Die Verfolgung der Sinti und Roma im NS

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Die Verfolgung der Sinti und Roma im NS
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Die Verfolgung der Sinti und Roma im
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NS-Regime am Beispiel von Darmstadt
und Umgebung
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Von Katrin Motz
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Geschichte Leistungskurs bei Frau Lange-Menz
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Hausarbeit, März 2015
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Georg-Christoph-Lichtenbergschule
Ober-Ramstadt
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Inhaltsverzeichnis der Hausarbeit
1. Die Umstände der Sinti & Roma – schon seit Jahrhunderten!
2. Das Leiden der Sinti und Roma unter den NS-Rassenideologischen Gesetzen
3. Polizeiliche Maßnahmen in der NS-Zeit an einem konkreten Beispiel
4. Das Beispiel der Familie Rose
5. Das Mahnmal in Darmstadt - Die Verfolgung der Sinti und Roma in Darmstadt
6. Noch heute ein aktuelles Thema
___________________________________________________________________
Hausarbeit von Katrin Motz, Georg-Christoph-Lichtenbergschule Ober-Ramstadt
Die Verfolgung der Sinti und Roma im NS-Regime,
am Beispiel von Darmstadt und Umgebung
Von Katrin Motz
Die Sinti und Roma litten im Laufe der Geschichte unter Verfolgung und
Diskriminierung. Zur Zeit des NS-Regimes erreichte dieser Konflikt und Hass einen
traurigen Höhepunkt, mit der Deportation und Vernichtung unzähliger Menschen
dieser Volksgruppe.
Auch in meiner Heimat, also Darmstadt und Umgebung, fanden zwischen 1933 und
1945 Verfolgung und schreckliche Verbrechen gegen die Sinti und Roma statt. Noch
heute ist der Rassismus gegenüber dieser Jahrhunderte alten Kultur ein Problem,
welches in unserer Gesellschaft nur selten und in eher unregelmäßigen Abständen
wirkliche Beachtung findet. Da diese Problematik bis heute aktuell und relevant ist,
möchte ich ihr in dieser vorliegenden Hausarbeit auf den Grund gehen und mich mit
der Verfolgung der Sinti und Roma in Darmstadt und Umgebung im Dritten Reich
auseinandersetzen.
1. Die Umstände der Sinti & Roma – schon seit Jahrhunderten!
Seit Jahrhunderten besteht die Kultur der Sinti und Roma in Europa. Bei den beiden
Namen unterscheidet man hauptsächlich zwischen der Herkunft. Die „Sinti“ stammen
vorwiegend aus den mittel- und westeuropäischen Gebieten und die „Roma“
überwiegend aus ost- und südosteuropäischen Gebieten. Die für die Minderheit als
diskriminierend aufgefasste Bezeichnung „Zigeuner“ entstand schon im Mittelalter.
Bereits zu Beginn der frühen Neuzeit begann eine Verfolgung und Ausgrenzung der
Sinti und Roma, z.B. in Form von Verboten, welche das Ausführen von
handwerklichen Berufen untersagten. Des Weiteren hatte die rassistische Haltung
der Menschen in Europa auch religiöse Gründe: Ähnlich wie bei den Juden wurden
die Sinti und Roma zunehmend als „Sündenbock“ dargestellt und von der Kirche als
„Heiden“ bezeichnet.1
Die Sinti und Roma sind schon seit sehr langer Zeit einer Vielzahl von Vorurteilen
und Klischees ausgesetzt, dies nennt man Antiziganismus. Die Vorurteile befinden
sich
„schon
seit
Jahrhunderten
im
kollektiven
Bewusstsein
der
2
Mehrheitsgesellschaft“. Doch warum müssen sie sich schon so lange mit vielen
voreingenommen Klischees herumschlagen? Warum erfahren sie so viel Ablehnung
und Hass? Die Sinti und Roma aus kulturellen- und Mentalitätsgründen ein sog.
„Fahrendes Volk“ sind, welches also nicht sesshaft ist und regelmäßig seinen
Wohnsitz wechselt. Daher hielt man sie schnell für gefährlich - man war das
hierzulande schlichtweg nicht gewöhnt. Sie wurde wahrgenommen als
1, 2
3
Vgl. http://www.sintiundroma.de/sinti-roma.html
Vgl. http://www.sintiundroma.de/sinti-roma/ns-voelkermord.html
3
„minderwertiges [...] orientalisches Volk, dem Eigenschaften wie Faulheit, mangelnde
Körperhygiene, die Neigung zum Diebstahl wie die besonders große sexuelle Aktivität
gleichsam angeboren seien.“
2
Natürlich ist uns bewusst, dass es sich dabei nur um Vorurteile handelt und man
keiner Bevölkerungsgruppe im Ganzen einfach Eigenschaften zuordnen kann.
Auch aktuelle Vorwürfe von europaweiten Kindesrauben durch diese Ethnie sind im
Umlauf.3
Kein Wunder also, dass sie in unserer Gesellschaft kaum Anknüpfungspunkte finden,
wie ich in meinem Fazit nochmals genauer erläutern werde.
All diese Vorurteile machten sich auch die Nationalsozialisten zu Nutze, um sie für
propagandistische Zwecke zu Missbrauchen und die Sinti und Roma aus der
Gesellschaft zu entfernen.
Entgegen der Behauptung der Nationalsozialisten, haben sich die Sinti und Roma
größtenteils gut in die Gesellschaft integriert, viele von ihnen hatten Berufe,
beispielsweise als Handwerker oder dienten im 1. Weltkrieg. Einige von ihnen so
erfolgreich, dass sie anschließend Auszeichnungen für die Kriegsdienste bekamen.3
Anhand des folgenden Zitates wird die gute Integration vieler Sinti und Roma vor der
NS-Herrschaft nochmals verdeutlicht.
"Die Zigeunerfamilien kommen ins Dorf, kaufen ihre Milch und ihr Brot, fallen sonst
nicht auf, schicken ihre Kinder in die Ortsschule, besuchen den Gottesdienst, denn
sie sind zum römischkatholischen Glauben übergetreten und haben auch bei der
letzten Reichspräsidentenwahl ihre Staatsbürgerpflicht erfüllt."
- Ein Reporter der „Pfälzischen Rundschau“ über die Eußerthaler Sinti
4
Und doch gelang es der Propaganda, das Bild der Sinti und Roma in der
Bevölkerung, ähnlich wie das der Juden, zu verändern. Im Verlauf der Arbeit werde
ich auf das Verhalten und Schicksal der Sinti und Roma anhand eines konkreten
Beispiels, nämlich dem der Familie Rose, genauer eingehen.
2. Das Leiden der Sinti und Roma unter den NS-Rassenideologischen Gesetzen
Noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde am 3. April 1929 im
Volksstaat Hessen von Wilhelm Leuschner, dem sozialdemokratischen
Innenminister, das „Gesetz zur Bekämpfung des Zigeunerwesens“ verabschiedet.
Der öffentliche Antiziganismus bot eine ideale Vorlage, die sich das NS-Regime
anschließend zu Nutze machte.
Vgl. Christoph Suin de Boutemard (Hrsg.): „Von Deutschen überhaupt. Mentalitätswandel zwischen
aufkläereischem Kosmopolitismus und Nationalismus“. Röhrig Universitätsverlag. S.119 (Google
Books)
2
3
4
Vgl. http://www.tagesschau.de/inland/sinti-roma-antiziganismus-100.html
Vgl. http://www.sintiundroma.de/sinti-roma/ns-voelkermord.html
4
Unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers trat das „Gesetz zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses“ im Jahre 1934 in Kraft, welches zu vielen
Zwangssterilisationen der Sinti und Roma führte.5 Zahlreiche Frauen starben dabei,
aufgrund von medizinischen Komplikationen. Sie sollten das „biologisch
minderwertige
Erbgut
ausschalten“,
nach
der
Rassenideologie
der
6
Nationalsozialisten.
Ein sehr einschneidender Schritt der Ausgrenzung und Verfolgung von Sinti und
Roma war die Verkündigung der „Nürnberger Rassengesetzte“ am 15. September
1935, welches dem „Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ dienen
sollte.7 Neben vielen Gesetzen, die die nationalsozialistischen Ideologien darstellen,
wie z.B. die „Reinhaltung der arischen Rasse“, wurden die Sinti und Roma, genauso
wie die Juden in Form einem nachträglichen dazugehörigen Rundschreiben, §6 der
ersten Verordnung, zu Bürgern mit eingeschränkten Rechten herabgestuft und
erniedrigt. Die Eheschließung mit „Deutschblütigen“ sei, genauso wie der jüdischen
Bevölkerung, untersagt.
Der Reichsinnenminister Wilhelm Frick äußerte sich im Zusammenhang der
Entmenschlichung der Sinti und Roma am 3. Januar 1936 wie folgt: „Zu den
artfremden Rassen gehören alle anderen Rassen, das sind in Europa außer den
Juden regelmäßig nur die Zigeuner.“8
Schon 1938 wurden über 2.000 Sinti und Roma, darunter auch viele Kinder ab 12
Jahren, in Arbeitslager deportiert.9
Am 8. Dezemeber 1938 forderte Heinrich Himmler, Oberbefehlshaber der SS und
der Polizei, eine „endgültige Lösung der Zigeunerfrage“. Schon 1937 wurde
beschlossen, dass alle Sinti und Roma dokumentarisch erfasst werden sollen, um an
die „Rassenhygienische Forschungsstelle“ übertragen zu werden. Viele dieser
Gutachten bereiteten die Grundlage für eine spätere strukturierte Deportation der
Sinti und Roma in Konzentrations- und Arbeitslager. 6
Um 1940 beschloss das sog. „Reichssicherheitsamt“ die Deportation von ca. 2.500
„Zigeunern“ in den vom Deutschen Reich besetzten Osten. Davon kamen ca. 200
Menschen aus Mainz und Umgebung und wurden über den Darmstädter
Güterbahnhof deportiert. Hier wurden die Menschen grundsätzlich vor der
Deportation ihres Besitzes beraubt und erniedrigt. 10
Um 1940 wurden bereits ganze Familien zunächst in unmenschlichen Sammellagern
zusammengepfercht
und
„zwischengelagert“,
um
anschließend
in
Konzentrationslagern oder Ghettos (z.B. Warschau) auf grauenvollste Art und Weise
5
Vgl. http://www.sintiundroma.de/uploads/media/chronologie140111.pdf
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zur_Verhütung_erbkranken_Nachwuchses
7 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Nürnberger_Gesetze
8 Vgl. http://www.stiftung-denkmal.de/denkmaeler/denkmal-fuer-die-ermordeten-sinti-undroma/chronologie-des-voelkermords-an-den-sinti-und-roma.html
9 Vgl. http://www.sintiundroma.de/uploads/media/chronologie140111.pdf
10 Vgl. Dokumentationsbuch: Darmstadt als Deportationsort, S. 106
6
5
hingerichtet zu werden oder aufgrund von Unterernährung und Erschöpfung
zusammen brachen und starben. 11
Ein deutscher Militärbefehlshaber erlässt des Weiteren eine zweisprachige
Verordnung, welche die „Zigeuner den Juden gleichstellt“. 6 In Betracht der
Auswirkung und der geforderten Opfer des Antisemitismus von ca. 6 Millionen Juden
ist klar deutlich, dass die NS-Herrscher vor keiner Tat zurückschrecken. Die unter
dem Holocaust, „dem Rassenwahn der Nationalsozialisten“ , getöteten Roma und
Sinti werden auf ca. 220.000 – 500.000 Personen geschätzt. 7
Der von Heinrich Himmler angeordnete Ausschwitz Erlass vom 16. Dezember 1942,
welcher in Form eines Schnellbriefes übertragen wurde, befahl die vollständige
radikale und baldige Deportierung aller noch auf deutschem Reichsboden lebenden
Roma und Sinti. Alle vorausgegangenen Befehle seien hinfällig, da es sich dort oft
um individuelle Deportationen handelte. Von diesem Moment an sollten ausnahmslos
alle Sinti und Roma familienweise und ohne Beachtung des Mischlingsgrades in das
Konzentrationslager Ausschwitz-Birkenau, in einen abgesonderten Abschnitt,
welcher extra für die Roma und Sinti abgetrennt wurde („Zigeunerlager“), deportiert
werden. Diese, nicht dem Nationalsozialismus entsprechende, „Rasse“ solle für
immer vernichtet und ausgerottet werden, aus der Sicht von Himmler. 12
Ein Auszug der Ausführungsbestimmungen des Reichskriminalpolizeiamts lautet wie
folgt:
„Auf Befehl des Reichsführers SS vom 16.12.42 (...) sind Zigeunermischlinge, RomZigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer
Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen
Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dieser Personenkreis wird im
nachstehenden kurz als 'zigeunerische Personen' bezeichnet. Die Einweisung erfolgt
ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager
{Zigeunerlager} Auschwitz.“
13
Bis zum Kriegsende 1945 wurden in Abschnittsweisen Mordkommandos viele
Tausende weitere in Konzentrationskammern vergast. Unter den auf ca. eine halbe
Millionen geschätzten Sinti und Roma welche ermordet wurden, schätzt man ca.
25.000 als Deutsche.14
Mit diesem Hintergrundwissen der nationalsozialistischen Vorgehensweise der
schrittweisen Vernichtung der Sinti und Roma in Deutschland und in Europa
allgemein, möchte ich mich im nächsten Kapitel meiner beiliegenden HauptPrimärquelle widmen. (Q1)
11 Vgl. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/voelkermord/voelkermord-an-sinti-und-
roma.html
12 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Auschwitz-Erlass
13 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Auschwitz-Erlass
14 Vgl. http://www.sintiundroma.de/uploads/media/chronologie140111.pdf
6
3. Polizeiliche Maßnahmen in der NS-Zeit an einem konkreten Beispiel
Es handelt sich hierbei um einen polizeilichen Bericht eines Gendarmerie
Hauptwachmeisters aus Erbach im Odenwald, welcher sich am 21. April 1938 an das
Hessische Kreisamt in Erbach (im Odenwald) wendet, um von der „Zigeunerplage im
Kreise Erbach/i. Odenwald“ zu berichten. Die Jahreszahl 1938 verrät, dass die NSideologisch gesinnten „Nürnberger Rassengesetze“ bereits drei Jahre zuvor
veröffentlicht wurden, welche sich stark in den Kopf der Bevölkerung festsetzten.
Auch die „Rasenhygienische Forschungsstelle“ wurde unter der Leitung von Dr.
Robert Ritter im Jahre 1937 zum Zwecke der dokumentarischen Erfassung der Sinti
und Roma in Deutschland gegründet, somit hatten viele Polizeibeamten die Aufgabe
die Betroffenen schriftlich zu erfassen. 10
Zunächst schildert der Hauptwachtmeister die aktuelle Situation, da er behauptet, es
würden sich viele der Bewohner von den umherziehenden „Zigeunern“ „belästigt und
beängstigt“ fühlen. Darüber hinaus würden sie sich in Wäldern ihre Lagerplätze
errichten, in denen sie offenes Feuer z.B. zum Kochen entfachen, was ein enormes
Waldbrandrisiko darstelle und nach ihrem Aufenthalt mit „unbrauchbaren
Gegenständen“ übersät zurücklassen, welches ebenfalls in hohem Maße störend für
die Anwohner sei.
Zudem würden die in „Horden“ umherziehenden Sinti und Roma das „Unwesen des
Bettelns in Nachbargemeinden“ betreiben. (Q1)
Mit dieser Beschreibung bittet der Hauptwachtmeister um ein dringendes Beseitigen
der „Zigeunerplage“, welche „unbedingte Maßnahmen“ erfordert.
Viele Sinti und Roma Vorurteile wurden hiermit bereits aufgeführt und die Minderheit
wird verschiedener Vergehen beschuldigt und als nicht willkommen bezeichnet.
Im Weiteren Verlauf des Berichtes erläutert der Hauptwachtmeister eine zuvor statt
gefundene Begebenheit, in welcher es sich um eine Gruppierung von ca. 20 Roma
und Sinti handelt, welche sich mit vielen Kindern an einem Waldrand nieder gelassen
haben. Nach dem erfassen der Personalien durch den Hauptwachtmeister wurden
die vier Männer der Gruppe dem Amtsgericht vorgeführt und zu je 4.- RM verurteilt.
August Bernd, ein lediger Begleiter der Gruppe, wurde die Möglichkeit erteilt, das
notwendige Geld aufzutreiben um die restlichen Angehörigen frei zukaufen, doch er
ergriff die Flucht und kehrte nie wieder zurück.
Die zurückgebliebenen Familienangehörigen und Begleiter wurden kurz danach
abtransportiert und an Baden, woher sie wohl ursprünglich kamen, übergeben. (Q1)
Genaueres ist nicht bekannt doch möglicherweise wurden sie schon wenige Monate
später erneut festgenommen und/oder in Konzentrationslager deportiert und
ermordet – dies ist jedoch in diesem Zusammenhang lediglich eine realistische
Hypothese meinerseits.
Zum Schluss legt der Hauptwachtmeister noch seine subjektive Meinung dar, welche
die NS-ideologischen Vorstellungen zu Minderheiten sehr gut repräsentiert.
7
Er empfindet die angeordnete Strafe als zu gering und schlägt einen gesonderten
Lebensraum für Sinti und Roma vor, somit könne die „Landplage der
herumziehenden Zigeuner“ unterbunden werden.
Hieran kann man erkennen, dass zumindest aus polizeilicher Sicht eine deutlich
härtere Vorgehensweise gefordert wird, da die kriminellen Akte der Sinti und Roma
Überhand nehmen würden. Noch im gleichen Jahr wird von Himmler eine „endgültige
Lösung für die Zigeunerfrage“ gefordert, über welche sich der Hauptwachtmeister mit
Sicherheit freuen konnte.
Die ausfallende Sprachwahl gegenüber der Minderheit zeigt ebenfalls die als
„Unmenschen“ und „Staatsfeinde“ empfundene Haltung zu Roma und Sinti und
anderen Minderheiten, z.B. den Juden. Auch die Entmenschlichung dieser Ethnie mit
Wortbezeichnungen wie „Landplagen“, die sie grundsätzlich beschuldigen als
„Kriminelle“ und „herum Vagabundierende“, bekräftigen, die in den „Nürnberger
Rassengesetzen“
zusammengefassten
Ansichten
eines
„arischen
und
deutschblütigen Volkes“.
In dem unter Q2 beigelegten Steckbrief eines Gendarmarie Wachtmeisters, handelt
es sich um eine Frau Elisabeth Laubinger, eine Sinti und Roma. Offenbar hat sie, wie
vorgeschrieben, einen „Zigeunerausweis“ bei sich – also nichts was zunächst
verfassungswidrig zu sein scheint. Sie wurde allerdings direkt von der Polizei
aufgegriffen und dem Amtsgericht vorgeführt (siehe Maßnahmen).
Sie wurde unter anderem angeklagt, wegen „Reisen ohne Genehmigung der
Verwaltungsbehörde “, Betteln, „Reisen in Horden“ und „Feuermachen im Wald“.
Viele dieser Gründe klingen aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar und sinnlos. Es
ist somit zu erkennen, dass den Sinti und Roma viele „an den Haaren
herbeigezogene“ Vorwürfe gemacht wurden und die Nationalsozialisten nichts
anderes wollten, als die Vernichtung dieses Volkes. Im Darmstädter Staatsarchiv
stieß ich sogar auf einen Steckbrief 15 , welcher einem Sinto vorwirft, sich ohne
Genehmigung im Freien aufzuhalten. Diese Haltung ist unserem heutigen
Verständnis nach natürlich hochgradig rassistisch und nicht gerechtfertigt.
Da dieser Bericht (Q2) am 22. September 1936 verfasst wurde, waren die
Polizeibeamten noch nicht dazu angehalten, jeden nur möglichen „Zigeuner“ in die
Konzentrationslager zu deportieren. Die „Nürnberger Rassengesetze“ hingegen
waren schon in aller Munde und in den Köpfen und führten zu solchen Äußerungen.
4. Das Beispiel der Familie Rose
„Ich bin im Schatten des Holocaust aufgewachsen“, eine von vielen Aussagen von
Romani Rose, einem Sinto, der in der Talkshow von Markus Lanz erzählte, dass
dessen Eltern und Großeltern unter dem Holocaust und der Sinti und Roma
Verfolgung im Nationalsozialismus leiden mussten.16
15
Ich bemühte mich um die Erlaubnis diesen Steckbrief zu kopieren, um ihn als Quelle
dieser Arbeit anzuhängen, die mir leider nicht erteilt wurde.
16 Vgl. „Romani Rose bei Markus Lanz“ Quelle: YouTube
8
Romani Rose kämpft inzwischen seit über 30 Jahren für die Rechte und Akzeptanz
der Sinti und Roma in Deutschland und ist seit 1982 Vorsitzender des „Zentralrats
Deutscher Roma und Sinti“. Geboren im Jahre 1946, schon als Kind musste er mit
dem Schicksal seiner Familie umgehen lernen, da von seinen Angehörigen 13
Menschen im Holocaust den Nationalsozialisten zum Opfer gefallen sind.17
Heute ist er ein aktiver Vertreter seiner Kultur und versucht die Vorurteile gegenüber
Sinti und Roma in Deutschland aus dem Weg zu räumen, indem er viel
Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Z.B. hielt er eine Rede im Jahre 2012 vor der
Bundeskanzlerin und Versammelten, zur Einweihung des „Denkmals für die im
Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti in Europa“ in Berlin.18 19 Auf sein
Engagement werde ich in meinem Fazit am Ende nochmals Bezug nehmen.
Romani Rose berichtet oft von der schrittweisen Entrechtung seiner Großeltern,
Anton Rose und seiner Frau Lisetta Rose, außerdem von seinem Vater Oskar Rose
und dessen Bruder Vinzenz Rose. Anton und Lisetta betrieben ein
„Lichtspieltheater“, also ein Kino, in Darmstadt. Wie ich bereits erwähnte, gibt es
zahlreiche Beispiele von guter Integrierung vor und während der NS-Herrschaft.
Anton Rose zählt hier eindeutig dazu, denn er war ein angesehener Bürger
Darmstadts. 20
Bereits im Jahr 1934 wurde er mit dem Ausschluss der Reichsfilmkammer
konfrontiert, welche vom Präsident der Reichsfilmkammer glücklicherweise kurze
Zeit später abgelehnt wurde, da lediglich sein „unvorteilhaftes Aussehen eines
Volksgenossen“, nämlich das eines „Zigeuners“, nicht zum „Entzug seines
Broterwerbs führen dürfe“. 21
Doch schon 1937 erfolgte das Berufsverbot für Familienunternehmen, darunter fiel
somit auch die Familie Rose. Sie ergriffen sofort die Flucht, doch nach einigen
Monaten wurden sie in der Nähe von Schwerin verhaftet und nach Ausschwitz
deportiert. Oskar Rose, Romanis Vater, gelang es als Einzigem die Flucht zu
ergreifen, um der Verhaftung und Deportation zu entgehen. Er versteckte sich einem
Försterhaus. 22
„Er überlebte. Und fühlte sich schuldig.“ – mit diesen Worten beschreibt Romani
Rose die Gefühlslage seines Vaters im Interview mit dem Focus, da er seine
Familienangehörigen zurückgelassen hatte. Er habe sich, wie viele Überlebende des
Holocausts, noch lange gefragt, ob er nicht mehr hätten tun können.23
Aufgrund von viel Glück gelang es Oskar mit seinen Bruder Vinzenz einen Fluchtplan
zu schmieden, um Vinzenz erfolgreich aus einem Zwangsarbeitslager zu befreien.
17 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Romani_Rose#Familie
18
Vgl.http://de.wikipedia.org/wiki/Denkmal_für_die_im_Nationalsozialismus_ermordeten_Sinti_und_Roma_Europas
Vgl. „Romani Rose bei Markus Lanz“ Quelle: YouTube
20 Vgl. Darmstadt als Deportationsort – Denkzeichen Güterbahnhof, S.113
21
Vgl. Darmstadt als Deportationsort – Denkzeichen Güterbahnhof, S.113
22
Vgl. Darmstadt als Deportationsort – Denkzeichen Güterbahnhof, S.114/115
23 Vgl.http://www.focus.de/kultur/medien/mein-vater-er-ueberlebte-und-fuehlte-sichschuldig_id_3635733.html
19
9
Die Brüder setzten bereits nach dem Krieg deutliche politische Akzente, welche die
Sinti und Roma als Bürger in Deutschland integrieren sollten.24
Romani Rose bekam diese Erzählungen von klein auf mit und verarbeitete sie in
sich. Er „übernahm“ diese Bürgerrechtsbewegung und führte diese intensiv ab 1982
voran, bis heute!
5. Das Mahnmal in Darmstadt - Die Verfolgung der Sinti und Roma in Darmstadt
Heute findet sich in Darmstadt am Justus-Liebig Haus das „Mahnmal zum Gedenken
an die Verfolgung der Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten“. Hier wohnten
damals viele der Sinti und Roma. Später wurde sogar, die noch heute bestehende
Justus-Liebig-Schule und der Güterbahnhof Darmstadt zum Durchgangslager für
Juden umfunktioniert, die weiter nach Ausschwitz deportiert werden sollten.
Das Mahnmal wurde im Jahre 1997 eingeweiht und besteht aus schwerem
rostbraunem Eisen. Es soll an die vielen, in Darmstadt mit dem Zug deportierten,
Sinti und Roma gedenken, daher auch das Aussehen eines Waggons mit
Kupfertafeln als „Fenster“, auf denen diverse Zitate von Überlebenden Roma und
Sinti festgehalten worden sind. 25 (S. Q3)
6. Noch heute ein aktuelles Thema
Auch wenn die Sinti und Roma Debatte gefühlt an meiner Generation vorüber geht,
ist sie dennoch hoch in der Diskussion und die noch immer prägenden Vorurteile
gegenüber der Minderheit, sind keinesfalls zu ignorieren.
Im letzten Abschnitt - meinem Fazit - möchte ich mich diesem Konflikt und ihren
Vertretern widmen.
Romani Rose ist, wie ich bereits erwähnte, ein populärer Bürgerrechtsaktivist, der
sich im Besonderen intensiv mit den noch immer vorhandenen Klischees gegen Sinti
und Roma auseinandersetzt und diese auszuräumen versucht.
Im Interview mit dem Stern beleuchtete er den Aspekt, dass viele der hier in
Deutschland ansässigen Sinti und Roma Arbeiten gehen und Steuern zahlen und
somit das Klischee der Volksgruppe, die das deutsche Sozialsystem ausnutzen,
oftmals nicht der Fall sei. Doch ihm sei es wichtig, dass Menschen, die das
Sozialsystem betrügen ihre verdiente Strafe bekommen. Es sei zu beachten, dass
man nicht eine ganze Volksgruppe verurteilt und jeden Angehörigen pauschalisiert. 26
Einen weiteren Vertreter der Roma und Sinti stellt Adam Strauß dar, ein Sinto. Er ist
Gründer des „Zentralrats Deutscher Roma und Sinti“. Seine Eltern wurden in
Ausschwitz ermordet, wie er häufig bei Schulbesuchen berichtet.
Im Interview mit der Frankfurter Rundschau bedauert er die Vorurteile sehr, welche
seinen Enkeln offenbar noch heute entgegengebracht werden, in einem jungen Alter
24
Vgl. Darmstadt als Deportationsort – Denkzeichen Güterbahnhof, S.114/115
Vgl. http://www.darmstadt.de/standort/stadtportraet/gedenkstaetten/index.htm#c5412
26 Vgl. http://www.stern.de/panorama/interview-mit-romani-rose-das-ist-rassismus-2116043.html
25
10
von sechs Jahren. So wie er damals behandelt wurde, würden auch sie von den
Mitschülern ausgegrenzt und ignoriert.
Laut ihm läge das Problem an dem fehlerhaften Bildungssystem in Deutschland,
welches den Antiziganismus kaum oder gar nicht in den Lehrplan eingliedert. Hiermit
würde optimaler Nährboden für weitere voreingenommene Meinungen geboten
werden, welche er und seine Familie „zu 80%“ sehr regelmäßig im Alltag spüren.27
Des Weiteren erwähnt er einen sehr wichtigen Aspekt: Nach dem 2. Weltkrieg wurde
der Antisemitismus in Deutschland enorm geächtet und es wird noch immer verstärkt
darauf geachtet, den Frieden zu wahren, zum Beispiel durch den polizeilichen Schutz
von Synagogen. 22 Die Sinti und Roma hingegen erfahren eine kaum abgeschwächte
Form der Ablehnung als Minderheit, wie sie schon seit über 600 Jahren in
Deutschland vorliegt, wie Andreas Jöhrens in einem Beitrag der tagesschau im
September 2014 bekräftigt. 28
1/3 der Befragten einer Studie lehnen die Nähe zu Sinti und Roma ab, genauso wie
50% der Befragten, ihnen eine gewisse Feindseligkeit zu zuschreiben. 23
Betrachtet man nun die andere Seite, wird schnell deutlich, dass die Polizei keine
nennenswerten Übergriffe speziell durch Sinti und Roma meldet. Die von den
Befragten geäußerten Ängste sind somit nicht bestätigt und lassen sich auf die
bestehenden Vorurteile zurückführen. 29
In dem Jahr 2007 traten die Länder Rumänien und Bulgarien der Europäischen
Union bei. Seitdem stehen die Grenzen für die Roma offen und von dem Zeitpunkt
ab können sie sich ohne ein Asylrecht in Deutschland aufhalten und leben. Rund
5000 Rumänen und Bulgaren seien bereits bis 2012 nach Duisburg gekommen, viele
davon aufgrund von Armut, Verfolgung und Diskriminierung in ihrer Heimat. Doch
viele Teile der Bevölkerung in Deutschland würden sich von den Neuankömmlingen
gestört fühlen. Z.B. der Müll und die Lärmbelästigung stellen größere Probleme dar –
es treten somit heute nahezu die gleichen Probleme auf, wie zur Zeit der
Nationalsozialisten. Am 1. Januar 2014 wurden die Arbeitsbeschränkungen für
Osteuropäer aufgehoben. Es ist den Sinti und Roma nun möglich sich verstärkt, mit
der Hilfe und Unterstützung von staatlichen Hilfsmitteln, in Deutschland zu
integrieren. Das was noch fehle, sei lediglich die Toleranz gegenüber dieser
Volksgruppe und in Europa allgemein, laut der Integrationsbeauftragten Özmal.30
Auch die Medien nehmen eine bedeutende Rolle zur Festigung des Antiziganismus
ein, wie die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit (EUMC) bereits im Jahr 2002 fest stellte:
27
Vgl. http://www.fr-online.de/frankfurt/verband-sinti-und-roma--es-ist-mir-sehr-wichtig--dass-ich-ein-sintobin-,1472798,23781528.html
28 Vgl. http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-21700.html
29 Vgl. http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-21700.html
30 Vgl. http://www.dw.de/roma-zieht-es-nach-deutschland/a-16256547
11
Der „Fall Maria“ vom Jahr 2013 unterstellte der Minderheit zunächst einen
„zigeunerischen Kinderraub“, welcher sich im Nachhinein als falsch herausstellte.
Auch gegen solche Vorurteile hat der „Zentralrat Deutscher Roma und Sinti“ jeden
Tag zu kämpfen.
Allgemein wird an die Politik appelliert, eine Expertengruppe einzuberufen, die
regelmäßig Diskriminierungen überprüft, um ihnen besser entgegen zu wirken. 31
Ich für meinen Teil, habe in meinem Alltag kaum einen Zugang und Umgang zu Sinti
und Roma.
Deutlich ist mir als Schüler aber auf jeden Fall geworden, dass der Antisemitismus
eine sehr viel größere Rolle innerhalb von Diskussionen und Organisationen in
Deutschland einnimmt als der Antiziganismus, von dem ich, in der vorliegenden
Form, erst durch das Auseinandersetzten mit dem Thema durch diese Hausarbeit
vertraut geworden bin.
Jetzt, wo ich mir der Geschichte und Diskriminierung der Sinti und Roma richtig
bewusst geworden bin, werde ich zukünftig aktiver dagegen vorgehen, wenn ich
Ungerechtigkeiten oder Beleidigungen beobachten sollte. Das Wichtigste für mich an
Geschichte ist, dass man aus ihr lernt und dafür sorgt, dass sich die gleichen Fehler
nicht wiederholen. Dies möchte auch ich mehr in meinen Alltag einbinden.
Deutschland ist ein sehr toleranter Staat und die Integration von Minderheiten steht
fast an oberster Stelle, dazu möchte auch ich beitragen.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Volk der Sinti und Roma eine
Jahrhunderte alte Historie hinter sich hat, welche die Menschen noch heute leider in
ihren Vorurteilen gegenüber der Minderheit prägt. Gerade der Nationalsozialismus
hat hier einen entscheidenden Platz eingenommen, da ca. 500.000 Sinti und Roma
im Rahmen des Holocaust auf unmenschlichste Art und Weise erniedrigt und
ermordet wurden.
Toleranz beginnt bei jedem Einzelnen selbst und sollte in den nachfolgenden
Generationen in jedem Fall mehr Stellenwert einnehmen. Dieses Ziel könnte durch
verstärkte und intensivere Bildungsmaßnahmen und politische Organe erreicht
werden.
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Vgl. http://www.tagesschau.de/inland/sinti-roma-antiziganismus-100.html
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Q1:
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Q2:
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Q3:
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