KC Faelle - Prof. Dr. Reinhard Singer
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KC Faelle - Prof. Dr. Reinhard Singer
Prof. Dr. Reinhard Singer im März 2010 King’s College London Anglo – German Law Programme Fälle zum Deliktsrecht Fall 1: Einführung in das System des deutschen Deliktsrechts Roland rast bei strömendem Regen über eine Pflasterstraße in Berlin-Mitte und kann nicht mehr bremsen, als der beliebte Sänger Sahnig vorschriftsmäßig die Straße überquert. Sahnig erleidet eine leichte Gehirnerschütterung, muss vom Arzt behandelt werden und den für den gleichen Tag geplanten Auftritt in der Open-Air-Bühne „Wuhlheide“ absagen. a) Kann Sahnig von Roland Ersatz der Arztkosten (200 €) und des Verdienstausfalls (5.000 €) verlangen? b) Das ausgefallene Konzert bedeutet für den Veranstalter Matt einen Geschäftsverlust von 10.000 €. Welche Ansprüche hat er gegen Roland? Literatur: Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 3 c. Fall 2: Haftung Minderjähriger wegen unerlaubter Handlungen Am 12.2. 2010 veranstalteten die damals neun Jahre alten Zwillingsbrüder Siggi und Leo auf der Fahrbahn der Straße Unter den Linden in Berlin ein Wettrennen mit Kickboards. Obgleich Siggi im Umgang mit einem Kickboard geübt war, stürzte er aus Unachtsamkeit. Sein Kickboard prallte gegen den ordnungsgemäß am rechten Straßenrand geparkten PKW von Gerber. Dieser verlangt Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 1904, 16 Euro. Literatur: BGH NJW 2005, 354; s. ferner BGH NJW-RR 2005, 327; NJW 2005, 356; 2007, 2113; 2008, 147; 2009, 95; Medicus, Schuldrecht II, Rn. 768. Fall 3: „wrongful life“ K ist gesundheitlich aufs Schwerste beschädigt, weil ihre Mutter M während der ersten Schwangerschaftswochen an Röteln erkrankt war. K und ihre Eltern werfen dem behandelnden Frauenarzt A vor, dass er diese Erkrankung der Mutter nicht erkannt habe, so dass die an sich erwünscht gewesene Schwangerschaft nicht unterbrochen worden sei. A wendet ein, er habe die Schädigung von K nicht verursacht, vielmehr werde ihm ein Verhalten vorgeworfen, dem das Kind sein Leben und seine Rechtsfähigkeit verdanke. Es sei mit der Anerkennung der Menschenwürde nicht zu vereinbaren, das Leben mit einer Behinderung als Schaden zu begreifen. Wie ist zu entscheiden? Literatur: BGHZ 86, 240; s. ferner BGHZ 129, 178; 151, 133; BGH NJW 2007, 989; Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 666 f.; ders., BT Rn. 782; s.a. BVerfG NJW 1993, 1751; 1998, 519. Fall 4: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ (§ 823 Abs. 1 BGB) S ist Herstellerin eines pharmazeutischen Präparats, das nach der Vorstellung weiter Bevölkerungskreise auch der Hebung der sexuellen Potenz dient („Okasa“). Zur Werbung für dieses Mittel hat S ein Plakat mit der Abbildung eines Turnierreiters verbreitet, dem ein Originalphoto des G zugrunde liegt, das auf einem Reitturnier aufgenommen worden ist. Eine Einwilligung zur Verwendung seines Bildes hat G nicht gegeben. G fühlt sich in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt und verlangt ein angemessenes Schmerzensgeld. Mit Recht? Literatur: BGHZ 26, 349; Larenz/Canaris, § 80; Medicus, Schuldrecht II, Rn. 815 ff. – S. ferner BGHZ 128, 1 (Caroline I); 131, 332 (Caroline II); EGMR NJW 2004, 2647; BGH NJW 2007, 689 (Oskar Lafontaine); LG Hamburg, NJW 2007, 691 (Joschka Fischer). Fall 5: Gewerbebetrieb als „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB Bei Baggerarbeiten auf einem Privatgrundstück hat der bei der Firma Sanft angestellte Baggerführer Axel fahrlässig das im Eigentum des Energieversorgungsunternehmens V stehende Stromkabel beschädigt. Daraufhin stand der Betrieb der Firma Gallus für 27 Minuten still und erlitt einen Vermögensschaden infolge des Produktionsausfalls in Höhe von 10.000.- Euro. Wie ist die Rechtslage, wenn die Firma Gallus eine Brüterei betreibt und die in den elektrischen Öfen liegenden, schon angebrüteten Eier infolge des Stromausfalls verderben. Literatur: BGHZ 29, 65; 41, 123; 66, 388; Medicus, BR Rn. 612. Fall 6: Produzentenhaftung Tierarzt Adler wurde vom Landwirt Lamm beauftragt, seine Hühner gegen „Hühnerpest“ zu impfen. Nach drei Tagen brach dennoch die „Hühnerpest“ aus, an der sämtliche Hühner des Lamm zugrunde gingen (Schaden 25.000 €). Es stellte sich heraus, dass das verwendete Serum, das Adler beim Hersteller des Impfstoffes, Hase, bezogen hatte, durch eine bakterielle Verunreinigung wieder aktiv geworden ist. Wie es zu der Verunreinigung gekommen ist, blieb bis zuletzt ungeklärt. Lamm verklagt sowohl Adler als auch Hase auf Schadensersatz und meint, diese müssten ihre Schuldlosigkeit beweisen. Wie ist die Rechtslage? Literatur: BGHZ 51, 91; Medicus, SchuldR II, Rn. 99 - 112; ders., BR Rn. 650 - 650 i. Fall 7: Tierhalterhaftung (§ 833 BGB) Swantje und Gesine hatten ihre Pferde in einem Reitstall in R untergebracht. Nachdem sich herausstellt, dass Gesines Pferd erkrankt war, stellte ihr Swantje ihr eigenes Pferd für die Reitstunde zur Verfügung. Da das Pferd lustlos ging, forderte der Reitlehrer Gesine auf, die Gerte einzusetzen. Daraufhin buckelte das Pferd und warf Gesine ab. Diese wurde schwer verletzt und verlangt daraufhin Schadensersatz und Schmerzensgeld von Swantje als Tierhalterin. Mit Recht? Literatur: BGH NJW 1992, 2474; Larenz/Canaris, § 84 II; Medicus, SchuldR II, Rn. 870 ff.