Entscheiderbrief 7/2012 Informations-Schnelldienst
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Entscheiderbrief 7/2012 Informations-Schnelldienst
E n t s c h e i d e r b r i e f 7/2012 Informations-Schnelldienst 19. Jahrgang Die Roma – Ein Überblick unter besonderer Berücksichtigung Südosteuropas, Teil 3: Entwicklung der Lebensumstände*1* Bevölkerungsanteile Belastbare Daten sind schwer zu erheben. Bei Bevölkerungszählungen und Schätzungen werden Zahlen ermittelt, die weit auseinander liegen. Viele Roma sind nicht registriert bzw. verschließen sich der Erhebung ihrer Ethnie. Bei Zugrundelegung mittlerer Schätzwerte12ist von ca. einer Million Roma in den Westbalkanstaaten23und einem durchschnittlichen Bevölke rungsanteil von rd. 4,9 Prozent auszugehen (eine nähere Übersicht gibt die Tabelle unten rechts). 1900 bis 1945 Anfang des 20. Jahrhunderts konnten Roma in Zentralund Osteuropa mit dem Einkommen aus ihren traditionellen Berufen einigermaßen auskommen. * 1 2 Teil 1: Herkunft, Sprache, Bezeichnungen, Gruppen und Kultur erschienen in Entscheiderbrief 3/2012, S. 1 ff. und Teil 2: Marginalisierung in Entscheiderbrief 5/2012, S. 1 f. S. Europäische Kommission, EU-Rahmen für nationale Strategie zur Integration der Roma bis 2020, Brüssel 05.04.2011, http://ec.europa.eu/justice/policies/discrimination/docs/ com_2011_173_de.pdf <Abruf 14.02.2012> u. vgl. Open So ciety Institute, Pathways to Progress? The European Union and Roma Inclusion in the Western Balkans, April 2010, www.soros.org/initiatives/roma/articles_publications/ publications/european-exclusion-20100402/pathwaysprogress-20100402.pdf <Abruf 14.02.2012>. „Westbalkan“ ist ein Sammelbegriff für die Nachfolgestaaten Jugoslawiens und Albanien unter Ausschluss Sloweniens und Kroatiens. Der Begriff wurde auf dem EU-Gipfel im Dezember 1998 in den Sprachgebrauch der EU eingeführt. Inhalt Verfahren Die Roma - Ein Überblick unter besonderer Berücksichtigung Südosteuropas, Teil 3: Entwicklung der Lebensumstände Zur Befreiung von der Passpflicht durch das Bundesamt 1 3 Migration/Integration Freiwillige Rückkehr 2011 unter Mitwirkung von IOM 4 Aktuelle Rechtsfragen Aus der BVerwG-Rechtsprechung 5 Was sonst?/Literatur Beratungsstelle Radikalisierung Globale Wanderungstrends im E-Mail-Verkehr entdeckt IZ Asyl und Migration weist hin auf Land Albanien Anzahl Roma 6 7 7 %-Anteil 115.000,00 3,2 Bosnien-Herzegowina 50.000,00 1,1 Kosovo 37.500,00 1,5 197.500,00 9,6 Mazedonien (EJR) Montenegro 20.000,00 2,9 Serbien 600.000,00 8,2 Gesamt 1.020.000,00 4,9 Entscheiderbrief 7/2012 Einigen Gruppen, wie den Musikern, ging es ausge sprochen gut. Die zunehmende Massenproduktion als Folge der Industrialisierung machte die herkömmli chen Tätigkeiten (z.B. Geschirr-, Kessel- und Schirmflicken) weitgehend überflüssig. Die Nachfolgestaaten des Osmanischen und Habsburger Reiches, welche nach Balkankriegen und 1. Weltkrieg entstanden, wa ren sehr nationalistisch geprägt. Damit einher ging meist eine Unterdrückung der Minderheiten. In den mit dem Dritten Reich verbündeten faschistischen Staaten – beispielsweise Ungarn, der ersten Slowa kischen Republik, Bulgarien und Rumänien – waren Roma starken Repressionen ausgesetzt. So gab es Aus gangssperren, Betretenszeiten für Städte, Zuweisung abgelegener Siedlungsplätze, Zwangsarbeit und Um siedlungen. Im direkten Einflussgebiet des Deutschen Reiches bzw. der deutschen Truppen – zunächst in Po len, Böhmen und Mähren sowie später auch auf dem Balkan – wurden Roma systematisch eliminiert. Im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges kamen europaweit etwa 500.000 ums Leben.34 1945 bis 1989 Die nach dem 2. Weltkrieg an die Macht gekommenen kommunistischen Parteien unterstützten anfänglich die Bestrebungen der Roma zur Gründung eigener Verbände und Kultureinrichtungen. Ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wurden aber solche Aktivitäten untersagt. Man verweigerte den Roma, eine ethnische oder nationale Minderheit zu sein. Der Lebensstil er schien als Mischung aus unerwünschten Überbleibseln einer überwunden geglaubten Wirtschafts- und Ge sellschaftsordnung. Die Roma sollten sich nun als eine bislang missachtete, ausgebeutete Unterklasse entfal ten. Dazu wurde die Ausübung ihrer traditionellen Be rufe erschwert oder verboten. Zwecks „Entfaltung im Kommunismus“ versuchte der Staat, den Schulbesuch der Kinder sicherzustellen und die Roma in den sozi alistischen Arbeitsprozess einzugliedern. Das Ziel war die Assimilation in das Proletariat des Staatsvolks. Die Maßnahmen brachten den Roma aber nicht nur Re striktionen, sondern auch eine Reihe individueller Möglichkeiten der Qualifizierung und des sozialen 3 2 Vgl. Matter, Zur Lage der Roma im östlichen Europa, www.v-r.de/data/files/389971252/Einleitung.pdf <Abruf 14.03.2012>. Aufstiegs. So erwarben relativ viele höhere Schulab schlüsse. Trotz des permanenten Assimilationsdrucks und der neuen Chancen wollten große Teile der Roma nicht völlig in die Mehrheitsgesellschaft aufgehen und ihre Roma-Kultur ganz aufgeben. Ihnen gelang es, eine Grenze zwischen sich und der Mehrheitsgesell schaft aufrecht zu erhalten. Insgesamt verbesserten die verstärkten Kontakte von Roma und Nicht-Roma am Arbeitsplatz zwar das Verhältnis der Mehrheit zur Minderheit etwas. Jedoch blieben lang tradierte Vorur teile auch in den sozialistischen Ländern des östlichen wie des südöstlichen Europas bestehen.45 nach 1989 Mit dem Ende der sozialistischen Systeme und dem Übergang zur Marktwirtschaft zu Beginn der 1990er Jahre verschlechterte sich die Lebenssituation der südosteuropäischen Roma entscheidend. Der Über gang führte in der landwirtschaftlichen wie in der industriellen Produktion zu einem unregulierten Arbeitsmarkt, Massenentlassungen und hoher Arbeits losigkeit. Roma waren unter den ersten, die entlassen wurden, was zu Verarmung und Verelendung führte.56 Dadurch kam es verstärkt zu Landflucht in die bereits übervölkerten und schlecht ausgestatteten RomaSiedlungen („Mahala“) der großen Städte. Im Zuge des staatlichen Zerfalls Jugoslawiens und der damit einhergehenden ethnisch-nationalistischen bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen richteten sich die Aggressionen auch gegen die jeweilige RomaBevölkerung. Sie erlitt kollektive Angriffe durch Ange hörige der Mehrheitsbevölkerung, Zerstörungen und Plünderungen mit dem Ziel der Vertreibung. Viele süd osteuropäische Roma suchten vor diesem Hintergrund Schutz bzw. bessere Lebensbedingungen in westlichen Staaten Europas sowie in Nordamerika. Schätzungen gehen von 200.000 bis 280.000 aus, die nach West europa kamen.67So flohen zehntausende Roma von 1991-1995 vor dem Krieg in Bosnien-Herzegowina und beantragten Asyl, insbesondere in Deutschland, Italien, 4 5 6 Vgl. Matter (Fn. 3). Vgl. Matter (Fn. 3) u. Europarat, Datenblätter zur Geschichte der Roma, Dritte Migration, www.coe.int/t/dg4/educa tion/roma/Source/FS/7.0_Dritte-Migration.pdf <Abruf 14.03.2012>. Vgl. Europarat (Fn 5). Entscheiderbrief 7/2012 Österreich, Schweden, der Schweiz und dem Vereinig ten Königreich. Eine weitere Fluchtbewegung löste der Kosovo-Konflikt aus. Während dessen Zuspitzung 1998/99 waren hunderttausende Kosovo-Albaner und Roma vertrieben worden.78 2009.1213Ein Großteil beantragt Asyl.1314Das aktuelle Geschehen gilt als Teil der sog. Dritten Migration.1415 Auch heute sind Roma in den Staaten Südosteuro pas Benachteiligungen ausgesetzt.89Die Europäische Kommission zählt die nach dem Kalten Krieg ange wachsenen Probleme sogar zu „Europas dringendsten Menschenrechtsfragen“.910Eine internationale Initia tive will im Rahmen der Roma-Dekade 2005-2015 die Lebensumstände verbessern. Im Februar 2005 unter zeichneten zwölf Regierungen – darunter zunächst nur Serbien und Mazedonien, später auch Montene gro, Bosnien und Herzegowina sowie Albanien – die Erklärung. Mit dieser wurden die Jahre bis 2015 als „Decade of Roma Inclusion“ ausgerufen. Weltbank und EU stellen Fördergelder zur Verfügung. In den Staa ten Südosteuropas sind zwischenzeitlich bereits viele Maßnahmen im gesetzlichen und institutionellen Be reich erfolgt, haben aber nicht immer den gewünsch ten Erfolg.1011Die Integration der Roma, insbesondere eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage und der Bildungsperspektiven der Kinder, gilt als eine der zent ralen Herausforderungen Europas. Einige Studien war nen, dass eine weitere Marginalisierung der Roma die soziale Desintegration ganzer nationaler Gesellschaf ten und massive Migration nach Nord-/Westeuropa zur Folge haben könnte.1112Hierher kommen Roma verstärkt bereits seit der Visaliberalisierung Ende 12 Vgl. z.B. Entscheiderbrief 11/2011, S. 4 f.; 12/2010, S. 2 f.; 11/2010, S. 5; 5/2010, S. 3; 3/2010, S. 7 f. und etwa zur Schweiz Baumgartner, NZZ v. 25.01.2012. 13 Vgl. etwa Entscheiderbrief 11/2011, S. 4 f. u. 12/2010, S. 2 f. 14 Erste Migration ab 7. Jhd. von Indien nach Europa. Zweite Migration ab Mitte des 19. Jhd. von Osteuropa nach Mittel europa, USA und Australien (vgl. Europarat [Fn. 5]). 7 Europarat (Fn. 5). 8 Dies wird in unterschiedlicher Weise auch z.B. für EU-Staa ten behauptet. So meldet Kanada, dass sich die Asylanträge von Ungarn, viele davon Roma, 2011 mit 4.453 gegenüber 2010 mit 2.351 fast verdoppelt haben (vgl. Stolz, Au Canada les demandes d’asile de Hongrois ont presque doublé en 2011, Le Monde v. 13.03.2012). Zur Entwicklung der Antrag stellungen ungarischer und tschechischer Roma in Kanada seit Mitte der 1990er Jahre s. etwa Entscheiderbrief 7/2010, S. 9 f. u. vgl. Simon, Flucht aus der EU, der Freitag v. 15.08.2009. 9 Deutscher Bundestag (Wissenschaftliche Dienste), Die Roma-Dekade 2005-2015, Nr. 44/07 www.bundestag.de/do kumente/analysen/2007/Die_Roma-Dekade_2005-2015.pdf <Abruf 15.03.2012>. 10 Vgl. Entscheiderbrief 3/2012, S. 5 ff. 11 Heuss, Roma und Minderheitenrechte in der EU, Aus Politik und Zeitgeschichte 22-23/2011. Martina Todt-Arnold Zur Befreiung von der Passpflicht durch das Bundesamt Grundsätzlich müssen Ausländer, die ins Bundesge biet einreisen oder sich darin aufhalten, einen gül tigen Pass oder Passersatz besitzen (§ 3 I 1 AufenthG – Passpflicht).1 Davon gibt es allgemeine Ausnahmen durch Rechtsverordnung2 und solche im Einzelfall, über die seit dem 15.02.2010 das Bundesamt3 nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet. Befreiung von der Passpflicht brauchen etwa solche palästinen sischen Volkszugehörigen, die nur ein libanesisches „Reisedokument für Flüchtlinge“ besitzen, da dieser Ausweis nicht visierfähig ist.4 Der Antrag erreicht das Bundesamt grundsätzlich über das Auswärtige Amt anlässlich eines Visumverfahrens 1 Zur Passpflicht im Ausländerrecht s. Entscheiderbrief 3/2012, S. 3 ff. 2 Z.B. für den Bereich der EU (§ 3 I Nr. 2 AufenthV). 3 § 3 II AufenthG i.V.m. BMI-Erlass v. 20.01.2010, vgl. Entschei derbrief 2/2010, S. 3. 4 Vgl. Deutsche Botschaft Beirut, Merkblatt für Besuchsreise, www.beirut.diplo.de/contentblob/128914/Daten/789939/ Download_Datei_Besuchsreisen.pdf <Abruf 30.05.2012>. 3 Entscheiderbrief 7/2012 bei einer deutschen Auslandsvertretung.5 Trotz die ser Verknüpfung sind beide Verfahren eigenständige Verwaltungsakte6 mit unterschiedlichen Funktionen. Ein Visum gibt vor Einreise einen Aufenthaltstitel,7 während eine Ausnahme von der Passpflicht die Aus stellung eines Reiseausweises im Ausland ersetzt.8 Eine Befreiung stellt grundsätzlich eine Ausnahme dar, schon weil ein Ausländer ohne anerkannten Pass- oder Passersatz nicht oder nur erheblich erschwert in sei nen Heimatstaat zurückgeführt werden kann. Insbe sondere gilt dies, wenn Ausweisungstatbestände vor liegen. Hier kann eine Ausnahme von der Passpflicht zwecks Daueraufenthalts nur gewährt werden, wenn ein Anspruch oder sehr gewichtiger Grund für diesen Aufenthalt besteht und keine Umstände ersichtlich sind, wonach in naher oder mittlerer Zukunft mit ei ner Aufenthaltsbeendigung oder der Verwirklichung von Ausweisungstatbeständen i.S.d. § 55 AufenthG zu rechnen ist. Diese Praxis entspricht ohne Weiteres dem Ausnahmecharakter der Norm mit Blick auf die ansonsten zwingend einer Aufenthaltserlaubnis ent gegenstehende Passlosigkeit eines Ausländers im Bun desgebiet.9 Da diese Aspekte prinzipiell im Rahmen der Visumerteilung geprüft werden, wird eine Befreiung vom Bundesamt in der Regel erteilt, wenn die Voraus setzungen für die Visumerteilung einschließlich der Identität des Ausländers zureichend positiv geklärt sind. Die Visumsprüfung erfolgt grundsätzlich vor der Prü fung einer Passpflichtausnahme. Denn scheidet schon eine Einreise wegen Nichterfüllung der Visumsvo raussetzungen aus, ist für eine Passpflichtbefreiung mangels Einreisebefugnis kein Raum mehr. Sofern das 5 „In begründeten Einzelfällen (z.B. im Flugzeug verlorener Reisepass) kann jedoch auch bei einer Bundespolizeibe hörde der Antrag auf Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht vor Einreise beantragt werden.“ (VwV AufenthG, 3.2). Zum Zoll und zu Landesbehörden (z.B. für Seehafen Hamburg) als Grenzbehörde s. GK-AufenthG, §71 AufenthG Rn. 130 ff. 6 S. VwV AufenthG, 3.2 und VG Berlin, B.v. 20.12.2005 - VG 3 V 30.05, juris. 7 S. etwa Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 2. Aufl., Rn. 78. 8 Die Zustimmung zur Ausstellung oder Verlängerung von Reiseausweisen für Ausländer im Ausland obliegt eben falls dem Bundesamt (§ 11 I AufenthV i.V.m. BMI-Erlass v. 20.01.2010). 9 Vgl. VG Berlin, B.v. 17.04.2007 - 10 A 396.06. 4 Visum lediglich wegen Nichterfüllung der Passpflicht zu versagen wäre, ist der Ausländer auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine Ausnahme von der Passpflicht zu beantragen. Die Entscheidung des Bundesamtes wird ihm von der deutschen Auslandsvertretung – ggf. mit einem Blattvisum – ausgehändigt.10 Die Zulassung kos tet grundsätzlich 20 Euro11 und ist auf sechs Monate befristet.12 Die Bewilligung einer Ausnahme befreit den Auslän der nach Einreise nicht davon, bei Aufenthalt über die Dauer der Befreiung hinaus sich um die Erfüllung der Passpflicht nach § 3 I AufenthG zu bemühen (§ 48 III AufenthG). Wer dies schuldhaft unterlässt, begeht eine Ordnungswidrigkeit (§ 98 II Nr. 3 AufenthG). Michael Kalis, BMI*13* 10 In Sonderfällen (s. Fn. 5) ist es die ersuchende Polizeibehör de, da stets die Behörde, die das Bundesamt wegen einer Ausnahme befasst, Aushändigungsbehörde ist (s. VwV Auf enthG, 3.2). 11 § 48 I 1 Nr. 9 AufenthV. Für Minderjährige die Hälfte (§ 50 I AufenthV). Zu weiteren Ermäßigungen und Befreiungen s. § 52 VII AufenthV. 12 S. VwV AufenthG, 3.2. * Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder. Freiwillige Rückkehr 2011 unter Mitwirkung von IOM Über 6.300 Personen kehrten 2011 freiwillig unter Mit wirkung von IOM1 aus Deutschland in ihre Heimatlän der zurück, zwei Drittel davon waren abgelehnte Asyl bewerber. Insgesamt über 54 Prozent der Rückkehrer gingen nach Serbien und Mazedonien. Aus beiden Staaten kommen seit der sog. Visaliberalisierung Ende 1 Zu IOM (International Organisation for Migration) und deren Möglichkeiten der Rückkehrförderung einschließ lich Download von Antragsformularen s. www.bamf.de/ DE/Rueckkehrfoerderung/Foerderprogramme/Program meREAGGARP/programme-reag-garp-node.html <Abruf 04.04.2012>. Entscheiderbrief 7/2012 2009 ganz überwiegend Roma2 nach Deutschland. Ein Großteil stellt – fast ausnahmslos erfolglos – Asylan trag.3 Freiwillige Rückkehr unter Mitwirkung vom IOM 20114 Personen davon abgelehnte Asylbeweber Anteil abgelehnter Asylbewerber Serbien 2.263 1.624 71,8 % Mazedonien 1.173 892 76,0 % Irak 523 309 59,1% China 259 236 91,1% Russische Föderation 233 108 46,4 % Kosovo 204 156 76,5 % Vietnam 154 112 72,7 % Iran 151 45 29,8 % Türkei 135 89 65,9 % Staats angehörigkeit Indien 105 77 73,3 % sonstige 1.119 536 47,9 % Gesamt 6.319 4.184 66,2 % Die Redaktion, R.B. 2 Näher zu dieser ethnischen Gruppe und den Hintergründen der Migrationsbemühungen von Roma nach Nord- und Westeuropa s. Die Roma – Ein Überblick unter besonderer Berücksichtigung Südosteuropas. Teil 1 und 2 in Entschei derbrief 3/2012, S. 1 ff. bzw. 5/2012, S. 1 f., Teil 3 in dieser Ausgabe. Staatsangehörige europäischer Drittstaaten (Nicht EU-Staaten), die ohne Visum nach Deutschland einreisen dürfen, erhalten von Seiten des Bundes als Rückkehrhilfe lediglich Reisekosten. Diese Regelung gilt insbesondere für serbische und mazedonische Staatsangehörige, die nach dem 21.12.2009 visumfrei eingereist sind. Gleiches gilt für Personen aus Bosnien und Herzegowina sowie Albanien mit visumsfreier Einreise nach dem 15.12.2010. 3 Vgl. z.B. Entscheiderbrief 11/2011, S. 4 f.; 12/2010, S. 2 f.; 11/2010, S. 5; 5/2010, S. 3; 3/2010, S. 7 f. und etwa zur Schweiz Baumgartner, NZZ v. 25.01.2012. 4 Quelle: Referat 222 nach Angaben von IOM. Aus der BVerwG-Rechtsprechung Widerruf/Änderung der Rechtslage/Rückwirkung Die Pflicht zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach § 73 I 1 AsylVfG bei Änderung der Rechtslage gilt ebenfalls, wenn der Gesetzgeber sie nicht nur mit Wirkung für die Zukunft, sondern ausnahmsweise in verfassungskonformer Weise auch rückwirkend gere gelt hat. Dafür, dass § 73 I AsylVfG grundsätzlich eine Rückwirkung erlaubt, spricht sein Wortlaut. Die Norm differenziert – anders als die allgemeine Widerrufsre gelung in § 49 II 1 Nr. 3 und 4 VwVfG – nicht zwischen nachträglich eingetretenen Tatsachen und geänderten Rechtsvorschriften. Verlangt wird nur, dass die „Vor aussetzungen“ für die Anerkennung nicht mehr vor liegen. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nichts anderes. § 28 II AsylVfG – Regelausschlussgrund der selbstgeschaffenen Nachfluchtgründe im Folgeverfah ren – beansprucht keine Rückwirkung, wie dies etwa aufgrund Unionsrechts bei den Ausschlussgründen wegen Asylunwürdigkeit1 der Fall ist. Weder gebietet noch verbietet das Unionsrecht eine Rückwirkung hinsichtlich selbstgeschaffener Nach fluchtgründe (s. Art. 5 III QualfRL). Aus den Gesetz gebungsmaterialien zu § 28 II AsylVfG folgt, dass mit der Verschärfung der Anerkennungsvoraussetzungen beim Flüchtlingsschutz nur zukunftsgerichtet auf das Verhalten der Asylsuchenden eingewirkt werden sollte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt für eine beabsich tigte Rückwirkung. Eine solche würde zudem der vom Gesetzgeber angestrebten Entlastung des Bun desamts entgegenlaufen (U.v. 01.03.2012 - 10 C 10.11 <5287469>). jüdische Emigranten aus Russland/ Flüchtlingsschutz Mit Inkrafttreten des ZuwG zum 01.01.2005 wurden die Rechte dieser Personengruppe neu geregelt. Nach § 23 II AufenthG kann das BMI zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik gegenüber dem Bundesamt anordnen, Ausländern aus bestimmten Staaten oder bestimmten Ausländergrup 1 S. BVerwG, U.v. 07.11.2011 - 10 C 26.10; vgl. Entscheiderbrief 10/2011, S. 10. 5 Entscheiderbrief 7/2012 pen eine Aufnahmezusage zu erteilen.2 Diese erhalten nach der Einreise einen humanitären Aufenthaltsti tel. Abschiebungsschutz nach Art. 33 GFK bzw. § 60 I AufenthG genießen sie nicht. Aus den Übergangsvor schriften des AufenthG folgt, dass die Neuregelung auch die Rechtsstellung der jüdischen Emigranten abschließend regelt, die früher aufgenommen wor den waren. Ein Vertrauensschutz greift nicht, da die Ausländer ein Daueraufenthaltsrecht besitzen und bei Furcht vor Verfolgung einen Asylantrag stellen kön nen. Das BVerwG ließ deshalb offen, ob eine nach al tem Recht vermittelte Rechtsstellung in entsprechen der Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ein flüchtlingsrechtliches Abschiebungsverbot umfasst hat (U.v. 22.03.2012 - 1 C 3.11, nach BVerwG-Pressemit teilung Nr. 25/2012 v. 22.03.2012). Aufenthaltserlaubnis für anerkannten Flüchtling und Terrorismusunterstützung Ein anerkannter Flüchtling hat Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis (§ 25 II AufenthG), sofern er nicht aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik anzusehen ist (§ 25 II 2 i.V.m. I 2 AufenthG). Es kommt – anders als es das OVG RP annahm – nicht darauf an, ob jemand tatsächlich ausgewiesen wurde. Denn der allgemeine Versagungsgrund des § 5 IV AufenthG (Vorliegen von Ausweisungsgründen nach § 54 Nr. 5 bis 5 b AufenthG) gilt ausweislich von Gesetzessystematik und -materialien auch für die flüchtlingsrechtliche Aufenthaltserlaubnis des § 25 AufenthG. Allerdings folgt aus Art. 24 I QualfRL bei anerkannten Flüchtlingen eine Einschränkung auf schwerwiegende Gründe. Die Norm geht von einem grundsätzlichen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis aus. Sie ermöglicht den Mitgliedstaaten aber durch Absatz 3, einen Auf enthaltstitel zu versagen, wenn die Verpflichtung auf Achtung der Nichtzurückweisung (Art. 33 I GFK) nicht eingreift. Dies gilt u.a. für Personen, die aus schwerwie genden Gründen als Gefahr für die Sicherheit des Auf- 2 6 Vgl. Bell, ZAR 4/2011, S. 126 f. nahmelandes anzusehen sind (Art. 33 II GFK). Einem Flüchtling die Aufenthaltserlaubnis zu versagen, steht deshalb nur dann mit Unionsrecht in Einklang, falls sein Verhalten diese erhöhte Gefahrenschwelle über schreitet. Es ist unerheblich, ob eine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht beab sichtigt ist. Zwecks näherer tatsächlicher Feststellung der Schwere der Gefahr (hier: langjährige Tätigkeit für Terrorismus unterstützende Organisation - KONGRA GEL/PKK) wurde das Verfahren daher an das Oberver waltungsgericht zurückverwiesen (U.v. 22.05.2012 - 1 C 8.11, nach Pressemitteilung BVerwG Nr. 47/2012 v. 22.05.2012). Anschlussberufung Eine Anschlussberufung ist auch im asylgerichtlichen Verfahren zulassungsfrei statthaft und nicht an den Rahmen der zugelassenen Berufung gebunden. Die Monatsfrist für die Einlegung der Anschlussberufung (§ 127 II 2 VwGO) wird bei einer gestaffelten Beru fungsbegründung durch Zustellung des Schriftsat zes in Lauf gesetzt, durch den i.V.m. vorangehenden Schriftsätzen erstmals den Anforderungen des § 124a III 4 VwGO genügt wird. Frühere Schriftsätze, die lediglich Teile der Berufungsbegründung i.S. dieser Norm vorwegnehmen, dürfen formlos übermittelt werden. Auf die Anschlussberufungsfrist braucht nicht durch eine Rechtsmittelbelehrung hingewiesen zu werden (U.v. 01.03.2012 - 10 C 5.11 <5285789>). Dr. Roland Bell, M.A. Beratungsstelle Radikalisierung Seit dem 01.01.2012 ist im Bundesamt die „Beratungs stelle Radikalisierung“ eingerichtet, an die sich alle wenden können, die sich um die Entwicklung eines Angehörigen oder Bekannten sorgen. Eltern, Angehö rige, Freunde und Lehrer sind oft die ersten, denen die islamistische Radikalisierung eines jungen Menschen auffällt und gleichzeitig die letzten, zu denen dieser trotz zunehmender Isolierung Kontakt hält. Zu ihrer Entscheiderbrief 7/2012 Unterstützung in dieser schwierigen Situation steht nun ein professionelles Beratungsangebot bereit. Das Bundesamt dient bundesweit als eine Erstanlaufstelle, die die Ratsuchenden mit allgemeinen Informationen versorgt und ggf. Ansprechpartner und Netzwerke vor Ort benennt. Die Beratung ist kostenfrei. Bisher nutz ten insbesondere Eltern, Lehrer sowie Sicherheitsbe hörden das Angebot der Beratungsstelle. Kontaktdaten: Telefon: 0911 – 943 43 43 E-Mail: [email protected] Internet: www.initiative-sicherheitspartnerschaft.de Corinna Rappe, 432 wanderung nach Geschlecht und Alter beziffern lassen. Auch sei dort im Zusammenhang mit der Finanzkrise ein deutlicher Anstieg der Mobilität festzustellen. Dies gelte über die USA hinaus für fast alle entwickelten Staaten mit wenigen Ausnahmen, etwa der Schweiz und Taiwan. Wo die internationale Mobilität zunehme, zeige sich ein weiterer Trend: Die Mobilität von Frauen steige stärker als die der Männer. Zudem erlaubten die digitalen Daten erstmals realistische Eindrücke hinsichtlich des Wanderungsverhaltens in manchen Regionen, über das bisher vielfach nur habe spekuliert werden können. Die Redaktion, R.B. Globale Wanderungstrends im E-Mail-Verkehr entdeckt Emilio Zagheni/Ingmar Weber: You are where you E-mail: Using E-mail Data to Estimate Internatio nal Migration Rates, in: Proceedings of ACM WebSci 22-24.06.2012, www.demogr.mpg.de/publications/ files/4598_1340471188_1_Zagheni&Weber_Websci12. pdf. weist hin auf Veröffentlichungen des Bundesamtes Die Autoren konstatierten, dass die bisherigen Einund Auswanderungsdaten der Staaten kaum vergleich bar und häufig überaltert seien. Auch fehlten oft Anga ben zu Geschlecht sowie Alter. Globale Internetdaten hätten solche Nachteile nicht. Sie seien einheitlich und schnell verfügbar. Deshalb erstellten sie einen Datensatz globaler Migrationsströme aus zwischen September 2009 und Juni 2011 weltweit versandten E-Mails von 43 Millionen Benutzerkonten eines Email providers. Unter anderem mit Hilfe der IP-Adresse – daraus lässt sich grundsätzlich bestimmen, aus welchem Land versendet wurde – und weiterer Angaben unter Be rücksichtigung von Korrekturfaktoren analysierten die Verfasser den anonymisierten Datensatz. Sie schildern wesentliche neue Einblicke in das globale Migrations geschehen. So habe sich erstmals für die USA die Aus Einbürgerungsverhalten von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland sowie Erkenntnisse zu Optionspflichtigen (Forschungsbericht 15) Stand: Juni 2012 Hrsg.: Bundesamt, 22 Die Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht aus Sicht von Betroffenen (Forschungsbericht 16) Stand: Juni 2012 Hrsg.: Bundesamt, 22 Das Integrationspanel. Entwicklung der Deutschkenntnisse und Fortschrit te der Integration bei Teilnehmenden an Alphabeti sierungskursen (Working Paper 42) Stand: Juni 2012 Hrsg.: Bundesamt, 220 7 Entscheiderbrief 7/2012 Veröffentlichungen anderer Roland Bank/Constantin Hruschka, Die EuGHEntscheidung zu Überstellungen nach Griechenland und ihre Folgen für Dublin-Verfahren (nicht nur) in Deutschland, ZAR Heft 6/2012, S. 182 Heike Brabandt, Staatliche Grenzpolitiken und Visum bestimmungen: Die Festung Europa, ZAR Heft 6/2012, S. 175 BReg Kostenbescheide der Bundespolizei an Asyl suchende, anerkannte Asylberechtigte und Flücht linge, BT-Drs. 17/9540 Kooperationsverträge der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen und die Bindungswirkung der Europäischen Men schenrechtskonvention bei Einsätzen und Kooperati onen, BT-Drs. 17/9757 Anne-Kathrin Fricke, Kein flüchtlingsrechtliches Abschiebungsverbot für jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion (Anmerkung zu BVerwG v. 22.03.2012 - 1 C 3/11), jurisPR-BVerwG 13/2012 Anm. 1 Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland, Abschie bungshaft vermeiden. Alternativen in Belgien, Deutschland und dem Vereinigten Königreich, Berlin April 2012, 51 S. Schweizerische Flüchtlingshilfe Bern Pakistan: Situation von Hijras, 14.05.2012 Irak: Anhänger des ehemaligen Regimes, 19.04.2012 Russland: Homosexuelle und georgische Minderhei ten im Militär, 19.04.2012 Wilfried Marxer, Integrationspolitik in Liechtenstein, AWR-Bulletin Heft 1/2012, S. 14 ff. UNHCR Genf Eligibility Guidelines for assessing the international Protection needs of Members of religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012 8 Hungary as a country of asylum. Observations on the situation of asylum-seekers and refugees in Hungary, 24.04.2012, über www.unhcr.org/refworld Position on Returns to Mali, Mai 2012 The State of the World‘s Refugees 2012, 31.05.2012, 288 S., 18.99 £ U.S. Commission on International Religious Free dom, Annual Report 2012, Washington März 2012, 331 S., über www.uscirf.gov Informationen hierzu über IVS-Telefon: 0911/943-7188 IVS-Fax: 0911/943-7198 E-Mail: [email protected] Demnächst lesen Sie: Asylanträge im internationalen Vergleich Aus der Rechtsprechung Aktuelles aus Europa Impressum Entscheiderbrief Ausgabe: 7/2012 - 09.07.2012 Herausgeber: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ISSN 1869-1803 Anschrift: Redaktion Entscheiderbrief 90343 Nürnberg Tel.: 0911/943-7100 Fax: 0911/943-7198 E-Mail: [email protected] Internet: www.BAMF.de Redaktion: Dr. Roland Bell, RL 411 (verantw. Leiter) Bernd Emtmann, 420 Wolfgang Heindel, 421 Maria Schäfer, 412 Martina Todt-Arnold, 413 Josef Wiesend, 424 Turnus: monatlich; Redaktionsschluss jeweils der 15. eines Monats (Änderungen nach Bedarf) Vertrieb: Doris Tanadi, 410 Layout: Petra Schiller, 410 Druck: Bonifatius GmbH Druck-Buch-Verlag Auflage: 1250 Exemplare Besondere Hinweise: Nachdruck und Nutzung nur nach Zustimmung des Herausgebers mit Quellenangabe und Belegexemplar. Kein Anspruch auf Veröffentlichung oder Manuskriptrückgabe.