Palmsonntag

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Palmsonntag
Kirchenjahr
Palmsonntag
Palmsonntag
Tor zur Heiligen Woche
Eine eindrucksvolle Prozession zieht heute wie bereits seit dem 4. Jahrhundert vom Jerusalemer
Ölberg herab in die Stadt. Heute ist unsere Kirche Jerusalem.
Vor den Toren der Stadt
In evangelischen und katholischen Kirchen hören die Christen am Palmsonntag das Evangelium vom
Einzug Jesu in Jerusalem, das alle vier Evangelisten überliefern. In jenen Tagen vor dem Passahfest war
Jerusalem voller Pilger. Viele von ihnen zogen vor die Tore der Stadt. Warum? Sie zogen Jesus entgegen,
den wohl etliche der galiläischen Pilger kannten. Wie sie kam er herauf nach Jerusalem zum grossen Fest.
Doch nicht irgendeinem neuankommenden Pilger ziehen sie entgegen. Wenn in jener Zeit ein Herrscher in
eine Stadt kam, zog ihm die Bevölkerung der Stadt entgegen und begleitete ihn in die Stadt. Hier war es
wohl nicht die Jerusalemer Bevölkerung, die Jesus entgegenzog, sondern eine Schar von Pilgern, aber sie
tun, was man bei Ankunft des Herrschers tut: überschwenglich begrüssen sie ihren König. Sie legen Kleider
ihm zu Füssen und behandeln ihn wie einen König. Mit dem Ruf "Hosanna" anerkennen sie jublend seine
Würde.
Der auf einem Esel reitende König
Dem Bild vom Einzug des antiken Herrschers in gewaltiger Pose stellen die Evangelien kontrastierend den
auf dem Esel reitenden Jesus entgegen. Ja, er zieht als König in seine Stadt ein, aber sein Königtum ist
anderer Art. Alttestamentliche Zitate und Anspielungen zeigen die Besonderheit seines Königtums. Nach
dem Evangelisten Matthäus zieht Jesu auf einer Eselin und ihrem Füllen ein. Hier greift der Evangelist auf
den Segen Jakobs über seinen Sohn Juda zurück, aus dessen Stamm man den Messias erwartete: "Er
bindet seinen Esel an den Weinstock, an die Rebe das Junge seiner Eselin." (Genesis 49,11) Matthäus will
mit der Anspielung auf die Eselin und ihr Junges also sagen, dass der vorausverkündete Herrscher der
Völker kommt.
Der Esel ist hier wie an anderen Stellen des Alten Testaments ein Tier, auf dem Vornehme reiten. Aus dem
Propheten Sacharja (9,9) zitiert derselbe Evangelist: "Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und
hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin." Die Milde ist es, die das Bild dieses
Königs bestimmt. Als gänzlich untypischer, als sanftmütiger König wird Jesus wenig später vor seinen
Richtern stehen.
"Gepriesen, der kommt im Namen des Herrn."
Noch einmal wird aus dem Alten Testament zitiert, wenn die Menge Jesus entgegenruft: "Gesegnet sei er,
der kommt im Namen des Herrn." (Psalm 118,26) Mit diesem Ruf wurden einst die Festpilger im Tempeltor
begrüsst. Doch in zweifacher Weise weist dieses Zitat auch über die Einzugsszene hinaus. Zunächst weil
Matthäus dieses Wort noch einmal zitiert: "Und ich sage euch: Von jetzt an werdet ihr mich nicht mehr
sehen, bis ihr ruft: Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!" (Mt 23,39) Wenn der Herr am Ende
der Zeiten wiederkommen wird, dann, so Matthäus, wird er wie einst vor den Toren der Stadt mit diesem
Ruf begrüsst werden. Katholische Christen, die mit ihrer Palmprozession Christus entgegenziehen, erinnern
nicht nur, was damals die Pilger in Jerusalem taten. Vielmehr stehen sie am Palmsonntag am Tor der
Karwoche und schauen dem entgegen, der als Auferstandener einst wiederkommen wird.
Psalm 118
Noch in anderer Hinsicht weist das Zitat über den ursprünglichen Kontext hinaus: Wenn auch nur ein Vers
zitiert wird, so klang doch für jene ersten Leser des Matthäus-Evangeliums der ganzen Psalm an. Einige
andere Verse finden schon im Neuen Testament eine österliche Deutung: "Der Stein, den die Bauleute
verwarfen, er ist zum Eckstein geworden. Das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses
Wunder." (22f) In der Liturgie finden sich später weitere Verse: "Ich werde nicht sterben, sondern leben, um
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die Taten des Herrn zu verkünden." (17; vgl. dazu den gregorianischen Introitus vom Sonntag) und: "Dies
ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen jubeln und uns an ihm freuen." (24; wiederum im
gregorianischen Proprium des Ostersonntags) Damit leuchtet schon ein indirektes Licht vom Ostersonntag
herein in den Torraum des Palmsonntags. Doch auch die düsteren Stunden, die in dieser Woche zuerst
einmal durchschritten sein wollen, klingen in diesem Psalm an: "Alle Völker umringen mich (10) ... Sie
umschwirren mich wie Bienen (12) ... Sie stiessen mich hart, sie wollten mich stürzen ... (13)".
Das Überschreiten der Schwelle
Wenn die Palmprozession im heutigen Gottesdienst die Schwelle zum Kirchenraum überschreitet, ändert
sich bald die Stimmungslage der Liturgie: Vom Tagesgebet an steht das Leiden Jesu im Mittelpunkt. Die
österliche Auferstehungsbotschaft klingt jedoch schon im Tagesgebet an: "Hilf uns, dass wir ihm auf dem
Weg des Leidens nachfolgen und an seiner Auferstehung Anteil erlangen." Die zweite Lesung, der Hymnus
des Philipperbriefs, schreitet einen universalen Radius ab: vom Dasein Jesu in der Gleichheit mit Gott über
die Entäusserung in der Menschwerdung, sein Leben als Mensch bis zum Tod am Kreuz und die Erhöhung
in der Herrlichkeit des Vaters. Es folgt die lange Lesung der Passion, heute gemäss dem Lesejahr nach
Matthäus, Markus oder Lukas, vom 5. Jh. bis zum II. Vatikanum immer nach Matthäus. In der Präfation
leuchtet wieder kurz die Osterbotschaft auf: "Sein Tod hat unsere Vergehen getilgt, seine Auferstehung uns
Gnade und Leben erworben." Doch der Akzent der Liturgie liegt von nun an und in den nächsten Tagen auf
der Passion. Die Schwelle ist überschritten.
Zur Geschichte des Festes
Erst seit dem späten 4. Jh. erstreckt sich die Feier von Tod und Auferstehung Jesu über die Karwoche. Die
Palmprozession wird in Jerusalem schon zu dieser Zeit begangen. Zunächst findet die Lesung vom Einzug
Jesu in Jerusalem in den nicht-römischen westlichen Liturgien Eingang, später auch eine Palmprozession
mit der immer stärker gewichteten Weihe der Zweige. In Rom ist der Palmsonntag ganz von der Passion
Jesu beherrscht. Die Palmprozession kann sich hier erst im Laufe des Mittelalters als ein eigenständiger,
dem Gedächtnis des Leidens unmittelbar vorausgehender Teil der Feier durchsetzen.
Die Liturgie des Palmsonntags mit den beiden stimmungsmässig so unterschiedlich gefärbten
Bestandteilen Palmweihe mit Einzugsevangelium einerseits und Passion andererseits bestimmte seit dem
16. Jh. die katholische Feier, während evangelischerseits das Einzugsevangelium ohne Palmweihe und
Prozession bestimmend wurde. Noch immer lassen sich deutlich zwei Teile der einen Feier unterscheiden.
Beide Teile sind wichtig, keiner darf fehlen. Was historisch zusammengewachsen ist, ist noch immer als Tor
und Schwelle zu erfahren und markiert so im Rahmen der österlichen Busszeit einen Einschnitt: die
Karwoche beginnt, das Gedächtnis der Passion wird im Mittelpunkt stehen, doch immer wieder im Hinblick
auf die Erlösung durchbrochen, die im Kreuz geschenkt und seit Ostern als Sieg über den Tod manifest ist.
Der Palmsonntag bereitet die Christen vor, den Weg von der Passion zum österlichen Sieg mitzugehen,
alles Negative hinter sich zu lassen und verwandelt aus der Feier der Osternacht herauszugehen.
Gunda Brüske
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