Predigt am Palmsonntag, 13.04.2014 Johannes 12,12

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Predigt am Palmsonntag, 13.04.2014 Johannes 12,12
Predigt am Palmsonntag, 13.04.2014
Johannes 12,12-19: “Falsche Erwartungen“
Jesus zieht in Jerusalem ein. Daran erinnern wir uns am Palmsonntag. Die Menschen legen
Palmzweige auf die Landstraße, die von Betanien nach Jerusalem führt. Sie haben gehört, dass
Jesus in die Stadt kommt. Sie haben gehört, dass er in Betanien einen Mann von den Toten
auferweckt hat. Viele aus dem Dorf haben das Wunder bestätigt: Lazarus hatte bereits
gestunken, doch nun ist er wieder im Dorf unterwegs.
Jesus zieht in Jerusalem ein. Die Menge jubelt. Die Menschen legen Palmzweige auf die Straße.
Der rote Teppich der Antike wird ausgerollt für Jesus von Nazareth. „Hosianna!“, ruft die
Menschenmenge. „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Gelobt sei der
König von Israel!“
Der rote Teppich ist mehr als die Begrüßung eines erfolgreichen Wundertäters. Der rote
Teppich wird ausgerollt für den König, den König von Israel!
Jubelnde Menschen stehen am Straßenrand. Überall sieht man fröhliche Gesichter. Auf den
ersten Blick scheint die Zukunft von Jesus und seinen Jüngern rosig. Doch kein Jubel ohne
Grund! Wer einem anderen Menschen zujubelt, der hat ganz bestimmte Vorstellungen von
diesem anderen Menschen. Die Erwartung der Menschenmenge am Straßenrand ist historisch
klar: Hier kommt der neue König von Israel! Er bringt Gerechtigkeit ins Land und er wird die
Römer aus dem Land werfen! „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!
Gelobt sei der König von Israel!“
Die Erwartung eines Befreiers von den Römern, sie ist im Israel der Zeitenwende
allgegenwärtig. Wer diese Hoffnung auf Jesus bezieht, dem entgeht natürlich das Detail mit
dem jungen Esel. Der neue König kommt auf einem billigen Fahrrad, könnte man sagen.[1]
Indem Jesus auf einem kleinen Esel einzieht, da zeigt sich bereits, dass Jesus sein Königtum
anders versteht als die jubelnde Menschenmenge am Straßenrand.
Es braucht nur wenige Tage, bis sich die öffentliche Meinung dreht. Statt „Hosianna!“ ruft die
Menschenmenge am Karfreitag „Kreuzige ihn!“. Vom gefeierten König zum verhassten
Außenseiter. Er hat die Römer nicht vertrieben, stattdessen hat er sich verhaften lassen. Er hat
keinen Aufstand gegen die Römer zu Stande gebracht, stattdessen sprach er vom Frieden.
Jesus hat die Erwartungen nicht erfüllt, die die Menschen seiner Zeit an ihn gestellt haben. Die
Menschen in Jerusalem waren von Jesus enttäuscht.
Welche Erwartungen haben die Menschen heute an Jesus? Für viele Menschen wird gelten,
dass sie gar keine Erwartungen an Jesus haben, denn Jesus starb vor 2000 Jahren in
Jerusalem. Wer die Auferstehung nicht in sein Jesus-Bild aufnimmt, der kann natürlich auch
keine Erwartungen an Jesus haben.
Ich formuliere die Frage deshalb ein bisschen offener: Welche Erwartungen haben die
Menschen heute an Gott? Was erwarten Menschen von Gott, wenn sie ihr Kind zur Taufe
bringen, obwohl sie sich vielleicht gar nicht sicher sind, ob das mit dem auferstanden Jesus
tatsächlich der Realität entspricht?
Der
Der
Der
Der
liebe
liebe
liebe
liebe
Gott
Gott
Gott
Gott
soll
soll
soll
soll
das Kind beschützen!
einen Schutzengel abstellen!
das Kind vor schwerer Krankheit bewahren!
dem Kind ein gutes Leben schenken!
Wehe, wenn die guten Wünsche nicht eintreten. Wenn Gott diese Erwartungen enttäuscht,
dann braucht es manchmal nur wenige Tage, bis sich die eigene Meinung dreht. Innerhalb
kurzer Zeit bringt man die Worte vom „lieben Gott“ nicht mehr über die Lippen. Abkehr vom
Glauben muss nicht bedeuten, dass ich „Kreuzige ihn“ rufe. Abkehr vom Glauben kann auch
ganz passiv ausfallen, indem mir der Glaube einfach egal wird. Gott hat meine Erwartungen
nicht erfüllt, jetzt kann er mir gestohlen bleiben. Ja, Gott erfüllt viele Erwartungen nicht, die
heute an ihn gestellt werden. Und so sind viele Menschen von Gott enttäuscht und lassen ihn
links liegen.
Und was sind unsere Erwartungen, die wir an Gott haben? Oder darf ich wieder sagen: die wir
an Jesus haben? Warum sind wir heute hier, am Palmsonntag in der Kirche? Warum verlassen
wir unsere Häuser und gehen in den Gottesdienst? Trotz nicht erfüllter Erwartungen, von
denen sicher auch wir ein Lied singen können!
Was erwarten wir von Jesus, das er für unser Leben tut? Was soll ich den Konfirmanden sagen,
warum sich ein Leben mit Jesus lohnt?
Schenkt mir Jesus Erfolg in der Schule?
Schenkt mir Jesus gute Freunde?
Schickt mir Jesus den Partner fürs Leben?
Rettet er mich aus gefährlichen Situationen?
Ist ein Leben mit Jesus ein glückliches Leben?
Was soll ich antworten? Klar ist: Wenn ein Leben mit Jesus nicht besser ist als ein Leben ohne
Jesus, warum sollte dann ein Mensch sein Leben überhaupt als Christ führen? Wenn ich
sozusagen überhaupt keine Erwartungen an Jesus habe, warum komme ich dann überhaupt in
die Kirche? Warum bete ich überhaupt, wenn ich Jesus letztlich doch nichts zutraue?
Und andererseits: Wenn ich Jesus zu viel zutraue, dann wachsen die Enttäuschungen! Vor der
Mathearbeit habe ich gebetet, und trotzdem eine Fünf… In der Konfirmandengruppe bin ich
immer mit dabei, und trotzdem habe ich keine neuen Freunde gefunden… Regelmäßig bin ich
in den Gottesdienst gegangen, und nun trotzdem diese schwere Krankheit…
Was erwarten wir von Jesus, das er für unser Leben tut?
Keine Erwartungen an Jesus führen letztlich zur Abkehr vom Glauben. Und zu hohe
Erwartungen an Jesus sind auch eine Gefahr für den Glauben.
Liebe Gemeinde, ich wähle jetzt nicht den Ausweg über mittelmäßige Erwartungen. Das wäre
nur eine Verschleierung des Problems.
Der Ausweg liegt woanders, nämlich in der Frage, welche Erwartungen angemessen sind?
Damals in Jerusalem hat Jesus die Erwartungen des Volkes offensichtlich nicht erfüllt. Sein
Plan war ein anderer! Gottes Plan war ein anderer!
Der kleine Esel, auf dem Jesus in die Stadt zieht, zeigt es an: Hier kommt kein König, der alles
von oben herab umkrempelt. Hier kommt ein König, der einen ganz anderen Weg wählt. Er
verändert die Welt von unten. Aber eben nicht im Sinne einer Revolution, die lediglich die alten
Machthaber durch neue ersetzt. Nein, Jesus bleibt unten. Er lässt sich gefangen nehmen, er
stirbt am Kreuz.
In den Augen der Welt ist der Karfreitag ein Tag des Scheiterns. Sieger sterben nicht am
Kreuz, Sieger ziehen durch breite Straßen und werden von der Menschenmenge bejubelt….
An Palmsonntag und Karfreitag müssen wir erfahren, dass Gottes Weg nicht unseren
Erwartungen folgt. Für jeden Außenstehenden muss es zunächst so erscheinen, dass Jesus
gescheitert ist. Gottes Rettungsweg weicht ab von menschlichen Vorstellungen: Gott rettet von
unter her. Was zunächst als Scheitern erscheint, entpuppt sich erst auf den zweiten Blick als
der große Sieg: Ohne Kreuz keine Auferstehung! Ohne Gottes Weg hinab in die Totenwelt kein
ewiges Leben! Jesus Christus durchzieht die ganze Welt, nicht nur die sichtbare, sondern auch
die unsichtbare Welt.
Vor den Augen der Welt ist das Kreuz ein Ort des Scheiterns. Mit den Augen des Glaubens
sehen wir tiefer.
Paulus formuliert es im 1. Brief an die Korinther mit diesen Worten: „Das Wort vom Kreuz gilt
als Blödsinn bei denen, die verloren werden; aber für uns, die wir gerettet werden, ist es eine
Kraft Gottes. […] Die Juden fordern Wunder, die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber
predigen den gekreuzigten Christus […] als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn der
Blödsinn Gottes ist klüger als die Weisheit der Menschen, und die Schwachheit Gottes ist
stärker als die Kraft der Menschen.“ (1. Kor 1,18.22-25)
Vor den Augen der Welt ist das Kreuz ein Ort des Scheiterns. Mit den Augen des Glaubens
sehen wir tiefer.
In der frühen Kirche hat es 300 Jahre gedauert, bis das Kreuz zum Symbol der Christen wurde.
Heute steht das Kreuz auf jeder Kirche, auch auf dem Fürbittenleuchter steht das Kreuz.
Das Kreuz erinnert uns daran, dass nicht jede Bitte, die an diesem Fürbittenleuchter zu Gott
gesprochen wird, in Erfüllung gehen wird. Aber das, was Paulus schreibt, das wird in Erfüllung
gehen: „Das Wort vom Kreuz gilt als Blödsinn bei denen, die verloren werden; aber für uns,
die wir gerettet werden, ist es eine Kraft Gottes.“ Am Kreuz, auch in schwerer Zeit, begegnet
uns Gottes Kraft. Am Fürbittenleuchter wird das spürbar: Wenn ich eine Kerze anzünde, dann
werde ich ruhig, egal wie groß die Last ist, die auf mir liegt.
Was erwarte ich von Jesus für mein Leben? Was will ich den Konfirmanden sagen, warum sich
ein Leben mit Jesus lohnt?
Es lohnt sich, weil Jesus dir Kraft schenkt, und zwar für alle Lebenslagen! Jesus gibt dir Kraft in
guten wie schlechten Zeiten. So wie am Fürbittenleuchter Loben und Klagen, Danken und
Flehen zusammenfinden, so bleibt Jesus mit seiner Kraft bei uns. Mit Jesus sind wir auf jeden
Fall stärker als ohne ihn!
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle [unsere] Vernunft, bewahre eure Herzen und
Sinne in Christus Jesus“ (Phil 4,7). Amen.
[1]
In der Exegese gibt es manchmal den Hinweis, dass Jesus mit dem Ritt auf dem jungen Esel
seinen Königsanspruch verdeutlichen möchte. Mir scheint das unwahrscheinlich, da schon den Jüngern
Sach 9,9 scheinbar nicht geläufig ist, d.h. wiederum dem Volk an der Straße erst recht nicht.

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