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Einheit 4
von
Tobias Arni-Häberli
Von Eseln
Theologische Einleitung
«Du dummer Esel!» Was wir gedankenlos aussprechen, wird diesen Tieren in keiner Art und Weise
gerecht. Die folgenden Überlegungen korrigieren
unser Bild vom Esel. Sie basieren auf dem Buch
«Dieren uit de Bijbel» (Tiere in der Bibel) des
Holländers Adriaan Schouten van der Velden
und auf Artikeln im Online-Lexikon Wikipedia.
Im alten Israel war der Esel Lasttier, Reittier
und Zugtier zugleich. Er ist nicht so schnell wie
ein Pferd, aber ausdauernder. Vor allem in Berg-
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regionen und in schwierigem Gelände ist der
Esel dem Pferd überlegen, weil er trittsicherer ist.
In der Bibel wird er an vielen Stellen erwähnt.
Das Reiten auf einem Esel war in biblischer Zeit
kein Zeichen von Armut oder Einfachheit, ganz
im Gegenteil! Jahrhundertelang war in Israel
gerade der Esel ein Symbol für Vornehmheit.
Ein zahmer Esel mit hellem oder weissem Fell
war das Reittier eines neuen Königs. Deboras
Lobgesang (Richter 5, 10) zeigt, dass weisse Esel
5/2009  Wege zum Kind
4 Von Eseln
besonderen Persönlichkeiten vorbehalten waren.
Jaïr hatte dreissig Söhne, die auf dreissig Eseln
ritten (Richter 10, 4). Als Saul die Eselinnen seines
Vaters sucht, «findet» er das Königtum (1. Samuel
9–10). Davids Familie reitet auf Eseln (2. Samuel
16, 2). Eine ganz besondere Stellung hat der Esel
in der Geschichte mit Bileam, vgl. 4. Buch Mose
(Numeri) 22–24. Dort scheut Bileams Eselin vor
einem Engel mit Schwert. Sie wird deswegen
geschlagen. Dazu ein Kommentar von Maimonides: «Unsere Weisen haben festgestellt, dass es
in der Torah ausdrücklich verboten ist, einem
Tier Schmerzen zu verursachen, und dass dieses
Verbot auf dem Satz beruht: Warum hast du deine Eselin geschlagen?» Da das Pferd in der Bibel
mit Luxus und Krieg assoziiert wird, erwartet
man vom künftigen Heilskönig, dass er in der
Tradition der alten Zeit auf einem Esel reitet und
die Pferde aus Jerusalem beseitigen werde. Jesus
hat diese Erwartung erfüllt (vgl. dazu Sacharja
9, 9–10 und Matthäus 21, 1–9).
Genügsam und unentbehrlich
Der zahme Esel des Ostens stammt vom Nubischen Wildesel ab, der einst in gebirgigen Gegenden von Somalia bis Marokko verbreitet war. Er
war ein ausgesprochen genügsames Tier (dem die
sprichwörtlichen Disteln und Stroh ausreichten),
das zudem äusserst trittsicher war.
Von den drei Wildeselarten – dem Nubischen,
dem Somalischen und dem Algerischen – hat nur
der Somalische Wildesel in wenigen Exemplaren
hier und da in freier Wildbahn überlebt. Seine
Zahl in einer bestimmten Region wird durch
den Wassermangel in Grenzen gehalten. In den
trockenen Sommermonaten dürfen sich die Wildesel nie weiter als zehn bis zwanzig Kilometer
von einer Wasserstelle entfernen. In solch einem
kleinen Gebiet ist das Futter beschränkt, daher
können dort nur wenige Esel leben. Aus Israel
ist der Wildesel, der dort einst in grosser Zahl
vorkam, verschwunden. Im südlichen Hai-Bar
Nationalpark hat man Somalische Wildesel aus
Äthiopien ausgesetzt, um diese Tiere wieder ein-
Wege zum Kind  5/2009
zubürgern. Eritrea ist das einzige Land mit einer
einigermassen stabilen Wildesel-Population von
etwa 400 Tieren. Die «International Union for
Conservation of Nature and Natural Resources»,
kurz IUCN (deutsch: Weltnaturschutzunion) listet
die Art als vom Aussterben bedroht («critically
endangered»).
Kein Opfertier
Obgleich der Esel als unentbehrliches Last- und
Reittier von den Israeliten sehr geschätzt wurde,
durfte man ihn nicht als Opfertier verwenden.
Fast nirgendwo auf der Welt wird das
Fleisch von Eseln gegessen. Die Israeli«Esel» ist im
ten durften es nur in Notfällen zu sich
Alten Testament
nehmen. Bei der Belagerung von Samakein Schimpfwort.
ria beispielsweise wurde ein Eselskopf
für achtzig Silberlinge verkauft (2. Könige 6, 25).
Ein toter Esel wurde nicht begraben, sondern
ausserhalb der Stadt zu den Abfällen geworfen.
Vermutlich hat Simson an solch einer Stelle «einen frischen Eselskinnbacken» gefunden. Seine
Worte: «Mit dem Kieferknochen vom Esel einen
Haufen, zwei Haufen, mit dem Kieferknochen
vom Esel erschlug ich tausend Mann» (Richter
15, 16), gelten als ein Ausruf der Verachtung.
Ein Eselsbegräbnis, wie es Jeremia dem König
Jojakim vorhersagt (Jeremia 22, 19), ist also gar
kein Begräbnis.
«Esel» ist im Alten Testament kein Schimpfwort. Im alten Israel wurden sehr viele Esel gehalten und eingesetzt. Das Pferd, das erst während
der Herrschaft von König Salomo erwähnt wird, hat in biblischer Zeit den
Fast nirgendwo
Esel nicht verdrängen können, nicht
auf der Welt wird
einmal im militärischen Bereich. Die
das Fleisch von
Israeliten, die aus Babel zurückkehrten,
Eseln gegessen.
führten 736 Pferde, 245 Maultiere, 435
Kamele und 6 720 (!) Esel mit sich (Esra 2, 66–67).
Offensichtlich war der Esel in jener Zeit das
wichtigste Haustier. In den zehn Geboten wird
ausdrücklich erwähnt, dass der Sabbat auch als
Ruhetag für die Esel gilt! (2. Mose 23, 12)
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