten Menschen – bestehen heute gemäss unserer
Ansicht in diesem Bereich wichtige Aufgaben. Dazu kommt, dass durch den zunehmenden ‚Sterbehilfe-Tourismus‘ und dadurch, dass eine kürzlich gegründete Sterbehilfegesellschaft206 kommerzielle Ziele verfolgt und insbesondere psychisch schwer
leidenden Menschen Beihilfe zum Suizid anbietet, die Gefahr besteht, dass der Suizid
zu einer Art Modellhandlung in schwierigen Lebenssituationen zu werden droht. Diese Tendenz beobachtet die SAMW mit Sorge und unterstützt Massnahmen im Bereich der Suizidprävention und der angemessenen Behandlung und Betreuung von
Menschen mit psychischen oder körperlichen Einschränkungen oder Krankheiten.
[…]
Drückt sich die SAMW mit der engen Festlegung des Geltungsbereichs nicht
vor einer Stellungnahme zum Umgang mit sterbewilligen Patienten mit tödlichen Krankheiten?
206
Verein SuizidHilfe, gegründet am 17.01.2002 durch Peter Baumann. Aufgrund von juristischen
Problemen musste der Verein inzwischen seine Aktivitäten einstellen. Vgl. www.suizidhilfe.ch (Stand
Dezember 2010)
90
Die SAMW ist grundsätzlich der Meinung, dass es keine Aufgabe der Ärzte ist oder
sein sollte, den Sterbewillen von schwer kranken, leidenden oder schwer behinderten
Menschen zu erfüllen. Der Sterbewille eines Patienten auch bei mit Sicherheit tödlich
endenden Krankheiten kann kein hinreichender Grund für Ärzte und Angehörige des
Behandlungsteams sein, einen Menschen bei der Beendigung seines Lebens zu unterstützen.“207
3.13 Die Vernehmlassungsphase
Die Reaktionen blieben nicht aus. Sie reichten von Anerkennung der geleisteten Arbeit bis
hin zu massivster Empörung, über die Landesgrenze hinaus. So titelte die Süddeutsche Zeitung am 06. Februar 2004 „Sterben nach Schweizer Art“ und kommentierte die veröffentlichten Richtlinien wie folgt:
„Europaweit waren die Schockwellen zu spüren, die im vergangenen Sommer die
‚Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften‘ (SAMW) ausgelöst
hatte. Nun, so hiess es, begriffen die Schweizer Ärzte das Töten als ihre vornehmste
Pflicht. Die Richtlinien zur ‚Behandlung und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen
Menschen‘ nahmen erstmals die – seit 1942 straffreie – ‚Beihilfe zum Suizid‘ in den
ärztlichen Leistungskatalog auf. Der Grund für diesen Sinneswandel wurde in der
Präambel ausgesprochen: ‚steigende Gesundheitskosten‘ wegen steigender Lebenserwartung. Gestern hat die SAMW nachgelegt. Eine neue Richtlinie erweitert das
Feld der Betroffenen. ‚Patienten am Lebensende‘ sind jetzt in den Fokus gerückt, alte
wie junge gleichermassen.
Die neue ‚Guideline‘ vermeidet jeden Hinweis auf das Motiv der Geldknappheit. Stattdessen wird, streng humanistisch, gleich im ersten Satz die Schutzbedürftigkeit der
Sterbenden betont. Der Präsident der SAMW spricht in seinem Begleitwort von den
‚spirituellen und psychischen Dimensionen‘, die das medizinische Personal erkennen
und respektieren müsse; gemeint ist vor allem das ‚Recht auf die Gestaltung des
Schicksals‘. Folgerichtig wiederholen die Autoren das Plädoyer für die Sterbehilfe.
Die Plastiktüte reichen oder die Spritze besorgen dürfen Ärzte, sofern ihnen ihr Gewissen diesen Schritt nicht verbietet. ‚Der letzte Akt‘ aber ‚muss in jedem Fall durch
den Patienten selbst ausgeführt werden.‘ Insofern ist die neue Richtlinie eindeutiger,
benennt sie doch im Gegensatz zum letztjährigen Papier eine für absolut deklarierte
Grenze. Andererseits sinken die regulatorischen Einschränkungen drastisch: Kein
207
SAMW, Medizinisch-ethische Richtlinien „Betreuung von Patienten am Lebensende“, Mögliche
Fragen – Antworten der SAMW, (Februar) 2004
91
‚speziell kompetenter‘, auswärtiger Arzt muss mehr hinzugezogen werden. Es genügt
eine beliebige ‚Drittperson‘, deren Votum es vor der Tat einzuholen gilt.
Nach einer Erhebung vom Juni 2003 sind immerhin 0.4 Prozent aller Schweizer Todesfälle auf Suizidbeihilfe zurückzuführen. Die neuen Empfehlungen werden diesen
Anteil eher ansteigen als zurückgehen lassen. Indem die Mit-Verantwortung von einem Mediziner auf eine ‚Drittperson‘ übertragen wird, ist eine wesentliche Hemmschwelle beseitigt. Der assistierte Suizid zählt nun endgültig zum Standardrepertoire
helvetischer Heilkunst.“208
Neben diesen vor allem schlagzeilengierigen, journalistischen Ausschlachtungen fanden sich
zahlreiche differenzierte Rückmeldungen von Ärztevereinigungen, anderen Berufsverbänden, kirchlichen Vereinigungen, sozialen Institutionen aber auch von Einzelpersonen. Insgesamt gingen über 150 Stellungnahmen ein.209 Einerseits wurde Bestürzung über den Gesinnungswandel und die „Freigabe“ der Suizidbeihilfe geäussert, andererseits wurde die liberale
Haltung und die Stossrichtung der Richtlinien begrüsst. Während die kantonalen Ärztegesellschaften, medizinische Fachgesellschaften und kantonale Behörden inklusive der Kantonsärzte die bedingte Öffnung mehrheitlich befürworteten, kamen kritische Stimmen insbesondere von einzelnen Ärztinnen und Ärzten, anderen Einzelpersonen und religiösen Kreisen.
Im Rahmen des Diskussionsforums der Schweizerischen Ärztezeitung schrieb P. Aebersold
am 08. Februar 2004:
„[…] Soll jetzt die früher wegen ihrer hohen ethischen Kompetenz europaweit anerkannte Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) zur
Speerspitze der Euthanasie-Befürworter werden?
Zwar geht die Richtlinienänderung ‚Betreuung von Patienten am Lebensende‘ der
SAMW (letzte Revision erst 1995!) erst in die Vernehmlassung, doch weiss man aus
der katastrophalen Entwicklung in Holland, dass schon die kleinste Lockerung des
Tötungsverbotes zu einem Dammbruch führen muss. […] Allerdings will die SAMW
die Beihilfe zum Suizid weiterhin nicht als Teil der ärztlichen Tätigkeit ansehen. Auch
der hippokratische Eid verbietet dem Arzt jede Tötung kategorisch. Nur schon die
Diskussion des Tötungsverbotes ist jedoch ein Angriff auf den ersten und wichtigsten
Menschenrechtsartikel, das ‚Recht auf Leben‘, dass das Leben jedes Menschen vor
Willkür schützt. Wenn dabei noch Begriffe wie ‚Sterbehilfe‘ oder ‚unheilbar krank‘ verwendet werden, wird es gefährlich, weil diese irreführend und verfänglich sind. […]
Rechte schützen nur, wenn sie eingefordert werden.“210
208
Süddeutsche Zeitung, 06.02.2004
Schweizerische Ärztezeitung 2005; 86, Nr. 3, S. 171
210
Aebersold 2004, Diskussionsforum
209
92
In seinem Leserbrief „Der Rückfall in die Barbarei“, ebenfalls in der Schweizerischen Ärztezeitung, führte er aus:
„Die Vernehmlassung des Richtlinienentwurfs der Schweizerischen Akademie der
Medizinischen Wissenschaften (SAMW) ist zu Ende gegangen, ohne dass es in der
Schweiz zu einem Aufschrei gekommen wäre. […] Erst der Vergleich mit den noch
gültigen Richtlinien von 1995 zeigt den totalen Paradigmenwechsel, den radikalen
Bruch mit der tausendjährigen abendländischen Tradition des Humanismus und der
Menschenrechte. […] Die Worte ‚Leben‘ und ‚Pflicht‘ kommen im ganzen Entwurf
nicht mehr vor. […] Die bisherige Pflicht des Arztes auf Lebenserhaltung wird aufgegeben, der Focus liegt nun – diametral entgegengesetzt – auf der ‚selbstbestimmten,
autonomen‘ Lebensbeendigung. Die grösste Errungenschaft der europäischen Zivilisation, der erste und wichtigste Menschenrechtsartikel, ‚das Recht auf Leben‘ für alle
Menschen, wird damit aufgegeben!“211
Andere Stellungnahmen, die die Stossrichtung begrüssten, vermissten eine klare Botschaft,
wie die Richtlinie umzusetzen sei. Wie ist die Rolle des Arztes definiert, wie der Ablauf der
Suizidbeihilfe? Die Legitimierung der Beihilfe zum Suizid wurde in Anbetracht der fehlenden
gesetzlichen Regelung auf Bundesebene (mit Ausnahme des Hinweises auf selbstsüchtige
Motive) als problematisch erachtet. Befürchtet wurde dabei eine unkontrollierte Entwicklung
der Beihilfe, wenn jeder Arzt individuell entscheiden könne. Verlangt sei eine klare Regelung
(Zweitmeinung, systematische Erfassung oder Evaluation der Fälle), um die Betroffenen vor
Missbrauch besser schützen zu können. Diese Sicherungsmassnahmen seien im vorliegenden Text ungenügend. Zwingend zur Aufrechterhaltung des Vertrauensverhältnisses müsse
die Formulierung, dass die Suizidbeihilfe nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit sei, speziell herausgehoben und stärker betont werden. Vorgeschlagen wurde eine Formulierung wie „Kraft
seiner Funktion ist der Arzt nicht befugt, dem Patienten Beihilfe zum Suizid anzubieten“212
und eine Ergänzung mit der Verweigerungsmöglichkeit seitens des Arztes, Suizidbeihilfe
auszuüben.
Zahlreiche Gedanken kamen auch zum Thema „medizinische Entscheidungen am Lebensende“:
„Nicht formuliert ist, dass meines Erachtens der endgültige Therapie-Entscheid vom
Arzt gefällt wird und auch von ihm zu tragen ist. Dies ist alles andere als überheblich,
211
Aebersold 2004, Leserbriefe
Stellungnahme Rat Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund (SEK) zum Vernehmlassungstext,
Mai 2004, S. 3/4
212
93
sondern eine schwere Last, die wir den Angehörigen nicht zumuten dürfen. Aber der
Konsens der Angehörigen muss da sein. Interessant ist auch eine Umfrage, die kürzlich in Zürich in diversen Betreuungsinstitutionen durchgeführt wurde mit der Frage,
wer am Lebensende
Therapieentscheide treffen soll: Angehörige oder der Arzt?
Über 80% entschieden sich für den Arzt. Der Auftrag ist wohl klar und wir können
uns nicht hinter einer pseudodemokratischen Verantwortungsdiversifikation verstecken.“213
Die Einschränkung des Geltungsbereichs wurde nicht von allen Seiten begrüsst.
„Die relevante Problematik oder ethische Herausforderung sind die Aktivitäten von
Exit und Dignitas. Diese richten sich nur selten an Personen am Lebensende. Richtlinien der Akademie sollten nicht Einzelaspekte, sondern die ganze Problematik von
Exit und Dignitas insgesamt angehen.“214
Die Sterbehilfeorganisationen ihrerseits bemängelten – in einem zwar deutlich später erschienenen Bericht des Gründers von Dignitas – ebenfalls die Einschränkung des Geltungsbereichs:
„Die Richtlinie äussert sich zwar in Artikel 4.1 zur Frage des assistierten Suizids, doch
gilt dies gemäss Artikel 1 eben nur für Kranke, bei denen der Tod nahe ist. Der Arzt
kommt selbstverständlich zum Schluss, dass diese Richtlinie demzufolge auf gesunde Personen nicht anwendbar ist. Ergebnis: Offensichtlich ist in den «anerkannten
Regeln der medizinischen Wissenschaften» keine diesbezügliche Norm zu finden.“215
Und weiter unten im Vortragsbericht ist zu lesen:
„Der Zürcher Strafrechtsprofessor Dr. Christian Schwarzenegger hat nach dem Ergehen des erwähnten Bundesgerichtsurteils216 in der Schweizer Ärztezeitung die SAMW
213
Schaefer 2004
SAMW, Persönliche Stellungnahme zur Richtlinie Lebensende, Emailverkehr, 16. Februar 2004
215
A. Minelli, Oktober 2009
216
„Im Urteil 2A.48/2006 vom 3. November 2006 hatte sich die II. öffentlich-rechtliche Abteilung
des Bundesgerichts mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine Möglichkeit bestehe, die Rezeptpflicht für Natrium-Pentobarbital für den Fall eines assistierten Suizids von Psychischkranken aufzuheben. Das Bundesgericht hat – unter Berufung auch auf die bundesrechtlichen Gesetzesgrundlagen
– die in diesem Punkt klar ablehnende Haltung der zuständigen kantonalen Behörden bestätigt. In
seinen Erwägungen hat sich das Bundesgericht ausführlich mit der Problematik der Suizidbeihilfe bei
Psychischkranken auseinandergesetzt. Es hat festgestellt, dass für den Sterbewilligen kein Anspruch
auf Beihilfe bei der Selbsttötung bestehe. Es hat im Weiteren festgestellt, dass der Staat grundsätzlich
das Recht auf Leben zu schützen habe, diese Pflicht aber regelmässig nicht so weit gehe, dass er
dies auch gegen den ausdrücklichen Willen des urteilsfähigen Betroffenen tun müsse.
214
94
aufgefordert, Regeln aufzustellen, die auch für nicht todkranke Personen gelten. Diese hat dazu jedoch erklärt, Ärztinnen und Ärzte seien keine Experten für den freiwilligen Tod.“217
In die Vernehmlassungsphase fiel ebenfalls die Veröffentlichung des Expertenberichts „Suizidbeihilfe bei Menschen mit psychischen Störungen – Unter besonderer Berücksichtigung
der Urteilsfähigkeit“ (18.04.2004). Dieser von EXIT-Deutsche Schweiz angeforderte Bericht
sollte den Problemkreis von „Urteilsfähigkeit und Geisteskrankheit (ZGB Art 16)“ im Kontext
der Suizidbegleitung besser beleuchten:
„Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist ein jeder, dem nicht wegen seines Kindesalters oder infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit oder ähnlichen Zuständen die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln.“218
Die Expertengruppe bestand aus Vertretern der Rechtsmedizin, Psychiatrie, Philosophie
(ethik im diskurs) und der Rechtswissenschaften. Nach ausführlicher Darlegung der Ausgangslage in der Schweiz, strafrechtlichen Aspekten und grundsätzlichen Überlegungen zur
Suizidbegleitung bei Menschen mit psychischen Störungen kam die Expertengruppe zu folgendem Schluss:
Während das Bundesgericht durchaus anerkennt, dass zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne von
Art. 8 Ziff. 1 EMRK auch das Recht gehört, über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden (soweit der Betroffene in der Lage ist, seinen entsprechenden Willen frei zu bilden und danach zu handeln), sei es doch Aufgabe des Staates, «durch ein geeignetes Verfahren sicherzustellen, dass ein allfälliger Entscheid über die Beendigung des Lebens tatsächlich dem freien
Willen des Betroffenen entspricht». Dazu gehöre aber auch, die Zulässigkeit der Suizidhilfe an die
«Erkenntnis des Gesundheitszustands des Betroffenen» und die Abgabe eines gefährlichen Stoffes
zur Suizidbegehung an die Voraussetzung seiner Rezeptierung im Rahmen der «anerkannten Regeln
der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften und Erkenntnis des Gesundheitszustands
des Betroffenen» zu knüpfen. Auch wenn eine Suizidbeihilfe bzw. die Verordnung von NatriumPentobarbital bei Menschen mit einer unheilbaren, dauerhaften und schweren psychischen Beeinträchtigung «nicht mehr notwendigerweise kontraindiziert und generell als Verletzung der medizinischen Sorgfaltspflicht ausgeschlossen» sei, sei dabei «äusserste Zurückhaltung geboten: Es gilt, zwischen dem Sterbewunsch zu unterscheiden, der Ausdruck einer therapierbaren psychischen Störung
ist und nach Behandlung ruft, und jenem, der auf einem selbstbestimmten, wohlerwogenen und dauerhaften Entscheid einer urteilsfähigen Person beruht […], den es gegebenenfalls zu respektieren gilt.
Basiert der Sterbewunsch auf einem autonomen, die Gesamtsituation erfassenden Entscheid, darf
unter Umständen auch Psychischkranken […] Suizidbeihilfe gewährt werden». Eine entsprechende
Einschätzung setzt nach Auffassung des Bundesgerichtes «notwendigerweise das Vorliegen eines
vertieften psychiatrischen Fachgutachtens voraus». Ein solches Fachgutachten könne nur auf einer
eingehenden, sorgfältigen psychiatrischen Untersuchung und Diagnosestellung basieren und verlange
«eine länger dauernde ärztliche Begleitung durch einen Spezialisten, der gestützt hierauf gegebenenfalls ein entsprechendes ärztliches Rezept auszustellen bereit ist».“ Kiesewetter 2007.
217
A. Minelli, Oktober 2009
218
Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Artikel 16
95
„Urteilsfähigkeit hinsichtlich des eigenen Sterbewunsches bei Menschen mit psychischen Störungen ist nicht generell verneinbar. Deshalb ist strafrechtlich Suizidbeihilfe
bei Menschen mit psychischen Störungen nicht generell strafbar. […]
Psychische Störungen gehen oftmals mit Sterbewünschen (Suizidalität) einher. Die
meisten dieser Störungen sind prognostisch günstig und sprechen auf adäquate Therapie gut an. Deshalb ist in diesen Fällen der Sterbewunsch in erster Linie als Ausdruck der psychischen Störung zu interpretieren und behandeln.
Aber auch bei Menschen mit psychischen Störungen können autonome, dauerhafte
und wohlerwogene Suizidwünsche vorkommen. Diese sind nicht direkt im krankheitsbedingten Geschehen verwurzelt, sondern beziehen sich indirekt – als Reflexion ihrer
Störung, ihres Leidens, ihrer Prognose und ihrer Gesamtsituation – auf diese psychische Störung.
Die Unterscheidung dieser beiden Situationen ist schwierig. Sie kann nicht ohne psychiatrisches Expertenwissen getroffen werden. Deshalb ist in Fällen, bei welchen ein
Mensch wegen einer psychischen Störung um Suizidbeihilfe ersucht, ein psychiatrisches Gutachten unumgänglich. Dieses ist auch erforderlich, um im Falle einer Suizidbeihilfe den rezeptierenden Arzt vor straf-, zivil- und gesundheitsrechtlichen Konsequenzen zu schützen.“219
In der Schweizerischen Ärztezeitung wurde anhand einer Fallvignette aus der Allgemeinpraxis von B. Wälti die Sterbebegleitung einer Patientin mit fortgeschrittenem Bronchuskarzinom
aufgezeigt. Die Patientin hatte ihren Arzt zu Beginn der Diagnosestellung und ein zweites
Mal in der terminalen Phase mit ihrem aktiven Sterbewunsch konfrontiert. Aufgezeigt wurde,
wie mit einfühlsamen Gesprächen, aber einer klaren Ablehnung der aktiven Sterbehilfe und
Offenlegung derselben, die Patientin im Rahmen intensivierter Palliativpflege in den Tod begleitet werden konnte, zur Zufriedenheit der Patientin selbst, der Angehörigen und auch des
Arztes.220
3.14 Die weitere Überarbeitung bis zur definitiven Richtlinie
Unter Anregung der während der Vernehmlassung eingegangenen Stellungnahmen wurde
die Richtlinie überarbeitet. Bezüglich der Terminologie wurden die Begriffe „indirekt aktive“,
„aktive“ und „passive Sterbehilfe“ wegen Uneinheitlichkeit im allgemeinen Sprachgebrauch
als Verwirrung-stiftend wahrgenommen. Erschwerend kam bei der Übersetzung ins Französische und Italienische dazu, dass kein Pendant zum Ausdruck „Sterbehilfe“ in den entsprechenden Sprachen existiert. Die Begriffe wurden in der Endfassung ersatzlos gestrichen.
219
Bosshard 2004, Suizidbeihilfe bei Menschen mit psychischen Störungen – Unter besonderer Berücksichtigung der Urteilsfähigkeit, S. 33
220
B. Wälti 2004
96
Im Kapitel „Beihilfe zum Suizid“ wurde die Rolle des Arztes verdeutlicht:
„Sie [die Ärzte] sind nicht befugt, von sich aus Suizidbeihilfe anzubieten, sondern im
Gegenteil dazu verpflichtet, allfälligen Suizidwünschen zugrunde liegende Leiden
nach Möglichkeit zu lindern.“221
Des Weiteren wurde die Schwierigkeit der Vereinbarkeit mit dem ärztlichen Ethos verdeutlicht:
„Auf der einen Seite ist die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit, weil
sie den Zielen der Medizin widerspricht. Auf der anderen Seite ist die Respektierung
des Patientenwillens grundlegend für die Arzt-Patientenbeziehung. Diese Dilemmasituation erfordert eine persönliche Gewissensentscheidung des Arztes.“222
Die Richtlinie wurde zudem bezüglich der Vorgehensweise konkretisiert:
„Er [der Arzt] hat dabei stets das Recht, die Beihilfe zum Suizid abzulehnen. Entschliesst er sich zur Suizidbeihilfe, trägt er die Verantwortung für die Prüfung der folgenden Voraussetzungen: […]“223.
Ergänzt wurde die Richtlinie mit zwei weiteren Regeln:
„Der Arzt, der Beihilfe zum Suizid leistet, darf nicht den Totenschein ausstellen.“ Und:
„Ärzte in Vorgesetztenfunktionen können ihren Mitarbeitern die Beihilfe zum Suizid
verbieten, sie aber nicht von ihnen verlangen.“224
Der Kommentarteil lautete nach der Überarbeitung folgendermassen:
„Im Umgang mit dem Wunsch nach Beihilfe zum Suizid in Pflegeheimen sind zudem
die Richtlinien und Empfehlungen zur Behandlung und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen Menschen zu beachten. Der Entscheidungsprozess muss dokumentiert
werden. Ein Todeseintritt nach Beihilfe zum Suizid muss als ein nicht-natürlicher Todesfall den Untersuchungsbehörden zur Abklärung gemeldet werden. Ein Arzt, welcher Beihilfe zum Suizid leistet, darf für diese Tätigkeit kein Honorar verlangen.“225
221
SAMW Juni 2004, Betreuung von Patienten und Patientinnen am Lebensende, Version 8, S. 5
SAMW Juni 2004, Betreuung von Patienten und Patientinnen am Lebensende, Version 8, S. 5
223
SAMW Juni 2004, Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende, Version 8, S. 6
224
SAMW Juni 2004, Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende, Version 8, S. 6
225
SAMW Juni 2004, Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende, Version 8, S. 8f.
222
97
Von diesem Formulierungsvorschlag wurde in der Endfassung nur noch minimal abgewichen, grundlegende Änderungen fanden keine mehr statt. So fanden die beiden ergänzten
Regeln zum Ausfüllen des Totenscheins und dem Verbieten der Suizidbeihilfe durch einen
vorgesetzten Arzt, Eingang in den Kommentarteil. Das Recht eines Arztes, Suizidbeihilfe
abzulehnen wurde zudem deutlicher betont: „In jedem Fall hat der Arzt das Recht, Suizidbeihilfe abzulehnen.“226
Für die definitiv genehmigte Endfassung relevante Korrektur war einzig eine veränderte Gewichtung des Gewissensentscheids und eine zusätzliche Betonung dieses spezifischen Einzelfalles. War vorher bloss in einem Nebensatz erwähnt „[...] Gewissensentscheidung […],
die als solche zu achten ist“227, wurde nun ausformuliert: „Die Entscheidung, im Einzelfall
Beihilfe zum Suizid zu leisten, ist als solche zu respektieren.“228
Die Richtlinie wurde am 1. November 2004 vom Vorstand und am 25. November 2004 vom
Senat der SAMW genehmigt. In der Schweizerischen Ärztezeitung erfolgte anfangs 2005
eine Mitteilung mit Hinweisen zu den anhand der Stellungnahmen überarbeiteten Punkten
der Richtlinie229.
3.15 Personelle Informationen zu der Richtlinie230
3.15.1 Verantwortliche Subkommission
Dr. theol. Markus Zimmermann-Acklin, Luzern, Präsident
PD Dr. phil. Jürg Bernhard, Bern
Dr. med. Georg Bosshard, Zürich
Pfrn. Ulrike Büchs, Winterthur
Pflegefachfrau Christine Champion, Moudon
Dr. med. Daniel Grob, Zürich
Prof. Dr. med. Christian Kind, St. Gallen
Dr. med. Hans Neuenschwander, Lugano
Prof. Dr. med. Rudolf Ritz, Basel
Lic. iur. Michelle Salathé, Basel (ex officio)
Pflegefachfrau Elisabeth Spichiger, Bern
Dr. med. Philipp Weiss, Basel
Prof. Dr. med. Michel Vallotton, Genf, Präs. ZEK (ex officio)
226
SAMW Juli 2004, Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende, Version 9, S. 5
SAMW Juli 2004, Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende, Version 9, S. 5
228
SAMW November 2004, Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende, S. 7
229
Schweizerische Ärztezeitung 2005; 86: Nr. 3, 171
230
SAMW November 2004, Betreuung von Patienten und Patientinnen am Lebensende, S. 12
227
98
3.15.2 Beigezogene Experten
Dr. med. Klaus Bally, Basel
Prof. Dr. med. Verena Briner, Luzern
Prof. Dr. theol. Johannes Fischer, Zürich
Fürsprecher Hanspeter Kuhn, Bern
Lic. theol. Settimio Monteverde, Basel
Catherine Panchaud, M. Sc., Puidoux
PD Dr. phil. Klaus Peter Rippe, Zürich
Prof. Dr. iur. Et Dr. h.c. Kurt Seelmann, Basel
Prof. Dr. med. Frédéric Stiefel, Lausanne
99
4 Die Diskussion in der Schweiz nach 2004
4.1
Die nationale Ethikkommission nimmt Stellung
Die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK) ist eine beratende, unabhängige, ausserparlamentarische Fachkommission. Sie wurde am 3. Juli 2001 vom Bundesrat eingesetzt.
Die Kommission ist bestrebt, durch Klärung der ethischen Aspekte im Hinblick auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Möglichkeiten zu einer sorgfältigen und umfassenden ethischen Urteilsbildung zu gelangen, die zu einem fairen und an Argumenten orientierten Meinungsbildungsprozess und schliesslich zum Wohl der betroffenen Menschen und
der Gesellschaft beiträgt231.
Im April 2005 veröffentlichte die NEK ein ausführliches Papier mit einer Stellungnahme zur
„Beihilfe zum Suizid“. Darin wurden der Stand der Diskussion, die rechtlichen Grundlagen
und die sich dadurch eröffnenden Fragen dargestellt und schliesslich 12 Empfehlungen formuliert:
1. „Zwei Pole: Die ethischen Fragen, welche die Suizidbeihilfe aufwirft, ergeben sich
aus dem Spannungsfeld zwischen der gebotenen Fürsorge für suizidgefährdete
Menschen einerseits und dem Respekt vor der Selbstbestimmung eines Suizidwilligen andererseits. Empfehlungen, Richtlinien und rechtliche Regelungen müssen
beiden Polen in diesem Spannungsfeld Rechnung tragen.
2. Suizidbeihilfe und Tötung auf Verlangen: Die Mitwirkung bei der Selbsttötung sollte aus ethischer Sicht unterschieden werden von der Tötung auf Verlangen.
3. Straflosigkeit bei der Beihilfe zur Selbsttötung: Die Beihilfe zum Suizid bleibt nach
Auffassung der NEK-CEN aus ethischen Gründen zu Recht straflos, sofern sie
nicht aus eigennützigen Motiven durchgeführt wird. Die Kommission empfiehlt, am
geltenden Art. 115 StGB keine Änderungen vorzunehmen.
4. An der Person orientierte Entscheidungen: Eine Entscheidung zur Suizidbeihilfe
muss sich an der Person und an der Situation des Suizidwilligen orientieren und
darf nicht zu einer bloss an Regeln abgeleiteten Entscheidung werden.
5. Sterbehilfeorganisationen: Art. 115 StGB schützt de facto die Selbstbestimmung
der am Suizid Beteiligten, indem er diese straffrei lässt. Diese grundsätzlich liberale Haltung soll nicht in Frage gestellt werden. Im Hinblick auf die herrschende
231
www.bag.admin.ch/nek-cne; Stand November 2010
100
Praxis der Suizidbeihilfe bedarf es aber bei den Sterbehilfeorganisationen der Ergänzung [staatliche Aufsicht].
6. Psychische Krankheiten: Bei psychisch kranken Menschen sind Todes- und Suizidwünsche häufig Ausdruck oder Symptom ihrer Erkrankung. Deshalb bedürfen
Suizidwillige, die unter psychischen Krankheiten leiden – alleine oder in Kombination mit somatischen Krankheiten – in erster Linie einer psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung. Wenn der Suizidwunsch Ausdruck oder Symptom einer psychischen Krankheit ist, soll keine Beihilfe zum Suizid geleistet werden.
7. Kinder und Jugendliche: Bei Kindern und Jugendlichen kommen die in der Gesundheitspflege generell geltenden rechtlichen und ethischen Regeln zur Anwendung. Den in Empfehlung 4 formulierten Überlegungen ist besondere Aufmerksamkeit zu schenken [Mehrheitsposition]. / Bei Kindern und Jugendlichen soll keine Beihilfe zum Suizid geleistet werden [Minderheitsposition].
8. Spitäler und Heime:
A. Institutionen der Langzeitpflege: Wenn ein Bewohner den assistierten Suizid wünscht und er über keinen anderen Lebensort verfügt als diese Institution, sollte er nach Möglichkeit den Akt auch an diesem Ort durchführen
können.
B. Akutspitäler: Jede Institution soll klar festlegen, ob sie für ihre Patienten
die Möglichkeit des assistierten Suizids zulassen will oder nicht. Die Institution soll ihren Entscheid den Patientinnen und Patienten gegenüber erklären können.
C. Bezüglich des Suizids in psychiatrischen Institutionen wird auf Empfehlung
6 verwiesen.
Der wohl erwogene persönliche Entschluss zum Suizid soll nicht an Regeln einer
Institution, dem persönlichen Gewissensentscheid eines Arztes oder einer einzelnen Betreuungsgruppe scheitern müssen. Es sollte die Möglichkeit gewährt werden, auf Wunsch einem anderen Arzt zugewiesen oder in eine andere Institution
verlegt zu werden.
9. Angehörige von Heilberufen: Für Ärztinnen und Ärzte, sowie für Pflegende entsteht vor dem Hintergrund des medizinischen Ethos ein Konflikt, weil medizinischer Beistand Fürsorge zum Leben bedeutet und nicht Beistand zu dessen Beendigung. Aus diesem Grund kann Suizidbeihilfe nicht als etwas begriffen werden, was zum Auftrag der Angehörigen von Heilberufen gehört. Wo Ärztinnen und
Ärzte dennoch Suizidbeihilfe leisten, fällt dies in ihre persönliche Entscheidung.
10. Suizidwillige aus dem Ausland: Es gibt keinen ethischen Grund, Suizidwillige aus
dem Ausland generell vom assistierten Suizid in der Schweiz auszuschliessen.
101
Ein besonderes ethisches Problem bei dieser Personengruppe besteht jedoch in
der Sicherstellung einer ausreichenden Abklärung und der diesbezüglichen Sorgfaltspflichten. Für Suizidwillige aus dem Ausland sollte genauso wie für Suizidwillige aus der Schweiz sichergestellt werden, dass die in Empfehlung 4 formulierten
Bedingungen erfüllt sind.
11. Gesellschaftliche Tendenzen und Risiken: Der Suizidprävention soll künftig grosse Aufmerksamkeit geschenkt werden, besonders angesichts von gesellschaftlichen Entwicklungen, die das Risiko bergen, Menschen in Grenzsituationen zur
Annahme eines organisierten Angebotes der Suizidbeihilfe zu veranlassen.
12. Rechtlicher Regelungsbedarf: Die heutige Rechtslage bedarf der Ergänzung
durch Bestimmungen, die sicherstellen, dass
a) vor der Entscheidung zum assistierten Suizid für jeden Einzelfall hinreichende Abklärungen vorgenommen werden;
b) niemand verpflichtet werden kann, Suizidbeihilfe zu leisten;
c) keine Beihilfe zum Suizid geleistet wird, wenn der Suizidwunsch Ausdruck
oder Symptom einer psychischen Erkrankung ist;
d) im Falle von Empfehlung 7, Minderheitsposition: bei Kindern und Jugendlichen keine Beihilfe zum Suizid geleistet wird;
e) die Sterbehilfeorganisationen einer staatlichen Aufsicht unterstellt werden.“232
Ein kurzer Übersichtsartikel mit einem Verweis auf den vollständigen Text wurde in der
Schweizerischen Ärztezeitung 2005; 86: Nr. 29/30 publiziert. 233
Bemängelt an den oben aufgeführten Punkten wurde, dass keine Voraussetzung bezüglich
Vorhandensein einer schweren, zum Tode führenden Krankheit (mehr) festgehalten wurde,
sowie eine Unklarheit der Kriterien bezüglich der Aufsichtsregelung.
4.2
Erfahrungen im Universitätsspital Lausanne mit der Suizidbegleitung
Im Januar 2006 berichtete das Lausanner Universitätsspital CHUV über ihre 18-monatigen
Erfahrungen seit der Einführung einer Regelung über Suizidbegleitung.234 Die Daten zeigten,
dass die Patienten in einem Akutspital sehr selten auf die Dienste von Suizidhilfeorganisationen zurückgreifen. Insgesamt seien in der untersuchten Zeit bei 54’000 Spitalaufnahmen
sechs Gesuche gestellt worden, wobei alle in den Zeitraum der ersten sieben Monate nach
der Einführung und Publikmachung der Zulassungsregelung fielen. Nur in einem Fall sei es
zu einem begleiteten Suizid gekommen, der allerdings nicht im Spital selbst, sondern in ei232
NEK, Stellungnahme 09/2005, Beihilfe zum Suizid; 27.04.2005, S. 66–77
NEK, Empfehlungen zur Regelung der Suizidbeihilfe, Schweizerische Ärztezeitung 2005; 86:
Nr. 29/30, 1796
234
J.-B. Wasserfallen 2006
233
102
nem dazu gehörenden Altersheim begangen wurde. Die zeitliche Verteilung der Gesuche
wurde von den Verfassern der Studie auf die Mediatisierung der Einführung der neuen Regelung zurückgeführt.
4.3
Weitere Vorstösse auf politischer Ebene
Am 31. Mai 2006 nahm der Bundesrat den Bericht "Sterbehilfe und Palliativmedizin – Handlungsbedarf für den Bund?" zur Kenntnis. Der Bericht war aus einer Motion235 der Rechtskommission des Ständerates zur Klärung der gesetzlichen Regelung der indirekt aktiven und
passiven Sterbehilfe sowie der Palliativmedizin entstanden. Darin kamen die Autoren zum
Schluss, dass mögliche Missbräuche in der Suizidhilfe durch die konsequente Anwendung
und Durchsetzung des geltenden Rechts insbesondere von Seiten der Strafverfolgungsbehörden verhindert werden können. Im Bereich der Sterbehilfe seien somit prinzipiell keine
weiteren gesetzlichen Regelungen notwendig. Argumentiert wurde – wie schon die SAMW
während der Entwicklung der Richtlinie zur „Betreuung von Patientinnen und Patienten am
Lebensende“ – damit, dass eine allgemeingültige gesetzliche Regelung gerade die kritischen
Fragen, die sich in jedem Einzelfall stellten, nicht erfasst würden und daher von einer neuen
Gesetzgebung aus kein praktischer Nutzen gezogen werden könnte. Gestützt auf den Bericht des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) empfahl der Bundesrat daraufhin
dem Parlament, auf eine Revision der einschlägigen Bestimmungen des Strafgesetzbuches
(Art. 115) sowie auf den Erlass eines Gesetzes über die Zulassung und Beaufsichtigung von
Suizidhilfeorganisationen zu verzichten.
Am 7. Juni 2006 äusserte die SAMW in einem Schreiben an den Bundesrat die Meinung,
dass dem Bund im Bereich der Sterbehilfeorganisationen eine Aufsichtspflicht obliege.
Am 23. Juni 2006 wurde die parlamentarische Initiative Egerszegi-Obrist (06.453) zur „Regelung der Sterbehilfe auf Gesetzesebene“ eingereicht. Am 6. Oktober des gleichen Jahres
folgte die Interpellation Aeschbacher (06.3606) mit dem Titel „Kein Handlungsbedarf des
Bundes beim Sterbehilfetourismus“.
In ihrer Stellungnahme vom 27. Oktober 2006 veröffentlichte die Nationale Ethikkommission
mögliche „Sorgfaltskriterien im Umgang mit Suizidhilfe“236, als Ergänzung ihrer Empfehlungen vom April 2004. Darin wurden die Minimalanforderungen präzisiert, die überprüft, erfüllt
und dokumentiert sein müssen. Dazu zählen die Urteilsfähigkeit des Suizidwilligen, die Entstehung des Suizidwunsches aus einem schweren, krankheitsbedingten Leiden hinaus (wobei dies auch im Rahmen eines Unfalles oder einer schweren Behinderung auftreten kann)
235
Kommission für Rechtsfragen des Ständerates, Motion (03.3180) „Sterbehilfe und Palliativmedizin“,
April 2003
236
Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin, Schweizerische Ärztezeitung 2006; 87:
Nr. 48, 2077-80
103
frei von äusserem Druck, sowie die Konstanz und Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches. Eine
unabhängige Zweitmeinung müsse vorliegen, alternative Optionen müssen abgeklärt, erwogen und nach Wunsch des Suizidwilligen ausgeschöpft sein. Es seien mit dem Suizidbegleiter mehrere persönliche Gespräche nachzuweisen. Im letzten Kapitel wurden Hinweise zur
Vorbeugung vor Missbrauch angebracht. Darunter aufgezählt wurden finanzielle Vorteile,
das Ausnützen einer Notlage, die Befriedigung am Tod (Thanatophilie) oder auch ideologische Gründe. Auf mögliche Überforderungssituationen für Suizidbegleiter wurde ebenso hingewiesen wie auf mangelnde Transparenz von Organisation und Management von Sterbehilfeorganisationen.
Im Februar 2007 erfolgte eine dringliche Anfrage „Rechtslage und Massnahmen bezüglich
Eingrenzung der Sterbehilfe im Kanton Zürich“ mit der Forderung nach einer Bundesregelung zur Aufsicht über die Sterbehilfeorganisationen. Die Motion Stadler (07.3163) vom
22.3.2007 forderte eine „Gesetzliche Grundlage für die Aufsicht über die Sterbehilfeorganisationen“. Diese Motion wurde vom Ständerat als Erstrat am 21. Juni 2007 gegen den Antrag
des Bundesrates mit 17 gegen 9 Stimmen angenommen.
Am 29. August 2007 nahm der Bundesrat den Ergänzungsbericht über Sterbehilfe zur
Kenntnis. Dieser Text beinhaltete erneut Gedanken zu bereits getroffenen oder geplanten
Massnahmen der Palliativmedizin sowie Aussagen zu Möglichkeiten und Einschränkungen
der Verschreibung und Abgabe des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital (NAP) und
kam zum Schluss:
„Die Verschreibung und die Abgabe des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital
(NAP) sind ausreichend geregelt. Um mögliche Missbräuche bei der Suizidhilfe zu
verhindern, sind keine strengeren Vorschriften im Betäubungsmittelrecht erforderlich.“237
Im Oktober 2007 wurden die Motion Glanzmann (07.3626) „Aufsicht über die Sterbehilfeorganisationen“ und die parlamentarische Initiative Aeschbacher (07.480) „Stopp dem unwürdigen Sterbetourismus in unserem Land“ eingereicht. Im Dezember des gleichen Jahres folgte eine weitere Motion zum Thema: Motion Flückiger-Bäni (07.3866), „Kostenübertragung an
Sterbehilfeorganisationen“.
Am 2. Juli 2008 beauftragte der Bundesrat das EJPD erneut, vertieft abzuklären, ob im Bereich der organisierten Suizidhilfe spezifische gesetzliche Regelungen erforderlich seien,
237
EJPD, 29.08.2007, Medienmitteilung: Ergänzungsbericht über Sterbehilfe
104
obwohl er in seinen beiden Berichten über die Sterbehilfe von 2006 und 2007 zum Schluss
gekommen war, dass das geltende Recht genügend vor Missbräuchen schützen würde.
Trotz dieser Stellungnahme blieb die öffentliche Diskussion kontrovers und es wurden von
verschiedenen Seiten minimale Sorgfalts- und Beratungspflichten für Suizidhilfeorganisationen gefordert. Insbesondere in der von gewissen Sterbeorganisationen zum Einsatz gekommenen „Helium-Methode“238 wurde eine Tendenz zur Umgehung der ärztlichen Kontrolle
durch die nicht mehr notwendige Verschreibung von Natrium-Pentobarbital beobachtet. Wird
diese Kontrolle umgangen, entstehe dadurch
„ein Freiraum, der einen würdevollen Suizid in Frage stellen und Missbrauchsgefahren bei der organisierten Suizidhilfe erhöhen könnte.“239
Im Januar und März 2008 kamen erneut zwei Vorstösse aus dem vom Suizidtourismus stark
belasteten Kanton Zürich, erst eine Interpellation mit dem Titel „Missstände bei der Suizidbegleitung“, gefolgt von einem Postulat „Schluss mit den Aktivitäten von Dignitas“.
Im Juni 2008 erfolgten wiederum drei Vorstösse zur Thematik der Sterbehilfe. Die Motionen
Aeschbacher (08.3300) „Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord unter Strafe stellen“ und
Flückiger-Bäni (08.3427) „Befristetes Verbot für Sterbehilfe“ sowie die Einreichung einer
Standesinitiative durch den Kanton Aargau, der Massnahmen gegen die gewerbsmässige
Suizidbeihilfe und eine gesamtschweizerische verbindliche Regelung der medizinischen Suizidbegleitung verlangte.
Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und –direktoren
kam in ihrer Stellungnahme „Sterbehilfeorganisationen“ 2008 zum Ergebnis, dass es auf
Bundesebene keine neue gesetzliche Regelung brauche. Vielmehr würde eine solche zur
Aufblähung der Bürokratie und nicht zu einer wirksamen Qualitätskontrolle führen.
4.3.1
Der Bericht des EJPDs zur „organisierten Suizidhilfe“
Im Mai 2009 erschien der vom Bundesrat beim EJPD in Auftrag gegebene Bericht: „Organisierte Suizidhilfe: Vertiefte Abklärungen zu Handlungsoptionen und –bedarf des Bundesgesetzgebers“. Der Bericht nahm Stellung zur politischen und gesellschaftlichen Situation und
dem Verlauf seit den beiden Sterbehilfeberichten 2006 und 2007. Aufgezeigt wurden die
zahlreichen Vorstösse auf politischer Ebene, die insbesondere durch Aktivitäten der Sterbehilfeorganisationen motiviert waren. So geriet insbesondere Dignitas mehrfach in die Schlagzeilen, da sie aus Mangel an Sterbelokalitäten ihre Aktivitäten in Hotels, Autos und Wohnwa238
Bei dieser Methode wird unter Verwendung eines über den Kopf gezogenen Plastiksacks dem Suizidenden Helium (farbloses, nicht brennbares und geruchloses Gas) zugeführt, welches nach kurzer
Zeit zur Verdrängung von Sauerstoff in der Lunge und zu Bewusstseinsverlust und schliesslich zum
Tod durch Ersticken führt. Dabei kann es auch zu starkem Blutdruckanstieg sowie zu Zuckungen und
Krämpfen kommen.
239
EJPD, 02.07.2008, Medienmitteilung
105
gen auf öffentlichen Parkplätzen verlegte, ausländische, nicht in der Schweiz wohnhafte Personen in den Tod begleitete (Sterbetourismus), die (nicht als ethisch empfundene) HeliumMethode anwendete, sowie Asche der Suizidenden heimlich im Zürichsee entsorgte. Zu reden gaben ebenfalls die finanziellen Aspekte der Sterbehilfeorganisationen, welche den Verdacht auf nicht nur „uneigennützige Beweggründe“ aufkommen liessen. Ein weiterer Anstoss
waren die Werbeaktivitäten der Vereine für ihre eigenen Angebote, wie auch für themenverwandte Gebiete (z.B. Bücher zu möglichen Suizidmethoden). Ebenfalls mit Sorge beobachtet
wurde eine Erweiterung des Spektrums der Suizidenden: so stieg der Anteil begleiteter Personen, die nicht an einer terminalen Erkrankung litten, deutlich an, ebenso jener der „Sterbetouristen“.
Die Zunahme der Suizidfälle wurde anhand des Vergleichs der Suizidstatistik von 2003 mit
jener von 2007 aufgezeigt240:
Statistik für das Jahr 2003
Gesamte
in
%
aller
Schweiz
Todesfälle
in % aller
Suizide
Todesfälle
63’070
Suizide
1400
2.22
Durch Sterbehilfeorganisationen begleitete Suizide (Exit
272
0.43
19.43
91
0.14
6.5
Deutsche Schweiz, Exit ADMD Suisse romande, DIGNITAS)
Durch Sterbehilfeorganisationen begleitete Suizide von
Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz (DIGNITAS)
Statistik für das Jahr 2007
Todesfälle
61’089
Suizide
1360
2.23
Durch Sterbehilfeorganisationen begleitete Suizide
Ca. 400
0.65
29.41
Durch Sterbehilfeorganisationen begleitete Suizide von
132
0.22
9.70
Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz
Abbildung 3: Vergleich der Suizidstatistik der Schweiz von 2003 mit 2007
„Betrachtet man die Entwicklung der Fallzahlen im Bereich Suizide und begleitete Suizidhilfe seit Veröffentlichung des Sterbeberichtes Ende Mai 2006, so ist hinsichtlich
der absoluten Zahlen der begleiteten Suizide klar eine Erhöhung festzustellen, nämlich von insgesamt 272 Fällen im Jahr 2003 auf ca. 400 Fälle im Jahr 2007. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Anzahl Suizide in dieser Periode leicht abgenommen haben, sind die Fälle von begleiteter Suizidhilfe markant angestiegen (von
19% auf 29%, was einer Erhöhung von 52% in fünf Jahren entspricht). Diese Ent-
240
EJPD 15. Mai 2009, Organisierte Suizidhilfe: Vertiefte Abklärungen zu Handlungsoptionen und –
bedarf des Bundesgesetzgebers, S. 11
106
wicklung ist für sich alleine noch kein Grund, um heute den Handlungsbedarf anders
einzuschätzen als noch im Jahr 2006, aber die Fallzahlen sind insgesamt gesundheits- und gesellschaftspolitisch kein gutes Zeichen, und deren Entwicklung ist daher
wachsam zu verfolgen.“241
Zwar konnte in den Jahren 2007 und 2008 ein Rückgang der Suizidbegleitungen durch Sterbehilfeorganisationen beobachtet werden, dieser Trend wurde jedoch als „schwer interpretierbar“ und möglicherweise auch nur „provisorisch“ eingestuft. Gemäss eigenen Angaben
begleitete Dignitas 2006 195, 2007 138, 2008 132 und 2009 89 Personen in den Tod. Bei
Exit Deutsche Schweiz waren es 2006 150, 2007 179, 2008 167 und 2009 217 Personen.
Den eindrücklichen Anstieg im Jahre 2009 wurde auf das inzwischen höhere Alter langjähriger Vereinsmitglieder zurück geführt,
„aber auch mit der demographischen Entwicklung, mit dem Nachrücken einer immer
selbstbewusster auf ihr Selbstbestimmungsrecht pochenden Generation und möglicherweise mit der gewaltigen Medienpräsenz des Themas Sterbehilfe im Berichtsjahr“242
erklärt.
Der Bericht vertiefte sich im Weiteren in die gesetzlichen Gegebenheiten und arbeitete mögliche Vorschläge für eine Minimierung der Missbrauchsgefahr aus. Dabei wurde die Ausarbeitung eines Spezialgesetzes, die Erweiterung des bestehenden Gesetzes Art. 115 StGB
sowie ein komplettes Verbot für Sterbehilfeorganisationen diskutiert, und versucht, die Vorbzw. Nachteile der Varianten abzuwägen. Von der Variante Spezialgesetz wurde unter anderem wegen folgender Nachteile abgeraten:
„Die Annahme einer Spezialgesetzgebung würde dem Gesetzgeber […] die heikle
Verantwortung übertragen, den Gesundheitszustand zu bestimmen, in dem sich eine
Person befinden muss, um eine Suizidhilfeorganisation bzw. eine ärztliche Suizidhilfe
heranzuziehen. Indirekt würde dies auf den Versuch einer Definition der strafrechtlich
nicht mehr schützenswerten Leben hinauslaufen. Alle Länder, die in diesem Bereich
Gesetze verabschiedet hatten, mussten dieses Problem lösen und dazu auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgreifen, deren Anwendung dem freien Ermessen der
Ärzte überlassen wird. Die Lösung birgt ein hohes Risiko von Missbrauch oder zumindest von extensiven Praktiken. […] Auch in der Schweiz zeigt sich diese Ausdeh241
EJPD 15. Mai 2009, Organisierte Suizidhilfe: Vertiefte Abklärungen zu Handlungsoptionen und –
bedarf des Bundesgesetzgebers, S. 11
242
Jahresbericht der Freitodbegleitung 2009, www.exit.ch
107
nung in der folgenden Entwicklung: Die Richtlinien der SAMW über die Betreuung
von Patienten am Lebensende schreiben unter den 3 Mindestvoraussetzungen, damit
ein Arzt Beihilfe zum Suizid leisten kann, vor, die Erkrankung des Patienten müsse
die Annahme rechtfertigen, dass das Lebensende nahe sei. Die Empfehlungen der
NEK erwähnen dieses Kriterium nicht mehr […]. Eine Spezialgesetzgebung würde
überdies eine staatliche Legitimierung und Bürokratisierung der Tätigkeit der Suizidhilfeorganisationen bedeuten. […]“243
Der Bericht zieht schliesslich folgendes Fazit:
„Keine der oben erwähnten Varianten bietet nur Vorteile. Allerdings ist sogleich festzustellen, dass die Variante ‚Spezialgesetz’ sich am wenigsten eignet, um das angestrebte Ziel zu erreichen, und die meisten Nachteile zur Folge hat. Deswegen ist auf
diese Variante zu verzichten. Damit bleiben zwei hinsichtlich der erwarteten praktischen Auswirkungen und der Machbarkeit gleichwertige Lösungen übrig. Variante 2
(Verbot der Suizidhilfeorganisationen) hätte die weitestgehenden praktischen Auswirkungen und liesse sich relativ umsetzen, während Variante 1 (Verankerung der Sorgfaltspflichten der Suizidorganisationen in Art. 115 StGB) heute politisch am ehesten
vertretbar ist und gleichzeitig auch ermöglicht, die Anzahl Suizidhilfefälle in der
Schweiz sowie die Missbräuche zu verringern.
Unabhängig davon, ob der Bundesgesetzgeber eine der gesetzgeberischen Varianten bzw. welche derselben er wählt, sollte der Bund im Rahmen seiner Möglichkeiten
Suizidprävention betreiben sowie im Bereich der Palliative Care von kranken und alten Menschen das Angebot, die Ausbildung, die Forschung und die Information verbessern.“244
4.3.2
Die Situation ab Mai 2009
Ende Mai 2009 reichte die Eidgenössisch-Demokratische Union Zürich zwei kantonale
Volksinitiativen gegen den Sterbetourismus und die Suizidhilfe ein. Die erste forderte das
Verbot jeglicher Suizidhilfe an Personen, die seit weniger als einem Jahr im Kanton Zürich
leben; die zweite wollte den Bund beauftragen, jegliche Art von Suizidhilfe unter Strafe zu
stellen. Die Regierung des Kantons Zürich beantragt dem Parlament allerdings, die Initiative
„Nein zum Sterbetourismus in Kanton Zürich“ als ungültig zu erklären mit der Begründung,
die Initiative sei mit dem übergeordneten Bundesrecht nicht vereinbar.
243
EJPD 15. Mai 2009, Organisierte Suizidhilfe: Vertiefte Abklärungen zu Handlungsoptionen und –
bedarf des Bundesgesetzgebers, S. 24/25
244
EJPD 15. Mai 2009, Organisierte Suizidhilfe: Vertiefte Abklärungen zu Handlungsoptionen und –
bedarf des Bundesgesetzgebers, S. 35
108
Am 7. Juli 2009 haben die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und EXIT Deutsche
Schweiz eine Vereinbarung245 über die organisierte Suizidhilfe unterzeichnet, die gewisse
Standesregeln beinhaltet, mit dem Ziel, missbräuchliche Praktiken möglichst zu verhindern.
Die Vereinbarung war als Zwischenschritt bis zur Einführung einer nationalen gesetzlichen
Regelung gedacht. Die Einhaltung der Vereinbarung durch EXIT sollte den Strafverfolgungsbehörden die Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben erleichtern.
Am 17. Juni 2009 führte der Bundesrat eine erste Aussprache zur organisierten Suizidhilfe.
Zur Diskussion standen – entsprechend der Vorschläge des oben zitierten Berichts – gesetzliche Schranken oder ein Verbot der organisierten Suizidhilfe. Da der Bundesrat bezüglich
dieser ethisch kontroversen Frage geteilter Meinung war, wurde eine Vernehmlassung mit
mehreren Varianten angestrebt. Am 28. Oktober 2009 schickte der Bundesrat zwei Varianten
eines Gesetzesentwurfs in die Vernehmlassung. Variante 1 stellte die Festlegung klarer
Sorgfaltspflichten für Mitarbeiter von Suizidhilfeorganisationen ins Zentrum, Variante 2 beinhaltete ein Verbot für die organisierte Suizidhilfe:
„Art. 115 StGB, Variante 1
1
Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Suizid verleitet oder ihm
dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Suizid ausgeführt oder versucht wird, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2
Wer im Rahmen einer Suizidhilfeorganisation jemandem Hilfe zum Suizid leistet
(Suizidhelfer), wird, wenn der Suizid ausgeführt oder versucht wird, mit Freiheitsstrafe
bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, es sei denn, die folgenden Voraussetzungen sind erfüllt:
a. Der Entscheid zum Suizid wird von der suizidwilligen Person frei gefasst und
geäussert und ist wohlerwogen und besteht auf Dauer.
b. Ein von der Suizidhilfeorganisation unabhängiger Arzt stellt fest, dass die suizidwillige Person im Hinblick auf den Suizidentscheid urteilsfähig ist.
c. Ein anderer von der Suizidhilfeorganisation unabhängiger Arzt stellt fest, dass
die suizidwillige Person an einer unheilbaren Krankheit mit unmittelbar bevorstehender Todesfolge leidet.
d. Mit der suizidwilligen Person werden andere Hilfestellungen als der Suizid erörtert und sie werden, soweit von ihr gewünscht, ihr vermittelt und bei ihr angewandt.
e. Die Suizidhandlung wird mit einem ärztlich verschriebenen Mittel ausgeführt.
f.
245
Der Suizidhelfer verfolgt keinen Erwerbszweck.
www.staatsanwaltschaften.zh.ch/Diverses/Aktuelles/Vereinbarung%20EXIT.pdf, November 2010
109
g. Die Suizidhilfeorganisation und der Suizidhelfer erstellen über den Suizidfall
gemeinsam eine vollständige Dokumentation.
3
Die für eine Suizidhilfeorganisation verantwortliche Person wird nach Absatz 1 be-
straft, wenn:
1. der Suizidhelfer im Einvernehmen mit ihr zum Suizid Hilfe leistet, obschon eine in Absatz 2 genannte Voraussetzung nicht erfüllt ist, oder
2. wenn die Suizidhilfeorganisation von der suizidwilligen Person oder von ihren
Angehörigen geldwerte Leistungen erhält; ausgenommen sind Mitgliederbeiträge und Zuwendungen, die mindestens ein Jahr vor dem Tod ausgerichtet
oder verfügt wurden.
4
Sie wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn:
a. sie vorsätzlich die erforderliche Sorgfalt bei Auswahl, Instruktion oder Kontrolle des Suizidhelfers ausser Acht lässt; und
b. der Suizidhelfer ohne Wissen der verantwortlichen Person zum Suizid Hilfe
leistet, obschon eine Voraussetzung nach Absatz 2 nicht erfüllt ist.
5
Handelt sie in einem Fall von Absatz 4 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis
zu einem Jahr oder Geldstrafe.
Art. 115 StGB, Variante 2
Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen oder im Rahmen einer Suizidhilfeorganisation jemanden zum Suizid verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Suizid
ausgeführt oder versucht wird, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe
bestraft.“246
Der gleichzeitig mit der Vernehmlassung publizierte erläuternde Bericht247 orientierte sich
stark an jenem vom Mai 2009. Zu den beiden Varianten wurden sämtliche Punkte im Detail
erläutert sowie Vor- und Nachteile aufgezeigt. Die Präferenz des Bundesrates für die Variante 1 wurde offen gelegt.
Das Vernehmlassungsverfahren, welches bis Ende März 2010 dauerte, provozierte unterschiedlichste Reaktionen. Während auf kantonaler Ebene ebenfalls mehrheitlich die Variante
1 unter Klärung gewisser Begriffe und Sachverhalte Anklang fand (zahlreiche unbestimmte
und interpretationsbedürftige Rechtsbegriffe, Einschränkung des Geltungsbereichs auf „kurz
vor dem Tod Stehende“), wurden von den politischen Parteien mit grosser Mehrheit beide
Varianten abgelehnt. Die Ablehnung der Variante 2 gründete in der nicht zeitgemässen, der
246
Vorentwurf Schweizerisches Strafgesetzbuch, www.ejpd.admin.ch, Vernehmlassungsverfahren,
Stand Oktober 2010
247
EJPD Oktober 2009, Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes betreffend die
organisierte Suizidhilfe – Erläuternder Bericht
110
aktuellen liberalen Haltung entgegenlaufenden, realitätsfremden Regelung. Variante 1 wurde
als zu restriktiv, als blosse Augenwischerei, oder auch als zu kompliziert und unübersichtlich
eingeordnet und bei grundsätzlich fehlendem gesetzlichen Handlungsbedarf verworfen. Auch
die SAMW lehnte in ihrer Stellungnahme, welche ebenfalls in der Schweizerischen Ärztezeitung publiziert wurde, beide Varianten als untauglich ab. Begründet wurde die Ablehnung wie
folgt:
•
„Die Suizidbeihilfe wird als ärztliche Tätigkeit institutionalisiert.
• Der Druck auf medizinische Institutionen, Sterbehilfeorganisationen in ihren Räumlichkeiten zuzulassen, wird erhöht.
• Die Beschränkung auf das ‚unmittelbare Lebensende’ ist untauglich.
• Die vorgeschlagene Regelung ist leicht zu umgehen.“248
Die SAMW hielt weiter fest, dass empirische Daten zeigten, dass die Akzeptanz der Suizidbeihilfe in der Bevölkerung weit grösser sei als in der Ärzteschaft und innerhalb dieser sogar
umso geringer, je mehr Erfahrung der einzelne Arzt in der Begleitung von Sterbenden habe.
Entsprechend ihrer Ausführungen sprach sich die SAMW für die Regelung der organisierten
Suizidbeihilfe mittels einer Aufsichtsgesetzgebung vor. Des Weiteren empfahl sie, die Anstrengungen zur Suizidprävention zu verstärken und die Palliative Care zu fördern.
Der Internetseite des EJPDs ist zum weiteren Verlauf zu entnehmen:
„26 Kantone, 13 politische Parteien, 81 Organisationen und 28 Privatpersonen haben
sich im Rahmen der Vernehmlassung bis zum 1. März 2010 zu den Vorschlägen des
Bundesrates geäussert. Das Bundesamt für Justiz (BJ) hat diese Stellungnahmen
ausgewertet und überarbeitet nun die Vorschläge. Das BJ unterzieht dabei verschiedene Aspekte (namentlich die Frage der Urteilsfähigkeit) unter Beizug externer Experten für Psychiatrie (René Raggenbass, Martigny), für Strafverfolgung (Staatsanwalt Severino Fioroni, Basel-Stadt) und für Verfassungsrecht (Regina Kiener, Universität Zürich) einer vertieften Analyse. Der Bundesrat wird noch im Sommer von den
Vernehmlassungsergebnissen Kenntnis nehmen und über das weitere Vorgehen entscheiden. Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) beabsichtigt bis Ende
2010 unter Berücksichtigung der Vernehmlassungsergebnisse eine Botschaft auszuarbeiten.“249
248
Stellungnahme SAMW, Schweizerische Ärztezeitung 2010; 91:3, 69/70
www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/themen/gesellschaft/ref_gesetzgebung/ref_sterbehilfe_html;
Stellungnahmen des Vernehmlassungsverfahrens, Stand: Oktober 2010
249
111
Diese Botschaft kann mit Spannung erwartet werden. Zurzeit (Stand Ende Oktober 2010)
kann auf der Internetseite des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements noch folgender Absatz gelesen werden:
„Das Tötungsverbot gilt in der Schweiz uneingeschränkt. Die direkte aktive Sterbehilfe
(gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden eines Menschen) ist somit verboten. Die
indirekte aktive Sterbehilfe (Einsatz von Mitteln, deren Nebenwirkungen die Lebensdauer herabsetzen können) sowie die passive Sterbehilfe (Verzicht auf die Einleitung
lebenserhaltender Massnahmen oder Abbruch solcher Massnahmen) sind hingegen
– ohne ausdrücklich gesetzlich geregelt zu sein – unter gewissen Voraussetzungen
straflos. Bezüglich dieser drei Formen von Sterbehilfe besteht kein gesetzgeberischer
Handlungsbedarf. Zur Diskussion stehen hingegen gesetzliche Schranken und ein
Verbot der organisierten Suizidhilfe. Sie sollen das menschliche Leben besser schützen und verhindern, dass sich die organisierte Suizidhilfe zur gewinnorientierten Tätigkeit entwickelt.“250
In der folgenden Tabelle wird nochmals eine Übersicht sämtlicher in dieser vorliegenden Arbeit erwähnten politischen Vorstösse und Aktivitäten gegeben:
250
www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/themen/gesellschaft/ref_gesetzgebung/ref_sterbehilfe_html,
Stand: Oktober 2010
112
1994
Motion Victor Ruffy für die Lockerung der Strafbestimmungen über die
Beihilfe zum Selbstmord
1997
Eidgenössische Arbeitsgruppe Sterbehilfe (Josy Meier)
1999
Bericht oben genannter Expertengruppe vorliegend
2000
Stellungnahme des Bundesrates
09/2000
parlamentarische Initiative Franco Cavalli „Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe. Neuregelung“
03/2001
parlamentarische Initiative Dorle Vallender „Verleitung und Beihilfe zur Selbsttötung.
Neufassung von Artikel 115 StGB“
10/2001
Motion Guido Zäch „Sterbehilfe. Gesetzeslücken schliessen statt
Tötung erlauben“
09/2002
Motion Dorle Vallender „Sterbehilfe und Sterbetourismus“
10/2002
Motion Baumann „Abschaffung des ‚Sterbetourismus’ in der Schweiz“
04/2003
Motion der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates „Sterbehilfe und PalliativMedizin“
06/2005
Motion Freissinig-demokratische Fraktion „Expertenarbeiten zum Thema Sterbehilfe“
05/2006
Bericht „Sterbehilfe und Palliativmedizin – Handlungsbedarf für den
Bund?
06/2006
Parlamentarische Initiative Egerszegi-Obrist „Regelung der Sterbehilfe
auf Gesetzesebene
10/2006
Interpellation Aeschbacher „Kein Handlungsbedarf des Bundes beim
Sterbehilfetourismus“
10/2006
NEK „Sorgfaltskriterien im Umgang mit Suizidhilfe“
02/2007
Dringliche Anfrage „Rechtslage und Massnahmen bezüglich
Eingrenzung der Sterbehilfe im Kanton Zürich“
03/2007
Motion Stadler „Gesetzliche Grundlage für die Aufsicht über die
Sterbehilfeorganisationen“
10/2007
Motion Glanzmann-Hunkeler „Aufsicht über die Sterbehilfeorganisationen“
10/2007
Parlamentarische Initiative Aeschbacher „Stopp dem unwürdigen
Sterbetourismus in unserem Land“
12/2007
Motion Flückiger-Bäni „Kostenübertragung an Sterbehilfeorganisationen“
01/2008
Interpellation „Missstände bei der Suizidbegleitung“
03/2008
Postulat „Schluss mit den Aktivitäten von Dignitas“
06/2008
Motion Aeschbacher „Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord unter
Strafe stellen“
06/2008
Motion Flückiger-Bäni „Befristetes Verbot für Sterbehilfe“
06/2008
Standesinitiative durch den Kanton Aargau für eine gesamtschweizerische verbindliche Regelung der medizinischen Suizidbegleitung
05/2009
Bericht EJPD „Organisierte Suizidhilfe: vertiefte Abklärungen zu
Handlungsoptionen und –bedarf des Bundesgesetzgebers“
05/2009
2 kantonale Volksinitiativen (Zürich) gegen Sterbetourismus und
Suizidbeihilfe
06/2009
Bundesrat 1. Aussprache zur organisierten Suizidhilfe
10/2009
Vernehmlassungsstart Gesetzesentwurf zur Regelung der organisieriten Suizidhilfe
03/2010
Ende der Vernehmlassungsphase
Abbildung 4: Übersicht der politischen Aktivitäten betreffend die Suizidbeihilfe, in chronologischer Reihenfolge, entsprechend der Zitierung in dieser Arbeit
4.4
Wie denkt die Bevölkerung über Suizidbeihilfe?
Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen, mehrheitlich von Meinungsführern aus den
Bereichen Politik, Ethik, Recht und Medizin geführten Debatte erschien es hilfreich, die Einstellungen der Bevölkerung zur Sterbehilfe und Suizidbeihilfe zu erfassen und zu analysieren. Dieser Aufgabe nahm sich im Mai 2010 das Kriminologische Institut der Universität Zürich an. Es führte eine Befragung von 1500 Schweizerinnen und Schweizern im Alter von
113
über 15 Jahren durch, die zufällig ausgewählt wurden. Gemäss Autoren handelt es sich um
die
„bisher detaillierteste Studie mit einer repräsentativen nationalen Stichprobe sowie
um die erste Untersuchung, die die Zustimmung der Schweizer Wohnbevölkerung zu
reellen Sterbehilfe-Situationen erfasst“251.
Erfragt wurden in Telefoninterviews die persönliche Einstellung zur Sterbehilfe und Suizidbeihilfe, aber auch Hintergrundfaktoren, welche für diese Einstellungen ursächlich sein könnten. Im Weiteren wurde der Rahmen der Untersuchung durch postalische Befragung von
Juristen (Rechtsanwälte, Staatsanwälte und Richter) sowie Medizinern erweitert. Die Studie
war folgendermassen aufgebaut:
„Die Einstellungen zur Sterbehilfe wurden durch sechs praxisnahe oder rechtlich bedeutsame Fallbeschreibungen (sog. «Vignetten»252) erfasst, in denen Personen Entscheidungen über ihr eigenes Lebensende oder das Lebensende einer anderen Person treffen. Zu jedem Fall gaben die Befragten ihre moralische Einschätzung auf
einer Zehner-Skala ab, indem sie Handlungen des Arztes oder des Sterbehelfers als
«richtig» oder «falsch» zu beurteilen hatten.
Darüber hinaus wurde erfasst, ob die Befragten die jeweiligen SterbehilfeHandlungen des Arztes oder eines Sterbebegleiters einer Sterbehilfeorganisation gesetzlich verbieten oder erlauben würden. Die Abgrenzung zwischen moralischer und
rechtlicher Einschätzung ist deshalb von Bedeutung, weil eine moralische Ablehnung
nicht zwingend auch zu einer Forderung nach einem gesetzlichen Verbot führen
muss.“253
Die Resultate überraschen nicht. So bewertet die Bevölkerung insgesamt in 5 der geschilderten 6 Fälle das Handeln des Arztes als mehrheitlich moralisch „richtig“ (Ernährungsabbruch
bei langjähriger Wachkomapatientin, Abstellen des Beatmungsgerät auf Wunsch des Patienten mit unheilbarer Muskelkrankheit, Schmerzbekämpfung mit unbeabsichtigter lebensverkürzender Nebenwirkung, Suizidbeihilfe). Bei den drei Suizidbeihilfefällen ist eine Rangfolge
zu erkennen: So wird die Rezeptausstellung des Arztes bei einer todesnahen Krebspatientin
moralisch überwiegend als „richtig“ angesehen, gefolgt von dem begleiteten Suizid eines
251
Kriminologisches Institut der Universität Zürich, Medienkonferenz 02.09.2010, „Was die Schweizer
Bevölkerung von Sterbehilfe und Suizidbeihilfe hält“, S. 4
252
Kriminologisches Institut der Universität Zürich, Medienkonferenz 02.09.2010, „Was die Schweizer
Bevölkerung von Sterbehilfe und Suizidbeihilfe hält“, S. 5/6
253
Kriminologisches Institut der Universität Zürich, Medienkonferenz 02.09.2010, „Was die Schweizer
Bevölkerung von Sterbehilfe und Suizidbeihilfe hält“, S. 5
114
polymorbiden Hochbetagten (beinahe blind und taub, inkontinent, im Rollstuhl). Etwas geringer ist die moralische Akzeptanz dieser Handlung bei einem sterbewilligen Alzheimerpatienten. Die Studie hält zudem fest, dass interessanterweise auch direkte aktive Sterbehilfehandlungen des Arztes auf Wunsch der todesnahen Patienten mehrheitlich als moralisch
„richtig“ angesehen werden. Besteht in einem solchen Fall jedoch die Möglichkeit zur Suizidbeihilfe bzw. zur indirekt aktiven Sterbehilfe, wird dies als moralisch „richtiger“ empfunden.
Zur Frage der gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe ergab sich folgendes Bild:
„Es lässt sich zunächst festhalten, dass sich über alle Fälle hinweg – ausser bei einer
Konstellation – eine klare Mehrheit dafür aussprach, dass die beschriebenen passiven und indirekt aktiven Sterbehilfehandlungen oder die Beihilfe zum Suizid gesetzlich erlaubt sein sollten. Selbst die – nach heutiger Rechtslage in der Schweiz verbotenen – Formen der direkten aktiven Sterbehilfe bei Krebspatientinnen in der letzten
Lebensphase sollten nach Ansicht der Mehrheit der Befragten gesetzlich erlaubt sein!
Mit 68% (Fall 1E) und 70% (Fall 3D) ist dieses Meinungsbild sehr deutlich. Daraus
lässt sich schliessen, dass eine gesetzliche Regelung der direkten aktiven Sterbehilfe, wie sie in den Niederlanden und in Belgien existiert, in der Schweiz eine breite öffentliche Zustimmung finden würde. […]
In den Fällen der Suizidbeihilfe ergibt sich eine robuste Mehrheit dafür, dass die
Handlungen eines Sterbehelfers, der im Rahmen einer Sterbehilfeorganisation aktiv
ist, gesetzlich erlaubt sein sollen. Und zwar gilt dies sowohl für Fälle, in denen eine
Person am Lebensende einen Suizid ausführen will als auch für Suizide von polymorbiden Patienten und von Sterbewilligen mit Alzheimer.“254
Vergleiche bezüglich Geschlecht, Bildungsniveau oder Sprachregion ergaben keine markanten Unterschiede in den Resultaten. Eine eindeutige Einflussnahme zeigte jedoch die Religiosität einer Person: Wer an Gott glaubt, äussert sich eher negativ gegenüber der Suizidbeihilfe. Als Grund für die Befürwortung der Suizidbeihilfe wurde am häufigsten die Selbstverantwortung und die Suizidprävention („sonst bringt er sich anders um“) genannt, für deren
Ablehnung religiöse Gründe. Die Angst vor einem Dammbruch oder der gewerbsmässigen
Suizidbeihilfe durch Organisationen wurde von der Bevölkerung als nicht sehr hoch eingestuft. Die organisierte Suizidbeihilfe wurde mehrheitlich als Option für ein „würdevolles Sterben im Beisein von Angehörigen“255 angesehen, jedoch fand die Suizidbeihilfe für psychisch
schwer Erkrankte keine grosse Zustimmung, ebenso wenig wie für alte Menschen ohne kör254
Kriminologisches Institut der Universität Zürich, Medienkonferenz 02.09.2010, „Was die Schweizer
Bevölkerung von Sterbehilfe und Suizidbeihilfe hält“, S. 8/9
255
Kriminologisches Institut der Universität Zürich, Medienkonferenz 02.09.2010, „Was die Schweizer
Bevölkerung von Sterbehilfe und Suizidbeihilfe hält“, S. 11
115
perliches Leiden. Der Sterbetourismus wurde tendenziell abgelehnt (42% voll dagegen, 24%
eher dagegen, 24% eher dafür, 11% voll dafür256). 88% der Befragten gaben an, dass die
Suizidbeihilfe durch Ärzte erfolgen sollte.
4.5
Die ärztliche Haltung gegenüber der Sterbehilfe
Zwischen November 2004 bis September 2010 erschienen in der Schweizerischen Ärztezeitung wiederholt Beiträge zur Thematik Suizidbeihilfe. In einer Fallvignette „Eine Begleitung“257 wurde der Umgang mit dem Sterbewunsch einer krebskranken Patientin aufgezeigt,
ohne dass es schliesslich zu einer Suizidbeihilfe kam.
Insbesondere ablehnend wurde die Aufhebung des Moratoriums von Exit für psychisch
Kranke aufgenommen. Die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie
verfasste eine Stellungnahme zum veröffentlichten Gutachten zwecks Aufhebung des Moratoriums. Unter dem Titel „Suizidbeihilfe bei Psychischkranken“258 gingen sie auf den aktuellen Stand der Dinge ein, äussern sich aber kritisch zur Ausweitung der Sterbehilfe auf Psychischkranke:
„Freitodbegleitung für Psychischkranke bleibt eine Gratwanderung zwischen dem
Wunsch, auch dem Psychischkranken hinsichtlich eines Sterbens in Würde Autonomie zuzugestehen, und eine Förderung des Suizids bei Krankheiten, die den Suizidwunsch sozusagen mitbeinhalten – was wohl niemand ernstlich wollen kann.“259
Unter dem rechtlichen Aspekt wurde „Das Recht auf den eigenen Tod“ ausgiebig diskutiert,
dies auf der Grundlage eines Bundesgerichtsurteils vom 3. November 2006260 bezüglich einer Suizidbeihilfe bei einem psychisch kranken Patienten. Die Autoren Raggenbass und
Kuhn gingen in ihrem Artikel261 der Frage nach, ob das benannte Bundesgerichtsurteil allgemein ein Recht auf ärztliche Suizidbeihilfe einräume und kommen zum Schluss, dass dies
nicht so sei. Im Gegensatz zum Bundesgericht, welches unter bestimmten Voraussetzungen
bei Psychischkranken die ärztliche Suizidbeihilfe als zulässig erachtet, vertreten die Autoren
die Haltung des Zentralvorstandes der FMH, welche in solchen Fällen wegen noch ungenügend wissenschaftlichen Erkenntnissen diese ablehnt. Christian Schwarzenegger, Jurist,
betont in seinem Artikel262, dass das „Recht auf den eigenen Tod“ nicht vom Staat eingefor-
256
Kriminologisches Institut der Universität Zürich, Medienkonferenz 02.09.2010, „Was die Schweizer
Bevölkerung von Sterbehilfe und Suizidbeihilfe hält“, S. 14
257
Wälti 2004
258
Ebner 2005 und Rippe 2005
259
Ebner 2005
260
siehe Fussnote 216
261
Raggenbass 2007
262
Schwarzenegger 2007, SÄZ 2007
116
dert werden könne und dass somit keine Pflicht des Staates bestehe, „dem Individuum aktiv
zu einem schmerzfreien Suizid mittels Natrium-Pentobarbital zu verhelfen“. Bemängelt wurde
im gleichen Artikel, dass es keine Standesregel bezüglich der Suizidbeihilfe für nicht-inTodesnähe-stehende Patienten geben würde. Die SAMW reagierte hierauf mit ihrer Antwort263, dass zwar die Begleitung von Patienten am Lebensende zu den zentralen Aufgaben
der Ärzteschaft zähle, nicht jedoch die Suizidbeihilfe und fügt an, dass keine Erweiterung
oder Ergänzung der Standesregeln in der angeregten Richtung geplant sei. Der Vorstand der
Schweizerischen Gesellschaft für Forensische Psychiatrie kommt schliesslich in seiner Stellungnahme264 zum Schluss, dass der Bundesgerichtsentscheid zusammen mit den Richtlinien der SAMW und den Empfehlungen Nr. 9 der Nationalen Ethikkommission eine gute
Grundlage bieten, um der Instrumentalisierung der Psychiater in diesem Bereich entgegen
zu wirken. In einem Beitrag von Christoph Rehmann-Sutter wird die problematische Formulierung des „Rechts auf den eigenen Tod“ hinterfragt. Er hält fest, dass dieser Terminus inhaltlich folgendermassen präzisiert werden müsste: das Recht
„über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden; dies
zumindest, soweit der Betroffene in der Lage ist, seinen Willen frei zu bilden und danach zu handeln.“ 265
Unter den Befürwortern der Suizidbeihilfe fanden sich einige Artikel im Bereich der „Tribüne“,
teilweise mit Fallbeschreibungen. Alois Geiger-Jakob beschrieb in seinem Beitrag266 die –
trotz der Diskussion um Sterbehilfe – weiterhin bestehenden Vorurteile und die Tabuisierung
des Selbstmordes. Der begleitete Freitod sei eine humanistische Tat und würde den Leidgeplagten ermöglichen, ihr Leben in einem würdigen Rahmen abzuschliessen. Ohne Möglichkeit zum assistierten Suizid würden solche Menschen gezwungen, einen „in Verzweiflung
durchgeführten Suizid in Abkehr von den Mitmenschen“ zu begehen. Durch fehlende Optionen, über einen geplanten Suizid sprechen zu können, würden diese Menschen in ihrer Isolation gewissermassen dazu gedrängt, „unfrei“ zu handeln. Ebenfalls wird im Artikel auf die
Folgen eines nicht erfolgreichen Suizidversuches hingewiesen.
Peter Hirzel beschreibt eine Fallvignette267, wie er einen Patienten mit Exit in den Tod begleitete und wie der bewusste Abschiedstermin als „Chance“ für die Angehörigen genutzt werden konnte, [emotional] „aufzuräumen“.
263
Regamy 2007
Kiesewetter 2007
265
Rehmann-Sutter 2007
266
Geiger-Jakob 2008
267
Hirzel 2009
264
117
In einer Übersichtsarbeit mit dem Titel „Sterbehelfer – eine neue Rolle für Europas Ärzteschaft“ versucht Georg Bosshard die ärztlich-standesethischen Richtlinien in ausgewählten
europäischen Ländern zu analysieren. Er schlussfolgert:
„Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Befürwortung von Sterbehilfe in der Öffentlichkeit europäischer Länder bleibt die entscheidende Frage nach der adäquaten
Rolle des Arztes in der Sterbehilfe umstritten. Eine Gesellschaft, die Sterbehilfe
grundsätzlich zulassen will, sollte sich sorgfältig überlegen, welche Aufgaben in diesem Zusammenhang ausschliesslich ärztlicher Expertise überlassen werden sollten
und welche Aufgaben durch den Einbezug anderer Berufsgruppen besser wahrgenommen werden könnten.“ 268
Jean Martin hält in seinem Text „Suizidbeihilfe und Lebensmüdigkeit“ abschliessend fest:
„Wie immer in gesellschaftlichen Fragen ist es hier angemessen, den Spielraum der
Toleranz zu umreissen, ein goldenes Mittelmass, das die Grundfreiheiten des Einzelnen ebenso berücksichtigt wie die Aufgaben des Staates, die Werte der Gemeinschaft und ihr Bestreben, ethisch und praktisch problematische Entgleisungen zu
vermeiden.“ 269
Zusammenfassend kann man festhalten, dass auf eine ausgewogene Berichterstattung Wert
gelegt wurde und dass in der Ärzteschaft die kritischen Stimmen bezüglich des ärztlich assistierten Suizids dominieren270.
268
Bosshard 2008
Martin 2008
270
Vgl. weitere Artikel und Leserbriefe: Hänsel 2007 / Krebs-Roubicek 2007 / Geiser 2007 / Beutler
2008 / Ryser-Düblin 2008 / Martin 2009
269
118
5 Fazit und persönliche Stellungnahme
Aus heutiger Sicht gibt es markante Unterschiede zur Ärzteschaft und deren definierten Aufgaben seit der Antike. So gab es beispielsweise um 400 v. Chr. keine Behandlungspflicht für
Ärzte. Ob ein Patient in Behandlung genommen wurde oder nicht, entschied der jeweilige
Arzt. Die Aufgabe der Heilkunst wurde im Corpus Hippocraticum als die gänzliche Befreiung
der Kranken von ihren Leiden und die Abstumpfung der Heftigkeit einer Krankheit, aber die
bewusste Unterlassung eines Behandlungsversuches, bei denen, die von der Krankheit
„überwältigt“ sind, beschrieben. Entsprechend gibt es Hinweise, dass „aussichtslos“ Kranke
aus Angst vor Rufschädigung abgelehnt oder aufgegeben wurden, oder dass in Einzelfällen
„Sterbehilfe“ geleistet wurde.
Die Diskussion bezüglich Suizid und Suizidbeihilfe wurde hauptsächlich von Philosophen
geführt und orientierte sich an spirituellen und religiösen Richtlinien (Seele von Gott gegeben
– Gott entscheidet über den Tod – aber auch: Gott kann eine Person in den Suizid „treiben“,
wenn er dies für angebracht hält). Dass die Suizidbeihilfe eine praktizierte Tätigkeit war,
kann aus dem Hippokratischen Eid abgeleitet werden, worin explizit darauf verwiesen wird,
dass der Arzt bei Eintritt in seinen Berufsstand schwört, den Patienten kein tödliches Mittel
zu verabreichen, auch wenn sie dies verlangen und sie auch nicht dahingehend berät.
Christlich gesinnte Vertreter bestärkten im 13. bis 18. Jahrhundert ebenfalls diese Ansicht
und prägten unter anderem die Begriffe der „Heiligkeit des Lebens“, wie auch den der „Verfügungsgewalt über das menschliche Leben“, welche einzig Gott zustehe. Bezüglich Selbsttötung lassen sich keine direkten Aussagen in der Bibel finden, jedoch wird im Rahmen eines
klaren Fremdtötungsverbotes die Suizidbeihilfe verurteilt und abgelehnt.
Im 18./19. Jahrhundert lassen sich bereits mehrere stärkere Strömungen bezüglich Öffnung
der Sterbehilfe, sowie Ansätze eines Gedankenguts Richtung Palliativpflege finden, wobei
seitens der Ärzte eine klare Ablehnung irgendeiner Form der Lebensverkürzung beim Patienten vorherrschte.
Ein zentraler Schritt Richtung Öffnung der Sterbehilfe-Thematik kann in Darwins Evolutionstheorie „Überleben des Stärkeren im Kampf ums Dasein“ gesehen werden. Mit seiner Schrift
ebnete er den Weg für die Theorie der Rassenhygiene, womit die jahrzehntelang gefestigten
Werte („Heiligkeit des Lebens“ u.a.m.) zunehmend in Frage gestellt wurden und schliesslich
mit der „Ausscheidung des Schwachen“ während der Zeit des Nationalsozialismus ihren Höhepunkt erreichte. Die darauf folgende Diskussion blieb kontrovers, verzeichnete jedoch eine
Verschiebung der Gewichtung hin zu den „Rechten der Kranken und Sterbenden“.
Ende 20. Jahrhundert ermöglichte diese starke Gewichtung der Patientenautonomie, dass
die Suizidbeihilfe in einem gewissen Rahmen legalisiert und auch legitimiert wurde.
119
Zu Beginn der Dissertationsarbeit war ich – ganz im Rahmen der Gewichtung der Patientenautonomie – der Ansicht, dass ein Arzt bedenkenlos Suizidbeihilfe leisten kann. Patienten
sollten in ihrem selbstbestimmten Sterbewunsch, ärztliche Unterstützung erhalten können.
Inzwischen hat sich meine Ansicht diesbezüglich differenziert.
Ich gehe mit dem Grundsatz einig, dass die Beihilfe zum Suizid prinzipiell keine ärztliche
Tätigkeit ist. Die Ziele der medizinischen Therapie sind gemeinsam zwischen Patient und
Arzt auszuhandeln und definieren Lebensqualität und Lebenssituation des betroffenen Patienten im Rahmen der Möglichkeiten. Sie beinhalten die Verbesserung einer eingeschränkten
körperlichen Integrität sowie Förderung und – so weit möglich – Wiederherstellung der somatischen, psychischen und sozialen Funktionsfähigkeit. Weitere Ziele sind die Linderung körperlicher und seelischer Schmerzen und Leiden, Betreuung und Begleitung kranker oder/und
sterbender Menschen unter Einbezug des sozialen Umfeldes sowie die Förderung und Unterstützung einer lebenslangen körperlichen und psychischen Entwicklung. Die Lebenserhaltung um jeden Preis ist um eine empathisch geleitete, angepasste palliative Therapiemöglichkeit erweitert worden. In diesem Sinne bin ich zur Überzeugung gelangt, dass bei entsprechender Anteilnahme an bestehenden Ängsten seitens des Patienten und durch Eingehen auf geäusserte Bedürfnisse in einer terminalen Situation oder bei einer chronisch progredienten Erkrankung, eine passende und adäquate Palliativtherapie angewendet werden
kann, so dass ein aktiver Suizidwunsch in den Hintergrund treten mag.
Da das Gesetz die Beihilfe zum Suizid erlaubt, unterstütze ich jedoch auch die Haltung der
SAMW, dass die Suizidbeihilfe für medizinisches Personal nicht global verboten werden
kann. Es ist für mich vorstellbar, dass in Einzelfällen Suizidbeihilfe, in Vereinbarung mit dem
jeweiligen Gewissen der ausführenden ärztlichen Person, geleistet wird.
Im Berufsfeld der Psychiatrie, worin ich mich bewege, stellt sich zudem die Problematik,
dass Suizidwünsche und Äusserungen häufig Ausdruck und Symptom einer Krankheit sind,
somit aus dieser Sicht bis zu einem gewissen Grad therapierbar. Die Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient ist dabei genauso ein zentraler Faktor wie die Vermittlung von Hoffnung. Mit Unterstützung der ärztlichen Suizidbeihilfe im Bereich der Psychiatrie würde diese
Hoffnung, meist zu Unrecht, untergraben. Die innere Haltung eines Therapeuten gegenüber
seinem Klienten, die relevant an der Generierung dieses Hoffnungsfunkens beteiligt ist, würde, meiner Ansicht nach, leiden und einen weiteren Therapieerfolg deutlich minimieren.
Zum aktuellen Zeitpunkt ist es für mich, gemäss den oben erwähnten Ausführungen, nicht
mit meinem Gewissen vereinbar, Suizidbeihilfe zu leisten. Vielmehr erscheint es mir wichtig,
Patienten in gesundheitlich schwierigen und belasteten Zuständen im Rahmen der Möglich120
keiten und Wünsche mit einer adäquaten palliativen Therapie zu begleiten. Ein wichtiger Aspekt dieser Begleitung sollte eine professionelle Gesprächstherapie darstellen.
Eine tabellarische Übersicht der verschiedenen Argumente in der Diskussion um das ethische Dilemma in der Suizidbeihilfe findet sich im Anhang. Ebenfalls im Anhang zu finden ist
eine summarische Übersicht der rechtlichen Regelung der Sterbehilfe aller europäischen
Länder.
121
6 Anhang
6.1
Das ethische Dilemma der Suizidbeihilfe
In der vorliegenden Tabelle wurde versucht, die in dieser Arbeit herausgearbeiteten wesentlichen Punkte betreffend das ethische Dilemma der Suizidbeihilfe darzustellen:
Pro Suizidbeihilfe
Gesellschaftliche Aspekte:
- Lebensunwertes Leben
(Binding / Hoche)
- Missgestaltete Kinder
(Nowak)
- Seuchen nicht länger
nähren/ den Aufgaben
nicht mehr gewachsen
sein (Morus)
- Kranker als Parasit der
Gesellschaft (Nietzsche)
- Wert des Menschen
kann negativ werden
(Jost)
- Ballastexistenzen (Hoche)
- Enthebung aus der
Halbillegalität und damit bessere Kontrolle
(SAMW)
- Enormer Rückhalt der
Suizidbeihilfe in der
Gesellschaft
- Steigende Gesundheitskosten wegen
steigender Lebenserwartung (kezerisch;
Süddeutsche Zeitung)
Rassenhygienische Überlegungen:
- Natürliche Auslese
(Darwin)
- Natürliche Schöpfungsgeschichte (Haeckel)
- Veredelung der Rasse
(Tille)
- Nationalsozialismus
Autonomie des Patienten:
- Forderung für Recht auf
Sterbehilfe bei unheilbar Kranken(Gerkan)
- Respektieren des Willens des Kranken (Eurparat / SAMW)
- Recht auf Selbstbestimmung
- Im Rahmen eines Ge-
Verweis271
S. 17
S. 17
S. 21
S. 30
S. 31/32
S. 36
S. 50/52
Kontra Suizidbeihilfe
Gesellschaftliche Aspekte:
- Gegen Gottes Willen (Platon / Sokrates)
- Ehre (Aristoteles)
- Gottes alleinige Verfügungsgewalt über das
menschliche Leben (von
Aquin)
- Heiligkeit des Lebens
(Lecky)
- Verletzung eines göttlichen
Gesetzes (Papst J. Paul II)
- Unklare Definition von ‚existentiellem Leiden’ (SAMW)
- ‚Regelung’ könnte als Aufforderung verstanden werden (SAMW)
- Missbrauchsgefahr
- Schwierigkeit der Trennung
Mensch  Arzt
- Sterbehilfetourismus aus
weniger liberalen Ländern
erschwerte Sorgfaltspflicht
Verweis
S. 12
S. 12/13
S. 15
S. 16
S. 18
S. 49/60
S. 50
S. 52/107
S. 78
S. 51/102
S. 52
S. 90/91
S. 27f
S. 29
S. 30
S. 31
S. 33/34
S. 40
S. 44/50
Autonomie des Patienten:
- Druck auf Patienten, den
Weg der Suizidbeihilfe wählen zu müssen
- Schwierigkeit der Einschätzung der Urteilsfähigkeit bei
psychisch Kranken, Bewusstlosen oder Minderjährigen
- Dilemma der persönlichen
S. 52
S.63f/ 67f/
100
271
Die Seitenzahlen verweisen exemplarisch auf die Lokalisierung der entsprechenden Argumente
innerhalb dieser Arbeit.
122
wissensentscheids
kann es eine menschliche Handlung sein
(SAMW)
Medizinische Aspekte:
- Erlösung von den Qualen bei unheilbar Kranken (Schulz / Paradys,
bzw. Haeckel)
- Suizidbeihilfe als reine
‚Heilhandlung’ bei unheilbar Kranken (Binding)
- Unfreiheit und Einschränkung des ärztlichen Handelns durch
den Zwang der unbedingten Lebensverlängerung (Hoche)
- Respektierung des Patientenwillen ist grundlegend für die ArztPatient-Beziehung
(SAMW)
- Ärztliches Ethos kann
nicht dem geltenden
Gesetz wiedersprechen
- Unterstützung des Patienten auch im Moment einer schwierigen
Entscheidung => nicht
im Stich lassen müssen
Autonomie vs. Soziale Abhängigkeit (Ciompi)
S. 69
S. 49
S. 24 bzw.
33
S. 35
S. 36
S. 46
S. 84
S. 25/87
Medizinische Aspekte:
- Hippokratischer Eid
- Vertrauensverhältnis ArztPatient
- Lebenserhaltung als Berufspflicht (Hufeland)
- Überraschende Heilung
nicht ausgeschlossen
- Gefahr des Dammbruchs:
Arzt als Richter über lebenswertes bzw. –unwertes
Leben (Beer)
- Gefahr der Synthese Arzt
und Henker (Wauschkuhn)
- Suizidbeihilfe nicht Teil der
ärztlichen Tätigkeit (SAMW)
- Monopolisierung durch
‚Medikalisierung des Todes’
(SAMW)
- Suizidpräventionsbemühungen
- Diagnoseunsicherheiten
- Möglickeiten der Palliativpflege
- Besondere Abhängigkeitsverhältnisse, z.B. in Langzeitpflegeeinrichtungen
- Arzt als Machtfaktor, Schutz
des Arztes
- Verschreibung eines Medikamentes bei fehlender Indikation
Rechtliche Aspekte:
- Gesetz §216 Reichsstrafgesetzbuch 1871
- Mutmassliche Einwilligung
vs. notstandsähnlicher Abwägung (Seelmann)
- Recht auf Leben (im Rahmen der Menschenrechte)
Rechtliche Aspekte:
- Art. 115 StGB: Suizidbeihilfe ist straflos,
wenn nicht selbstsüchtige Beweggründe vorliegen
S. 48
- In der Realität wird (bereits) Suizidbeihilfe
praktiziert
S. 52
- Strafbare Körperverletzung bei lebenserhaltenden Massnahmen
gegen den Willen des
Patienten (Seelmann)
S. 71
- Aktuell gültige gesetzliche Regelungen sind
genügend, um vor
Missbrauch zu schützen (Bundesrat 2006)
S. 102
Abbildung 5: Das ethische Dilemma der Suizidbeihilfe
S. 14/15
S. 19
S. 25
S. 26
S. 34
S. 37
S. 46/49
S. 49/60
S. 49/
57/107
S. 50/61/
82
S. 62/63
S. 60/ 73
S. 75
S. 31
S. 72
S. 92
123
Der sogenannte „Hippokratische Eid“272
6.2
Ich schwöre bei Apollon dem Arzt und Asklepios und Hygieia und Panakeia und allen Göttern und Göttinnen, sie zu Zeugen anrufend, dass ich erfüllen will nach meinem Können und
Urteil diesen Eid und diesen Vertrag:
Den, der mich diese Kunst gelehrt hat, meinen Eltern gleich zu achten und mein Leben
in Gemeinschaft mit ihm zu leben und ihm, wenn er Geld nötig hat, an meinem Anteil zu geben und seine Nachkommenschaft meinen Brüdern in männlicher Linie gleichzustellen und
sie diese Kunst zu lehren – wenn sie wünschen, sie zu erlernen – ohne Honorar und Vertrag;
an Regeln und mündlichem Unterricht und allem übrigen Wissen meinen Söhnen Anteil zu
geben und den Söhnen dessen, der mich unterrichtet hat, und Schülern, die den Vertrag
unterzeichnet und einen Eid geleistet haben nach ärztlichem Brauch, aber sonst niemandem.
Ich will diätetische Massnahmen zum Vorteil der Kranken anwenden nach meinem
Können und Urteil; ich will sie vor Schaden und Unrecht bewahren.
Ich will weder irgend jemandem ein tödliches Medikament geben, wenn ich darum
gebeten werde, noch will ich in dieser Hinsicht einen Rat erteilen. Ebenso will ich keiner Frau
ein abtreibendes Mittel geben. In Reinheit und Heiligkeit will ich mein Leben und meine
Kunst bewahren.
Ich will das Messer nicht gebrauchen, nicht einmal bei Steinleiden, sondern will davon
abstehen zugunsten der Männer, die sich mit dieser Arbeit befassen.
In alle Häuser, die ich besuche, will ich zum Vorteil der Kranken kommen, mich frei
haltend von allem vorsätzlichen Unrecht, von aller Schädigung und insbesondere von sexuellen Beziehungen sowohl mit weiblichen wie mit männlichen Personen, seien sie frei oder
Sklaven.
Was ich etwa sehe oder höre im Laufe der Behandlung oder auch ausserhalb der
Behandlung über das Leben von Menschen, was man auf keinen Fall verbreiten darf, will ich
für mich behalten, in der Überzeugung, dass es schändlich ist, über solche Dinge zu sprechen.
Wenn ich diesen Eid erfülle und ihn nicht verletze, sei es mir vergönnt, mich des Lebens und der Kunst zu erfreuen, geehrt durch Ruhm bei allen Menschen auf alle künftige
Zeit; wenn ich ihn übertrete und falsch schwöre, sei das Gegenteil von all diesem mein Los.
272
Quelle: Benzenhöfer 2009, S. 201 nach Ludwig Edelstein: Der Hippokratische Eid. Zürich und
Stuttgart 1969, S. 7-8.
124
6.3
Gesetzestexte273
6.3.1
Urteilsfähigkeit
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (Stand am 1. Januar 2011)
Art. 16
Urteilsfähigkeit im Sinne dieses Gesetzes ist ein jeder, dem nicht wegen seines Kindesalters
oder infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit oder ähnlichen Zuständen
die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln.
6.3.2
Tötung auf Verlangen
Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, Fassung gemäss Ziff. I des Bundesgerichts vom 23. Juni 1989, in Kraft seit 1. Januar 1990 (Stand am 1. Januar 2011).
Art. 114
Wer aus achtenswerten Beweggründen, namentlich aus Mitleid, einen Menschen auf dessen
ernsthaftes und eindringliches Verlangen tötet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren
oder Geldstrafe bestraft.
6.3.3
Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord
Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, Fassung gemäss Ziff. I des Bundesgerichts vom 23. Juni 1989, in Kraft seit 1. Januar 1990 (Stand am 1. Januar 2011).
Art. 115
Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu
Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe
bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
273
Quelle: www.admin.ch, Stand am 10. März 2011
125
6.4
Endfassung der SAMW-Richtlinie „Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende“ von 2004274
Vom Senat der SAMW genehmigt am 25. November 2004. Die deutsche Fassung ist die
Stammversion.
I.
Präambel
II.
Richtlinien
1.
Geltungsbereich
2.
Recht auf Selbstbestimmung
2.1. Urteilsfähiger Patient
2.2. Nicht urteilsfähiger Patient
3.
Behandlung und Betreuung
3.1. Palliative Betreuung
3.2. Behandlungsverzicht oder –abbruch
4.
Grenzen des ärztlichen Handelns
4.1. Beihilfe zum Suizid
4.2. Tötung auf Verlangen
III.
Kommentar
ad 1. (Geltungsbereich)
ad 2.1. (Urteilsfähiger Patient)
ad 2.2. (Nicht urteilsfähiger Patient)
ad 3.1. (Palliative Betreuung)
ad 3.2. (Behandlungsverzicht oder -abbruch)
ad 4.1. (Beihilfe zum Suizid)
IV.
Empfehlungen zuhanden der zuständigen Gesundheitsbehörden
V.
Anhang
Hinweise zur Ausarbeitung dieser Richtlinien
I.
Präambel
Menschen in ihrer letzten Lebensphase sind häufig besonders schutz- und hilfsbedürftig. Sie
vergegenwärtigen uns die Endlichkeit der menschlichen Existenz. Entscheidungen am Lebensende stellen grosse Anforderungen vor allem an den Patienten1 selbst, aber auch an
seine Angehörigen, die Ärzte und das Betreuungsteam. Anliegen dieser Richtlinien ist es,
Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen der Betreuung von Patienten am Lebensende aufzuzeigen. Das grundlegende Ziel besteht darin, Leiden zu lindern und die bestmögliche Lebensqualität des Patienten sowie eine Unterstützung der Angehörigen zu gewährleisten.
Im Unterschied zur letzten Fassung der Richtlinien von 1995 wird im Folgenden
274
Quelle: www.samw.ch, Stand 10.03.2011
126
ausschliesslich auf die Situation sterbender Patienten Bezug genommen. Die Richtlinien zur
Behandlung und Betreuung von zerebral schwerst geschädigten Langzeitpatienten wurden
entsprechend erstmals separat formuliert. Da sich dennoch gemeinsame Fragen und
Probleme ergeben, sei die Bedeutung dieser Richtlinien für die hier im Zentrum stehenden
Fragen hervorgehoben. Das Gleiche gilt auch für die Richtlinien zu Grenzfragen der Intensivmedizin und für die Richtlinien zur Behandlung und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen Menschen.
Bezüglich der speziellen Problematik der sehr unreifen Frühgeborenen sei auf die
Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie zur Betreuung von Frühgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit verwiesen.275
II.
Richtlinien
1.
Geltungsbereich
Die Richtlinien betreffen die Betreuung von Patienten am Lebensende. Damit sind Kranke
gemeint, bei welchen der Arzt aufgrund klinischer Anzeichen zur Überzeugung gekommen
ist, dass ein Prozess begonnen hat, der erfahrungsgemäss innerhalb von Tagen oder einigen Wochen zum Tod führt.
Bei Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen am Lebensende gelten die gleichen
Grundsätze; insoweit hier besondere Aspekte zu berücksichtigen sind, werden diese in den
entsprechenden Abschnitten vermerkt.
2.
Recht auf Selbstbestimmung
Jeder Patient hat das Recht auf Selbstbestimmung. Die frühzeitige, umfassende und
verständliche Aufklärung des Patienten oder seiner Vertreter über die medizinische Situation
ist Voraussetzung für die Willensbildung und Entscheidfindung. Dies bedingt eine
einfühlsame und offene Kommunikation und die Bereitschaft des Arztes, die Möglichkeiten
und Grenzen sowohl der kurativen wie auch der palliativen Behandlung zu thematisieren.
2.1. Urteilsfähiger Patient
Die Respektierung des Willens des urteilsfähigen Patienten ist zentral für das ärztliche Handeln. Demzufolge ist eine ärztliche Behandlung gegen den erklärten Willen des urteilsfähigen
Patienten unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn dieser Wille dessen wohlverstandenen Interessen aus der Sicht Aussenstehender zuwiderzulaufen scheint. Auch Minderjährige oder
Entmündigte können bezüglich Behandlungseinwilligung urteilsfähig sein.
2.2. Nicht urteilsfähiger Patient
275
Im Interesse der leichteren Lesbarkeit des Textes wird in der Folge durchwegs die männliche Bezeichnung von Personen verwendet. Die entsprechenden Texte betreffen immer auch die weiblichen
Angehörigen der genannten Personengruppen.
127
2.2.1. Handeln im mutmasslichen Willen des Patienten
Ist es dem Patienten nicht mehr möglich, seinen Willen zu äussern, muss sein mutmasslicher Wille eruiert werden. Der Arzt oder das Pflegepersonal müssen deshalb abklären, ob
der Patient eine Patientenverfügung verfasst, eine Vertrauensperson bevollmächtigt oder
sich gegenüber seinen Angehörigen klar geäussert hat. Zudem muss abgeklärt werden, ob
eine gesetzliche Vertretung besteht. Ist dies der Fall, so muss deren Einwilligung eingeholt
werden.
Patientenverfügung
Jede Person kann im Voraus Bestimmungen darüber erlassen, welche Behandlung sie wünscht, falls sie nicht mehr urteilsfähig ist (Patientenverfügung). Patientenverfügungen sind zu
befolgen, soweit sie auf die konkrete Situation zutreffen und keine Anhaltspunkte dafür
vorliegen, dass sie dem derzeitigen Willen des Patienten nicht mehr entsprechen.
Bevollmächtigte Vertretungsperson in medizinischen Angelegenheiten
Jede Person kann im Voraus schriftlich eine „bevollmächtigte Vertretungsperson in
medizinischen Angelegenheiten“ (nachstehend: „Vertrauensperson“) bezeichnen, welche an
ihrer Stelle die Zustimmung zu einer Behandlung erteilen soll, falls sie selbst nicht mehr
urteilsfähig ist. Unter Berücksichtigung einer allfälligen Patientenverfügung muss im Einverständnis mit der bezeichneten Vertrauensperson entschieden werden.
Weitere Hinweise auf den mutmasslichen Willen
Nicht selten ist weder eine Patientenverfügung erstellt noch eine Vertrauensperson ernannt
worden und es ist auch kein gesetzlicher Vertreter vorhanden. In dieser Situation sollen gezielt Informationen darüber eingeholt werden, wie der Patient in seinem bisherigen Leben
gedacht und gehandelt hat. Dabei kommt in der Regel dem Gespräch mit Angehörigen und
allfälligen weiteren Personen (z.B. Hausarzt) eine besondere Bedeutung zu.
2.2.2. Handeln im wohlverstandenen Interesse des Patienten
Manchmal fehlt jegliche Möglichkeit, einen Hinweis auf den mutmasslichen Willen zu
erhalten, z.B. wenn keine Angehörigen vorhanden oder wenn aus zeitlichen Gründen, etwa
bei einem Notfall, Rückfragen bei Drittpersonen nicht möglich sind. In diesen Fällen soll sich
der Entscheid des behandelnden Arztes an den wohlverstandenen Interessen des Patienten
orientieren.
Bei nicht urteilsfähigen Kindern und Jugendlichen gilt grundsätzlich der Wille des gesetzlichen Vertreters; in der Regel sind dies die Eltern. Entscheidungen über Leben und Tod sind
jedoch für Eltern eine enorme, manchmal kaum zu ertragende Belastung. Sie sollten deshalb
in den Entscheidungsprozess soweit miteinbezogen werden, wie das von ihnen gewünscht
wird. Entscheide über die Behandlung und Betreuung sollen im wohlverstandenen Interesse
des Kindes und im Einverständnis mit den Eltern bzw. gesetzlichen Vertretern getroffen
werden.
128
2.2.3. Konfliktsituationen
Verweigern die Vertreter (gesetzliche Vertreter oder die Vertrauensperson) eine aus ärztlicher Sicht unbedingt im Interesse des urteilsunfähigen Patienten stehende Massnahme,
sollen alle Möglichkeiten der Vermittlung, z.B. auch über Ethikkonsilien, ausgeschöpft
werden. Bei fehlender Einigung ist die Vormundschaftsbehörde einzubeziehen. Falls in einer
Notfallsituation für diese Schritte keine Zeit bleibt, ist eine Massnahme auch gegen den Willen der Vertreter durchzuführen.
3.
Behandlung und Betreuung
3.1. Palliative Betreuung
Patienten in der letzten Lebensphase haben ein Anrecht auf palliative Betreuung. Diese umfasst alle medizinischen und pflegerischen Interventionen sowie die psychische, soziale und
seelsorgerliche Unterstützung von Patienten und Angehörigen, welche darauf abzielen, Leiden zu lindern und die bestmögliche Lebensqualität des Patienten zu gewährleisten.
Eine zentrale Aufgabe des Betreuungsteams besteht in einer wirksamen Symptomtherapie.
Dazu gehören auch das Eingehen auf Nöte sowie die Verfügbarkeit und die Begleitung für
den Patienten und seine Angehörigen. Alle potentiell hilfreichen technischen und personellen
Ressourcen (z.B. Fachpersonen für psychische, soziale und seelsorgerliche Begleitung) sollen bei Bedarf zugezogen werden. Palliative Betreuung soll frühzeitig und überall angeboten
werden, wo der Patient sich befindet (im Spital oder einer anderen Institution, zu Hause).
Der Arzt ist verpflichtet, Schmerzen und Leiden zu lindern, auch wenn dies in einzelnen
Fällen zu einer Beeinflussung (Verkürzung oder Verlängerung) der Lebensdauer führen
sollte. Bei therapierefraktären Symptomen kann gelegentlich eine palliative Sedation notwendig werden. Hierbei ist zu beachten, dass nur soweit sediert werden soll, als dies zur
Linderung der Symptome nötig ist.
Entscheidungen über Behandlung und Betreuung sollen, wenn immer möglich, vom Betreuungsteam und von den Angehörigen des Patienten mitgetragen werden. Wichtig ist der
Einbezug der Angehörigen unter Anerkennung ihrer Doppelrolle als Betreuende und Betreute.
Wünsche nach einer persönlichen Gestaltung der letzten Lebensphase sollen unterstützt
werden. Die Betreuung soll auch die Begleitung der Angehörigen, in manchen Fällen über
den Tod des Patienten hinaus, umfassen. Es ist für einen respektvollen Umgang mit dem
Verstorbenen zu sorgen; den kulturellen und religiösen Ritualen der Hinterbliebenen soll
nach Möglichkeit Raum gewährt werden.
3.2. Behandlungsverzicht oder -abbruch
Angesichts des Sterbeprozesses kann der Verzicht auf lebenserhaltende Massnahmen oder
deren Abbruch gerechtfertigt oder geboten sein. Bei der Entscheidfindung spielen Kriterien
129
wie Prognose, voraussichtlicher Behandlungserfolg im Sinne der Lebensqualität sowie die
Belastung durch die vorgeschlagene Therapie eine Rolle.
Bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern gelten grundsätzlich die gleichen Überlegungen. Erschwerend ist allerdings der Umstand, dass eine Orientierungsmöglichkeit am
mutmasslichen Willen oder der Persönlichkeit entfällt. Der Einsatz belastender Massnahmen
zur Aufrechterhaltung von Vitalfunktionen muss deshalb vor allem von der Prognose abhängig gemacht werden. Dabei soll die Belastung durch die Therapie in Form von Schmerzen,
Unwohlsein und Einschränkung gegen den durch sie voraussichtlich ermöglichten Gewinn
an Wohlbefinden, Beziehungsmöglichkeiten und Erlebnisfähigkeit abgewogen werden.
4.
Grenzen des ärztlichen Handelns
Die Respektierung des Patientenwillens stösst dann an ihre Grenzen, wenn ein Patient
Massnahmen verlangt, die unwirksam oder unzweckmässig sind oder die mit der persönlichen Gewissenshaltung des Arztes, mit der ärztlichen Standesordnung oder dem geltenden
Recht nicht vereinbar sind.
4.1. Beihilfe zum Suizid
Gemäss Art. 115 des Strafgesetzbuches ist die Beihilfe zum Suizid straflos, wenn sie ohne
selbstsüchtige Beweggründe erfolgt. Dies gilt für alle Personen.
Die Rolle des Arztes besteht bei Patienten am Lebensende darin, Symptome zu lindern und
den Patienten zu begleiten. Es ist nicht seine Aufgabe, von sich aus Suizidbeihilfe anzubieten, sondern er ist im Gegenteil dazu verpflichtet, allfälligen Suizidwünschen zugrunde
liegende Leiden nach Möglichkeit zu lindern.
Trotzdem kann am Lebensende in einer für den Betroffenen unerträglichen Situation der
Wunsch nach Suizidbeihilfe entstehen und dauerhaft bestehen bleiben.
In dieser Grenzsituation kann für den Arzt ein schwer lösbarer Konflikt entstehen. Auf der
einen Seite ist die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit, weil sie den Zielen
der Medizin widerspricht. Auf der anderen Seite ist die Achtung des Patientenwillens grundlegend für die Arzt-Patienten-Beziehung. Diese Dilemmasituation erfordert eine persönliche
Gewissensentscheidung des Arztes. Die Entscheidung, im Einzelfall Beihilfe zum Suizid zu
leisten, ist als solche zu respektieren. In jedem Fall hat der Arzt das Recht, Suizidbeihilfe
abzulehnen. Entschliesst er sich zu einer Beihilfe zum Suizid, trägt er die Verantwortung für
die Prüfung der folgenden Voraussetzungen:
–
Die Erkrankung des Patienten rechtfertigt die Annahme, dass das Lebensende nahe ist.
–
Alternative Möglichkeiten der Hilfestellung wurden erörtert und soweit gewünscht auch
eingesetzt.
–
Der Patient ist urteilsfähig, sein Wunsch ist wohlerwogen, ohne äusseren Druck entstanden und dauerhaft. Dies wurde von einer unabhängigen Drittperson überprüft, wobei
130
diese nicht zwingend ein Arzt sein muss.
Der letzte Akt der zum Tode führenden Handlung muss in jedem Fall durch den Patienten
selbst durchgeführt werden.
4.2. Tötung auf Verlangen
Die Tötung eines Patienten ist vom Arzt auch bei ernsthaftem und eindringlichem Verlangen
abzulehnen. Tötung auf Verlangen ist nach Art. 114 Strafgesetzbuch strafbar.
III.
Kommentar
ad 1. (Geltungsbereich)
Gemäss dieser Definition sind Patienten am Lebensende zu unterscheiden von Patienten mit
unheilbaren, progressiv verlaufenden Krankheiten, insofern sich deren Verlauf über Monate
oder Jahre erstrecken kann. Mit den klinischen Anzeichen ist die Gesamtheit der Beobachtungen, zum Beispiel sich verschlechternde Vitalfunktionen, prognostisch ungünstige objektive Befunde und die Beurteilung des Allgemeinzustandes gemeint, die den Beginn des
Sterbeprozesses charakterisieren. Es ist allerdings hervorzuheben, dass der Eintritt der
Sterbephase nicht selten mit ärztlichen Entscheidungen zum Behandlungsabbruch oder verzicht im Zusammenhang steht, so dass eine Abgrenzung stets mit gewissen Unschärfen
verbunden bleibt.
ad 2.1. (Urteilsfähiger Patient)
Folgende Kriterien helfen, die Urteilsfähigkeit gemäss Art. 16 Zivilgesetzbuch festzustellen:
– die Fähigkeit, Information in Bezug auf die zu fällende Entscheidung zu verstehen;
– die Fähigkeit, die Situation und die Konsequenzen, die sich aus alternativen Möglichkeiten ergeben, richtig abzuwägen;
– die Fähigkeit, die erhaltene Information im Kontext eines kohärenten Wertsystems rational zu gewichten;
– die Fähigkeit, die eigene Wahl zu äussern.
Die Urteilsfähigkeit wird im Hinblick auf eine bestimmte Handlung abgeschätzt (und zwar im
Zusammenhang mit dem Komplexitätsgrad dieser Handlung); sie muss im Moment des
Entscheides vorhanden sein.
ad 2.2. (Nicht urteilsfähiger Patient)
Die Behandlung der Einwilligung des urteilsunfähigen Patienten, welcher keinen gesetzlichen
Vertreter hat und auch keine Vertrauensperson bezeichnet hat, ist auf eidgenössischer
Ebene nicht ausdrücklich geregelt. Hingegen existieren auf kantonaler Ebene entsprechende
gesetzliche Regelungen; diese sind jedoch uneinheitlich. Vgl. hierzu ausführlich: Behandlung
und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen Menschen, medizinisch-ethische Richtlinien
und Empfehlungen Fussnote 6.
131
ad 2.2.1. (Handeln im mutmasslichen Willen des Patienten)
Der mutmassliche Wille entspricht dem Willen, den der Patient wahrscheinlich äussern
würde, wenn er noch urteilsfähig wäre. Er ergibt sich aus der Bewertung aller feststellbaren
Informationen wie Patientenverfügung, Ernennung einer Vertrauensperson, früher gemachten Äusserungen und anderen biographischen Hinweisen.
Als Angehörige im Sinne dieser Richtlinien werden die dem Patienten nahe stehenden Personen, insbesondere Ehe- oder Lebenspartner, Kinder oder Eltern und Geschwister, bezeichnet.
ad 2.2.2. (Handeln im wohlverstandenen Interesse des Patienten)
Unter «Handeln im wohlverstandenen Interesse (best interest) des Patienten» verstehen wir
die Durchführung von medizinisch oder pflegerisch indiziert erscheinenden Massnahmen,
denen ein hypothetischer vernünftiger Patient in der entsprechenden Situation voraussichtlich zustimmen würde.
ad 2.2.3. (Konfliktsituationen)
Obwohl Angehörige kein Entscheidungsrecht haben, ist im Konfliktfall ein Konsens zu
suchen.
ad 3.1. (Palliative Betreuung)
Grenzen der Palliativmedizin
Nicht alles mit Sterben und Tod verbundene Leiden ist vermeidbar. Erkennen und Aushalten
der Grenzen sind integrierender Teil der Betreuung des Patienten und seiner Angehörigen.
Droht in besonders schwierigen Situationen eine Überforderung des Betreuungsteams, sollte
externe professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden können.
Beeinflussung der Lebensdauer
Der «lebensverkürzende Effekt» zentral wirkender Substanzen ist lange Zeit überschätzt
worden. Im Allgemeinen sind Schmerzmittel und Sedativa, wenn sie ausschliesslich zur
Symptomkontrolle in der letzten Lebenswoche korrekt eingesetzt werden, nicht mit einer
Verkürzung der Überlebenszeit assoziiert.
Schmerzmittel und Sedativa können auch missbräuchlich eingesetzt werden, um den Tod
herbeizuführen. Es ist aber in aller Regel bereits an der Dosierung resp. Dosissteigerung der
Medikamente ein Unterschied zwischen der Schmerz- und Symptomlinderung in palliativer
Absicht und der absichtlichen Lebensbeendigung erkennbar.
Weiter- und Fortbildung
Die Betreuung von Patienten am Lebensende setzt Kenntnisse und Fertigkeiten im Bereich
der palliativen Medizin, Pflege und Begleitung voraus.
ad 3.2. (Behandlungsverzicht oder -abbruch)
Zu den lebenserhaltenden Massnahmen gehören insbesondere die künstliche Wasser- und
132
Nahrungszufuhr, die künstliche Beatmung und die kardiopulmonale Reanimation. Je nach
Situation muss auch über Sauerstoffzufuhr, Medikation, Transfusion, Dialyse und operative
Eingriffe entschieden werden.
ad 4.1. (Beihilfe zum Suizid)
Im Umgang mit dem Wunsch nach Beihilfe zum Suizid in Pflegeheimen sind zudem die
Richtlinien und Empfehlungen zur Behandlung und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen
Menschen zu beachten. Vorgesetzte können ihren Mitabeitern die Beihilfe zum Suizid verbieten, diese oder die Mitwirkung dazu aber nicht von ihnen verlangen.
Der Entscheidungsprozess, der zur Suizidbeihilfe oder zu ihrer Ablehnung führt, muss
dokumentiert werden. Ein Todeseintritt nach Beihilfe zum Suizid muss als ein nichtnatürlicher Todesfall den Untersuchungsbehörden zur Abklärung gemeldet werden. Der Arzt,
der Beihilfe zum Suizid geleistet hat, darf nicht selber den Totenschein ausfüllen.
IV. Empfehlungen zuhanden der zuständigen Gesundheitsbehörden
Ressourcen
Trotz beschränkter Mittel sollten die Verantwortlichen des Gesundheitswesens mit ihrer Politik gewährleisten, dass alle Patienten am Lebensende eine palliative Betreuung im Sinne der
Richtlinien erhalten. Die Institutionen sollten den Auftrag und die Möglichkeit haben, die hierzu notwendigen Voraussetzungen wie Räumlichkeiten, personelle Ressourcen, Begleitung
des Betreuungsteams etc. zu schaffen.
Aus- und Weiterbildung
Die Inhalte der Palliativmedizin und -pflege sollten in die Aus-, Weiter- und Fortbildung aller
an der Betreuung von Patienten beteiligten Berufsgruppen integriert werden.
V. Anhang
Zitierte Richtlinien
– Behandlung und Betreuung von zerebral schwerst geschädigten Langzeitpatienten,
medizinisch-ethische Richtlinien (2004)
– Behandlung und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen Menschen, medizinischethische Richtlinien und Empfehlungen (2004)
– Grenzfragen der Intensivmedizin, medizinisch-ethische Richtlinien (1999)
– Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie zur Betreuung von
Frühgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit (22-26 SSW) in: Paediatrica 2002;
Vol. 13 (No 2): 34-41 oder Schweiz. Ärztezeitung 2002; 29/30: 1586-1602
Hinweise zur Ausarbeitung dieser Richtlinien
133
Mandat
Am 8. Februar 2002 hat die Zentrale Ethikkommission der SAMW eine Subkommission mit
der Ausarbeitung von Richtlinien zur Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende beauftragt.
Verantwortliche Subkommission
Dr. theol. Markus Zimmermann-Acklin, Luzern, Präsident
PD Dr. phil. Jürg Bernhard, Bern
Dr. med. Georg Bosshard, Zürich
Pfrn. Ulrike Büchs, Winterthur
Pflegefachfrau Christine Champion, Moudon
Dr. med. Daniel Grob, Zürich
Prof. Dr. med. Christian Kind, St. Gallen
Dr. med. Hans Neuenschwander, Lugano
Prof. Dr. med. Rudolf Ritz, Basel
Lic. iur. Michelle Salathé, Basel (ex officio)
Pflegefachfrau Elisabeth Spichiger, Bern
Dr. med. Philipp Weiss, Basel
Prof. Dr. med. Michel Vallotton, Genf, Präs. ZEK (ex officio)
Beigezogene Experten
Dr. med. Klaus Bally, Basel
Prof. Dr. med. Verena Briner, Luzern
Prof. Dr. theol. Johannes Fischer, Zürich
Fürsprecher Hanspeter Kuhn, Bern
Lic. theol. Settimio Monteverde, Basel
Catherine Panchaud, M.Sc, Puidoux
PD Dr. phil. Klaus Peter Rippe, Zürich
Prof. Dr. iur. et Dr. h.c. Kurt Seelmann, Basel
Prof. Dr. med. Frédéric Stiefel, Lausanne
Prof. Dr. med. Andreas Stuck, Bern
Vernehmlassung
Am 27. November 2003 hat der Senat der SAMW eine erste Fassung dieser Richtlinien zur
Vernehmlassung genehmigt.
Genehmigung
134
Die definitive Fassung dieser Richtlinien wurde am 25. November 2004 vom Senat der
SAMW genehmigt.
Impressum
Gestaltung
vistapoint, Basel
Druck
Schwabe, Muttenz
1. Auflage
4000 d, 1500 f (Januar 2005)
2. Auflage
2000 d (Oktober 2007)
3. Auflage
2000 d (Januar 2009)
Bestelladresse
SAMW
Petersplatz 13
CH-4051 Basel
Tel.: +41 61 269 90 30
Fax: +41 61 269 90 39
E-mail: [email protected]
Alle medizinisch-ethischen Richtlinien der SAMW sind auf der Website www.samw.ch verfügbar.
135
6.5
Rechtliche Lage der Sterbehilfe in den europäischen Ländern
Quelle: www.cdl-rlp.de/Unsere_Arbeit/Sterbehilfe/Sterbehilfe-in-Europa.html; Stand
23.02.2011
Land
Aktive Sterbehilfe
Belgien
Legal (seit
2002)
Verboten
Dänemark
Beihilfe zur
Selbsttötung
(assistierter
Suizid)
Legal
Indirekte Sterbehilfe
Passive Sterbehilfe
Legal
Legal
Verboten
Keine näheren Angaben
Legal, wenn Willensäusserung des
Patienten oder gültige Patientenverfügung vorliegt.
Legal
Legal
Keine näheren Angaben
Legal, wenn Willensäusserung des
Patienten oder gültige Patientenverfügung vorliegt.
Keine näheren Angaben
Deutschland
Verboten (bis
zu 5 Jahren
Haft)
Finnland
Verboten
Frankreich
Verboten
(gleichgesetzt
mit Mord)
Griechenland
Verboten
(gleichgesetzt
mit Mord)
Verboten
Grossbritannien
Verboten
(gleichgesetzt
mit Mord)
Verboten
Verboten
Italien
Prinzipiell straffrei, jedoch kann
ein bei einem
Suizid Anwesender wegen unterlassener Hilfeleistung belangt
werden.
Keine näheren
Angaben
Keine näheren
Angaben,
kontroverse Diskussion
Legal, wenn Willensäusserung des
Patienten oder gültige Patientenverfügung vorliegt.
Legal, wenn Willensäusserung des
Patienten oder gültige Patientenverfügung vorliegt.
Legal
Rechtlich unklar
Keine näheren Angaben
Legal, wenn
Schmerzlinderung
das primäre Ziel ist
Legal, wenn Willensäusserung des
Patienten oder gültige Patientenverfügung vorliegt.
Legal
Verboten (bis
zu 14 Jahren
Haft)
Luxemburg
Legal (seit
2009)
Legal (seit
2002)
Verboten
Legal
Legal
Legal
Österreich
Verboten (bis
zu 5 Jahren
Haft)
Verboten (bis zu
5 Jahren Haft)
Legal, gilt als natürlicher Tod
Legal, wenn Willensäusserung des
Patienten oder gültige Patientenverfügung vorliegt.
Legal
Polen
Verboten
Verboten
Norwegen
Keine näheren Angaben
Keine näheren
Angaben, kontroverse Diskussion
Verboten (bis zu
14 Jahren Haft)
Irland
Niederlande
Legal, wenn Willensäusserung des
Patienten oder gültige Patientenverfügung vorliegt.
Keine näheren
Angaben
Verboten
Legal, gilt als natürlicher Tod
Rechtlich unklar
Legal, wenn Willensäusserung des
Patienten oder gültige Patientenverfügung vorliegt.
Verboten
136
Schweden
Verboten
Legal, wenn
Helfer eine Privatperson ist
Schweiz
Verboten
Slowenien
Verboten
(mind. 5 Jahre
Haft)
Legal, wenn
keine selbstsüchtigen Beweggründe vorliegen
Verboten (6 Monate bis 5 Jahre
Haft)
Spanien
Verboten
Verboten, kontroverse Diskussion
Verboten
Legal, wenn Willensäusserung des
Patienten oder gültige Patientenverfügung vorliegt.
Legal
Legal
Keine näheren Angaben
Legal, wenn Willensäusserung des
Patienten oder gültige Patientenverfügung vorliegt.
Rechtlich unklar
Legal, wenn medizinisch korrekt durchgeführt wird
Ungarn
Verboten
Legal, wenn Willensäusserung des
Patienten oder gültige Patientenverfügung vorliegt.
Abbildung 6: Rechtliche Lage der Sterbehilfe in den europäischen Ländern
Legal
Rechtlich unklar
137
6.6
Empfehlungen zum Thema Suizidbeihilfe (NEK)
Verabschiedet an der Kommissionssitzung vom 27.4.2005276
1 – Zwei Pole
(einstimmig)
Die ethischen Fragen, welche die Suizidbeihilfe aufwirft, ergeben sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen der gebotenen Fürsorge für suizidge- fährdete Menschen
einerseits und dem Respekt vor der Selbstbe- stimmung eines Suizidwilligen andererseits. Empfehlungen, Richtlinien und rechtliche Regelungen müssen beiden Polen in
diesem Spannungs- verhältnis Rechnung tragen.
Es gibt in der Gesellschaft eine breit geteilte Überzeugung, dass suizidgefährdete Menschen
Hilfe zum Leben erhalten und in bestimmten Fällen vor sich selbst geschützt werden sollen.
Daher werden erhebliche Anstrengungen zur Suizid- prävention unternommen. Um Suizidwünschen vorzubeugen, die aus einer ungenü- genden Betreuung entstehen, soll
beispielsweise die Palliativbetreuung ausgebaut werden. Der Suizid eines Menschen lässt
die meisten Mitmenschen nicht gleichgültig: Für die nächsten Angehörigen kann eine
Selbsttötung traumatische Folgen haben. Ist ein Suizid geschehen, erleben viele Angehörige
in der Folge Schuld und Ohnmacht: Es ist nicht gelungen, einen Menschen am Leben zu
halten. Richtlinien und Regelungen liegt deshalb die Motivation zugrunde, Verhältnisse zu
schaffen und zu erhalten, in denen der Wunsch nach Suizid möglichst nicht aufkommt und in
denen das Leben von Mitmenschen als höchstes Gut angesehen wird.
Dem gegenüber steht der Respekt vor der Selbstbestimmung eines anderen Menschen,
insbesondere der Respekt vor dem Wunsch nach einem würdigen Sterben. Dieser Respekt
entspricht einem liberalen Grundverständnis, das in der Schweiz eine starke Tradition hat. Er
erfährt seine Bewährungsprobe bei Handlungen eines Anderen, die wir selbst vielleicht bedauern oder für falsch halten. Und er schliesst die Bevormundung eines Anderen aufgrund
eigener Moralvorstellungen aus, solange die- ser nichts tut, was mit der Gefährdung Dritter
verbunden ist. Wohl die meisten Menschen legen Wert darauf, in Fragen, die Krankheit und
Sterben betreffen, selbst zu bestimmen, was mit ihnen geschehen soll.
Aus dem Respekt vor der Selbstbestimmung eines zum Suizid entschlossenen Menschen
entsteht indes kein Motiv, ihm bei der Durchführung zum Suizid zu helfen. Es braucht ein
anderes, zusätzliches Motiv für die Suizidbeihilfe, das über den blossen Respekt vor der
Selbstbestimmung des Anderen hinausgeht. Dieses Motiv kann sein, einen Menschen, der
zum Suizid entschlossen ist, nicht alleine zu lassen und ihm bei- zustehen. Das Alleinelassen eines Menschen könnte das Risiko in sich bergen, dass er seinem Leben auf eine
schreckliche und auch für andere Leid bringende Weise ein Ende macht. Dieses Motiv kann
einen Grenzfall der Fürsorge darstellen: Fürsorge für einen Menschen in einer Grenzsituation. Bei dem Respekt vor der Selbstbestimmung geht es deshalb auch um den Respekt vor
der Selbstbestimmung derer, die der sui- zidwilligen Person beistehen. Aus beiden ethischen
Anliegen – der Fürsorge und dem Respekt vor der Selbstbestimmung - ergibt sich das
Spannungsverhältnis für alle Regelungen und Richtlinien. Würde nur das eine berücksichtigt,
liefe das auf eine erhebliche Verschiebung in den gesellschaftlichen Wertvorstellungen
hinaus.
Die Fürsorgeverpflichtung des Staates besteht aber nicht nur individualethisch gegenüber
dem suizidwilligen Individuum, sondern auch in sozialethischer Hinsicht gegenüber den gesellschaftlichen Entwicklungen und den damit ausgelösten Folgen für andere Menschen: Die
276
Gesamtdokument siehe www.bag.admin.ch/nek-cne/04229/04232/index.html?lang=de
138
Praxis des Suizids und der Suizidbeihilfe darf nicht die Entscheidungsfreiheit anderer
Menschen einschränken, indem sie z.B. zum Druck für behinderte und kranke Menschen
wird, der Gesellschaft nicht zur Last fallen zu dür- fen und den Suizid oder die Suizidbeihilfe
einfordern zu müssen. Der Würde- und Autonomieanspruch und damit der Anspruch auf
Entscheidungsfreiheit und auf Menschenrechte gilt uneingeschränkt für alle Menschen, unabhängig von den Eigenschaften und Fähigkeiten, die sie mitbringen.
2 - Suizidbeihilfe und Tötung auf Verlangen
(einstimmig)
Die Mitwirkung bei der Selbsttötung sollte in ethischer Sicht unterschieden werden von der Tötung auf Verlangen.
Die Tötung auf Verlangen berührt die gesellschaftlich verbreitete Überzeugung, dass der Tod
eines Menschen nicht durch Andere gezielt herbeigeführt werden darf. Beim assistierten
Suizid führt der Suizidwillige selbst seinen Tod herbei. Diese Unterscheidung führt in Diskussionen um die Sterbehilfe insgesamt, insbe- sondere auch in die Diskussionen um die indirekte aktive Sterbehilfe. Dazu sind weiterführende Reflexionen notwendig, die nicht Gegenstand dieser Stellung- nahme sind.
3 - Straflosigkeit der Beihilfe zur Selbsttötung
(einstimmig)
Die Beihilfe zum Suizid bleibt nach Auffassung der NEK-CNE aus ethi- schen Gründen
zu Recht straflos, sofern sie nicht aus eigennützigen Motiven durchgeführt wird. Die
Kommission empfiehlt, am geltenden Art. 115 StGB keine Änderungen vorzunehmen.
Es gilt hier der liberale Grundsatz, dass die Entscheidungen sowohl des Suizid- willigen als
auch dessen, der ihm beisteht, zu respektieren sind und der Staat sich darin nicht einzumischen hat. Ausgenommen davon sind Fälle, bei denen eigennützige Motive im Spiel
sind.
Der Respekt vor der Entscheidung der am Suizid Beteiligten ist nicht zu verwech- seln mit
der moralischen Bewertung dieser Entscheidung. Hinsichtlich der morali- schen Bewertung
des Suizids und der Suizidbeihilfe gibt es in der Gesellschaft unterschiedliche Auffassungen.
Indem der Staat die uneigennützige Suizidbeihilfe straflos lässt, wird gleichwohl die Pluralität
von Moralauffassungen in der Gesellschaft bezüglich des Suizids und der Beihilfe zum Suizid anerkannt.
4 – An der Person orientierte Entscheidungen
(einstimmig)
Eine Entscheidung zur Suizidbeihilfe muss sich an der Person und an der Situation
des Suizidwilligen orientieren und darf nicht zu einer bloss aus Regeln abgeleiteten
Entscheidung werden.
Kriterien können immer nur den Charakter von notwendigen Bedingungen haben, die
spezifizieren, wann überhaupt Beihilfe zum Suizid in Betracht kommen kann. Derartige Kriterien sind jedoch niemals hinreichend, um die Beihilfe zum Suizid im Einzelfall zu begründen.
Der Beistand, von dem die Rede ist, ist immer Beistand für eine bestimmte Einzelperson.
Daher muss die Entscheidung zur Beihilfe zum Suizid immer an der individuellen Person und
ihrer Situation orientiert sein. Diese Entscheidung ist mehr als nur ein Fall der Anwendung
bestimmter Kriterien und Regeln. Sie erfor- dert eine eingehende Kenntnis der Person und
139
ihrer Situation, des individuellen Hintergrundes ihres Suizidwunsches, der Konstanz dieses
Wunsches und sie setzt das Besprechen möglicher alternativer Perspektiven, Optionen usw.
voraus.
Es wäre fatal, wenn die Beihilfe zum Suizid aufgrund von Routinen erfolgen würde:
Diejenigen, welche die Kriterien erfüllen, könnten sich u. U. sogar unter Rechtfertigungsdruck
fühlen, wenn sie die Hilfe nicht in Anspruch nehmen wollen. Das betreuende Personal
könnte sich seinerseits unter Rechtfertigungsdruck sehen, wenn es auf Grund seiner
persönlichen Haltung keine Suizidbeihilfe leisten will. Schwer kranke Menschen äussern sich
zum eigenen Sterben oft ambivalent und inkonstant. Wenn Suizidhilfe zum normalen Angebot würde, könnte sich diese Ambivalenz eher in einen Sterbewunsch wandeln.
Dennoch ist es gerade im Interesse eines solchen Beistands unabdingbar, bestimmte notwendige (nicht hinreichende) Bedingungen und Kriterien zu formu- lieren. Diese legen fest,
wann überhaupt Beihilfe zum Suizid in Betracht kommen kann. In diesem Sinne sind die drei
Bedingungen, welche die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften
(SAMW) in ihrem Richtlinienentwurf für die Sterbebegleitung formuliert hat, und auch die hier
von der NEK-CNE for- mulierten Bedingungen zu verstehen.
5 – Sterbehilfeorganisationen
(einstimmig)
Art 115 StGB schützt de facto die Selbstbestimmung der am Suizid Beteiligten, indem
er diese straffrei lässt. Diese grundsätzlich liberale Haltung soll nicht in Frage gestellt
werden. Im Hinblick auf die herrschen- de Praxis der Suizidbeihilfe bedarf es aber bei
den Sterbehilfeorgani- sationen der Ergänzung.
Das geltende Recht lässt die Beihilfe zum Suizid straflos, sofern sie nicht aus selbstsüchtigen Motiven erfolgt. Es enthält keine Bestimmungen hinsichtlich des Schutzes suizidgefährdeter Menschen, deren Suizidwunsch möglicherweise nur vorübergehend ist, und für
die es vielleicht noch andere Perspektiven gibt. Durch die Tätigkeit von Sterbehilfeorganisationen, die es sich zur Aufgabe machen, Suizidwilligen zum gelingenden und schmerzlosen
Suizid zu verhelfen, entsteht für Suizidgefährdete eine neue Situation. Es geht im Fall der
Sterbehilfe- organisationen auch nicht um die Suizidbeihilfe durch nahe Bezugspersonen,
son- dern um ein allgemeines Angebot an fremde Menschen. Es liegt in der Natur ihrer Mission, dass solche Organisationen dahin tendieren können, von den beiden Polen – Lebenshilfe einerseits und Respektierung der Autonomie eines Suizidwilligen andererseits –
den zweiten Pol, die Selbstbestimmung, zum Leit- motiv ihrer Aktivitäten zu machen. Daher
bedarf es rechtlicher Vorgaben, die sicherstellen, dass der erste Pol ausreichend
Berücksichtigung erfährt. Die selbst gegebenen Regeln von Sterbehilfeorganisationen
reichen diesbezüglich nicht aus, da Verletzungen dieser Regeln durch die Sterbehilfeorganisationen selbst – solche sollen tatsächlich vorgekommen sein – rechtlich nicht einklagbar
und sanktionier- bar sind. Das Gebot der Fürsorge für suizidgefährdete Menschen erfordert
daher eine Ergänzung des geltenden Rechts, welche diese Organisationen einer staatlichen Aufsicht unterstellt.
6 – Psychische Krankheiten
(einstimmig)
Bei psychisch kranken Menschen sind Todes- und Suizidwünsche häufig Ausdruck
oder Symptom ihrer Erkrankung. Deshalb bedürfen Suizid- willige, die unter
psychischen Krankheiten leiden – alleine oder in Kombination mit somatischen
Krankheiten – in erster Linie einer psychia- trischen und psychotherapeutischen
140
Behandlung. Wenn der Suizid- wunsch Ausdruck oder Symptom einer psychischen
Erkrankung ist, soll keine Beihilfe zum Suizid geleistet werden.
Die Suizidforschung hat übereinstimmend herausgearbeitet, dass das Suizidrisiko durch eine
psychische Erkrankung stark erhöht wird. Suizidalen Menschen mit einer psychischen
Erkrankung ist zuerst und vor allem mit psychiatrischer Be- handlung und psychosozialer
Unterstützung zu helfen. Suizidalität kann unmittel- bar als Symptom der psychischen
Erkrankung auftreten. Menschen in einer suizi- dalen Krise benötigen zuerst und vor allem
Verständnis und Einfühlung. Sie brau- chen zuhörende Menschen, die verstehen, dass es
keine fixen Erklärungen für Suizidhandlungen gibt. Psychische Krankheiten gehen mit einer
Einbusse an Lebensqualität einher, bedeuten aber nicht das Lebensende. Die Prognose
psychi- scher Störungen ist häufig offen.
Daher ist der assistierte Suizid in der Regel auszuschliessen. Notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für eine Ausnahme dieser Regel ist das Auftreten von Suizidwünschen,
die nicht Ausdruck oder Symptom der psychischen Erkran- kung sind und z. B. im symptomfreien Intervall einer bisher chronisch verlaufen- den Krankheit auftreten. (Unter «Ausdruck»
der Krankheit ist ein direkter Zusammenhang des Suizidwunsches mit der psychischen
Erkrankung gemeint und nicht z. B. ein Leiden an einer Lebenssituation, die von einer
Erkrankung mit beeinflusst sein kann.)
Da psychiatrische Institutionen den Auftrag haben, psychische Krankheiten und deren Folgen – wie Suizidalität – zu behandeln, sollen assistierte Suizide nicht in solchen Institutionen
stattfinden.
7 – Kinder und Jugendliche
Mehrheitsposition:
Bei Kindern und Jugendlichen kommen die in der Gesundheitspflege generell geltenden rechtlichen und ethischen Regeln zur Anwendung. Den in Empfehlung 4 formulierten Überlegungen ist besondere Auf- merksamkeit zu schenken.
In der Regel übt der urteilsfähige Minderjährige das höchstpersönliche Recht, Pflege zu
akzeptieren oder abzulehnen, frei aus. Die Urteilsfähigkeit ist im Einzelfall abzuwägen. Diese
Grundsätze sind auf ein mögliches Ersuchen um Beihilfe zum Suizid anwendbar. Denn so
wie Kinder auch bei unheilbar terminalen Krankheiten medizinische Behandlungen verweigern können, so kann nicht aus- geschlossen werden, dass in terminaler Situation auch
einem Wunsch nach Beihilfe zum Suizid entsprochen werden kann.
Schwer kranke Kinder und Jugendliche, die ein Anliegen um Hilfe beim Suizid vor- bringen
könnten, sind je nach Umständen beeinflussbar und für die Meinung von Drittpersonen
empfänglich. Häufig ist ihr Selbstverständnis noch ungefestigt. Begleitpersonen haben sich
sorgfältig darüber zu vergewissern, dass die Betroffenen ihre Situation und die
entsprechende Prognose richtig und umfassend einzuschätzen vermögen.
Minderheitsposition:
Bei Kindern und Jugendlichen soll keine Beihilfe zum Suizid geleistet werden.
Bei Kindern und Jugendlichen, die ein Anliegen zur Suizidbeihilfe vorbringen, besteht die
Hoffnung, dass sich der Sterbewunsch in späteren Lebensphasen auf- löst. Kinder und Jugendliche sind in besonders ausgeprägter Weise durch äussere Umstände und Meinungen
beeinflussbar. Oft ist ihr Selbstkonzept noch fragil, so dass äussere Belastungen oder innere
141
Konflikte sie schwerwiegend erschüttern können. Daher sind sie für suizidale Durchbruchhandlungen besonders gefährdet. Auch bei unheilbar terminalen Krankheiten im Kindesalter
muss der Pol der Lebenshilfe Vorrang haben.
Akutspitäler und Pflegeinstitutionen sind auf die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit und Lebensqualität auch am Lebensende und nicht auf die Herbeiführung des
Todes ausgerichtet. Der Suizid führt in diesen Institutionen deshalb zu einem erheblichen
Konflikt.
8 – Spitäler und Heime
(ohne Gegenstimme)
A – Institutionen der Langzeitpflege: Wenn ein Bewohner den assi- stierten Suizid
wünscht und er über keinen anderen Lebensort ver- fügt als diese Institution, sollte er
nach Möglichkeit den Akt auch an diesem Ort durchführen können.
Eine besondere Situation be- steht im Fall einer gänzlich privaten Institution, die nur Bewohner annimmt, die zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme darüber informiert wurden, dass die betreffende Institution in ihren Räumen die Suizid- beihilfe ablehnt. Das Personal der Institutionen der Langzeitpflege kann aber in keinem Fall dazu gezwungen werden, an einer Suizid- beihilfe teilzunehmen (Vorbehalt der Ablehnung aus Gewissensgründen).
B – Akutspitäler: Jede Institution soll klar festlegen, ob sie für ihre Patienten die
Möglichkeit des assistierten Suizids zulassen will oder nicht. Die Institution soll ihren
Entscheid den Patientinnen und Patienten gegenüber erklären können. Wenn sie diese
Praxis erlaubt, sollte die Institution auch die notwendigen Rahmenbe- dingungen schaffen,
damit der Akt unter den bestmöglichen Vor- aussetzungen durchgeführt werden kann, ohne
die anderen Pa- tienten in Mitleidenschaft zu ziehen. Aber auch hier ist der Vor- behalt der
Ablehnung aus Gewissensgründen für das gesamte be- troffene Personal zu respektieren.
C – Bezüglich des Suizids in psychiatrischen Institutionen wird auf Empfehlung 6 verwiesen.
Der wohl erwogene persönliche Entschluss zum Suizid soll nicht an Regeln einer Institution,
dem persönlichen Gewissensentscheid eines einzelnen Arztes oder einer einzelnen Betreuungsgruppe scheitern müs- sen. Es sollte die Möglichkeit gewährt werden, auf Wunsch
einem anderen Arzt zugewiesen oder in eine andere Institution verlegt zu werden.
9 – Angehörige von Heilberufen (einstimmig)
Für Ärztinnen und Ärzte, sowie für Pflegende entsteht vor dem Hinter- grund des
medizinischen Ethos ein Konflikt, weil medizinischer Beistand Fürsorge zum Leben
bedeutet und nicht Beistand zu dessen Beendigung. Aus diesem Grund kann Suizidbeihilfe nicht als etwas begriffen werden, was zum Auftrag der Angehörigen von Heilberufen gehört. Wo Ärztinnen und Ärzte dennoch Suizidbeihilfe leisten, fällt dies in
ihre persönliche Entscheidung.
Würde die Suizidbeihilfe zum ärztlichen Auftrag gehören, so wäre jeder Arzt dazu
verpflichtet, wenn ein urteilsfähiger Patient ihn darum bittet. Was zum ärztlichen Auftrag
gehört, misst sich an den Zielen, auf welche die ärztliche Tätigkeit gerich- tet ist. Ziele und
Tätigkeit bestehen in der Heilung, Linderung und Begleitung. Auch dann, wenn ein Arzt bei
einem assistierten Suizid von seinen ärztlichen Kompetenzen Gebrauch macht, gilt doch,
142
dass er nicht im Sinne dieser Ziele und folglich im Sinne des ärztlichen Auftrags tätig ist. Von
dieser Differenzierung hängt Entscheidendes ab für das Verständnis des ärztlichen Auftrags
und im weitesten Sinne für das Verständnis der Aufgabe der Medizin.
Berufsleute im Gesundheitswesen sollen nach einem Gewissensentscheid für oder gegen
die Suizidbeihilfe keine moralische Missbilligung und keine Sanktionen durch ihren
Berufsstand erfahren.
Berufsleute im Gesundheitswesen sind für die Pflege am Lebensende angemessen auszubilden. Im Rahmen dieser Ausbildung sollen auch die ethischen Fragen und Dilemmasituationen des Suizids und der Suizidbeihilfe thematisiert werden.
10 – Suizidwillige aus dem Ausland
(ohne Gegenstimme)
Es gibt keinen ethischen Grund, Suizidwillige aus dem Ausland generell vom assistierten Suizid in der Schweiz auszuschliessen. Ein besonderes ethisches Problem bei
dieser Personengruppe besteht jedoch in der Sicherstellung einer ausreichenden Abklärung und der diesbezüglichen Sorgfaltspflichten. Für Suizidwillige aus dem
Ausland sollte genauso wie für Suizidwillige aus der Schweiz sichergestellt werden,
dass die in Empfehlung 4 formulierten Bedingungen erfüllt sind.
Es ist davon auszugehen, dass die Gründe, weshalb Suizidwillige aus dem Ausland den
Weg in die Schweiz suchen, keine anderen sind als bei Suizidwilligen aus der Schweiz.
Wenn man daher (aus ethischen Erwägungen) der Ansicht ist, dass es für Letztere die
Möglichkeit des assistierten Suizids geben soll, dann lässt es sich nicht ethisch, sondern
allenfalls gesellschaftspolitisch rechtfertigen, Erstere von dieser Möglichkeit auszuschliessen.
Das ethische Hauptproblem beim assistierten Suizid für Suizidwillige aus der Schweiz wie
aus dem Ausland ist die Sicherstellung einer ausreichenden Abklärung. Für sie ist eine
eingehende Kenntnis der Person und Situation des Suizidwilligen, der Konstanz ihres Suizidwunsches usw. erforderlich. Dafür genügt in der Regel nicht ein einmaliger, zeitlich begrenzter Kontakt zwischen Anreise und Ausführung des Suizids.
11 – Gesellschaftliche Tendenzen und Risiken
(ohne Gegenstimme)
Der Suizidprävention soll künftig grosse Aufmerksamkeit geschenkt wer- den, besonders angesichts von gesellschaftlichen Entwicklungen, die das Risiko bergen,
Menschen in Grenzsituationen zur Annahme eines organi- sierten Angebotes der Suizidbeihilfe zu veranlassen.
Eine dieser Entwicklungen ist die sich verändernde demographische Zusammen- setzung
der Gesellschaft (Alterspyramide). Wenn der Anteil der älteren Menschen steigt, steigt auch
der Anteil der Pflegebedürftigen. Eine zweite Entwicklung ist die Kostensteigerung im Gesundheitswesen, besonders im Bereich der Pflege. Beide Tendenzen zusammen können zu
einem von Betroffenen empfundenen sozialen oder/und familiären Druck führen.
Schuldgefühle können daraus entstehen, ande- ren (z.B. der Familie) finanziell und im Sinn
der pflegerischen Abhängigkeit zur Last zu fallen. Dies kann zu Suizidwünschen führen.
Pflegebedürftige Menschen sind diesem Risiko besonders stark ausgesetzt. Ihre Freiheit und
Selbstbestimmung könnte durch den empfundenen Druck auf der einen Seite und durch das
nahe gebrachte Angebot für eine gesellschaftlich akzep- tierte «Sterbebegleitung» andererseits gefährdet sein - auch wenn diese pflege- bedürftigen Menschen den Kriterien der
143
Urteilsfähigkeit genügen und die Sterbehilfeorganisation nicht eigennützig handelt.
Die Gesellschaft steht in einer besonderen Verantwortung gegenüber den pflege- bedürftigen und abhängigen Menschen. Die Verhältnisse der Betreuung, vor allem in der Langzeitpflege, müssen so eingerichtet werden, dass sie das Entstehen von Suizidwünschen nicht
fördern. Diese präventive Verantwortung beinhaltet auch eine Unterstützung für die
Pflegenden, damit sie ihre fürsorgliche Arbeit ohne Selbstaufopferung und mit gesellschaftlicher Anerkennung verrichten können.
12 - Rechtlicher Regelungsbedarf
Die heutige Rechtslage bedarf der Ergänzung durch Bestimmungen, die sicherstellen,
dass
a) vor der Entscheidung zum assistierten Suizid für jeden Einzelfall hin- reichende Abklärungen vorgenommen werden;
b) niemand verpflichtet werden kann, Suizidbeihilfe zu leisten;
c) keine Beihilfe zum Suizid geleistet wird, wenn der Suizidwunsch Ausdruck oder Symptom einer psychischen Erkrankung ist;
d) im Falle von Empfehlung 7, Minderheitsposition: bei Kindern und
Jugendlichen keine Beihilfe zum Suizid geleistet wird;
e) die Sterbehilfeorganisationen einer staatlichen Aufsicht
unterstellt werden.
Gerade weil die Entscheidung zum assistierten Suizid eine an der Person und Situation des
Suizidwilligen orientierte Einzelfallentscheidung sein muss, bedarf es hier sorgfältigster Abklärungen. Anlässlich dieser Abklärungen müssen nicht nur die Urteilsfähigkeit, die Freiheit
von sozialem Druck, der Grund und Hintergrund des Suizidwunsches sowie dessen Konstanz ermittelt und sichergestellt werden, sondern im Sinne der Fürsorge für das Leben auch
mögliche andere Perspektiven und Optionen mit dem Suizidwilligen erwogen und geprüft
werden. Das ist nur im Rahmen einer eingehenden und länger andauernden Beziehung
möglich und nicht auf Grund eines kurzen oder einmaligen Kontaktes mit dem suizidwilligen
Menschen.
Niemand kann einem Anderen gegenüber ein Recht haben, dass dieser ihm zur Selbsttötung
verhilft. Alle haben umgekehrt ein Recht, sich der Mitwirkung an einem Suizid zu verweigern.
Die Beihilfe zum Suizid kann nur auf Grund eines höchstpersönlichen Entscheides erfolgen.
Dieser Entscheid kann von niemandem vorgeschrieben werden, weder von Institutionen
noch von Personen im Umkreis des Suizidwilligen, noch vom Suizidwilligen selbst. Besonders wichtig ist diese Gewissensklausel für Angehörige von Heilberufen und für Mitarbeitende in Institutionen des Gesundheitswesens. Die Beihilfe zum Suizid stellt etwas dar, das
ausserhalb der Tätigkeiten bleibt, auf die ein Patient oder eine Patientin mit Verweis auf das
professionelle Können der Betreuenden Anspruch haben kann.
144
6.7
Sorgfaltskriterien im Umgang mit Suizidbeihilfe277
Stellungnahme Nr. 13/2006; Oktober 2006
1. Einleitung
In ihrer Stellungnahme Nr. 9/2005 hat die Nationale Ethikkommission dem Gesetzgeber unter anderem empfohlen, Organisationen, die in der Schweiz im Schutz von Art. 115 StGB
Beihilfe zum Suizid anbieten und durchführen, einer staatlichen Aufsicht zu unterstellen.
Rechtliche Vorgaben sollen sicherstellen, dass in der Anwendung von Art. 115 StGB neben
dem Respekt vor der Selbstbestimmung auch die Fürsorge für suizidgefährdete Menschen
im Sinn des Schutzes ihres Lebens gleichgewichtige Berücksichtigung findet.
Konkret sollen nach Auffassung der Ethikkommission eine Reihe von minimalen Sorgfaltskriterien für die Praxis der organisierten Suizidbeihilfe vorgeschrieben werden. In der Stellungnahme Nr. 9/2005 ist aber – abgesehen von einigen richtungsweisenden Hinweisen – offen
geblieben, worin die in einer Aufsichtsregelung zu verlangenden Kriterien bestehen sollen.
Mit dem vorliegenden Papier füllt die Kommission diese Lücke. Die hier vorgelegten Empfehlungen richten sich auch an die Praxis.
Die darin formulierten Forderungen verstehen sich nicht als Kriterien, die, wenn sie eingehalten werden, zu einer staatlichen oder gesellschaftlichen Anerkennung von Suizidhilfeorganisationen oder ihrer Praxis im Einzelfall führen können. Die Kriterien verstehen sich vielmehr
als notwendige Minimalstandards, die keine Verantwortung von den Organisationen wegnehmen. Es ist die Meinung der Kommission, dass die weitgehende Freiheit für das organisierte Angebot von Suizidbeihilfe, die vom Schweizerischen Strafrecht in Form des geltenden
Art. 115 StGB geschaffen ist, auch eine gesellschaftliche Verantwortung zum Schutz der
Betroffenen nach sich zieht. Die vorliegende Empfehlung ist von diesem Anliegen des
Schutzes der Betroffenen getragen.
Die Empfehlungen wollen keine zeitlose Gültigkeit beanspruchen. Nach Vorliegen von Erfahrungen aus der Praxis sollen sie vielmehr neu diskutiert und gegebenenfalls revidiert werden
können.
Der Diskussion und Formulierung dieser Empfehlungen in der Kommission ist eine Anhörung
von Vertreterinnen und Vertretern von drei Suizidhilfeorganisationen, der Rechtsmedizin,
eines kantonsärztlichen Dienstes und einer kantonalen Staatsanwaltschaft vorausgegangen.
Hintergrund ist auch die breit geführte Diskussion im Vorfeld der Stellungnahme 9/2005, die
im Buch Beihilfe zum Suizid in der Schweiz. Beiträge aus Ethik, Recht und Medizin (Hrsg.
Rehmann-Sutter/Bondolfi/Fischer/Leuthold; 2006) ihren Niederschlag gefunden hat.
Die 12 Empfehlungen in der Stellungnahme 9/2005 „Beihilfe zum Suizid“ bilden einen integralen Bestandteil dieser Empfehlungen.
277
Quelle: www.nek-cen.ch, Publikationen: Stellungnahmen, Stand 10. März 2011
145
2. Ziel und Hintergrund
Es ist das Ziel dieser Empfehlungen, darzustellen, welchen Schutz Personen, die den
Wunsch haben zu sterben, gegenüber dem organisierten Angebot einer Hilfe zur Selbsttötung brauchen. Dies betrifft auch sterbewillige Menschen aus dem Ausland.
Im Hintergrund steht die strafrechtliche Regelung gemäss Art. 115 StGB, die Beihilfe zur
Selbsttötung ermöglicht, soweit sie nicht “aus selbstsüchtigen Beweggründen” erfolgt. Es gibt
in der Schweiz heute keine weitergehenden gesetzlichen Anforderungen, die beispielsweise
sicherstellen, dass der Beihilfe zum Suizid eine genügend sorgfältige, auch Alternativoptionen einschliessende Abklärung vorausgeht.
Aus ethischer Sicht bewegt sich die Suizidbeihilfe zwischen zwei Polen: einerseits der gebotenen Fürsorge für suizidgefährdete Menschen, andererseits dem Respekt vor der Selbstbestimmung des Suizidwilligen. Beide Pole sind gleichermassen zu berücksichtigen. Die Kommission stützt aus ethischen Beweggründen die in der Schweiz gegebene Freiheit, Beihilfe
zur Selbsttötung zu leisten. Die Empfehlung 5 (in 9/2005) stellte im Bezug auf die Tätigkeit
von Sterbehilfeorganisationen aber einen zusätzlichen gesetzlichen Regelungsbedarf fest.
Die Kommission hatte zum Inhalt dieser Kriterien zwar bereits einige Kernpunkte festgehalten, jedoch keine Liste von Kriterien erarbeitet. Diese Lücke möchte sie nun füllen und
gleichzeitig auf Missbrauchsgefahren aufmerksam machen.
Die liberale rechtliche Situation lässt es zu, dass sich Sterbehilfeorganisationen innerhalb
des rechtlichen Rahmens frei organisieren, dass sie sich selber Richtlinien geben und ihre
Tätigkeit ausüben können. Zwischen der Hilfeleistung innerhalb einer Familien- oder Freundesbeziehung und dem organisierten Angebot zu einem sicheren und schmerzfreien Tod
besteht ein wesentlicher Unterschied. Die Tatsache eines organisierten Angebotes verändert
die Situation für Menschen mit einem Suizidwunsch. Es besteht die Gefahr, dass diese Organisationen einseitig auf das Prinzip der Selbstbestimmung des Menschen abstellen und
dabei dem Schutz des Lebens, dem Gebot der Fürsorge im Sinn der Verantwortung für suizidgefährdete Menschen zu wenig Beachtung schenken.
Für die Beteiligung von Ärztinnen und Ärzten an assistierten Suiziden im Kontext der Betreuung von Patienten und Patientinnen am Lebensende hat die Schweizerische Akademie der
Medizinischen Wissenschaften (SAMW) im Jahr 2004 neue Richtlinien erlassen (Medizinisch-thischeRichtlinien der SAMW zur Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende vom 25. November 2004). Der Bundesrat hat es mit Entscheid vom 31. Mai 2006
zwar abgelehnt, eine staatliche Aufsicht über Sterbehilfeorganisationen einzurichten. In seinem Bericht anerkennt er gleichwohl, dass es Missbrauchspotentiale gibt, insbesondere bei
schutzbedürftigen Personengruppen wie Jugendlichen, psychisch Kranken und terminalkranken Personen (Bericht des Eidgenössischen Justiz-und Polizeidepartments, Sterbehilfe
und Palliativmedizin, Handlungsbedarf für den Bund? S. 3). Auf rechtlicher Ebene sind die
146
Behörden in der Pflicht, Missbrauch aufzudecken und strafrechtlich zu untersuchen. Diese
Arbeit kann durch ethische Richtlinien unterstützt werden, welche die im Einzelfall aus Sicht
des Lebensschutzes ausschlaggebenden Aspekte der Urteils- und Handlungsfähigkeit der
Suizidwilligen, der Abklärungspflicht im Einzelfall und die Vertretungsverhältnisse differenzierter darstellen.
3. Definition der organisierten Suizidbeihilfe
Als “organisierte Suizidbeihilfe” bzw. als “Suizidhilfeorganisation” soll im Rahmen dieser
Empfehlungen eine Tätigkeit verstanden werden, die darin besteht, Hilfeleistungen für die
Selbsttötung an vorher Unbekannte anzubieten oder Unbekannten zur Verfügung zu stellen.
Diese Tätigkeit kann von Vereinen oder ähnlich organisierten Körperschaften, oder von Einzelpersonen (wenn sie die Hilfe zur Selbsttötung regelmässig durchführen und/oder sie an
Unbekannte zur Verfügung stellen), angeboten werden. Eine Hilfeleistung in einer einzelnen,
engen persönlichen oder familiären Beziehung, sowie eine einzelne und einzigartige Hilfeleistung im Rahmen einer umfassenden Beziehung zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient steht hingegen für diese Empfehlungen nicht im Zentrum, ebenso wenig der Suizid als solcher.
4. Empfehlungen bezüglich Abklärung von suizidwilligen Personen
Folgende Mindestanforderungen müssen überprüft, erfüllt und dokumentiert sein, damit aus
ethischer Sicht Suizidbeihilfe geleistet werden darf.
4.1 Es besteht Urteilsfähigkeit im Hinblick auf die Entscheidung, das eigene Leben mit Hilfe eines Dritten zu beenden.
Erläuterungen:
Die Urteilsfähigkeit kann nur in persönlichen, länger dauernden und wiederholten Gesprächen abgeklärt werden. Deren minimale Zeitdauer soll sich in erster Linie nach den konkreten Umständen richten, welche die Lebenssituation der sterbewilligen Person charakterisieren (ihre Bedürfnisse, die Komplexität der Probleme, die zum Suizidwunsch führen, der
Krankheitsverlauf etc.). Sie soll nicht durch die Einschränkungen auf der Seite der Sterbehelfer bestimmt sein (z.B. durch ihre zeitliche Verfügbarkeit oder deren Distanz zum Lebensort
des Sterbewilligen).
Die erwachsene Person im Besitz der Urteilsfähigkeit ist im Allgemeinen die beste Zeugin
und die beste Richterin ihrer Situation. Sie kann beurteilen, ob ihr Leiden zu gross ist. Wichtig ist, dass die eigene subjektive Sicht der suizidwilligen Person den Ausschlag gibt und
nicht eine Beurteilung nach fremden Kriterien.
Solange Zweifel an der Urteilsfähigkeit bestehen, darf Suizidbeihilfe nicht geleistet werden.
4.2
Der Suizidwunsch ist aus einem schweren, krankheitsbedingten Leiden
entstanden.
147
Erläuterungen:
Unter dem Aspekt des Schutzes des Lebens erscheint es als ethisch fragwürdig, organisierte
Suizidbeihilfe an Personen zu leisten, die mit ihrem Leben nicht zufrieden sind, aus philosophischer Überzeugung nicht an ihrem Leben hängen, oder eine lebensverneinende Haltung
haben. Autonomie ist ein zentraler Wert, aber für die organisierte Suizidbeihilfe nicht der Einzige. Der Schutz des Lebens und sozialethische Gründe bilden in nicht-krankheitsbedingten
Fällen eine Grenze. Wenn kein von der Deklaration des Willens unabhängiger, darstellbarer
Grund vorliegt, muss für die Organisation der Aspekt der Fürsorge (im Sinn des Lebensschutzes) Vorrang haben. Es sollen darum nur Personen in Frage kommen, die krankheitsbedingt (der Begriff der Krankheit wird in einem weiten Sinn verstanden. Er umfasst beispielsweise auch Leiden, die in Folge von Unfall oder schwerer Behinderung entstehen)
schwer leiden.
4.3
Psychisch kranken Menschen, bei denen die Suizidalität ein Ausdruck oder
Symptom der Erkrankung ist, soll keine Suizidbeihilfe gewährt werden.
Erläuterungen:
Psychisch Kranke möchten sich oft aus einem vorübergehenden oder behandelbaren Leiden
das Leben nehmen. Zur Beurteilung, ob eine psychische Krankheit vorliegt, sind adäquate
Kenntnisse psychischer Krankheiten erforderlich. Im Zweifelsfall ist der Beizug einer Fachperson nötig.
4.4
Der Sterbewunsch ist dauerhaft und konstant. Er ist nicht aus einem Affekt
oder aus einer absehbar vorübergehenden Krise entstanden.
Erläuterungen:
Der Faktor Zeit kann die Lebenslage, in der ein Sterbewunsch entsteht, verändern. Zudem
ist die Endgültigkeit des Sterbewunsches davon abhängig, dass er im Hinblick auf die Gesamtsituation genügend reflektiert ist. Dies bedarf ausreichender Zeit („Bedenkzeit“). Es ist
allerdings nicht möglich, ein objektives Zeitmass anzugeben, bis ein Sterbewunsch als „konstant“ gelten kann. Wie viel Zeit eingeräumt werden muss, soll einerseits davon abhängen,
ob sich die Lebenslage aus Sicht der abklärenden Person absehbar wesentlich verändern
und sich damit der Sterbewunsch verringern kann. Andererseits soll in die Beurteilung der
nötigen Zeitspanne auch einfliessen, ob die Gesamtsituation genügend bedacht werden
konnte.
4.5
Der Wunsch zum Suizid ist frei von äusserem Druck zustande gekommen.
Erläuterungen:
Beispiele äusseren Druckes können sein: Druck von Seiten Angehöriger, soziale Isolation,
den Angehörigen „Zur-Last-Fallen“, finanzielle Engpässe, die bei der betroffenen Person
auch Angst vor fehlender oder mangelhafter Betreuung und Fürsorge entstehen lassen. Solche beispielhaft genannten Druckfaktoren dürfen für den Sterbewunsch nicht ausschlaggebend sein.
148
Wichtig ist, dabei im Auge zu behalten, dass Druckfaktoren auch als subjektive Befürchtungen vorhanden sein können, ohne objektiv feststellbar zu sein. Diese Faktoren entfalten
dennoch ihre Wirkung.
Die Abklärung, ob die Entscheidung frei von äusserem Druck zustande gekommen ist, verlangt zwingend das individuelle Gespräch, ohne Beisein von Angehörigen oder Dritten, von
denen eine mögliche Beeinflussung ausgehen könnte. Dies schliesst eine gemeinsame Abklärung von zwei oder mehreren Personen aus, die gemeinsam Suizid begehen möchten
(z.B. Paarsuizide). Denn dort ist das Risiko hoch, dass die Initiative nicht von beiden Partnern gleichermassen ausgeht und der Entschluss für den einen der Partner nicht frei zustande kommt.
4.6
Alle alternativen Optionen sind abgeklärt, mit dem Suizidwilligen erwogen
und geprüft sowie gemäss seinem Wunsch ausgeschöpft.
Erläuterungen:
Die Situation muss daraufhin geprüft werden, ob sie auf anderem Weg zu Gunsten der Person verändert werden kann. Bei der Frage, wie weit man gehen muss, um alternative Optionen (wie ärztliche Behandlung, Sozialhilfe, Therapie) nicht nur abzuklären, sondern auch
auszuschöpfen, muss der Wunsch der sterbewilligen Person berücksichtigt werden.
4.7
Persönliche, mehrmalige Kontakte und intensive Gespräche sind unab-
dingbar. Eine Abklärung aufgrund einer einmaligen Begegnung oder auf dem
Korrespondenzweg ist ausgeschlossen.
Erläuterungen:
Die Feststellung der Urteilsfähigkeit bleibt auch bei sorgfältigster Abklärung von der subjektiven Wahrnehmung, den Werten, der Lebenserfahrung und der Gesprächsfähigkeit des Abklärenden abhängig. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an die Person, welche die
Abklärungen durchführt.
Es ist wesentlich, dass die Lebenssituation einer suizidwilligen Person erfasst und dokumentiert wird. Dazu gehören die Kenntnisse über das schwere, krankheitsbedingte Leiden, und
Informationen über das psychosoziale Umfeld sowie die Lebensgeschichte, unter Berücksichtigung des Rechtes des Suizidwilligen auf Achtung der Privatsphäre. Dazu sind mehrmalige und persönliche Begegnungen und Gespräche unabdingbar. So kann garantiert werden,
dass die Konstanz des Sterbewunsches über längere Zeit überprüft und bestätigt wird.
Gleichzeitig ist aber darauf zu achten, dass die sorgfältige Abklärung die Leidenszeit nicht
unnötig verlängert.
4.8
Eine unabhängige Zweitmeinung kommt zum gleichen Schluss.
Erläuterungen:
Es ist wichtig, dass die Beurteilung der Situation nicht nur durch eine einzige Person erfolgt,
sondern durch eine zweite, von der ersten unabhängige Beurteilung überprüft wird. Diese
Zweitmeinung soll von einer dafür kompetenten Person stammen.
149
5.
Hinweise zur Vorbeugung von Missbrauch
Neben den Empfehlungen macht die NEK-CNE Hinweise auf weitere Bereiche, die aus ihrer
Sicht eine besondere Missbrauchgefahr beinhalten. In diesen besonders sensiblen Bereichen gilt es, vorbeugende Massnahmen zu treffen, um Missbräuche der straffreien Suizidbeihilfe in entsprechenden Organisationen einzuschränken.
–
Es darf nicht um direkter oder indirekter finanzieller Vorteile willen gehandelt werden
–
Das Motiv zur Suizidbegleitung kann ethisch heikel sein. Ethisch nicht vertretbar sind
das Ausnützen einer Notlage, die Befriedigung am Tod (Thanatophilie) oder ideologische Gründe.
–
Suizidbeihilfe kann Suizidbegleiter überfordern, beispielsweise durch zu viele Begleitungen oder mangelndes de-briefing.
–
Mangelnde Transparenz von Organisation und Management (inkl. Buchhaltung) einer
Suizidhilfeorganisation oder mangelnde Kontrolle durch organisationsinterne und –
externe Personen, resp. Sachverständige können die Missbrauchsgefahr erhöhen.
Die Gefahr besteht vor allem, wenn es sich bei der Organisation um einen nichtdemokratisch organisierten Verein mit dominanter Führungsperson oder einen Kreis
handelt, der einer bestimmten Ideologie nahe steht.
150
7 Literatur- und Quellenverzeichnis
[Anonym]: Gegen ein vollständiges Verbot jeglicher Suizidhilfe. Regierungsrat empfiehlt
Ablehnung der EDU-Volksinitiative. In: Neue Zürcher Zeitung, 26.2.2010, S. 16.
[Anonym]: Recht zu sterben. In: Der Spiegel, 5.2.1973, S. 74.
[Anonym]: Sterbehilfe in der Schweiz: die rechtliche Situation. In: Beobachter, Ausgabe 6
vom 16. März 2001.
[Anonym]: Sterbehilfe in der Schweiz. Internationale Sonderrolle in der Beihilfe zum Suizid.
In: NZZ Online, 18.6.2003.
[Anonym]: Strikte Auflagen für organisierte Sterbehilfe. In: Neue Zürcher Zeitung,
29.10.2009, Nr. 251, S. 11, 23.
[Anonym]: Vorentwurf: Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB) und Militärstrafgesetz
(MStG) (Organisierte Suizidhilfe). Bern 2009.
Aebersold, Peter: Die Euthanasiebefürworter geben keine Ruhe. In: Diskussionsforum
Schweizer Ärztezeitung 17.33, 8.2.2004.
Aebersold, Peter: Der Rückfall in die Barbarei [Leserbrief]. In: Schweizerische Ärztezeitung
2004; 85: 24, 1247-1248.
Aristoteles: Die Nikomachische Ethik. Übersetzt und herausgegeben von Olof Gigon.
6. Auflage. München 1986.
Bacon, Francis: Of the Proficience and Advancement of Learning Divine and Humane [1605].
In: ders.: The Works, hrsg. Von J. Spedding, R.L. Ellis und D.D. Heath. Bd. 3, London
1859, S. 259-491 [Nachdruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1963].
Bacon, Francis: De dignitate et augmentis scientiarium [1623]. In : ders. : The Works, hrsg.
Von J. Spedding, R.L. Ellis und D.D. Heath. Bd. 1, London 1859, S. 423-837
[Nachdruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1963].
Baumann-Hölzle, R.: Der Tod als Freund. In: Schweizerische Ärztezeitung 2003; 84: 46,
2425-2428.
Beer, Max: Ein schöner Tod. Ein Wort zur Euthanasiefrage. Barmen 1914.
Benzenhöfer, Udo: Der gute Tod? Geschichte der Euthanasie und Sterbehilfe,
Göttingen 2009.
Beutler, Daniel: Leben im Sterben. Eine Stellungnahme zur Suizidbeihilfe.
In: Schweizerische Ärztezeitung 2008; 89: 10, 411-415.
Binding, Karl: Rechtliche Ausführung. In: Binding, Karl, Alfred Hoche: Die Freigabe der
Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Mass und ihre Form. Leipzig 1920, S. 3-41.
Bisang, Joel: Bundesrat vernachlässigt wichtige Aspekte der Sterbehilfe. In: Neue Zürcher
Zeitung, 19.1.2010, Nr. 14, S. 13.
151
Blum, Andreas: Nationale Ethikkommission (NEK), Empfehlungen zum Thema Suizidbeihilfe.
In: Meldungen, 2004, auf www.exit.ch (Stand Oktober 2010).
Blum, Andreas: EXIT lockert Moratorium für psychisch Kranke. In: Meldungen, 2004, auf
www.exit.ch (Stand Oktober 2010)
Böni, R.: Medizinisch-ethische Richtlinien der SAMW zur Behandlung und Betreuung von
zerebral schwerstgeschädigten Langzeitpatienten [Leserbrief]. In: Schweizerische
Ärztezeitung 2004; 85: 24, 1247
Bosshard, Georg: Medizinethische Überlegungen zur aktuellen Diskussion um die Regelung
von Sterbehilfe in der Schweiz. Diplomarbeit im Rahmen des Master-Studienganges
in Angewandter Ethik des Institutes für Sozialethik der Universität Zürich. Mai 2001.
Bosshard, Georg: Open Regulation and Practice in Assisted Dying. Mitautoren: S. Fischer,
W. Bär. In: Swiss Medical Weekly 2002, 132: 527-535.
Bosshard, Georg: Vom Regen in die Traufe? Aktuelle Tendenzen zur Entscheidungsbefugnis
bei nicht urteilsfähigen Patienten im Urteil von Teilnehmern eines Zürcher
Seniorenseminars. In: G. Bosshard, J. Portmann, A. Wettstein: Vom Regen in die
Traufe? Schweizerische Ärztezeitung 2003;84: Nr. 20, 1061-1063.
Bosshard, Georg: Schutz der Institution vorrangig. In: Schweizerische Ärztezeitung 2003;
84: 46, 2429.
Bosshard, Georg: Suizidbeihilfe bei Menschen mit psychischen Störungen. Unter besonderer
Berücksichtigung der Urteilsfähigkeit. Expertenbericht zu Handen von EXIT-Deutsche
Schweiz. Vorgelegt von Dr. med. Georg Bosshard, Dr. med. Martin Kiesewetter, PD
Dr. phil. Klaus Peter Rippe, Prof. Dr. iur. Christian Schwarzenegger. Zürich 2004.
Bosshard, Georg: Behandlungsabbruch und Behandlungsverzicht in sechs europäischen
Ländern: Resultate der EURELD/MELS-Studie. Mitautoren: Susanne Fischer, Karin
Faisst. In: Primary care 2005; 5: 39, S.799-802.
Bosshard, Georg: Sterbehelfer – eine neue Rolle für Europas Ärzteschaft?
In: Schweizerische Ärztezeitung 2008; 89: 10, 406-410.
Bosshard, Georg: Suizidbeihilfe: Der Bund ist gefordert. In: Bosshard, Georg und Hurst,
Samia: Suizidbeihilfe: Der Bund ist gefordert, in: bulletin SAMW 1|10. Basel 2010.
Brunner, Andreas: Organisierte Suizidhilfe. Personenkreis nicht eingrenzen. In: Neue
Zürcher Zeitung, 7.11.2009.
Ciompi, Luc: Ärztliche Suizidbeihilfe und Ehrfurcht vor dem Leben [Leserbrief].
In: Schweizerische Ärztezeitung 2004; 85: 3, 81-82.
Darwin, Charles: Die Abstammung des Menschen. Übersetzt von Heinrich Schmidt. Mit einer
Einführung von Christian Vogel. 4. Auflage. Stuttgart 1982.
De Bal, Nele: Euthanasia and care. Involvement of nurses in euthanasia. Mitautorin: Maria
Berghs. In: European Association of Centres of Medical Ethics, [?].
152
Dignitas: Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben. www.dignitas.ch [Dezember
2009].
Dyer, Clare: Swiss parliament may try to ban „suicide tourism“. In: BMJ Volume 326,
1. February 2003, S. 242.
Ebner, Gerhard: Ethik im Gesundheitswesen – Fall einer psychisch Kranken mit einer
unheilbar körperlichen Krankheit mit Sterbewunsch. In: Schweizerische Ärztezeitung
2003; 84: 46, 2421-2424.
Ebner, Gerhard: Suizidbeihilfe bei Psychischkranken. Mitautor: Hans Kurt.
In: Schweizerische Ärztezeitung 2005; 86: 15, 880-882.
Edelstein, Ludwig: Der hippokratische Eid. Zürich, Stuttgart 1969.
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartament EJPD: Organisierte Suizidhilfe: Vertiefte
Abklärungen zu Handlungsoptionen und –bedarf des Bundesgesetzgebers.
Bern 15.5.2009.
Erklärung 1980, Papst Johannes Paul II, Vatikan.
EURELD-Studie: End-of-life decision-making in six European countries: descriptive study.
Agnes van der Heide, Luc Deliens, Karin Faisst, Tore Nilstun, Michael Norup,
Eugenio Paci, Gerrit van der Wal, Paul J van der Maas. THE LANCET, 17. Juni 2003.
Exit: Exit – Selbstbestimmung im Leben und im Sterben. www.exit.ch [2009].
Fischer, Johannes: Warum überhaupt ist Suizid ein ethisches Problem? Über Suizid und
Suizidbeihilfe. In: Zeitschrift für Ethik in der Medizin, 55. Jg. 2009, 243-256.
Fischer, Johannes: Freiheit des Handelns – Unfreiheit des Willens. Menschliches Verhalten
in philosophischer und psychologischer Perspektive. Zürich 2010.
Fischer, Johannes: Recht auf Selbstbestimmung – Recht auf staatliche Suizidbeihilfe?
Zürich 2010.
Geiger-Jakob, Alois: Der begleitete Freitod und der Arzt. In: Schweizerische Ärztezeitung
2008; 89: 28/29, 1242-1244.
Geiser, Max: Werden wir die gerufenen Euthanasiegeister nicht mehr los? [Leserbrief].
In: Schweizerische Ärztezeitung 2007; 88: 33, 1341-1342.
Gerkan, Roland: Euthanasie. In: Das monistische Jahrhundert 2 (1913), S. 169-173.
Gmür, Mario: Suizidbeihilfe und Urteilsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht. In: Schweizerische
Ärztezeitung 2008; 89: 41, 1-7.
Graefe, Stefanie: Autonomie am Lebensende? Biopolitik, Ökonomisierung und die Debatte
um Sterbehilfe. Frankfurt/Main 2007.
Grob, Daniel: Kranksein und Sterben im Alter. In: Zürichsee-Zeitung, 11.10.2002.
Grubbe, Peter: Sterbehilfe. 200 Milligramm Morphium in die Vene. In: Stern, 15.2.1973,
S. 126-128.
153
Gurtner, Kuno: Initiative gegen „Sterbetourismus“ gültig. In: Neue Zürcher Zeitung,
12.1.2010, S. 17.
Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Zweite, verbesserte und vermehrte
Auflage. Berlin 1870.
Haeckel, Ernst: Die Lebenswunder. Gemeinverständliche Studie über Biologische
Philosophie. Ergänzungsband zu dem Buche über die Welträthsel. Stuttgart 1904.
Haffner, Sebastian: Ein Recht auf den Tod. In: Stern, 15.2.1973, S. 128.
Hänsel, Alexander: Sorgfaltskriterien im Umgang mit Suizidbeihilfe [Leserbrief].
In: Schweizerische Ärztezeitung 2007; 88: 1, 16.
Heusser, Peter: Sterbebegleitung – Sterbehilfe – Euthanasie. Peter Heusser und Björn
Riggenbach (Hrsg.). Bern 2003.
Hippokrates: Schriften. Übersetzt und herausgegeben von Hans Diller. Reinbek bei Hamburg
1962.
Hirzel, Peter: Suizidbeihilfe – schwieriger Grenzbereich. In: Schweizerische Ärztezeitung
2009; 90: 6, 215-216.
Hoche, Alfred: Ärztliche Bemerkungen. In: Binding, Karl und Alfred Hoche: Die Freigabe der
Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Mass und ihre Form. Leipzig 1920, S. 43-62.
Höffe, Otfried: Der Tod von eigener Hand. Ein philosophischer Blick auf ein existenzielles
Problem. In: Neue Zürcher Zeitung, 27.2.2010, S. 67.
Hubschmid, Theo: Thesenpapier der SGP zum Problem der Beihilfe zum Suizid. Hubschmid/Ladewig, Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,
Bern 30.08.1999.
Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Verhältnisse des Arztes. In: Neues Journal der practischen
Arzneikunde und Wundarzneiwissenschaft Bd. 16, 3. Stück (1806), S. 5-36.
Hürlimann, Brigitte: Wer sterben will, soll zahlen. Kantonsrat überweist Motion für
Kostenauflage zulasten ausländischer Sterbewilliger. In: Neue Zürcher Zeitung,
16.2.2010, S. 13.
Hurst, A Samia: Assisted suicide and euthanasia in Switzerland: allowing a role for
non-physicians. In: Samia A Hurst und Alex Mauron: Assisted suicide and
euthanasia in Switzerland: allowing a role for non-physicians. BMJ Volume 326,
1. February 2003, S. 271-273.
Jardine, Anja: Zurück zu Sternenstaub. In: NZZ Folio, Januar 2010, S. 20-22.
Jost, Adolf: Das Recht auf den Tod. Sociale Studie. Göttingen 1895.
Karberg, Sascha: Das Ende ist erst der Anfang. In: NZZ Folio, Januar 2010, S. 23
Keown, John: Euthanasia, Ethics and Public Policy. An Argument Against Legalisation.
Cambridge 2002.
Kesseli, Bruno: Ein Bundesgerichtsurteil mit grosser Resonanz in der SÄZ.
154
In: Schweizerische Ärztezeitung 2007; 88: 27/28, 1194-1195.
Kiesewetter, Martin: Bundesgerichtsurteil zum assistierten Suizid von Psychischkranken
(Verschreibungspflicht von Natrium-Pentobarbital). Stellungnahme des Vorstands der
Schweizerischen Gesellschaft für Forensische Psychiatrie SGFP. In: Schweizerische
Ärztezeitung 2007; 88: 27/28, 1195-1197.
Koch, Hans-Georg: [Landesbericht] Bundesrepublik Deutschland. In: Materialien zur
Sterbehilfe. Eine internationale Dokumentation, hrsg. Von Albin Eser und Hans-Georg
Koch. Freiburg im Preisgau 1991, S. 31-194.
Koch, Manfred: Sterbliche Gedanken. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde der
Selbstmord Gegenstand einer gesellschaftlichen Debatte. In: Neue Zürcher Zeitung,
6.3.2010, S. 63.
Krebs-Roubicek, Eva: Kein Menschenrecht auf Beihilfe zum Suizid [Leserbrief].
In: Schweizerische Ärztezeitung 2007; 88: 29/30, 1247-1248.
Küchenhoff, B.: Stellungnahme zum Fall einer psychisch Kranken mit einer unheilbar
körperlichen Krankheit mit Sterbewunsch. Mitautor: D. Hell. In: Schweizerische
Ärztezeitung 2003; 84: 46, 2430.
Kuhn, Manfred: Wie es zu Art. 115 StGB kam. In: Meldungen, auf www.exit.ch [Stand
Oktober 2010].
Lecky, William Edward Hartpole: Sittengeschichte Europas von Augustus bis auf Karl den
Grossen. Nach der zweiten verbesserten Auflage, übersetzt von H. Jolowicz. Bd. 2.
Leipzig und Heidelberg 1871.
Martin, Jean: Suizidbeihilfe und „Lebensmüdigkeit“. In: Schweizerische Ärztezeitung 2008;
89: 48, 2098.
Martin, Jean: In der Ethik geht es um Dilemmata und Grenzen – Wir müssen Grenzen
ziehen, auch wenn sie nicht perfekt sind. In: Schweizerische Ärztezeitung 2009; 90:
6, 217-218.
Marty, Dick: Rapporteur sur l’euthanasie, pour un rapport de la Commission des questions
sociales, de la santé et de la famille, Remarques finales. Conseil de l’Europe,
Assemblée parlementaire, Belgique 2002.
Mathwig, Frank: Perspektiven am Lebensende. Vernehmlassungsantwort des Rates des
Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK zur Änderung des
Strafgesetzbuches und des Militärgesetzes betreffend die organisierte Suizidhilfe.
Bern 1.3.2010.
Meier, Michael: Brisante Zahlen zur aktiven Sterbehilfe in der Schweiz. In. Tagesanzeiger
Online, 19.6.2003.
Meltzer, Ewald: Das Problem der Abkürzung „lebensunwerten“ Lebens. Halle 1925.
Minelli, Ludwig A.: Zu Fragen aus dem Bereich der Beihilfe zum Suizid in der Schweiz .
155
Luzern 7.10.2009.
Minelli, Ludwig A.: Organisierte Suizidhilfe. Unhaltbare Bevormundung. In: Neue Zürcher
Zeitung, 7.11.2009.
Monfils, Philippe : Euthanasie. Proposition de resolution, Conseil de l’Europe, Assemblée
parlementaire. Belgique 2001.
Morandi, Dario: “Keine ärztliche Tätigkeit”. Bündner Ärzteverein erteilt der Sterbehilfe in
einem Positionspapier eine Absage. In: Die Südostschweiz, 15.5.2003, S. 27-28.
Morus, Thomas: Utopia. In: Der utopische Staat: Morus – Utopia. Campanella –
Sonnenstaat. Bacon – Neu-Atlantis. Übersetzt und herausgegeben von Klaus J.
Heinisch. 109.-111. Tausend. Reinbek bei Hamburg 1991.
Nationale Ethikkommission: Empfehlungen zur Regelung der Suizidbeihilfe.
In: Schweizerische Ärztezeitung 2005; 86: 29/30, 1796.
Nationale Ethikkommission: Sorgfaltskriterien im Umgang mit Suizidbeihilfe.
In: Schweizerische Ärztezeitung 2006; 87: 48, 2077-2080.
Nietzsche, Friedrich: Götzen-Dämmerung. In: ders.: Der Fall Wagner. Götzen-Dämmerung.
Der Antichrist. Ecce homo. Dionysos-Dithyramben. Nietzsche contra Wagner.
Kritische Studienausgabe, hrsg. Von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 6.
München und Berlin/New York 1988, S. 55-161.
Nowak, Kurt: „Euthanasie“ und Sterilisierung im Dritten Reich. Göttingen 1977.
Papst Johannes Paul II: Erklärung. Vatikan 1980.
Paradys, Nicolaus: Rede […] über das, was die Arzneywissenschaft vermag, den Tod leicht
und schmerzlos zu machen, bey Gelegenheit seines Abschieds von dem
akademischen Prorectorat gehalten den 8. Februar 1794. Aus dem Lateinischen
übersetzt von Johann Georg Klees. In: Neues Magazin für Aerzte Bd. 18, 6. Stück
(1796), S. 560-572.
Parlamentarische Versammlung des Europarates: Empfehlung betreffend die Rechte der
Kranken und Sterbenden. Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Strassburg
1976, S. 27-29 und S. 31f.
Parlamentarische Versammlung des Europarates: Schutz der Menschenrechte und der
Würde der Todkranken und Sterben. Vorläufige Ausgabe. Empfehlung 1418.
In: Official Gazette of Europe, Strassburg Juni 1999.
Petermann, Th. Frank: Zur Problematik der Rezeptierung von Natrium-Pentobarbital.
Kurzfassung des Referats der Tagung zum Thema „Sterbehilfe – grundsätzliche und
praktische Fragen“ am Institut für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis der
Universität St. Gallen vom 13.10.2005. In: Meldungen, auf www.exit.ch [2005]
Platen-Hallermund, Alice: Die Tötung Geisteskranker in Deutschland. Aus der deutschen
Ärztekommission beim Amerikanischen Militärgericht. 2. Auflage. Reprint der
156
Erstausgabe von 1948. Bonn 1993.
Potthoff, Thomas: Euthanasie in der Antike. Diss. med. Münster 1982.
Raggenbass, René: Kein Menschenrecht auf ärztliche Suizidhilfe. Mitautor: Hanspeter Kuhn.
In: Schweizerische Ärztezeitung 2007; 88: 11, 455-456.
Raggenbass, René: Die Forensische Psychiatrie: die „neuen Experten“ für das Recht
gesunder Menschen auf ärztliche Suizidbeihilfe? In: Schweizerische Ärztezeitung
2007; 88: 31/32, 1289.
Rásonyi, Peter: Britische Regeln zur Sterbehilfe. Verzicht auf Strafverfolgung unter eng
umrissenen Bedingungen. In: Neue Zürcher Zeitung, 27.2.2010, S. 5.
Regamey, Claude: Ärztinnen und Ärzte sind nicht Experten für den freiwilligen Tod.
Mitautorin: Michelle Salathé. In: Schweizerische Ärztezeitung 2007; 88: 24,
1051-1052.
Rehmann-Sutter, Christoph: Beihilfe zum Suizid in der Schweiz. Beiträge aus Ethik, Recht
und Medizin. Mitautoren: Alberto Bondolfi, Johannes Fischer, Margrit Leuthold
(Hrsg.). Bern 2006.
Rehmann-Sutter, Christoph: Was bedeutet das „Recht auf den eigenen Tod“?
In: Schweizerische Ärztezeitung 2007; 88: 25, 1109-1112.
Reil, Johann Christian: Entwurf einer allgemeinen Therapie. Halle 1816.
Rippe, Klaus Peter: Urteilsfähigkeit von Menschen mit psychischen Störungen und
Suizidbeihilfe. Mitautoren: Christian Schwarzenegger, Georg Bosshard, Martin
Kiesewetter. In: Schweizerische Juristen-Zeitung 101, 2005, Nr. 3, S. 53-91.
Rippe, Klaus Peter: Suizidbeihilfe bei Psychischkranken. Mitautoren: Christian
Schwarzenegger, Georg Bosshard, Martin Kiesewetter. In: Schweizerische
Ärztezeitung 2005; 86: 24, 1456.
Ryser-Düblin, Peter: Hilfe beim oder Hilfe zum Sterben? Mitautoren: Nikolaus ZwickyAeberhard, Rahel Gürber. In: Schweizerische Ärztezeitung 2008; 89: 28/29,
1245-1249.
Saenger, H.: [Artikel] Selbstmord. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart.
Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 3., völlig neu bearbeitete
Auflage. Bd. 5. Tübingen 1961, Sp. 1675-1679.
Samuel, Simon: [Artikel] Euthanasie. In: Real-Encyclopädie der gesammten Heilkunde. Bd.
5. Wien, Leipzig 1886, S. 640f.
Schaefer H.: Gedanken zu den SAMW-Richtlinien zur Betreuung am Lebensende –
Vernehmlassungsantwort der Ärztegesellschaft Baselland, Synapse Juni 2004, S. 4.
Schibli, Peter: Mehr Sterbebegleitung statt Sterbehilfe. Debatte zum begleiteten Suizid.
In: Basler Zeitung, 23. 6.2003, S. 1 und 20.
Schmid, Hans Bernhard: Der eigene Wille und der Wille der anderen. Über ein zu wenig
157
beachtetes ethisches Problem der aktiven Sterbehilfe. In: Neue Zürcher Zeitung,
27.1.2010, S. 49.
Schneider, Reto U.: Bea geht. In: NZZ Folio, Januar 2010, S. 24-33.
Schulz, Zacharias Philippus: De Euthanasia Medica, Vom Leichten Todt. Halle, Magdeburg
1735.
Schungel, Wilfried: Alexander Tille (1866-1912). Leben und Ideen eines Sozialdarwinisten.
Husum 1980.
Schwarzenegger, Christian: Kein Anspruch auf Abgabe einer tödlichen Dosis NatriumPentobarbital ohne Rezept. In: Meldungen, auf www.exit.ch. [2007]
Schwarzenegger, Christian: Das Mittel zur Suizidbeihilfe und das Recht auf den eigenen
Tod. In: Schweizerische Ärztezeitung 2007; 88: 19, 1-9.
Schwarzenegger, Christian: Was die Schweizerbevölkerung von Sterbehilfe und
Suizidbeihilfe hält. Mitautoren: Patrik Manzoni, David Studer, Catia Leanza. Zürich,
Medienkonferenz vom 2.9.2010.
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Richtlinie für die Sterbehilfe.
Basel 1976.
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Medizinisch-ethische
Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften.
Richtlinien für die Sterbehilfe. 1981 (Neuauflage 1989).
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Medizinisch-ethische
Richtlinie für die ärztliche Betreuung sterbender und zerebral schwerst geschädigter
Patienten. Basel 1995.
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Behandlung und Betreuung
von zerebral schwerstgeschädigten Langzeitpatienten. Basel 2003.
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Betreuung von Patientinnen
und Patienten am Lebensende. Basel 2004.
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Behandlung und Betreuung
von älteren, pflegebedürftigen Menschen. Medizinisch-ethische Richtlinien und
Empfehlungen. Basel 2004.
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften:
Reanimationsentscheidungen. Medizinisch-ethische Richtlinien und Empfehlungen.
In: Schweizerische Ärztezeitung 2009;90: Nr. 1/2, 20-27.
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: Die SAMW lehnt die
vorgeschlagene Neuregelung der organisierten Suizidbeihilfe ab. In: Schweizerische
Ärztezeitung 2010; 91:3, 69-70.
Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften: www.samw.ch, Porträt
[Stand: Oktober 2010].
158
Seelmann, Kurt: Sterbehilfe: Die Rechtslage in der Schweiz. Aus: Suizid und Sterbehilfe,
hrsg. Gerd Brudermüller, Wolfgang Marx, Konrad Schüttauf. Würzburg 2003.
Strebel, Urs: Wie viel Sterbehilfe brauchen wir? In: www.medpoint.ch, 22.5.2002.
Thomas von Aquin: Summe der Theologie. Zusammengefasst, eingeleitet und erläutert von
Joseph Bernhart. Dritter Band: Der Mensch und das Heil. 3. durchgesehene und
verbesserte Auflage. Stuttgart 1985.
[Till, Alexander]: Volksdienst. Von einem Sozialaristokraten. Berlin und Leipzig 1893.
Tille, Alexander: Von Darwin bis Nietzsche. Ein Buch Entwicklungsethik. Leipzig 1895.
Vallender, Dorle: Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord. Neufassung von Artikel 115 StGB.
Parlamentarische Initiative (01.407), eingereicht im Nationalrat am 14.03.2001.
Vallender, Dorle: Sterbehilfe und „Sterbetourismus”. Motion (02.3500), eingereicht im
Nationalrat am 30.09.2002.
Van der Heide, Agnes: End-of-life decision-making in six European countries: descriptive
study. Mitautoren: Luc Deliens, Karin Faisst, Tore Nilstun, Michael Norup, Eugenio
Paci, Gerrit van der Wal, Paul J van der Maas. In: The Lancet, published online
17.6.2003.
Vögeli, Dorothee: Schwierige Konsensfindung bei der Suizidbeihilfe. Ärzte, Juristen und
Philosophen diskutieren über die Vorschläge des Bundesrates. In: Neue Zürcher
Zeitung, 8.2.2010, S. 9.
Vögeli, Dorothee: „Hin-und-her-Überlegen, oft bis zuletzt, das ist die Regel“. Für den Zürcher
Psychiater und Psychotherapeuten Daniel Hell ist Suizidalität kein linearer Prozess.
In: Neue Zürcher Zeitung, 19.3.2010, S. 17.
Wälti, B.: Eine Begleitung. Sterbewunsch einer krebskranken Frau. Ein Fall aus der
Allgemeinpraxis. In: Schweizerische Ärztezeitung 2004; 85: 49, 2641-2643.
Wasserfallen, Jean-Blaise: Respecter la liberté du patient et du soignant. Mitautoren: R.
Chioléro, F. Stiefel. In: Schweizerische Ärztezeitung 2006; 87: 20, 895-898.
Wauschkuhn, Eugen: Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens.
In: Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift 24 (1922/23), S. 215-217.
Wittern, Renate: Die Unterlassung ärztlicher Hilfeleistung in der griechischen Medizin der
klassischen Zeit. In: Münchner medizinische Wochenschrift 121 (1979), S. 731-734.
Wunderlich, Dieter: Sterbehilfe. Buch- und Filmtipps.
In www.dieterwunderlich.de/sterbehilfe.htm [2009]
Zäch, Guido: Sterbehilfe. Gesetzeslücken schliessen statt Tötung erlauben. Motion
(01.3523), eingereicht im Nationalrat am 03.10.2001.
Zimmerli, Wolf: Ethik im Gesundheitswesen [Leserbrief]. In: Schweizerische Ärztezeitung
2003; 84: 51/52, 2708-2709.
Zimmermann-Aklin, Markus: Die neuen medizinisch-ethischen Richtlinien der SAMW zur
159
Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende. Mitautorin: Michelle
Salathé. In: Schweizerische Ärztezeitung 2005; 86: 3, 171.
Zimmermann-Aklin, Markus: Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen der Betreuung von
Patienten am Lebensende. In: Schweizerische Ärztezeitung 2004; 85: 6, 286-287.
Zimmermann-Aklin, Markus: Euthanasie, eine theologisch-ethische Untersuchung.
2. erweiterte und überarbeitete Auflage. Freiburg i. Ue./Freiburg i. Br. 2002.
Internetlinks:
http://www.admin.ch
www.bag.admin.ch/nek-cne/04229/04232/index.html?lang=de
http://bazonline.ch/schweiz/standard/Schweizer-wollen-Sterbehilfe-durch-den-Arzt/story
/20868383
http://www.bj.admin.ch/bj/de/home/themen/gesellschaft/gesetzgebung/sterbehilfe.html
http://www.cdl-rlp.de/Unsere_Arbeit/Sterbehilfe/Sterbehilfe-in-Europa.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Sterbehilfe#Andere_L.C3.A4nder
http://www.1000fragen.de/hintergruende/dossiers/dossier.php?did=7&simple=y&pn=1
http://www.hospiz-weinsberg.de/sthi_arzt.htm
http://www.medscape.com/viewarticle/731485
http://www.nek-cen.ch
http://www.uzh.ch/news/articles/2006/2112.html
http://www.zeit.de/online/2008/28/sterbehilfe-bundesrat
160