1. Kaufmannsbegriff des § 1 HGB

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1. Kaufmannsbegriff des § 1 HGB
Handelsrecht
Kapitel 2: Kaufmannsbegriff
Stand: Sommersemester 2015
1. Kaufmannsbegriff des § 1 HGB
 Kaufmann ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt (§ 1 Abs. 1 HGB).
§ 1 Abs. 1 HGB: Kaufmann … ist,
wer ein Handelsgewerbe betreibt
Gewerbe:
 nach außen in Erscheinung tretend
 erlaubt
 selbstständig
 planmäßig, auf gewisse Dauer ausgerichtet
 mit Gewinnerzielungsabsicht
betreiben:
 wer aus den Geschäften persönlich berechtigt und verpflichtet wird
Handelsgewerbe:
 erfordert nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise
eingerichteten Geschäftsbetrieb (§ 1 Abs. 2 HGB)
a) Gewerbe
Der Begriff des Gewerbes wird durch das HGB selbst nicht definiert. Nach h.M. (s. Körber,
in: Oetker, HGB, 3. Aufl. 2013, § 1 Rn. 12) liegt ein Gewerbe vor bei einer
1. selbstständigen,
2. aber nicht freiberuflichen,
3. planmäßig auf gewisse Dauer angelegten,
4. am Markt.
Umstritten ist, ob daneben folgende Merkmale vorliegen müssen:
5. Gewinnerzielungsabsicht oder Entgeltlichkeit
6. Erlaubtheit
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Kapitel 2: Kaufmannsbegriff
Stand: Sommersemester 2015
Vom Gewerbebegriff nicht erfasst sind:
− Die unselbstständige Tätigkeit (zur Abgrenzung vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB).
Arbeitnehmer betreiben kein Gewerbe, selbst wenn sie in Leitungspositionen
tätig sind.
− Die freiberufliche Tätigkeit wegen der vorwiegend höchstpersönlichen
Leistungserbringung (z.B. Rechtsanwälte und Ärzte) – rechtspolitisch wohl
vorwiegend wegen Vermeidung der Gewerbesteuer (obwohl der steuerliche
mit dem handelsrechtlichen Gewerbebegriff nicht identisch sein muss); auch
wissenschaftliche und künstlerische Tätigkeit ist vom Gewerbebegriff
ausgenommen. Einen Anhaltspunkt, welche Berufe zu den freien Berufen
gehören, liefert § 1 Abs. 2 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz.
Entscheidend ist die freiberufliche Prägung der Tätigkeit. „Je stärker etwa der Arzt von der
rein ärztlichen Tätigkeit zum Betriebe eines Sanatoriums, der Architekt von der entwerfenden
Tätigkeit zum Betriebe eines technischen Büros, der Künstler vom Schaffen eines
Einzelkunstwerks zur Herstellung von Marktware übergeht, um so eher wird das Vorliegen
eines Gewerbebetriebs bejaht.“ (BGHZ 33, 321, 335).
BayObLG, ZIP 2002, 1032 ff.: Eine Gesellschaft, die sich der Softwareentwicklung widmet,
möchte ihr Unternehmen als OHG im Handelsregister eintragen lassen. Eine OHG ist nach §
106 Abs. 1 HGB anmeldepflichtig. Eine OHG besteht aber nur, wenn die Gesellschaft ein
„Gewerbe“ betreibt (vgl. § 105 Abs. 1 HGB). Freiberufliche Tätigkeit fällt traditionell nicht unter
den Gewerbebegriff. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die persönliche
Leistungserbringung im Vordergrund steht und ein geistig-schöpferisches Element hat. (vgl.
Legaldefinition in § 1 Abs. 2 Satz 1 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz). Softwareentwicklung
kann insoweit eine freiberufliche Tätigkeit sein. Zumeist steht aber die Vermarktung der
entwickelten Software im Vordergrund und damit ein marktnahes, wettbewerbsorientiertes
Verhalten. In diesen Fällen handelt es sich um gewerbliche Tätigkeit. Dies gilt erst recht bei
der Erstellung von Standardsoftware, die anschließend in gleicher Weise an viele Kunden
verkauft werden soll.
− Bloße Verwaltung des eigenen Vermögens (vgl. § 105 Abs. 2 HGB).
Beispiel: Vermietung eigener Häuser ist nur Kapitalanlage, keine berufsmäßige Tätigkeit
(BGHZ 74, 273, 276/277). Kritik: Abstellen auf Umfang der Tätigkeit gehört in § 1 Abs. 2
HGB. Abstellen lässt sich allenfalls darauf, dass bei Vermietung einzelner Häuser oder
Wohnungen kein kontinuierlich planmäßiges Vorgehen nötig ist.
Ob zum Gewerbe auch die Gewinnerzielungsabsicht gehört, ist zwischen Literatur und
Rechtsprechung
umstritten.
Die
Rechtsprechung
fordert
traditionell
eine
Gewinnerzielungsabsicht (BGHZ 95, 155, 157). Die neuere Lehre lässt Entgeltlichkeit
genügen; damit fallen beispielsweise karitative oder öffentliche Unternehmen, die nur zur
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Kostendeckung Entgelt erheben, unter den Gewerbebegriff. Teleologisch betrachtet ist das
sinnvoll, denn für die Anwendung des Handelsrechts ist die Marktteilnahme entscheidend.
Ob der BGH dem folgen wird, ist noch offen (offen gelassen in BGHZ 155, 240, 245/246).
Vertiefung:
Nimmt man an, dass eine Gewinnerzielungsabsicht, nicht nur Entgeltlichkeit erforderlich ist,
kann das Vorliegen dieser Gewinnerzielungsabsicht nach der Auffassung des BGH vermutet
werden. Das gilt aber nur bei Unternehmen, die nicht von der öffentlichen Hand betrieben
werden. Bei diesen kann die Gewinnerzielungsabsicht nicht vermutet werden (BGH, NJW
1968, 639, 639).
Zweifelhaft ist, ob nur erlaubte Tätigkeiten unter den Gewerbebegriff fallen. Aus
teleologischer Sicht sollte auch eine rechtswidrige Tätigkeit, wenn sie die übrigen
Voraussetzungen erfüllt, dem Gewerbebegriff unterfallen. Denn es geht im Handelsrecht
nicht darum, die Geschäftstätigkeit zu bewerten, sondern um Verhaltensregeln, die im
Handelsverkehr erwartet werden (z.B. unverzügliche Untersuchung erhaltener Ware, vgl.
§ 377 HGB). Es ist nicht einsichtig, dass jemand, der einer unerlaubten Tätigkeit nachgeht,
von diesen Anforderungen befreit werden sollte.
Beispiel: Der Hehler H verkauft gestohlene Fahrräder. Um diese zu transportieren, kauft er
beim Autohändler einen Kleintransporter. Der Kleintransporter ist mangelhaft, H hat ihn aber
nicht unverzüglich untersucht und in der Folge auch nicht gerügt. Wenn H Kaufmann ist, sind
damit wegen § 377 HGB seine Mängelrechte (§ 437 BGB) ausgeschlossen.
Anders beispielsweise das BayObLG (NJW 1972, 1327, 1328) zum Ehevermittler, der nach
§ 656 BGB keine verbindliche Vergütungsabrede treffen kann: „Wessen Erwerbshandlungen
schon nach den Vorschriften des BGB grundsätzlich nicht rechtsverbindlich sind, der steht
begrifflich außerhalb des Kreises derjenigen, auf die das Gesetz die besonderen Vorschriften
des Handelsrechts angewendet wissen will.“
b) Handelsgewerbe
Das Gewerbe, das der Kaufmann betreibt, muss nicht nur ein einfaches Gewerbe sein; es
muss ein Handelsgewerbe sein. Das Gewerbe ist Handels-Gewerbe, wenn es nach Art und
Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten und ausgeübten Geschäftsbetrieb
erfordert (§ 1 Abs. 2 HGB).
Das Merkmal „Art“ stellt auf qualitative, das Merkmal „Umfang“ auf quantitative Kriterien ab.
Entscheidend ist stets eine Gesamtwürdigung der Verhältnisse des einzelnen
Unternehmens: Art der Tätigkeit, Zahl der Beschäftigten, Umsatz, Vielzahl der erbrachten
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Leistungen und Geschäftsbeziehungen, Komplexität der Finanzverhältnisse. Teleologische
Überlegung: Ist Anwendung der kaufmännischen Vorschriften sinnvoll?
Beachte: das Gesetz enthält eine Beweislastumkehr. Es gilt also eine Vermutung, dass ein
Gewerbe zugleich kaufmännischer Natur ist.
c) Betreiben des Gewerbes
Kaufmann kann schließlich nur sein, wer das Gewerbe, das Handelsgewerbe ist, auch selbst
betreibt. Das Gewerbe „betreibt“ derjenige, für und gegen den die im Rahmen des
Handelsgewerbes geschlossenen Geschäfte wirken.
Der Prokurist betreibt kein Gewerbe, weil er nur als Stellvertreter des Inhabers auftritt.
Minderjährige bedürfen für die Aufnahme eines Erwerbsgeschäfts der Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts (§§ 1645, 1823 BGB). Fehlt diese, haften sie gemäß § 1629a BGB
nur mit dem Bestand des bei Volljährigkeit vorhandenen Vermögens.
Hat der Kaufmann seine Tätigkeit aufgegeben, betreibt er kein Gewerbe mehr. Er ist dann
deshalb kein Kaufmann mehr. Für alle Geschäfte ab der Aufgabe findet das Handelsrecht
deshalb keine Anwendung mehr (zu Ausnahmen, wenn er in das Handelsregister
eingetragen ist, s. unten). Bei allen Geschäften vor der Aufgabe ist er als Kaufmann zu
behandeln.