Der Manchurian Kandidat

Transcription

Der Manchurian Kandidat
Der Horror der Politik: „Der Manchurian Kandidat“
Die letzten wirklichen Blockbuster von Jonathan Demme, das muss man sagen, liegen im
Grunde mehr als zehn Jahre zurück: „Philadelphia“ und „Das Schweigen der Lämmer“
brachten ihm Anfang der 90er oscar-prämierten Weltruhm ein. Danach wurde es ruhig um
den US-amerikanischen Regisseur, und 1998 ging sein Drei-Stunden-Epos „Beloved“ an den
Kinokassen regelrecht unter. Nun meldet er sich mit einem gewagten, und doch sehr aktuellen
Stoff wieder: Ein Remake des gleichnamigen Klassikers „The Manchurian Candidate“ von
John Frankenheimer, das zur Zeit seines Erscheinens (1962) politisch so brisant war, dass der
Streifen in vielen Länder erst Jahre später aufgeführt wurde. Damals ging es in dem PolitThriller zwar oberflächlich um den Kalten Krieg, aber in der Tiefe lagen Themen wie
Paranoia und Verschwörung, Macht, Intrigen, Medien und Manipulation, und um den Einfluss
der Reichen und Mächtigen auf die US-Politik. Themen also, die im derzeitigen „Land of
Plenty“ unter George W. Bush den Nagel des Zeitgeistes auf den Kopf treffen. Und die
Bezüge auf die aktuelle politische Situation sind so offensichtlich, dass man nicht anders
kann, als den „Manchurian Kandidat“ als Schlüsselfilm zu lesen – als Spielfilm-Pendant
vielleicht, zu Michael Moores Anti-Bush-Dokumentarfilm „Fahrenheit 9/11“.
Um den mittlerweile obsoleten Kalten-Krieg-Stoff des Originals politisch zu aktualisieren,
haben Demme und seine Drehbuchautoren Daniel Pyne und Dean Georgaris die Handlung vor
den Hintergrund des ersten Golf-Krieges verlegt: Denzel Washington verkörpert in
beachtlicher Manier US-Major Ben Marco, dessen Einheit in Kuwait unerwartet angegriffen
wird. Er selbst wird bewusstlos geschlagen, während Sergeant Raymond Shaw (Liev
Schreiber) im Quasi-Alleingang seine Kameraden rettet und dafür die heiß begehrte „Medal
of Honor“ verliehen bekommt. Nach dem Krieg instrumentalisiert Shaws übermächtige
Mutter (Meryl Streep) den heldenhaften Kriegsveteranen und macht ihn mit tatenreicher
Hilfestellung durch die Manchurian Global Corporation zum offiziellen
Vizepräsidentschaftskandidaten. Ben Marco aber, und alle anderen aus seiner Einheit, werden
seit dem dubiosen Überfall in Kuwait von merkwürdigen Alpträumen geplagt, die die
traumatisierten Soldaten nicht mehr loslassen. Und auf mysteriöse Weise kommen alle
Soldaten aus Marcos Einheit mit der Zeit ums Leben – bis auf Raymond Shaw, der die
politische Karriereleiter scheinbar mühelos und in traumwandlerischer Indifferenz empor
klimmt. Marco wittert eine groß angelegte Verschwörung, die so haarsträubend ist, dass ihm
keiner glauben will – schon gar nicht die Army –, und die schon deshalb wahr sein muss: Die
Army hätte ihn und seine Einheit einer Gehirnwäsche unterzogen, ihnen Implantate
eingepflanzt, und mit Hilfe eines Deutschen Wissenschaftlers (kein geringerer als Bruno
„Hitler“ Ganz in einer Gastrolle) zu dem Schluss kommt, dass es den gesamten Überfall in
Kuwait womöglich nie gegeben hat, zumindest nicht in Wirklichkeit. In bester USEinzelgänger-Manier macht er sich also daran, diese dubiosen Umstände aufzuklären, und er
kommt nicht nur der Verschwörung durch Manchurian auf die Spur, sondern erfährt ebenso,
dass sein Kamerad Raymond Shaw im Grunde immer noch ein Bruder im Geiste ist, der trotz
seiner absoluten Hörigkeit gegenüber seiner Mutter einer der wenigen ist, die ihm wirklich
helfen können.
Demme hat sich schon beim „Schweigen der Lämmer“ als Virtuose im Genre des Thrillers
bewiesen, und hat seitdem leider keinen Film dieses Genres mehr gemacht. Beim seinem
neuen Film merkt man wieder, wie gut er eigentlich darin ist, eine Atmosphäre der
psychologischen Entrückung und der Paranoia zu kreieren. Er arbeitet wie immer mit seinem
Kameramann Tak Fujimoto zusammen, der den Film in Bilder taucht, die im Gegensatz zum
Original mehr Betonung auf die unheimlichen Elemente des Genres legen: Verstörendtraumatische Erinnerungsfetzen, Wahnvorstellungen, Alpträume, die langsam wirklich
werden – Situationen und Bilder, die auch einem Horrorfilm entstammen könnten. Das
Amerika als soziale Dystopie und Mekka der Medienmanipulation, das regiert wird von der
elitären Riege der „Have-mores“, wird in seinem Wahnsinn ohne eindeutigem Gesicht mit der
alptraumhaft bebilderten und konkreten Paranoia des Einzelgängers Ben Marco gleich gesetzt.
Das Spielfeld der Politik ist in diesem Film ein groteskes Marionettentheater, und das
wertvolle Privileg, dass wir als Zuschauer dabei genießen, bleibt uns in der wirklichen Welt
verwehrt: Zu sehen, wer die Fäden zieht.

Documents pareils