Pressespiegel vom 15.11.2013

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Pressespiegel vom 15.11.2013
Pressespiegel November 2013; 15.11.2013
Europas Rromapolitik aus amerikanischer Perspektive
Bilefsky (2013) von der New York Times kommentiert die europäischen Geschehnisse um
die Integrations- resp. Desintegrationsversuche der Rroma. Anhand des Prozesses gegen 27
kroatische Rroma, denen Kinderhandel und Erziehung zur Delinquenz vorgeworfen wird,
wirft er die Frage nach der Rolle der Rroma in der europäischen Gesellschaft auf. Seine
Fragen sind aber ungeschickt gestellt: So sieht er die Rroma durch eine weit verbreitete
Armut und Diskriminierung zwangsläufig zur Delinquenz gezwungen. Armut bedeutet
jedoch nicht automatisch ein abdriften in die Illegalität. Solch eine Vorstellung entspricht
jenen konservativen Ansichten, die alle armen Rroma als in hierarchische, ausbeuterische
Strukturen eingebettet sehen. Die Verteidigung der angeklagten Rroma habe sich in ihrer
Argumentation auf eine fragwürdige Traditionen der Andersartigkeit berufen. Daher
Bilefskys provokative Frage im Titel des Artikels: «[the] members of the defense team
offered an unusual legal defense: rather than focusing on the argument that the Roma are
forced to resort to crime because of poverty and discrimination, it claimed that in some
cases they were simply following age-old Roma traditions and generally operate outside the
norms of society in «the style of the Middle Ages.»» Diese Sichtweise der kulturellen
Andersartigkeit ist genau jene, die auch Manuel Valls und andere Konservative
favorisieren. Dass die Verteidigung sie zur Rehabilitierung der Angeklagten Rroma
einsetzte ist besonders fragwürdig und stellt die Frage nach ihrer Integrität. Die Anklage
hingegen favorisierte eine Perspektive der organisierten Kriminalität: Die Rroma-Kinder
seien aufgrund ihrer weitgehenden Straffreiheit bewusst zu Dieben erzogen worden und
Teil von clanartigen Strukturen. Dies hingegen, so Bilefsky verwirrende Analyse, sei keine
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kulturelle Erklärung. Was dann? Er nimmt bezüglich den zitierten Stellungsnahme eine
liberale Haltung ein: Auch die Rroma, so suggeriert er durch eine abschliessendes Zitat,
müssten sich durch eigene Anstrengungen zu Emanzipieren versuchen. Dass dazu aber auch
die Bereitschaft einer bereiten Öffentlichkeit notwendig ist, mit ihnen zu kooperieren, sollte
nicht negiert werden.
- Bilefsky, Dan (2013) Are the Roma Primitive, or Just Poor? In: New York Times online vom
19.10.2013.
http://www.nytimes.com/2013/10/20/sunday-review/are-the-roma-primitive-or-
just-poor.html?_r=0
Stichwörter: Kroatien, Kinderhandel, Prozess, Armut, Kriminalität, Europa, New York
Times, Dan Bilefsky
Rroma und der Zürcher Strassenstrich
20 Minuten (2013) favorisiert durch seinen Artikel über einen Prozess gegen zwei RromaZuhälter eine Perspektive von kulturell determinierten Ausbeutungsverhältnissen, die die
Vorstellung von clanartigen Abhängigkeitsverhältnissen reproduzieren, wie dies auch die
Weltwoche immer wieder tut: «Das Bezirksgericht Zürich hatte den Clan-Chef im Sommer
2012 unter anderem wegen Menschenhandels und sexueller Nötigung, den Sohn wegen
Förderung der Prostitution schuldig gesprochen. [...] Die Anklägerin sprach vor
Obergericht von einem brutalen und skrupellosen Vorgehen der Beschuldigten. Diese
hätten die Geschädigten mit körperlichen Züchtigungen und Drohungen gefügig gemacht
und ausgebeutet. Die wie Waren gekauften Frauen hätten sämtliche Verdienste dem ClanChef abgeben müssen.» Fragwürdig ist dabei natürlich nicht die Anklage der den Frauen
angetanen Gewalt, jedoch aber die Feststellung, dass es sich bei den beschriebenen
Ausbeutungsverhältnissen um kulturell bedingte Strukturen handelt. Der Artikel impliziert
dadurch, dass es sich bei der beschriebenen Zuhälterei um ein Roma spezifisches Phänomen
handelt.
Auch Haslers (2013) Artikel vermittelt neben seiner Diskreditierung des Menschenhandels
den Eindruck, dass es sich bei dem beschriebenen Fall um clanartig, stark hierarchisch
organisierte Rromabanden handelt: «Ab dem Jahre 2008 hatten sich ungarische Roma den
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Zürcher Strassenstrich am Sihlquai und in der Langstrasse unter den Nagel gerissen. Die
Revieraufteilung unter den Zuhältern verlief nicht ohne Spannungen. [...] Der Sohn scheute
sich auch nicht, seine Partnerin und Mutter seiner Kinder auf den Strich zu schicken und
sie bei Widerwillen zu drangsalieren . Er wandte derart heftige körperliche Gewalt an, dass
die Frau mit dem Krankenwagen ins Spital gefahren werden musste. Am Schluss der
Strafuntersuchung gab die Frau der Staatsanwaltschaft bekannt, sie wolle den 25-Jährigen
heiraten.» Wie mehrere Autoren überzeugend darlegen, ist die Vorstellung von clanartigen,
hierarchischen Strukturen unter den Rroma falsch (Daniels 2013, Mappes-Niediek 2013,
Martens 2013, Tabin 2013). Zuhälterei als ein kulturell bedingtes Phänomen darzustellen,
kann man nur als absurd bezeichnen. Dass es den Menschenhandel dezidiert zu bekämpfen
gilt, steht dabei ausser Frage.
- 20 Minuten (2013) Siebeneinhalb Jahre Haft für Roma-Zuhälter. In: 20 Minunten online vom
12.11.2013. ULR: http://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/Siebeneinhalb-Jahre-Haft-fuerRoma-Zuhaelter-28937484
- Von Daniels, Justus (2013) Die Mär von den Roma-Clans. In: Zeit online vom 26.10.2013.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-10/roma-kinder-adoption-clans-hintergrund
- Hasler, Thomas (2013) Zuhälterei im Familienbetrieb. In: Tages-Anzeiger online vom
11.11.2013. http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/Zuhaelterei-imFamilienbetrieb/story/18890206
- Mappes-Niediek, Norbert (2013) Falsche Könige. In: TAZ online vom 4.3.2013.
http://www.taz.de/!112116/
- Martens, Michael (2013) Es gibt keinen Zigeunerkönig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung
online vom 4.3.2013. http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/armutseinwanderung-von-romaes-gibt-keinen-zigeunerkoenig-12099580.html
- Tabin, Jean Pierre et al. (2012) Rapport sur la mendicité « rrom » avec ou sans enfant(s).
Université de Lausanne.
http://www.oprerrom.org/pdf/Mendicité_Rrom_Rapport_final_2012_EESP_UNIL.pdf
Stichwörter: Zürich, Schweiz, Strassenstrich, Prostitution, Clan, Banden, Zuhälter, 20
Minuten, Justus von Daniels, die Zeit, Thomas Hasler, Tages-Anzeiger, Norbert MappesNiediek, TAZ, Michael Martens, Frankfurter Allgemeine, Jean-Pierre Tabin
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Rroma in Nordböhmen
Schultheis (2013) berichtet über die erfolgreichen Bemühungen der Bürgermeisterin von
Obrnice, Drahomíra Miklošová, die Rroma in die Gemeinschaft zu integrieren. Der Ansatz
sei dabei eine Strukturhilfe die nicht spezifisch auf Rroma zugeschnitten sei, sondern auf
Bedürftige im Allgemeinen. Miklošová bemühte sich um einen politischen Posten und
bekämpfe dann dezidiert Mietwucher und Kriminalität. Was die Rroma anbelangt, bemühte
sie sich um Integration anstatt sie zu vertreiben, wie dies noch immer üblich ist. Auch die
Leiterin der Stelle für soziale Dienstleistungen sieht den Erfolg der örtlichen Projekte durch
einen Fokus auf Bedürftige im Allgemeinen und die Stärkung des sozialen
Zusammenhaltes: «Es geht heute nicht mehr um Roma oder Nicht-Roma. […]„Manche
Leute hier denken: Ihr macht alles nur für die Zigeuner. Dabei geht es insgesamt um sozial
Schwache. Sie haben alle dieselben Probleme: Arbeitslosigkeit, Wucher, Verschuldung. Ein
Teufelskreis. Etwa ein Drittel der Familien, die zu uns in die Beratung kommen, sind keine
Roma.» Der sehr positive Artikel sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Diskriminierung der Rroma in Tschechien nach wie vor ein virulentes Problem darstellt.
- Schultheis, Silja (2013) Beispiel für gelungene Roma-Integration: die Gemeinde Obrnice. In:
Radio Prag online vom 14.11.2013. http://www.radio.cz/de/rubrik/kaleidoskop/beispiel-fuergelungene-roma-integration-die-gemeinde-obrnice
Stichwörter: Böhmen, Tschechei, Obrnice, Integration, Miklošová, Silja Schultheis, Radio
Prag
Zementierung von Vorurteilen durch den Fall Maria
Scholz (2013) sieht durch den Fall um das blonde, bulgarische Rroma-Mädchen Maria eine
erneute Erstarkung von rassistischen Vorurteilen gegenüber den Rroma. Sowohl der
Rassismus-forscher Wolfgang Benz als auch der Vorsitzende des deutschen Zentralrates der
Sinti und Rroma, Romani Rose, kritisieren die Berichterstattung von zahlreichen Medien
als auch das Vorgehen der involvierten Polizeibehörden als auf «rassistischen
Grundmustern» beruhend. Die unreflektierten Artikel förderten die Ausgrenzung und die
Vorurteile gegenüber den in Europa lebenden Rroma. Rose wies laut Scholz zudem auf die
Einseitigkeit der Berichterstattung hin, die sich immer nur auf Problemfälle konzentriere,
und die «unsichtbaren», integrierten Rroma völlig ausblende: «Vor einigen Tagen hatte
Rose bereits in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" davor gewarnt, "immer nur
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einen Teil der Roma ins Blickfeld zu nehmen". Man müsse unterscheiden zwischen den in
"Anonymität Lebenden und denen, die ein ganz normales Leben in Deutschland führen".»
Rose fordert weiter die Einsetzung einer Expertenkommission, die den Antiziganismus in
Deutschland untersucht und publik macht (vergleiche zudem Deutsche Welle 2013).
Peters (2013) präzisiert, dass laut einer neueren Umfrage 64% der Deutschen Rroma als
Nachbarn ablehnen würden. Und dies obwohl viele bereits Rroma als Nachbarn haben, dies aber
aufgrund der Geheimhaltung der Identität nicht wissen. Peters zieht in Bezugnahme auf
Wolfgang Benz zudem klare Parallelen zur Diskriminierung der Juden. Eine solche
Berichterstattung würde man sich in Deutschland gegenüber der jüdischen Minderheit aufgrund
der historischen Ereignisse aber nicht erlauben. Gegenüber den Rroma erstaunlicherweise
jedoch schon. Rose kritisiert: «Weltweit werden verschwundene Kinder nun bei Roma vermutet.
Hunderte von Eltern schöpfen jetzt die Hoffnung, dass ihre verschwundenen Kinder am Leben
und von Roma verschleppt wurden. Das macht alle Sinti und Roma zu potenziellen
Kindesräubern.»
Gezer (2013) kommt zu einer düsteren Bilanz, was die aktuelle Akzeptanz der Rroma in
Europa anbelangt. Das öffentliche Bild ist von negativen Stereotypen dominiert, die Rroma
dienen als Sündenböcke und Projektionsfläche für eine Vielzahl von gesellschaftlichen
Ängsten und Debatten, die auf ihrem Buckel ausgetragen werden: Ängste vor
Zuwanderung, vor Veränderung, vor wirtschaftlicher Verarmung: «Ja, Europa hat einen
neuen Bösewicht, er heißt Roma und ist überall. Der neue Bösewicht hat dunkle Haut, singt
und klaut, zieht seinen Kindern keine Schuhe an, weil es ihre Tradition so will. In Europa
ist es wieder salonfähig, eine Gruppe aufgrund ihrer ethnischen Herkunft zu
stigmatisieren.» Besonders kritisiert sie die Stille von vielen Politikern und Personen der
Öffentlichkeit, die den aufflammenden Rassismus gegenüber den Rroma totschweigen. Es
seien die gleichen Vorbehalte, die man bei der Zuwanderung der Türken habe beobachten
können.
- Deutsche Welle (2013) Fall Maria: Roma beklagen Rassismus. In: Deutsche Welle online vom
6.11.2013. http://www.dw.de/fall-maria-roma-beklagen-rassismus/a-17208815
- Gezer, Özlem (2013) Debatte über Roma: Ohnmächtiges Europa. In: Spiegel online vom
2.11.2013.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/roma-europas-im-umgang-mit-seiner-
groessten-minderheit-a-930841.html
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- Peters, Freia (2013) "Niemand hat der Hetze Einhalt geboten". In: Die Welt online vom
5.11.2013.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article121577967/Niemand-hat-der-Hetze-
Einhalt-geboten.html
- Scholz, Kay-Alexander (2013) Die Folgen des Falls Maria für Sinti und Roma. In: Deutsche
Welle online vom 5.11.2013.
http://www.dw.de/die-folgen-des-falls-maria-für-sinti-und-
roma/a-17204376
Stichwörter: Maria, Griechenland, Kinderhandel, Antiziganismus, Vorurteile, Unsichtbare,
Deutsche Welle, Özlem Gezr, Spiegel, Freia Peters, die Welt, Scholz, Kay-Alexander
Hetze gegen Rroma in «Daily Express»
Jeeves (2013) diffamiert in einem von Vorurteilen und Verallgemeinerungen nur so
triefenden Artikel Rroma bis an die Grenze zum offenen Hass: «Earlier this week, former
Home Secretary and Sheffield MP David Blunkett highlighted the “serious problems” after
the arrival of Romas from Slovakia. […] Teenage girls are said to offer sex for less than the
price of a pint of beer. Others believe drug deals are taking place, with cars pulling up and
packages being exchanged. Concerns that Roma gangs already in Britain are engaged in
such appalling criminal acts will add weight to the Daily Express crusade to force the
Government to keep controls in place on Romanians and Bulgarians, rather than opening
the doors to both countries on January 1.» Jeeves Artikel zeichnet ein hochgradig
einseitiges, rassistisches Bild der Rroma: Sie werden als kriminelle Bande porträtiert, die
mit der englischen Gesellschaft unvereinbar sei. Die Rroma werden als Gefäss für den
Wahlkampf um die Personenfreizügigkeit mit Rumänien und Bulgarien missbraucht. Der
klar konservativ eingestellte Autor projiziert seine rassistischen, verzerrten Vorstellungen
über unanpassungswillige Migranten, die die britische Sozialwerke belasten werden, auf die
Rroma und diffamiert sie so. Eine reflektierte Berichterstattung sieht anders aus.
- Jeeves, Paul (2013) Shocking truth of how Roma migrants offered to sell their baby for £250.
In: Daily Express online vom 14.11.2013.
http://www.express.co.uk/news/uk/442928/EXCLUSIVE-Shocking-truth-of-how-Romamigrants-offered-to-sell-their-baby-for-250
Stichwörter: England, Kinderhandel, Daily Express, Hetze, Paul Jeeves
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