Fall 10 b Lösung Bundesauftragsverwaltung

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Fall 10 b Lösung Bundesauftragsverwaltung
Institut für Öffentliches Recht
Universität Augsburg
Wintersemester 2011/2012
Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht I
(Staatsorganisationsrecht)
Fall 10: Bundesauftragsverwaltung
Der Antrag der Landesregierung von A beim Bundesverfassungsgericht hat Aussicht auf
Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit
Der Antrag ist zulässig, wenn alle formellen Sachentscheidungsvoraussetzungen eingehalten werden.
In Betracht kommt hier ein Bund-Länder-Streit nach Art. 93 I Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68
ff. BVerfGG.
I. Zuständigkeit
Das Bundesverfassungsgericht ist gemäß Art. 93 I Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG
zuständig für die Entscheidung über Bund-Länder-Streitigkeiten.
II. Antragsberechtigung
Die Beteiligten müssen antragsberechtigt sein. Antragsteller bzw. Antragsgegner können
in einem Bund-Länder-Streit nach § 68 BVerfGG für den Bund die Bundesregierung und
für das jeweilige Land die Landesregierung sein. Hier wendet sich die Landesregierung
von A gegen die Bundesregierung. Beide gehören zu dem Kreis der Antragsteller und Antragsgegner im Bund-Länder-Streit.
III. Streitgegenstand
Des Weiteren müsste ein tauglicher Streitgegenstand vorliegen. Nach Art. 93 I Nr. 3
BVerfGG muss sich der Streit auf „Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder“ beziehen. Konkretisiert wird dies durch § 69 BVerfGG, wonach die Vorschriften über das
Organstreitverfahren entsprechende Anwendung finden. Daher ist nach § 69 i.V.m. § 64
BVerfGG eine konkrete, rechtserhebliche Maßnahme bzw. ein entsprechendes Unterlassen des Antragsgegners erforderlich. Die Weisung des Bundesumweltministers G, die Genehmigung für das Atomkraftwerk Strahlenburg zu widerrufen, stellt eine solche rechtserhebliche Maßnahme dar. Damit ist ein tauglicher Streitgegenstand gegeben.
IV. Antragsbefugnis
Außerdem müsste die Regierung des Landes A antragsbefugt sein. § 69 i.V.m. § 64 I
BVerfGG setzt dabei voraus, dass der Antragsteller plausibel geltend macht, durch die
Maßnahme oder das Unterlassen, hier also der Weisung, in eigenen Rechten aus dem
Grundgesetz verletzt zu sein.
Fraglich ist zunächst, in welche Rechten aus dem Grundgesetz das Land A verletzt sein
könnte. Als verletztes Recht kommt hier das Recht der Länder auf ungestörte Ausführung
des Atomgesetzes in Betracht. Der Regelfall ist die Ausführung der Bundesgesetze als
eigene Angelegenheit der Länder nach Art. 83 GG. Daneben können Bundesgesetze jedoch auch im Wege der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG ausgeführt werden,
was jedoch die Ausnahme darstellt und daher durch das Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen werden muss. Dies kann zum einen durch Anordnung durch das Grundgesetz
selbst, so zum Beispiel in Art. 90 II GG für die Bundesautobahnen und sonstige Bundesstraßen des Fernverkehrs, geschehen. Zum anderen kann der Bundesgesetzgeber durch
das Grundgesetz ermächtigt werden anzuordnen, dass bestimmte Gesetze im Auftrag des
Bundes auszuführen sind. Eine Anordnung der Bundesauftragsverwaltung für den Bereich
des Atomrechts enthält das Grundgesetz selbst nicht. Allerdings kann nach Art. 87c GG
durch Gesetz bestimmt werden, dass Bestimmungen über die Erzeugung und Nutzung
der Kernenergie (Art. 73 I Nr. 14 GG) von den Ländern im Auftrag des Bundes ausge-
führt werden. Von dieser Möglichkeit hat der Bundesgesetzgeber in § 24 I 1 AtG Gebrauch gemacht. Damit hat das Land A aus Art. 85 GG das Recht, das Atomgesetz als
Auftragsangelegenheit auszuführen.
Außerdem kann sich das Land A auch auf das Gebot der Bundestreue berufen, wonach
Bund und Länder zur Zusammenwirkung sowie zur gegenseitigen Rücksichtnahme und
Unterstützung verpflichtet sind.
Die Verletzung der gerade festgestellten Rechte müsste das Land A auch geltend machen. Nach der sowohl im Verfassungs- als auch im Verwaltungsprozessrecht anerkannten Möglichkeitstheorie reicht für ein „geltend machen“ aus, wenn der Antragsteller darlegen kann, dass eine solche Rechtsverletzung zumindest möglich ist. Hier kann nicht
ausgeschlossen werden, dass G mit der Weisung seine Aufsichtsrechte aus Art. 85 III GG
überschritten hat und das Land A dadurch in seinen Rechten aus Art. 85 GG und dem
Gebot der Bundestreue verletzt wurde. Die Landesregierung von A ist damit antragsbefugt.
V. Frist
Der Antrag muss fristgerecht erhoben worden sein. Liegt ein Beschluss des Bundesrates
gemäß Art. 84 IV 1 GG vor, beträgt die Frist nach § 70 BVerfGG einen Monat. Ein solcher
ist hier jedoch nicht gegeben, so dass die sechsmonatige Frist nach § 69 i.V.m. § 64 III
BVerfGG gilt.
VI. Form
Schließlich müsste der Antrag der Regierung des Landes A auch den Formerfordernissen
entsprechen. So muss der Antrag nach § 23 I BVerfGG schriftlich und mit Begründung
erhoben werden. Außerdem muss nach § 69 i.V.m. § 64 II BVerfGG im Antrag die Norm
des Grundgesetzes genannt werden, die möglicherweise durch die Maßnahme des Antragsgegners verletzt wird.
VII. Zwischenergebnis
Der Antrag der Regierung des Landes A ist zulässig.
B. Begründetheit
Der Antrag der Regierung des Landes A ist begründet, wenn die Weisung des Bundesumweltministers G verfassungswidrig war und das Land A dadurch in seinen Rechten verletzt wurde.
I. Verfassungsmäßigkeit der Weisung
Die Weisung eines Bundesministers ist verfassungsgemäß, wenn sie auf eine Ermächtigungsgrundlage gestützt werden kann sowie formell und materiell verfassungsmäßig ist.
1. Formelle Verfassungsmäßigkeit
a) Ermächtigungsgrundlage
Zunächst müsste der Bundesminister G eine Ermächtigungsgrundlage für die Weisung
besessen haben. Abgesehen von dem Fall des Art. 84 V 1 GG, der hier nicht einschlägig
ist, kann der Bund gegenüber den Ländern nur im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 III GG aufsichtsrechtliche Weisungen erlassen. Wie bereits im Rahmen
der Antragsbefugnis festgestellt, liegt hier ein Fall der Bundesauftragsverwaltung vor.
Somit konnte der Bundesminister G die Weisung auf Art. 85 III GG als Ermächtigungsgrundlage stützen
b) Zuständigkeit und richtiger Adressat
Die Weisung müsste auch von der zuständigen Stelle gegenüber dem richtigen Adressaten erlassen worden sein. Durch Art. 85 III 1 GG wird die „zuständige oberste Bundesbehörde“ zur Erteilung von Weisungen ermächtigt. Im vorliegenden Fall des Atomrechts ist
Bundesumweltminister G der Weisungsgeber für die zuständige oberste Bundesbehörde,
das Bundesumweltministerium. Adressat der Weisung ist der Landesumweltminister für
die zuständige oberste Landesbehörde, also S.
c) Verfahren
Fraglich erscheint, welche Anforderungen an das Verfahren vor Erteilung einer Weisung
nach Art. 85 III GG gestellt werden müssen. Art. 85 GG enthält selbst keine besonderen
Anforderungen. Allerdings ist bei der Erteilung einer Weisung das Gebot der „Bundestreue“ oder des „bundesfreundlichen Verhaltens“, welches aus dem Bundesstaatsprinzip
(Art. 20 I GG) abgeleitet wird, zu berücksichtigen. Danach müssen sowohl der Bund als
auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der
Länder nehmen. Daraus folgen jedoch nicht nur Kompetenzschranken, sondern auch Verfahrenspflichten. Eine solche hat das Bundesverfassungsgericht für die Bundesauftragsverwaltung entwickelt. Danach ist die zuständige oberste Bundesbehörde verpflichtet,
den möglichen Weisungsadressaten vor Erteilung der Weisung rechtliches Gehör zu gewähren. So muss dem Weisungsadressaten angekündigt werden, dass die Absicht besteht, ihm eine bundesaufsichtsrechtliche Weisung zu erteilen. Des Weiteren muss dem
Adressaten die Möglichkeit zur vorherigen Stellungnahme gegeben werden.
Hier hat Bundesumweltminister G von einer vorherigen Anhörung abgesehen, da mit S
„sowieso nicht vernünftig geredet werden könne“. Fraglich ist, ob in solchen Fällen eine
Anhörung des Weisungsadressaten tatsächlich entbehrlich ist. Zweck der Anhörung ist
es, das Land vor Erlass der Weisung zu warnen und dem Land die Gelegenheit zu geben,
seine Argumente vorzutragen. Die Herbeiführung einer Verhandlungslösung ist hingegen
nicht Zweck der Einräumung rechtlichen Gehörs. Daher kann die geringe Wahrscheinlichkeit einer Einigung zwischen dem Bund und dem betroffenen Land auch nicht zur Entbehrlichkeit einer Anhörung führen. Lediglich eine besondere Dringlichkeit kann eine Anhörung entbehrlich machen. Hier gingen von dem Atomkraftwerk Strahlenburg keinerlei
Gefahren aus, so dass eine solche Dringlichkeit nicht vorlag. Die Weisung des Bundesumweltministers verstößt somit gegen das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens und
ist daher formell verfassungswidrig.
2. Materielle Verfassungsmäßigkeit
Fraglich ist, ob die Weisung des Bundesumweltministers G auch materiell verfassungswidrig ist. Dies wäre der Fall, wenn die Weisung in inhaltlicher Hinsicht nicht durch Art.
85 III GG gedeckt war.
a) Tauglicher Weisungsgegenstand
Zunächst müsste die Weisung des Bundesumweltministers G einen tauglichen Weisungsgegenstand besitzen. Sie kann sich auf jede Gesetzesmaterie beziehen, die im Rahmen
der Auftragsverwaltung von den Ländern ausgeführt wird und dabei in Gestalt einer Einzelweisung oder auch für eine Vielzahl von Fällen ergehen. Die zuständige oberste Bundesbehörde kann in Ausübung ihres Weisungsrechtes sowohl verfahrensabschließende
Entscheidungen mit Außenwirkung treffen als auch Maßnahmen im Bereich des vorbereitenden Verwaltungshandelns tätigen. Im vorliegenden Fall bezieht sich die Weisung des
Bundesumweltministers auf den Widerruf der Betriebsgenehmigung eines Atomkraftwerkes. Das Atomrecht wird nach Art. 87c GG im Wege der Bundesauftragsverwaltung vollzogen und auch die Weisung bezüglich des Widerrufs wird grundsätzlich vom Weisungsrecht aus Art. 85 III GG erfasst, so dass ein tauglicher Weisungsgegenstand vorliegt.
b) Gebot der Weisungsklarheit
Außerdem müsste die Weisung des Bundesumweltministers G auch dem Gebot der Weisungsklarheit entsprechen. Dieses wird aus der Funktion der Weisung als Instrument der
Verhaltenssteuerung abgeleitet und erfordert, dass der Weisungsadressat erkennen
kann, dass ihm gegenüber eine Weisung ergangen ist und welches administrative Verhalten von ihm verlangt wird. Im vorliegenden Fall konnte Landesumweltminister S erkennen, dass eine Weisung ihm gegenüber ergangen ist und auch bezüglich der inhaltlichen
Bestimmtheit bestehen keine Bedenken, so dass die Weisung dem Gebot der Weisungsklarheit entspricht.
c) Inhaltliche Rechtmäßigkeit der Weisung
Die Weisung muss schließlich auch zu einem rechtmäßigen Gesetzesvollzug anhalten.
Dies folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip, wonach die Länder nach Art. 1 III GG an die
Grundrechte und nach Art. 20 III GG an Recht und Gesetz insgesamt gebunden sind, sowie aus dem Normzusammenhang von Art. 85 III und IV GG, wonach die Länder der
Rechtsaufsicht unterliegen und so zu rechtmäßigem Verhalten angehalten werden können. Nach den Vorgaben zum Fall wäre jedoch der Widerruf der Genehmigung für das
Atomkraftwerk Strahlenburg rechtswidrig. Landesumweltminister S würde also rechtswidrig handeln, sollte er der Weisung nachkommen und die Genehmigung für das Atomkraftwerk widerrufen und den Betrieb untersagen. Damit ist auch die Weisung des Bundesumweltministers G verfassungswidrig. Dies hat jedoch keine Auswirkungen auf die
Verbindlichkeit der Weisung, denn eine verfassungswidrige Weisung ist ähnlich wie ein
Verwaltungsakt grundsätzlich nicht nichtig, sondern kann nur durch behördliche oder gerichtliche Aufhebung aus der Welt geschaffen werden.
II. Verletzung von Rechten des Landes?
Ein Bund-Länder-Streit setzt jedoch für seine Begründetheit nicht nur die Rechtswidrigkeit der gerügten Maßnahme voraus, sondern auch, dass der Antragsteller durch die
Maßnahme in seinen Rechten verletzt ist.
1. Verletzung durch die unterlassene Anhörung
Die unterlassene Anhörung des Landesumweltministers S verstößt gegen die Bundestreue. Diese verpflichtet den Bund, bei Wahrnehmung seiner Kompetenzen Rücksicht auf
die Belange der Länder zu nehmen. Korrespondierend zu dieser Verpflichtung des Bundes
enthält das Gebot zur Bundestreue ein entsprechendes Recht der Länder auf Rücksichtnahme. Dieses Recht des Landes A wurde durch die unterlassene Gewährung rechtlichen
Gehörs verletzt.
2. Verletzung durch die inhaltlich rechtswidrige Weisung
Fraglich erscheint jedoch, ob das Bundesland A auch durch den rechtswidrigen Inhalt der
Weisung in seinen Rechten verletzt ist. Als verletztes Recht kommt hier, wie bereits im
Rahmen der Antragsbefugnis erörtert, die Befugnis der Länder aus Art. 85 GG zur Ausführung des Atomgesetzes im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung in Betracht. Diese
Befugnis stellt eine Ausprägung der grundsätzlichen Länderkompetenz aus Art. 30 GG
dar, die jedoch aufgrund der Rechts- und Fachaufsicht des Bundes nach Art. 85 III, IV
GG stark eingeschränkt ist. Diese Beschränkungen ändern jedoch nichts daran, dass die
Länder im Rahmen des Art. 85 GG mit Rechten ausgestattete Akteure sind.
Zu prüfen ist daher, ob dieses Recht der Länder auch tatsächlich durch eine inhaltlich
rechtswidrige Weisung des Bundes verletzt wird. Dies hängt davon ab, wie man die Weisungserteilung des Bundes nach Art. 85 III GG rechtsdogmatisch konstruiert.
a) Inhaltlich rechtswidrige Weisung verletzt ein Land in Rechten aus Art. 85 GG
Nach einer Ansicht ist eine Weisung wie ein in Grundrechte eingreifender Verwaltungsakt
anzusehen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, so liegt auch ein rechtswidriger Eingriff
in ein subjektives Recht des Adressaten des Verwaltungsaktes vor. Danach würde auch
eine inhaltlich rechtswidrige Weisung ein Land in seinen Rechten aus Art. 85 GG verletzen. Für eine solche Deutung spricht der Umstand, dass aus dem Bundesstaatsprinzip in
Art. 20 I GG und der grundsätzlichen Kompetenzvermutung des Art. 30 GG zugunsten
der Länder folgt, dass Eingriffe in Kompetenzbereiche der Länder nur bei umfassender
Legalität zulässig sind. Außerdem ist es das Land, welches im Verhältnis zum Bürger
handelt und dem das rechtswidrige Verhalten zugerechnet wird. Sollte es zu Rechtsstreitigkeiten durch den Gesetzesvollzug kommen, sind die Länder selbst die Beklagten und
auch die Schuldner, wenn aufgrund des Gesetzesvollzugs Entschädigungen an den Bürger zu leisten sind.
Würde man dieser Ansicht im vorliegenden Fall folgen, so wäre das Bundesland A durch
die inhaltlich rechtswidrige Weisung in seinen Rechten verletzt.
b) Inhaltlich rechtswidrige Weisung ist nur eine fehlerhaft ausgeübte Bundeskompetenz
Nach anderer Ansicht und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt eine
inhaltlich rechtswidrige Weisung keinen Eingriff in Rechte des Weisungsadressaten dar.
Im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung ist nämlich zwischen der „Wahrnehmungskompetenz“ und der „Sachkompetenz“ zu unterscheiden. Die Wahrnehmungskompetenz,
also die Befugnis zur Ausführung des Gesetzes dem Bürger gegenüber, ist den Ländern
durch das Grundgesetz unentziehbar garantiert. Die Sachkompetenz hingegen, welche
die Sachbeurteilung und Sachentscheidung umfasst, gehört zwar zunächst auch den Ländern, steht jedoch unter dem Vorbehalt der Inanspruchnahme durch den Bund. Zieht der
Bund also mit einer Weisung die Sachkompetenz an sich und widerspricht diese Weisung
dem auszuführenden Gesetz, so greift der Bund nicht in ein fremdes Recht ein, sondern
übt lediglich eine eigene Kompetenz fehlerhaft aus. Für diese Auslegung spricht auch,
dass ein zügiger Gesetzesvollzug gewährleistet wird, wenn die Länder zunächst eine Weisung des Bundes befolgen müssen, auch wenn sie diese inhaltlich für rechtswidrig halten.
Allerdings kann das Weisungsrecht des Bundes nach Art. 85 III GG nicht grenzenlos bestehen. Die Bindung der Länder an eine Weisung entfällt nämlich dann, wenn von den
Ländern etwas verlangt wird, was aufgrund der damit verbundenen allgemeinen Gefährdung oder Verletzung bedeutender Rechtsgüter schlechterdings nicht verantwortet werden kann. Denn auch bei der Bundesauftragsverwaltung tragen Bund und Länder gemeinsam die Verantwortung für den Bestand des Staates und seiner Verfassungsordnung
sowie für die Abwehr kollektiver Existenzgefährdungen. Die alleinige Gemeinwohlverantwortlichkeit des Bundes endet jedenfalls, wenn ein grober Verfassungsverstoß, eine unmittelbare Gefährdung der Allgemeinheit in Leben und Gesundheit oder ähnliches vorliegt.
Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht ersichtlich, dass durch die Weisung, die Genehmigung für das Atomkraftwerk Strahlenburg zu widerrufen, vom Land A etwas schlechterdings Unverantwortbares verlangt werden würde. (Anders wäre es beispielsweise dann,
wenn der Bundesumweltminister trotz gefährlicher Störfälle in einem Atomkraftwerk den
Landesumweltminister anweisen würde, die Genehmigung nicht zu widerrufen.) Damit ist
nach dieser Ansicht keine Rechtsverletzung bei dem Land A gegeben.
c) Streitentscheid
Die beiden Ansichten kommen hier zu unterschiedlichen Ergebnissen, so dass ein Streitentscheid erforderlich ist. Die zweite Ansicht, die eine Rechtsverletzung eines Landes
durch eine inhaltlich rechtswidrige Weisung verneint, stellt eine erhebliche Verkürzung
des Rechtsschutzes der Länder dar. Andererseits sieht das Grundgesetz das Weisungsrecht gerade als Mittel zur Durchsetzung von Gemeinwohlinteressen vor. Diese Gemeinwohlinteressen werden bei Bundesgesetzen durch den Bund definiert. Weiterhin ist zu
berücksichtigen, dass auch wenn das Land die rechtswidrige Weisung ausführen muss,
die Verantwortung letztlich doch beim Bundesminister liegt, der die Weisung erlassen
hat. Macht sich das Land durch die Ausführung der Weisung gegenüber dem Bürger entschädigungspflichtig, so kann es zudem diese Kosten über Art. 104a V 1 GG vom Bund
ersetzt verlangen. Somit sprechen die besseren Argumente für die Ablehnung einer
Rechtsverletzung durch eine inhaltlich rechtswidrige Weisung.
3. Zwischenergebnis
Damit kann als Zwischenergebnis festgehalten werden, dass das Bundesland A durch die
unterlassene Informierung und Anhörung vor Erlass der Weisung in seinen Rechten verletzt wurde, die mit dem Atomgesetz nicht zu vereinbarende verfassungswidrige Weisung
hingegen keinen Eingriff in die Rechte des Landes darstellt.
C. Endergebnis
Der Antrag wäre zulässig und hinsichtlich der unterlassenen Informierung und Anhörung
auch begründet. Ein Antrag des Bundeslandes A vor dem Bundesverfassungsgericht hätte
somit Aussichten auf Erfolg.
Literaturhinweise:
Vgl. zum Fall insgesamt: Höfling, Fälle zum Staatsorganisationrecht, 4. Aufl. 2009, Fall 6;
Kahl/Brehme, Übungshausarbeit – Öffentliches Recht: Verletzung der Landesverwaltungskompetenz durch Weisung im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung, JuS 2005, S.
917 ff.; Maierhöfer, Übungsklausur – Öffentliches Recht: Verwaltungskompetenzen im
Bundesstaat und grundrechtliche Schutzpflichten, JuS 2004, S. 598 ff.
Zu den Verwaltungskompetenzen: Hebeler, Die Ausführung der Bundesgesetze, Jura
2002, S. 164 ff.
Zum Bund-Länder-Streitverfahren: Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl.
2006, S. 153 ff.
Leitentscheidungen des BVerfG zu den Verwaltungskompetenzen: BVerfGE 12, 205 (1.
Rundfunkurteil) = NJW 1961, S. 547 ff.; BVerfGE 81, 310 (Kalkar II) = NJW 1990, S.
3007 ff.; BVerfGE 104, 249 (Biblis) = NVwZ 2002, S. 585.