Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts auch für

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Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts auch für
Univ. -Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Franz Bydlinski
Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts auch für den Fall der Not
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Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts auch für den Fall der Not
§ 55a EheG; §§ 879, 901, 1380 ff und 1444 ABGB:
Das Beharren des von einem Verzicht auf die Umstandsklausel in einem Unterhaltsvergleich Begünstigten auf diesem Verzicht kann sittenwidrig sein, wenn dadurch die verzichtende Ehefrau, die bei Durchführung eines streitigen Scheidungsverfahrens allenfalls Unterhaltsansprüche nach §§ 67 oder 68 EheG hätte, der Existenzbedrohung ausgesetzt wäre.
OGH 24.11.1999, 3 Ob 229/98t (LG Innsbruck 27.7.1998, 4 R 366/98x; BG Lienz 15. 5. 1998, 1 C 87/97w)
Die Ehe der Streitteile wurde am 11.11.1994 gem § 55a EheG geschieden. Gleichzeitig
wurde ein gerichtlicher Vergleich abgeschlossen, in welchem die Streitteile ua wechselseitig auf Unterhalt auch für den Fall geänderter Verhältnisse und für den Fall der Not
verzichteten.
Mit Beschluss des LG Innsbruck vom 29.10.1997 (AZ 19 S 421/97b) wurde über das
Vermögen der KI der Konkurs eröffnet und ein Rechtsanwalt zum Masseverwalter bestellt. Mit Beschluss des Konkursgerichts vom 11.11.1997 wurde gem § 119 Abs 5 KO
über Antrag des Masseverwalters der allfällige Anspruch der Kl auf Anfechtung des im
Rahmen des Scheidungsverfahrens mit dem Bekl geschlossenen Vergleichs - unbeschadet der Rechte Dritter - aus der Konkursmasse ausgeschieden und der KI zur freien
Verfügung überlassen (der Konkurs wurde mittlerweile mit Beschluss des Konkursgerichtes vom 15. 7. 1999, rechtskräftig seit 23.8.1999, gem § 139 KO aufgehoben).
Mit der am 11.11.1997 beim ErstG eingelangten Klage begehrte die KI vom Bekl die
Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrages von S 8.000,- ab 1.6.1996.
Der Bekl beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der begehrte Unterhalt sei
unangemessen hoch.
Das ErstG wies das Klagebegehren ab. Es ging dabei im Wesentlichen von folgenden
Feststellungen aus:
Die Streitteile haben sich im Jahr 1967 kennen gelernt und haben im Jahr 1971 geheiratet. Der Ehe entstammen die 1972 geborene S. und die 1975 geborene M. Die Kinder
haben mittlerweile das Elternhaus verlassen. Die Kl arbeitete selbstständig in der Werbebranche, der Bekl als Beamter. Auf Grund seines Einkommens wäre es ihm möglich,
der KI einen monatlichen Unterhalt in Höhe von S 8.000,- zu leisten.
Die anfänglich harmonisch verlaufende Ehe verschlechterte sich im Laufe der Zeit, es
gab Streitereien zwischen den Eheleuten, aber keine gravierenden Vorfälle in der Art
eines Psychoterrors.
Nur ein einziges Mal, nämlich am 6.4.1993, wurde die Kl vom Bekl im Zuge eines Streits
tätlich angegriffen, sie trug jedoch außer sichtbaren roten Flecken daraus keine weiteren
Verletzungen davon. Nach diesem Vorfall übernachtete sie bei ihrer Tochter S. Sowohl
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dieser einmalige Vorfall als auch die Missstimmungen im Eheleben selbst führten aber
nicht dazu, dass die KI depressiv oder arbeitsunfähig geworden wäre. Sie führte ab dem
Jahr 1992 selbstständig eine Werbeagentur mit zwei Angestellten und hatte dabei beruflichen Erfolg. Im Jahr 1994 strebte sie die einvernehmliche Scheidung an, es begannen
auch Verhandlungen über die Aufteilung des ehelichen Vermögens zwischen den mittlerweile beiderseits eingeschalteten Rechtsanwälten. Da die Kl beruflich erfolgreich war
und beabsichtigte, dies auch zu bleiben, strebte sie ua von sich aus einen gegenseitigen
Unterhaltsverzicht an. Sie wollte damit der Gefahr entgehen, dem Bekl für den Fall, dass
sie mehr verdiene als dieser, Unterhalt zahlen zu müssen. Nachdem die finanzielle Aufteilung geregelt war, fanden sich die Parteien und ihre Rechtsvertreter am 11.11.1994
beim BG Lienz zur einvernehmlichen Scheidung ein. Beim Abschluss des Scheidungsvergleichs war die Kl in keiner Weise psychisch beeinträchtigt. Die Streitteile schlossen
daher im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte diesen Vergleich und vereinbarten darin ua
einen wechselseitigen Unterhaltsverzicht, dies auch für den Fall geänderter Verhältnisse
und für den Fall der Not.
Der KI waren die Folgen des Unterhaltsverzichts bewusst, dieser war von ihr auch gewollt. Sie war in der Folge weiterhin selbstständig tätig, führte noch im Spätsommer
1995 zwei Büros, musste jedoch wegen schlechten Geschäftsgangs Privatkonkurs anmelden. Danach ging sie keiner Beschäftigung mehr nach. Sie besuchte jedoch zumZweck des. „neurolinguistischen Programmierens" Kurse in Wien, die einmal monatlich
stattfanden. Im Frühjahr 1997 besuchte sie auch einen Kurs über „Direktvermarktung in
der Landwirtschaft", sie begab sich auch in psychiatrische Behandlung und war seither
nicht mehr produktiv tätig. Zwischen dieser Untätigkeit der KI und dem Verhalten des
Bekl während der Ehe besteht kein Zusammenhang, diesen Zustand der Kl hat der Bekl
nicht zu verantworten.
Das BerG gab der von der KI gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Die gegen die zweitinstanzliche Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der
Kl ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz aus Gründen der Rechtssicherheit und
Rechtsentwicklung zulässig. Das Rechtsmittel ist auch mit seinem Aufhebungsantrag
berechtigt.
Nach der Rsp des OGH ist der - in eine Scheidungsfolgenvereinbarung gem § 55a Abs
2 EheG aufgenommene - Verzicht auf die Umstandsklausel grundsätzlich zulässig und
wirksam; allerdings kann das Beharren auf diesem Verzicht sittenwidrig sein (oder werden), wenn ohne Berücksichtigung der nachfolgenden Umstände etwa der Unterhalt
anderer, gegenüber einem Vergleichspartner Unterhaltsberechtigter gefährdet wäre oder etwa auch das Beharren auf einer vereinbarten Unterhaltsleistung dem Unterhaltspflichtigen die Existenzgrundlage entzöge (EFSlg 25.102; EFSlg 35.241; EFSIg 40.045;
EFSIg 69.303 uva zu RIS-Justiz RS0016554 ersichtliche E). Wenngleich die genannten
E größtenteils Fälle betreffen, in denen nach einer Unterhaltsvereinbarung der Unte rhaltsberechtigte zu Lasten des Unterhaltspflichtigen auf dem vereinbarten Ausschluss
der Umstandsklausel beharrte, sind nach Ansicht des erkennenden Senates die diesen
Entscheidungen zugrundeliegenden Wertungen auch auf den Fall anzuwenden, in dem
wechselseitig auf Unterhalt verzichtet und die Umstandsklausel auch für den Fall der
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Not ausgeschlossen wurde, nachträglich aber eine der auf Unterhalt verzichtenden Parteien - gegenüber der Erwartungshaltung anlässlich des Vergleichsabschlusses - unerwartet (wegen schwerer Erkrankung oder ähnlicher Umstände) in Not verfällt.
Auch in einem derartigen Fall kann das Beharren des vom Verzicht auf die Umstandsklausel Begünstigten (hier des Bekl) auf diesem Verzicht dann sittenwidrig sein (we rden), wenn dadurch (hier) die von diesem Verzicht betroffene Kl ohne eine unterstützende „Unterhaltsleistung" des anderen vormaligen Ehegatten (Bekl), gegen den sie bei
Durchführung eines Scheidungsverfahrens nach § 49 EheG allenfalls Unterhaltsansprüche nach §§ 67 oder 68 EheG hätte, der Existenzbedrohung (Not) ausgesetzt wäre. In
diese Richtung weisende Prozessbehauptungen hat die KI im vorliegenden Verfahren
aufgestellt und ua auch durch die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweise ihrer völligen Arbeits-/Erwerbsunfähigkeit unter Beweis zu ste llen versucht. Dass sie in diesem Zusammenhang die Ursachen für ihre Erkrankung als
Folge eines „Psychoterrors" des Bekl während der (letzten Jahre der) Ehe darstellte,
was die Vorinstanzen in den von ihnen (ohne Einholung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens) getroffenen Feststellungen verneinten, schadet ihrem Prozessstandpunkt schon deshalb nicht, weil es auf eine diesbezügliche Kausalität nach Auffassung des erkennenden Senats hier nicht ankommt.
Wurde die KI - nach ihren Behauptungen noch geraume Zeit vor der Eröffnung des Konkurses, den sie als Folge ihrer Erkrankung darstellt - nach dem Scheidungsvergleich
vom 11.11.1994 durch eine (wodurch auch immer ausgelöste) psychische Erkrankung
völlig erwerbsunfähig und in der Folge dann Not leidend, dann würde ihre Existenz ua
durch den auch für den Fall der Not erklärten Unterhaltsverzicht gefährdet. Hätte sie
aber gegen den Bekl bei Durchführung eines „strittigen" Scheidungsverfahrens und einem Verschuldensausspruch, der höchstens ihr gleichteiliges Verschulden an der
Scheidung feststellte, gegen den Bekl einen Scheidungsunterhaltsanspruch, dann erschiene das Beharren des Bekl auf dem im Scheidungsvergleich vereinbarten Unterhaltsverzicht für den Fall der Not angesichts der festgestellten Einkommens- und Lebensverhältnisse des Bekl als sittenwidrig, würde er der KI den begehrten und mit monatlich S 8.000,- unter dem Existenzminimum angesetzten Unterhalt nicht leisten. Für
ihn wäre also ein Abgehen vom vereinbarten Verzicht auf die Umstandsklausel für den
Fall der Not keineswegs existenzbedrohend. Sieht man den Ehegattenunterhalt im vorliegenden Fall der Scheidung einer Ehe, die rund 26 Jahre Bestand hatte und aus welcher zwei Kinder hervorgegangen sind, als Nachwirkung der personenrechtlichen Fürsorgeverpflichtung zwischen vormaligen Ehegatten an, wie er der Neufassung des Ehegattenunterhalts nach dem Eherechtsänderungsgesetz 1999 - hier gem dessen Art VII Z
4 noch nicht anzuwendenden - EheRÄG BGBl I 1999/125 zugrundeliegt und in der Bestimmung des § 68a EheG selbst für den schuldig geschiedenen Ehegatten einen Billigkeitsunterhalt vorsieht, dann kann im Falle der nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig
herbeigeführten, allenfalls überhaupt ohne Verschulden erfolgten völligen Erwerbsunfähigkeit der KI ein Bestehen des Bekl auf dem vereinbarten Unterhaltsverzicht für den
Notfall als sittenwidrig angesehen werden; dies wurde in der Rsp ua auch für den Fall
eines Abfindungsvergleichs angenommen, wenn der Eintritt nicht vorhersehbarer Folgen
zu einem ganz krassen und dem Geschädigten völlig unzumutbaren Missverhältnis zwischen Schaden und Abfindung führte (SZ 70/139). Entgegen der Auffassung der Vorin-
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stanzen kann daher dieser Verzicht für sich allein nicht zur Abweisung der „Unterhaltsklage" der KI führen.
Ob allerdings die von der KI behaupteten - vom Bekl indessen vehement bestrittenen Umstände, die ihre völlige Erwerbs- und Einkommenslosigkeit auf Grund psychischer
Erkrankung bewirkten, auch tatsächlich gegeben sind, haben die Vorinstanzen auf
Grund ihrer vom OGH nicht geteilten Rechtsauffassung nicht festgestellt.
Sie haben sich vielmehr damit begnügt, Willensmängel der KI beim Abschluss des
Scheidungsvergleichs zu verneinen (Gegenteiliges wurde von der KI gar nicht behauptet), und die Abweisung des Klagebegehrens allein darauf gestützt, dass eine Kausalität
des vom Bekl während der Ehe gegenüber der KI gesetzten Verhaltens für die (allfällige)
Erkrankung und Erwerbslosigkeit der Kl zu verneinen sei.
Im fortgesetzten Verfahren wird sohin das ErstG den Parteien allenfalls die Möglichkeit
zu geeignetem Vorbringen zur aufgezeigten Rechtslage einzuräumen, jedenfalls aber
Feststellungen über die Gründe für die Ehescheidung der Streitteile zu treffen (allenfalls
eine diesbezügliche Außerstreitstellung zu erwirken) haben, die eine Beurteilung des
„hypothetischen Scheidungsverschuldens" der Parteien in der aufgezeigten Richtung
ermöglichen. Für den Fall, dass die KI höchstens gleichteiliges Verschulden zu vertreten
(und demnach grundsätzlich Anspruch auf Unterhalt gern §§ 66 oder 68 EheG gehabt)
hätte, bedarf es sodann weiterer Feststellungen darüber, dass - und bejahendenfalls ab
welchem Zeitpunkt - die KI auf Grund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage
wäre, einem Erwerb nachzugehen, der ihr die Bestreitung ihres Unterhalts ermöglichte.
Ohne derartige Feststellungen ist die Rechtssache trotz der „Feststellung", dass der
Bekl an sich auf Grund seiner Einkommens- und Vermögenslage den begehrten Unterhalt leisten könnte, noch nicht spruchreif.
Dies erfordert die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der
Sache vor das ErstG.
Der OGH hatte es im vorliegenden Fall bei der Rechtsfindung nicht ganz leicht: Die Klage hatte eigentlich keinen konkreten rechtlichen Gesichtspunkt aufgezeigt, aus dem der
im Scheidungsvergleich vereinbarte beiderseitige Unterhaltsverzicht, der sich ausdrücklich auch auf geänderte Verhältnisse und den Fall der Not erstreckte, in der vorliegenden Situation unwirksam sein sollte. Diese Situation ist durch (einstweilen mangels entsprechender Feststellungen zu unterstellende) krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit
und durch zugleich konkursbedingte Notlage der geschiedenen Ehefrau gekennzeichnet. Auch die Untergerichte, die – in undurchsichtiger Verbindung – nur von der Handlungsunfähigkeit und vom Fehlen von Willensmängeln der früheren Ehegattin beim
Scheidungsvergleich sprachen und – insoweit zutreffend – hier keine Gründe gegen die
Vertragsgültigkeit fanden, aber immerhin die Grundlagen für allfällige Schadenersatzansprüche gegen den früheren Ehemann verneinten, haben wenig zum zentralen Problem
beigetragen. Dieses besteht selbstverständlich in der Frage, ob der Unterhaltsanspruch
zwischen Ehegatten oder jedenfalls der nacheheliche Unterhaltsanspruch zwischen geschiedenen Ehegatten in volle Umfang zur rechtsgeschäftlichen Verfügung der Beteiligten steht; ob also die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zur Gänze dispositives
Recht darstellen. Erst der OGH hat dieses Problem in der Sache , wenn auch teilwe ise
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durch Überlegungen zur Sittenwidrigkeit und durch auf Rechtsmissbrauch hindeute nde
Formulierungen etwas verdunkelt, herausgearbeitet und die Frage verneint. Das hat ihm
sogar in der Tagespresse barsche Kritik eingetragen, deren Argumente zwar rechtlich
schwach sind, aber mit großer Überzeugung vorgetragen wurden und die offenbar emotional auch manche Tendenzen des „Zeitgeistes" mobilisieren. Gerade dies sollte aber
wegen seiner verbreiteten Orientierungslosigkeit umso mehr zur ernstlichen juristischen
Sicht mahnen.
Der OGH beruft sich zunächst auf Vorjudikatur zur verwandten Frage, ob bei einer positiven Unterhaltsvereinbarung, die ausdrücklich veränderte Umstände für irrelevant erklärt, eine später entstehende Gefährdung anderer Unterhaltsberechtigter oder eine Existenzgefährdung des Unterhaltsverpflichteten selbst rechtlich doch bedeutsam sein
könne. Er hat dies in den von ihm zitierten Entscheidungen bereits wiederholt unter dem
Gesichtspunkt sittenwidrigen Beharrens auf dem Verzicht auf die Umstandsklausel bejaht. Damit ist klar, dass er bereits bisher die völlige rechtsgeschäftliche Verfügung der
Beteiligten über die Unterhaltsfrage für Notfälle ablehnte. Es handelt sich dabei genau
um die auch hier zentrale Frage. Der OGH knüpfte also mit Recht an seine Vorjudikatur
an. Die plötzliche Aufregung jetzt ist schon deshalb weit übertrieben.
Zweifel bestehen freilich daran, ob der Gesichtspunkt sittenwidrigen, also missbräuchlichen „Beharrens" auf einer getroffenen Vereinbarung, also der Rechtsmissbrauch, der
richtige Ausgangspunkt ist. Dabei bleibt vor allem die Frage offen, warum das Beharren
auf einem vertraglich erworbenen Recht hier das Werturteil als sittenwidrig verdient. Gerade in der vorliegenden Entscheidung hat der OGH aber selbst die dafür maßgebende
Wertung sehr deutlich namhaft gemacht: Er hat auf die nachwirkende personenrechtliche Fürsorgeverpflichtung zwischen den vormaligen Ehegatten hingewiesen. Eher unglücklich war dabei freilich der Kontext zum neuen § 68a EheG, den er dabei herstellt,
obwohl diese Vorschrift übergangsrechtlich noch gar nicht anzuwenden gewesen wäre
und obwohl sie inhaltlich ein etwas anderes Thema betrifft. Der OGH hat damit die
rechtspolitischen Abwehrreaktionen zu dieser, in ihrer Weisheit in der Tat zweifelhaften
neuen Vorschrift vorweg selbst gegen seine Entscheidung mobilisiert. Tatsächlich wäre
aber die hier einschlägige Rechtslage auch vor der neuesten Novellierung des Ehegesetzes nicht anders gewesen. Als Beleg für die nachwirkende personenrechtliche Fürsorgepflicht mag die neue Bestimmung durchaus tauglich sein. Notwendig ist sie dafür
aber keineswegs: Fragt man, warum es überhaupt nachehelichen Unterhalt gibt, stößt
man jedenfalls ganz allgemein auf die vom OGH angegebene Grundwertung; genauer:
Ehegatten versprechen einander dauernde umfassende Lebensgemeinschaft und, darin
eingeschlossen, wechselseitigen Beistand (§§ 44 und 90 ABGB). Soweit es dabei um
die höchstpersönlichen Beziehungen geht, hängen sie entscheidend von emotionalen
Komponenten ab, die das Recht nicht herbeiführen kann, was im Falle der misslung enen Ehe eine Scheidung ermöglicht. Das, was ungeachtet der personalen Zerrüttung
der Ehe aus dem beiderseitigen Eheversprechen rechtlich relevant, weil rechtlich sehr
wohl erzwingbar, übrig bleibt, ist der finanzielle Beistand, also der Unterhalt. Das von
manchen empfundene angebliche Rätsel, wie man nachehelichen nacheheliche Unterhalt überhaupt begründen könne, löst sich auf diese einfache Weise (so in größerem
Zusammenhang bereits Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts [1996] 392).
Im Einzelnen hängt die konkrete Unterhaltspflicht freilich noch von verschiedenen, tat-
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bestandlich verfestigten Abwägungskriterien ab, die sich insb gegen einen Ehegatten
richten, der das Scheitern der Ehe allein, oder überwiegend zu vertreten hat.
Die für den vorliegenden Fall zentrale Frage, wie weit auch heute noch, trotz aller Auflösungstendenzen, im Familien- und insb im Eherecht aus institutionell-status-rechtlichen
Gründen zwingendes Recht besteht und wie weit die rechtsgeschäftliche Privatautonomie bzw eine spezifische Familienautonomie der Ehegatten reichen, ist im Einzelnen
nicht immer leicht zu beantworten. Das zwingende Moment lässt sich aber dem Grunde
nach keineswegs leugnen. Ob ein Paar heiraten will, ist allein Gegenstand seiner privatautonomen Entscheidung. Wird diese aber getroffen und durch formgerechte Eheschließung bekundet, können die Eheschließenden nicht gleichzeitig die wesentlichsten
Ehewirkungen, wie die Pflichten zur umfassenden Lebensgemeinschaft, zur ehelichen
Treue und eben zum wechselseitigen Beistand schlechthin ausschließen; auch wenn im
Rahmen der einvernehmlichen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 91
ABGB) viel Raum für autonome Konkretisierungen bleibt. E ine Vereinbarung des völligen Ausschlusses jeden Unterhalts, auch für den Fall der Not, wäre bei aufrechter Ehe
so ehewidrig, dass sie hoffentlich niemand ernstlich für wirksam hält. Der Grund liegt
eben darin, dass von der zentralen Beistandspflicht der Ehegatten nicht einmal mehr ein
engster Kernbereich übrig bliebe.
Versteht man den nachehelichen Unterhalt, wie dies nicht gut anders möglich ist, als
rechtlich weiterhin durchsetzbare und daher bleibende Nachwirkung von Eheversprechen und Ehe über deren personales Scheitern hinaus, so bleibt es bei der zwischen
den Ehegatten seinerzeit versprochenen und gesetzlich zwingenden Beistandspflicht
wenigstens im engsten Kernbereich auch nach der Scheidung. Insoweit steht das personale Misslingen der Ehe der rechtlichen Durchsetzung dieser Restpflicht nicht entgegen: sie hat ja einfach die Gestalt einer Geldzahlung.
Mindestens im vorliegenden Fall eines ausdrücklichen, ernstlich reflektierten und so umfassend wie möglich formulierten Unterhaltsverzichts spricht vieles dafür, den zwingenden Kernbereich der nachwirkenden Beistandspflicht auch umfangmässig zu beschränken; und zwar auf den notwendigen, nicht aber auf den „den Lebensverhältnissen der
Ehegatten entsprechenden" Unterhalt. In der konkreten Entscheidung spielt dieser beschränkende Gesichtspunkt freilich keine eigenständige Rolle: Der begehrte und vom
Verpflichteten festgestelltermassen aufbringbare monatliche Unterhaltsbetrag von S
8.000,- bewegt sich ohnehin knapp unter dem „Existenzminimum" (§ 291a EO), kann
also den notwendigen Unterhalt schwerlich überschreiten.
Dem OGH ist nach alldem dahin beizustimmen, dass es nicht angehen kann, wenn sich
ein ehemaliger Ehegatte entgegen insoweit zwingendem Recht auf Grund einer vertraglichen Regelung von jeder Bindung auch bloß an den Kernbereich der nachwirkenden
Beistandspflicht lossagen will. Man mag diese konkretisierende Ableitung aus dem zentralen eherechtlichen Beistandsprinzip durchaus mit dem Etikett „sittenwidrig" bezeichnen. Klar sollte aber dabei sein, dass die dafür maßgebende Grundwertung eine durchaus rechtsinterne und dass der Unterhaltsvergleich im hier interessierenden Umfang
nach § 879 ABGB nichtig ist; nämlich soweit er den Notfall und den notwendigen Unterhalt betrifft.
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In der Konsequenz ist in der Tat das „hypothetische Scheidungsverschulden" zu prüfen.
Das folgt daraus, dass ermittelt werden muss, ob überhaupt ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch besteht, von dem die Beteiligten in dem besprochenen Umfang durch Vertrag
nicht wirksam abweichen können. Im Bedarfsfall, wie er hier vorliegt, führt daher auch
kein Weg an der Notwendigkeit vorbei, „schmutzige Wäsche zu waschen", was freilich in
der öffentlichen Diskussion längst und zu Unrecht als eine Art Holzhammerargument
aufgebaut wurde. Generellen Anstoß daran kann aber nur der nehmen, der grundsätzlich den Anspruch hat, auch ohne konkrete Aufklärung des Sachverhaltes zu wissen,
was im konkreten Fall rechtens sein soll.
Einige Globalargumente, mit denen man in der Tagespresse gegen die vorliegende Entscheidung zu Felde zog, vermögen zur Rechtslage nichts beizutragen. Das gilt etwa für
die Klage, man könne niemandem mehr zur Eheschließung raten, wenn deren Risken
durch die vorliegende Entscheidung unkalkulierbar würden. Doch ist die allfällige Belastung durch den notwendigen Unterhalt im Notfall durchaus kalkulierbar. (Nur die Wahrscheinlichkeit des Notfalles als solche ist freilich vorweg schwer abzuschätzen. Das gilt
aber offenbar für beide Seiten.) Vor allem aber: Jemandem, der eine Eheschließung
erwägt, der aber in seiner Motivation durch die Erwägung beeinflussbar ist, er könnte im
Fall der Scheidung und der Not des anderen trotz umfassenden Unterhaltsverzichts im
Rahmen seiner Leistungsfähigkeit zur Zahlung des notwendigen Unterhaltes an den
anderen verhalten werden, sollte man in der Tat von einer Eheschließung abraten. Die
Eheprognose müsste doch wohl auch für heutige Verhältnisse überdurchschnittlich
schlecht sein.
Klagen über den Verlust an Rechtssicherheit durch die vorliegende Entscheidung beruhen darauf, dass eine offenbar verbreitete anwaltliche Standardformel in Unterhaltsvergleichen nicht die von ihr anscheinend erwartete absolute Wirkung haben kann. Nun
haben aber Formeln im Recht die ihnen seinerzeit zugeschriebene magisch zwingende
Kraft bereits seit einigen Jahrtausenden verloren. Man sollte sich darüber also auch im
vorliegenden Zusammenhang nicht wundern.
Endlich wurde geltend gemacht, dass die vorliegende Entscheidung eigentlich nur die
staatliche Sozialhilfe zu Lasten des früheren Ehemannes begünstige. Das berührt allerdings einen ganz grundsätzlichen Punkt, der Prüfung durch Verallgemeinerung verdient.
Nach den heute verbreiteten potenziell staatlich-totalitaristischen Elementen in vielen
ideologischen Strömungen ist eigentlich alles Wichtige, mindestens primär, Sache des
Staates; so zB auch die Betreuung und Versorgung der Kinder. Das muss bei kons equenter Verallgemeinerung, von der Frage der Eignung abgesehen, zu immer mehr
wachsenden Staatsausgaben führen. Diese wieder münden in budgetäre Katastrophen
oder mindestens in indiskutable Mehrbelastung der künftigen Generationen oder (und)
in wachsende Konzentration der wirtschaftlichen Mittel und der mit ihnen verbundenen
Macht (die zur eigentlichen Staatsmacht noch hinzutritt) in der Hand des Staates und
damit der Bürokratie. Diese Problematik kann hier selbstverständlich nur angedeutet,
nicht aber näher erörtert werden. Wer die hier bekämpfte Argumentation ernstlich vertritt, sollte sich aber jedenfalls fragen, warum er - in konsequenter Verallgemeinerung rechtspolitisch nicht überhaupt empfiehlt, jeden nachehelichen Unterhalt zu streichen
und alle einschlägigen Unterhaltsbedürfnisse auf die staatliche Sozialhilfe zu verweisen.
Wer davor zurückscheut, hat offenbar erfreulicherweise noch Sinn für die Anforderungen
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des Subsidiaritätsprinzips; also dafür, dass Aufgaben und dementsprechend die Mittel
zu ihrer Bewältigung bei der kleinsten in Betracht kommenden Instanz bleiben sollen,
die zu ihrer Wahrnehmung in der Lage ist. Das ist im vorliegenden Fall festgestelltermaßen der frühere Ehegatte. Dass seine Leistungspflicht rechtlich auch sonst zureichend
begründet werden kann, ergibt sich aus dem oben Gesagten. Die öffentliche Hand wird
zureichend durch die Fälle in Anspruch genommen, in denen es im näheren Familienbereich an der nötigen Leistungsfähigkeit mangelt.
Abschließend ist Wert darauf zu legen, dass die vorliegenden Anmerkungen (wie die
besprochene Entscheidung selbst) nichts mit feministischen Diskussionen zu tun haben,
deren Einseitigkeiten nicht selten quälend genug sind. Bei umgekehrter Bedürftigkeit
(wie sie die früherer Ehefrau offenbar bei ihrem Drängen auf den weitreichenden Unterhaltsverzicht befürchtet hatte) hätte die Entscheidung selbstverständlich ebenso ausfallen müssen.
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