IGeL-Ratgeber (pdf - 3 509 kB)
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Selbstzahlerleistungen in der Praxis Hinweise zum seriösen IGeLn Inhaltsverzeichnis IGeLn mit Anstand – Eine Einleitung ins Thema. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die 10 Gebote guten IGeLns. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 IGeL-Marketing Arztgespräch, ja. Verkaufsschau, nein! .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 IGeL-Vereinbarung Schriftliche Einwilligung nicht vergessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 IGeL-Rechnung Korrekt abrechnen mit der GOÄ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 IGeL aus Patientensicht Zusatzangebot oder „Wegelagerei“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 So geht es auch - Gelungenes IGeL-Marketing aus Patientensicht . . . . . . . . . . . . . . . 18 Fragen und Antworten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Patienten-Erklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Gastbeiträge Dr. Stefan Bodanowitz: Was ist eigentlich medizinisch sinnvoll?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Dr. Thomas Liebsch: IGeL – eine Frage der Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Dr. Günter Spatz und Dr. Mathias Wiesner: Arzt und Verkäufer – kein unauflöslicher Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Dr. Jörg Hermann: Das Prinzip „Inverses IGeLn“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Dr. Andreas Umlandt: Erfahrungsmedizin zum Wohle des Individuums. . . . . . . . . . . 19 Ein Heft rund ums IGeLn - warum das? Die Gesetzliche Krankenversicherung ist darauf ausgerichtet, all das zu finanzieren, was im Sinne des Sozialgesetzbuches (SGB V) „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ ist. Doch die Medizin bleibt nicht stehen. Die Zahl der Untersuchungs- und Behandlungsmethoden wächst kontinuierlich. Gleichzeitig lässt sich nicht gerade von einer neuen Bescheidenheit der Patienten sprechen. Ganz im Gegenteil: Auch das Anspruchsdenken nimmt zu. eine bestmögliche Diagnostik und Therapie, selbst wenn sie etwas kosten. Diese Diskrepanz zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot des Arztes und der Erwartungshaltung des Patienten ist nicht leicht auszuhalten. Ein Ausweg sind individuelle Vereinbarungen zwischen Arzt und Patient, die über das Sachleistungsprinzip hinausgehen. Wir sprechen von den Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL). Deshalb haben wir für Sie alle relevanten Informationen und Regelungen in einem Heft zusammengetragen. Und weil die Lektüre von Richtlinien und Paragrafen sehr langwierig sein kann, haben einige Ihrer Kollegen zu diversen Aspekten rund ums IGeLn einen persönlichen Standpunkt verfasst. Daneben kommen auch Patienten zu Wort. Diese Aufgabe hat die Unabhängige Patientenberatung Bremen (UPB) übernommen. Leider schafft es das Thema in regelmäßigen Abständen in die Gazetten und ins Fernsehen. Es wird kritisch berichtet, bestenfalls kontrovers. Ob die Kritik im Einzelfall berechtigt ist oder nicht, sei dahingestellt. Bei der Berichterstattung kommt ein Aspekt in der Regel zu kurz: Informierte und anspruchsvolle Patienten haben das gute Recht auf An dieser Stelle setzt die Broschüre an, die Sie in Händen halten. Dies ist kein Werbeheftchen oder Verkaufsprospekt, das Ihnen verrät, wie höhere Erlöse zu erzielen sind. Es geht lediglich darum aufzuzeigen, welche Regeln von Vertragsärzten und Psychotherapeuten einzuhalten sind, die sich für ein IGeL-Angebot in ihrer Praxis entscheiden. Werfen Sie ein Blick in dieses Heft. Vielleicht erfahren Sie auf der einen oder anderen Seite etwas Nützliches. Dann hätte sich die Arbeit an der Broschüre gelohnt. Ihre Dr. Jörg Hermann, Vorsitzender der KV Bremen Günter Scherer, Stellv. Vorsitzender der KV Bremen 4 IGeLn mit Anstand Eine Einleitung ins Thema Kein Bereich in der ambulanten Versorgung wird so kontrovers diskutiert und so kritisch hinterfragt wie die IGeL. Das Imageproblem ist zum Teil hausgemacht. Und nur die Anwender selbst können für einen Umschwung sorgen. „Achtung, IGeL!“ und „Überrumpelt im Sprechzimmer“: Das sind zwei markante Schlagzeilen, mit der so genannte Leitmedien wie die Süddeutsche Zeitung oder die Welt ihre Berichte über IGeL im ersten Halbjahr 2012 überschrieben haben. In regelmäßigen Abständen finden sich kritische Berichte in Printmedien und im Rundfunk. Ein Dauerbrenner also. In diesem Jahr wurde dieses Thema zusätzlich befeuert durch die Einführung des IGeL-Monitors der Krankenkassen – ein Internetportal, das IGeL bewertet und in vielen Fällen zu wenig schmeichelhaften Ergebnissen kommt – sowie die Diskussion um das Patientenrechtegesetz. Und die Ärzteschaft? Was tut sie? Mit lauter Empörung und dem Ruf nach Gegendarstellung reagieren Verbände häufig auf kritische Berichterstattung – möglicherweise in der Annahme, ihre Mitglieder würden dies von ihnen erwarten. Zugegeben, sachliche Berichte, deren Verfasser die Patientenbrille zeitweise ablegen, um auch die ökonomische Situation in den Arztpraxen oder das Spannungsverhältnis zwischen Erwartungshaltung der Patienten und der Wirtschaftlichkeitsdoktrin der Gesetzlichen Krankenversicherung zu beleuchten, finden sich nur wenige. Wer allerdings dagegen wettert, ist schlecht beraten. Das weiß jeder zweitklassige PRManager. Dabei war es die Ärzteschaft selbst, die schon vor Jahren das rechte Mittel gefunden hat, um dem schlechten Image der IGeL zu begegnen. 2006 wurden auf dem Ärztetag in Magdeburg mit großer Mehrheit die so genannten zehn Gebote guten IGeLns angenommen. Bemerkenswert ist, dass es an einem kritischen Eingeständnis nicht fehlt: „Nur ein seriöses Anbieten individueller Gesundheitsleistungen kann das für den Erfolg jeder Heilbehandlung unverzichtbare Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten erhalten. Daher muss in jedem Falle den Anforderungen des Berufsrechts Rechnung getragen werden, das eine gewissenhafte Versorgung mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gebietet (§ 11 Abs. 1 MBO) und es verbietet, diagnostische oder therapeutische Methoden unter missbräuchlicher Ausnutzung des Vertrauens, der Unwissenheit, der Leichtgläubigkeit oder der Hilflosigkeit von Patientinnen und Patienten anzuwenden (§ 11 Abs. 2 MBO).“ Definition Was bedeutet „IGeL“? IGeL sind Leistungen, die nicht zum Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Folgerichtig übernehmen Krankenkassen die Kosten nicht. IGeL sind aus Sicht des Arztes oder Psychotherapeuten medizinisch empfehlenswert oder zumindest vertretbar. IGeL müssen Patienten wünschen bzw. ausdrücklich zustimmen. Und hier liegt der Kern: Wer seriös igelt, muss sich nichts vorwerfen (lassen) - weder von den Medien, noch von Kollegen oder gar seinen eigenen Patienten. Diejenigen, die es nicht tun, schädigen auf lange Sicht nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Kollegen, die sie in Sippenhaft nehmen. Deshalb kann es nur heißen: Jeder verantwortungsvolle Arzt oder Psychotherapeut bietet seinen Patienten nur die Leistungen an, von denen er überzeugt ist und 5 die aus seiner Sicht zum Behandlungserfolg beitragen können. Gleichzeitig akzeptiert der Behandler, dass der aufgeklärte Patient zu einer IGeL auch Nein sagen kann. Ein Nachteil darf dem Patienten aus der Ablehnung nicht erwachsen. Jeder Arzt oder Psychotherapeut, der mit seinen Patienten über IGeL spricht, ist aus eigenem Interesse daran gehalten, die zehn Gebote zu beachten. Besonders wichtig sind die unaufdringliche und sachliche Beratung sowie eine schriftliche Vereinbarung. Wenn der Behandler der Meinung ist, dass eine IGeL in Frage kommt, hat er das seinem Patienten zu erläutern. Diese Aufgabe kann er nicht delegieren. Der Arzt oder Psychotherapeut muss seinem Patienten Bedenkzeit einräumen, er darf ihn nicht drängen oder gar falsche Erwartungen hinsichtlich des Behandlungserfolges wecken. Und der Arzt bzw. Psychotherapeut ist verpflichtet, über die zu erwartenden Behandlungskosten aufzuklären. Der Patient erhält zum Schluss eine Rechnung auf Grundlage der GOÄ. Nun mag der eine oder andere anmerken, dass diese Spielregeln stellenweise schwammig formuliert sind und mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten: Wie intensiv muss der Patient aufgeklärt werden? Wann ist die Bedenkzeit angemessen und wann nicht? Ein gänzlich durchdekliniertes System kann allerdings wohl kaum im Interesse der Behandler liegen. Ein gewisser Spielraum kann und sollte von jedem individuell und verantwortungsvoll gefüllt werden – freilich nur unter diesem Credo: „IGeln“ Sie, wenn Sie es für richtig halten. Und „IGeln“ Sie mit Anstand! Die TOP-10 der IGeL Angebot und Nachfrage Arztseitig angebotene, patientenseitig nachgefragte und tatsächlich durchgeführte IGeL in den vergangenen zwölf Monaten (in Prozent). AugeninnendruckMessung 40,4 7,7 35,9 Ultraschall 24,6 6,0 18,9 Verordnung 18,1 14,1 20,0 Krebsfrüherkennung 14,8 6,5 14,8 Blutuntersuchung/ Laborleistung 14,6 9,7 12,6 Alternative Heilmethoden 6,8 3,8 8,8 Knochendichtemessung 5,7 4,2 6,0 Reisemedizin 4,5 8,8 6,7 Vitamin-/ Aufbauspritzen 3,5 2,2 4,2 Zusatzdiagnostik in der Schwangerschaft 2,2 0,8 1,7 Arztangebot Patientannachfrage durchgeführte IGeL Versichertenbefragung: Individuelle Gesundheitsleistungen und Leistungsbegrenzungen aus: Dt. Ärztebl., Jg. 106, Heft 26, 26. Juni 2009 6 10 Gebote guten IGeLns Der Deutsche Ärztetag hat bereits 2006 Empfehlungen verabschiedet, die Ärzten dabei helfen sollen, Selbstzahlerleistungen seriös und verantwortungsvoll anzubieten. Diese Hinweise sind bekannt geworden als die 10 Gebote des guten IGeLns. 1. Sachliche Information Sachliche Informationen über das jeweilige Angebot individueller Gesundheitsleistungen sind zulässig. Sie dürfen den Leistungsumfang der GKV nicht pauschal als unzureichend abwerten. Unzulässig sind marktschreierische und anpreisende Werbung und eine Koppelung sachlicher Informationen über individuelle Gesundheitsleistungen mit produktbezogener Werbung. Individuelle Gesundheitsleistungen dürfen nicht aufgedrängt werden. Gleiches gilt, wenn die Information durch das Praxispersonal erfolgt. 2. Zulässige Leistungen Das Angebot individueller Gesundheitsleistungen muss sich beziehen auf Leistungen, die entweder notwendig oder aus ärztlicher Sicht empfehlenswert bzw. sinnvoll, zumindest aber vertretbar sind. Es darf sich nicht um gewerbliche Dienstleistungen handeln. 3. Korrekte und transparente Indikationsstellung Bei Leistungen, die bei entsprechender Indikation als Leistungen der GKV zu erbringen sind, besteht eine besondere Verantwortung, eine etwaige Indikation korrekt und zugleich transparent zu stellen. Das gilt insbesondere deshalb, weil oftmals keine klare Grenzziehung möglich ist und weil Patientinnen und Patienten ohne transparente Darlegung der Indikationsstellung deren Richtigkeit kaum überprüfen und nicht eigenverantwortlich über die Inanspruchnahme einer individuellen Gesundheitsleistung entscheiden können. 4. Seriöse Beratung Jegliche Beratung im Zusammenhang mit individuellen Gesundheitsleistungen muss so erfolgen, dass die Patientin oder der Patient nicht verunsichert oder gar verängstigt wird, dass nicht zur Inanspruchnahme einer Leistung gedrängt wird und dass keine falschen Erwartungen hinsichtlich des Erfolges einer Behandlung geweckt werden. 5. Aufklärung Die erforderliche Aufklärung richtet sich nach den für die Patientenaufklärung generell geltenden Regeln. Bei Leistungen, die nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen, muss umfassend über mögliche Alternativen sowie darüber aufgeklärt werden, warum eine Behandlung mit nicht anerkannten Methoden in Betracht zu ziehen ist. Eine besondere ärztliche Darlegungslast besteht bei Leistungen, die durch Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind oder die aus ärztlicher Sicht nicht als empfehlenswert oder sinnvoll zu betrachten sind. Im übrigen besteht eine Pflicht zur wirtschaftlichen Aufklärung über die zu erwartenden Behandlungskosten. 6. Angemessene Informations- und Bedenkzeit Das Recht der Patientinnen und Patienten, eine Zweitmeinung einzuholen, muss nicht nur respektiert werden, ggf. sollten sie sogar aktiv auf diese Möglichkeit hingewiesen werden. Ebenfalls sollten sie darüber informiert werden, dass sie leistungsrechtliche Fragen ggf. mit ihrer Krankenkasse oder mit Dritten klären können. Dem Patienten und der Patientin muss vor Abschluss des Behandlungsvertrages eine der Leistung angemessene Bedenkzeit gewährt werden. 7. Schriftlicher Behandlungsvertrag Für den Fall, dass individuelle Gesundheitsleistungen von Vertragsärzten gegenüber gesetzlich Krankenversicherten erbracht werden, schreibt der Bundesmantelvertrag einen schriftlichen Behandlungsvertrag zwingend vor. Er sollte die Leistungen anhand von Gebührenpositionen der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) konkretisieren und den Steigerungssatz festlegen sowie den aus- 7 drücklichen Hinweis enthalten, dass die Leistungen mangels Leistungspflicht der GKV privat zu honorieren sind. Ein solcher Behandlungsvertrag sollte auch in Fällen geschlossen werden, in denen er nicht zwingend vorgeschrieben ist. Ärztinnen und Ärzte müssen die Grenzen ihres jeweiligen Fachgebiets auch bei Erbringen individueller Gesundheitsleistungen beachten. Qualitätsanforderungen der GKV sind zu beachten, wenn sie zugleich dem medizinischen Standard entsprechen. 8. Koppelung mit sonstigen Behandlungen 10. GOÄ-Liquidation Von Ausnahmen abgesehen sollten individuelle Gesundheitsleistungen nicht in Zusammenhang mit Behandlungsmaßnahmen zu Lasten der GKV, sondern grundsätzlich davon getrennt erbracht werden. Die Rechnungsstellung bezüglich individueller Gesundheitsleistungen erfolgt nach allgemeinen Regeln. Dementsprechend ist Grundlage für die Behandlungsabrechnung ausschließlich die GOÄ. Pauschale Vergütungen sind unzulässig. 9. Einhaltung von Gebietsgrenzen und Qualität Was ist eigentlich medizinisch sinnvoll? Dr. Stefan Bodanowitz, Augenarzt IGeL sollten medizinisch sinnvolle Angebote sein, die dem Patienten nützen. Das klingt sehr eindeutig. Schwieriger wird es, wenn wir uns fragen, was unter „medizinisch sinnvoll“ genau zu verstehen ist – gibt es doch keine objektive Definition: Die Mehrzahl ärztlicher Maßnahmen lässt sich nicht als 1:1-Anwendung naturwissenschaftlicher Kausalität auf den Einzelfall Patient verstehen. So gibt es für viele wirksame diagnostische und therapeutische Akte keine klare Evidenzbasis bzw. müsste man bei medizinischen Innovationen viele Jahre abwarten, bis die Wirksamkeit bewiesen ist. Innovationen müssen, wenn der hier und jetzt betroffene Patient von ihnen profitieren soll, oft auf der Basis von Intuition und Erfahrung angewendet werden („ärztliche Kunst“). Außerdem ist die Definition des medizinisch Sinnvollen von kulturellen und ökonomischen Bedingungen abhängig, vor allem von der Psychologie der Begegnung zwischen Arzt und Patient. War Krankheit früher ein Schicksal, das man akzeptieren musste und das der Arzt oftmals (nur) als empathischer Helfer begleitete, so wird heute erwartet, dass er Leiden nicht lindert, sondern jedes Leiden beseitigt, in letzter Konsequenz auch die Sterblichkeit des Menschen. Unter der Prämisse „Alles muss möglich sein“ weitet sich die Vorstellung vom medizinisch Sinnvollen aus. Das kann im ungünstigen Fall zu einem teuren diagnostischen und therapeutischen Aktionismus führen. Es gehören Mut, Problembewusstsein und persönliche Reife dazu, um an einem gewissen Punkt der Eigendynamik dieses Prozesses zu widerstehen. Hinzu kommt die ökonomische Dimension der medizinischen Angebote. „Medizinisch sinnvoll“ für den einzelnen Patienten darf nicht mit „betriebswirtschaftlich sinnvoll“ für den Anbieter verwechselt oder gleichgesetzt werden. Das gilt allerdings – was oft übersehen wird – keineswegs vorwiegend für IGeL, sondern für alle diagnostischen und therapeutischen Akte auf allen Versorgungsebenen. Also, was ist nun „medizinisch sinnvoll“? Konsens bleibt sicher, dass medizinisch sinnvolle Maßnahmen zumindest mit einer naturwissenschaftlich belastbaren Wirksamkeitshypothese unterlegt sein müssen und es eine Abgrenzung der ärztlichen Heilkunde von Schamanen, Gurus und irrationalem Gesundheitsglauben geben muss. Ob aber die Gemeinschaft der gesetzlich Versicherten einzelne medizinisch sinnvolle Leistungen als „notwendig“ definiert und andere als IGeL, bleibt Gegenstand einer relativ beliebigen Vereinbarung. 8 IGeL – eine Frage der Beziehung Dr. Thomas Liebsch Hausarzt Herr M. möchte in den Urlaub fahren und eine Beratung über Impfungen, die 22-jährige K. möchte sich einmal „richtig durchchecken lassen“, die 70-jährige L. hätte gerne eine „Aufbauspritze“ – hier wird keine Krankheit behandelt, hier handelt es sich nicht um Vorsorgeleistungen der GKV, sondern um Wunschleistungen des Patienten, die er selbstverständlich selber bezahlen muss. Ist eine PSA-Bestimmung notwendig, wie oft muss man eine Augendruckmessung machen, was sagt die angebotene Premiumvorsorge mehr aus, als die gesetzliche Vorsorge, muss ich eine besondere Linse bei der Katarakt-OP nehmen, muss eine Augen-CT-Untersuchung auf meine Kosten gemacht werden, muss ich extra ein Vaginal-Sono machen? Das sind Fragen, die der Patient aus seinem Wissen schwer entscheiden kann. Die Entscheidung wird üblicherweise sofort gefordert, die Beratung erfolgt meist durch die Medizinische Fachangestellte, der Informationsgehalt ist oft gering. Der Berater in diesen Fragen ist gleichzeitig der Verkäufer und damit der Nutznießer. Der Patient steht in dem Dilemma, seinem vertrauten Arzt eine von ihm angebotene Leistung abzuschlagen oder sie zu kaufen. Wenn er ihm voll vertraut, muss er sie eigentlich annehmen, da der Arzt ihm ja nur etwas vorschlagen wird, was auch wirklich eine deutliche Verbesserung seiner Versorgung bedeutet. Schlägt er sie ab, da er hinter dem Angebot eher den pekuniären Vorteil für seinen Arzt sieht, so zweifelt er an dem Vertrauensverhältnis, was für ihn mit einer Störung der Beziehung einhergeht, aber auch für den Arzt möglicherweise zu einer Störung der Arzt-Patientenbeziehung führen kann. Ist dieses Vertrauen erst gestört und erlebt der Patient zunehmend, dass eine Vielzahl von Ärzten, die ihn behandeln, ihm mehr oder weniger forciert Leistungen anbieten, die er selber zahlen soll, wird sich zunehmend das Bild des auf seinen finanziellen Vorteil orientierten Arztes breit machen. Dann ist eine wesentliche Facette des Arztbildes unwiderruflich zerstört: Dass das Wohl des Patienten höchste Priorität in der Versorgung hat, in der Ärzte eine nicht immer gute, aber doch ausreichend gute Bezahlung erhalten. 9 IGeL-Marketing Arztgespräch, ja. Verkaufsschau, nein! Eine Branche mit Consulting-Agenturen und Anbietern von Marketingkursen lebt mittlerweile vom Beratungsgeschäft rund um IGeL. Ärzte und Psychotherapeuten sollten die Empfehlungen allerdings mit Bedacht umsetzen. Seriöses IGeLn bedeutet, Regeln und Grenzen einzuhalten, von denen die Marktschreier aus der Beraterszene nichts erzählen. Von manchem Hardliner ist zu hören, Ärzte bzw. Psychotherapeuten dürften ihre Patienten niemals von sich aus auf ein IGeL-Angebot ansprechen. Eine solche rigorose Regelung findet sich allerdings nirgends. So sind beispielsweise Aufsteller in der Praxis oder Hinweise auf das IGeL-Angebot auf der Homepage durchaus statthaft. Allerdings gibt es sehr wohl Grenzen für die Patientenansprache. So findet sich auch in den vom Deutschen Ärztetag 2006 verabschiedeten „10 Geboten“ eine deutliche Ablehnung „marktschreierischer und anpreisender Werbung und eine Kopplung sachlicher Informationen über individuelle Gesundheitsleistungen mit produktbezogener Werbung“. Kurzum: Der Arzt oder Psychotherapeut darf seine Patienten informieren, er darf sein Angebot allerdings nicht aufdrängen. Dies gilt im Übrigen auch für das Praxispersonal. Vor der Behandlung muss der Patient ausführlich informiert werden, so dass er auch von dem Angebot zurücktreten kann. Ein Arztgespräch im Vorfeld ist also zwingend. Das schlechte Image der IGeL liegt zu einem guten Stück in fehlender oder mangelhafter Aufklärungsarbeit in den Praxen begründet. In regelmäßigen Abständen berichten Medien von aufgebrachten Patienten, die von den Extrakosten böse überrascht wurden. Ein Informationsgespräch ist also im Interesse des behandelnden Arztes, allein um Missverständnisse im Keim zu ersticken und etwaigen Folgeproblemen vorzubeugen. Zwar unterliegen IGeL nicht der Aufsicht der Kassenärztlichen Vereinigung. KV und Ärztekammer müssen allerdings aktiv werden, wenn Beschwerden von Patienten oder Krankenkassen eingehen, die die Einhaltung vertragsärztlicher oder berufsrechtlicher Pflichten betreffen. Diese sind verletzt, wenn der Aufklärungsverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Die Inhalte eines solchen Aufklärungsgesprächs sind in mehreren Stellen im SGB V und im Bundesmantelvertrag-Ärzte festgehalten. Der Arzt oder Psychotherapeut darf keine falschen Erwartungen hinsichtlich des Behandlungserfolgs wecken. Er muss darlegen, warum er die IGeL für sinnvoll bzw. wenigstens als vertretbar erachtet. Welche Leistun- TIPP Das gehört in ein Beratungsgespräch →→ Über Leistungsumfang der GKV aufklären →→ IGeL medizinisch einordnen, keine falschen Erwartungen wecken →→ Über Kosten aufklären, auch darüber, dass die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen →→ Angemessene Bedenkzeit einräumen →→ Auf Rücktrittsrecht hinweisen gen nicht vertretbar sind, liegt allein im Ermessen eines jeden Arztes bzw. Psychotherapeuten. Eine Negativliste, wie sie noch 2005 auf dem Deutschen Ärztetag diskutiert wurde, gibt es nicht. Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen hat allerdings unlängst eine vielbeachtete Internetseite (www.igel-monitor.de) ins Leben gerufen, auf der IGeL in Kategorien wie positiv, unklar oder schädlich eingestuft werden. Zwingender Bestandteil des Beratungsgesprächs ist die Aufklärung darüber, dass die IGeL nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Leistung ist und deshalb privat zu zahlen ist. Der Vertragsarzt bzw. -psychotherapeut muss ebenfalls darlegen, welche 10 vergleichbaren Leistungen durch die Gesetzliche Krankenversicherung übernommen werden und ohne Zuzahlung vom Patienten beansprucht werden könnten. Die Informationspflicht bezieht sich insbesondere auch darauf, dass eine vollständige oder auch teilweise Beteiligung der Krankenkasse nicht in Betracht kommt. Dem Patienten muss also klar vermittelt werden, dass er die Kosten vollständig zu tragen hat. Es ist ausdrücklich nicht statthaft, IGeL den Versicherten dadurch „schmackhaft“ zu machen, dass eine Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse angedeutet oder gar in Aussicht gestellt wird. Der Arzt oder Psychotherapeut ist verpflichtet, über die zu erwartenden Behandlungskosten aufzuklären. Am Ende des Gesprächs sollte deutlich sein, dass es der Patient ist, der die Behandlung ausdrücklich wünscht. Den Wunsch nach Privatbehandlung muss er vor Beginn der Behandlung schriftlich erklären (siehe folgendes Kapitel). alle bei Hausarzt bei Facharzt 91 80 75 24 19 ja Eine entsprechende Verpflichtung steht in den Bundesmantelverträgen. Aber auch aus Beweisgründen ist jeder Arzt bzw. Psychotherapeut gut beraten, eine schriftliche Erklärung des Patienten einzufordern. Vor der Behandlung ist dem Patienten eine „angemessene Bedenkzeit“ zu gewähren. Was angemessen ist und was nicht, wird allerdings an keiner Stelle spezifiziert. Von der Politik wird immer wieder eine verbindliche Wartefrist von 24 Stunden thematisiert. Im Patientenrechtegesetz, ist davon allerdings nichts zu lesen. Für das Praxismanagement leiten sich also keine konkreten Vorgaben ab. Im Sinne eines reibungslosen und stressfreien Ablaufs sollte den Patienten lieber mehr als zu wenig Bedenkzeit eingeräumt werden. IGeL-Beratung und Leistungserbringung sind, wenn möglich, zeitlich voneinander zu trennen. nein alle 8 nein ja Männer ja nein Frauen 74 64 61 39 36 ja nein 26 ja nein ja nein Umfrage: Hatten Sie ausreichend Bedenkzeit? Versichertenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) 9/2011 (Angaben in Prozent) Umfrage: Haben Sie ein IGeLAngebot von ihrem Arzt bekommen und angenommen? Versichertenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) 9/2011 (Angaben in Prozent) 11 IGeL-Vereinbarung Schriftliche Erklärung nicht vergessen Über die Details streiten sich Medizinjuristen. Eines steht allerdings fest: Eine Privatliquidation setzt immer eine schriftliche Einwilligungserklärung des Patienten voraus. Anders formuliert: Ohne Patientenunterschrift keine IGeL. Im Bundesmantelvertrag Ärzte ist von „schriftlicher Zustimmung“ die Rede (§ 18 Abs. 8 Nr. 2 BMV-Ä), wenn es um die privatärztliche Behandlung eines Kassenpatienten durch einen Vertragsarzt geht. In der gleichen Vorschrift an anderer Stelle ist von einem schriftlichen Behandlungsvertrag die Rede (§ 3 Abs. 1 BMV-Ä). Diese Kollision macht nur Juristen Freude, Ärzte und Psychotherapeuten bleiben fragend zurück. Was gilt nun? Durchgesetzt hat sich folgende Position: Ausreichend ist eine schriftliche Einverständniserklärung des Patienten zur privatärztlichen Behandlung. Was in eine solche Patientenerklärung hineingehört ist eindeutig und im Idealfall ein Spiegel des vorausgegangenen Arztgespräches. Die Einverständniserklärung muss dokumentieren, dass der Patient eine privatärztliche Behandlung wünscht und auch darum weiß, dass es sich um eine Leistung handelt, die nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung ist. Die Vereinbarung zwischen Behandler und Patient muss den Hinweis beinhalten, dass die anfallenden Kosten weder ganz noch teilweise von der Krankenkasse erstattet werden und im vollen Umfang zu tragen sind. Bestandteil ist außerdem Art und Umfang der Leistungen, auch die voraussichtlich anfallenden Kosten für die Behandlung nach GOÄ. Der Deutsche Ärztetag 2011 in Kiel hat diese Punkte in die Musterberufsordnung aufnehmen lassen. Im entsprechenden Paragrafen heißt es: „Vor dem Erbringen von Leistungen, deren Kosten erkennbar nicht von einer Krankenversicherung oder einem anderen Kostenträger erstattet werden, müssen Ärztinnen und Ärzte die Patientinnen und Patienten schriftlich über die Höhe des nach der GOÄ zu berechnenden voraussichtlichen Honorars sowie darüber unterrichten, dass ein Anspruch auf Übernahme durch eine Krankenversicherung oder einen Kostenträger nicht gegeben oder nicht sicher ist.“ (§ 12, Abs. 4, MBO-Ä) Mitunter wird die Auffassung vertreten, dass in eine IGeL-Vereinbarung der spätere Betrag mit Aufführung aller GOÄ-Positionen samt Steigerungsfaktoren aufgeführt werden muss – die Vereinbarung gewissermaßen das Spiegelbild Musterformular der späteren Rechnung ist. Eine solche auf Seite 23 Verpflichtung gibt es allerdings nicht. Im oben zitierten Paragrafen der Musterberufsordnung wurde explizit die Formulierung „voraussichtlich“ gewählt, die sich auch an anderen Stellen wiederfindet. Kurzum: Relevante GOÄ-Positionen können in der IGeL-Vereinbarung aufgeführt werden – müssen aber nicht. Eine ungefähre Gesamtsumme ist allerdings zu nennen. Das gehört in die schriftliche Vereinbarung →→ Angabe der voraussichtlichen Honorarhöhe in Euro →→ Erklärung, dass die Behandlung Patientenwunsch ist →→ Aufklärung darüber, dass die Behandlung nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung ist →→ Aufklärung darüber, dass kein Anspruch auf Kostenerstattung besteht 12 IGeL-Rechnung Korrekt abrechnen mit der GOÄ Es wird hin und wieder in Zweifel gezogen, dass die GOÄ für IGeL zur Anwendung kommt. Dabei ist die Rechtslage eindeutig: GOÄ gilt, eine pauschalisierte Rechnung ist nicht zulässig. Wer auf Rückfragen vom Finanzamt verzichten möchte, sollte seinen Steuerberater in Sachen Umsatzsteuer rechtzeitig befragen. Versicherte, die IGeL beanspruchen, werden zu „normalen“ Privatpatienten. Sie haben keine Sonderrolle, die beispielsweise eine GOÄ-Liquidation erübrigen würde. Manch einer schließt dies irrtümlich aus der Tatsache, dass IGeL-Patienten ihre Kosten nicht bei der Krankenkasse geltend machen können (Kostenerstattung). Berufsordnung und GOÄ sind allerdings eindeutig. Dort heißt es: „Die Vergütungen für die beruflichen Leistungen der Ärzte bestimmen sich nach dieser Verordnung, soweit nicht durch Bundesgesetz etwas anderes bestimmt ist.“ (§ 1, Abs. 1 GOÄ). Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die GOÄ bei IGeL zum Tragen kommt und somit alle Regelungen der GOÄ gelten. Probleme bekommt, wer sich darüber hinwegsetzt. Folgerichtig ist auch eine Abrechnung mittels Pauschalen nicht zulässig. Innerhalb des jeweiligen Gebührenrahmens (ärztlich, medizinischtechnisch, Labor) sind die Gebühren nach „billigem Ermessen“ zu gestalten. Diese Formulierung wird in § 2 und § 5 GOÄ konkretisiert, beispielsweise durch Oberund Untergrenzen für den Steigerungsfaktor. Der Das gehört auf die Rechnung →→ Rechnungsaussteller und Rechnungsempfänger →→ Datum der Leistungserbringung →→ GOÄ-Ziffern →→ Bezeichnung der einzelnen Leistungen, ggf. einschließlich genannter Mindestdauer →→ Steigerungssatz der einzelnen Leistungen →→ Betrag jeder einzelnen Leistung →→ Verständliche und nachvollziehbare Begründung bei erhöhtem Satz →→ Kennzeichnung von Wunschleistungen mit „Auf Ihr Verlangen …“ →→ Analogieleistungen müssen verständlich beschrieben und mit dem Hinweis „entsprechend“ oder „analog“ und den Ziffern und der Bezeichnung der entsprechenden Ziffer gekennzeichnet sein. 13 Arzt oder Psychotherapeut darf diese Sätze nicht in unlauterer Weise überschreiten bzw. unterschreiten. Was unlauter ist, haben Gerichte bisher unterschiedlich ausgelegt. In der Regel wird ein Steigerungsfaktor von 7,0 (dem Doppelten des Höchstsatzes) als sittenwidrig angenommen – mitunter auch darunter. Gleichwohl ist eine Abrechnung, die den Höchstsatz von 3,5 (niedriger bei bestimmten Leistungen) überschreitet, möglich. Dann ist allerdings eine vorherige schriftliche Vereinbarung mit dem Patienten zu treffen (abweichende Honorarvereinbarung). Ergibt sich aus dem Einzel- Arzt und Verkäufer - kein unauflöslicher Widerspruch „Ich bin Arzt und kein Verkäufer.“ Bei Gesprächen über IGeL hören wir diesen Satz im Kollegenkreis immer wieder – aber ist Arzt und Verkäufer wirklich ein Widerspruch? Haben wir uns schon zu weit entfernt vom Idealbild des selbstlosen Helfers, der ausschließlich dem Wohl des Patienten verpflichtend arbeitet? Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem haben sich geändert. Diese neuen Gesichtspunkte zwingen uns, unseren altruistischen Standpunkt zu überdenken und uns mehr den wirtschaftlichen Notwendigkeiten zuzuwenden. Heute kann der Eindruck entstehen, dass die Politik vom Patienten zunehmend Eigenbeteiligung erwartet. Staat und Krankenkassen haben kein Geld, Leistungen werden gekürzt, der Patient soll/muss für vieles selber zahlen, was früher als selbstverständliche Kassenleistung wahrgenommen wurde. Wenig bekannt ist, dass schon immer für medikamentöse Unterstützung banaler Erkrankungen Eigenleistung gefordert wurde. Die konsequente Umsetzung führt dazu, dass der Patient den Eindruck bekommt, immer häufiger „zur Kasse gebeten zu werden“. Die IGeL-Problematik im hausärztlichen Alltag lässt sich an folgendem Beispiel gut darstellen: Eine 57-jährige Patientin mit multipel metastasierendem Colon-Ca wird mit infauster Prognose aus der Klinik nach Durchführung von Chemotherapie und Radiatio entlassen. Die Patientin fragt uns, ob wir ihr mit zusätzlicher komplementärer Therapie helfen können. Gemeinsam mit der Patientin haben wir ein therapeutisches Konzept erstellt. Für die erweiterte Therapie hat sie privat bezahlt. Die Patientin hat die Therapie als Steigerung ihrer Lebensqualität empfunden. Nach drei Monaten ist sie zu Hause im Kreise ihrer Familie erwartungsgemäß gestorben. Haben wir unethisch oder unmoralisch gehandelt? Wir Ärzte erbringen IGeL unter Beachtung folgender Regeln: →→ Stets nur Leistungen anbieten, von denen wir medizinisch absolut überzeugt sind. →→ Primäres Ziel sollte immer das „Wohl des Patienten“ nicht die Steigerung unseres Umsatzes sein. →→ Der Patient sollte stets ehrlich und wertfrei aufgeklärt werden. →→ Niemals mit Liebesentzug drohen oder gleichgültig werden bei Ablehnung. IGeLn ist keine Pflicht, sondern vielmehr eine Chance für Patient und Arzt. Jede gute Dienstleistung hat ihren Wert. Wir brauchen uns nicht zu schämen, für gute Arbeit gutes Geld zu verlangen. Wenn wir der Versuchung widerstehen mit IGeL „Umsatz um jeden Preis“ machen zu wollen, dann werden wir auch nicht zu Verkäufern, sondern bleiben, was wir gerne sein wollen: Ärzte als Freund und Partner unserer Patienten. Dr. Günter Spatz, Hausarzt Dr. Mathias Wiesner, Hausarzt 14 fall die Notwendigkeit, die erbrachte Leistung oberhalb des Schwellenwertes (2,3-fach bei ärztlichen Leistungen) zu berechnen, muss auf der Rechnung eine nachvollziehbare Begründung aufgeführt werden. Ein Überschreiten des Stellenwertes kann mit besonderem Zeitaufwand oder Umständen begründet werden. Insbesondere unvorhersehbare Komplikationen rechtfertigen die Ausschöpfung des Gebührenrahmens. Dies gilt natürlich nicht für Leistungen, die laut Legende einen hohen Zeitaufwand erfordern. Leistungen als IGeL privat abzurechnen, die sich in der GOÄ wiederfinden. In § 6 GOÄ ist eine umfassende Regelung für alle Ausnahmen beschrieben. Demnach können für alle nicht definierten GOÄLeistungen „analoge Bewertungen“ vorgenommen werden. Die gewählte Leistung muss nach Art, Kosten und Zeitaufwand möglichst gleichwertig sein und „erbt“ alle Einschränkungen (Ausschlüsse, Begrenzung der Anzahl im Behandlungsfall, Zeitdauer, Gruppen- oder Einzelbehandlung, etc.) der originären Leistung. Eine Unterschreitung des 1,0-fachen Satzes ist durchaus möglich. Denn laut GOÄ ist der einfache Steigerungsfaktor „in der Regel“ anzuwenden und damit Ausnahmen möglich, wobei keine fixen Sprünge vorgeschrieben sind. So könnte zum Beispiel 0,95 oder 1,72 zum Ansatz gebracht werden. Dies ermöglicht dem Vertragsarzt oder -psychotherapeuten eine Rechnungsstellung mit glatten Eurobeträgen. Klingt kompliziert, die Umrechnung lässt sich allerdings relativ problemlos umsetzen, falls es gewünscht ist. Nicht korrekt wäre es allerdings, beispielsweise den 1,3-fachen Satz zu berechnen und anschließend den Gesamtbetrag zu runden bzw. auf einen Rest-Centbetrag zu verzichten. Dies würde der Darstellung einer IGeL-Rechnung, wie in § 12 GOÄ vorgegeben, widersprechen. Rein formal wäre sie damit hinfällig. Im Prinzip sind nur Die GOÄ bildet die Rahmenbedingungen für die Abrechnung von IGeL ab. Vertragsärzte und -psychotherapeuten stehen allerdings häufig vor der Frage, welche Summe sie für eine bestimmte Leistung insgesamt in Rechnung stellen können. Dies gilt umso mehr, wenn eine neue IGeL in das Repertoire der Praxis aufgenommen wird. Preisabsprachen mit Kollegen sind nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb unzulässig. Ein Austausch darüber, welche analoge Leistung der angebotenen IGeL eher entspricht, hingegen nicht. Eine Frage, mit der oft Patientenberatungsstellen konfrontiert werden, ist, ob der Arzt bzw. Psychotherapeut Vorkasse verlangen darf. Ein Blick in die GOÄ bringt schnell die Antwort: Nein. Die Rechnung ist nach erbrachter Leistung zu bezahlen. Eine Vorkasse ist unzulässig, gegen eine Bezahlung am Regeln für den Steigerungsfaktor Jede der einzelnen Gebühren bemisst sich nach dem 1,0-fachen bis 3,5-fachen Satz der Gebührenordnung. Ein Überschreiten des 2,3-fachen Satzes der Gebührenordnung ist nur dann zulässig, wenn die Schwierigkeiten der Leistungserbringung und der Zeitaufwand der einzelnen Leistung eine Überschreitung des 2,3-fachen Satzes sinnvoll und nötig machen. Gebühren für die Abschnitte A, E und O des Gebührenverzeichnisses bemessen sich nach dem 1-fachen bis 2,5-fachen Satz des Gebührensatzes. Wird hier eine Gebühr über den 1,8-fachen Satz bis zum 2,3-fachen des Gebührensatzes eingesetzt, so gelten dieselben Kriterien wie oben bei der Überschreitung des 2,3-fachen bis 3,5-fachen Satzes. Gebühren für die Leistung nach Nr. 437 des Gebührenverzeichnisses sowie die in den Abschnitten M (Laborleistungen) der GOÄ bemessen sich nach dem 1-fachen bis 1,3-fachen des Gebührensatzes. Auch hier gilt, dass eine Überschreitung des 1,5-fachen Gebührensatzes mit Schwierigkeiten oder erhöhtem Zeitaufwand verbunden sein muss. 15 Behandlungstag nach Aushändigen der Rechnung spricht hingegen nichts. IGeL von den Finanzbehörden als umsatzsteuerpflichtig eingestuft. Manch einem Vertragsarzt bzw. -psychotherapeuten hat die Finanzverwaltung im Zusammenhang mit der Abrechnung von IGeL eine böse Überraschung beschert. Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich Humanmedizin sind umsatzsteuerfrei. Der Gesetzgeber hat alle Tätigkeiten zum Zweck der Vorbeugung, Diagnose, Behandlung und Heilung der Krankheit bzw. einer Gesundheitsstörung von der Steuerpflicht befreit. Dies gilt grundsätzlich auch für IGeL. Allerdings nur dann, wenn die entsprechende Leistung medizinisch indiziert ist. Und diesen Nachweis muss im Fall der Fälle (Außenprüfung) der Arzt bzw. Psychotherapeut anhand seiner Dokumentation führen. Gelingt dies nicht, werden Da sich die Behörden nicht konkret zur Umsatzsteuerpflicht bzw. zur Befreiung äußern, liegt das Risiko beim Arzt oder Psychotherapeuten. Damit diese Falle nicht zuschnappt, empfiehlt sich ein Besuch beim Steuerberater. Jede einzelne IGeL sollte mit ihm im Hinblick auf ihre Bedeutung als Heilbehandlung durchgesprochen werden. Manches ist eine Darstellungsfrage, insofern empfiehlt sich eine rechtzeitige Konsultation des Steuerberaters, da dieser auch die Umsatzsteuerbefreiung gegenüber dem Finanzamt vertreten muss. Das Prinzip „Inverses IGeLn“ Inverses IGeLn: Noch habe ich keinen Copyright auf diesen Begriff. Er kam mir im Laufe von teils heftig und kontrovers geführten IGeL-Diskussionen im Kollegenkreis in den Sinn: Widerspruch liefert ja weder die Operation des stark entzündeten Wurmfortsatzes noch die Verwandlung einer Oberlippe in ein Gummiboot mittels KollagenSpritze. Die Gemüter erhitzen sich abseits dieser Extreme. Die eigene Übung im Praxisalltag wird zur Messlatte für alle gemacht. Rasch erfolgt dann die moralische Abwertung des Andersdenkenden: Wer mehr „igelt“ als ich, ist ein Halsabschneider. Wer weniger macht, führt seine Praxis in den wirtschaftlichen Ruin. Soweit so schlecht, so laut. Eher im Stillen tätig sind die Kollegen, die die Indikation für liquidationsfähige medizinische Handlungen dramatisch häufiger erkennen als andere. Da gibt es eben solche, und zwar in allen Fachrichtungen, die die Notwendigkeit für eine Lungenfunktion, ein Kontrastmittel-CT oder ein Langzeit-EKG wesentlich häufiger sehen, als ihre Nachbarn mit der gleichen Klientel. Während jene sich den Mund fusselig reden, um das heilsbringende Nahrungsergänzungsmittel an den Mann zu bringen, einen Gesundheits-„Check-up“ zu propagieren oder auch 20 min Sauerstoff-Atmen, hat dieser den willigen Patienten schon flugs verkabelt. Keine Marketingbroschüren, keine Wartezimmer-TV, keine Diskussion, keine Aufklärung, keine Rechnungsstellung nach GOÄ, kein Steigerungsfaktoren. Im Gegenteil: „Mein Doktor kümmert sich richtig!“ Keine Chance auf Widerstand hat hier die Gruppe jener, die das bezahlen: Die Schicksalsgemeinschaft der Kolleginnen und Kollegen, die aus einem Fachgruppentopf, einem Bereitstellungsvolumen oder gar einem Versorgungsbereichsvorwegabzug schöpfen. Inverses IGeL eben. Geht nur in Ländern ohne Selbstbeteiligung. Dr. Jörg Hermann, Dermatologe 16 IGeL aus Patientensicht Zusatzangebot oder „Wegelagerei“? IGel lösen bei Patienten Fragen aus. Wenn diese nicht in der Arztpraxis beantwortet werden oder der Patient sich gar überrumpel fühlt, führt der Weg oft zur Unabhängigen Patientenberatung Bremen. Wenn Patienten in der Arztpraxis IGeL begegnen, gerät der Kontakt zwischen Arzt und Patient manchmal stachelig. Der Arzt möchte dem Patienten eine Leistung anbieten, die er für diesen Patienten für sinnvoll hält, aber die Gesetzliche Krankenkasse nicht bezahlt. Der Patient soll sich häufig direkt und sofort entscheiden, ob er in ein IGeL-Angebot einwilligt und damit persönlich die entstehenden Kosten übernimmt. Die rechtlichen Grundlagen für das Erbringen wie das Abrechnen von IGeL sind eindeutig – aber in der Praxis begegnen uns nicht nur Schilderungen von Patienten, sondern manchmal auch Anschreiben von Ärzten, die daran zweifeln lassen, ob diese Grundlagen immer beachtet werden. Deshalb bezeichnete ein älterer Herr die IGeL-Angebote einmal als „Wegelagerei“. Drei praktische Beispiele auf den folgenden Seiten zeigen, wo sich im Praxisalltag Lücken und Tücken ergeben. In allen drei Fällen hat der Einsatz einer IGeL zu einem Vertrauensverlust zwischen Patient und Arzt geführt. Dieser Vertrauensverlust ergibt sich besonders dann, →→ wenn nicht ausreichend über die Maßnahme kommuniziert wurde, →→ wenn der schriftliche Vertrag gar nicht oder nicht rechtzeitig vorgelegt wurde, →→ wenn der Patient keine Möglichkeit hat, sich zu informieren oder Kostenvergleiche einzuholen, →→ wenn der Arzt IGeL in Situationen anbietet, in denen der Patient besonders verletzlich und geradezu wehrlos ist (Gyn-Untersuchung, Augentropfen, Schmerzen). Patienten treffen auf eine routinierte Arztpraxis, die professionell täglich ihren Aufgaben nachgeht. Der Patient hingegen ist krank, könnte krank aus der Früherkennung kommen und ist damit schutzund hilfebedürftig. Patienten wünschen sich einen Arzt, dem sie vertrauen können, der sie versteht und – im Idealfall – weiß, was ihnen fehlt bzw. sie beschwerdefrei machen könnte. Dieses Vertrauen wird zerstört oder wächst gar 17 nicht erst, wenn die Patienten nicht einschätzen können, um was es sich bei einzelnen IGeL-Angeboten handelt: Das Angebot eines „Kaufmannes“ in Gesundheitssachen, den Versuch, eine Praxis wirtschaftlich auszulasten oder das Angebot einer Leistung, die unter sehr individuellen Gesichtspunkten für den einzelnen Patienten durchaus erwägenswert sein kann. Dieses Vertrauensverhältnis wird gestört, →→ wenn die Patienten gedrängt werden, in Untersuchungsmethoden oder Behandlungen einzuwilligen und diese zu bezahlen, →→ wenn vorher nicht ausreichend informiert wurde, →→ keine Möglichkeit zu Nachfragen bestand, →→ künstlich Zeitdruck aufgebaut wird und/oder →→ der rechtliche Rahmen überhaupt nicht beachtet wurde. Ist das System „IGeL-Angebote für gesetzlich versicherte Patienten“ nur eine kurze Episode, weil die Patienten immer mehr Erfahrungen machen und sich nicht mehr so schnell drängen lassen? Oder werden die Patienten zukünftig die Arztpraxen meiden und sich z.B. Heilpraktikern zuwenden, die sie auch selbst bezahlen müssen? Adele Ihnen, Unabhängige Patientenberatung Bremen Fallbeispiel 1: Fallbeispiel 2: Ein Patient geht im vollen Vertrauen darauf zum Arzt, dass dieser ihn von seinen Beschwerden befreien kann. Im Gespräch erfährt er: „Ich kann Sie mit X behandeln, aber das zahlt die Krankenkasse leider nicht. Das kostet pro Behandlung 30 € und davon brauchen Sie mindestens sechs Anwendungen.“ Das sind 180 €. Der Patient, der nicht versteht, warum seine Krankenkasse ihn bei der Behandlung seiner Beschwerden nicht unterstützt, wehrt zunächst ab und verlässt die Praxis ohne Behandlung. Er wendet sich an seine Krankenkasse und erfährt, dass diese Methode sehr wohl von der Gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden würde, wenn der Arzt die Behandlung für medizinisch notwendig hielte. Der Patient ist entsetzt und wendet sich an uns. Sein Vertrauen in den Arzt ist sehr gestört und er fühlt sich mit seinem Leiden nicht ernst genommen. Eine Patientin geht zu einer Früherkennungsuntersuchung zu einer Gynäkologin, bei der sie schon länger die Früherkennung regelmäßig durchführen lässt. An diesem Morgen scheint einiges anders zu sein. Während der Untersuchung wird ihr mitgeteilt, dass der Tastbefund nicht in Ordnung sei und die Ärztin sicherheitshalber noch eine Ultraschalluntersuchung machen müsse. Die Kosten für die Ultraschalluntersuchung müsse sie in diesem Fall selbst übernehmen. Die Patientin willigt ein, bezahlt die Untersuchung und geht irritiert und besorgt davon. Die Ultraschalluntersuchung hat keinen weiteren Befund ergeben, so dass sie nicht zur Mammographie überwiesen wurde. Die Patientin beginnt zu recherchieren und findet heraus, dass die Ultraschalluntersuchung als Früherkennung nicht von den Krankenkassen bezahlt wird, jedoch von der Gesetzlichen Krankenversicherung übernommen wird, wenn ein Tastbefund vorliegt. Die Patientin fühlt sich nicht nur finanziell geschädigt, sondern hat sich in dem Moment der Einwilligung gesundheitlich bedroht gefühlt. Mittlerweile, nachdem sie eine andere Gynäkologin aufgesucht hat, hat sie den Eindruck, dass es diesen Tastbefund gar nicht gegeben hat. Ihr Vertrauen in die Ärztin ist nachhaltig gestört. 18 Fallbeispiel 3: Ein Patient hat drei Monate auf einen für ihn dringenden Facharzttermin gewartet. Er sitzt nun schon seit zwei Stunden im Wartezimmer und wird langsam ungeduldig. Schließlich ruft ihn die Praxismanagerin auf, gibt ihm Tropfen in die Augen, woraufhin der Patient nicht mehr gut sehen kann. Dann bittet sie ihn, noch etwas zu unterschreiben. Die Untersuchung wird durchgeführt. Wenige Tage später erhält der Patient eine Rechnung über 20 Euro für eine Untersuchung, von der er gar nicht weiß, dass diese durchgeführt wurde, warum sie durchgeführt wurde und was sie beinhaltet. An eine Auftragsvergabe und eine Aufklärung über die Untersuchung kann er sich nicht erinnern. Die Unterschrift auf der beigelegten Kopie der Rechnung ist so unsicher, dass der verschwommene Blick beim Unterschreiben wohl eine Rolle gespielt haben könnte. Der Patient ist nicht bereit zu zahlen. Er ist sehr erbost. Er hatte diesen Termin vereinbart, um sich behandeln zu lassen, selbstverständlich zu Lasten seiner Gesetzlichen Krankenkasse. Er meint, es hätte ausreichend Zeit gegeben, ihn über den privat zu zahlenden Charakter dieser Untersuchung zu informieren und ihm einen Vertrag vorzulegen, während er gewartet habe. Der Patient vermutet dahinter Methode. Er findet Informationen in der Presse, die seinen Verdacht unterstützen (Verkaufsschulungen von Anbieterfirmen). Das Vertrauen zu dem Arzt ist gestört, möglicherweise zu dessen Berufskollegen auch. So geht es auch - Gelungenes IGeL-Marketing aus Patientensicht IGeL-Marketing kann in der Arztpraxis durchaus patientenfreundlich organisiert werden. Dazu müssen nur Gebote wie Fairness und Aufklärung Beachtung finden. Dieses Beispiel zeigt wie. Der Patient ruft in der Facharztpraxis an, um einen Termin für eine Untersuchung zu vereinbaren. Die Praxismanagerin weist ihn darauf hin, dass die Praxis neben der von den Gesetzlichen Krankenkassen finanzierten Methode andere Methoden anbietet. Diese seien sehr viel genauer und könnten die Entstehung und Entwicklung einer Erkrankung differentierter dokumentieren. Sie nennt den Preis und fragt ihn, ob er Zugang zum Internet hat (dann könne er sich die Angebote auf der Homepage der Praxis anschauen). Nachdem der Patient dieses verneint hat, bietet die Praxismanagerin dem Patienten an, ihm einen Vertrag mit entsprechenden Informationen per Post zuzusenden – was dann auch geschieht. Der Patient hat nun drei Monate Zeit, sich mit dem Angebot auseinanderzusetzen. Er kann sich bei einen Freunden und Bekannten umhören, er kann sich über Beratungsstellen über das Verfahren informieren und weiß auch darum, dass es Risiken geben kann. Außerdem kann er sich darum bemühen herauszufinden, welche Preise für die Untersuchung realistisch sind. Erst in der Praxis muss er sich entschieden haben, ob er die zusätzliche Untersuchung möchte oder auch nicht. Bis dahin hat er das Für und Wider abgewogen und ist bereit, das Geld für seine Gesundheit zu investieren. Er fühlt sich gut informiert und nicht zu einer Entscheidung gedrängt. Adele Ihnen, Unabhängige Patientenberatung Bremen 19 Erfahrungsmedizin zum Wohle des Individuums Als Kassenarzt sehe ich mich in einem zunehmenden Dilemma zwischen den berechtigten Erwartungen meiner Patienten auf umfassende Versorgung und auf der anderen Seite Regressen, Budgetierungen, Honorarverteilung. IGeL schließen die Lücke zwischen kollektivistischer evidenzbasierter Gesundheitsökonomie und individueller Erfahrungsmedizin und stellen eine wichtige Ergänzung zur Kassenmedizin dar. Nicht gegen, sondern mit und für unsere Patienten. Ein seriöser und einwandfreier Umgang der Ärzteschaft ist dabei elementare Voraussetzung. „Erfahrungsmedizin“, also medizinisches Wissen aus ärztlicher Erfahrung und Expertise, „Expertenmeinung“ , also auch eine Leitlinie auf S1-Niveau, kann sich nicht durch optimales statistisches Datenmaterial gemäß Evidence based Medicine beweisen. Sie erklärt sich aus ärztlicher Erfahrung und Kompetenz sowie aus Studieninhalten, die heute für den Filter des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht ausreichen, aber doch zumindest als richtungsweisend gelten dürfen. Manche IGeL, insbesondere die sonografischen Zusatzleistungen zur gesetzlichen Krebsfrüherkennungsuntersuchung der Frau erhalten nicht das Siegel der evidenzbasierten Screeninguntersuchung innerhalb des GKVSystems. Trotzdem kann die einzelne Frau davon profitieren. Erfahrungsmedizin zum Wohl des Individuums, nicht des Kollektivs. Jeder Frauenarzt kann je nach Berufserfahrung sofort 20, 30 oder 50 Menschen benennen, bei denen durch eine Ultraschalluntersuchung der Genitalorgane, der Harnblase oder der weiblichen Brust eine Frühform von Krebs erkannt wurde. Für viele dieser Prozeduren gibt es mittlerweile auch diskussionswürdiges Datenmaterial aus Studien. Da die Krankenkassen ihre Versicherten über so manchen Sachzwang der „Leistungserbringer“ nicht adäquat informieren, liegt ein großes Aufklärungspotenzial bei den Ärzten. Daher heißt IGeLn eben auch Reden, Erklären, Verdeutlichen. Das mag im Einzelfall aufwändig sein, es ist für das Verständnis unserer PatientInnen für die zumindest grundlegende Systematik des Gesundheitswesen sowie die medizinischen Grundlagen einer IGeL unabdingbar. Wird diese Chance im besten Sinne genutzt, so werden sich Menschen nicht von medialer Negativdarstellung beeindrucken lassen. Informierte Entscheidung! Viele Praxen haben mittlerweile eine Systematik erarbeitet, in der sie ihre Patienten prospektiv über individuell sinnvolle Leistungen informieren. Informationsmaterial unterstützt dieses Vorgehen. Das vor der Leistungserbringung geführte Gespräch baut dann bereits auf einem fundierten Informationsvorsprung der PatientInnen auf. Es wird dabei insbesondere die Überzeugung bestärkt, dass eine IGeL eben primär für den Patienten wichtig ist und nur zweitrangig, wie auch jede GKV-Leistung, einen Aspekt der betriebswirtschaftlichen Existenz einer Praxis darstellt. Dr. Andreas Umlandt, Gynäkologe 20 Fragen und Antworten Wir wird eine IGeL abgerechnet? IGeL müssen immer nach der GOÄ abgerechnet werden. Innerhalb des jeweiligen Gebührenrahmens (ärztlich, medizinisch-technisch, Labor) sind die Gebühren nach „billigem Ermessen“ zu gestalten. Welchen Steigerungssatz kann ich zum Ansatz bringen? Da gibt es keine verbindlichen Festlegungen. Der Arzt oder Psychotherapeut darf die Sätze laut GOÄ nicht in unlauterer Weise überschreiten bzw. unterschreiten. Gleichwohl ist eine Abrechnung, die den Höchstsatz von 3,5 (niedriger bei bestimmten Leistungen) überschreitet, möglich. Dann ist allerdings eine vorherige schriftlicher Vereinbarung mit dem Patienten zu treffen (Abweichende Honorarvereinbarung). Welche besonderen Umstände rechtfertigen einen höheren Steigerungssatz als den 2,3-fachen? Ein Überschreiten des Schwellenwerts kann mit besonderem Zeitaufwand oder Umständen begründet werden. Insbesondere unvorhersehbare Komplikationen rechtfertigen die Ausschöpfung des Gebührenrahmens. Dies gilt natürlich nicht für Leistungen, die laut Legende einen hohen Zeitauf- wand erfordern. Ergibt sich aus dem Einzelfall die Notwendigkeit, die erbrachte Leistung oberhalb des Schwellenwertes (2,3-fach bei ärztlichen Leistungen) zu berechnen, muss auf der Rechnung eine nachvollziehbare Begründung aufgeführt werden. Ich komme auf krumme Endbeträge. Darf ich aufbzw. abrunden? Da Sie sich an die GOÄ halten müssen, können Sie auf glatte Beträge nur durch die Wahl eines entsprechenden krummen Steigerungsfaktors kommen. So können Sie beispielsweise statt des Faktors 1,3 durchaus auch 1,24 wählen, um auf einen geraden Betrag zu kommen. Kann ich für IGeL eine Pauschale berechnen? Nein. Das ist ausgeschlossen, da immer die GOÄ anzuwenden ist. Ich möchte teure IGeL mit einem sehr niedrigen Steigerungsfaktor abrechnen, um mir einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Ist das denkbar? Nein. Dies würde ärztlichem Berufsrecht und Wettbewerbsrecht widersprechen. Der Steigerungsfaktor darf nicht in unlauterer Weise unterschritten werden. 21 Darf ich mich mit Kollegen bezüglich der Preisgestaltung austauschen? Sie können sich natürlich über das jeweilige Angebot mit Kollegen austauschen. Konkrete Preisabsprachen sind nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb unzulässig. Was bedeutet Analogbewertung? Für alle nicht definierten GOÄ-Leistungen kann eine „analoge Bewertung“ vorgenommen werden. Die gewählte Leistung muss nach Art, Kosten und Zeitaufwand möglichst gleichwertig sein und „erbt“ alle Einschränkungen (Ausschlüsse, Begrenzung der Anzahl im Behandlungsfall, Zeitdauer, Gruppen- oder Einzelbehandlung, etc.) der originären Leistung. Können IGeL an nichtärztliche Mitarbeiter delegiert werden? Auch wenn es sich um eine medizinisch nicht indizierte Leistung handelt, ist die IGeL vom Arzt selbst bzw. unter seiner Aufsicht nach fachärztlicher Weisung zu erbringen. GOÄ und die Berufsordnung lassen da keinen Spielraum. Der Verwaltungsaufwand ist bei IGeL groß. Muss ich tatsächlich einen schriftlichen Behandlungsvertrag abschließen? Einige Ratgeber verneinen dies. Es hat sich allerdings folgende Position durchgesetzt: Zur privatärztlichen Behandlung und damit zur Liquidation von IGeL ist eine schriftliche Einverständniserklärung des Patienten notwendig. Dies ist auch aus Gründen der Rechtssicherheit des behandelnden Arztes sehr zu empfehlen. Was gehört in eine Behandlungsvereinbarung? Folgende Informationen sind wesentlich: Eine Angabe über die voraussichtliche Honorarhöhe in Euro; der Hinweis, dass die Behandlung Patientenwunsch ist; die Information, dass die Behandlung nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung ist und eine Belehrung darüber, dass kein Anspruch auf Kostenerstattung besteht. Sie können die Mustervorlage aus diesem Heft (S. 23) nutzen. Ist ein Informationsgespräch vor Behandlung tatsächlich Pflicht? Ja. Da lässt die Berufsordnung keinen Zweifel. Ein Informationsgepräch ist vor der Behandlung zu führen und zu dokumentieren (schriftliche Behandlungsvereinbarung). Darf ich das Informationsgespräch an eine nichtärztliche Mitarbeiterin delegieren? Praxispersonal darf durchaus auf das IGeL-Angebot hinweisen, das obligatorische Informationsgespräch vor Erbringung der IGeL ist vom Arzt oder Psychotherapeuten zu führen. Wie verhält es sich mit Werbung? Wie darf ich auf mein IGeL-Angebot aufmerksam machen? Flyer, Poster, Aufsteller, aber auch Wartezimmer-TV und Informationen auf der Praxishomepage sind durchaus legitim, wenn sie moderat eingesetzt werden. Grundsätzlich erlaubt die Berufsordnung dem Arzt, seine Patienten unaufgefordert über IGeL zu informieren. Diese Informationen müssen allerdings so kanalisiert werden, dass der Patient nicht verunsichert oder verängstigt wird oder gar zu einer IGeL gedrängt wird. Das Informationsmaterial ersetzt nicht das obligatorische Arztgepräch. Was muss auf der Rechnung stehen? Es ist eine GOÄ-konforme Rechnung zu stellen, die mindestens folgende Punkte enthält: Rechnungsaussteller und Rechnungsempfänger, Datum der Leistungserbringung, GOÄ-Ziffern, Bezeichnung der einzelnen Leistungen und der Betrag jeder einzelnen Leistung. Kann Vorkasse verlangt werden? Die Rechnung ist nach erbrachter Leistung zu bezahlen. Gegen eine Bezahlung am Behandlungstag nach Aushändigen der Rechnung spricht hingegen nichts. Sind IGeL umsatzsteuerpflichtig? Leider gibt es hier keine eindeutige Antwort. Zwar sind Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich Humanmedizin grundsätzlich von der Umsatzsteuer befreit, bei IGeL muss der Behandler allerdings den Nachweis führen, dass es sich um medizinisch indizierte Leistungen handelt. In jedem Fall sollten Sie zu diesem Thema mit Ihrem Steuerberater sprechen. 22 Raum für Ihre Notizen Impressum Herausgeberin: Kassenärztliche Vereinigung Bremen Schwachhauser Heerstr. 26/28, 28329 Bremen Tel.: 0421 3404-0 2. Auflage Mai 2015 Fachbeirat: Dr. Stefan Bodanowitz, Dr. Jörg Hermann (v.i.S.d.P.), Dr. Thomas Liebsch, Dr. Günter Spatz, Dr. Andreas Umlandt, Dr. Mathias Wiesner Redaktion: Christoph Fox Satz und Layout: Marion Saris Redaktionsanschrift: siehe Herausgeberin Tel.: 0421 3404-328 E-Mail: [email protected] Druck: Druckerei Peter von Kölln, Scipiostr. 5A, Bremen Vertrieb: siehe Herausgeberin Fotonachweise: Titelseite und Seite 16: jyleken, Seite 12: WavebreakMediaMicro, Seite 20: Herjua (fotolia) 23 Krankenkasse bzw. Kostenträger Name, Vorname des Versicherten geb. am Kostenträgerkennung Versicherten-Nr. Betriebsstätten-Nr. Arzt-Nr. Status Datum (Praxisstempel) Patienten-Erklärung Ich wünsche, durch die/den behandelnde(n) Ärztin/Arzt folgende Leistungen gemäß GOÄ in Anspruch zu nehmen: (GOÄ-Ziffern) Hierfür vereinbare ich ein Honorar über voraussichtlich Euro Es ist mir bekannt, dass die Krankenkasse, bei der ich versichert bin, eine im Sinne des Gesetzes ausreichende Behandlung gewährt und vertraglich sichergestellt hat. Ich wünsche dennoch die oben aufgeführten Leistungen. Ich weiß, dass die Behandlung nicht erstattungsfähig und von mir selbst zu tragen ist. Datum, Ort Unterschrift Patient(in) Der Beratungsservice der KV Bremen Haben Sie Fragen? Wir haben nicht alle, aber viele Antworten. Rufen Sie uns an! Abrechnungsberatung Qualität & Selektivverträge Prüfung Team 1 Neue Versorgungsformen (DMP, HzV, ...) Plausibilitätsprüfung (Abrechnung) Allgemeinärzte und Praktische Ärzte, Fachärztliche Kinderärzte, Fachärztliche Internisten ohne Schwerpunkt, Hausärztliche Internisten, Nichtvertragsärzte im Notfalldienstbereich Barbara Frank Hanna Flieger Sabine Lange Isabella Schweppe Daniela Scheglow Qualitätssicherung, QM, Qualitätszirkel Thomas Arndt Evelyn-Marina Müller Natalie Martin Andrea Windhorst Kai Herzmann (Substitution) Verordnungen -300 -301 Ärztliche und Psychologische Psychotherapeuten, Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychiater, Nervenärzte, Neurologen, Psychiater, Ermächtigte Psychotherapeuten, PT-Ausbildungsinstitute Petra Bentzien -165 Anästhesisten, Augenärzte, Chirurgen, Gastroenterologen, Gynäkologen, Hämato logen, Hautärzte, HNO-Ärzte, Kardiologen, Laborärzte, Laborgemeinschaften, Lungenärzte, MVZ, MKG-Chirurgen, Nephrologen, Neurochirurgen, Nuklearmediziner, Orthopäden, Pathologen, Radiologen, Strahlentherapeuten, Rheumatologen, Urologen, Ermächtigte Ärzte, Institute, Krankenhäuser RLV-Berechnung Petra Stelljes -315 -320 -340 -339 -159 -342 -335 -330 -334 -191 Praxisbesonderheiten (RLV) Katharina Kuczkowicz -161 Abteilungsleitung Angelika Maiworm Jessica Drewes -190 -193 IT-Beratung -121 Wirtschaftlichkeitsprüfung (Verordnung, Behandlung) -176 Arzneimittel, Heilmittel, Hilfsmittel Michael Schnaars Christoph Maaß -115 -154 Krassimira Marzog Bereitschaftsdienste Bremen und Bremen-Nord Annika Lange Kerstin Lünsmann Arztregister -333 -107 -103 Bremerhaven Zulassung und Bedarfsplanung Martina Schreuder Manfred Schober (Ärzte) -332 Martina Plieth (Psychotherapeuten)-336 Formulare und Vordrucke Marion Bünning Christoph Maaß (u. a. Datenschutz) Marion Bünning (Zulassung) -341 Formularausgabe, Zentrale -115 -341 –0 Bremerhaven Martina Schreuder Verträge 0471.48 293-0 Aktenvernichtung Wolfgang Harder -178 Abteilungsleitung (Zentrale Dienste, Bereitschaftsdienste) Abteilungsleitung -150 Honorarkonto Abschläge, Bankverbindung, Kontoauszug Martina Prange 0471.48 293-0 Erika Meyer, Ilonka Schneider Rechtsfragen Oltmann Wilers Praxissysteme, Online-Anbindung Wilfried Pernak -139 -115 Abteilungsleitung Abteilungsleitung RLV-Anträge und Widersprüche Sandra Stoll -152 Abteilungsleitung Gottfried Antpöhler Christoph Maaß Zulassung Team 2 Mirja Homeier Stefan Bardenhagen 0421.34 04 - -132 Birgit Seebeck -105