360° Feedback als Analyseinstrument personaler Performance

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360° Feedback als Analyseinstrument personaler Performance
Teil 3: Instrumente und Interventionen
Margarete Volbers
360° Feedback als Analyseinstrument
personaler Performance
Auf der Suche nach Methoden die personale Performance – besonders bei Führungskräften – beschreiben zu können, helfen
der Personalentwicklung 360° Feedbackinstrumente. Die Autorin
Margarete Volbers weist in diesem Zusammenhang besonders
darauf hin, dass ein solches Instrument zu einem effektiven individuellen Entwicklungsplan und möglichen Coachingansätzen
führen kann. Voraussetzung aber ist immer auch das Charakteristikum der Freiwilligkeit eines solchen Feedbackprozesses. Darüber
hinaus werden in diesem Artikel die Grenzen von Leistungsbeurteilungssystemen herausgearbeitet, da es in Improving Performance Prozessen nicht darum gehen kann, die »Leistung« im
Sinne von aufgewendeter Arbeitszeit beurteilen zu wollen. Mit
dem 360° Feedbackinstrument »Benchmarks®« geht man vielmehr
davon aus, dass ein solcher Prozess beim Feedbacknehmer zu
Umsetzungsstrategien führt, die sowohl der Führungskraft als
auch dem Unternehmen nutzen. – vorausgesetzt, die von der
Führungskraft formulierten Ziele stimmen mit den strategischen
Zielen des Unternehmens überein.
Wenn in Unternehmen die Gap-Analyse auf der Umgebungsebene
zum Beispiel unter dem Einsatz strategischer Instrumente wie der
Balanced Scorecard erfolgreich durchgeführt worden ist, stellt sich
im Anschluss daran häufig die Frage, wie denn ein vergleichbar
starkes Instrument für die Gap-Analyse auf der Personenebene
aussehen kann. Fragestellungen, die diesen Ausführungen zugrunde liegen sind u. a:
– Wie kann bei einem Mitarbeiter ein IST erfasst und ein
nachvollziehbares SOLL formuliert werden, um auf diesem
Wege die Gaps zu identifizieren?
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Volbers: 360° Feedback als Analyseinstrument personaler Performance
– Wie kann eine Gap-Analyse bei möglichst vielen Mitarbeitern durchgeführt und gleichzeitig jeder in seiner
Einzigartigkeit berücksichtigt werden?
– Wie kann eine Gap-Analyse gestaltet sein, die die Stärken
und Schwächen des Mitarbeiters aufzeigt ohne »bloßzustellen«?
– Wer kann und soll diese Analyse durchführen?
– Wie kann eine Entwicklung von Mitarbeitern gestaltet sein,
die dem Performance Improvement Gedanken gerecht
wird?
Leistungsbeurteilungssysteme einsetzen
Oft werden Leistungsbeurteilungssysteme als Instrumente der
Gap-Analyse eingesetzt, um die Performanz 1 eines Mitarbeiters
sowohl zu definieren (SOLL) als auch zu beurteilen (IST). Die Ergebnisse der Beurteilungssysteme sollen helfen, den Mitarbeiter
entsprechend seiner Kenntnisse und Fähigkeiten einzusetzen, gezielte Weiterbildungsmaßnahmen einzuleiten und die Zusammenarbeit von Beurteilendem und Beurteiltem zu verbessern.
Innerhalb der Leistungsbeurteilungen wird zwischen ziel- und
merkmalorientierten Systemen unterschieden, die beide Chancen
und Grenzen in Bezug auf die Beurteilung und Entwicklung von
Mitarbeitern aufweisen. Das Führen durch Zielvereinbarungen im
Sinne des Management by Objectives-Gedanken hat seine Stärke
in der Vereinbarung konkreter funktionaler Ziele, deren Erfüllung
bei entsprechender Formulierung (messbar, zeitlich bestimmt und
akzeptiert) überprüfbar ist. Strategische Unternehmensziele können so bis auf den einzelnen Mitarbeiter zergliedert und systematisch verfolgt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Formulierung eines Ziels auf Mitarbeiter, die einen großen Freiraum
für effektive Arbeit benötigen, enorm einengende Wirkung haben
kann: Die Gefahr besteht in der Degradierung des Mitarbeiters
zum »ausführenden Objekt«.
* Alle Anmerkungen finden
Sie auf der
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dieses Beitrags
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Teil 3: Instrumente und Interventionen
Bei der merkmalorientierten Leistungsbeurteilung werden funktionsspezifische Merkmalkataloge aufgestellt, deren Grad der Erreichung in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen überprüft
wird. Diese Merkmalkataloge können unternehmensspezifisch,
oder auf einzelne Abteilungen bezogen aufgestellt sein. Obwohl
die merkmalorientierten Leistungsbeurteilungssysteme die Chance einer einheitlichen Bewertungsgrundlage bieten, haben unternehmensweite Merkmalkataloge nur noch wenig Bezug zu dem zu
beurteilenden Mitarbeiter. Und doch hängt vom Grad der Beurteilung nicht selten eine Versetzung, eine Beförderung oder im
schlimmsten Fall eine Kündigung ab.
Skalierung einbeziehen
Die Skalierung der Leistungsbeurteilungssysteme kann sich zum
einen auf den einzelnen Mitarbeiter beziehen und dort in Form
von Benotung oder speziell definierter Beurteilungskriterien Maßstab für eine Beurteilung sein. Eine weitere Möglichkeit ist, die
Mitarbeiter einer Abteilung vom Vorgesetzten in eine Rangfolge
bringen zu lassen. Dabei trägt letztere Form der Skalierung wohl
eher zu wettkämpferischem Verhalten bei, als dass sie Kooperation, geschweige denn teamorientiertes Verhalten fördert. Als Folge
der Leistungsbeurteilung wird in der Regel das Anforderungsprofil
verändert, nicht aber die Entwicklung der Persönlichkeit in den
Vordergrund gestellt.
Um derartige Systeme sinnvoll einzusetzen, sollte es das Bestreben
des Beurteilers sein, sich auf die Überprüfung messbarer, objektiver
Ziele zu beschränken. Über das Vorhandensein von überprüfbaren
Ergebnissen werden Beurteiler und Beurteilter schnell eine Einigung erzielen können. Ist diese Überprüfbarkeit in Bezug auf die
Ziele nicht mehr gegeben, besteht die Gefahr, dass die Beschreibung aufgrund von Sympathien oder Antipathien zu einer Bewertung entgleist. Dann wird der Beurteilte mit einem Urteil (sowohl
positiv als auch negativ) konfrontiert, das durch niemanden aufgefangen beziehungsweise relativiert wird.
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Volbers: 360° Feedback als Analyseinstrument personaler Performance
Dass der Mitarbeiter im Sinne funktionaler Zielvereinbarungen
überprüfbar zum Beispiel bestimmte Kennzahlen verbessert hat,
ist objektiv beschreibbar (»Da-Sein«). Wie aber kann sein Verhalten (»So-Sein«) den Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern gegenüber »beurteilt« werden?
Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir zunächst einmal prüfen, wie wir denn andere Menschen wahrnehmen? Wie
erkennen wir eigentlich?
Informationen verarbeiten
Der Konstruktivismus 2 als derzeit nicht falsifizierte Erkenntnistheorie geht davon aus, dass Menschen nur das zu Information
verarbeiten, was ihren momentanen Werten, Erwartungen, Interessen und Bedürfnissen (WEIB) entspricht. Das bedeutet auch,
dass alles, was nicht unserem WEIB entspricht, nicht verarbeitet
wird, und somit für uns nicht existiert. Aus der Summe aller Erfahrungen konstruieren wir unser Bild von der Welt. So, wie wir unser
Bild von der Welt konstruieren, machen wir uns auch ein Bild von
uns selbst und von den sozialen Systemen, in denen wir interagieren (umgangssprachlich auch als Fremdbild bezeichnet).
Je nach Werten, Erwartungen, Interessen und Bedürfnissen nehmen wir einen Menschen als sympathisch oder unsympathisch
wahr, wirkt sein Verhalten auf uns positiv oder negativ. Wir
machen uns ein individuelles Bild von der Interaktion mit einer
Person, das ausschließlich durch unser eigenes WEIB bestimmt ist.
Unterschiedliche Menschen haben je nach WEIB individuelle
Bilder von ein und derselben Situation oder Person.
Wie aber kann das »So-Sein« eines Mitarbeiters in Form einer personenbezogenen Gap-Analyse beschreibbar gemacht werden?
Wenn wir etwas über Mitarbeiter sagen, sagen wir etwas über uns
(unsere Werte, Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse) und dar147
Teil 3: Instrumente und Interventionen
über aus, wie wir die Person erlebt haben. Wir können zurückmelden, wie wir den Mitarbeiter wahrgenommen haben, nicht wie er
ist. Wenn wir uns also zum Bereich des »So-Seins« von Mitarbeitern äußern wollen, haben wir nur die Möglichkeit, dies in Form
von Feedback zu tun.
Feedback als Analyse-Grundlage
In letzter Zeit nutzen mehr und mehr Führungskräfte das Feedback, um durch die Rückmeldung zu erfahren, wie sie auf ihre
nächste Umgebung wirken. Sie nutzen diese Form der Rückmeldung als Grundlage für eine Gap-Analyse, um eine persönliche
und berufliche Entwicklung gezielt zu unterstützen.
Der verantwortete Einsatz von Feedback setzt jedoch die Beherrschung von Feedback-Regeln voraus. Zunächst sollte die konkrete
Situation genannt, und das Verhalten des Feedbacknehmers beschrieben (nicht bewertet!) werden, zu dem Feedback gegeben werden soll. Erst dann wird das eigentliche Feedback in Form einer
Ich-Aussage formuliert (»Ich habe den Eindruck, dass …«, »Das
Verhalten hat auf mich … gewirkt.«). Erst durch das Feedback zu
konkret beschriebenem Verhalten können wir ahnen, was wir
getan haben.3
Die persönliche Feedbackgabe kann in Form von Einzel- und
Gruppengesprächen oder im Rahmen eines Workshops stattfinden. Vorteil eines Workshops ist die persönliche Rückmeldung,
wohingegen die Schwierigkeit darin besteht eine gemeinsame inhaltliche Basis für das Gespräch zu finden, und zu gewährleisten,
dass das Feedback vom Feedbacknehmer durch die Unterstützung
eines Dritten professionell aufgefangen wird.
Eine weitere Möglichkeit ist die schriftliche Befragung einer ausgewählten Gruppe mit Hilfe von Fragebögen, um so ein möglichst
vielfältiges Bild zu erhalten, das auf einer identischen inhaltlichen
Grundlage basiert. Diese Art von Feedback ist meistens als 360°148
Volbers: 360° Feedback als Analyseinstrument personaler Performance
Feedback angelegt, um möglichst viele Wahrnehmungen einzubeziehen. Beim 360°-Feedback wird der Kreis von Personen in den
Feedbackprozess einbezogen, von dem die Führungskraft im beruflichen Umfeld umgeben ist: Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzte
sowie die Führungskraft selbst sind am Feedbackprozess beteiligt.4
Wie bei den Leistungsbeurteilungen bleibt auch beim Feedback die
Frage, durch wen die Themen beziehungsweise die Merkmale festgelegt werden, zu denen Feedback gegeben werden soll. Auch die
Auswahl eines geeigneten schriftlichen Instrumentes sowie die
Frage, wer die Auswahl der Feedbackgeber bestimmt, muss vor dem
Einsatz des Instrumentes geklärt werden. Zu prüfen ist auch, wer
letztendlich sicherstellt, dass der Feedbacknehmer im Umgang mit
dem gegebenen Feedback sinnvoll betreut wird.
Leistungsbeurteilungen können sicherlich – mit all ihren Tücken –
ein Bestandteil der Gap-Analyse auf personaler Ebene darstellen.
Wie aber kann – die konstruktivistische Denkweise zugrundelegend – ein Personalentwicklungsinstrument gestaltet sein, das
sich einerseits den Vorteil des Feedback zunutze macht und andererseits die Entwicklung (Performance) der Führungskraft zum Ziel
setzt und nicht deren Beurteilung?
Um ein geeignetes Instrument zur Verfügung zu stellen, das diesen
Entwicklungsprozess unterstützt, wurden im Rahmen einer Studie
über 500 Top-Führungskräfte hinsichtlich ihrer persönlichen und
beruflichen Entwicklung und Erfahrung im Managementbereich
befragt: 5 Wie entwickeln sich Führungskräfte in Bezug auf ihre
Tätigkeit? Spielen bestimmte kritische Erfahrungen eine Rolle?
Stellen diese Erfahrungen eine wertvolle Unterstützung dar? So
und ähnlich lauteten Fragen, die im Rahmen der Befragung gestellt wurden. Aus den Ergebnissen der Studie wurde das 360°Feedback-Instrument Benchmarks® entwickelt, das im folgenden
vorgestellt wird.
Übereinstimmung herrschte bei den Führungskräften insbesondere in der Bedeutung des aus Erfahrung Gelernten.6 So wurde bei
den Aussagen ein enger Zusammenhang festgestellt zwischen den
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Teil 3: Instrumente und Interventionen
bewältigten Situationen und den gemachten Erfahrungen. Rückschläge, persönliche Fehler, Probleme oder Herausforderungen in
der Tätigkeit wurden in Verbindung mit Weiterbildung zum richtigen Zeitpunkt als besonders entwicklungsfördernd angesehen.
Über den entscheidenden Schritt zum Erfolg waren sich die Manager einig: Aus den gemachten Erfahrungen mussten Konsequenzen für das zukünftige Verhalten gezogen werden. Die Überwindung bequemer Gewohnheiten und der damit verbundene Übergang zu neuen Verhaltensweisen stellte für sie das eigentliche
Wesen des Lernens aus Erfahrung dar. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand somit nicht eine optimale Aufgabenerfüllung im Sinne einer Leistungsbeurteilung, sondern die tatsächliche und
potenzielle Entwicklung der Führungskraft.
Den Erkenntnissen dieser Befragung folgend wurde ein Fragebogen entwickelt, der dazu dienen sollte eine umfassende IST-Analyse durchzuführen. Er konzentriert sich im wesentlichen auf zwei
Bereiche: 7
1. Die Fertigkeiten und Einsichten, die von Führungskräften als
erfolgsrelevant geschildert werden.
Dieser Bereich ist in 16 Dimensionen unterteilt, die ihrerseits in drei Kategorien zusammengefaßt sind:
– Bewältigung der mit der Tätigkeit verbundenen Anforderungen
– Führen von Mitarbeitern und
– Selbstorganisation und Beziehungsmanagement
Themenbereiche »Balance zwischen Arbeit und Beruf«, »Fähigkeit,
persönlichen Kontakt zu den Mitarbeitern aufzubauen«, »Vorgehen, um Arbeit zu erledigen«, »Fähigkeit zu delegieren«.
2. Die Probleme, die zu einem Karriereknick führen.
Dieser Bereich ist als Ergänzung des ersten Bereiches zu
verstehen, und nicht als dessen negativer Pol. Er stellt
zusätzliche Informationen über das Verhalten der Führungskraft zur Verfügung, insbesondere solche, die Probleme für eine weitere Karriere darstellen könnten.
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Volbers: 360° Feedback als Analyseinstrument personaler Performance
Themenbereiche sind u. a. »Schwierigkeit, ein Team zu formen«,
»Mangel an Beharrungsvermögen«, »Übermäßige Abhängigkeit«.
Innerhalb dieser Themenbereiche wird die Wahrnehmung von
Stärken und Schwächen der Führungskraft hinsichtlich seines
Führungsverhaltens abgefragt. Diese Wahrnehmung wird jedoch
nicht von einer zentralen Abteilung, oder von nur einer Person
abgefragt, wie es bei der Leistungsbeurteilung der Fall ist, sondern
von den Menschen, mit denen die Führungskraft im Berufsalltag
überwiegend zu tun hat. Somit ist die Individualität der Auswertung bei jedem, der Feedback einholt, gegeben.
Auswertung über Feedback-Bericht
Die Auswertung der Fragebögen liegt in einem ausführlichen Feedback-Bericht vor. Dieser bildet die Grundlage für eine umfangreiche IST-Analyse. In diesem Bericht sind alle Daten der Fragebögen
strukturiert und nachvollziehbar aufgeschlüsselt. Der Bericht ist so
aufgebaut, dass die Auswertungen von allgemeinen, zusammenfassenden Angaben bis hin zum direkten Vergleich der Ergebnisse
bei einzelnen Fragestellungen führt. Nur so kann nachvollzogen
werden, wie die Führungskraft in Abgrenzung zur Selbstwahrnehmung derzeit von ihrem direkten Umfeld erlebt wird.8
Der Einstieg wird über die Fertigkeiten und Einsichten gefunden,
die in dem Unternehmen als wichtig für Erfolg angesehen werden.
(Liege ich mit meiner Einschätzung »richtig«? Welche Bereiche
hält mein Vorgesetzter für wichtig, wie sehen das meine Mitarbeiter?) Immerhin ist diese Aufschlüsselung ein Hinweis auf die Basic
Beliefs und die Corporate Behaviors des Unternehmens, und somit
ein Hinweis auf die Unternehmenskultur. Bereits hier werden oftmals erste Differenzen in der Einschätzung der Mitarbeiter und
Führungskräfte deutlich.
Von der Ist-Situation ausgehend, werden nun in einem persönlichen Gespräch mit einem Coach die einzelnen Ergebnisse des
Feedback-Berichtes analysiert. Dabei können folgende Fragen gestellt werden:
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Teil 3: Instrumente und Interventionen
– Wie werden eigene Verhaltensweisen von der nächsten
Umgebung wahrgenommen?
– Wie stehen meine Ergebnisse im Verhältnis zur Normgruppe?9
– Welche Ereignisse könnten zu einer unterschiedlichen
Wahrnehmung geführt haben? Wo sind besonders große
Diskrepanzen in den Wahrnehmungen?
(Eine Führungskraft kann von seinem Vorgesetzten hoch
anerkannt sein und von seinen Mitarbeitern als Rüpel
wahrgenommen werden, ohne dass dies der Führungskraft
bewusst ist.)
Im Rahmen der gesamten Auswertung werden immer die im Rahmen der Arbeit benötigten Fähigkeiten auch im Zusammenhang
mit der Persönlichkeit und ihren Entwicklungspotenzialen betrachtet. Dabei ist bei allen Auswertungen zu berücksichtigen, dass
die Daten selbst keine Entscheidungen über mögliche Entwicklungsschritte beinhalten! Die Führungskraft selbst entscheidet,
wie sie mit den Ergebnissen umgeht. Sie ist der Experte, der seine
Situation am Arbeitsplatz am besten kennt und einschätzen kann.
Die Stärke des Feedback-Berichtes liegt eindeutig darin, dass er
sowohl als statistisch valide Grundlage für ein zielorientiertes Entwicklungsgespräch als auch zur Selbstreflexion eingesetzt werden
kann. Welche Interventionen letztendlich sinnvoll für die Führungskraft sind, ist prozessabhängig. Erst im Rahmen der Auswertung des Feedback-Berichtes ist zu klären, ob Coaching, ein
neuer Arbeitsbereich, ein mehr an Verantwortung, oder ein Training notwendig sind, um den Gap zu schließen.
Auswertungsgespräch mit geschultem Coach
Das Feedback-Gespräch kann sowohl von einem geschulten Mitarbeiter des Unternehmens, von einem Mitarbeiter der Personalabteilung als auch von einem externen Coach geführt werden. Da
es für ein erfolgreiches Gespräch entscheidend ist, dass sich der
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Volbers: 360° Feedback als Analyseinstrument personaler Performance
Feedbacknehmer in einer sicheren und vertrauensvollen Atmosphäre weiß, werden vielfach externe Coaches für dieses Gespräch
eingeladen. Entscheidend ist, dass sich derjenige, der das Gespräch
führt, seiner Aufgabe bewusst ist. Es kann sich bei diesem Coaching-Prozess nicht um therapeutisches Coaching im Sinne von
psychologischer Betreuung handeln, sondern ausschließlich um
instrumentelles Coaching.10
Aufgabe des Coaches ist es, die Führungskraft bei der Analyse der
Ergebnisse zu unterstützen. Hier werden im Gespräch das IST analysiert und Gaps identifiziert. Das kann einerseits durch konkretes
Hinweisen auf große Diskrepanzen im Feedback-Bericht geschehen. Weitere Möglichkeiten sind das Eingrenzen des Problems
durch zirkuläres Fragen (»Wie haben das Unternehmen, die Abteilung, die Mitarbeiter auf derartiges Verhalten reagiert?«) oder das
Wechseln der Perspektive. Der Coach bietet Werkzeuge an, um
dem Feedbacknehmer das Verständnis des Feedback-Berichtes zu
erleichtern.
Bei allen Formen der Unterstützung ist entscheidend, dass die Führungskraft die Antwort findet, nicht der Coach! Der Coach kann
beim Verständnis der Daten helfen, die Führungskraft allein kann
ihre Bedeutung festlegen. Diese Aussage ist nicht nur handlungsleitend für das Gespräch, sondern auch für den Entwicklungsplan,
den die Führungskraft nach der gemeinsamen IST-Analyse aufstellt.
Untersuchungen haben ergeben, dass ein 360°-Feedback ohne
einen Entwicklungsplan und eine anschließende Betreuung durch
einen Coach wenig erfolgreich ist.11 Ein SOLL muss bestimmt
werden, um die identifizierten Gaps zu schließen. Entscheidend
ist, dass es bei der Auswertung des Feedback-Berichtes nicht bei
der Aufzählung von besonders hervorstechenden Abweichungen
bleibt. Es müssen Strategien gefunden werden, die es dem Feedbacknehmer ermöglichen, das Beobachtete auf die eigenen Kompetenzen und Rahmenbedingungen zu übertragen.12 Improving
Performance ist nur möglich, wenn diese von der Führungskraft
formulierten Ziele mit den strategischen Zielen des Unternehmens
im Einklang stehen.
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Teil 3: Instrumente und Interventionen
Voraussetzungen für den Einsatz von 360°-Feedback
Benchmarks®
Für den Einsatz des 360°-Feedback Benchmarks® sind folgende vier
Voraussetzungen notwendig:
1. Eine entscheidende Voraussetzung für die erfolgreiche
Durchführung des 360°-Feedback Prozesses ist die freiwillige Teilnahme der Feedbacknehmer. Nur so ist gewährleistet, dass die Führungskraft sich dem Feedback anderer
öffnet und Bereitschaft zur Veränderung von Verhaltensweisen mitbringt. Wenn das Feedback unternehmensübergreifend durchgeführt wird, ist entscheidend, dass das
Instrument an sich und die Zielsetzung allen Beteiligten
bekannt ist.
2. Der Feedbacknehmer sollte zum einen selbst entscheiden
können, wen er als Feedbackgeber auswählt. Zum anderen
sollte den Feedbackgebern Anonymität zugesichert sein.
Die Chance von Mitarbeitern und Kollegen ein ehrliches
Feedback zu erhalten ist deutlich größer, wenn die Fragen
anonym beantwortet werden können.13 Auch hier unterstützt eine klare Kommunikation der Bedingungen das positive Ergebnis.
3. Als dritte Voraussetzung ist der vertrauensvolle Umgang
mit dem 360°-Feedback zu nennen. Es muss gewährleistet
sein, dass der Feedback-Bericht im Besitz der Führungskraft
verbleibt. Sie allein entscheidet darüber, wer diesen Bericht
noch einsieht. Es wird den Führungskräften nahegelegt, die
Entwicklungsziele mit ihren Vorgesetzten abzustimmen,
letztendlich aber liegt auch diese Entscheidung in der Hand
der Führungskraft.
4. Unabdingbare Voraussetzung für ein erfolgreiches FeedbackGespräch ist die vertrauensvolle Atmosphäre in der Zusammenarbeit von Coach und Feedbacknehmer. Nur so kann
das Instrument in seiner Vielfalt und Bandbreite voll ausgeschöpft werden. Das bedingt auch, dass der Entwicklungsplan nicht als Mittel der Leistungsbeurteilung eingesetzt
wird, sondern als Ergänzung zu Leistungsbeschreibungen.
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Volbers: 360° Feedback als Analyseinstrument personaler Performance
Anmerkungen zum Einsatz von diagnostischen
Instrumenten
Sei es ein 360°-Feedbackinstrument, ein Eignungstest, eine wissenschaftliche Methode zur Analyse von Stellenbeschreibungen oder
ein klassischer Persönlichkeitstest – in vielen Fällen trifft der Einsatz auf Widerstand. Dabei sind die Gründe für den Widerstand
unterschiedlich, ja teilweise konträr.
»Tests sind zu wissenschaftlich, sie sind von Theoretikern
entworfen und in der Praxis ungeeignet.«
Der Einwand stimmt insoweit, als dass ein wissenschaftliches Fundament für die teststatistischen Aussagen relevant ist. Dennoch
kann davon ausgegangen werden, dass ein gutes Testdesign die
Realität am Arbeitsplatz so genau wie möglich erfasst. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang eine gute Mischung zwischen
Theorie und Praxis. Jeder Performance Coach sollte deshalb einen
guten Einblick in den Unternehmensalltag geworfen haben, bevor
er mit einem Feedbackgespräch beginnt oder andere Instrumente
platziert; die wissenschaftliche Begleitung aber ist genauso notwendig, um die Aussagekraft der Instrumente zu stützen. Ein professionelles Marketing dieser Instrumente und damit der direkte
Bezug zum Nutzen des Kunden ist hierzulande allerdings noch
ausbaufähig.
»Das mag ja in den USA gehen, bei uns in Deutschland
funktioniert das nicht.«
Auch dieser Einwand ist berechtigt. Eine ein-zu-eins Übertragung
von ausländischen Instrumenten und Ansätzen ist nicht möglich.
Selbst innerhalb Europas existieren Kulturunterschiede, die eine
Anpassung der Diagnoseinstrumente erforderlich machen. Richtig
ist auch, dass Amerikaner mit Tests sehr viel unkomplizierter umgehen als wir Deutschen. Haben diese sich aber auf das vermeintliche »Wagnis« getestet zu werden eingelassen, sind viele von den
Ergebnissen und der Aussagekraft begeistert.
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Teil 3: Instrumente und Interventionen
Auf jeden Fall sind die Einwände ernst zu nehmen und im Gespräch zu klären. Es gilt dabei sicher auch Stück für Stück die Mauer
in den Köpfen einzureißen, um weniger dem Zufall und mehr erfolgreich geprüften Instrumenten zu überlassen.
Fazit
Leistungsbeurteilungen können dann eingesetzt werden, wenn es
um die Überprüfung konkreter Aufgaben zur Verfolgung von Unternehmensstrategien geht. Mit der Vereinbarung von Aufgaben
wird das Ziel der funktionalen Optimierung des Mitarbeiters verfolgt. Benchmarks® hingegen hilft, Verhaltensweisen auf personaler Ebene beschreibbar zu machen. Dennoch bleibt es schwierig,
einen direkten Zusammenhang zum Unternehmenserfolg nachzuweisen.
Veränderte Organisationsformen machen eine veränderte Führungskultur und Führungspersönlichkeiten notwendig: Führungskräfte haben über das Feedback die Chance, sich mit den sie umgebenden Veränderungen konstruktiv auseinanderzusetzen, eigene
Veränderungsprozesse nachzuvollziehen und bewusst umzusetzen. Da einmal erworbene Fähigkeiten ständigen Veränderungen
und Anpassungen an neue Situationen und Umgebungen unterliegen, gilt es diese und die damit verbundenen Werte, Erwartungen,
Interessen und Bedürfnisse bewusst und auf fundierter Basis zu
ermitteln und zu überdenken. Der Einsatz des 360°-Feedbacks
kann somit zu einem besseren Verständnis der Dynamik innerhalb
der Entwicklung einer Führungskraft führen.
Mit dem Einsatz von Feedback als Form der Rückmeldung können
Wahrnehmungen beschreibbar gemacht werden 14: Die Führungskraft wird mit dem Bild, das die Mitarbeiter der nächsten Arbeitsumgebung sich von ihr machen, konfrontiert. – Die Bilder existieren ohnehin, nur ausgesprochen werden sie der Führungskraft
gegenüber häufig nicht. Feedback bedeutet die Chance zu erfahren, welche Bilder existieren. 360°-Feedback ist ein Einstieg in eine
Feedback-Kultur, die es ermöglicht, einen verantworteten Umgang
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Volbers: 360° Feedback als Analyseinstrument personaler Performance
miteinander in Unternehmen zu etablieren.15 Das setzt auch voraus, dass es im Umgang mit Feedback nicht zum Ausnutzen von
Hierarchien kommt. (Erst wenn ein Raum entsteht, in dem Feedback möglich ist, kann Improving Performance als fortwährender
Prozess beginnen.)
Es ist sicherlich noch einige Übung notwendig, um das Annehmen
von Feedback gewohnte und geschätzte Kultur werden zu lassen.
Eine Restunsicherheit bleibt auch bei den Führungskräften, die
sich mit dem 360°-Feedback Instrument vertraut gemacht haben.
So steht am Ende eines vierstündigen intensiven Gespräches mit
dem Performance Coach oft die Frage der Führungskraft:
«Nun sagen Sie doch mal, bin ich denn nun eine gute
Führungskraft?«
Doch genau darum kann es nicht gehen.
Anmerkungen
1 Die Performanz beschreibt, wie schon am anderen Ort erwähnt, die
Fähigkeit erlernte (Sprach-) Regeln in sich ändernden Situationen anwenden zu können.
2 Lorenz, Thomas: »Sage, wie es ist« oder »Ist es, wie ich es sage«; Forderungen einer modernen Erkenntnistheorie nach Veränderungen im Management einer Informationsgesellschaft in: Der Karriereberater, Sonderausgabe
zum 10jährigen Bestehen der Management-Transfer AG 1998.
3 »Ich bin auf wundersame Weise nicht verantwortlich für das, was Sie
hören, aber voll verantwortlich für das, was ich sage.« Humberto
Maturana.
4 Je nach Branche und Position der Führungskraft werden auch die Kunden
als Feedbackgeber eingeschlossen.
5 Die Befragung wurde vom Center for Creative Leadership durchgeführt,
einem der führenden Management Institutionen in den USA.
6 Siehe dazu auch M. McCall, M. Lombardo, A. Morrison: The Lessons of
Experience, New York: Lexington Books, 1988.
7 Das 360°-Feedback »Benchmarks®« wurde in den USA entwickelt. Die
deutsche Übersetzung von Benchmarks kam 1995 erstmalig zum Einsatz.
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Teil 3: Instrumente und Interventionen
8 Konstruktivistisch kann es sich bei Benchmarks nur um eine Momentaufnahme handeln, da sie von den momentanen Werten, Erwartungen, Interessen und Bedürfnissen der Führungskraft selbst und der Feedbackgeber
abhängt.
9 Als Vergleichsgröße wird vor der Auswertung der Fragebogen neben den
Skalen der Mitarbeiter, Kollegen, des Vorgesetzten und dem Selbstbild
eine Normgruppe festgelegt. Dadurch besteht für die Führungskraft die
Möglichkeit, seine eigenen Ergebnisse mit denen anderer Führungskräfte
in ähnlicher Funktion zu vergleichen.
10 Instrumentelles Coaching ist die inhaltsbezogene Arbeit an
berufsbedingenProblemen.
11 »Of the many factors that seem to influence the impact of 360degree
feedback, support following the feedback process is essential.«
Maximizing., S. 27.
12 Maximizing, S. 194.
13 »(…) subordinates whose ratings where not anonymous felt less
comfortable and rated their managers significantly higher than
subordinates whose ratings were anonymous.« Maximizing , S. 153.
14 »When the process becomes part of a strategy demonstrating that
360-degree feedback is simply information and that information is
essential to learning and growth, individuals will learn that they
can talk to each other and give up the scannable bubble forms.«
Maximizing, S. 75.
15 »The introduction of feedback surveys is starting to change the
organizational norms around the giving and receiving of feedback in
general.« Maximizing, S. 75.
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