Baby-Fernsehen als IGeL

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Baby-Fernsehen als IGeL
Baby-Fernsehen als IGeL
Abrechnungs- und haftungsrechtliche Aspekte
Yvonne von Harder
Heute möchten fast alle werdenden Eltern ihr ungeborenes Kind
während der Schwangerschaft öfter per Ultraschall sehen als es die
Mutterschaftsrichtlinien vorsehen oder die medizinische Indikation
gebietet. Gynäkologen, die GKV-Patientinnen diese UltraschallLeistung – salopp auch Baby-Fernsehen genannt – anbieten, haben
spezielle abrechnungs- und haftungsrelevante Aspekte zu beachten. Welche das im Einzelnen sind, erläutert dieser Beitrag.
Gesetzlich Krankenversicherte haben
Anspruch auf Krankenbehandlung,
wenn sie notwendig ist, um eine
Krankheit zu erkennen, zu heilen,
ihre Verschlimmerung zu verhüten
oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§§ 2, 12 SGB V). Der Leistungsumfang der GKV umfasst gemäß
§§ 28 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V diejenige Versorgung, die nach den Regeln
der ärztlichen Kunst zweckmäßig und
ausreichend ist sowie das Maß des
Notwendigen nicht überschreitet. Da
das so genannte Baby-Fernsehen allein auf Wunsch der Mutter bzw. der
werdenden Eltern erfolgt, handelt es
sich dabei um eine Leistung, die über
den Leistungskatalog der GKV hinausgeht. Nach Einführung der Budgetierung 1993 und einer Veröffentlichung der KBV über „individuelle
Gesundheitsleistungen“ (IGeL) werden derartige Leistungen vermehrt
von Patienten nachgefragt und von
Ärzten als IGeL angeboten (s. Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer,
Deutsches Ärzteblatt 2.6.2006). Für
die Frage, was als IGeL angeboten
und abgerechnet werden darf, gibt es
keine verbindliche Liste, sondern lediglich Empfehlungen und Vorschläge von ärztlichen Fachverbänden,
kommerziellen Anbietern und KVen.
Das Baby-Fernsehen wird in solchen
Listen regelmäßig als IGeL ausgewiesen, die definitionsgemäß (s. Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer, aaO)
n nicht zum Leistungsumfang der
GKV gehört,
n dennoch von Patientinnen nachgefragt wird und
n ärztlich empfehlenswert oder – je
nach Intensität des Patientenwunsches – zumindest ärztlich vertretbar ist.
Aufklärung jeder Patientin
individuell
Grundsätzlich gestattet die Berufsordnung dem Arzt, seine Patienten
unaufgefordert über IGeL zu unterrichten, wobei diese Information
dem Berufsrecht Rechnung tragen
muss. Für so genannte Luxusmedizin
wie das Baby-Fernsehen ist weniger
§ 11 Abs. 2 MBO (Muster-Berufsordnung) relevant, der sich mit dem Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung
des Vertrauens von Patienten beschäftigt (vgl. Ratzel, Lippert,
Komm. zur MBO, 4. Aufl. § 11 Rz. 2),
sondern vielmehr § 27 MBO, der anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung untersagt. Sachliche
berufsbezogene Informationen sind
jedoch gestattet (BVerfG NJW 2000,
2735). Der Arzt unterliegt dabei einem berufsspezifischen Sachlichkeitsgebot, das eine den Patienten
verunsichernde, anpreisende oder
marktschreierische Werbung, Übertreibungen, die Verwendung von Superlativen, eine Alleinstellung, vollmundige Selbstanpreisungen etc.
verbietet (Kleine-Cosack, NJW 2003,
870 unter Hinweis auf BVerfG MedR
1986, 128: „International anerkannter Frischzellentherapeut“, „bahn-
brechende ärztliche Leistungen“;
BGH, NJW 1997, 2679: „Die besten
Ärzte“). Der Arzt soll informieren,
sich aber nicht dem – ohnehin um
seine Gesundheit bangenden – Adressaten seiner Werbung aufdrängen
(Kleine-Cosack, aaO). Die Information über das Baby-Fernsehen muss
daher so erfolgen, dass sie die Patientin nicht verunsichert oder verängstigt, nicht zur Inanspruchnahme
der Leistung drängt, den Leistungsumfang der GKV nicht pauschal als
unzureichend abwertet und keine falschen Erwartungen weckt.
Unabhängig von eventuell ausgelegtem Informationsmaterial, ist mit
jeder Patientin ein individuelles
Aufklärungsgespräch zu führen (§ 8
MBO), das unter haftungsrechtlichen
Gesichtspunkten dokumentiert werden sollte. Dabei sollte die Patientin
im Hinblick auf die berufs- und vertragsrechtlich geltenden Sorgfaltspflichten insbesondere darauf hingewiesen werden, dass es sich um keine medizinisch erforderliche Zusatzuntersuchung handelt.
PRAXIS + ÖKONOMIE
RECHT
Baby-Fernsehen –
eine ärztliche Leistung
Aus unternehmerischer Sicht liegt
die Überlegung nahe, die Aufgabe
vollständig an das Praxispersonal zu
delegieren und mit der Patientin –
vielleicht auch mit Blick und Hoffnung auf ein verringertes Haftungsrisiko – zu vereinbaren, dass sie keine irgendwie geartete berufliche
Leistung des Arztes in Anspruch
nehmen möchte. Das wäre jedoch
weder mit der Berufsordnung im Sinne einer unzulässigen Vermischung
ärztlicher und gewerblicher Tätigkeit
(§ 3 MBO) vereinbar, noch mit §§ 1,
4 GOÄ, wonach die Leistung vom
Arzt selbst oder unter seiner Aufsicht nach fachärztlicher Weisung zu
erbringen ist. Zudem wäre dies
auch steuerrechtlich unter verschiedenen Gesichtspunkten problematisch (Umsatz- und Gewerbesteuerpflichtigkeit sowie Risiko der „Infektion“ der Einkünfte aus ärztlicher
FRAUENARZT n 48 (2007) n Nr. 4
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PRAXIS + ÖKONOMIE
Tätigkeit durch gewerbliche Einkünfte; s. zur Umsatzsteuerpflicht
auch Pudell, FRAUENARZT 47,
1/2006, S. 68). Auch, wenn es sich
um eine medizinisch nicht erforderliche IGeL handelt, ist das BabyFernsehen also vom Arzt selbst
durchzuführen. Eine Delegation auf
das Praxispersonal erscheint im Hin-
blick auf die Schwierigkeit einer Ultraschall-Untersuchung in keinem
Fall sachgerecht.
Haftungsrisiko für nicht
erkannte Fehlbildung
Sorgen bereitet sicher manchem Arzt
die Frage, ob er für das Nichterken-
nen einer Fehlbildung im Rahmen des
reinen Baby-Fernsehens haftbar gemacht werden kann (Schadensersatz
und Schmerzensgeld). Hier mag man
spontan auf die Idee kommen, die
Haftung für eine beim Baby-Fernsehen übersehene Unregelmäßigkeit
einfach auszuschließen. Die Vereinbarung eines solchen Haftungsaus-
Muster-Behandlungsvertrag
Vereinbarung einer privatärztlichen Behandlung /
Inanspruchnahme von individuellen Gesundheitsleistungen
Ich wünsche, bei
Frau Dr./ Herrn Dr. ___________________________________________________________________________
der Praxis Dres ______________________________________________________________________________
Fachärzte für Gynäkologie und Geburtshilfe
Adresse ____________________________________________________________________________________
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eine Privatbehandlung für eine Betrachtung meines ungeborenen Kindes mittels Ultraschall,
so genanntes Baby-Fernsehen, in Anspruch zu nehmen.
Mir ist bekannt, dass für das von mir gewünschte Baby-Fernsehen keine medizinische Notwendigkeit besteht.
Die Kosten des durchgeführten Ultraschalls können mit meiner Krankenkasse nicht abgerechnet werden.
Ich habe für die von mir gewünschte Behandlung auch keinen Anspruch auf Kostenerstattung dieser Leistung
gegenüber meiner Krankenkasse.
Diese Leistung wird privatärztlich liquidiert, die Kosten nach der GOÄ bzw. analog GOÄ Nr. 415 betragen ______ €.
Die Rechnung ist von mir zu bezahlen.
Eine Kopie dieser Vereinbarung habe ich erhalten.
Ort, Datum ________________________________________________________________________________
Name, Vorname _____________________________________________________________________________
Geburtsdatum ______________________________________________________________________________
Adresse ___________________________________________________________________________________
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Unterschrift ________________________________________________________________________________
Nicht vergessen: Bei IGel-Erbringung ist ein schriftlicher Behandlungsvertrag erforderlich.
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Man könnte sich auch auf den Standpunkt stellen, dass sich der intendierte Haftungsausschluss ohnehin
aus dem vereinbarten Vertragszweck
ergibt, und zwar mit der Begründung,
dass die IGeL von der werdenden
Mutter bzw. den werdenden Eltern
nur zum Betrachten des Kindes in Anspruch genommen wird. Dazu exemplarische Entscheidungen des BGH:
n Zur Vorbereitung einer orthopädischen Operation zogen die behandelnden Krankenhausärzte einen
niedergelassenen Gynäkologen als
Konsiliararzt hinzu, um das Bestehen
einer Schwangerschaft bei der Patientin abzuklären. Der BGH (NJW
2000, 1782) entschied, dass seine
Fehldiagnose auch dann keine Haftung des Krankenhausträgers ausgelöst hätte (für den Unterhaltsaufwand und den sonstigen, durch die
spätere Geburt eines Kindes veranlassten materiellen Schaden der Eltern), wenn sich die Eltern auf Grund
ihrer eigenen körperlichen Behinderungen bei Feststellung der Schwangerschaft zu einer rechtmäßigen Unterbrechung entschlossen hätten.
Denn der Schutz vor wirtschaftlichen
Belastungen durch die ungewollte Elternschaft sei nicht Gegenstand des
Behandlungsvertrags gewesen.
n Ebenfalls unter Hinweis auf den
vertraglich vereinbarten Schutzzweck entschied der BGH (NJW
2005, 891) in einem anderen Fall:
Die mit der Geburt eines durch Röteln-Erkrankung der Mutter schwer
geschädigten Kindes verbundenen
wirtschaftlichen Belastungen seien
nicht allein deshalb Gegenstand des
jeweiligen Behandlungsvertrags mit
dem Hausarzt oder seinem niederge-
lassenen Urlaubsvertreter, weil die
Patientin die Ärzte zur Abklärung
und Behandlung eines Hautausschlags aufgesucht und während der
Behandlung ihre Schwangerschaft
erwähnt habe.
Zum Schutzzweck eines Vertrags speziell bei Baby-Fernsehen ist derzeit
kein veröffentlichtes Urteil zu finden.
Es erscheint jedoch zweifelhaft, dass
sich der Arzt im Fall einer nichterkannten Fehlbildung ohne Weiteres
darauf berufen kann, nach dem Vertragszweck habe das Kind lediglich
„betrachtet“ werden sollen. Denn
eine IGeL ist eine ärztliche Leistung
und keine gewerbliche, weshalb ja
auch das Privileg der fehlenden
Umsatz- und Gewerbesteuerpflicht
greift. Worin bestünde aber die ärztliche Leistung, wenn es – bildlich gesprochen – nur zu einem Fototermin
käme?
Es ist daher anzunehmen, dass ein
zur Entscheidung berufenes Gericht
den Schutzzweck einer IGeL-Vereinbarung über Baby-Fernsehen dahingehend auslegen würde, dass jedenfalls auch eine diagnostische Leistung vereinbart wurde. Somit muss
derzeit davon ausgegangen werden,
dass der Arzt für das Übersehen erkennbarer Fehlbildungen haftet. Wer
Baby-Fernsehen als IGeL anbietet,
sollte daher allen erkennbaren
Hinweisen auf Entwicklungsstörungen nachgehen und die Untersuchung zur eigenen Entlastung
genau dokumentieren.
werden, der für das Baby-Fernsehen
eine Abrechnung analog GOÄ Nr. 415
vorsieht.
Schriftliche Einverständniserklärung bzw. Behandlungsvertrag
Gemäß § 18 Abs. 8 Nr. 3 Bundesmantelvertrag (BMV-Ä) bzw. § 21
Abs. 8 Nr. 3 Arzt-/Ersatzkassenvertrag (AEKV) setzt die Privatliquidation einer IGeL voraus, dass
n der Patient vor der Behandlung
ausdrücklich verlangt, auf eigene
Kosten behandelt zu werden,
n er auf die Pflicht zur Zahlung hingewiesen wird und
n er sein Einverständnis schriftlich
erklärt.
Anders als bei klassischen Privatpatienten ist bei der Privatbehandlung eines GKV-Mitgliedes vor Leistungserbringung zudem gemäß § 3
Abs. 1 BMV-Ä, § 2 AEKV ein schriftlicher Behandlungsvertrag zu schließen (s. Abb. S. 405). Er muss den
ausdrücklichen Wunsch des Patienten
enthalten, bestimmte IGeL zu erhalten (siehe auch OLG Köln Az. 7 U
205/87).
PRAXIS + ÖKONOMIE
schlusses würde einer rechtlichen
Überprüfung aber kaum stand halten.
Einer solchen Haftungsbeschränkung
dürften schon die Standesregeln, jedenfalls aber das Gebot von Treu und
Glauben sowie die Vorschriften für
Allgemeine Geschäftsbedingungen
entgegenstehen (Deutsch, NJW
1983, 1351).
Abrechnung nach GOÄ
IGeL sind nach der GOÄ zu liquidieren, d.h. die Liquidation muss sich
im Gebührenrahmen der GOÄ bewegen (§ 5 GOÄ). Pauschale Honorarvereinbarungen sind unzulässig (BGH
III ZR 223/05).
Hinsichtlich des Baby-Fernsehens bei
Nicht-Risiko-Schwangerschaften soll
beispielhaft auf den IGeL-Katalog der
Kassenärztlichen Vereinigung Bayern
(KVB), Stand Januar 2006 verwiesen
Autorin
Yvonne von Harder
Rechtsanwältin und Ärztin
Rechtsanwälte Ulsenheimer /
Friederich
Maximiliansplatz 12
80333 München
E-Mail [email protected]
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