WPR 4. Semester Skript Obermaier Rechtsstand SS

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WPR 4. Semester Skript Obermaier Rechtsstand SS
Vorlesung
an der
Fachhochschule Landshut
Wirtschaftsprivatrecht
4. Semester
Wichtige Hinweise:
1. Dieses Skript wurde von Prof. Obermeier erstellt, wird aber auch von
Dr. Sonnabend verwendet
2. Rechtsstand vom Sommersemester 2001. Es könnte sein, daß –wie auch im
2. Semester- aufgrund der Änderungen im BGB zum 1.1.2002 auch in der
Vorlesung Änderungen eingetreten sind.
Inhaltsverzeichnis
Teil A : BGB
I.
Ungerechtfertigte Bereicherung
1. Leistungskondiktion
2. Nichtleistungskondiktion
II. Sicherungsrechte
1. Eigentumsvorbehalt, Sicherungsübereignung, - abtretung
2. Bürgschaft
3. Pfandrecht
4. Hypothek
Teil B : Mahnverfahren
Teil C : Handelsrecht
I.
BGB und HGB
1. HGB als Sonderrecht der Kaufleute
2. BGB subsidiär
II.
Kaufmann und Nichtkaufmann
1. Selbständigkeit
2. Handelsvertreter
3. Freiberufliche Tätigkeit
III
Die Einteilung der Kaufleute
2
IV
V.
Die Geschäfte der Kaufleute
1. Vertreter, Mäkler, Kommissionär
2. Spediteur, Frachtführer, Lagerhalter
3. Schweigen auf einen Antrag
a) Geschäftsbesorgungsvertrag nach HGB ( § 362
HGB)
b) Geschäftsbesorgungsvertrag nach BGB ( 663
BGB)
c) Handelsbrauch ( § 346 HGB)
Der Handelskauf ( §§ 373 HGB)
1. Kauf nach BGB und HBG
a) Voraussetzungen für Handelskauf
b) Annahmeverzug ( §§ 373 f HBG)
c) Fixgeschäft
2. Die Mängelrüge
3. Gutgläubiger Erwerb
4. Kaufmännisches Pfandrecht
5. Zurückbehaltungsrecht
VI. Prokura und Handlungsvollmacht
1. Prokurist und Handlungsgehilfe
2. Handlungsvollmacht
VII.
Firma und Handelsregister; Rechtsscheinshaftung
1. Firma
2. Handelsregister
3. Rechtsscheinhaftung
Teil D : Grundzüge des Gesellschaftsrechts
3
I. Rechtsquellen des Gesellschaftsrechts
II. Rechtsnatur der wichtigsten Gesellschaften
III. BGB-Gesellschaft
1. Anwendungsbereicht - Abgrenzung zu OHG und
KG
2. Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht
3. Beendigung der Gesellschaft
4. Ausscheiden eines Gesellschafters
IV.
OHG
1. Anwendungsbereich
2. Unterschiede zur BGB - Gesellschaft
3. Persönliche Haftung der Gesellschafter
4.
Innenverhältnis (Geschäftsführung; § 109 f
HGB)
5. Außenverhältnis (Vertretung; §§ 123 ff. HGB)
V.
KG
VI. Stille Gesellschaft
Teil A: BGB
4
I.
Ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff. BGB)
Im Zuge der Erörterungen zu den Leistungsstörungen haben wir schon viele
Rechtsfolgen kennengelernt, die nicht unmittelbar auf einen rechtsgeschäftlichen
Willen zurückführbar sind, sondern auf der Anordnung durch den Gesetzgeber
beruhen. Wenn wir den Vertragsbereich insgesamt verlassen und danach fragen,
unter welchen Umständen ein Aufeinandertreffen im normalen sozialen Kontakt
zur Begründung von Rechten und Pflichten führen kann, sind wir vollends auf die
gesetzliche Begründung von Rechten und Pflichten angewiesen. In der Regel geht
es dabei um den Ausgleich von Vermögensverschiebungen. Je nach Augenmerk
unterscheiden wir dabei zwei große Bereiche. Bei dem einen geht es darum, daß
jemand möglicherweise mehr Güter hat, als ihm zustehen. Man richtet seinen
Blick auf dieses Mehr und fragt sich, ob er das Mehr nicht möglicherweise herausgeben muß. Bei dem anderen geht es um Schäden und Verluste, die jemand
im Aufeinandertreffen mit anderen erlitten hat. Hier richtet sich der Blick auf den
Schaden und man fragt sich, ob der Schaden von einem anderen ausgeglichen
werden muß. Die großen Rechtsbereiche, die entsprechend diesen Blickrichtungen
zu differenzieren sind, sind das Bereicherungsrecht (§§ 812-822 BGB) und das
Schadenshaftungsrecht (§§ 823-853 BGB und dazu vielfältige Haftungsanordnungen in Sondergesetzen außerhalb des BGB).
Die ungerechtfertigte Bereicherung dient der Rückgängigmachung oder Rückabwicklung eines Rechtserwerbes bzw. Geschäftes, der nach den maßgeblichen
Vorschriften im Interesse der Rechtssicherheit, aus Gründen der rechtlichen Logik, zum Schutz eines gutgläubigen Erwerbs oder aus sonstigen Gründen zwar
gültig vollzogen ist, aber im Verhältnis zum Benachteiligten eines rechtfertigenden Grundes entbehrt. Ziel ist es, einen gerechten und billigen Ausgleich durch
Herausgabe des Erlangten bzw. Wertersatz zu schaffen, wo das Recht zunächst
einen wirksamen Vermögenserwerb herbeigeführt hat, obwohl dieser mit den Anforderungen der materiellen Gerechtigkeit nicht übereinstimmt.
Das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung ist die "Ausgleichsordnung für
unrechtmäßiges Haben." Der Vermögensvorteil, der bei dem Schuldner entstanden ist, soll abgeschöpft werden ( im Gegensatz zu dem Schadensersatzrecht, wo
zur Bestimmung der Schadenshöhe auf den Gläubiger abgestellt wird ).
Die primäre Funktion des Bereicherungsrechts besteht somit in der Abschöpfung eines ungerechtfertigten Vorteils
5
Die Bereicherungsansprüche gehören daher dem Billigkeitsrecht an und stehen somit in besonderem Maße unter den Gesichtspunkten von Treu und
Glauben1 und dienen oft der Erzielung der Einzelfallgerechtigkeit.
Es handelt sich um ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Bereicherungsgläubiger und Bereicherungsschuldner, d.h. es entsteht unabhängig vom Willen
und Wollen der Beteiligten
Ansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung (lateinisch: condictio - eingedeutscht: Kondiktion) entstehen also kraft Gesetzes und sollen ungerechtfertigte
Vermögensverschiebungen ausgleichen.
Besteht dagegen eine vertragliche oder gesetzliche Rechtfertigung für eine Vermögensverschiebung, so sind die §§ 812 ff. BGB grundsätzlich schon deshalb
nicht anwendbar, weil dann die Bereicherung gerade nicht rechtsgrundlos erfolgt
ist.
Bereicherungsansprüche kommen daher regelmäßig nur in Betracht, wenn
zuvor sämtliche denkbaren vertraglichen Rechtsbeziehungen und
gesetzlichen Erwerbstatbestände ausgeschlossen worden sind.
Es gibt zwei Grundtypen der ungerechtfertigten Bereicherung :
Ø Bereicherung " durch Leistung eines anderen"
Leistungskondiktion
Ø Bereicherung "in sonstiger Weise"
Nichtleistungskondiktion ( Eingriffskondiktion )
Da die Nichtleistungskondiktion auf anderen Umständen als auf einer
Leistung beruht, ist sie ein Auffangtatbestand und gegenüber der Leistungskondiktion subsidiär; letztere muß also immer zuerst geprüft werden.
Die Problematik basiert also in vielen Fällen auf der Problematik des Abstraktionsprinzips, d.h. dem Unterschied zwischen dem schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft und dem sachenrechtlichen Erfüllungsgeschäft (Leistungskondiktion = Recht der Güterbewegung) oder auf einem ungerechtfertigten Vermögenszuwachs, der nicht auf einer Leistung basiert, z. B. auf einer gesetzlichen Situation
( = Recht der Güterzuordnung ); klassischer Fall: Verbindung, Vermischung, Verarbeitung, § 951 BGB.
1. Leistungskondiktion
1
BGHZ 111, 312
6
Zur Wiederholung:
Abstraktionsprinzip
§ 305
schuldrechtl. Vertrag
( unwirksam )
§ 929, § 925
Erfüllung
§362 BGB
dinglicher Vertrag
( wirksam )
Leistungsverhältnis gestört
Rückabwicklung über §§ 812 ff BGB
Die Leistungskondiktion ist dadurch gekennzeichnet, daß jemand unter Bezugnahme auf einen Leistungsgrund, normalerweise einen Vertrag, bewußt und
zweckgerichtet ein fremdes Vermögen mehrt. Wird der Zweck verfehlt (oder auch
mißbilligt - § 817 BGB), dann gilt die Bereicherung des fremden Vermögens
grundsätzlich als ohne rechtlichen Grund erfolgt und der Leistende kann seine
Leistung nach § 812 Abs. 1 BGB zurückverlangen.
Die Leistungskondiktion dient u.a. der Korrektur des Abstraktionsgrundsatzes.
Nach dem Abstraktionsgrundsatz berührt ein unwirksames Verpflichtungsgeschäft
nicht die Wirksamkeit der dinglichen Verfügung (z.B. der Eigentumsübertragung
nach § 929 BGB). Wer nun das Eigentum nach § 929 BGB auf einen anderen
überträgt, weil er meint, damit eine Leistungsverpflichtung zu erfüllen, kann er
Herausgabe der Sache und Rückübertragung des Eigentums nach § 812 Abs. 1
BGB verlangen, wenn sich herausstellt, daß eine Leistungsverpflichtung nicht
bestanden hat. Der dingliche Herausgabeanspruch aus § 985 BGB scheitert dagegen an dem Eigentumserfordernis.
Fall 1: A möchte das Mountainbike des minderjährigen B, § 106 BGB, kaufen.
Beide einigen sich auf einen Kaufpreis von 250 DM, die der A dem B sofort zahlt.
Das Bike soll drei Tage später übergeben werden. Zur Übergabe kommt es jedoch
nicht, da die Eltern des B ihre Zustimmung zu dem Kauf verweigern, §§ 107,
108,182 BGB ( d.h. kein Fall des Taschengeldparagraphen, § 110 BGB). Kann A
seine 250 DM von B verlangen, auch wenn dieser das Geld in der Disko verpulvert hat?
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Prüfungsschema für die
Leistungskondiktion = Recht der Güterbewegung
• etwas erlangt
• durch Leistung eines anderen
• ohne rechtlichen Grund
Ø § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. : der rechtliche Grund fehlt von Anfang an
Ø § 812 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. : der rechtliche Grund fällt später weg
Ø § 812 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. : Zweckverfehlung
• auf dessen Kosten
• kein Ausschluß
• Herausgabe des Erlangten nach §§ 812, 818 BGB (Sache oder Wert, bzw.
Wegfall der Bereicherung), also
Ø der Sache (§ 812 BGB) oder
Ø des Wertes (§ 818 Abs. 2 BGB oder aber keine Herausgabe wegen
Ø Wegfalls der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB.
Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB:
1 ) Etwas erlangt: Dazu gehört insbesondere der Besitz und Eigentum an einer
Sache, aber auch jeder andere vermögenswerte Vorteil (z.B. Flugreise, Forderung,
Befreiung von Schulden und Lasten), also ein
• Vermögensvorteil. Die Vermögenslage des Bereicherten muß sich verbessert
haben. Hier wurde Eigentum und Besitz an dem Geld verschafft, des weiteren:
• Erwerb von Rechten
• Erlangung einer vorteilhaften Rechtsstellung
• Besitzerwerb
• Unrichtiger Grundbucheintragung
• Befreiung von Verbindlichkeiten
• Ersparung von Aufwendungen
Exkurs: Was ist "Bereicherung" im Sinne des Bereicherungsrechtes ?
8
BGHZ 55,128: Es handelt sich hier um den berühmten "Minderjährigen-Fall" des
BGH. Der Beklagte flog wenige Tage vor Vollendung seines 18. Lebensjahres
nach Erwerb eines entsprechenden Flugscheins mit einer Linienmaschine der Klägerin von München nach Hamburg. Dort gelang es ihm, mit den Transitpassagieren das Flugzeug wieder zu besteigen und an dem Weiterflug nach New York teilzunehmen, ohne daß er im Besitz eines Flugscheins für diese Strecke gewesen
wäre. In New York wurde ihm die Einreise in die USA verweigert, weil er kein
Visum hatte. Die Klägerin beförderte ihn daraufhin noch am selben Tag in einer
halbvollen Maschine zurück nach München. Sie verlangt von ihm unter anderem
die Zahlung des tariflichen Flugpreises für die Strecke Hamburg/New York.
Hintergrund ist die frühere Auffassung der hM, wonach bei Dienstleistungen nur
die Ersparnis eigener Ausgaben "erlangt" worden sein kann. Wenn sich der Empfänger nichts erspart hatte, konnte er demzufolge nicht bereichert sein, da die Bereicherungshaftung nicht zu einer Vermögensminderung führen darf. Bei "Bösgläubigen" (iSv § 819) mußte der BGH - wie in diesem Fall - deswegen einen Bereicherung fingieren, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden. Danach müsse der
Bösgläubige sich so behandeln lassen, als ob er sich etwas erspart habe. Die Entscheidung wurde deswegen heftig kritisiert. Heute stellt sich das Problem nicht
mehr in dieser Schärfe, denn die hM betrachtet jeden Gebrauchs- oder Vermögensvorteil als "erlangtes Etwas", um die Vermischung zwischen "Erlangtem" und "tatsächlicher Bereicherung" zu vermeiden.
Leitsätze:
1. Wer ohne Rechtsgrund eine geldwerte Leistung in Anspruch nimmt (hier: eine
Flugreise), die er sich anderweitig nicht verschafft hätte und durch die auch sonst
sein Vermögen nicht vermehrt worden ist, muß sich gleichwohl so behandeln lassen, als hätte er die dafür übliche bzw. angemessene Vergütung erspart, wenn er
den Mangel des rechtlichen Grundes beim Empfang der Leistung kannte.
2. Handelt es sich um einen kurz vor der Vollendung seines 18. Lebensjahres stehenden Minderjährigen, so kommt es auf dessen Kenntnis (und nicht die seines
gesetzlichen Vertreters) jedenfalls dann an, wenn er sich in den Genuß der Leistung durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung gebracht hat und die erforderliche Einsicht in die Erkenntnis hatte, zur unentgeltlichen Inanspruchnahme der
Leistung nicht berechtigt zu sein.
Urt. v. 7. Januar 1971, VII ZR 9/70;
2) Vermehrung fremden Vermögens. Der Leistende muß also die Vermögensverschiebung wissentlich und zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks herbeiführen. "Leistung" im Sinne des Bereicherungsrechts ist eine bewußte, zweckgerichtete und gewollte Vermögensvermehrung eines anderen.
Fraglich kann sein, wer der andere, d.h. der Leistungsempfänger ist, d.h. an
wen - vor allem im Dreiecksverhältnis - geleistet werden sollte und ob auf
das "Erkennenkönnen" des vermeintlichen Leistungsempfängers abgestellt
9
werden darf. Muß also ausschließlich auf den ziel- und zweckgerichteten
Leistungswunsch des Leistenden abgestellt werden oder spielt auch der
Empfängerhorizont des Leistungsempfängers eine Rolle, d.h. muß dieser die
Leistung des Leistenden an ihn als solche erkennen und akzeptieren müssen?
Nach dem BHG1 darf nicht allein auf den inneren Willen des Leistenden abgestellt werden, sondern auf die Erkennbarkeit der Person des Leistenden
"aus der Sicht des Zuwendungsempfängers" ( Bauherr - Generalunternehmer
- Lieferant ).
Einbau der Herde, § 631 BGB
Bauherr
Installateur
neuer Eigentümer
§ 946, 94 BGB
Beklagter
Zahlungs
- anspruch ??
Leistung?
§ 433 BGB
Küchenherde
Lieferant
Kläger
In diesem Fall hat der Lieferant an den Installateur geleistet und der Installateur an den Bauherrn, nicht aber der Lieferant an den Bauherrn: eine "indirekte" Leistung ist keine Leistung im Sinne der Leistungskondiktion. Der
Lieferant hat also, falls der Installateur in Konkurs ginge, keinen Leistungsbereicherungsanspruch gegen den Bauherren; da die Leistungskondiktion
gegenüber der Nichtleistungskondiltion subsidiär ist und der Bereicherungsgegenstand "geleistet" wurde, hat er auch keinen Anspruch aus Nichtleistungskondiktion.
Hier hat der A dem B die 250 DM wissentlich und zu dem Zweck übergeben, die
vermeintliche Kaufpreisschuld aus § 433 Abs. 2 BGB zu erfüllen.
3 ) Ohne Rechtsgrund: Der Grund für die Leistung
• fehlt von Anfang an (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB),
• ist nachträglich weggefallen (§ 812 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. BGB) oder
• der nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg ist nicht eingetreten
(§ 812 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. BGB) :
1
BGHZ 40, 272
10
Zweckverfehlung ( oder Prinzip Hoffnung):
Die Leistung darf nicht zum Zweck der Erfüllung einer Verbindlichkeit
worden sein, es sei denn mit ihr wurde zusätzlich ein darüber hinausgehender Zweck verfolgt, d.h. ein Bereicherungsanspruch ist ausgeschlossen, wenn der bezweckte, aber nicht (voll) erreichte Erfolg Inhalt einer
vertraglichen Bindung war; für die Abwicklung gelten dann die Grundsätze des Vertragrechts. Es besteht zwar zwischen den Parteien eine tatsächliche Einigung über den bezweckten Erfolg, diese Einigung hat
aber nicht den Charakter einer vertraglichen Bindung.
Zweck der wegen Zweckverfehlung zurückzufordernden Leistung ist also gerade nicht die Erfüllung einer Verbindlichkeit: durch die Leistung
wird gerade ein anderer, darüberhinausgehender Zweck als die Erfüllung einer Verbindlichkeit verfolgt. Die Leistung darf weder auf eigene,
noch auf fremde Verpflichtung hin erbracht werden.
Der Leistende hat also keinen erzwingbaren vertraglichen Anspruch gegen den Empfänger der Leistung auf Herbeiführung des bezweckten Erfolgs (z. B. die Begründung eines Rechtsverhältnisses oder die Vornahme einer Handlung durch den Empfänger).
Beispiel:
Unentgeltliche Dienstleistungen in Erwartung einer späteren Abfindung
bzw. Erbeinsetzung.
Leistungen, die den Empfänger zu einem bestimmten Verhalten veranlassen sollen; z.B. Hingabe einer Quittung in der Hoffnung auf späteren
Gelderhalt; Erfüllung eines formnichtigen Vertrages in der Hoffnung,
die Form werde schon noch eingehalten.
Zum Fall:
Hier war der Kaufvertrag schwebend unwirksam (§ 108 BGB) und wurde auch
mangels Genehmigung der Eltern nicht wirksam (182 BGB). Deshalb fehlte der
Rechtsgrund für die Kaufpreiszahlung von Anfang an (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt.
BGB).
4 ) Auf dessen Kosten: Notwendigkeit oder Voraussetzung der Einheitlichkeit
oder Unmittelbarkeit des Bereicherungsvorganges ( in der neueren Lehre umstritten ): die Bereicherung des einen ist die Entreicherung des anderen ( jedenfalls, soweit nur zwei Parteien beteiligt sind)
5 ) Kein Ausschluß: § 813 Abs. 2 BGB (z.B. Leistung auf gestundete Forderung),
§ 814 BGB, § 815 BGB, § 817 Satz 2 BGB (Verstoß gegen Treu und Glauben).
Hier ist die Leistungskondiktion nicht ausgeschlossen. Insbesondere greift § 814
BGB nicht ein, weil eine rückwirkende Genehmigung der Eltern möglich gewesen
wäre.
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6 ) Herausgabe des Erlangten: Der Empfänger ist grundsätzlich zur Herausgabe
des Erlangten (§ 812 BGB) oder dessen Wertes (§ 818 Abs. 2 BGB) verpflichtet,
außer, er ist nicht mehr bereichert nach § 818 Abs. 3 BGB. Das ist dann der Fall,
wenn der Gegenstand oder dessen Wert nicht mehr vorhanden sind. Dies ist vor
allem der Fall bei sog. „Luxusaufwendungen“. Da hier der B die 250 DM bereits
ausgegeben hat und kein Gegenwert mehr vorhanden ist, ist er im Sinne des § 818
Abs. 3 BGB entreichert, falls kein Fall der Bösgläubigkeit vorliegt, § 819 BGB.
Der A hat keinen Anspruch gegen B auf Herausgabe des Geldes.
Fall 2: B kauft bei dem Autohändler A einen Mercedes 600 SEL. Er zahlt dafür
den doppelten Listenpreis, da A ihm wahrheitswidrig vorspiegelt, der Mercedes
sei von Boris Becker. Nachdem B den Kaufvertrag erfolgreich wegen arglistiger
Täuschung angefochten hat, verlangt er von A sein Geld zurück. Dieser weigert
sich, da er alles auf der Reeperbahn ausgegeben hat.
Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. BGB: Hier lag zwar ursprünglich ein wirksamer Kaufvertrag vor. Dieser ist jedoch mit der wirksamen
Anfechtung nachträglich wieder entfallen (§ 142 Abs. 1 BGB). Hierin liegt der
Unterschied zu § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB, bei dem von vornherein der
Rechtsgrund für die Leistung fehlte. Da weder das Geld noch ein entsprechender
Gegenwert mehr vorhanden sind, ist A entreichert nach § 818 Abs. 3 BGB. Da A
jedoch die Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts kannte, kann er sich nicht auf die
Entreicherung berufen (§§ 142, 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB). Er muß das Geld
zurückgeben.
Fall 3: Abel hat sich unbefugt Daten aus dem Computer des Bebel angeeignet. Als
Bebel den „Diebstahl“ merkt, versucht Abel die Strafanzeige abzuwenden, indem
er dem Bebel 5.000 DM „für dessen Schweigen“ überweist. Der Bebel nimmt das
Geld und zeigt den Abel trotzdem an.
Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. oder § 812 Abs. 1 Satz 2
1. Alt. BGB oder § 817 Satz 1 oder § 817 S. 2:
Zwischen Abel und Bebel wurde (zumindest stillschweigend) ein Schenkungsvertrag oder "Schweigevertrag" geschlossen. Dieser stellte den Rechtsgrund für die
Leistung (Übergabe und Übereignung des Geldes) dar. Eine Leistungskondiktion
nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. oder § 812 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. BGB scheidet
somit aus - falls dieser Vertrag rechtswirksam sein sollte.
§ 817 BGB ? Das RG ging davon aus, daß die Annahme des Geldes gegen die
guten Sitten ( das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden ) verstieß, da
12
ein solches Erkaufen des Schweigens, inbes. bei dieser hohen Summe, sittenwidrig sei1. Dies insbesondere deswegen, weil der Annehmende sowieso nicht anzeigen wollte. Auch die Hingabe des Geldes hat das RG als sittenwidrig angesehen,
also ist ein Fall des § 817 S.2 BGB gegeben.
Falls man zu der Auffassung gelangt, der Vertrag sei wirksam:
Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. BGB: Die Übergabe und
Übereignung des Geldes diente zudem dem Zweck, daß Bebel den Diebstahl des
Abel verschweigt. Dieser nach dem Inhalt der Leistung bezweckte weitere Erfolg
ist nicht eingetreten. Der Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Geldes ist somit
entfallen. Bebel muß das Geld an Abel zurückgeben.
Falls gar kein Vertrag abgeschlossen wurde, der Abel dem Bebel das Geld also
ohne gegenseitige Absprache gab in der Hoffnung, dieser werde ihn nicht anzeigen, liegt ein Fall des § 812 I S. 2 2. Alt. ( Zweckverfehlung ) vor.
Fall 4: Der einflußreiche Baulöwe Wild schenkt dem Finanzbeamten Feist eine
VIP-Dauerkarte für die Heimspiele des FC Bayern München, weil F ihm bei der
Abgabe einer ordnungsgemäßen Steuererklärung geholfen hat. Als F sich nicht
entsprechend dankbar verhält, verlangt W sein Geschenk zurück. Geht das?
Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 BGB: Der Schenkungsvertrag zwischen
W und F ist wirksam und ist auch nicht nachträglich wieder entfallen. Ein Rechtsgrund für die Übergabe und Übereignung des Geldes liegt also vor. Aus § 812
BGB kann W von F sein Geschenk nicht wieder herausverlangen.
§ 817 Satz 1 BGB als Sonderfall der Leistungskondiktion – Schema:
• Etwas erlangt: Eigentum und Besitz an der VIP-Dauerkarte
• Durch Leistung eines anderen: Hier hat W dem F bewußt und zweckgerichtet
die Karte übergeben und übereignet.
1
RGZ 58, 204
13
• Auf Kosten eines anderen: die Bereicherung des F korreliert mit der Entreicherung des W.
• Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten durch
Annahme der Leistung: Hier verstößt der Beamte F durch die Annahme des
Geschenkes gegen das gesetzliche Verbot der Vorteilsannahme
(§ 331 Abs. 1 StGB: Ein Amtsträger ...., der einen Vorteil als Gegenleistung
dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, daß er eine Diensthandlung
vorgenommen hat oder künftig vornehme, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. )
• Kein Ausschluß nach § 817 Satz 2 BGB: W hat durch das Geschenk gegen
kein Verbot verstoßen, da die Vorteilsannahme nur einseitig bestraft wird. Der
Anspruch nach § 817 Satz 1 ist demnach nicht ausgeschlossen.
• Herausgabe des Erlangten: F hat dem W die Karte wieder herauszugeben.
Fall 5: Wie oben, allerdings hat F dem W zum Zwecke der Steuerhinterziehung
bei einer falschen Steuererklärung geholfen.
Leistungskondiktion nach § 817 Satz 1 BGB: Die Voraussetzungen des § 817
Satz 1 BGB sind gegeben.
Die Herausgabe ist jedoch nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen, da auch die
Hingabe des Geschenks gegen ein Gesetz verstößt.
(§ 332 Abs.1 StGB, Bestechlichkeit, lautet: "Ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, der einen Vorteil für sich oder einen
Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, daß
er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch
seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit Freiheitsstrafe
von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft." und
§ 334 Abs.1 StGB, Bestechung, heißt: "Wer einem Amtsträger, einem für den
öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet,
verspricht oder gewährt, daß er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. In minder
schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe".)
Da beide Seiten des "Rechtsgeschäfts" einen Gesetzesverstoß begangen haben, ist
die Rückforderung trotz der Nichtigkeit des Grundvertrages ausgeschlossen, § 817
Satz 2 BGB .
14
Ausschluß der Kondiktion nach § 817 S. 2 BGB
Der eigentlich gegebene Anspruch aus § 812 I 1 BGB ist gem. § 817 S. 2
BGB ausgeschlossen, weil beiden Parteien eine Gesetzes- resp. Sittenwidrigkeit zur Last fällt.
In solchen Fällen übt die Rechtsordnung eine Selbstbeschränkung
aus. Handeln beide Parteien gesetzes- oder sittenwidrig, so befaßt
sich die Rechtsordnung nicht mit ihren Problemen, sondern überläßt
sie sich selbst.
Dies mag bisweilen zu Härten führen, wie auch dem Gesetzgeber bewußt
war. Der Leistende hat dies jedoch sich selbst zuzuschreiben, er kann
nicht damit rechnen, in gesetzes- oder sittenwidrigen Angelegenheiten,
mit denen er sich von der Rechtslage entfernt, von dieser Hilfe zu erhalten.
Daß die Versagung der Rückforderung der Leistung eine Härte darstellen
kann, hat der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen. Bei der Anwendung des § 817 S. 2 BGB kann daher nur im Einzelfall zu prüfen sein, ob
nicht aus besonderen Gründen die Rechtsordnung ihre Zurückhaltung
aufgeben und regelnd in die Verhältnisse der Parteien eingreifen muß.
Eine solche Situation ist nur gegeben, wenn Umstände vorliegen, welche
über die einfache Sittenwidrigkeit hinausgehen, etwa ein Delikt eines Beteiligten (vgl. RGZ 85, 293) 1.
Der sich aus § 817 Satz 2 BGB ergebende Grundsatz lautet also, daß
derjenige bei der Rückabwicklung Rechtsschutz nicht in Anspruch
nehmen kann, der sich selbst durch gesetzes- oder sittenwidriges
Handeln außerhalb der Rechtsordnung gestellt hat (vgl. BGHZ 44, 1,
6).
Fall 6: A, B und C aus Tschechien arbeiten „schwarz“ auf der Baustelle des Bauunternehmers Klotz. Als sie nach 4 Wochen Arbeit von K ihren vereinbarten Lohn
verlangen, will dieser nichts zahlen mit der Begründung, daß der Schwarzarbeitsvertrag nichtig sei. Können A, B und C trotzdem ihr Geld verlangen?
1
siehe OLG Koblenz, Urt. v. 16.12.1998 -7U 124/98 in NJW 1999, 2904 für den Kauf akademischer Titel
15
Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB: K hat die Arbeitsleistung von A, B und C als vermögenswerten Vorteil erlangt. Diese Leistung ist
ihm bewußt und zum Zweck der Erfüllung einer vermeintlichen Verbindlichkeit
aus dem abgeschlossenen Werkvertrag zugewandt worden. Es fehlte auch der
Rechtsgrund für die Leistung, da der zwischen A, B, C und K abgeschlossene
Werkvertrag nach § 134 BGB i.V.m. dem SchwArbG nichtig ist. Allerdings ist
nach dem Wortlaut des § 817 Satz 2 BGB, der als Ausschlußtatbestand sowohl für
§ 812 als auch § 817 Satz 1 BGB gilt, die Herausgabe ausgeschlossen, da die Bauarbeiter durch ihre Leistung „Schwarzarbeit“ gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen.
Leistungskondiktion nach § 817 Satz 1 BGB: Auch die Leistungskondiktion
nach § 817 Satz 1 BGB ist wegen § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
Korrektur dieses Ergebnisses: Nach dem Wortlaut des Gesetzes können die
Schwarzarbeiter kein Geld für die erbrachte Arbeitsleistung verlangen. Sie würden
also einseitig das Risiko der Nichtigkeit des Vertrages tragen müssen. Außerdem
würde diese gesetzliche Regelung für die Auftraggeber einen besonderen Anreiz
schaffen, Arbeiter „schwarz“ zu beschäftigen und ihnen dann hinterher den Lohn
zu verweigern. Schwarzarbeit würde indirekt gefördert werden. Deshalb darf hier
der § 817 Satz 2 BGB gem. § 242 BGB ausnahmsweise nicht angewendet werden.
Die Folge ist, daß aus § 812 und § 817 Satz 1 BGB ein Anspruch auf Herausgabe
des Erlangten, nämlich der Arbeitsleistung folgt. Da diese Herausgabe unmöglich
ist (Soll K für A, B und C Bauarbeiten ausführen?) hat K nach § 818 Abs. 2 BGB
den Wert dieser Bauleistung zu ersetzen, also den vereinbarten Lohn.
2. Nichtleistungskondiktion = Recht der Güterzuordnung
Nichteingriffskondiktion ist gegenüber Leistungskondiktion subsidiär
( noch ? h. M. )1
1
Münchner Mommentar, Rz. 21 zu § 812 : Unterscheidung im Ansatz verfehlt
16
Bei den Nichtleistungskondiktionen (Bereicherungen in sonstiger Weise) unterscheiden wir zwei Grundtypen. Der eine ist die Eingriffskondiktion, der andere die
Abschöpfungskondiktion. Die Eingriffskondiktion ist dadurch gekennzeichnet,
daß der Bereicherte von sich aus in Rechtspositionen einer anderen Person eingreift (unberechtigte Nutzung), während bei der Abschöpfungskondiktion der Bereicherte einen Vermögenszuwachs erhält, zu dem er selbst nichts beigetragen hat.
Die Unterscheidung zwischen den beiden Arten der Nichtleistungskondiktion
kann im Hinblick auf den Umfang des Bereicherungsanspruchs relevant werden.
Bereicherung "in sonstiger Weise" liegt dann vor, wenn keine Leistung, also keine
bewußte und gewollte Vermögensverschiebung vorgenommen wurde, sondern
wenn die Bereicherung gegen oder ohne den Willen des Entreicherten stattfindet, also quasi automatisch. Hier hat der Bereicherungsschuldner selbst das
herauszugebende "etwas" in einer Weise in Anspruch genommen, die dem Zuweisungsgehalt der sachenrechtlichen Güterzuordnung widerspricht.
Immer wenn die Zuwendung ("etwas") auf einer Leistung, d.h. einer bewußten
und gewollten Vermögensvermehrung beruht, ist die Nichtleistungskondiktion
ausgeschlossen: Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion.
Ein Anspruch wegen Bereicherung in sonstiger Weise, vielfach
als Eingriffskondiktion bezeichnet, kann vielmehr nach der
neueren Lehre nur dann entstehen, wenn der Bereicherungsgegenstand dem Empfänger überhaupt nicht, also von niemandem geleistet worden ist1.
Hauptfälle sind
• Handlungen des Bereicherten ( z.B. Besitzentziehung, Ver- oder Gebrauch
einer fremden Sache, Weiterbenutzung einer Wohnung nach Vertragsbeendigung )
• Handlungen eines Dritten ( z.B. Verbindung und Vermischung, soweit keine
Leistungskondiktion durch den Entreicherten gegeben ist )
• Handlungen des Entreicherten ( soweit keine Leistung, also die irrtümliche
Verwendung einer Sache zugunsten des Bereicherten )
• Tatsächliche Vorgänge ( z.B. Landanschwemmung )
Fall 7: Der Maurer M, der im Haus des A arbeitet, schickt seinen Lehrling zum
Bierholen. Zufälligerweise stellt der Getränkeservice Gluck an diesem Tag einen
Kasten Bier für A vor dessen Haus ab. M denkt, es sei das mitgebrachte Bier sei-
1
BGHZ 40, 272; http://www.jura.uni-passau.de/ifl/bgh8.htm
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nes Lehrlings und trinkt den halben Kasten leer. Kann A, der den Kasten bezahlt
hat, von M das Geld für das Bier herausverlangen?
Leistungskondiktion: Eine Leistungskondiktion scheidet aus, da der A dem M
das Bier nicht bewußt und zweckgerichtet zugewendet hat.
Nichtleistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB:
Die Nichtleistungskondiktion kommt in mehreren Arten vor:
• Eingriffskondiktion: Es liegt eine Handlung des Bereicherten (Eingriff)
zugrunde, z.B. Wegnahme einer Sache, Benutzen eines Prominentenfotos zu
Werbezwecken ohne Einwilligung des Betroffenen. Beachte: In diesen Fällen
immer noch an § 823 BGB denken! Im Unterschied zur unerlaubten Handlung
ist bei § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB weder Verschulden noch Rechtswidrigkeit erforderlich.
• Rückgriffskondiktion: Diese kommt in Betracht, wenn ein Dritter aus Versehen fremde Schulden tilgt.
• Verwendungskondiktion: Diese kommt in Betracht, wenn unbeabsichtigt
Verwendungen auf fremdes Gut vorgenommen werden.
• Außerdem sind noch die Sondertatbestände des § 951 und des § 816 BGB zu
beachten.
Schema für § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB:
• Etwas erlangt: Hier hat M den halben Kasten Bier erlangt.
• in sonstiger Weise: Hier hat M das Bier nicht durch Leistung, also in sonstiger
Weise erlangt.
• ohne rechtlichen Grund: Hier fehlte der rechtliche Grund, insbesondere war
zwischen M und A kein Vertrag geschlossen worden.
• auf dessen Kosten: Hier gebührte das Bier nicht dem M, sondern dem A. Das
Trinken geschah also auf dessen Kosten; die Bereicherung des M spiegelt sich
in der Entreicherung des A..
• Herausgabe des Erlangten: Hier kann M dem A das getrunkene Bier nicht
wieder „übergeben“. Er hat deshalb nach § 818 Abs. 2 BGB dessen Wert zu ersetzen.
18
§ 823 Abs. 1 BGB: Die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB liegen möglicherweise ebenfalls vor, da das Trinken des Bieres ggf. auch eine fahrlässige Eigentumsverletzung darstellt.
Fall 8: Der Winzer W sprüht von seinem Flugzeug aus Schädlingsbekämpfungsmittel auf die Weinberge. Aus Versehen besprüht er aber nicht seine eigenen, sondern die Weinberge seines Nachbarn N. Kann er von N die Kosten der Schädlingsbekämpfung verlangen?
Abwandlung: N ist Ökowinzer und besprüht seine Felder normalerweise nicht.
Leistungskondiktion: Scheidet mangels Leistung des W aus. W hat nicht bewußt
die Felder des N besprüht, sondern dachte, es seien seine eigenen.
Nichtleistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB: Es liegt ein
Fall der Verwendungskondiktion vor. Die Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 Satz
1 2. Alt. BGB sind gegeben. N hat nach § 818 Abs. 2 BGB dem W die Kosten der
Schädlingsbekämpfung zu ersetzen.
Variante: Anders stellt sich der Fall in der Variante dar, da eine sog. aufgedrängte Bereicherung vorliegt. N wollte seine Felder gar nicht sprühen. Für diesen Fall
entfällt ein Bereicherungsanspruch des N. Dies ergibt sich aus der Wertung des
§ 814 BGB.
S muß sogar mit einem Schadensersatzanspruch des N aus § 823 Abs. 1 BGB
rechnen, da die nächste Ernte nicht mehr als Ökowein verkauft werden kann.
Fall 9: Der Schreiner S soll in die Neubauwohnung des W2 im 2. Stock einen
Parkettboden verlegen. S irrt sich im Stockwerk und baut das Parkett im 1. Stock
in der Wohnung des W1 ein. W1 gefällt das Parkett ganz gut und er möchte es
auch behalten, zahlen möchte er allerdings nichts.
§ 631 Abs. 1 BGB: Ein Anspruch des S gegen W1 aus § 631 BGB scheidet aus,
da zwischen beiden kein Werkvertrag geschlossen wurde.
Leistungskondiktion: Ein Anspruch aus Leistungskondiktion scheidet mangels
Leistung des S aus. Der Einbau bei W1 geschah unbewußt, also keine bewußte
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und gewollte, ziel- und zweckgerichtete Vermögensvermehrung des W1 durch den
S..
Sonderfall der Nichtleistungskondiktion nach §§ 951 Abs. 1, 812 Abs. 1 Satz
1 2. Alt. BGB: Im Fall des Eigentumserwerbs nach den §§ 946 bis 950 BGB ist
der Sonderfall der Nichtleistungskondiktion nach §§ 951 Abs. 1, 812 Abs. 1 Satz
1 2. Alt. BGB zu prüfen, der gegenüber dem allgemeinen Bereicherungsrecht als
lex specialis vorrangig ist.
Da das Parkett wesentlicher Bestandteil des Grundstücks geworden ist, hat W1
Eigentum am Parkett nach §§ 946, 94 BGB erlangt und "Alteigentümer" S hat sein
Eigentum im selben Moment, automatisch, kraft Gesetzes, verloren. W1 ist also
gegenüber S bereichert, S ist ebenso entreichert.
S hat deshalb gegen W1 einen Anspruch nach § 951 Abs. 1 BGB.
Da es sich bei § 951 Abs. 1 BGB um eine Rechtsgrundverweisung auf die §§
812 ff BGB handelt ( und nicht um eine Rechtsfolgeverweisung, bei der es sich
nur noch um den Umfang der Herausgabepflicht drehen würde ), sind noch die
Voraussetzungen der Nichtleistungskondiktion zu prüfen, denn: wie heute fast
allgemein anerkannt ist, läßt der Eigentumsverlust durch den Einbau allein noch
keinen Anspruch aus § 951 Abs. 1 Satz 1 BGB entstehen.
Die Verweisung auf die Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung
bedeutet vielmehr, daß ein Bereicherungsanspruch nur unter den in § 812
Abs. 1 BGB genannten Voraussetzungen entsteht .
Die Besonderheit des § 951 Abs. 1 BGB liegt darin, daß der Anspruch immer auf
Geld gerichtet ist.
Fall 10: Anton leiht dem Bert seinen Motorroller. Da Bert knapp bei Kasse ist,
verkauft er diesen an Conny, der Bert für den Eigentümer hält. Bert, der sehr geschäftstüchtig ist, bekommt für den Roller 1.200 DM, obwohl dieser nur 1.000
DM wert ist. Welche Rechte hat A gegen B?
Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB: Da C gutgläubig nach den §§ 929, 932
BGB Eigentum erworben hat, stellt die rechtswirksame Übereignung zwischen B
und C somit eine Eigentumsverletzung des A dar. Da der Roller lediglich 1.000
DM wert war, ist dem A durch den Verkauf auch nur ein Schaden in Höhe von
1.000 DM entstanden. Nur in dieser Höhe hat er einen Schadensersatzanspruch
nach § 823 Abs. 1 BGB.
§ 816 Abs. 1 BGB als Sonderfall der Nichtleistungskondiktion:
Schema:
• Nichtberechtigter: B war Nichtberechtigter, da er selbst nicht Eigentümer des
Motorrollers war.
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• Verfügung über einen Gegenstand: Hier hat B den Roller an C übereignet.
• dem Berechtigten gegenüber wirksam: Dem Eigentümer A als Berechtigten
gegenüber ist die Verfügung wirksam, da C gutgläubig Eigentum erworben hat.
• Herausgabe des durch die Verfügung Erlangten: Als Gegenleistung für die
Übereignung hat B von C 1.200 DM erlangt. Diese muß er an A herausgeben.
§ 816 Abs. 1 Satz 1 BGB wirkt auf einen Ausgleich im Falle wirksamer entgeltlicher Verfügungen eines Nichtberechtigten über ein fremdes Recht hin. Diese Vorschrift ist vor allem in den Fällen des gutgläubigen Erwerbs bedeutsam, in denen
ein Dritter kraft guten Glaubens rechtsgeschäftlich Eigentum von einem Nichtberechtigten erwirbt und damit eine Enteignung des Altberechtigten erfolgt. Der
Altberechtigte kann nach § 816 Abs. 1 Satz 1 gleichsam als Kompensation für die
verlorene Rechtsposition vom nichtberechtigt Verfügenden dasjenige herausverlangen, was dieser durch die Verfügung erlangt hat
Fall 11: Sachverhalt wie oben mit dem Unterschied, daß B den Roller nicht an C
verkauft, sondern verschenkt. Was kann A von B bzw. C verlangen?
Anspruch des A gegen B: A hat gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz aus
§ 823 Abs. 1 BGB in Höhe von 1.000 DM. Ein Anspruch aus § 816 Abs.1 Satz 1
BGB ist nicht gegeben, da B keine Gegenleistung erlangt hat.
Anspruch des A gegen C: A hat gegen C einen Anspruch aus § 816 Abs. 1 Satz 2
BGB, da die Voraussetzungen des § 816 Abs.1 Satz 1 BGB vorliegen (siehe
Schema) und die Verfügung unentgeltlich war.
In den Fällen des § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB geht es gleichfalls um Verfügungen
über fremdes Recht durch einen Nichtberechtigten, doch erfolgt die Verfügung
hierbei unentgeltlich. Weil nunmehr dem Altberechtigten nach seiner "Enteignung" kein Zugriff auf eine Gegenleistung beim nichtberechtigt Verfügenden zusteht, kann der Altberechtigte vom unentgeltlich erwerbenden Dritten die Rechtsposition selbst herausverlangen.
Zusammenfassung:
Wer ungerechtfertigt durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf
dessen Kosten etwas erlangt, ist diesem gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zur Herausgabe verpflichtet. Der Gerechtigkeitsgehalt dieser Vorschrift erklärt sich von
selbst. Bezahlt jemand versehentlich seine Schuld doppelt, so ist es eine Selbst-
21
verständlichkeit, daß der Gläubiger die zweite Zahlung herausgeben muß. Genauso selbstverständlich ist es, daß derjenige, der fremde Kohle verheizt und dadurch
Geld für deren Kauf spart, dem Eigentümer auch dann ausgleichspflichtig ist,
wenn er die Kohle schuldlos für seine eigene halten durfte und nicht gemäß § 823
Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig ist.
Die primäre Funktion des Bereicherungsrechts besteht somit in der Abschöpfung
eines ungerechtfertigten Vorteils. Darin liegt zugleich der Unterschied gegenüber
dem Schadensrecht. Während es dort um den Ausgleich einer Einbuße im Vermögen des Gläubigers geht, besteht das Ziel des Bereicherungsrechts umgekehrt in
der Rückgängigmachung einer Vermehrung im Vermögen des Schuldners. Der
Vermögenszuwachs des Bereicherten wird zugunsten des Entreicherten abgeschöpft und rückgängig gemacht. In Konsequenz dieser Abschöpfungsfunktion ist
jeder Bereicherungsanspruch grundsätzlich - vorbehaltlich einer verschärften Haftung gemäß §§ 818 Abs. 4, 819, 820 BGB - ausgeschlossen, wenn sich im Vermögen des Bereicherten kein Überschuß mehr findet, vgl. § 818 Abs. 3 BGB.
Die Bereicherungsansprüche gehören dem Billigkeitsrecht an und stehen somit in besonderem Maße unter den Gesichtspunkten von Treu und Glauben
und dienen hauptsächlich - unabhängig von Theorienstreitigkeiten - der Erzielung der Einzelfallgerechtigkeit.
Merkpunkte zu
Tatbeständen und Ausschlußgründen
Leistungskondiktion = Recht der Güterbewegung
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Leistung =
bewußte, gewollte, zweck- und zielgerichtete Vermögensvermehrung
a) Anspruchsgrundlagen
-
Fehlen des rechtlichen Grundes von Anfang an, 812 I 1 Alt. 1
späterer Wegfall des ursprünglichen rechtlichen Grunde , 812 I 2 Alt. 1
Verfehlen des Leistungszwecks, 812 I 2 Alt. 2
Verwerflichkeit der Leistungsannahme, 817 S. 1
b) Ausschlußtatbestände
-
genereller Ausschluß bei Gesetzs- oder Sittenwidrigkeit, § 817 S.2
Ausschluß bei Kenntnis der vertraglichen Nicht-Leistungspflicht, § 814,
betr. § 812 I S.2 Alt. 2: Ausschluß bei Kenntnis der Unmöglichkeit des Erfolgseintritts
Bereicherung in sonstiger Weise = Recht der Güterzuordnung
( Eingriffs- oder Abschöpfungskondiktion )
Vorsicht: Leistungskondiktion vorrangig !!
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a)
Anspruchsgrundlagen
-
durch Eingriff in Rechtsposition, § 812 I 1 Alt. 2
durch Zuführung eines Vermögenswerts, § 812 I 1 Alt. 2
b)
-
Ausschlußtatbestände
aufgedrängte Bereicherung
c) Verfügung eines Nichtberechtigten, § 816
-
durch unberechtigte, aber wirksame entgeltliche Verfügung , § 816 I 1
durch unberechtigte, aber wirksame unentgeltliche Verfügung , § 816 I 2
durch wirksame Leistung an Nichtberechtigten, § 816 II
Rechtsfolgen einer Bereicherung = Herausgabe des Erlangten
a) Umfang der Herausgabepflicht
Grundsätzlich nur Herausgabe des Erlangten, ggf. Wertersatz, § 818 II, oder Berücksichtigung ersparter Aufwendungen,; daher
-
-
keine Haftung bei Unmöglichkeit der Herausgabe, auch wenn verschuldet,
allenfalls Herausgabe des Surrogats (§ 818 I) oder Ausgleich ersparter Aufwendungen
bei Verschenken Bereicherungsanspruch gegen den Beschenkten ,§ 822
keine Herausgabe von Veräußerungsgewinn (außer bei § 816 I 1)
Herausgabe gezogener Nutzungen, soweit noch im Vermögen, § 818 I, III
Abzug von Aufwendungen, die mit der Bereicherung kausal zusammenhängen.
b) Ausschlußtatbestand, § 818 III
-
Grundsatz: keine Vermögensminderung bei dem gutgläubigen Bereicherten,
die über die Bereicherung hinaus geht,
Entreicherung durch Luxusauf wendungen !!!
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Ab Klageerhebung oder bei Bösgläubigkeit verschärfte Haftung
nach §§ 818 IV, 819, 291, 989 BGB:
- statt der Begrenzung auf die fortbestehende Bereicherung (§ 818 III) gilt:
- bei Geld- oder Gattungsschuld uneingeschränkte Haftung nach § 279
- im übrigen Haftung für verschuldete Verschlechterung oder Unmöglichkeit (§§
292, 989)
- bei Verzug auch Haftung für zufälligen Untergang (§ 287)
- für Geldschuld müssen Zinsen gezahlt werden (§ 291)
- schuldhaft nicht gezogene Nutzungen sind zu ersetzen (§§ 292, 987 II)
- nur notwendige Ausgaben sind anrechnungsfähig (§§ 292, 994 II, 683, 670,
995)
II.
Sicherungsrechte
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1. Eigentumsvorbehalt, Sicherungsübereignung und Sicherungsabtretung
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Fall 12: Aussteiger A möchte sein Grundstück, sein Haus und seinen Mercedes an
B verkaufen. Der Kauf soll unter „Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises“ erfolgen. Was bedeutet eigentlich „Eigentumsvorbehalt“
und ist dieser im konkreten Fall möglich?
Eigentumsvorbehalt: Hier ist zwischen der schuldrechtlichen und der sachenrechtlichen Seite zu unterscheiden (vgl. § 455 BGB). Schuldrechtlich wird ein
normaler Kaufvertrag geschlossen, allerdings im Zweifel verbunden mit einem
vertraglichen Rücktrittsrecht, § 346 BGB. Sachenrechtlich stellt sich der Eigentumsvorbehalt als Übereignung dar, die unter der aufschiebenden Bedingung der
vollständigen Kaufpreiszahlung steht (§§ 929, 158 Abs. 1 BGB).
Die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts beim Verkauf des Mercedes ist ohne
weiteres möglich. Da der Eigentumsvorbehalt sachenrechtlich eine aufschiebend
bedingte Übereignung darstellt, ist dieser nach § 925 Abs. 2 BGB bei Grundstücken nicht zulässig. Das gleiche gilt nach §§ 93, 94 Abs. 1 BGB auch für das Gebäude als wesentlicher Bestandteil des Grundstücks.
Der Eigentumsvorbehalt
I. Begriff:
Besondere Abrede beim Kaufvertrag über bewegliche Sachen, durch die sich der
Verkäufer das Eigentum an der verkauften Sache bis zur vollständigen Bezahlung
des Kaufpreises vorbehält. E. bedeutet, daß das Eigentum unter der aufschiebenden Bedingung, § 158 BGB, der vollständigen Zahlung des Kaufpreises übertragen wird und daß der Verkäufer zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt sein soll,
wenn der Käufer mit der Zahlung in Verzug kommt (§ 455 BGB).
II. Entstehung:
Der Eigentumsvorbehalt setzt nicht notwendig einen Vertrag voraus; es genügt
auch die bei der Übergabe der Ware abgegebene (sogar die vertragswidrige) einseitige Erklärung des Verkäufers, daß er sich das Eigentum vorbehalte; damit liegt
keine Einigung über den Eigentumsübergang nach § 929 BGB vor; der Eigentumsvorbehalt kann daher auch noch wirksam durch einen Vermerk auf der Faktura (Rechnung) erklärt werden, wenn diese gleichzeitig mit der Ware oder vor der
Ware beim Käufer eingeht. Ein Besitzkonstitut ist zur Gültigkeit des Eigentumsvorbehaltes nicht erforderlich.
III.
Folgen:
1.Veräußert der Käufer die gekaufte Sache an einen gutgläubigen Dritten, so geht
i. d. R. das Eigentum des Verkäufers unter (gutgläubiger Erwerb), ebenso wenn
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der Käufer die gekaufte Sache verarbeitet (Verarbeitung). Um sich in diesen Fällen zu sichern, ist die Vereinbarung des verlängerten Eigentumsvorbehalts üblich
und zweckmäßig; vgl. auch erweiterter Eigentumsvorbehalt, weitergeleiteter Eigentumsvorbehalt.
2. Ist dem Käufer die Weiterveräußerung nicht gestattet, so kann er sich bei Zuwiderhandlung einer Unterschlagung (§ 246 StGB) schuldig machen.
IV.
Anwartschaftsrecht:
1. Durch den Kauf unter E. erlangt der Käufer aufschiebend bedingtes Eigentum,
das mit Bedingungseintritt voll auf ihn übergeht, ohne daß es weiterer Erklärungen
des Verkäufers bedarf und ohne daß dieser noch den Willen zu haben braucht, das
Eigentum auf den Käufer zu übertragen. Diese Anwartschaft auf den Erwerb des
Volleigentums ist ein Recht des Käufers, über das er verfügen kann, insbes. durch
Übertragung oder Verpfändung. Die Übertragung erfolgt nach den für die Übertragung des Eigentums selbst geltenden Vorschriften (Übereignung), ein gutgläubiger Erwerb ist möglich.
2. Der Verkäufer als auflösend bedingter Eigentümer braucht der Übertragung des
Anwartschaftsrechts nicht zuzustimmen. Der Erwerber des Anwartschaftsrechts
wird mit Bedingungseintritt unmittelbar Eigentümer der Sache, ohne daß das Eigentum erst in der Person des Vorbehaltskäufers entstünde und dann erst auf ihn
überginge. Es findet also kein Durchgangserwerb statt, so daß z. B. Pfändungen
des Anwartschaftsrechts, die nach seiner Übertragung ausgebracht wurden, bei
Bedingungseintritt dem Erwerber gegenüber unwirksam sind. Das Anwartschaftsrecht ist pfändbar und muß bei Ableistung der eidesstattlichen Versicherung angegeben werden.
Fall 13: Alfred verkauft an Bruno unter Eigentumsvorbehalt eine Betonmischmaschine und übergibt ihm die Maschine. Da Claus 2 Wochen später eine höhere
Summe bietet, verkauft und übereignet Alfred die Maschine gegen Barzahlung an
ihn; dabei wird die eigentlich nach § 929 BGB notwendige Übergabe (§ 854 BGB)
ersetzt durch die Abtretung ( § 398 BGB) des Herausgabeanspruchs, den A als
Eigentümer gegn B als Besitzer hat.. Daraufhin verlangt Claus die Maschine von
Bruno heraus. Dieser überweist die letzte Kaufpreisrate an Alfred und verweigert
die Herausgabe.
Herausgabeanspruch nach § 985 BGB: C müßte Eigentümer der Betonmischmaschine geworden sein. Hier haben sich A und C über den Eigentumsübergang
geeinigt. Sie haben ein Übergabesurrogat nach § 931 BGB vereinbart, das anstelle
der Übergabe nach "§ 854 BGB tritt.. Außerdem ist A als Eigentümer Verfügungsberechtigter. C ist demnach zunächst Eigentümer geworden. Mit Bezahlung
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der letzten Kaufpreisrate ist jedoch die aufschiebende Bedingung für den Eigentumserwerb des B mit Rückwirkung, § 159 BGB, erfüllt worden. Mit Eintritt der
Bedingung wird der Eigentumserwerb des C wieder unwirksam nach § 161 Abs. 1
BGB. B ist deshalb anstelle des C Eigentümer geworden, dessen Eigentumsstellung entfällt. Ein Herausgabeanspruch des C gegen B scheidet aus.
Das Recht des B auf Erwerb des Eigentums war demnach stärker als das Eigentumsrecht des C. Dieses Recht des B, das sich aus dem Eigentumsvorbehalt ergibt,
nennt man Anwartschaftsrecht.
Definition
Von dem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechts sind schon
so viele Erfordernisse erfüllt, daß von einer gesicherten Rechtsposition
des Erwerbers gesprochen werden kann ("Das Anwartschaftsrecht als
Vorstufe zum Vollrecht"). Das Anwartschaftsrecht ist ein dem Volleigentum wesensähnliches Recht, eine selbständig verkehrsfähige Vorstufe des Grundeigentums, deren Entwicklung zum Vollrecht nur noch von
dem Eintritt der Bedingung abhängt, die der Veräußerer grundsätzlich
nicht mehr verhindern kann (BGHZ 83, 395, 399). Für die Haftung im
deliktischen Bereich ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes als ein "sonstiges Recht" im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB
anerkannt
Fall 14: Der Importeur I verkauft an den Großhändler G unter Eigentumsvorbehalt
50 Fernseher. G übergibt dem Einzelhändler E die Fernseher und einigt sich mit
diesem, daß das Anwartschaftsrecht an den Fernsehern auf E übergehen soll. Wer
wird nach Bezahlung der letzten Kaufpreisrate an I Eigentümer an den Fernsehern?
Zweiterwerb des Anwartschaftsrechts: Wenn E das Anwartschaftsrecht an den
Fernsehern erworben hätte, wäre er mit Bezahlung der letzten Kaufpreisrate Eigentümer geworden. Zunächst erwarb G als Eigentumsvorbehaltskäufer aufschiebend bedingtes Eigentum an den Fernsehern und somit das Anwartschaftsrecht
(Ersterwerb). Da dieses Anwartschaftsrecht die Vorstufe zum Eigentum darstellt,
ist nach herrschender Meinung eine Übertragung des Anwartschaftsrechts nach §§
929 ff. BGB analog und unter folgenden Voraussetzungen möglich (Zweiterwerb).
Schema:
29
• Einigung über den Übergang des Anwartschaftsrechts
• Übergabe der Sache oder Übergabesurrogat
• Verfügungsberechtigung, d.h. der Veräußerer muß Inhaber des Anwartschaftsrechts sein.
Hier war G Inhaber des Anwartschaftsrechts, hat die Sache übergeben und sich
mit E über den Übergang des Anwartschaftsrechts geeinigt. E ist also Inhaber des
Anwartschaftsrechts und mit Bezahlung der letzten Kaufpreisrate Eigentümer geworden.
Fall 15: wie oben, nur gibt sich G gegenüber E als Eigentümer der Fernseher aus
und verkauft sie dem E unter Eigentumsvorbehalt. E bezahlt kurze Zeit später seine letzte Kaufpreisrate an G. G, der mittlerweile in Konkurs geraten ist, hat aber
noch Kaufpreisraten bei I ausstehen. Wer ist Eigentümer der Fernseher?
1. Ersterwerb des Anwartschaftsrechts nach §§ 929, 158 Abs. 1 BGB: E könnte nach §§ 929, 158 Abs. 1 BGB ein Anwartschaftsrecht von G erworben haben,
das mit Zahlung der letzten Kaufpreisrate an G zum Eigentum erstarkt. Hier haben
sich E und G über den (aufschiebend bedingten) Eigentumsübergang geeinigt und
auch die Fernseher übergeben. G war aber zum Zeitpunkt der Einigung nicht Eigentümer der Fernseher. Ein (aufschiebend bedingter) Eigentumserwerb nach §
929 BGB scheidet deshalb aus.
2. Gutgläubiger Ersterwerb des Anwartschaftsrechts nach §§ 932, 158 Abs. 1
BGB: E könnte allenfalls gutgläubig das Anwartschaftsrecht nach §§ 932, 158
Abs. 1 BGB erworben haben. Der gutgläubige Erwerb des Anwartschaftsrechts
richtet wie der gutgläubige Erwerb des Eigentums nach § 932 ff. BGB. Hier fehlte
aber der gute Glaube des E nach § 932 Abs. 2 BGB. Da beim Verkauf neuer Sachen in Geschäftskreisen ein Eigentumsvorbehalt üblich ist, durfte E nicht automatisch darauf vertrauen, daß G bereits Volleigentum erworben hat. E hätte sich
deshalb Quittungen des G vorlegen lassen müssen. Da er seiner Nachforschungspflicht nicht nachgekommen ist, hat er grob fahrlässig im Sinne des § 932 Abs. 2
BGB gehandelt.
3. Zweiterwerb des Anwartschaftsrechts: G ist aber selbst als Eigentumsvorbehaltskäufer Inhaber des Anwartschaftsrechts, das E erworben haben könnte
(Zweiterwerb). In der Einigung über den Eigentumsübergang ist als rechtliches
Minus auch die Einigung über den Übergang des Anwartschaftsrechts des G enthalten. E hat demnach von G dessen Anwartschaftsrecht nach § 929 BGB erlangt.
30
Dieses erstarkt aber erst zum Vollrecht, wenn die letzte Kaufpreisrate an I überwiesen ist. I ist deshalb immer noch Eigentümer der Fernseher.
Fall 16: Knapp möchte von der Bank B ein Darlehen. Für die Auszahlung des
Darlehens verlangt die Bank allerdings zur Sicherheit eine Übereignung von
Knapps Wagen. Knapp möchte seinen Wagen aber gerne weiter benutzen. Wie
kann beiden Interessen Rechnung getragen werden?
Hier kommt eine Sicherungsübereignung nach §§ 929, 930 BGB (Besitzkonstitut) in Betracht. B wird rechtlicher Voll - Eigentümer und mittelbarer Besitzer der
Sache (§ 868 BGB), hat also eine ausreichende Sicherheit für die Darlehensforderung. Kapp dagegen bleibt unmittelbarer Besitzer der Sache, § 854 BGB, und
kann diese weiter benutzen; das Besitzkonstitut ist also eine Leihe. K besitzt den
Wagen auch für die Bank, wie ein Entleiher; er muß also pfleglich mit dem Wagen umgehen; da er aber nicht Eigentümer ist, darf er den Wagen nicht veräußern
( was ohne Papiere, die sich die Bank geben lassen wird, ohnehin schwer sein
wird. )
31
Die Sicherungsübereignung
Bank
(Gläubiger)
Kreditnehmer
Darlehensvertrag
§ 607 BGB
=
=
Sicherungsnehmer
(Schuldner)
und
Sicherungsgeber
SicherungsübereignungsVertrag
§§ 137, 305 BGB
Kreditausreichung
und
Sicherungsübereignung,
§§ 929, 930 BGB
des Sicherungsgutes durch
Besitzkonstitut,
§ 868 BGB,
ohne Besitzübergabe
wird
( treuhänderisch,
nur schuldrechtlich im Innenverhältnis beschränkt gem. §
137 BGB ) Eigentümer des Sicherungsgutes
§§ 158, 929 BGB
bleibt Besitzer
( und Nutzer ) des
Sicherungsgutes
§ 854 BGB
32
Zwei Fälle der Sicherungsübereignung: Die beiden Parteien können vereinbaren, daß nach Erfüllung der zu sichernden Forderung (hier Zahlung der letzten
Darlehensrate) der Sicherungsnehmer verpflichtet ist, das Eigentum wieder an den
Sicherungsgeber rückzuübereignen. Beide Parteien können aber die Sicherungsübereignung auch unter der auflösenden Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB) der vollständigen Bezahlung vereinbaren. Im letzteren Fall wird der Sicherungsgeber automatisch wieder Eigentümer der Sachen, ohne daß eine Handlung des Sicherungsnehmers erforderlich wäre.
Fall 17: Der Unternehmer U bietet der Bank B an, zur Sicherheit für ein Darlehen
sämtliche Produkte irgendeines Regals seines Warenlagers zu übereignen.
Hier kommt eine Übereignung nach §§ 929, 930 BGB in Betracht. Für die Übereignung gilt aber der sogenannte Bestimmtheitsgrundsatz. Danach müssen die
Gegenstände der Übereignung so bestimmt bezeichnet sein, daß für die Vertragspartner eindeutig erkennbar ist, welche Gegenstände von der Übereignung umfaßt
sein sollen. Da es hier im Warenlager des U mehrere Regale gibt, ist die Übereignung zu unbestimmt und deshalb unwirksam.
Fall 18: U vereinbart mit seiner Bank B eine Sicherungsübereignung aller Gegenstände, die sich gegenwärtig in seinem Warenlager befinden und zukünftig
noch dazukommen. Ist eine solche Sicherungsübereignung wirksam?
Bestimmtheitsgrundsatz: Die Sicherungsübereignung ist bestimmt genug, da
eindeutig zu erkennen ist, welche Gegenstände sich im Warenlager befinden und
demzufolge von der Übereignung betroffen sind. Unschädlich ist, daß die Übereignung sich auf Gegenstände bezieht, die zum Zeitpunkt der Einigung noch gar
nicht Eigentum des U sind (sog. vorweggenommenes Besitzkonstitut).
Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB: Bei der Sicherungsübereignung ist
aber stets noch eine Sittenwidrigkeitsprüfung durchzuführen. Sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB ist, was gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Eine Sicherungsübereignung ist insbesondere sittenwidrig in den Fällen der
• Übersicherung: Der Wert der sicherungsübereigneten Gegenstände darf den
Wert der zu sichernden Forderung nicht übermäßig übersteigen. Insbesondere
bei der Sicherungsübereigung von Warenlagern mit wechselndem Bestand ist
33
deshalb eine ausdrückliche „Freigabeklausel“ im Vertrag für den Fall der Übersicherung erforderlich.
• Schuldnerknebelung: Der Unternehmer darf seine wirtschaftliche Freiheit
nicht verlieren. Deshalb ist eine Vertragsklausel erforderlich, die es dem Unternehmer ausdrücklich gestattet, über die sicherungsübereigneten Waren im
eigenen Namen zu verfügen, um seinen Geschäftsbetrieb aufrecht halten zu
können.
Mangels entsprechender Klauseln ist die Sicherungsübereignung im vorliegenden
Fall sittenwidrig.
Fall 19: Der Schokoladenhersteller Schoki tritt seine Forderungen aus dem Verkauf von Schokolade zur Sicherheit am 1.2. an seinen Nußlieferanten N und am
1.3. an seinen Kakaolieferanten K ab.
Die Sicherungsabtretung ist das typische Sicherungsmittel der Warenkreditgeber.
Diese liefern normalerweise Waren unter Eigentumsvorbehalt. Da der Hersteller
durch Verarbeitung nach § 950 BGB Eigentum erwirbt, geht dieser Eigentumsvorbehalt unter. Deshalb lassen sich die Warenkreditgeber zusätzlich noch die
Forderungen aus dem Verkauf dieser Waren zur Sicherheit abtreten (verlängerter
Eigentumsvorbehalt). Hier gilt grundsätzlich das sogenannte Prioritätsprinzip:
Da S zuerst an N die Forderungen abgetreten hat, erwirbt dieser die Forderungen.
Die Abtretung an K ist dagegen unwirksam, da S bereits die Verfügungsbefugnis
über die Forderungen verloren hat.
2. Bürgschaft
Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande;
ihn schlugen die Häscher in Bande.
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"Was wolltest Du mit dem Dolche, sprich!"
entgegnet ihm finster der Wüterich.
"Die Stadt vom Tyrannen befreien!"
"Das sollst Du am Kreuze bereuen."
"Ich bin", spricht jener, "zum Sterben bereit
und bitte nicht um mein Leben:
Doch willst du Gnade mir geben,
Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
ihn magst du, entrinn ich, erwürgen."
Da lächelt der König mit arger List
und spricht nach kurzem Bedenken:
"Drei Tage will ich Dir schenken;
doch wisse: wenn sie verstrichen die Frist,
eh' du zurück mir gegeben bist,
so muß er statt deiner erblassen,
doch dir ist die Strafe erlassen."
Die Bürgschaft ist ein akzessorisches Sicherungsmittel, mit dem sich der Bürge
gegenüber dem Gläubiger eines Dritten (= Hauptschuldner) verpflichtet, für die
Erfüllung der Verbindlichkeit dieses Dritten einzustehen.
1. Entstehung der Bürgschaft
a. Bürgschaftsvertrag
Der Bürgschaftsvertrag ist die Sicherungsabrede, die die primäre Schuldverpflich-
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tung des Bürgen begründet. Neben der Hauptverbindlichkeit entsteht somit eine
eigene Verbindlichkeit, die der Bürge gegenüber dem Schuldner zu erfüllen hat.
Zu beachten ist, daß der Bürgschaftsvertrag alle essentialia negotii enthalten muß.
Ist die Erklärung auslegungsbedürftig, so ist die Andeutungstheorie der Rechtsprechung zu beachten, die auch Tatsachen außerhalb der Erklärung mit heranzieht, soweit sie in der Erklärung irgendeinen Niederschlag gefunden haben.
Bisher war es auch möglich, daß der Bürgschaftsvertrag noch nicht alle Angaben
enthält (z.B. Person des Gläubigers oder Forderungshöhe), die der Schuldner dann
abredegemäß ausfüllen sollte. Die frühere h.M. nahm zu diesem Zweck eine Ausfüllungsbefugnis an: Bürge wurde auch dann verpflichtet, wenn der Ausfüllungsbefugte seine Befugnis überschritt.
Nach neuester Rechtsprechung wird aus einer Blankourkunde jedoch keine formgültige Bürgschaft mehr, da die Warnfunktion umgangen würde. Eine Frau sollte
eine Bürgschaft für ihren mit 150.000 DM verschuldeten Ehemann abgeben. Die
Bankangestellte legte ihr ein Formular einer Bürgschaftserklärung vor. Die Frau
unterschrieb das Schriftstück blanko. Die genauen Daten insbesondere die Bürgschaftssumme sollte die Bankangestellte später eintragen, was diese auch tat. Als
der Ehemann seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkam, nahm die
Bank die Ehefrau als Bürge in Anspruch.
Zur Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages ist eine schriftliche Bürgschaftserklärung
erforderlich (§ 766 BGB). Die Schriftform hielt das Oberlandesgericht Nürnberg
in diesem Fall nicht für gewahrt. Die wesentlichen Angaben über Gläubiger,
Hauptschuldner, die zu sichernden Verbindlichkeiten und die Höhe des Betrages
waren zum Zeitpunkt der Unterschrift nicht schriftlich niedergelegt. Die mündliche Absprache hinsichtlich des nachträglichen Ausfüllens der Bürgschaftsurkunde
reichte nicht aus. Das Gericht wies die Klage der Bank gegen die Ehefrau ab.
Urteil des OLG Nürnberg, 5 U 992/96
Anders ist dann zu entscheiden, wenn die Ausfüllungsbefugnis schriftlich erteilt
wurde. Der "Bürge" haftet aber nach § 172 II analog für das abredewidrig ausgefüllte Blankett, sofern der andere Teil gutgläubig ist.
b. Schriftform
Grundsätzlich ist für die Bürgschaftserklärung nach § 766 die Schriftform vorgesehen. Das Schriftformerfordernis hat den Zweck, den Bürgen vor Übereilung zu
schützen. Insofern gilt die Formvorschrift nur für die Erklärung, nicht aber für
deren Annahme.
Eine Ausnahme besteht nach §§ 350f. HGB bei Bürgschaftserklärungen von
Kaufleuten, da diese weniger schutzbedürftig sind, jedenfalls, soweit sie die Bürgschaft in Ausübung ihres Handelsgeschäfts ausüben, da sie solche Geschäfte wohl
routinemäßig ausüben.
Zu beachten ist, das die mangelnde Schriftform durch Zahlung des Bürgen bei
Eintritt des Sicherungsfalls nach § 766 S.2 BGB geheilt wird.
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c. Gesicherte Forderung
Die Bürgschaft ist streng akzessorisch und damit in ihrem Bestand von der zu
sichernden Forderung abhängig. Die Forderung kann dabei auch eine zukünftige
sein, soweit sie zumindest bestimmbar ist.
Ändert sich die Forderungshöhe im Laufe der Zeit, so wirken sich Änderungen
nur zugunsten des Bürgen aus. Ausnahme davon sind nicht rechtsgeschäftliche
Änderungen der Forderung (Verzug, Verschulden). Im Zweifel umfaßt die Bürgschaft auch die Zinsen der gesicherten Forderung.
Erlischt die gesicherte Forderung, so wird der Bürge automatisch frei (Zahlungen
des Bürgen in Unkenntnis des Erlöschens sind ohne Rechtsgrund § 767 BGB).
2. Übertragung der Forderung/Bürgschaft auf Dritte
Wird die gesicherte Forderung auf einen Dritten übertragen, so erhält dieser gem.
§ 401 BGB auch die sichernde Bürgschaft. Ein gutgläubiger Erwerb der Bürgschaft ist nicht möglich. Ebensowenig ist ein gutgläubiger einredefreier Erwerb
möglich ( § 404 BGB).
3. Geltendmachung von Einwendungen des Schuldners durch den Bürgen
Nach § 768 BGB kann der Bürge die Einreden des Schuldners gegenüber dem
Gläubiger geltend machen. § 770 BGB gibt dem Bürgen ein Leistungsverweigerungsrecht, solange wie der Schuldner die Hauptverbindlichkeit anfechten könnte
(- ein eigenständiges Anfechtungsrecht des Bürgen ist nicht möglich, da er gerade
nicht Vertragspartner der Hauptverbindlichkeit ist). § 770 BGB wird analog auf
die anderen Gestaltungsrechte des Schuldners angewendet (z.B. Wandlung, Minderung).
4. Rückgriff
Befriedigt der Bürge den Gläubiger, so geht nach § 774 BGB die Forderung des
Gläubigers gegen den Schuldner in der Höhe auf den Bürgen über, in der er den
Gläubiger befriedigt hat. Die Forderung erlischt nicht, weil der Bürge nicht auf die
Forderung leistet, sondern auf seine eigene Verpflichtung aus dem Bürgschaftsvertrag. Neben der Forderung kann der Bürge auch noch aus der Sicherungsabrede
selbst Rückgriff nehmen meistens Auftrag: § 670 BGB.
Grund dafür, daß zusätzlich zu dem Aufwendungsersatz aus der Sicherungsabrede
noch die persönliche Forderung übergeht, ist, daß mit der Forderung auch die akzessorischen Sicherungsrechte mit übergehen (§ 774 I 1 BGB), damit zwischen
den Sicherungsgebern ein Gesamtschuldverhältnis entsteht (§ 774 II BGB).
37
Bei den nicht akzessorischen Sicherungsrechten (z.B. Eigentumsvorbehalt) nimmt
man an, daß der Gläubiger aus dem Bürgschaftsvertrag die Pflicht hat, sie dem
Bürgen zu übereignen (außer ausdrückliche gegenteilige Abrede).
In diesem Zusammenhang ist auch § 776 BGB zu sehen, der den Bürgen davor
schützt, an den Gläubiger leisten zu müssen, obwohl dieser eine parallele Sicherheit aufgegeben hat (nur vorsätzliches Handeln) analoge Anwendung bei nicht
akzessorischen Sicherungsmitteln. § 766 BGB ist allerdings dispositiv (auch durch
AGB).
Zahlt ein Sicherungsgeber so entsteht ein Gesamtschuldverhältnis unter den Sicherungsgebern ( Wettlauf der Sicherungsgeber soll vermieden werden). Aus diesem
Grund kann ein zahlender Bürge zuviel Gezahltes nach §§ 812ff. BGB vom Gläubiger zurückfordern.
Ein zahlender Mitbürge kann die anderen auch schon dann in Anspruch nehmen,
wenn er nur einen Teil der Bürgschaftsverpflichtung erfüllt hat Mitbürgen: wenn
Sicherungsgeber unabhängig voneinander sichern.
Fall 20: Loosy verliert beim Schafkopfen 200 DM. Da er nicht zahlen kann, verbürgt sich sein Freund Charly. Kann der Gläubiger Zinker (Z) von L oder von C
das Geld verlangen?
Spielschuld als Ehrenschuld: Durch Spiel oder Wette wird eine Verbindlichkeit
nicht begründet (§ 762 Abs. 1 Satz 1 BGB). Von L kann Z daher die 200 DM
nicht verlangen.
Bürgschaft akzessorisch: Auch C muß nicht zahlen, da der Bürge nur für die
Verbindlichkeit eines Dritten einzustehen hat (§ 765 Abs. 1 BGB). Wenn – wie
hier – keine Verbindlichkeit des Hauptschuldners besteht, muß der Bürge nicht
zahlen, da die Bürgschaft akzessorisch ist. Sie ist also von dem Bestehen der
Hauptschuld abhängig. Auch die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden (wie
z.B. Stundung und Verjährung) kann der Bürge geltend machen (§ 768 Abs. 1
Satz 1 BGB). Der Bürge verliert seine Einrede nicht dadurch, daß der Hauptschuldner auf sie verzichtet (§ 768 Abs. 2 BGB).
Fall 21: Bürge B verbürgt sich selbstschuldnerisch. Was bedeutet das?
Bei selbstschuldnerischer Bürgschaft direkter Zugriff auf den Bürgen: Der
Bürge kann die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange nicht der Gläu-
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biger eine Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner ohne Erfolg versucht
hat (Einrede der Vorausklage), § 771 BGB. Die Einrede der Vorausklage ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Bürge auf die Einrede verzichtet, insbesondere
wenn er sich als Selbstschuldner verbürgt (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Der Gläubiger kann sich nach seiner Wahl entweder an den Schuldner oder an B halten.
Fall 22: In vorstehendem Fall hat der Bürge den Gläubiger befriedigt. Kann er
beim Schuldner Rückgriff nehmen?
Gesetzlicher Forderungsübergang auf Bürgen: Soweit der Bürge den Gläubiger
befriedigt, geht die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auf ihn
über (§ 774 Abs. 1 Satz 1 BGB). Wenn sich der Bürge aufgrund eines Auftrags
des Schuldners verbürgt hat, ergibt sich zusätzlich eine Ersatzpflicht aus § 670
BGB.
3. Pfandrecht
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Fall 23: Sepp schuldet Gustav 500 DM aus einem Kaufvertrag. Da S nicht zahlen
kann, verpfändet Veronika für diese Schuld einen Ring im Wert von 2.000 DM,
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den ihr S geschenkt hat. Wann wird die Pfändung wirksam? Was kann G tun,
wenn S nicht zahlt? Wie ist die Rechtslage, wenn V die Schuld begleicht? Wem
gehört der Erlös aus dem Pfand, wenn V die Schuld nicht begleicht und bei der
Pfandverwertung ein Erlös von 1.000 DM erzielt wird?
Pfandrecht
Ist ein zur Sicherung einer Forderung bestelltes dingliches Recht. Dem Pfandgläubiger wird dabei die Befugnis eingeräumt, sich durch Verwertung des Pfandes aus
dem Erlös zu befriedigen.
Das Pfandrecht begründet keine Schuld, sondern nur eine Haftung.
Neben den Grundpfandrechten unterscheidet man beim Pfandrecht an beweglichen Sachen und Rechten zwischen dem vertraglichen Pfandrecht und dem gesetzlichen Pfandrecht. Das gesetzliche Pfandrecht ist z.B. das Vermieterpfandrecht( §
559 BGB ) oder das Unternehmerpfandrecht ( § 647 BGB ). Beim vertraglichen
(oder auch rechtsgeschäftlichen) Pfandrecht wird eine bewegliche Sache (§ 1204
BGB) oder ein Recht (§ 1273 BGB) zur Sicherung einer Forderung derart belastet,
daß der Gläubiger berechtigt sein soll, die Befriedigung aus der Sache zu suchen.
Für die Bestellung eines Pfandrechts ist es erforderlich, daß der Eigentümer dem
Gläubiger die Sache/das Recht übergibt und beide darüber einig sind, daß dem
Gläubiger das Pfandrecht zustehen soll (§§ 1205, 1274 BGB). Diese unmittelbare
Übergabe des Pfandes (Faustpfandes) hat natürlich den Nachteil, daß der Schuldner nicht mehr über den Sicherungsgegenstand verfügen kann. In der Praxis hat
sich deshalb weitgehend die Sicherungsübereignung durchgesetzt.
Das Pfandrecht ist von der bestehenden Forderung abhängig, also akzessorisch,
d.h. von der Hauptforderung abhängig bzw. an ihren Bestand angelehnt.
Sobald die Forderung des Gläubigers fällig ist (sog. Pfandreife), ist der Gläubiger
durch den Pfandverkauf zur Befriedigung berechtigt (§ 1228 BGB). Der Pfandverkauf erfolgt durch eine öffentliche Versteigerung (§ 1235 BGB). Das Pfandrecht endet mit dem Erlöschen der gesicherten Forderung (§ 1252 BGB) oder
durch die Rückgabe des Pfandes an den Eigentümer (§ 1253 BGB). Im einzelnen:
Faustpfandrecht: Eine bewegliche Sache kann zur Sicherung einer Forderung in
der Weise belastet werden, daß der Gläubiger berechtigt ist, Befriedigung aus der
Sache zu suchen (§ 1204 Abs. 1 BGB). Das Pfandrecht ist also ein akzessorisches
Recht. Zur Bestellung sind Einigung und Übergabe der Sache erforderlich (§ 1205
Abs. 1 Satz 1 BGB).
Pfandverwertung: Wenn G das Pfand verwerten will, muß er der V gegenüber
den Verkauf vorher androhen und den Geldbetrag bezeichnen, den er haben will
(§ 1234 Abs. 1 Satz 1 BGB). Hierbei ist die Monatsfrist des § 1234 Abs. 2 BGB
zu beachten. Hat das Pfand einen Börsen- oder Marktpreis, so richtet sich die
Verwertung nach § 1221 BGB (§ 1235 Abs. 2 BGB). In den anderen Fällen ist
eine öffentliche Versteigerung durchzuführen (§§ 1235 Abs. 1, 383 Abs. 3, 1236
ff. BGB).
41
Forderungsübergang bei Begleichung der Schuld durch V: Wenn V die
Schuld bezahlt, geht die Forderung des G gegen S auf V über (§ 1225 BGB). Somit gehen auch alle evtl. noch bestehenden Sicherungsrechte auf V über (§§ 412,
1250 Abs. 1 BGB), z.B. auch weitere Pfandrechte an anderen Gegenständen. Das
Pfandrecht am Ring erlischt (Konsolidation; § 1256 Abs. 1 Satz 1 BGB). G muß
den Ring zurückgeben (§ 1223 Abs. 1 BGB).
Erlös aus dem Pfand: In Höhe der Forderung wird G Eigentümer des Geldes.
Wenn der Erlös die Forderung übersteigt, tritt der Erlös an die Stelle des Pfandes
(§ 1247 BGB). V wird also Eigentümerin des Mehrerlöses. Die Kaufpreisforderung gegen S und damit auch das Pfandrecht gehen auf V über (§ 1225 BGB analog, da es sich nicht um eine Zahlung der V, sondern um eine Pfandverwertung
handelt). Das Pfandrecht erlischt (§ 1256 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Fall 24: Phil möchte seine Briefmarkensammlung verkaufen. Er übergibt sie seinem Freund F, der Kaufinteresse bekundet hat, zur Ansicht. F verpfändet die
Sammlung aber der Gabi, der er 2.000 DM schuldet.
Gutgläubiger Erwerb des Pfandrechts: Der gutgläubige Erwerb richtet sich
nach den §§ 1207; 932, 934, 935 BGB analog. Wenn G gutgläubig hinsichtlich
des Eigentums des F ist, erwirbt sie das Pfandrecht, da die Sammlung dem P nicht
abhanden gekommen ist.
Fall 25: Michael verpfändet sein Kfz dem Gerd (G 1), dem er 20.000 DM schuldet. Da ihn noch ein weiterer Gläubiger (G 2), dem er 10.000 DM schuldet, bedrängt, nimmt er G 1 das Auto weg und verpfändet es dem G 2. Wer erhält den
Versteigerungserlös, wenn nur 15.000 DM erzielt werden?
Grundsätzlich Zeit der Bestellung maßgebend: Da dem M das Kfz gehört, stellt
sich nicht die Frage nach dem gutgläubigen Erwerb des Pfandrechts. Durch die
Wegnahme erlischt das Pfandrecht nicht, da der Pfandgläubiger das Pfand nicht
zurückgegeben hat (vgl. § 1253 Abs. 1 Satz 1 BGB). Damit sind sowohl G 1 als
auch G 2 Pfandgläubiger. Der Rang des Pfandrechts richtet sich grundsätzlich
nach der Zeit der Bestellung (§ 1209 BGB), so daß das Pfandrecht des G 1 vorrangig ist.
Ausnahmsweise gutgläubiger Erwerb des Vorrangs: Der Vorrang des Pfandrechts kann auch gutgläubig erworben werden. Da aber M dem G 1 das Kfz weggenommen hat, scheitert der gutgläubige Erwerb des Vorrangs (§ 935 BGB).
Fall 26: Simon verpfändet dem G 1 sein Kfz wegen einer Darlehensschuld. Nachdem S dem G 1 mitgeteilt hatte, daß er diesen Betrag überwiesen hat, gibt G 1 das
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Pfand frei. Tatsächlich hat S den Betrag nicht überwiesen. S verpfändet das Kfz an
G 2, der den Sachverhalt kennt.
Erlöschen des Pfandrechts mit Rückgabe: Das Pfandrecht erlischt, wenn der
Pfandgläubiger das Pfand dem Verpfänder oder dem Eigentümer zurückgibt
(§ 1253 Abs. 1 Satz 1 BGB). Damit kann der Eigentümer S frei über den Gegenstand verfügen. Es besteht nur noch das Pfandrecht des G 2.
4. Hypothek
Fall 27: Der Schuldner Stefan bittet seinen Freund Franz, zugunsten seiner Gläubigerin Gabi eine Hypothek auf dem Grundstück des F zu bestellen. Nach Bestellen einer Buchhypothek zugunsten der G verzögert sich die Auszahlung des Darlehens an S. Ist G Hypothekengläubigerin geworden?
Die Hypothek ist ein Grundpfandrecht und stellt die Belastung eines Grundstücks
derart dar, daß im Zweifelsfall aus dem Grundstück an den Berechtigten eine
Geldsumme zur Befriedigung seiner Forderung zu zahlen ist, § 1113 BGB. Die
Hypothek ist akzessorisch. Der Bestand der Hypothek ist also vom Bestand der
Forderung abhängig. Deshalb können auch der Hypothekengläubiger und der
Gläubiger der Forderung niemals zwei verschiedene Personen sein. Der Hypothekengläubiger ist also stets identisch mit dem Forderungsgläubiger.
Begründet wird die Hypothek durch Einigung und Eintragung im Grundbuch §
873 BGB. Die Übertragung einer Hypothek ist nur dann möglich, wenn auch die
Forderung übertragen wird, § 1153 BGB: das folgt aus der Akzessorietät. Erlischt
die Forderung (z.B. durch Erfüllung), so geht die Hypothek auf den Eigentümer
des Grundstücks über, § 1163 BGB. Sie wird dann automatisch zu einer Eigentümerhypothek.
Man unterscheidet zwischen der Verkehrshypothek und der Gesamthypothek. Bei
der Gesamthypothek können für eine Forderung mehrere Hypotheken an verschiedenen Grundstücken bestellt werden. Jedes Grundstück haftet dann für die gesamte Forderung , § 1132 BGB.
Bei der Verkehrshypothek unterscheidet man weiter zwischen der Briefhypothek
und der Buchhypothek. Nach § 1116 BGB ist über die Hypothek ein Hypothekenbrief zu erteilen (Briefhypothek). Die Brieferteilung kann jedoch ausgeschlossen
werden , § 1116 II BGB. Zur Ausschließung ist die Einigung des Gläubigers und
des Eigentümers sowie die Eintragung in das Grundbuch erforderlich. Man spricht
in diesen Fällen von einer Buchhypothek.
Besondere Arten der Hypothek sind noch die Sicherungshypothek und die
Höchstbetragshypothek. Bei der Sicherungshypothek bestimmt sich das Recht des
Gläubigers nur nach der Forderung, § 1184 BGB. Um die Forderung geltend zu
machen, muß der Gläubiger die Forderung nachweisen und kann sich nicht auf die
Eintragung im Grundbuch berufen. Die Sicherungshypothek ist nur als Buchhypo-
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thek möglich. Der häufigste Anwendungsfall ist die Bauhandwerkerhypothek, §
648 BGB.
Vier Voraussetzungen für Hypothek: Es müssen folgende Voraussetzungen
erfüllt sein:
• Wirksame Forderung (Akzessorietät)
• Wirksame Einigung (§ 873 Abs. 1 BGB)
• Eintragung im Grundbuch (§ 873 Abs. 1 BGB)
• Übergabe des Hypothekenbriefs (§ 1117 BGB) bzw. Einigung und Eintragung,
daß der Hypothekenbrief ausgeschlossen sein soll (§ 1116 Abs. 2 BGB).
Bei fehlender Forderung Eigentümerhypothek: Ist die Forderung, für welche
die Hypothek bestellt ist, nicht zur Entstehung gelangt, so steht die Hypothek dem
Eigentümer zu (§ 1163 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Eigentümerhypothek wandelt
sich in eine Eigentümergrundschuld um (§ 1177 Abs. 1 Satz 1 BGB; zur Grundschuld vgl. §§ 1191 Abs. 1, 1192 Abs. 1 BGB).
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Teil B:
Mahnverfahren (§§ 688 - 703d ZPO)
Einleitung:
Erfüllt der Schuldner vertragliche oder gesetzliche Ansprüche nicht (freiwillig),
muß der Gläubiger die Verbindlichkeit zwangsweise beitreiben. Der Staat verfügt
allerdings über das Gewaltmonopol. Es umfaßt auch die Beitreibung von Forderungen. Der Gläubiger muß daher zunächst einen Vollstreckungstitel erwirken
(insoweit läßt der Staat Alternativen zu: z.B. Notarielle Vollstreckungsunterwerfung, Schiedsgerichtsentscheidung) und sodann diesen Vollstreckungstitel vollstrecken. Die Vollstreckung ist ausschließlich hoheitliche Aufgabe. Jede Form der
Gewaltanwendung außerhalb des staatlichen Vollstreckungsverfahrens ist verboten.
Was ist das gerichtliche Mahnverfahren?
Mit einem gerichtlichen Mahnbescheid kann einfach und schnell ein sogenannter
Titel erwirkt werden, mit dem gegen den Schuldner im Rahmen der Zwangsvollstreckung vorgegangen werden kann. Hiermit kann oft ein langwieriges und teures
Gerichtsverfahren ( Erkenntnis- oder Klageverfahrenverfahren, §§ 253 ff ZPO )
vermieden werden. Anders als bei gerichtlichen Auseinandersetzungen wird im
Mahnverfahren nicht geprüft, ob der geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht. Wer sich also gegen einen Mahn- oder Vollstreckungsbescheid nicht wehrt
und ihn unbeachtet läßt, geht ein hohes Risiko, nämlich die Zwangsvollstreckung,
ein, auch, wenn der Anspruch nicht besteht!
Der Schuldner wird vor Erlaß des Mahnbescheides auch nicht angehört. Er kann
jedoch Einwände gegen den Mahnbescheid erheben. Dies geschieht mit dem sogenannten Widerspruch, § 694 ZPO. Wird Widerspruch erhoben, so folgt die gerichtliche Klärung der Angelegenheit im Klage- oder Erkenntnisverfahren, in das
das Mahnverfahren dann überrgeht, §§ 696, 697 ZPO. Bei Erfolg des Verfahrens
erlangt der Gläubiger einen Rechtstitel, der 30 Jahre lang gültig ist, § 750 ZPO, §
794 I Nr. 4 ZPO, § 218 BGB.
Schaubild : Gerichtsorganisation
Schaubild : Mahnantrag / -bescheid / Widerspruch /
Vollstreckungsbescheid
Formale Voraussetzungen
Ein Mahnverfahren muß die Forderung nach einer bestimmten Geldsumme, unab-
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hängig von der Höhe, dem Streitwert, in inländischer Währung zum Gegenstand
haben, § 688 I ZPO. Andere Forderungen, wie beispielsweise ein Anspruch auf
eine Warenlieferung, kann nicht mittels Mahnverfahren geltend gemacht werden.
Weitere Voraussetzungen sind: Der Name und die Anschrift des Schuldners muß
bekannt sein. Die Nennung einer bloßen Etablissementbezeichnung ( Beispiel
“Sonnenstudio Sonnenschein”) reicht nicht aus, § 690 I Ziff. 1 ZPO.
Der Antrag auf Erlaß des Mahnbescheids muß schriftlich eingereicht werden. Den
entsprechende »Vordruck für den Mahn- und den Vollstreckungsbescheid« gibt es
im Schreibwarenhandel oder bei Amtsgericht. Der Antrag muss auf den Erlass
eines Mahnbescheides gerichtet sein und Folgendes enthalten gem. § 690 ZPO:
• die vollständige Bezeichnung der Parteien
• die Bezeichnung des Mahn(Amts-)gerichts
• die Bezeichnung des Anspruchs (z.B. aus Kaufvertrag vom...)
• die genaue Bezeichnung der verlangten Leistung, unterteilt in Haupt- und
Nebenforderungen (z.B. Kaufpreis und Verzugszinsen)
• die Erklärung, dass ein unbedingter, d.h. nicht von einer Gegenleistung
abhängiger und fälliger Anspruch besteht
• die Bezeichnung des Gerichts, das für ein eventuelles streitiges Verfahren
zuständig wäre
• die handschriftliche Unterzeichnung
Ist das Formular nicht vollständig und korrekt ausgefüllt, wird der Antrag zurückgewiesen, § 691 ZPO.
Zuständigkeiten
Zuständig für das Mahnverfahren ist das Amtsgericht ( unabhängig vom Streitwert
), bei dem der Gläubiger seinen Wohnsitz hat, § 689 ZPO; u.U. gibt es auch Sonderzuständigkeiten, die beachtet werden müssen ( z.B. dasArbeitsgericht oder
zentrales Mahngericht gem. § 689 III ZPO ). Erlassen wird der Mahnbescheid aber
nicht durch einen Richter am Amtsgericht, sondern durch den Rechtpfleger, § 20
Ziff. 1 RPflG.
Weiterhin ist bei Einreichung ein Gerichtskostenvorschuß zu entrichten. Die Bezahlung erfolgt in der Regel mit Kostenmarken, die beim Gericht erhältlich sind.
Ist der Vordruck richtig ausgefüllt (siehe § 691 ZPO ), erläßt das Amtsgericht einen Mahnbescheid, der dem Schuldner zugestellt wird. Darüber erhält der Gläubiger eine Mitteilung.
Widerspruch, § 694 ZPO
Innerhalb von 14 Tagen ( bzw. solange der VB nicht verfügt ist, § 694 ZPO ) kann
der Schuldner gegen den Mahnbescheid Widerspruch einlegen, § 692 I Ziff. 2
ZPO. Erfolgt dieser, wird der Gläubiger vom Gericht darüber verständigt, § 695
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ZPO. Wird der Widerspruch rechtzeitig erhoben und beantragt eine Partei dann
ein “streitiges Verfahren” (Prozeß), so geht der Rechtsstreit automatisch an das
zuständige Gericht, §§ 696, 697 ZPO.
Das Gerichts fordert den Gläubiger dann auf, binnen zwei Wochen eine Anspruchsbegründung einzureichen, die der Klageschrift entspricht, §§ 697 iVm 253
ZPO. Je nach Sachlage bestimmt das Gericht dann einen Verhandlungstermin
oder ordnet ein schriftliches Vorverfahren an. Von diesem Zeitpunkt an befindet
sich der Fall in einem echten Gerichtsprozeß in dem die Vorschriften der Zivilprozeßordnung gelten.
Vollstreckungsbescheid, § 699 ZPO
Legt der Antragsgegner nicht oder nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist Widerspruch ein, kann bei Gericht innerhalb eines halben Jahres seit Zustellung des
Mahnbescheides ein Vollstreckungsbescheid beantragt werden. Er wird in der
Regel von Amts wegen zugestellt, wenn nicht die sogenannte Übergabe zur Parteizustellung beantragt ist. Im letzteren Fall kann der Gläubiger den Vollstreckungsbescheid per Gerichtsvollzieher zustellen und die Zwangsvollstreckung
betreiben lassen. Ist der Schuldner unbekannt verzogen, kann das Mahngericht
den Vollstreckungsbescheid durch Aushang an der Gerichtstafel zustellen.
Auch in dieser Phase kann der Schuldner sich gegen den Anspruch wehren und
Einspruch einlegen, § 700 III ZPO. Bei einem Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid wird der Rechtsstreit wiederum von Amts wegen als streitiges
Verfahren an das zuständige Prozeßgericht abgegeben, § 700 III ZPO
Falls kein Einspruch eingelegt wird, erwächst der Vollstreckungsbescheid in
Rechtskraft; er ist dann ein sog. "Titel", aus dem durch den Gerichtsvollzieher
vollstreckt werden kann, §§ 700 I, 704, 750, 794 I Nr. 4 ZPO.
Teil C:
Handelsrecht
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Bedeutung des Handelsrechts
Die Bedeutung des Handelsrechts ergibt sich aus den besonderen Erfordernissen
der Marktprozesse im kaufmännischen Geschäftsleben. Es handelt sich um rechtsgeschäftlichen Massenverkehr von Marktteilnehmern mit höherer geschäftlicher
Bildung bzw. größerer Sachkunde, die ein Handelsgewerbe betreiben. Für sie soll
das Handelsrecht größtmögliche Freiheit, Beweglichkeit und Schnelligkeit gewährleisten. Während im bürgerlichen Recht größtmögliche Einzelfallgerechtigkeit angestrebt wird, steht im Handelsrecht die Rechtssicherheit und Berechenbarkeit im Vordergrund. Die handelsrechtlichen Vorschriften führen also gleichzeitig
zu einer Privilegierung von Kaufleuten und zu strengeren Anforderungen an ihre
Aktivitäten.
Rechtsnatur
Das deutsche Handelsrecht als Sonderprivatrecht der Kaufleute basiert auf dem
sogenannten subjektiven System. Für seine Anwendbarkeit kommt es auf eine
bestimmte Eigenschaft der beteiligten Rechtssubjekte an: sie müssen Kaufleute
sein. Der Unterschied wird bei einem Vergleich mit dem objektiven System anderer Länder erkennbar, in denen vom Handelsrecht nicht die Geschäfte bestimmter
Rechtssubjekte, sondern bestimmte Arten von Geschäften erfaßt werden.
Das Handelsrecht wird allgemein also als Sonderprivatrecht der Kaufleute bezeichnet. Was ist nun mit der Beschreibung des Handelsrechts als Sonderprivatrecht des Kaufmanns gemeint?
Es handelt sich um ergänzende Spezialvorschriften für Handelsgeschäfte von
Kaufleuten, die aber kein geschlossenes System bilden, sondern nur BGBRegelungen ergänzen. Die Vorschriften über die Bürgschaft in den §§ 765 ff.
BGB werden durch § 350 HGB über die Bürgschaft von Kaufleuten, die sie im
Rahmen ihres Handelsgewerbes übernehmen, ergänzt. Die Vorschriften über den
gutgläubigen Erwerb in §§ 932 ff. BGB werden durch § 366 HGB für den gutgläubigen Erwerb vom Kaufmann ergänzt. Sämtliche Regelungen bauen also auf
den entsprechenden BGB-Regelungen auf.
Im Einzelnen sind folgende Aspekte besonders hervorzuheben:
• Der Kaufmann kann eine Bürgschaft auch mündlich erteilen, § 350 HGB
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• Mängelrügen sind beim Handelsgeschäft durch den Kaufmann unverzüglich vorzunehmen, ansonsten verliert der Kaufmann seine Minderungsansprüche
• Zinssatz in Höhe von 5% ; § 352 HGB
• Zinsen können schon ab Fälligkeit der Forderung verlangt werden und
nicht erst ab Verzug, § 353 HGB
• § 354 I HGB: ein Kaufmann tut nichts "umsonst"
• § 358 HGB ist eine Ergänzung zu § 271 BGB – Lieferung während der
gewöhnlichen Geschäftszeit
• § 360 HGB: Präzisierung des § 243 BGB dahin, daß bei Gattungsschulden
(z.B. 100 Kg Äpfel) Handelsgut mittlerer Art und Güte zu leisten ist, was
eine Erhöhung oder Minderung der Qualität ggü. § 243 BGB bedeuten
kann
• § 348 HGB: keine Herabsetzung von Vertragsstrafen
• § 362 HGB: Anwendbarkeit des kaufmännischen Bestätigungsschreibens
mit der Folge, daß auf Grundlage bereits geführter mündlicher Absprachen
ein Vertragspartner den Inhalt schriftlich fixieren kann und der Inhalt verbindlich wird, wenn der andere hierauf schweigt.
• unverzügliche Rüge während der Anzeigepflicht (bei verderblichen Waren
zum Teil nur Stunden), § 377 HGB
• § 24 AGBG: Übergabe und ausdrücklicher Verweis bei Kaufleuten nicht
erforderlich
• Inhaltskontrolle nur unter Maßgabe von § 9 AGBG
• § 24 a AGBG Besonderheiten bei Verbraucherverträgen
• Besonderheiten beachten bei Lieferung ins Ausland (CISG; UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods)
• Firmierung und Verhalten im Wettbewerb
• Kennzeichnungs- und Unterscheidungskraft
• Rechtsformzusatz
Eigenständige Regelungsgegenstände:
•
•
•
•
Kaufmannsbegriff, §§ 1-7 HGB,
Recht der Handelsbilanzen, §§ 238 - 342a HGB,
Firmenrecht, §§ 17 - 37 HGB sowie das
Handelsregisterrecht, §§ 8 - 16 HGB. Trotz der Bezüge zum sonstigen
Privatrecht überwiegt hier der eigenständige Charakter.
• Besondere Verträge: zum Beispiel
Handelsvertretervertrag (§§ 84-92c HGB),
Handelsmaklervertrag (§§ 93-104 HGB),
Kommissionsvertrag (§§ 383-406 HGB),
Frachtvertrag (§§ 407-452d HGB),
Speditionsvertrag (§§ 453-466 HGB),
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Lagervertrag (§§ 467-475h HGB),
Binnenschifffahrtsvertrag (BinSchiffG),
Seehandelsrecht (§§ 476-905 HGB).
• Gesellschaftsrecht (§§ 105-177a HGB zu OHG und KG, §§ 230-237 zur
Stillen Gesellschaft, ferner in Sondergesetzen zur AG, GmbH, Genossenschaft). Gem. § 6 Abs. 1 HGB werden die Regeln des HGB auf die Handelsgesellschaften angewandt.
"selbständige" Ergänzungen oder Abänderungen des allgemeinen bürgerlichen
Rechts:
• Handelsgeschäfte (§§ 343-382 HGB).
• Prokura (§§ 48 - 53 HGB) und Handlungsvollmacht (§§ 54 - 58 HGB) sind
besondere Regeln über die Stellvertretung und ergänzen die §§ 164 ff.
BGB.
• Handlungsgehilfenrecht (§§ 59 - 83 HGB) ist dagegen heute reines Arbeitsrecht und ergänzt die §§ 611 ff. BGB (vor allem bezüglich des Wettbewerbsverbots, §§ 74 ff. HGB).
• das Recht der kaufmännischen Orderpapiere, §§ 363 - 365 HGB, ergänzt
das Wertpapierrecht.
Verwirrend und zugleich praktisch bedeutsam ist, daß nicht jeder Unternehmer zu
den Kaufleuten im Sinne des Handelsrechts gehört. Andererseits ist Handelsrecht
aber häufig auch für Rechtsgeschäfte einschlägig, die von Privatleuten und von
nichtkaufmännischen Unternehmern geschlossen werden. Stehen Privatleute und
nichtkaufmännische Unternehmer mit Kaufleuten in Geschäftsbeziehungen, so
ergeben sich auch ihre Rechte und Pflichten aus den handelsrechtlichen Vorschriften. Das zeigen die Fälle der Bürgschaftsübernahme eines Kaufmanns gegenüber
einem Privaten und des gutgläubigen Erwerbs von einem Kaufmann.
Struktur des Handelsrechts
Die gängige Definition, nach der Handelsrecht das Sonderprivatrecht des Kaufmanns ist, ist etwas nichtssagend. Demgegenüber wird Handelsrecht von Systemkritikern wesentlich plastischer beschrieben als Kodifikation des kapitalistischen
Rechts über die Stellung und Betätigung von Kaufleuten. Diese abwertend gemeinte Beschreibung ist sachlich durchaus zutreffend, denn Handelsrecht ist das
systemgebundene Recht für eine Marktwirtschaft, d.h. für eine Tauschwirtschaft
in der Form der Geldwirtschaft. Ökonomisches Grundmodell des Handelsrechts
ist die sich selbst steuernde Marktwirtschaft, in der das Gesetz von Angebot und
Nachfrage und damit Wettbewerb herrscht. Sie beruht auf Privateigentum und auf
freien, rational getroffenen Entscheidungen aller Teilnehmer.
50
Bedeutung des Handelsrechts
Die Bedeutung des Handelsrechts ergibt sich aus den besonderen Erfordernissen
der Marktprozesse im kaufmännischen Geschäftsleben. Es handelt sich um rechtsgeschäftlichen Massenverkehr von Marktteilnehmern mit höherer geschäftlicher
Bildung bzw. größerer Sachkunde, die ein Handelsgewerbe betreiben. Für sie soll
das Handelsrecht größtmögliche Freiheit, Beweglichkeit und Schnelligkeit gewährleisten. Während im bürgerlichen Recht größtmögliche Einzelfallgerechtigkeit angestrebt wird, steht im Handelsrecht die Rechtssicherheit und Berechenbarkeit im Vordergrund. Die handelsrechtlichen Vorschriften führen also gleichzeitig
zu einer Privilegierung von Kaufleuten und zu strengeren Anforderungen an ihre
Aktivitäten.
Das deutsche Handelsrecht als Sonderprivatrecht der Kaufleute basiert auf dem
sogenannten subjektiven System. Für seine Anwendbarkeit kommt es auf eine
bestimmte Eigenschaft der beteiligten Rechtssubjekte an: sie müssen Kaufleute
sein. Der Unterschied wird bei einem Vergleich mit dem objektiven System anderer Länder erkennbar, in denen vom Handelsrecht nicht die Geschäfte bestimmter
Rechtssubjekte, sondern bestimmte Arten von Geschäften erfaßt werden.
Teil des Handelsrechts im weiteren Sinne ist auch das Recht der Personenhandelsgesellschaften und der Kapitalgesellschaften. Das Recht der Personenhandelsgesellschaften ist auch heute noch im Handelsgesetzbuch geregelt (§§ 105 - 177a
HGB), während für die Kapitalgesellschaften AG und GmbH Spezialgesetze existieren. Zum Handelsrecht gehört also auch das Recht der kaufmännisch tätigen
privatrechtlichen Personenvereinigungen.
Standort im Rechtssystem
1. Handelsrecht und Bürgerliches Recht
Während das Bürgerliche Recht das für jedermann geltende Privatrecht ist, ergänzt und modifiziert das Handelsrecht als Sonderprivatrecht des Kaufmanns die
allgemeineren Grundsätze des BGB. Die Beispiele der kaufmännischen Bürgschaft und des Handelskaufs verdeutlichen, daß die BGB-Vorschriften durch das
Handelsrecht lediglich modifiziert werden.
Rechtsgrundlage dafür ist Art. 2 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch: "In Handelssachen kommen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur insoweit zur Anwendung, als nicht im Handelsgesetzbuch oder in
diesem Gesetz ein anderes bestimmt ist."
Ohne Kenntnis der BGB-Vorschriften ist Handelsrecht also nicht verständlich.
Das gilt insbesondere für den Allgemeinen Teil des BGB, das allgemeine und besondere Schuldrecht sowie für das Sachenrecht. Diese Bereiche sind die Grundlage, auf denen das Handelsrecht aufbaut. Im Verhältnis von HGB und BGB gilt der
Spezialitätsgrundsatz. So ergänzen etwa die Vorschriften über die Prokura die
51
allgemeinen BGB-Regelungen über die Vertretungsmacht, der Handelskauf ergänzt die kaufrechtlichen Bestimmungen, und für die Bürgschaft gilt gleiches.
2. Handelsrecht und Wirtschaftsrecht
Handelsrecht und Wirtschaftsrecht sind zwei ganz unterschiedliche Rechtsgebiete,
denn Wirtschaftsrecht ist nur nicht das Recht der Wirtschaft, sondern auch dasjenige der Wirtschaftslenkung. Letzteres ist dem öffentlichen Recht zuzurechnen.
Während Handelsrecht zum Privatrecht gehört und die Rechtsbeziehungen
Gleichgeordneter regelt, betrifft das Wirtschaftsrecht im öffentlich-rechtlichen
Sinn die staatliche Ordnung und Lenkung der Wirtschaft. (zum ersteren siehe Art.
74 I Ziff. 11 GG : Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende
Gebiete: das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen); zum letzteren siehe z.B. das Stabilitätsgesetz1.)
Wirtschaftsrecht ist also einmal viel weiter als des Handelsrecht, zum anderen
etwas anderes.
Von öffentlichem Recht ist im Handelsrecht nur ausnahmsweise die Rede, wenn
es etwa um das Registerrecht, die Vereinsanmeldung oder um das Firmenrecht
geht. Zum Wirtschaftsrecht gehören demgegenüber Bereiche wie das Kartellrecht
und das Mitbestimmungsrecht.
Rechtsgrundlagen
Rechtsgrundlagen des Handelsrechts sind neben dem HGB zahlreiche andere Gesetze und ungeschriebene Rechtssätze.
Zum Handelsrecht gehört nicht nur das HGB, sondern auch zahlreiche Nebengesetze. Das HGB selbst ist in fünf Bücher gegliedert und enthält Vorschriften über
- Handelsstand
- Handelsgesellschaften und stille Gesellschaft
- Handelsbücher
- Handelsgeschäfte
- Seehandel.
1
Stabilitätsgesetz
Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft von 1967, kurz "Stabilitätsgesetz", ist oft als "wirtschaftliches Grundgesetz" der BRD bezeichnet worden, hier werden
die Ziele der Wirtschaftspolitik definiert. Alle wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen sind
nach § 1 des Gesetzes so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsgrad und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem Wachstum beitragen. Bei einer Zielgefährdung sieht das Gesetz
eine Reihe fiskalpolitischer Maßnahmen vor, mit denen die Geldpolitik der Bundesbank unterstützt
werden soll. Diese vier Ziele werden auch das "Magische Viereck" bezeichnet, weil nicht unbedingt alle Ziele gleichzeitig erfüllt werden können. Am bekanntesten ist der Zielkonflikt zwischen
Preisstabilität und Vollbeschäftigung.
52
Handelsrechtliche Nebengesetze enthalten Spezialregelungen über Sondergebiete.
Das gilt etwa für das Gesellschaftsrecht, das weitgehend im Aktiengesetz, im
GmbH-Gesetz und im Genossenschaftsgesetz geregelt ist. Spezialgesetze des
Wettbewerbsrechts sind das UWG, GWB und das Warenzeichengesetz. Weiter
gehören zum Handelsrecht Bereichsgesetze für bestimmte Wirtschaftsbereiche.
Beispiele dafür sind das VAG und das VVG für den Bereich der Versicherungen,
das KWG, Börsengesetz und Investmentgesetz für den Bereich der Kreditinstitute,
das Güterkraftverkehrsgesetz und Luftverkehrsgesetz für den Verkehrsbereich1.
Das Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns und Firmenrechtes und zur Änderung handels- und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften vom 22.06.1998
(HRRefG; BGBl. I S. 1474) setzte die seit längeren Jahrzehnten diskutierten,
aber erst vor einem Jahrzehnt konkret in Angriff genommene Modernisierung des
HGB in geltendes Recht um.
Zentrale Neuerungen sind die Modernisierung des überkommenen Kaufmannsbegriffes des HGB und das Recht der Personenhandelsgesellschaften, die Liberalisierung des Firmenrechtes – des Namensrechtes der Unternehmen – sowie die Vereinfachung und Effizienzsteigerung des Handelsregisterverfahrens. Außerdem
bietet das Gesetz für die am Markenrecht interessierten Unternehmen mit der jetzt
vorgesehenen Veröffentlichung von Markenanmeldungen durch das Deutsche
Patentamt eine weitere wichtige Recherchemöglichkeit zur Entwicklung ihrer geschäftlichen Kennzeichen.
Im Zentrum des Gesetzes steht die Neukonzeption des für die Handelsrechtsordnung zentralen Kaufmannsbegriffe des HGB. Danach sind alle Gewerbetreibenden ohne Rücksicht auf die Branche Kaufleute, es sei denn, das Unternehmen erfordert nach Art und Umfang keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb. Die Unterscheidung zwischen Muß- und Sollkaufleuten wird zugunsten eines neuen einheitlichen Kaufmannstatbestandes aufgegeben. Auch die
Rechtsfigur des Minderkaufmanns (§ 4 HGB alter Fassung) entfällt künftig.
Kleinbetriebe, vor allem die bisherigen Minderkaufleute können allerdings
freiwillig durch Eintragung in das Handelsregister zu Kaufleuten werden, dann
aber mit allen Rechten und Pflichten. Insgesamt wird damit der Kaufmannsbegriff
nicht nur moderner, sondern auch in seiner Handhabung wesentlich einfacher.
Diese Neuregelungen traten am 01.07.1998 in Kraft.
Zweiter wichtiger Gegenstand des Handelsrechtsreformgesetzes, der ebenfalls
bereits zum 01.07.1998 in Kraft getreten ist, ist die Liberalisierung des Firmenrechtes, d.h. des Namenrechtes der Unternehmen. Das Handelsrechtsreformgesetz
führt hier zu einer weitgehenden Freigabe der Firmenbildung, trägt aber zugleich
dem Verkehrsschutz ausreichend Rechnung. Allen Kapitalgesellschaften, Personenhandelsgesellschaften und Einzelkaufleuten ist künftig die freie Wahl einer
aussagekräftigen und werbewirksamen Firma gestattet, wenn diese nur unterscheidungskräftig ist, die Gesellschafts- und Haftungsverhältnisse offenlegt und selbstverständlich nicht irreführend ist. Herkömmliche Beschränkungen, wie etwa die
1
siehe zum vorstehenden: Vorlesung von Stebut: http://www.tuberlin.de/~ifr1/inhhr1.htm
53
das der Einzelkaufmann nur seinen Vor- und Familiennamen als Firma wählen
darf, oder das die Firma einer OHG oder KG aus Namen der persönlich haftenden
Gesellschafter bestehen muß, die Firma einer AG aber dem Unternehmensgegenstand zu entnehmen ist, gehört der Vergangenheit an.
I. BGB und HGB
1. HGB als Sonderrecht der Kaufleute
Fall 28: Ein Privatmann kauft bei einem Kaufmann ein. Gilt das HGB?
Bei einem Kaufmann auch HGB: Das HGB ist das Sonderrecht der Kaufleute;
d.h. immer wenn ein Kaufmann im Spiel ist, kommt HGB zur Anwendung. Nach
§ 345 HGB genügt es, wenn ein Vertragspartner Kaufmann ist; dann gilt das
HGB für das ganze Geschäft, also auch für den anderen Teil, der nicht Kaufmann
ist. Nur wenige §§ des HGB verlangen, daß beide Partner Kaufleute sind. Bei
Vorschriften, die nur für beiderseitige Handelsgeschäfte gelten sollen, muß dies
im Gesetz ausdrücklich geregelt sein (vgl. z.B. § 352 Abs. 1 Satz 1 HGB, gesetzl.
Zinsfuß).
Das HGB unterscheidet zwischen einseitigen Handelsgeschäften, bei denen nur
eine Partei Kaufmann ist, und zweiseitigen Handelsgeschäften, bei denen beide
Parteien Kaufmann sind und als solche ein betriebsbezogenes Geschäft vornehmen (§§ 343, 345 HGB).
Die Vorschriften über Handelsgeschäfte sind damit aber auch für Privatleute bedeutsam: Auf ein Rechtsgeschäft, das für eine Partei ein Handelsgeschäft ist, sind
die Vorschriften über Handelsgeschäfte für beide Vertragspartner anzuwenden,
soweit keine abweichende Regelung getroffen ist (§ 345 HGB). Das gilt etwa für
die Höhe der geschuldeten Zinsen von 5% (§ 352 Abs. 2 HGB), für die Bestimmungen über das Kontokorrent (§§ 355 - 357 HGB), für Zeit und Ort der Leistung
(§§ 358 -361 HGB) und viele andere Regelungen mehr.
Soweit damit auch Nichtkaufleuten die erhöhten Pflichten des Handelsrechts auferlegt werden, wird die Regelung des § 345 HGB zum Teil als verfehlt beurteilt
und in bestimmten Fällen einschränkend ausgelegt (z.B. Lieferung von Handelsgut
gem. § 360 HGB durch einen Privaten)1.
2. BGB subsidiär
Fall 29: Ein Kaufmann will ein Handelsgeschäft anfechten.
HGB keine abschließende Regelung: Das HGB regelt nur einige typische Fälle
des Geschäftsverkehrs. Wenn sich die Lösung nicht aus dem HGB ergibt, muß
1
siehe Prof. v. Stebut http://www.tu-berlin.de/~ifr1/hrt12.htm
54
man auf das BGB (hier: §§ 119 ff. BGB) zurückgreifen. Das BGB ist also subsidiär gegenüber dem HGB. Wenn dagegen das HGB Vorschriften enthält wie z. T.
beim Handelskauf, tritt das BGB als das allgemeinere Gesetz hinter dem spezielleren HGB zurück. Dieser Grundsatz ist in Art. 2 des Einführungsgesetzes zum
HGB ausdrücklich niedergelegt.
II. Kaufmann und Nichtkaufmann
Hinweis zur Gesetzesänderung: Der überkommene Kaufmannsbegriff des HGB
mit seiner branchenabhängigen Unterscheidung in „Muß-“ (bzw. „Ist-“) und
„Sollkaufleute“ war veraltet und unnötig kompliziert; er wurde den Anforderungen des modernen Wirtschaftslebens nicht mehr gerecht. „Muß-“ und „Sollkaufleute“ wurden zu einem einheitlichen Tatbestand zusammengefaßt, um künftig
alle Gewerbetreibenden ohne Rücksicht auf die Branche zu erfassen.
Kaufmann ist damit jeder Gewerbetreibende, es sei denn, das Unternehmen erfordere nach Art oder Umfang keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb. Zugleich entfällt die Rechtsfigur des „Minderkaufmanns“. Allen
Kleingewerbetreibenden soll die Möglichkeit zum freiwilligen Erwerb der Kaufmannseigenschaft durch Eintragung in das Handelsregister eingeräumt werden,
und zwar sowohl als Einzelkaufleute als auch im Zusammenschluß zu einer offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft.
Einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb nicht erfordert: Es darf also keine kaufmännische Einrichtung erforderlich sein. Es kommt
nicht darauf an, ob eine kaufmännische Einrichtung vorhanden ist. Kaufmännische
Einrichtung ist vor allem kaufmännische Buch- und Kassenführung. Sie wird im
allgemeinen erforderlich sein bei einer höheren Zahl von Beschäftigten und einem
vielfältigen Angebot an Leistungen bzw. Waren.
1. Selbständigkeit
Fall 30: Ein ehemaliger Kellner (K) hat eine Betriebskantine gepachtet, die er auf
eigene Rechnung bewirtschaftet. Er fragt Sie, ob er sich jetzt ein HGB kaufen
muß, da er unter Umständen Kaufmann geworden ist.
Selbständigkeit: Gastwirte sind Kaufleute, da sie einen Gewerbebetrieb betreiben, es sei denn, daß das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert (§ 1 Abs. 1 und 2
HGB). Zum Begriff des „Gewerbetreibenden“ gehört notwendigerweise auch die
Selbständigkeit. Würde K z.B. vom Betrieb ein Fixum beziehen und auf Rechnung des Betriebs wirtschaften, so wäre er kein Kaufmann. Da er hier aber selbständiger Pächter ist, greift § 1 HGB ein.
Beweislast: Im Interesse der Rechtssicherheit ist § 1 Abs. 2 HGB als gesetzliche
Beweislastregel formuliert. Mit der „es sei denn“-Formulierung wird für den
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Rechtsverkehr die ausdrückliche Vermutung eingeführt, daß bei Vorliegen eines
Gewerbes grundsätzlich auch von der Eigenschaft als Handelsgewerbe – und damit vom Kaufmannsstatus des Unternehmens – ausgegangen werden kann. Ein
Gewerbetreibender, der sich im Geschäfts- und Rechtsverkehr darauf beruft, sein
Gewerbebetrieb erfordere nach Art oder Umfang keinen in kaufmännischer Weise
eingerichteten Geschäftsbetrieb und sei deshalb nicht kaufmännisch, trägt dann
dafür auch die Darlegungs- und Beweislast.1
2. Handelsvertreter
Fall 31: Der Handelsvertreter H arbeitet für drei Firmen auf Provisionsbasis. Er
besitzt ein eigenes kleines Büro mit Sekretärin. Ist H Kaufmann?
Handelsvertreter als Kaufmann: Handelsvertreter sind Kaufleute, wenn sie einen Gewerbebetrieb betreiben ( Kaufmann kraft Gewerbebetrieb = Istkaufmann
gem. § 1 II HGB ), es sei denn, daß das Unternehmen nach Art oder Umfang einen
in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert (§ 1 Abs.
1 und 2 HGB). Zum Begriff des „Gewerbetreibenden“ gehört notwendigerweise
auch die Selbständigkeit. Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer)
Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Selbständig ist, wer
im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen
kann (§ 84 Abs. 1 Satz 2 HGB). Fehlt die Selbständigkeit, so gilt der Handelsvertreter als Angestellter (§ 84 Abs. 2 HGB).
Gewerbegriff
a) Gewerbe
Die Kaufmannseigenschaft setzt grundsätzlich voraus, daß ein Handelsgewerbe
betrieben wird. Der Gewerbebegriff wird vom Gesetzgeber häufig mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Beispiele dafür sind § 6 Gewerbeordnung mit
der Aufzählung bestimmter Gewerbe sowie § 2 Abs. 1 Gewerbesteuergesetz, § 15
EStG.
Die Kriterien des Gewerbebetriebes im handelsrechtlichen Sinne sind:
aa) die Gewinnerzielungsabsicht.
Es kommt nicht darauf an, ob konkret Verluste erwirtschaftet werden;
bb) Dauertatbestand.
Die Gewinnerzielungsabsicht darf keine einmalige oder nur vorübergehende sein.
Notwendig ist also die Absicht dauernder Gewinnerzielung;
1
BT-Drucks. 13/8444, 48.
56
cc) marktbezogene Tätigkeit auf wirtschaftlichem Gebiet.
Planmäßige, fortgesetzte, nach außen in Erscheinung tretende Tätigkeit. Die innere Absicht reicht nicht aus;
dd) Selbständigkeit.
Nur wer (selbständiger) Unternehmer ist, betreibt ein Gewerbe.
§ 18 I EStG
( Selbständige Arbeit )
Einkünfte aus selbständiger Arbeit sind
Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit
Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehören die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer
(vereidigten Bücherrevisoren), Steuerbevollmächtigten, Heilpraktiker,
Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe. Ein Angehöriger eines
freien Berufs im Sinne der Sätze 1 und 2 ist auch dann freiberuflich tätig,
wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient;
Voraussetzung ist, daß er auf Grund eigener Fachkenntnisse leitend und
eigenverantwortlich tätig wird. Eine Vertretung im Fall vorübergehender
Verhinderung steht der Annahme einer leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit nicht entgegen;
Unter Gewerbe im allgemeinen Sinne versteht die hM. dabei jede erlaubte, selbständige, planmäßig auf gewisse Dauer, mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübte Tätigkeit, die nach außen hin in Erscheinung
tritt und nicht unter die freien Berufe fällt.
Handelt es sich um eine Neugründung, so kommt es darauf an, ob dabei ein in
kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb nach der Anlage des Handelsgeschäfts prognostizierbar ist.
Es kommt also grundsätzlich auf die Erforderlichkeit an und nicht darauf, daß der
in kaufmännischer Weise eingerichtete Geschäftsbetrieb bereits vorhanden ist oder
auch tatsächlich geführt wird. Ist also das Unternehmen auf einen solchen Betrieb
angelegt, so wird es schon mit den ersten Vorbereitungshandlungen als kaufmännisch angesehen.
57
Eine Berufsausbildung des Inhabers, dessen Geschäftsfähigkeit oder das Vorhandensein einer Gewerbeerlaubnis sind dagegen nicht Voraussetzung für die Existenz eines Gewerbebetriebes im handelsrechtlichen Sinne.
Nach der bislang überwiegenden Ansicht sind vom Gewerbebegriff zum einen
Tätigkeiten ausgeschlossen, die gegen gesetzliche Verbote oder die guten Sitten
verstoßen, zum anderen wird die Gewerbeeigenschaft bei nicht einklagbaren Geschäften verneint. Nicht als Gewerbe anerkannt werden können damit Geschäfte,
wie gewerbsmäßiger Rauschgifthandel oder Prostitution ( letzteres fraglich !!!),
die gegen gesetzliche Verbote gem. § 134 BGB verstoßen bzw. sittenwidrig sind
gem. § 138 BGB. Im Vordringen ist hingegen eine Ansicht, die annimmt, daß der
Gewerbebetrieb und –begriff nicht dazu da sei, um Gut von Böse zu trennen. Es
sei daher – jedenfalls für den Gewerbebegriff - unerheblich, ob der Gegenstand
des Unternehmens sich auf erlaubte oder verbotene Tätigkeiten erstreckt.
Stehe insoweit fest, dass ein Geschäft insgesamt gesetz- oder sittenwidrig ist, so
lasse sich dies einfach mit der Ablehnung der Eintragung im Handelsregister lösen.
Zudem sei zu beachten, dass gem. § 7 HGB eine Tätigkeit auch nicht öffentlichrechtlich erlaubt sein muß, damit sie als Handelsgewerbe anerkannt wird.
Keine Gewerbeausübung ist eine Tätigkeit mit wissenschaftlicher, künstlerischer
oder religiöser Zielsetzung. Es fehlt an der Gewinnerzielungsabsicht.
Den gesetzlichen Regelungen, nach denen Ärzte, Rechtsanwälte ( § 1 BRAO: Der
Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. § 2 I BRAO: Der RA
übt einen freien Beruf aus. II: Seine Tätigkeit ist kein Gewerbe.), Steuerberater,
Wirtschaftsprüfer und die Angehörigen der sonstigen freien Berufe kein Gewerbe
und damit auch kein Handelsgewerbe ausüben, liegt die Vorstellung zugrunde,
daß sie nicht oder jedenfalls nicht vorrangig in Gewinnerzielungsabsicht tätig
werden. Da diese Begründung nicht unbedingt überzeugend ist, wird ergänzend
argumentiert, es handele sich jedenfalls nicht um Tätigkeiten auf wirtschaftlichem
Gebiet.
Ebenfalls kein Gewerbe üben Briefmarken- und Kunstsammler aus, weil es sich
nicht um eine nach außen gerichtete Tätigkeit handelt. Das gilt selbst dann, wenn
sie gelegentlich hohe Gewinne erzielen. Diese Gewinnerzielungsabsicht ist jedenfalls nicht auf Dauer angelegt. Maßgeblich ist letztlich das objektive Erscheinungsbild für einen neutralen Dritten.
b ) Handelsgewerbe
Das Handelsgewerbe ist ein Unterfall des Gewerbes.
Der früher gültige § 1 Abs. 2 HGB geführte dazu die sogenannten Grundhandelsgewerbe auf; als Handelsgewerbe galt danach jeder Gewerbebetrieb, der eine der nachstehend bezeichneten Arten von Geschäften zum
Gegenstände hat:
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1. die Anschaffung und Weiterveräußerung von beweglichen Sachen (Waren) oder Wertpapieren, ohne Unterschied, ob die Waren unverändert oder
nach einer Bearbeitung oder Verarbeitung weiter veräußert werden;
2. die Übernahme der Bearbeitung oder Verarbeitung von Waren für andere, sofern das Gewerbe nicht handwerksmäßig betrieben wird;
3. die Übernahme von Versicherungen gegen Prämie;
4. die Bankier- und Geldwechslergeschäfte;
5. die Übernahme der Beförderung von Gütern oder Reisenden zur See, die
Geschäfte der Frachtführer oder der zur Beförderung von Personen zu
Lande oder auf Binnengewässern bestimmten Anstalten sowie die
Geschäfte der Schleppschiffahrtsunternehmer;
6. die Geschäfte der Kommissionäre, der Spediteure oder der Lagerhalter;
7. die Geschäfte der Handelsvertreter oder der Handelsmakler;
8. die Verlagsgeschäfte sowie die sonstigen Geschäfte des Buch- oder
Kunsthandels;
9. die Geschäfte der Druckereien, sofern das Gewerbe nicht handwerks mäßig betrieben wird.
Nunmehr ist gem. § 1 II HGB jeder Gewerbebetrieb ein Handelsgewerbe, es sei
denn, ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Gewerbebetrieb ( Buchführung,
Inventarerrichtung, Bilanzerstellung, Aufbewahrung der Geschäftskorrespondenz,
also alles, was notwendig ist, um einen Betrieb übersichtlich und zuverlässig führen zu können ) ist nicht erforderlich ( Kleingewerbe). Darüber hinaus ist nach § 2
HGB jedes im Handelsregister eingetragene gewerbliche Unternehmen ein Handelsgewerbe, auch wenn es ein Kleingewerbebetrieb ist.
Gewerbebetriebe
§ 2 HGB:
nicht kaufmännisch eingerichtetes Gewerbe,
aber eingetragen,
also Handelsgewerbe
kraft Gesetzes,
( siehe auch
§ 5 HGB )
§ 1 II HGB:
kaufmännisch eingerichtetetes Gewerbe,
also
Handelsgewerbe
Gewerbe,
nicht kaufmännisch,
nicht eingetragen,
also kein Handelsgewerbe
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nach Art oder Umfang
kaufmännischer Betrieb
erforderlich
nach Art oder Umfang
kaufmännischer Betrieb
nicht erforderlich
Es liegt also kein Handelsgewerbe vor, wenn ein Kleingewerbe nicht eingetragen
ist, aber
Vorsicht !!! Beweisregel !!! :
aus der "Es sei, denn" Klausel des § 1 II HBG folgt, daß jedes Gewerbe
Handelsgewerbe ist ( und damit jeder Gewerbetreibende Kaufmann; und
damit das Handelsrecht Anwendung findet ), es sei denn, derjenige, der
sich auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Handelsgewerbes
beruft ( und damit auf die Nichtanwendbarkeit des Handelsrechtes ), kann
nachweisen, daß die Voraussetzungen für einen kaufmännischen Betrieb
nicht gegeben sind.
Die Bedeutung des § 1 II HGB liegt also darin, dass hinsichtlich des Vorliegens
eines Handelsgewerbes insoweit eine Vermutung besteht, die allerdings widerlegt
werden kann, wenn der Gewerbebetrieb nach Art oder Umfang keine kaufmännische Einrichtung erfordert. Dabei muß der Nachweis im Zweifel von demjenigen
geführt werden, der sich der Anwendung des Handelsrechts entziehen will.
Liegt ein solches Ist-Handelsgewerbe gem. § 1 II HGB vor, so ist der Umstand,
dass das Gewerbe nicht im Handelsregister eingetragen ist unschädlich – denn bei
§ 1 II HGB ist die Registereintragung nur deklaratorisch und stellt – im Gegensatz
zum Kannkaufmann - keine Wirksamkeitsvoraussetzung dar. Kaufmann ist nach
der Norm des § 1 I HGB also derjenige, der ein Handelsgewerbe betreibt – sog.
Kaufmann kraft Gewerbebetrieb.
Kriterien für die ( Nicht - ) Erforderlichkeit
eines kaufmännischen Geschäftsbetriebs
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Art
• Vielfalt des Geschäftsgegenstandes
• Schwierigkeit des Vorgänge
• Inanspruchnahme von Krediten,
Finanzierungen u. Teilzahlungen
• Wechsel und Scheckverkehr
• Bilanzierung
• Umfang der Korrespondenz
• Verkehr mit Behörden ( Steuer, Sozialversicherung etc.
• Art u. Weise der betrieblichen
Organisation
Umfang
• Umsatz
• Höhe des Anlage-u. Kapitalvermögens
• Anzahl der Betriebsstätten und deren -größe
• Anzahl der Beschäftigten
• Lohnsumme
Für die Ausübung eines Handelsgewerbes sind wie bereits gesagt eine bestimmte
Berufsausbildung, die Geschäftsfähigkeit, ein bestimmter Familienstand oder eine
öffentlich-rechtliche Gewerbeerlaubnis ( § 7 HGB ) nicht erforderlich.
c) "Betreiben" des Handelsgewerbes
Kaufmann ist nach § 1 I HGB derjenige, der das Handelsgewerbe betreibt. Darunter fallen jeweils diejenigen, unter deren Namen das betreffende Handelsgewerbe
ausgeübt wird – d.h. diejenigen, welche aus den vorgenommenen Geschäften berechtigt und verpflichtet werden.
Entscheidend ist damit in wessen Namen die Geschäfte abgeschlossen werden ohne Einfluss hingegen ist, für wessen Rechnung die Geschäfte erfolgen oder
wem die Betriebsmittel gehören.
( Umstritten ist die Frage nach der Kaufmanneigenschaft im Rahmen der Personenhandelsgesellschaften. Denn aufgrund der rechtlichen Verselbständigung von
OHG und KG, die diese juristischen Personen annähert, liegt die Annahme nahe,
daß nur die Gesellschaft das Handelsgewerbe betreibt und daher nur die Gesellschaft an sich Kaufmann ist.
Teilweise angenommen wird, daß nur die Personenhandelsgesellschaft per se als
Kaufmann gilt. Denn nur die Handelsgesellschaft – und nicht auch die einzelnen
Gesellschafter – seien Träger des Unternehmens und damit Kaufmann.
Nach der sog. Lehre vom Unternehmensrecht sind die Gesellschafter einer Handelsgesellschaft nicht selbst Träger des Unternehmens – und zwar unabhängig
davon, ob geschäftsführend oder nicht und gleich, ob unbeschränkt haftend oder
nicht.
Abweichend von obiger Ansicht aber könnten jedenfalls geschäftsführende und
vertretungsberechtigte Gesellschafter einem Kaufmann gleichgestellt werden.
Die hM. und die Rechtsprechung sehen hingegen die persönlich haftenden Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften unter Bezugnahme auf das Gesamthandprinzip als Kaufleute an, während die Kaufmannseigenschaft von
Kommanditisten abgelehnt wird.
Trotz der starken rechtlichen Verselbständigung der OHG und KG seien diese
keine juristischen Personen. Die Träger der Rechte und Pflichten seien vielmehr
die Gesellschafter selbst in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit. – Ob diese
61
Auffassung nach dem Urteil des BGH vom 29.1.2001; II ZR 331/00 (siehe weiter
unten bei: Gesellschaftsrecht) Bestand haben wird, ist zweifelhaft.
Daraus ergebe sich, daß die Gesellschafter einer OHG und die Komplementäre
einer KG stets Kaufleute sind und ein Handelsgewerbe betreiben. Dafür spreche
gerade auch die persönliche Haftung dieser gem. § 128 HGB bzw. aus §§ 161 II,
128 HGB.)
Handelsvertreter kein Kaufmann: In folgenden Fällen sind Handelsvertreter
keine Kaufleute
• es fehlt die Selbständigkeit bzw.
• das Unternehmen des Handelsvertreters erfordert nach Art oder Umfang keinen
in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb (vgl. § 84 Abs. 4
HGB).
In diesem Fall wohl kein Kaufmann: Die Tatsache, daß H für drei Firmen arbeitet, spricht für Selbständigkeit, das „kleine“ Büro nicht für das Erfordernis eines in
kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs. H dürfte also kein Kaufmann sein. Zur Beweislast vgl. vorstehenden Fall.
Fall 32: Die Münchner Spezialfirma Gamser (G) schickt ihren Reisenden Rudi
(R) nach Berlin, um ihre Trachtenmoden bei den dortigen Bekleidungshäusern
einzuführen. Der Vertrag zwischen R und G lautet: R arbeitet auf Provisionsbasis;
er erhält auf Firmenkosten einen Büroraum mit Sekretärin, hat aber im übrigen
freie Hand. Da das Geschäft nicht allzu ausbaufähig ist, wird ihm ein bestimmtes
Mindesteinkommen garantiert. Ist R Kaufmann?
„Ständig betraut“: Für diesen Begriff (§ 84 Abs. 1 Satz 1 HGB) genügt es, wenn
der Vertreter für einen bestimmten Werbefeldzug oder für eine Saison beschäftigt
ist.
Problem Selbständigkeit: Zur Lösung vgl. zunächst vorstehenden Fall. Problematisch ist hier, ob der Handelsvertreter selbständig ist. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB
definiert für die Handelsvertreter den Begriff der Selbständigkeit. Danach ist selbständig, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit
bestimmen kann. Da R hier keine festen Bürostunden hat und auch seine Geschäftsstrategie nach eigenem Gutdünken bestimmen kann, kommt es auf das
Mindesteinkommen und die fremde Sekretärin nicht an. Auch R ist selbständig!
62
Weisungsgebundenheit: Der selbständige Handelsvertreter ist an Weisungen
gebunden; denn sein Vertrag mit dem Vertretenen ist stets ein Dienstvertrag in
Form des Geschäftsbesorgungsvertrages (§§ 611, 665, 675 BGB).
3. Freiberufliche Tätigkeit
Fall 33: Herr Meier hat gehört, daß Patentanwälte viel Geld verdienen. Er möchte
sich daher mit seinen Ersparnissen in Form einer stillen Gesellschaft an einem
solchen Anwaltsbüro beteiligen. Ist das möglich?
Kein Handelsgewerbe: Voraussetzung für eine stille Gesellschaft ist das Vorliegen eines Handelsgewerbes. § 1 HGB definiert diesen Begriff. Ein Patentanwalt
ist kein Gewerbetreibender. Seine Tätigkeit ist vielmehr freiberuflich. Meier kann
keine stille Gesellschaft begründen, weil der Patentanwalt kein Handelsgewerbe
betreibt. Er kann aber z.B. einen Darlehensvertrag mit Gewinnbeteiligungsklausel
abschließen.
Zur Rekapitulation:
§ 18 EStG definiert:
Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehören die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer
(vereidigten Bücherrevisoren), Steuerbevollmächtigten, Heilpraktiker,
Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe. Ein Angehöriger eines
freien Berufs im Sinne der Sätze 1 und 2 ist auch dann freiberuflich tätig,
wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient;
Voraussetzung ist, daß er auf Grund eigener Fachkenntnisse leitend und
eigenverantwortlich tätig wird. Eine Vertretung im Fall vorübergehender
Verhinderung steht der Annahme einer leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit nicht entgegen;
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Fall 34: Worin sehen Sie das Gemeinsame an folgenden freien Berufen: Arzt,
Anwalt, Architekt, Steuerberater, Künstler?
Künstlerische bzw. wissenschaftliche Tätigkeit: Bei diesen Berufen steht das
Interesse an der Kunst oder Wissenschaft im Vordergrund, hinter dem der Erwerbszweck zurücktritt. Die persönliche Fähigkeit des Freiberuflers und nicht die
unternehmerische Organisation ist entscheidend.
Fall 35: Ein Maler hat sich auf die Produktion von Ölbildern für Großversandhäuser verlegt. Er liefert nur drei Motive: Röhrender Hirsch, Elfenreigen und Sonnenuntergang in der Heide. Die Bilder werden von drei Gruppen angestellter Künstler
auf folgende Weise hergestellt: Der erste Maler grundiert, der zweite fertigt nach
einem Schema die Skizze, der dritte führt den Hintergrund aus usw. Ist der Maler
Freiberufler?
Fließbandmäßige Herstellung keine Kunst: Hier wird man für „Gewerbe“
stimmen müssen. Die kitschigen Motive wären zwar noch zu verzeihen, aber die
fließbandmäßige Herstellung spricht eindeutig gegen den künstlerischen Charakter. Der Maler ist daher Gewerbetreibender (§ 1 HGB).
Fall 36: Der Kunsthändler A kauft den Malern B und C Bilder ab und veräußert
sie an seine Kunden. Wer ist Kaufmann?
A ist Kaufmann gemäß § 1 HGB. B und C sind Freiberufler.
Hinweis: Nichtselbständig Tätige und Freiberufler können nie Kaufmann sind.
III. Die Einteilung der Kaufleute
Es gibt nun nur noch Muß- (Ist-) (§ 1 HGB) und Kannkaufleute (§§ 2 und 3
HGB), keine Soll- oder Minderkaufleute.
Fall 37: Der Bauer B hat nur einige Felder, betreibt aber eine größere Hühnerintensivhaltung. Obwohl er seine gesamte Getreideernte an seine Hühner verfüttert,
muß er 2/3 des Futters dazukaufen. Ist er Kaufmann?
64
Kein Kaufmann wegen Ackerbau: Die Land- und Forstwirtschaft ist in § 3 HGB
geregelt. Der Land- und Forstwirt ist Kannkaufmann. Der Unternehmer ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 HGB die
Eintragung in das Handelsregister herbeizuführen. Diese liegen jedoch hier wegen
des bescheidenen Ackerbaus nicht vor.
Keine Landwirtschaft wegen Hühnerintensivhaltung: Entscheidend ist hier der
Begriff der Landwirtschaft nach § 3 HGB. Man definiert die Landwirtschaft im
allgemeinen als die unter Ausnützung des Bodens auf Erzeugung pflanzlicher oder
tierischer Produkte gerichtete Tätigkeit. Sie gilt traditionsgemäß nicht als Gewerbe. Überwiegend, nämlich zu 2/3, arbeitet der Betrieb nicht unter Ausnützung des
(eigenen) Bodens sondern aufgrund fremder Lieferungen. Obige Definition paßt
also nicht; es liegt keine Landwirtschaft vor.
Kaufmann nach § 1 HGB: Da keine Landwirtschaft vorliegt, sind die §§ 1 und 2
HGB zu prüfen. B ist, da es sich um eine größere Hühnerintensivhaltung handelt,
Kaufmann.
Fall 38: G ist Gärtner. Ist er Kaufmann?
Gärtner nach h.M. kein Landwirt: Der Gärtner wird nach überwiegender Meinung unter Berufung auf die Verkehrsauffassung nicht als Landwirt behandelt. Da
aber ein großer Teil der Literatur hier anderer Meinung ist, müßten Sie diese Frage
in einer Klausur immer ausführlich erörtern. Unerheblich ist es im übrigen, wenn
auf bloß gepachtetem Grund gewirtschaftet wird. M.E. kommt es darauf an, ob der
Gärtner überwiegend eigene Produkte verkauft (dann Landwirtschaft) oder fremde
Produkte anbietet (dann Kaufmann nach § 1 bzw. § 2 HGB).
Fall 39: Der geschäftstüchtige Gutsbesitzer G betreibt auf seinen umfangreichen
Ländereien u.a. eine große Molkerei und eine kleine Brauerei. Ist er Kaufmann,
wenn wir unterstellen, daß die Molkerei überwiegend eigene, die Brauerei fremde
Erzeugnisse verarbeitet?
Landwirtschaft, Molkerei: Mit der großen Landwirtschaft wird G Kaufmann,
wenn er sich in das Handelsregister eintragen läßt (§ 3 Abs. 2 HGB). Bis zur Eintragung ist er Nichtkaufmann. Gleiches gilt für die große Molkerei, da es sich um
ein Nebengewerbe zum land- und forstwirtschaftlichen Unternehmen handelt (§ 3
Abs. 3 HGB).
65
Brauerei: Die Brauerei verarbeitet keine Eigenprodukte, ist also kein Nebengewerbe nach § 3 Abs. 3 HGB. Als kleiner Brauer ist G nur Kaufmann, wenn er sich
nach § 2 HGB ins Handelsregister eintragen läßt.
IV. Die Geschäfte der Kaufleute
1. Vertreter, Mäkler, Kommissionär
Fall 40: Der Handelsvertreter H mietet ein Zimmer bei X. Sind auf dieses Geschäft die allgemeinen Vorschriften über Handelsgeschäfte (§§ 343 ff. HGB) anzuwenden?
Allgemeine Grundsätze : §§ 343 - 372 HGB
Nach Art eines Allgemeinen Teils eines Gesetzbuches enthalten die §§ 343 372 HGB für sämtliche Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen des Kaufmanns allgemeine Grundsätze. Diese allgemeinen, für sämtliche Handelsgeschäfte geltenden Regelungen sind zugleich gegenüber den BGB Vorschriften Spezialregelungen, die den besonderen Erfordernissen des
Handelsverkehrs angepaßt sind. Sie betreffen nicht nur Rechtsgeschäfte,
sondern auch geschäftsähnliche Handlungen des Kaufmanns, wie Mahnungen, Fristsetzungen. Sie gelten aber auch für seine Realakte, wie etwa Verarbeitung, Vermischung, Versenden. Zum besseren Verständnis der Systematik des 4. Buchs, das mit den für alle Handelsgeschäfte geltenden Spezialregelungen beginnt, ist ein Vergleich mit dem Allgemeinen Teil des BGB
nützlich. Ebenso wie die Vorschriften über Rechtsgeschäfte im Allgemeinen
Teil des BGB für sämtliche Rechtsgeschäfte, wie Kauf, Tausch, Miete, anzuwenden sind, so finden auch die allgemeinen Regelungen der §§ 343 372 HGB auf sämtliche im HGB geregelten Handelsgeschäfte, wie etwa
Spedition, Lagergeschäft, Frachtgeschäft, Anwendung.
Im Zweifel Kaufmann: Handelsgeschäfte sind alle Geschäfte eines Kaufmanns,
die zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehören (§ 343 HGB). Entscheidend
kommt es hierbei auf die §§ 1 und 2 HGB an. Fehlen nähere Angaben, so ist aufgrund der Formulierung in § 1 Abs. 2 HGB von der Kaufmannseigenschaft auszugehen.
Im Zweifel Handelsgeschäft: Die von einem Kaufmann vorgenommenen
Rechtsgeschäfte gelten im Zweifel als zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehörig (§ 344 Abs. 1 HGB). Wenn H sich z.B. vor Gericht darauf berufen will, daß
66
die Miete ausschließlich seinem Privatleben dient und daß damit das HGB nicht
anwendbar sei, muß er das beweisen. Die widerlegliche Vermutung des § 344
Abs. 1 HGB, nach der Rechtsgeschäfte eines Kaufmanns im Zweifel zum Betrieb
seines Handelsgewerbes gehören, erleichtert die Entscheidung. Der Kaufmann
muß den Gegenbeweis führen, daß kein Handelsgeschäft vorliegt. Dafür reicht
nicht aus, daß er unter seinem Privatnamen und nicht unter seiner Firma gehandelt
hat, denn das ist lediglich ein Indiz für ein Privatgeschäft. So muß sich etwa bei
Schuldscheinen eines Kaufmanns aus der Urkunde selbst ergeben, daß es sich um
eine Privatschuld handelt (§ 344 Abs. 2 HGB). Andernfalls gelten die von einem
Kaufmann gezeichneten Schuldscheine als im Betrieb seines Handelsgewerbes
gezeichnet.
Nicht zu den Handelsgeschäften eines Kaufmanns gehören aber seine Rechtsbeziehungen zu seinen Mitgesellschaftern und seine reinen Privatgeschäfte. Die Einordnung von Rechtsgeschäften wie etwa einer Testamentserrichtung oder der Eheschließung eines Kaufmanns als Privatgeschäfte ist damit unproblematisch.
Schwieriger ist die Einordnung von Geschäften wie etwa der Kauf eines PKW,
eines Teppichs oder einer Segeljacht. Das können sowohl Handelsgeschäfte als
auch Privatgeschäfte sein. Dann finden im Zweifel die Vorschriften über Handelsgeschäfte Anwendung (§ 344 HGB).
Gelingt ihm das nicht, so bleibt es bei der Vermutung des § 344 Abs. 1 HGB1.
Nach dem vorliegenden Sachverhalt
Handelsgeschäfte anwendbar.
sind
die
Vorschriften
über
die
Der Begriff des Handelsgeschäfts wird vom Gesetzgeber mit unterschiedlicher
Bedeutung verwendet. In den §§ 22 - 28, 48 HGB ist damit der kaufmännische
Gewerbebetrieb gemeint. Demgegenüber sind Handelsgeschäfte i.S. von § 343
HGB alle Aktivitäten eines Kaufmanns, die zum Betriebe seines Handelsgewerbes
gehören. Handelsgeschäfte im Sinne von § 343 HGB sind also die einzelnen
geschäftlichen Tätigkeiten und Vorgänge in einem Unternehmen (Rechtsgeschäfte, geschäftsähnliche Handlungen und Realakte eines Kaufmanns). Auch die
Grund-, Neben- und Hilfsgeschäfte eines Kaufmanns sind Handelsgeschäfte, wenn
sie von ihm im Betrieb seines gewöhnlich auf andere Geschäfte gerichteten Handelsgewerbes geschlossen werden.
Fall 41: Der Reisende R ist von seiner Firma beauftragt, neue Kunden für ihre
Produkte (Maschinen) zu werben. R ist zunächst für ein Jahr auf Provisionsbasis
angestellt. Er hat keine Vollmacht zum Abschluß der Lieferungsverträge. Seine
Tätigkeit beschränkt sich darauf, die Kunden zum Unterschreiben eines Auftragsformulars zu bewegen. An einen festen Arbeitsplan ist er nicht gebunden. Ist er
Handelsvertreter oder Handelsmäkler?
1
Siehe Prof. v. Stebut http://www.tu-berlin.de/~ifr1/hrt12.htm
67
Unterschied Vermittlungs- und Abschlußvertreter: Der Unterschied zwischen
§ 84 Abs. 1 und § 93 Abs. 1 HGB ist, daß der Handelsvertreter ständig mit einer
Aufgabe betraut ist, der Handelsmäkler nur von Fall zu Fall tätig wird. Der Mäkler
hat meist bei jedem Geschäft andere Parteien zu betreuen, der Vertreter hat immer
den gleichen Auftraggeber; nur selten arbeitet er für mehrere Firmen zugleich. R
ist demnach Handelsvertreter in Form des Vermittlungsvertreters (im Gegensatz
zum Abschlußvertreter). Letzterer schließt im Namen des Vertretenen (§ 164
BGB) den Vertrag komplett ab, ersterer bringt die Parteien zusammen; diese
schließen dann persönlich den Vertrag. Wenn ein bloßer Vermittlungsvertreter
schon selbst den Vertrag im Namen seiner Firma schließen wollte, so wäre dieser
nach § 177 BGB schwebend unwirksam (vgl. auch § 91a HGB).
Fall 42: Der Handelsmäkler M vermittelt ein Geschäft. Dabei wird der Vertrag
nicht wirksam, weil eine vertraglich vereinbarte Bedingung nicht eintritt. Hat M
Anspruch auf Vergütung?
Erfolgshonorar: Über die nicht eingetretene Bedingung ist in den §§ 93 ff. HGB
nichts gesagt. Daher müssen wir auf das subsidiär geltende BGB zurückgreifen.
Aus § 652 Abs. 1 Satz 2 BGB folgt, daß M keine Ansprüche hat.
Fall 43: E hat von seiner Tante Frieda diverse Einrichtungsgegenstände geerbt. Da
er niemand kennt, der ihm die Sachen abnehmen will, bittet er seinen Freund, den
Möbelhändler M, die Gegenstände an sich zu nehmen und in seinem, M's Namen,
zu verkaufen. Was für einen Vertrag haben E und M geschlossen?
Kommissionsvertrag: Sie haben gem. § 383 HGB einen Kommissionsvertrag
geschlossen, denn M soll im eigenen Namen handeln. Daß M die Kommission nur
nebenbei ausführt, ist gem. § 406 Abs. 1 Satz 2 HGB unschädlich. M ist insoweit
sog. Gelegenheitskommissionär. Da er verkaufen soll, ist er Verkaufskommissionär. E heißt laut § 383 HGB Kommittent.
Fall 44: Nach welchen Vorschriften geht das Eigentum an den Möbeln auf den
späteren Käufer K über bzw. erwirbt E den Erlös?
Vertragspartner sind Käufer und Kommissionär: Der Käufer erwirbt das Eigentum nach § 185 Abs. 1 BGB. Der Kaufvertrag gem. § 433 BGB besteht und
schafft rechtliche Bindungen zwischen Käufer und Kommissionär. Nur dieser ist
Gläubiger der Kaufpreisforderung. Dies sagt auch § 392 HGB. Besonders § 392
Abs. 2 HGB ist wichtig: Wenn der Kommissionär von seinen Gläubigern bedrängt
wird oder in Konkurs fällt, gelten die noch nicht beglichenen Forderungen aus
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Kommissionsgeschäften als Ansprüche des Auftraggebers. E wird erst Gläubiger
des Kaufpreisanspruchs bzw. Eigentümer des Geldes, wenn M an ihn die Forderung abtritt (§ 398 BGB) bzw. das Geld einzieht und an ihn
übergibt (§ 929 BGB).
Weitere wichtige Vorschriften: §§ 384, 385, 390, 396, 400 HGB.
2. Spediteur, Frachtführer, Lagerhalter
Fall 45: X besitzt drei Lastwagen, mit denen er je nach Bedarf Güter auf der Strecke München-Nürnberg befördert. Ist er Spediteur?
Spediteur ist, wer es gewerbsmäßig übernimmt, Güterversendung durch Frachtführer oder Verfrachter von Seeschiffen für Rechnung des Versenders im eigenen
Namen zu besorgen (§ 407 HGB). Der Spediteur schließt mit dem Versender einen Speditionsvertrag, d.h. einen Geschäftsbesorgungsvertrag. Auf die so begründeten Rechtsbeziehungen finden neben den §§ 407 - 415 HGB durch die Verweisung in § 407 Abs. 2 HGB die Vorschriften über die Kommission und außerdem
die allgemeinen handelsrechtlichen Vorschriften Anwendung. Das sind vor allem
die Regelungen über Handelsgeschäfte (§§ 342 ff. HGB). Ergänzend ist schließlich auch noch auf die BGB-Vorschriften über die Geschäftsbesorgung (§ 675)
und auf das Auftragsrecht (§§ 662 ff. BGB) zurückzugreifen.
Ein Spediteur transportiert also nicht selbst, sondern betraut einen Frachtführer
mit der Güterversendung. Der Spediteur veranlaßt und vermittelt lediglich die
Güterversendungen, die von Frachtführern oder Verfrachtern ausgeführt werden.
Die Rechtsbeziehungen von Spediteur und Versender aus dem Speditionsvertrag
dürfen nicht verwechselt werden mit denen des Spediteurs zum Frachtführer oder
Verfrachter. Letztere ergeben sich aus dem Frachtvertrag, den der Spediteur im
eigenen Namen und für Rechnung des Versenders mit dem Frachtführer oder Verfrachter abschließt) In der Umgangssprache wird allerdings regelmäßig der Befördernde selbst als Spediteur bezeichnet. Das ist schon deshalb erklärlich, weil Spediteure tatsächlich häufig die Güterversendung selbst übernehmen und dazu nach
§ 412 Abs. 1 HGB auch berechtigt sind.
Zwischen dem Versender und dem Spediteur wird ein Speditionsvertrag geschlossen, der nur Rechte und Pflichten zwischen diesen beiden Parteien begründet. Soweit die §§ 409 ff. HGB keine Sonderregelungen für den Speditionsvertrag enthalten, hat der Spediteur die Rechte eines Kommissionärs (§ 407 Abs. 2 HGB). Ihm
steht für seine Tätigkeit eine Provision zu, die mit der Übergabe des Gutes an den
Frachtführer fällig wird (§ 409 HGB). Er kann außerdem Ersatz seiner Aufwendungen verlangen (§ 407 Abs. 2, § 396 Abs. 2 HGB).
Unterschied Spediteur-Frachtführer: Wenn man die §§ 407 und 425 HGB vergleicht, sieht man, daß X Frachtführer ist, weil er selbst befördert. Der Spediteur
dagegen ist nur der Manager, der die Beförderung durch Frachtführer organisiert.
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Fall 46: Sie lassen Ihren Koffer vom Gepäckträger G zum Gepäckwagen bringen.
Was für einen Vertrag haben Sie geschlossen?
Frachtführer: Einen Werkvertrag (§ 631 BGB) in Form des Frachtvertrages;
denn G ist selbständiger Frachtführer. Er befördert nämlich Güter zu Lande auf
eigene Rechnung. Daß diese Güter nicht sehr umfangreich sind, spielt keine Rolle.
Frachtführer ist, wer es gewerbsmäßig übernimmt, die Beförderung von Gütern zu
Lande oder auf Flüssen oder auf sonstigen Binnengewässern auszuführen (§ 425
HGB). Der Frachtführer ist also ein Kaufmann, der den unmittelbaren Transport
übernimmt und ausführt. Er schließt damit einen spezialgesetzlich geregelten und
gegenüber den allgemeinen Vorschriften der §§ 631 ff. BGB modifizierten Werkvertrag. Da es sich beim Frachtvertrag um einen Vertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter handelt, sind auch die Vorschriften über die Geschäftsbesorgung
(§ 675) und über den Auftrag (§§ 665 ff. BGB) ergänzend heranzuziehen. Der
Frachtvertrag ist ein Vertrag des Frachtführers mit dem Absender zugunsten des
Empfängers des Gutes i. S. von § 328 BGB. Absender im Sinne des Frachtrechts
kann nicht nur ein Spediteur, sondern auch jeder andere sein, der Waren versenden
will. Regelmäßig wird auch für Transportverträge die Geltung der ADSp mit ihren
Haftungsbeschränkungen vereinbart.
Lagergeschäft: §§ 416, 417 HGB.
Lagerhalter übernehmen gewerbsmäßig die Lagerung und Aufbewahrung von Gütern (§ 416 HGB). Vertragspartner des Lagerhalters ist der Einlagerer. Die Regelungen über die Lagerhaltung sind vor allem bedeutsam beim Massengeschäft
sowie im Im- und Export. Der Lagerhalter ist ein spezialisierter Fachmann, der
damit effektiver arbeitet, als es dem Einlagerer selbst bei Eigenlagerung möglich
wäre. Häufig unterhält der Lagerhalter ein Zollager, so daß auf importierte Waren
bis zur Entnahme noch kein Zoll zu zahlen ist.
Der Lagerhalter ist Kaufmann. Er schließt einen entgeltlichen Verwahrungsvertrag
i. S. von § 688 BGB über lagerfähige Güter. Die Rechte und Pflichten des Lagerhalters bei Übernahme, Aufbewahrung und Versicherung des Lagergutes ergeben
sich aufgrund der Verweisung in § 417 Abs. 1 HGB aus den für Kommissionäre
geltenden Vorschriften der §§ 388 - 390 HGB. Soweit die §§ 417 - 424 sowie §§
388 - 390 HGB keine Sondervorschriften für das Lagergeschäft enthalten, ist auf
die §§ 688 - 700 BGB über die Verwahrung zurückzugreifen.
Das Lagergeschäft ist ein spezialgesetzlich geregelter Fall der Verwahrung, auf
das die §§ 688 ff. BGB über die Verwahrung ergänzend anzuwenden sind. Vertragsinhalt des Lagergeschäfts ist nicht nur die Lagerung selbst, sondern auch die
Aufbewahrung. Der Lagerhalter schuldet also neben der ordnungsmäßigen Lagerung auch die Beobachtung des Guts. Zu Erhaltungsmaßnahmen sowie zur speziellen Behandlung des Lagergutes (z.B. Ungezieferbekämpfung) ist er nur aufgrund einer besonderen Vereinbarung verpflichtet. Er muß aber drohende Veränderungen am Gut nach § 417 Abs. 2 HGB dem Einlagerer unverzüglich mitteilen.
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Neben den §§ 416 ff. HGB findet die Verordnung über Orderlagerscheine vom 16.
Dezember 1931 (RGBl. I S. 763) Anwendung. Werden Orderlagerscheine ausgestellt, so verdrängen die Regelungen der Orderlagerscheinverordnung weitgehend
die Regelungen in §§ 416 - 423 HGB.
3. Schweigen auf einen Antrag
a) Geschäftsbesorgungsvertrag nach HGB (§ 362 HGB)
Fall 47: Der Landshuter Drucker Meier hinterlegt eines Abends nach Geschäftsschluß auf dem Gelände seines Stamm-Frachtführers Schreiber eine Sendung mit Druckerzeugnissen. In einem beigelegten Begleitschreiben bittet er um
Beförderung nach München. Schreiber ist Sozialdemokrat. Als er sieht, daß es
sich bei der Sendung um einer CSU-Wahlkampfbroschüre handelt, bringt er es
nicht über sich, die Sendung zu befördern. Zwei Tage später ruft Meier bei ihm an
und verlangt die Erledigung des Auftrags. Schreiber weigert sich. Zu Recht?
Schweigen des Kaufmanns als Annahme des Antrags ( consentire (non) videtur qui tacit ): Normalerweise kommen Verträge zustande durch Angebot und
Annahme, §§ 130, 145 ff BGB; siehe aber auch § 151 BGB! Geht einem Kaufmann, dessen Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich
bringt, ein Antrag über die Besorgung solcher Geschäfte von jemand zu, mit dem
er in Geschäftsverbindung steht (also nicht bei branchenfremden Geschäften), so
ist er verpflichtet, unverzüglich zu antworten. Danach ist eine ausdrückliche Annahme überflüssig. Schweigen gilt hier ausnahmsweise als Ausnahme des Vertragsangebots (§ 362 Abs. 1 Satz 1 HGB). So verständlich auch die Motive des
Schweigens sein mögen; wer im Rahmen des
§ 362 HGB den Auftrag ablehnen
will, muß dies ausdrücklich tun.
Das Schweigen gilt auch als Annahme des Antrags, wenn einem Kaufmann ein
Antrag über die Besorgung von Geschäften von jemand zugeht, dem gegenüber er
sich zur Besorgung solcher Geschäfte erboten hat (§ 362 Abs. 1 Satz 2 HGB). Ein
Zeitungsinserat allein genügt für § 362 Abs. 1 Satz 2 HGB nicht.
b) Geschäftsbesorgungsvertrag nach BGB (§ 663 BGB)
Fall 48: Wie im Fall vorher, bloß bestanden zwischen Meier und Schreiber bisher
keine Geschäftsbeziehungen. Kommt auch in diesem Fall der Auftrag zustande?
Anzeigepflicht bei Ablehnung: Die Voraussetzungen des § 362 HGB sind nicht
erfüllt. Ergänzend zu § 362 HGB kommt § 663 BGB zur Anwendung. Wer danach
zur Besorgung gewisser Geschäfte öffentlich bestellt ist oder sich öffentlich erbo-
71
ten hat, ist, wenn er einen auf solche Geschäfte gerichteten Auftrag nicht annimmt, verpflichtet, die Ablehnung dem Auftraggeber unverzüglich anzuzeigen.
Beispiele für „öffentlich erboten“: Schild am Haus, öffentliches Geschäftslokal,
Zeitungsanzeige. Personengruppen: Makler des BGB, Rechtsberater,
Rechtsanwälte (hierfür § 44 BRAO), Patentanwälte, Taxatoren, Versteigerer,
Banken; nicht: Ärzte, Hebammen, da sie i.S. von § 675 BGB nicht „Geschäfte
besorgen“.
... aber keine Annahme des Antrags: Es ist jedoch - anders als bei § 362 BGH kein Vertrag zustande gekommen; denn vom Zustandekommen eines Vertrages
spricht § 663 BGB nicht. Schreiber hat durch das Schweigen lediglich seine
Pflichten aus § 663 BGB verletzt und haftet dem Meier deswegen für alle Schäden, die dem Auftraggeber dadurch entstehen, daß er im Vertrauen auf die Annahme des Auftrags davon absieht, das vorgesehene Geschäfte anderweitig zu
erledigen (BGH NJW 1984, 866). § 663 BGB ist einer der gesetzlich geregelten
Fälle der culpa in contrahendo (c.i.c.). Beispiel: Witterungsschaden an den Waren.
c) Handelsbrauch (§ 346 HGB)
Fall 49: Die Kaufleute A und B verhandeln seit einiger Zeit über ein bestimmtes
Geschäft, ohne daß eine Einigung erzielt wird. Schließlich schickt A dem B ein
Bestätigungsschreiben: Er nehme B's letztes Angebot in Höhe von DM 11.000
DM an. B hatte in Wirklichkeit aber DM 12.000 DM gefordert. B schweigt auf
den Brief des A. Ist der Vertrag zustandegekommen?
Kaufmännisches Bestätigungsschreiben: Unter Kaufleuten herrschen gem.
§ 347 HGB besonders strenge Sorgfaltspflichten. Danach hat der Kaufmann für
die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns einzustehen. Da A und B lange verhandelt haben, ist es ein Gebot der Fairneß, den Partner über einen etwaigen Irrtum aufzuklären. Wer das nicht tut, muß das Bestätigungsschreiben gegen sich
gelten lassen. Aufgrund dieser Erwägungen hat sich im Rahmen von § 346 HGB
der Handelsbrauch entwickelt, daß das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben
als Annahme gilt. Anders wäre es nur, wenn das Schreiben von den Verhandlungen so abweicht, daß mit einer Annahme nicht gerechnet werden konnte. Gleichgültig ist dagegen, ob bei den mündlichen Verhandlungen schon eine Einigung
erzielt war (die dann durch das Bestätigungsschreiben modifiziert wird) oder nicht
(wie im gegebenen Fall).
Definition des Handelsbrauchs, -sitte, -usance: Nach § 346 HGB ist unter Kaufleuten auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen. Diese Gewohnheiten und Gebräuche werden als Handelsbrauch
bezeichnet. Handelsbräuche stellen keine Rechtsnormen dar, bilden aber Regeln,
die in der kaufmännischen Praxis befolgt werden müssen und auf die in der Rechtsprechung Rücksicht zu nehmen ist.
Ein Handelsbrauch entsteht dadurch, dass er unter Zustimmung der beteiligten
72
Handelskreise (Branche) über einen gewissen Zeitraum tatsächlich geübt wird.
Ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarungen der Vertragspartner gehen
den Handelsbräuchen jedoch vor. Soweit aber nichts anderes vereinbart ist, gelten
die Handelsbräuche auch dann, wenn die Beteiligten sie nicht gekannt oder das
rechtliche Ergebnis nicht gewollt haben.
Handelsbräuche sind die Verkehrssitte des Handels, spielen also für die Auslegung von Willenserklärungen und Rechts-, d.h. Handelsgeschäften eine zentrale
Rolle. Ein Handelsbrauch liegt dann vor, wenn eine verpflichtende Regel gegeben
ist, die auf einer gleichmäßigen, einheitlichen und freiwilligen Übung der beteiligten Kreise für vergleichbare Geschäftsvorfälle über einen angemessenen Zeitraum
hinweg beruht und der eine einheitliche Auffassung der Beteiligten zugrunde liegt.
Aber nicht nur für die Auslegung von Willenserklärung und Handelsgeschäften,
sondern auch für die Würdigung eines Verhaltens als Willenserklärung und für die
Rechtsfolgen von Willenserklärungen und anderen Handlungen und Unterlassungen gelten Handelsbräuche.
Im Gegensatz zu Handelsgesetzen gelten Handelsbräuche meist nicht allgemein,
sondern beschränkt auf einzelne Geschäftszweige, Gruppen in einem Geschäftszweig, Gebiete, Orte oder Börsen. Handelsbräuche gelten normativ, also auch ohne Kenntnis oder Unterwerfungswillen der Parteien. Der Brauch gilt auch gegen
den Kaufmann, der erstmals tätig wird. Eine Irrtumsanfechtung wegen Unkenntnis
ist nicht möglich (streitig). Gegenüber zwingendem Recht gelten Handelsbräuche
nicht.
Die Industrie- und Handelskammern stellen auf Anforderung eines Gerichts durch
Befragung entsprechender Unternehmen fest, ob ein im Prozeß behaupteter Handelsbrauch besteht. Ist hierfür eine bundesweite Befragung erforderlich, erfolgt sie
durch den Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT). Jede Industrie- und Handelskammer verfügt über ein Register der festgestellten Handelsbräuche.
Wer wissen will, ob in einer bestimmten Branche ein Handelsbrauch festgestellt
ist, kann dies derzeit im wesentlichen nur durch eine Anfrage bei Industrie- und
Handelskammern in Erfahrung bringen.
Wichtigstes Beispiel für einen Handelsbrauch ist das sogenannte Schweigen auf
ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben. Ferner haben sich auch zahlreiche
Handelsklauseln wie etwa "ab Werk", "freibleibend, ohne Obligo" oder "netto
(rein netto)" eingebürgert.
Sonstige Beispiele: Schweigen auf Mitteilung des Saldos im Rahmen eines Kontokorrent-Vertrags (vgl. § 355 HGB); Schweigen auf eine Bestellung laut Katalog.1
1
Fälle und Lösungen abgewandelt aus Schwind/Hassenpflug/Nawratil, HGB.
73
V. Der Handelskauf (§§ 373 ff. HGB)
1. Kauf nach BGB und HGB
a) Voraussetzungen für Handelskauf
Fall 50: Die achtjährige Susi kauft bei einem Kiosk mit ihrem ersten Taschengeld
ein Eis um 1 DM. Liegt ein Handelskauf vor?
Im Gesetz ist nicht definiert, was unter dem Begriff Handelskauf zu verstehen ist.
Es ist ein Kaufvertrag i.S. der §§ 433 ff. BGB, der zu den in §§ 343, 344 HGB
genannten Handelsgeschäften gehört. Es kann sich dabei sowohl um einen Sachkauf als auch um bestimmte Arten von Rechtskäufen handeln. Das ergibt sich aus
§ 373 Abs. 1 HGB (Kauf von Ware) und aus § 381 Abs. 1 HGB: Die für den Kauf
von Waren getroffenen Vorschriften gelten auch für den Kauf von Wertpapieren.
Kein Handelskauf sind demnach Kaufverträge über unbewegliche Sachen
(Grundstücke) und über nicht verbriefte Forderungen. Auf derartige Kaufverträge
finden nicht die handelsrechtlichen Spezialvorschriften über den Handelskauf,
sondern neben den allgemeinen Regelungen für Handelsgeschäfte in den §§ 343 372 HGB die für alle Kaufverträge geltenden Grundsätze des BGB Anwendung.
Die §§ 373 - 382 HGB über den Handelskauf modifizieren nur einzelne Vorschriften des bürgerlichen Rechts, sie enthalten keine vollständige Regelung. Sie basieren im Prinzip darauf, daß der Verkäufer begünstigt wird. In seinem Interesse hat
der Gesetzgeber die Pflichten des Käufers verschärft, um so die für den Handel
erwünschte rasche Klärung und Abwicklung der Rechtsverhältnisse zu erreichen.
Eine Ausnahme bildet § 376 HGB über den Fixhandelskauf, durch den vor allem
der Käufer begünstigt wird.
Die Spezialregelungen für den Handelskauf gelten auch für Tausch- und Werklieferungsverträge über vertretbare und über nicht vertretbare Sachen. Das ergibt sich
für Tausch- und Werklieferungsverträge über vertretbare Sachen bereits aus den
Verweisungen auf das Kaufrecht in § 515, § 651 Abs. 1 Satz 2 BGB; für den
Werklieferungsvertrag über nicht vertretbare Sachen aus § 381 Abs. 2 HGB. Am
Vertragsschluß muß mindestens ein Kaufmann beteiligt sein, für den der Vertrag
zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehört. Die Spezialregelungen über den
Handelskauf wirken sich dann auch für den anderen Vertragspartner aus, der nicht
Kaufmann ist1.
Handelskauf bei einseitigem Handelsgeschäft: Das HGB ist immer anzuwenden, wenn ein Kaufmann im Spiel ist. Da in den §§ 373 ff. HGB - mit Ausnahme
von §§ 377, 378, 379 HGB - ein beiderseitiges Handelsgeschäft nicht verlangt
wird, liegt ein Handelskauf vor (vgl. auch §§ 343, 344 HGB). Unschädlich ist
auch die Minderjährigkeit von Susi (§§ 2, 106, 107, 110 BGB).
1
Nach Stebut a.a.O.
74
Fall 51: Herr Röderstein verkauft ein Fabrikgelände an Herrn Krenkel. Liegt ein
Handelskauf vor?
Handelskauf nur bei Waren (beweglichen Sachen): Waren (§§ 373 ff. HGB)
sind bewegliche Sachen. Die §§ 381, 382 HGB treffen einige Sonderregelungen,
die hier nicht einschlägig sind. Dieses Rechtsgeschäft ist kein Handelskauf gem.
§§ 373 ff. BGB, weil ein Grundstück keine bewegliche Sache (Ware) ist. Da das
Geschäft aber gem. § 343 HGB ein sonstiges Handelsgeschäft ist, gelten die allgemeinen Regeln der §§ 343-372 HGB.
b) Annahmeverzug (§§ 373 f. HGB)
Fall 52: Konrad (K) kauft bei dem Elektrohändler Volz (V) ein Fernsehgerät. Als
V am nächsten Tag vereinbarungsgemäß den Apparat zu K bringt, verweigert dieser die Annahme. Er habe es sich anders überlegt und wolle das Geld lieber für
einen Besuch in einem Schlemmerlokal verwenden. Was kann V tun?
HGB-Ansprüche: Da V Kaufmann ist und eine Ware verkauft wurde, liegt gem.
§§ 343, 344, 373 ff. HGB ein Handelskauf vor. Da K im Annahmeverzug (=
Gläubigerverzug) ist (§§ 293, 294, 300 BGB), kann V wahlweise die Ware hinterlegen (§ 373 Abs. 1 HGB), sie versteigern (§ 373 Abs. 2 Satz 1 HGB) oder u.U.
freihändig verkaufen (§ 373 Abs. 2 Satz 1 HGB).
BGB-Ansprüche: Nach § 374 HGB hat V neben den Rechten aus § 373 HGB
noch Ansprüche nach dem BGB. In Betracht kommt § 304 BGB; wenn der Fernseher zufällig beschädigt wird, zusätzlich § 324 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB. Die
Rechte aus den §§ 383, 372 BGB sind für V weniger interessant, da die HGBRegelung großzügiger ist. § 326 BGB gilt nicht, weil die Abnahme der gekauften
Sache gem. § 433 BGB nur sog. Nebenpflicht und nicht die Gegenleistung ist.
Gegenleistung ist nur die Zahlung. §§ 320 ff. BGB beschäftigen sich aber nur mit
dem Verhältnis Leistung - Gegenleistung. Allerdings kommen Rechte des V aus
den §§ 286 Abs. 1, 284 BGB (Schuldnerverzug des K) in Frage.
c) Fixgeschäft
aa) Fixhandelskauf (§ 376 HGB)
75
Fall 53: Die Schönheitstänzerin Coco (C) läßt sich bei dem Maß- und Konfektionsgeschäft Langsam (L) aus einem dort ausgesuchten Stoff für ihre Tournee raffinierte Kostüme schneidern. Sie schärft dabei dem L ein, daß sie die Kostüme
spätestens in vierzehn Tagen für ihren nächsten Auftritt brauche. L garantiert ihr
die rechtzeitige Lieferung, kommt aber dann doch in Verzug. Welche Ansprüche
hat C?
Fixgeschäft bei Werklieferungsvertrag: Die §§ 373 ff. HGB finden auch bei
einem Werklieferungsvertrag (§ 651 BGB) Anwendung (§ 381 Abs. 2 HGB). L ist
Kaufmann. Die Vertragsparteien waren sich einig, daß der Vertrag stehen und
fallen sollte mit der rechtzeitigen Lieferung; denn ohne diese war die Leistung für
C ohne Interesse. Es liegt also ein sog. Fixgeschäft gem. § 376 HGB vor.
C hat nach § 376 Abs. 1 HGB wahlweise folgende Rechte:
• Rücktritt;
• Schadensersatz wegen Nichterfüllung (die Voraussetzung, nämlich Verzug, ist
gem. §§ 284, 285 BGB hier erfüllt);
• Erfüllung (Voraussetzung: sofortige Geltendmachung des Erfüllungsanspruchs).
bb) Fixgeschäft nach BGB
Fall 54: Wie vorhergehender Fall mit der Abwandlung, daß L ein kleiner Schneider ist, der die Kleider ausschließlich aus mitgebrachten Stoffen der Kunden herstellt. Welche Ansprüche aus dem Fixgeschäft hat C diesmal?
Fixgeschäft bei Werkvertrag: L ist diesmal kein Kaufmann (vgl. § 1 Abs. 2, § 2
HGB), das HGB kommt also nicht in Anwendung. Einschlägig ist jetzt § 361
BGB.
C hat folgende Rechte:
• Rücktritt gem. § 361 BGB;
• der Erfüllungsanspruch bleibt mangels abweichender Regelung erhalten, und
zwar auch ohne sofortige Anzeige;
• Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur nach Setzen einer Nachfrist gem.
§ 326 Abs. 1 Satz 1 BGB (bei § 376 HGB ist keine Nachfrist notwendig).
76
2. Die Mängelrüge
Fall 55: Der Wirt (W) bestellt bei dem Gutsbesitzer B, welcher eine Brauerei als
nichteingetragenes Nebengewerbe betreibt, ein Faß Bier. Das gelieferte Bier ist
sauer und damit unverkäuflich (jedenfalls bei nüchternen Gästen). W schickt B
acht Tage nach Lieferung eine Mängelanzeige. Welche Rechte hat W?
§ 377 HGB nur bei beiderseitigem Handelsgeschäft: Einschlägig könnte hier §
377 HGB sein. Diese Vorschrift setzt aber ein beiderseitiges Handelsgeschäft voraus. Zwar ist W gem. § 1 HGB Kaufmann, B dagegen mangels Eintragung gem.
§ 3 HGB nicht Kaufmann. § 377 HGB greift daher nicht ein. Auch sonstige Vorschriften über Handelskauf oder Handelsgeschäfte, die hier interessieren, sind
nicht vorhanden.
Ergänzend BGB-Vorschriften: Demnach kann die gestellte Frage nur nach BGB
beantwortet werden. Die Gewährleistungsansprüche (vgl. §§ 462, 465 BGB) wegen des vorliegenden Fehlers (§ 459 Abs. 1 BGB) verjähren erst nach sechs
Monaten (§ 477 BGB).
Fall 56: Wieder kauft W von B ein Faß Bier, welches sich nachträglich als ungenießbar erweist. Wieder rügt W nach acht Tagen den Mangel. Im Unterschied zu
vorhergehendem Fall ist B diesmal als Kaufmann im Handelsregister eingetragen
(§ 3 Abs. 2 HGB). Welche Rechte hat W?
Unverzügliche Untersuchungs- und Rügepflicht bei beiderseitigem Handelsgeschäft: Jetzt ist der Kauf für beide Seiten ein Handelsgeschäft. § 377 HGB
greift ein mit der Folge, daß W alle Gewährleistungsansprüche (§§ 459, 462, 465
BGB) verliert, weil er nicht unverzüglich (Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1
BGB) reklamiert hat. Der Handelsverkehr stellt also hohe Anforderungen an den
Kaufmann; denn hier ist man ganz besonders auf die rasche Klärung der gegenseitigen Ansprüche angewiesen.
Fall 57: Könnten W und B vereinbaren, daß die Untersuchungspflicht und Rügefrist des § 377 HGB auf vier Wochen verlängert wird?
Wegen Vertragsfreiheit Modifizierung möglich: Nach dem Grundsatz, daß überall das BGB subsidiär gilt, ist auch § 305 BGB („Vertragsfreiheit“) anwendbar.
77
Da die Vorschriften über die Mängelrüge schuldrechtlichen Charakter haben, steht
der Anwendung des § 305 BGB nichts im Wege; zu beachten wäre höchstens §
476 BGB. Die Frist kann also verlängert werden.
Fall 58: Abermals kauft der Wirt W bei dem Brauer B (eingetragener Kaufmann)
ein Faß Bockbier. B liefert aber Pilsner. W rügt erst nach acht Tagen. Welche
Rechte hat W?
Abwandlung: Wie wäre es übrigens, wenn in obigem Fall die Vertragspartner
keine Kaufleute wären?
Falschlieferung (Aliud-Lieferung): Jetzt greift § 378 HGB ein. Danach finden
die Vorschriften des § 377 HGB auch dann Anwendung, wenn eine andere als die
bedungene Ware oder eine andere als die bedungene Menge von Waren geliefert
ist, sofern die gelieferte Ware nicht offensichtlich von der Bestellung so erheblich
abweicht, daß der Verkäufer die Genehmigung des Käufers als ausgeschlossen
betrachten mußte. W muß das Faß behalten. Es handelt sich hier um einen sog.
Art-Mangel (aliud-Lieferung). Ähnlich wäre es, wenn nicht Gattungs- (§ 243
BGB), sondern Stückschuld vorläge. Beispiel: Kaufmann A sucht sich bei Kaufmann B einen gebrauchten Lkw aus. B liefert aber einen anderen gebrauchten
Lkw. Auch diese Lieferung eines falschen Stücks ist gem. den §§ 378, 377 HGB
heilbar.
... bei nicht beiderseitigem Handelsgeschäft (Abwandlung): In diesem Fall
liegt nach dem BGB kein Sachmangel vor, vielmehr wäre der Vertrag überhaupt
nicht erfüllt. Es wäre so, als ob der Verkäufer nicht geliefert hätte. Eine besondere
Rügefrist besteht nicht.
Fall 59: W bestellt von dem Brauer B (beide Kaufleute) ein Faß Bier. B liefert
diesmal aber ein Faß Wein. W rügt erst nach acht Tagen. Welche Rechte hat W?
Erhebliche Abweichung: Hier gilt der Nachsatz von § 378 HGB. B konnte mit
einer Genehmigung des W nicht rechnen. Die Lieferung ist wie eine unbestellte
Zusendung zu behandeln. W ist an keine Rüge- und Untersuchungsfrist gebunden.
Beispiele: Die Grenze zwischen genehmigungsfähig und nicht genehmigungsfähig
ist in der Praxis allerdings oft sehr verschwommen, z.B. sind genehmigungsfähig:
Sommer- statt Winterweizen, Wein von einer anderen Marke; nicht genehmigungsfähig: Kunststein statt Naturstein, Ziegenfell statt Kalbfell, Holz statt Kohle.
78
Fall 60: W bestellt bei dem Brauer B (beide Kaufleute) ein Hundert-Liter-Faß
Bier. Es ist aber nur ein 75 l-Faß, was W erst nach drei Tagen merkt. Muß er den
vollen Preis zahlen?
Mengenmäßige Abweichung (fehlende Menge): Da § 378 HGB alle Nachteile
einer nicht sofortigen Rüge dem Käufer aufbürdet, kann sich B nicht auf die fehlende Menge berufen und muß voll zahlen. Anders wäre es nur, wenn B bewußt
nur 75 l geliefert und berechnet hätte. Hier kann W zwar nicht nachfordern, zahlt
aber natürlich nur den Betrag, der auf der Rechnung steht.
Fall 61: W bestellt bei dem Brauer B (beide Kaufleute) 20 Fässer und erhält aber
25 Fässer. Muß er alle Fässer zahlen?
Zuviel-Lieferung: Da gem. § 378 HGB jeder Mengenfehler durch Unterlassen
der Rüge geheilt wird, ist auch die Zuviel-Lieferung genehmigt. Da andererseits §
378 HGB eine reine Verkäufer-Schutzvorschrift ist, dürfen B aus diesem Umstand
keine Nachteile erwachsen. W muß 25 Fässer zahlen. Der Mengenfehler wirkt
immer zuungunsten des Käufers: Bei einem Zuwenig voller Kaufpreis, bei einem
Zuviel Nachzahlung. Da diese Frage aber in der Wissenschaft und Praxis noch
sehr umstritten ist und praktisch alle denkbaren Meinungen vertreten werden,
müssen Sie in der Klausur Ihre Meinung in diesem Punkt immer mit einer Begründung versehen.
Fall 62: Welche Rechte hat der Käufer, wenn er eine Falschlieferung gem. § 378
HGB rechtzeitig rügt?
Nach h.M. Sachmangelhaftung: Hierzu werden zwei Meinungen vertreten:
• Die Lieferung eines falschen Stücks oder der falschen Gattung ist im Grunde
keine Erfüllung, so daß also - je nachdem - Verzug oder Unmöglichkeit anzunehmen wäre.
• Andererseits verweist § 378 HGB ausdrücklich auf § 377 HGB, so daß man
folgern könnte: Die rechtzeitig gerügte Falschlieferung ist nicht als Nichtlieferung (so beim normalen Kauf), sondern genauso zu behandeln wie ein rechtzeitig gerügter Sachmangel, also gem. §§ 459 ff. BGB. Diese Meinung ist die
herrschende. Bei rechtzeitig gerügter Falscherfüllung (Mengenfehler oder aliud) hat der Verkäufer nur die Rechte aus §§ 459 ff. BGB wie beim Sachmangel
(Wandelung, Minderung), nicht dagegen die Rechte aus Nichterfüllung (z.B.
§ 326 BGB).
79
3. Gutgläubiger Erwerb
Fall 63: A verkauft und übergibt dem B ein Fahrrad. B erkennt zwar, daß es dem
C gehört, glaubt aber, A sei von C ermächtigt, das Fahrrad in eigenem Namen zu
veräußern. In Wirklichkeit hatte A das Rad nur geliehen. Wird B Eigentümer?
Abwandlung 1: A ist Fahrradhändler.
Abwandlung 2: B ist grob fahrlässig hinsichtlich der Verfügungsmacht des A.
Abwandlung 3: Der Fahrradhändler A hat das Fahrrad gestohlen.
Abwandlung 4: A hat ausdrücklich im Namen des C gehandelt. Tatsächlich war
A nicht bevollmächtigt.
Schutz des guten Glaubens an Eigentum: Gem. § 932 BGB ist nur der gute
Glaube an das Eigentum, nicht aber an die Verfügungsmacht geschützt. B wird
daher nicht Eigentümer.
A als Fahrradhändler (Abwandlungen 1-3): Gem. §§ 1, 343, 344, 366 Abs. 1
HGB ist B's guter Glaube an die Verfügungsbefugnis des Kaufmanns geschützt.
Er wird gem. §§ 932 Abs. 1 BGB, 366 HGB Eigentümer. Wenn der Glaube des B
an die Verfügungsmacht des A auf grober Fahrlässigkeit beruhen würde, wäre der
gutgläubige Erwerb ausgeschlossen (§ 932 Abs. 2 BGB). Wenn der Fahrradhändler das Rad gestohlen hätte, würde B nicht Eigentümer. § 366 HGB erweitert zwar
den Anwendungsbereich des § 932 BGB, schafft aber den § 935 BGB nicht ab;
denn § 366 HGB verweist auf §§ 932 ff. BGB insgesamt.
... handelt ausdrücklich in fremdem Namen (Abwandlung 4): In diesem Fall
schützt § 366 HGB zwar den Glauben an die Verfügungsmacht („verfügen“), nicht
aber an die Vertretungsmacht („verpflichten“). Zwar ist gem. §§ 932 Abs. 1 BGB,
366 Abs. 1 HGB das dingliche Geschäft gültig und B ist gutgläubig Eigentümer
geworden. Das schuldrechtliche Geschäft (Kaufvertrag, § 433 BGB) ist gem. §
177 BGB schwebend unwirksam. C kann das Fahrrad von B zurückverlangen, da
dieser - wenn C nicht genehmigt - ohne gültiges Kausalgeschäft, also ohne
Rechtsgrund im Sinne von § 812 BGB erworben hat. § 366 Abs. 1 HGB hat also
nur praktische Bedeutung, wenn der Kaufmann fremde Sachen unbefugt im eigenen Namen verkauft und der Kunde die wahre Eigentumslage kennt (wenn er sie
nicht kennt, erwirbt er schon über § 932 BGB) und an die Verfügungsmacht des
Kaufmanns glaubt.
80
4. Kaufmännisches Pfandrecht
Lesen Sie jetzt noch die §§ 397, 404, 410, 411, 421, 440 HGB und notieren
Sie überall: § 366 Abs. 3 HGB.
5. Zurückbehaltungsrecht
Fall 64: Der Autohändler A hat von dem Frachtführer F noch 5.000 DM aus einem Geschäft aus dem letzten Jahr zu fordern. Er ist daher sehr erfreut, als ihm F
einen Lkw zu einer kleinen Reparatur bringt. Kaum steht F's Lkw in der Werkhalle, so erklärt A, er werde den Wagen so lange zurückhalten, bis F seine Schulden
bezahlt habe. Ist dieses Verhalten zulässig?
Abwandlung: F ist nur Entleiher, nicht Eigentümer des Lkw.
Zurückbehaltungsrecht nach BGB:
Hat der Schuldner aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger, so kann er die
geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird
(Zurückbehaltungsrecht). Wer zur Herausgabe eines Gegenstandes verpflichtet ist,
hat das gleiche Recht, wenn ihm ein fälliger Anspruch wegen Verwendungen auf
den Gegenstand oder wegen eines ihm durch diesen verursachten Schadens zusteht, es sei denn, daß er den Gegenstand durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung erlangt hat (§ 273 Abs. 1 und Abs. 2 BGB). Der Herausgabeanspruch des F und der Zahlungsanspruch des A beruhen nicht auf „demselben
rechtlichen Verhältnis“ im Sinne von § 273 BGB (keine Konnexität), so daß kein
Zurückbehaltungsrecht nach BGB gegeben ist.
Zurückbehaltungsrecht nach HGB
I. Funktion
Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht sichert die Ansprüche eines Kaufmanns gegen einen anderen Kaufmann, indem es ihm erlaubt, bestimmte Gegenstände dieses anderen Kaufmanns, die sich in seinem Besitz befinden, zurückzubehalten. Es dient dem Kaufmann damit zugleich als Kreditsicherheit, weil es ihm
eine Befriedigungsmöglichkeit bietet, wenn einer seiner Schuldner, der auch
Kaufmann sein muß, seinen Verpflichtungen aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft nicht nachkommt. Neben dem Leistungsverweigerungsrecht bis zur Erfüllung der Forderung besteht auch ein Recht zur Befriedigung an der zurückbehaltenen Sache.
II. Ausgestaltung
81
Die §§ 369 ff. HGB geben dem Kaufmann ein besonderes, dem Pfandrecht angenähertes Sicherungsrecht. Es ergänzt die Regelungen über die Einrede des nicht
erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) und über das Zurückbehaltungsrecht des BGB (§
273 Abs. 1 und Abs. 2 BGB). Der Gläubiger kann aufgrund seines Zurückbehaltungsrechts die Herausgabe der seinem Schuldner gehörenden beweglichen Sachen und Wertpapiere verweigern. Er kann auch einem Dritten gegenüber das Zurückbehaltungsrecht geltend machen. Denn anders als bei § 273 BGB ist Konnexität für die Geltendmachung des kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts nicht
erforderlich. Es reicht aus, wenn die Ansprüche einem innerlich zusammenhängenden einheitlichen Lebensverhältnis entstammen. Das ist allerdings nicht der
Fall, wenn der Kaufmann Ansprüche aus einer ihm abgetretenen Forderung geltend machen will. In diesem Fall besteht nur die Möglichkeit der Aufrechnung (§§
387 ff. BGB) bei Fälligkeit und Gleichartigkeit. Während das Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB nur bei einem fälligen Anspruch geltend gemacht werden
kann, hat der Kaufmann nach § 370 HGB auch wegen seiner noch nicht fälligen
Forderungen dann ein Zurückbehaltungsrecht, wenn eine Vermögensgefährdung
des Schuldners zu besorgen ist.
III. Befriedigungsrecht
Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht erlaubt dem Kaufmann nicht nur, die
Herausgabe der zurückbehaltenen Sache zu verweigern; es gewährt ihm auch ein
pfandähnliches Befriedigungsrecht. Nach § 371 HGB darf der Inhaber eines
kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts die zurückbehaltenen Sachen mit Vorrang gegenüber anderen Gläubigern verwerten, wenn er hierzu einen vollstreckbaren Titel erlangt hat. Unabhängig davon kann der Kaufmann nach allgemeinen
Regeln durch einen für die gesicherte Forderung erlangten Vollstreckungstitel in
die zurückbehaltenen Sachen vollstrecken, auch wenn sie in seinem Eigentum
stehen. Das kann insbesondere dann bedeutsam sein, wenn er zur Rückübertragung verpflichtet ist. Will er sich nicht im Wege der Zwangsvollstreckung wegen
der Forderung, sondern nur durch die Verwertung der einbehaltenen Sachen und
Wertpapiere befriedigen, so ist ihm das nach § 371 Abs. 1 ebenfalls möglich. Er
muß sich dann durch eine Klage gegen den Eigentümer ein Recht zur Verwertung
verschaffen. Hat er dieses Recht, so kann er die einbehaltenen Sachen wie ein
Pfandgläubiger verkaufen1.
In Frage kommt im Fall 64 allenfalls § 369 Abs. 1 Satz 1 HGB. Die Voraussetzungen hierfür sind erfüllt, und zwar nicht nur wegen seines Anspruchs aus der
kleinen Reparatur, sondern auch wegen seiner alten Forderung über 5.000 DM.
F nicht Eigentümer: Wenn F nur der Entleiher, nicht aber der Eigentümer des
Lkw ist, kann A diesen nicht zurückbehalten; denn jetzt ist der Wagen keine Sache „des Schuldners“.
1
vgl. Stebut a.a.O.
82
Hinweis: Vgl. auch § 369 Abs. 2 HGB. Diese Bestimmung versteht man, wenn
man die §§ 931, 986 Abs. 2 BGB liest. - Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht ist im Gegensatz zum bürgerlich-rechtlichen mit einem pfandartigen Befriedigungsrecht versehen (vgl. § 371 Abs. 1-3 HGB).1
VI. Prokura und Handlungsvollmacht
1. Prokurist und Handlungsgehilfe
Fall 65: Der Kaufmann K ruft auf dem Heimweg von einer Sylvesterfeier dem
angeheiterten B zu: Ab heute sind Sie mein Prokurist. B lehnt dankend ab. Ist B
Prokurist?
Die Prokura ist dem Grunde nach eine gewöhnliche Vollmacht, die jedoch in
vielerlei Punkten von den allgemeinen Regeln abweicht:
a) Person des Erteilenden
Die Prokura kann nur vom Inhaber eines Handelsgeschäftes, mithin von einem
Kaufmann oder seinem gesetzlichen Vertreter erteilt werden, § 48 I HGB. Andere
rechtsgeschäftliche Vertreter sind dazu nicht befugt: meinte § 48 HGB nicht eine
Erteilung durch eigene Willenserklärung des Kaufmannes, wäre er insoweit sinnlos. Als gesetzliche Vertreter kommen hier insbesondere die Organe von Personenhandels- oder Kapitalgesellschaften in Betracht: Die persönlich haftenden Gesellschafter einer oHG oder KG, §§ 125, 161 II, 170 HGB; der Vorstand einer AG,
§ 78 AktG; der Geschäftsführer einer GmbH, § 35 GmbHG.
b) Person des Prokuristen
Die Prokura kann nur einer natürlichen Person erteilt werden. Das ergibt sich aus
§ 52 II HGB, der besagt, daß ein Wechsel des Entscheidungsträgers ohne den Willen des Kaufmannes nicht erfolgen soll. Rechtsgeschäftlich handeln kann aber nur
eine natürliche Person. Würde eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personenhandelsgesellschaft mit Prokura ausgestattet werden, so ließe sich der Entscheidungsträger über die Veränderung der Zusammensetzung des Vertre tungsorgans auswechseln.
( Neben der allgemeinen Vorschrift des § 165 BGB ist weiter zu beachten, daß die
Erteilung einer Prokura möglicherweise deshalb unzulässig ist, weil die zu bevollmächtigende Person bereits eine organschaftliche Stellung innerhalb der Ge-
1
Fälle und Lösungen abgewandelt aus Schwind/Hassenpflug/Nawratil, HGB.
83
sellschaft innehat. Gesetzlich geregelt ist dies in den §§ 105 I AktG, 52 I GmbHG,
6 II 1 MitbestG für Aufsichtsratsmitglieder.)
Die Erteilung einer Prokura an einen organschaftlichen Vertreter ist unzulässig, da
die Vertretungsmacht kraft Organstellung unbeschränkbar ist und eine ähnlich
weitgehende Prokura zu einer doppelten Kompetenz führte, die funktionswidrig
ist, weil dadurch organschaftliche Pflichten unterlaufen werden können
(Staub/Joost, § 48 Rn. 49, MK-HGB/Lieb/Krebs, § 48 Rn. 30 ff. mit weiteren
Einzelheiten). Dies ergibt sich aus den folgenden Erwägungen: Die organschaftliche Vertretungsmacht ist ein Teil der Geschäftsführungsbefugnis des Organs, die
mit entsprechender Haftung gegenüber der Gesellschaft verbunden ist. Beispiele
hierfür sind die §§ 27 III BGB, 43 GmbHG, 92 f. AktG, 34, 41, 99 GenG. Ebenso
haben die Organe öffentliche Pflichten zu erfüllen, insbesondere Anmeldungen
zum Handelsregister und die Insolvenzantragspflicht (die natürlich auch eine
Pflicht gegenüber der Gesellschaft ist), §§ 130a I HGB, 64 GmbHG, 92 II AktG,
99 I GenG. Macht und Verantwortlichkeit sind zwei Seiten derselben Medaille.
Ein rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter, dem zugleich die gesamte Geschäftsführung übertragen wurde hat solche Organpflichten nicht.
c) Art und Weise der Erteilung
Die Prokura muß ausdrücklich erteilt werden, § 48 I HGB. Der Begriff "ausdrücklich" ist wie in § 2 I Nr. 1 AGBG zu verstehen und meint eine Erklärung in Worten, nicht hingegen eine bestimmte Form. Konkludente, stillschweigende Willenserklärungen scheiden damit aus. Die Anmeldung einer nicht bestehenden Prokura zum Handelsregister ist keine Erteilung: Schon das objektive Verhalten ergibt, daß sich der Antrag auf eine bestehende Prokura bezieht, ganz ähnlich der
Vollmachtskundgabe nach § 171 BGB. Zudem würde die Erteilung durch Eintragungsantrag ohnehin an der fehlenden Ausdrücklichkeit scheitern.
d) Eintragung in das Handelsregister
Die Erteilung und das Erlöschen einer Prokura muß zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden, § 53 I, III HGB. Die Eintragung ist nicht konstitutiv, sondern nur deklaratorisch.
e) Umfang derVollmacht
Die Prokura hat einen gesetzlich zwingend festgelegten Umfang, §§ 49, 50 I, III
HGB. Gedeckt sind alle rechtsgeschäftlichen und prozessualen Handlungen, die
der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt. Es ist zu beachten, daß von
irgendeinem Handelsgewerbe die Rede ist, nicht von dem Gewerbe, das der erteilende Kaufmann konkret betreibt. Ein Beschränkung auf gewöhnliche oder branchentypische Geschäfte gibt es nicht. Die Prokura ermächtigt damit auch zu Geschäften, die mit dem betriebenen Handelsgewerbe nichts zu tun haben. Daher
stellt sich gerade hier das Problem des Mißbrauchs der Vertretungsmacht besonders deutlich.
84
aa) Handelsgeschäft: Mit dem Betrieb eines Handelsgewerbes sind Handelsgeschäfte gemeint, §§ 343 ff. HGB. Nicht von der Prokura gedeckt sind damit zum
einen Privatgeschäfte im Namen des Kaufmannes, zum anderen die sogenannten
Grundlagengeschäfte. Dies ist ein Begriff aus dem Gesellschaftsrecht und meint
Geschäfte, die nicht den Betrieb, sondern den Bestand des Unternehmens betreffen, wie z.B. die Änderung des Unternehmensgegenstandes, Veräußerung des Unternehmens oder die Beendigung des Handelsgewerbes. In diesem Zusammenhang
ist zu beachten, daß gewisse Handlungen kraft Gesetzes nur vom Rechtsträger des
Unternehmens oder von dessen Organen, also nicht vom Prokuristen vorgenommen werden können. Dies gilt beispielsweise für den Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens, § 15 InsO. Wichtig ist weiterhin, daß dem Prokuristen nur
die Entscheidung über bestimmte Grundlagengeschäfte verwehrt ist. Durchgeführt
werden können sie indes von diesem sehr wohl (zutr. Staub/Joost § 49 Rn. 22 für
die "Stillegung" des Unternehmens).
bb) Ausnahme Grundstücksgeschäfte: Ausgenommen sind nach § 49 II HGB
die Veräußerung und Belastung von Grundstücken. Dies meint den gesamten
Vorgang, also schuldrechtliche wie dingliche Geschäfte. Nach dem Ansinnen der
Gesetzesverfasser sollten dadurch eine Vermischung von Grundbesitz und Geschäftsbetrieb und die damit verbundenen Meinungsverscheidenheiten zwischen
Prokurist und Kaufmann über die Zweckmäßigkeit von Grundstücksverfügungen
vermieden werden. Da nach der Änderung des Kaufmannsbegriffes durch das
Handelsrechtsreformgesetz vom 22.06.1998 auch gewerbsmäßige Grundstücksgeschäfte ohne weiteres zur Kaufmannseigenschaft nach § 1 II HGB führen, ist diese
Beschränkung der Prokura rechtspolitisch fragwürdig geworden (ähnl.
Staub/Joost, § 49 Rn. 28). Entsprechende Geschäfte können nur vom Einzelkaufmann selbst, anderweitig Bevollmächtigten - deren Vollmacht dann nicht den Umfangs- und Registerschutz genießt - oder Vertretungsorganen der Gesellschaft vorgenommen werden, sofern nicht dem Prokuristen eine "Ergänzungsvollmacht"
erteilt wird, s. § 49 II HGB. Diese Erweiterung der Prokura ist eintragungspflichtig und muß ausdrücklich erteilt werden. Sehr wohl kann der Prokurist Grundstücke ankaufen und sie dabei mit einer Kaufpreishypothek belasten, weil dies im
Ergebnis dem Erwerb eines belasteten Grundstückes gleichkommt, der von der
Prokura unproblematisch gedeckt ist.
cc) Beschränkbarkeit auf die Niederlassung: Die einzig mögliche rechtsgeschäftliche Beschränkung der Prokura ist die auf eine Niederlassung des Inhabers
des Handelsgeschäftes, § 50 III HGB. Wirksamkeitsvoraussetzungen sind hier
jedoch zum einen - anders als bei der Prokura im allgemeinen! - die Eintragung in
das Handelsregister, zum anderen die Verschiedenheit der Firmen der (zwei oder
mehr) Niederlassungen. Dies macht deutlich, daß eine solche Beschränkung nur
unter erheblichen Publizitätsanforderungen wirksam vorgenommen werden kann.
dd) Weiter Umfang: Im übrigen ist die Prokura unbeschränkbar, § 50 I HGB.
Die etwas unglückliche Formulierung des § 50 I HGB - "eine Beschränkung der
Prokura ist Dritten gegenüber unwirksam" - besagt entgegen dem Wortlaut nicht,
85
daß die Vollmacht im Innenverhältnis beschränkt werden kann. Denn eine Vollmacht hat immer nur Außenwirkung; die in § 50 I HGB mittelbar genannte Beschränkung erfolgt stets in dem Rechtsverhältnis, das der Prokura zugrundeliegt.
In der Regel wird dies ein Arbeitsvertrag sein. Die Unwirksamkeit bezieht sich entgegen der herrschenden Meinung - nicht nur auf sachliche Beschränkungen,
sondern auch auf personale Beschränkungen. Letztere sind von der Wendung "unter gewissen Umständen" in § 50 II HGB erfaßt ( Beuthien/Müller, DB 1995, 461
). Gemeint sind allerdings nur rechtsgeschäftliche Einschränkungen, die nicht an
anderer Stelle vom Gesetz zugelassen sind. So kann § 50 I HGB nichts an der Zulässigkeit einer Gesamtprokura nach § 48 II HGB ändern.
f) Folgen der unwirksamen Erteilung
Zunächst ist zu unterscheiden: Liegen Mängel im Erteilungsvorgang vor, die allgemeiner Natur sind und damit zur Unwirksamkeit jedweder Vollmachtserteilung
führen würden, so ergeben sich - bis auf die Folgen einer Eintragung in das Handelsregister - für die Prokura keine Besonderheiten. Dem sind Mängel in den speziellen Voraussetzungen der Prokura gegenüberzustellen, insbesondere:
• Erteilung in einem engeren Umfang als dem nach § 49 HGB
• Erteilung nicht durch den Inhaber des Handelsgeschäftes oder seinen gesetzlichen Vertreter
• Keine ausdrückliche Erteilung
Dazu ist zu sagen:
• Eine "beschränkte" Erteilung führt zu einer wirksamen Prokura im gesetzlichen Umfang, weil nur die Beschränkung unwirksam ist, § 50 I HGB.
Etwas anderes widerspräche dem mit § 50 I HGB bezweckten Verkehrsschutz.
• Die beiden anderen Mängel führen zu einer Unwirksamkeit der Prokura
insgesamt. Dann stellt sich die Frage einer Umdeutung nach § 140 BGB in
eine Vollmacht mit dem "nächstkleinsten" Umfang. Dies wird in der Regel
eine Handlungsvollmacht nach § 54 HGB sein .
• Daneben ist zu prüfen, ob eine Rechtsscheinhaftung im Umfang einer Prokura vorliegt. Dies wird allerdings nur dann relevant, wenn keine Eintragung der unwirksamen Prokura in das Handelsregister erfolgt ist. Bei Eintragung besteht nach § 15 III HGB bzw. den registerrechtlichen Ergänzungssätzen nämlich schon ein Rechtsschein einer Prokura kraft Eintragung. Einer Rechtsscheinshaftung außerhalb des Handelsregisters bedarf
es in diesen Fällen nicht. Bitte beachten Sie, daß sich rechtsgeschäftliche
und Rechtsscheinsvollmacht nur bezüglich desselben Umfanges ausschließen: Eine "Anscheins"- oder "Duldungsprokura" kann sehr wohl den Umfang einer durch Umdeutung gewonnenen Handlungsvollmacht ergänzen.
Zum Fall
Prokurabestellung durch einseitige Willenserklärung: Wenn wir einmal von
dem Problem des § 118 BGB absehen, so ergibt sich folgendes: Die ausdrückliche
Erklärung gem. § 48 Abs. 1 HGB liegt vor. K ist Kaufmann. Die Alkoholisierung
86
des B schadet nicht, da der Schwips nur ein „vorübergehender Zustand“ im Sinne
von §§ 104 Nr. 2, 131 BGB ist. § 105 Abs. 2 BGB liegt nicht vor, da B nur Empfänger einer Willenserklärung ist. B wird also Prokurist durch einseitige Willenserklärung des K. Als Prokurist hat B nur Rechte, aber keine Pflichten (§ 49 Abs. 1
HGB). Der Prokurist hat in der Weise zu zeichnen, daß er der Firma seinen Namen mit einem die Prokura andeutenden Zusatz beifügt (§ 51 HGB); Beispiel:
Firma Kurt Kramer, ppa. Franz Schreiber.
Arbeitspflicht erst durch Handlungsgehilfenvertrag: Der Prokurist ist nur dann
zur Arbeit und zum Tätigwerden verpflichtet, wenn er zusätzlich (z.B.) einen
Handlungsgehilfenvertrag gem. § 59 HGB geschlossen hat. Dieser ist eine besondere Form des Dienstvertrags gem. §§ 611 ff. BGB und regelt nur das sog. Innenverhältnis, d.h. die Beziehungen zwischen Prinzipal (Chef) und Angestelltem. Nur
das Verhältnis des Prokuristen bzw. Handlungsgehilfen zu Dritten (sog. Außenverhältnis), insbesondere die Vertretungsmacht, ergibt sich demnach aus der Prokura. Der Prokurist muß im Innenverhältnis nicht unbedingt Angestellter sein; es
kann z.B. ein bloßer Auftrag (§ 662 ff. BGB) oder etwas Ähnliches vorliegen.
Fall 66: Der siebzehnjährige X hat einen Großhandel geerbt und ist gem. § 112
BGB zur selbständigen Leitung der Firma ermächtigt. Er bestellt einen Prokuristen. Ist die Bestellung wirksam?
Für Bestellung Genehmigung des Vormundschaftsgerichts: Der minderjährige
X ist für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt. Ausgenommen sind Rechtsgeschäfte, zu denen der
Vertreter der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf (§§ 1821 f. BGB).
Dazu zählt auch die Erteilung einer Prokura (§ 1822 Nr. 11 BGB). Die ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erteilte Prokura ist also unwirksam
(§ 1831 BGB).
Fall 67: Der Prokurist akzeptiert einen Wechsel für seinen Chef in Höhe von einer
Million. Gültig?
Wechselgeschäfte durch Prokuristen möglich: Ja, da weder §§ 49 ff. HGB noch
das Wechselgesetz Einschränkungen der Vertretungsmacht enthalten. Der Prokurist ist das „zweite Ich" des Kaufmanns.
Fall 68: Der Prokurist kauft ein Grundstück für die Fa. Zur Sicherung des Restkaufpreises bestellt er auf diesem eine Hypothek. Gültig?
87
Kauf und Belastung von Grundstücken durch Prokuristen möglich: Der Kauf
von Grundstücken ist, anders als der Verkauf, erlaubt. Die Hypothek stellt streng
genommen eine verbotene Belastung gem. § 49 Abs. 2 HGB dar. Hier aber hat die
Rechtsprechung aus praktisch-wirtschaftlichen Gründen entschieden, man müsse
den Fall so ansehen, als werde das Grundstück schon in belastetem Zustand gekauft. Die Restkaufpreishypothek ist demnach nur eine bloße Erwerbsmodalität;
ihre Bestellung ist gültig.
Fall 69: Der Inhaber einer Privatbank ist auf Reisen. Sein Prokurist erfährt zufällig von einer Gelegenheit, 10.000 Flaschen Schnaps günstig einzusteigern. Er erwirbt den Schnaps für die Firma, um ihn später mit Gewinn zu verkaufen.
Gültig?
Branchenfremde Geschäfte möglich: Ja, denn in § 49 Abs. 1 HGB ist vom Betrieb „eines“, also irgendeines Handelsgewerbes die Rede. Das Geschäft kann
auch branchenfremd sein. Merke: Durch seinen Prokuristen kann ein Banker zum
Schnapshändler werden.
Fall 70: Der Prokurist ist der Meinung, sein Chef müsse endlich etwas gegen seinen Haarausfall tun. Er erwirbt daher namens der Firma eine Flasche Haarwasser.
Gültig?
Keine privaten Geschäfte: Nein, da die Haarpflege zweifellos zum privaten und
nicht zum geschäftlichen Bereich gehört. Der Kauf ist daher gem. §§ 49 Abs. 1
HGB, 177 BGB schwebend unwirksam.
Fall 71: Der Prokurist eines Devotionalienhändlers kommt zu der Überzeugung,
daß die Herstellung von Spielkarten mehr Zukunft habe als die von Rosenkränzen.
Um seinem Chef, der gerade im Urlaub ist, bei seiner Rückkehr eine Freude zu
machen, stellt er die Firma auf Spielkartenproduktion um. Gültig?
Umstellung des Unternehmensgegenstands möglich: Ja, denn in § 49 Abs. 1
HGB ist vom Betrieb „eines“, also irgendeines Handelsgewerbes die Rede. Das
Geschäft kann auch branchenfremd sein. Der Prokurist kann sogar den Gegenstand des Unternehmens verändern.
Fall 72: Der Prokurist meldet den Konkurs seiner Firma an. Gültig?
88
Konkursanmeldung nicht möglich: § 49 Abs. 1 HGB spricht vom Betrieb, nicht
von der Einstellung eines Handelsgewerbes. Der Konkursantrag ist daher ebenso
unwirksam wie es z.B. die Veräußerung der Firma wäre. Daher gilt: Durch seinen
Prokuristen kann ein Banker zum Schnapshändler, nicht aber zum Rentner werden.
Fall 73: Der Prokurist erteilt seinem Spezi „Unterprokura“. Gültig?
Keine „Unterprokura“ möglich: Gem. § 48 Abs. 1 HGB kann nur der Chef
selbst bzw. sein gesetzlicher Vertreter, (z.B. Vormund) Prokura erteilen. Auch
nach § 52 Abs. 2 HGB ist die Prokura nicht übertragbar,
Fall 74: Dem Prokuristen P ist vom Kaufmann K Prokura mit der Auflage erteilt
worden, keine Geschäfte über 5.000 DM abzuschließen. Trotzdem verkauft er
eines Tages eine Maschine zu dem angemessenen Preis von 10.000 DM an seinen
Freund F, der die Beschränkung der Prokura kennt. Gültig?
Keine Beschränkung der Prokura im Außenverhältnis: Nach § 50 Abs. 1 HGB
ist eine Beschränkung des Umfangs der Prokura Dritten gegenüber unwirksam.
Dies gilt auch dann, wenn der Dritte (hier F) die Beschränkung der Prokura kennt.
Ob sich P im Innenverhältnis schadensersatzpflichtig gemacht hat, ist unbedeutend.
Allenfalls Sittenwidrigkeit: Der Vertrag des P mit F wäre jedoch sittenwidrig,
wenn P die Maschine im Einverständnis mit F diesem zu einem Schleuderpreis
überlassen hätte. Sittenwidrige Verträge sind nichtig (§ 138 BGB).
2. Handlungsvollmacht
Fall 75: Wer kann Handlungsvollmacht erteilen?
Handlungsvollmacht kann erteilen
• der Inhaber des Handelsgeschäfts bzw.
• jeder Prokurist,
• nicht aber der Handlungsbevollmächtigte selbst; denn der Handlungsbevollmächtigte darf nur die Rechtshandlungen vornehmen, die der Betrieb eines derartigen Handelsgewerbes oder die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich
mit sich bringt (§ 54 Abs. 1 HGB; vgl. auch § 58 HGB).
89
Wird mit einer Generalhandlungsvollmacht zum Betrieb eines Handelsgewerbes
bevollmächtigt , so wird die Vertretungsmacht für alle Geschäfte vermutet, die
zum Betrieb eines derartigen Handelsgewerbes gewöhnlich gehören. Kriterium ist
mithin die Branchenüblichkeit der getätigten Geschäfte. Dies ist stets eine - bisweilen durchaus schwierige - Frage des Einzelfalles. Zweites Kriterium ist die Art
und Größe des Unternehmens, jedoch wiederum nicht in einer individuellen, sondern typisierten Betrachtung: Ist solch ein Geschäft für ein Unternehmen mit einer
Größe wie das vorliegende in der jeweiligen Branche üblich? Weiterhin zeigt sich
hier der Unterschied zur Prokura: Diese ermächtigt zu jedweden, also auch ungewöhnlichen Geschäften, sofern sie überhaupt zu einem Handelsgewerbe gehören
können.
Eine Arthandlungsvollmacht liegt vor, wenn zu einer bestimmten Art von Geschäften, die gewissermaßen ein Ausschnitt aus dem Spektrum aller betriebenen
Geschäfte des Unternehmens darstellen, Vollmacht erteilt wird. Die Vermutung
des § 54 I HGB zielt dann auf alle gewöhnlichen Geschäfte und Rechtshandlungen, die zu der Art von Geschäften gehören. Auch hier bestimmt die Branchenüblichkeit, was gewöhnlich ist. Die Arthandlungsvollmacht ist die häufigste der drei
Erscheinungsformen. Klassische Beispiele für Arthandlungsbevollmächtigte sind
z.B. Wareneinkäufer bzw. -verkäufer, Kassierer oder Schalterangestellte.
Die Spezialhandlungsvollmacht ist die Bevollmächtigung zu bestimmten einzelnen Geschäften, auch zu einem einzigen. Die Vermutung bezieht sich auch hier
auf alle Geschäfte und Rechtshandlungen, die das jeweilige konkrete Geschäft
gewöhnlich,
also
branchenüblicherweise
mit
sich
bringt.
Wichtig ist die Einschränkung der Vermutungswirkung durch den Ausschluß der
in § 54 II HGB genannten Geschäfte. Die genannten Geschäfte sind nie branchenüblich im Sinne des § 54 I HGB, obwohl dies tatsächlich sehr wohl der Fall sein
kann - man denke nur an den Handel mit Grundstücken! Die Regelung des § 54 II
HGB ist mit § 49 II HGB bei der Prokura vergleichbar. Hier ist die Aufzählung
allerdings weiter und nahezu willkürlich geraten - der Handlungsbevollmächtigte
kann etwa eine Bürgschaftsverbindlichkeit für den Prinzipal eingehen, die in § 54
II HGB nicht genannt, aber vergleichbar "gefährlich" ist. Gerade wegen der Willkürlichkeit der Aufzählung scheidet indes eine analoge Anwendung auf vergleichbare Geschäfte aus (Canaris, Handelsrecht, § 15 III 3).
Die Abgrenzung der drei Typen der Handlungsvollmacht zueinander erfolgt objektiv. Die erteilte Vollmacht muß - gegebenenfalls nach Auslegung, §§ 133, 157
BGB - dem Inhalt nach einer der drei Formen zugeordnet werden.
Fall 76: Die Kundin K hat zwei Lederkostüme mitgenommen, um die Wirkung
auf ihren Freund zu testen. Da er auf das erste gut anspricht, kauft sie es, das zweite gibt sie zurück. Den Kaufpreis zahlt sie der Buchhalterin, die sich mit dem Geld
aus dem Staub macht. Muß K nochmals zahlen?
90
Ermächtigung nur bei Anstellung zu Verkaufszwecken: Wer in einem Laden
oder in einem offenen Warenlager angestellt ist, gilt als ermächtigt zu Verkäufen
und Empfangnahmen, die in einem derartigen Laden oder Warenlager gewöhnlich
geschehen (§ 56 HGB). Diese Vorschrift ist aber nur dann einschlägig, wenn der
bzw. die Angestellte zu Verkaufszwecken angestellt ist. Darunter fallen z.B. nicht
Buchhalter und Verpacker.
Fall 77: Jonathan ist Inhaber eines Gummiladens. Da er bei der heißen Jahreszeit
großes Geschäft wittert, andererseits aber zwei Verkäuferinnen Urlaub haben, teilt
er seine Ehefrau für zwei Wochen zum Verkauf der Gummiboote ein. Die steuerliche Anerkennung des Arbeitsverhältnisses scheitert am sog. Fremdvergleich.
Gilt § 56 HGB?
Arbeitsverhältnis nicht erforderlich: Das Wort „angestellt“ i.S. von § 56 HGB
ist nicht im arbeitsrechtlichen Sinn gemeint. Es reicht aus, wenn die Person mit
Wissen und Wollen des Inhabers im Verkauf tätig ist.1
VII. Firma und Handelsregister; Rechtsscheinshaftung
1. Firma
Fall 78: Was versteht man im Handelsrecht unter einer Firma?
Handelsname des Vollkaufmanns: Die Firma eines Kaufmanns ist der Name,
unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt (§ 17 Abs. 1
HGB). Der Kaufmann kann unter seiner Firma klagen und verklagt werden (§ 17
Abs. 2 HGB). Im Prozeß ist also nicht die Firma, sondern der Kaufmann Partei.
Zweck der Firma ist es, kaufmännische und private Sphäre im Hinblick auf §§
343, 344 HGB scharf zu trennen, Verwechslungen mit namensgleichen Firmen am
selben Ort zu vermeiden (§ 30 Abs. 1 und 2 HGB) und schließlich das angesammelte Vertrauenskapital, den sog. Goodwill, durch Beibehaltung der alten Firma
zu erhalten (§ 22 HGB).
Die Firma und das kaufmännische Unternehmen
Für das Handelsrecht ist die Firma nur der Name, unter dem der Kaufmann seine
Geschäfte betreibt (§ 17 Abs. 1 HGB). Der Begriff hat hier also einen anderen
Inhalt als in der Umgangssprache, in der man unter Firma häufig das Unternehmen
1
Fälle und Lösungen abgewandelt aus Schwind/Hassenpflug/Nawratil, HGB.
91
eines Kaufmanns versteht. Im handelsrechtlichen Sinne ist die Firma demgegenüber lediglich die Bezeichnung (der Name), unter der der Vollkaufmann seine
Geschäfte betreibt. Dieser Handelsname kann sich von seinem bürgerlichen Namen unterscheiden.
I. Der Schutz des Handelsnamens
Das Firmenrecht des HGB ist in erster Linie Namensrecht. Durch den Schutz der
Firma und damit des Handelsnamens wird also nicht das Unternehmen insgesamt
geschützt, sondern nur die Namensführung seines Inhabers im Handelsverkehr.
Dieser Schutz des Handelsnamens ist eine Ergänzung bekannter Namensschutznormen: § 12 BGB schützt i.V.m. §§ 1004, § 823 Abs. 1 BGB das Namensrecht
einer jeden Person. Daneben finden für den Handelsverkehr § 16 UWG und § 24
WZG sowie § 37 HGB Anwendung. Der Schutz des Handelsnamens wird aber
nicht nur durch privatrechtliche, sondern auch durch öffentlich-rechtliche Regelungen gewährleistet. Wegen des öffentlichen Interesses an einer richtigen Firmenführung sieht § 37 Abs. 1 HGB vor, daß das Registergericht von Amts wegen tätig
werden muß, wenn es von einer unrichtigen Firmenführung Kenntnis erlangt. Es
greift dann zum öffentlich-rechtlichen Mittel der Androhung und Festsetzung von
Ordnungsgeld und führt ein Firmenmißbrauchsverfahren durch, im Rahmen dessen Allgemeininteressen wahrgenommen werden.(Zitat)
Die Firma ist nach § 17 Abs. 1 HGB der Name einer Person. Dabei kann es sich
um eine natürliche oder um eine juristische Person handeln. Die Firma als Handelsname eines Vollkaufmanns ist vergleichbar mit einem Künstlernamen. Sie
bedeutet aber keine rechtliche Verselbständigung des Unternehmens zu einem
eigenständigen Rechtssubjekt. Aus dem Verständnis der Firma als Handelsname
des Kaufmanns ergibt sich, daß man eine natürliche Person unter zwei verschiedenen Namen verklagen kann. § 17 Abs. 2 HGB zeigt, daß man den Kaufmann
nicht nur unter seinem Privatnamen, sondern auch unter seinem im Geschäftsverkehr verwendeten Namen, d.h. seiner Firma verklagen kann.
Die Firma eines Kaufmanns gehört als Persönlichkeitsrecht und Immaterialgüterrecht zu den absoluten Rechten i.S. von § 823 Abs. 1 BGB. Der Firmeninhaber
genießt also Schutz gegenüber widerrechtlichen Eingriffen Dritter in seine geschützte Rechtsstellung. Bei Verletzung seines (absolut geschützten) Firmenrechts
kann der Berechtigte nicht nur gegen den Verletzer klagen, sondern nach § 37
Abs. 2 HGB auch das Registergericht einschalten: Wer eine ihm nicht zustehende
Firma gebraucht, ist von dem Registergericht zur Unterlassung des Gebrauchs der
Firma durch Festsetzung von Ordnungsgeld anzuhalten.
Abgrenzung zum Geschäftsnamen: Mit der Firmenbezeichnung gem. § 18 HGB
ist nicht zu verwechseln der (besonders bei Hotels, Apotheken, Kinos usw. auftretende) traditionelle Geschäftsname, z.B. Hotel Post, Löwen-Apotheke. Er hat mit
der Firma und überhaupt mit dem HGB nichts zu tun; sein Mißbrauch ist nur nach
dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) zu ahnden. Im Gegensatz
zum Geschäftsnamen, den sich jeder Gewerbetreibende zulegen kann, wenn er
will, ist die Firmenführung der Vollkaufleute obligatorisch (§ 29 HGB) und gewissen Regeln unterworfen, die durch die Gesetzesänderung aufgelockert worden
sind (vgl. § 18 HGB).
92
Grundsätze der Firmenbildung
•
•
•
•
Kennzeichnungsfähigkeit (§ 18 I HGB)
Unterscheidungskraft (§ 18 I HGB)
Keine Irreführung (§ 18 II HGB)
Rechtsformzusatz bei allen Unternehmensträgern
(§ 19 HGB)
Fall 79: In dem Ort X ist die Filmfirma „Der rosarote Panther“ im Handelsregister
eingetragen. Eine andere Filmfirma zieht in X zu und verschickt Werbeschreiben
mit dem Briefkopf „Der rote Panther“. Ist dies zulässig? Wenn nein, was geschieht? Was kann die alte Firma tun?
Unterlassungsaufforderung durch Registergericht: Der Neue hat es unterlassen, eine Firma mit einem gem. § 30 Abs. 2 HGB erforderlichen Zusatz z.B. „AStraße“ oder „Import/Export“) zu seinem Namen zu wählen. Diese unzulässige
Firma hat er auch im Sinn von § 37 Abs. 1 HGB „gebraucht“. Daher wird das Registergericht von Amts wegen einschreiten.
Klage des Kaufmanns: Der „alte“ Firmeninhaber kann unter seiner Firma (vgl.
§ 17 Abs. 2 HGB) klagen, und zwar
• gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 HGB auf Unterlassung;
• über § 12 BGB auf Unterlassung, da die Firma nur eine besondere Form des
Namens ist,
• nach den §§ 823 ff. BGB auf Unterlassung und Schadensersatz, da die Firma
als absolutes Recht ein „sonstiges Recht“ im Sinn von § 823 Abs. 1 BGB ist.
• nach den §§ 1, 13 UWG auf Unterlassung und Schadensersatz. Diese Vorschriften bieten den umfassendsten Schutz, da hier der Namens- und Firmenschutz nicht auf Unternehmen am gleichen Ort beschränkt ist.
Fall 80: Der kleine Friseur F 1 veräußert sein Geschäft mit allen Aktiven und Passiven mündlich an den Friseur F 2. Wie ist die rechtliche Abwicklung? Wer haftet
für die Schulden des F 1?
93
Kaufvertrag: Das Grundgeschäft ist Kauf (§ 433 BGB). Nur wenn ein Grundstück übertragen wird, ist eine besondere Form für den Vertrag vorgeschrieben
(§ 313 BGB).
Übergang der Aktiven: Die Friseure sind keine Kaufleute, da ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb nicht erforderlich ist, so daß die Sonderregelung des § 25 HGB entfällt. Es gilt also allein das BGB: Die Übertragung
der Sachen geschieht nach den §§ 929 ff. BGB, die der Forderungen nach § 398
BGB.
Übergang der Verbindlichkeiten: Auch für die Schulden kann § 25 HGB nicht
herangezogen werden. Wenn F 2 die Schulden als nunmehriger Alleinschuldner
übernehmen will, ist er auf die Zustimmung der Gläubiger angewiesen (vgl.
§§
414 ff. BGB). Falls der Laden die Hauptvermögensmasse des F 1 darstellte und F
2 das wußte, haftet F 2 kraft Gesetz des nach § 419 BGB für alle alten Schulden
des F 1 - private und geschäftliche - mit dem übernommenen Vermögen.
Fall 81: Der Kaufmann K 1 veräußert seinen Betrieb mit Aktiven und Passiven an
den Kaufmann K 2. Dieser führt die alte Firma fort. Rechtslage?
Übergang der Verbindlichkeiten und der Forderungen: Der Erwerber haftet
für alle im Betriebs des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren
Inhabers. Die in dem Betrieb begründeten Forderungen gelten den Schuldnern
gegenüber als auf den Erwerber übergegangen, falls der bisherige Inhaber oder
seine Erben in die Fortführung der Firma eingewilligt haben (§ 25 Abs. 1 HGB).
Eine abweichende Vereinbarung ist einem Dritten gegenüber nur wirksam, wenn
sie in das Handelsregister eingetragen und bekanntgemacht oder von dem Erwerber oder Veräußerer dem Dritten mitgeteilt worden ist (§ 25 Abs. 2 HGB).
Daneben kommt noch § 419 BGB in Betracht, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen.
Fall 82: Der Kaufmann K l veräußert am 1.1. sein Geschäft samt Firma an K 2. Es
wird vereinbart, daß die Forderung gegen X nicht übergehen soll. Am 8.1. zahlt X,
der von dem Verkauf, aber nicht von der Vereinbarung über die Forderung wußte,
an K 2. Im Register war noch nichts eingetragen. Kann K 1 die Zahlung von X
noch verlangen?
Befreiende Zahlung: X hat rechtswirksam an K 2 gezahlt (§ 25 Abs. 1 Satz 2,
Abs. 2 HGB; § 362 BGB). K 1 kann von X keine Zahlung mehr verlangen.
2. Handelsregister
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I. Allgemein
Das Handelsregister ist ein öffentliches, von den Amtsgerichten geführtes Verzeichnis, aus dem die rechtlichen Verhältnisse der Handelsgewerbe ersichtlich
sind. Mit Ausnahme des nicht eingetragenen Kleingewerbebetriebes und der
BGB-Gesellschaft (GbR) müssen Unternehmen aller Rechtsformen in das Handelsregister eingetragen werden. Es dient der Rechtssicherheit im Handelsverkehr,
da alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse vollständig und zuverlässig hier
nachgewiesen werden.
Das Handelsregister wird in zwei Abteilungen geführt:
Abteilung A für eingetragene Kaufleute (e.K. oder e.Kfm. bzw. e.Kfr.) und Personengesellschaften (OHG, KG) und
Abteilung B für Kapitalgesellschaften (GmbH, AG).
Über einen Notar werden zur Eintragung in das Handelsregister alle Rechtsverhältnisse einer Firma angemeldet, vom Registergericht geprüft, in das Handelsregister übernommen und in der Tagespresse veröffentlicht.
Schaubild : Handelsregister
Schaubild : Veröffentlichung FAZ
II. Bedeutung des Handelsregisters
Das Handelsregister gibt Auskunft über alle rechtserheblichen Tatsachen, die für
einen Geschäftspartner des Kaufmanns wichtig sein können. Hierzu gehören z.B.:
die Firma, der Name des Inhabers bzw. der persönlich haftenden Gesellschafter
einer Personengesellschaft, die Haftung des Kommanditisten, das Stammkapital
der GmbH, die Erteilung und Entziehung der Prokura, die Eröffnung des Konkurses bzw. die Löschung der Firma. Wichtige Änderungen müssen eingetragen werden, so z.B.
• Wechsel in der Unterschriftsbefugnis
• Verlegung des Unternehmenssitzes
• Errichtung einer Zweigniederlassung
• Erteilung oder Widerruf einer Prokura
• Änderung der Firma des Unternehmens
• Änderungen der Gesellschafter von offenen Handelsgesellschaften
• Änderungen des Gesellschaftsvertrages von Kapitalgesellschaften.
Wenn eine Eintragung in das Handelsregister notwendig ist, kann das Amtsgericht
sie auch erzwingen.
Das Handelsregister ist öffentlich und bietet deshalb allen Interessierten die Möglichkeit, die eingereichten Schriftstücke gebührenfrei einzusehen. Es können auch
Abschriften - gegen entsprechende Gebühr - angefordert werden. Das Handelsregister genießt - ähnlich wie das Grundbuch - öffentlichen Glauben -, d.h., es
95
schützt in bestimmtem Umfang den gutgläubigen Rechtsverkehr in seinem Vertrauen auf die Richtigkeit der Eintragungen und Bekanntmachungen.
Schließt z.B. ein Prokurist nach seiner Entlassung, aber noch vor der Löschung im
Handelsregister, namens des Geschäftsinhabers mit einem Kunden einen Vertrag,
dem die Entlassung des Prokuristen unbekannt ist, so ist der Vertrag dennoch voll
wirksam.
Wie bereits gesagt, sind selbstverständlich Änderungen eingetragener Tatsachen
ebenfalls eintragungspflichtig, etwa die Änderung der Anschrift der Niederlassung
eines Kaufmanns oder die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft. Die Abberufung
eines Prokuristen oder eines Geschäftsführers sollte umgehend zur Eintragung
angemeldet werden, denn dies liegt -wie bereits ausgeführt - im eigenen Interesse
der Firma.
Verlegt z.B. der Kaufmann den Geschäftssitz, so kann er so lange unter der alten
Adresse verklagt werden, bis die Änderung im Handelsregister eingetragen ist.
Ihm können also erhebliche Nachteile entstehen, wenn das Handelsregister nicht
dem tatsächlichen Stand entspricht. Auch die Auflösung und Liquidation einer
Gesellschaft muß zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden ebenso wie die Löschung der Firma.
Eröffnete Vergleichsverfahren oder Insolvenzverfahren über das Vermögen einer
Firma werden vom Amtsgericht von Amts wegen ebenfalls eingetragen.
III. Handelsregistereintragung
Wer ist zur Eintragung berechtigt oder verpflichtet?
Mit Ausnahme der Kommandit- und Kapitalgesellschaften, die erst durch die
Handelsregistereintragung entstehen, legen Einzelkaufleute und BGBGesellschaften häufig auf den Eintrag keinen Wert. Der "Kaufmann" ist aber gesetzlich zur Eintragung in das Handelsregister verpflichtet.
Das Handelsgesetzbuch bezeichnet grundsätzlich jedes ein Gewerbe betreibende
Unternehmen als "Handelsgewerbe" oder "Kaufmann", es sei denn, das Unternehmen erfordert keinen nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb. Diese Bestimmung erfolgt unabhängig davon, welche
gewerbliche Tätigkeit das Unternehmen im besonderen ausübt. Auch Unternehmen, die im wörtlichen Sinne nicht Güter oder Waren an- oder verkaufen, sind
Kaufleute, also auch Industrie, Handwerker (der Einzelhandelskaufmann muß
seinen Betrieb aber so auszuüben, daß die Schwelle zum erlaubnispflichtigen
Handwerk nicht überschritten wird1 ) oder sonstige "Dienstleister".
1
BverfG vom 31.3.2000, 1 BvR 608/99, in NVwZ 01, 187
96
Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung, ob ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Gewerbebetrieb erforderlich ist, sind -wie bereits bekannt- vor allem:
• Jahresumsatz
• Höhe des eingesetzten Kapitals
• Art und Anzahl der Geschäftsvorgänge
• Inanspruchnahme und Gewährung von Kredit
• Größe und Beschaffenheit der Geschäftsräume
• Anzahl der Beschäftigten
• Art der Buchführung.
Sofern der Geschäftsbetrieb eines Einzelkaufmanns oder einer Personengesellschaft (oHG / KG) nach Art und Umfang als kaufmännisch anzusehen ist, besteht
die gesetzliche Verpflichtung, die Firma zur Eintragung in das Handelsregister
anzumelden. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, braucht das Unternehmen
nicht dort eingetragen zu werden, für dieses ist nur die Gewerbeanmeldung erforderlich. Unterläßt ein Unternehmen die Eintragung in das Handelsregister, obwohl
es aufgrund seines Geschäftsumfanges eintragungspflichtig ist, kann das Amtsgericht die Anmeldung - gegebenenfalls durch Verhängung von Zwangsgeldern durchsetzen.
Erfordert ein Unternehmen keinen nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise
eingerichteten Geschäftsbetrieb, so besteht keine Verpflichtung, wohl aber die
Berechtigung, die Handelsregistereintragung zu beantragen. Sofern sich ein solches Unternehmen freiwillig in das Handelsregister eintragen läßt, wird mit der
Eintragung die Kaufmannseigenschaft erworben. Aus einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) wird eine oHG.
Welche Vorteile und Pflichten entstehen durch die Eintragung?
Der Sinn einer Handelsregistereintragung erschöpft sich nicht in den bereits beschriebenen Auskunfts- und Ordnungsfunktionen.
Die Eintragung erweist sich in vielen Fällen für den Kaufmann auch von Vorteil,
er erhält einen Vertrauensvorschuß. Die Eintragung vermittelt Vertragspartnern
und Behörden einen ersten Eindruck vom Unternehmen. Durch die Eintragung in
das Handelsregister wird nach außen erkennbar, daß sich der Betrieb der Anwendung kaufmännischer Regelungen und Gebräuche (insb. dem Handelsgesetzbuch )
unterwirft.
Da inzwischen jeder Gewerbetreibende berechtigt ist, sich freiwillig in das Handelsregister eintragen zu lassen, läßt die Eintragung keine Schlüsse auf die Größenverhältnisse des Unternehmens zu. Natürlich stellt sie auch keine Aussage über
Bonität und Seriosität eines Unternehmens dar.
Viele Banken und Handelsunternehmen machen die Aufnahme einer Geschäftsverbindung von der Eintragung in das Handelsregister abhängig. Auch die Mitgliedschaft in Fachverbänden hat oft die Handelsregistereintragung zur Voraussetzung.
Nur das in das Handelsregister eingetragene Unternehmen kann Prokuristen
bestellen (§ 48 HGB); nur dieses ist berechtigt, eine oder mehrere selbständige
Zweigniederlassungen zu gründen. Nur derjenige, der als Kaufmann, als Vorstand
97
einer Aktiengesellschaft, als Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter
Haftung oder als Vorstand einer sonstigen juristischen Person im Handelsregister
eingetragen ist oder eingetragen war und das 30. Lebensjahr vollendet hat, kann
das Ehrenamt eines Handelsrichters bei einer an einem Landgericht gebildeten
Kammer für Handelssachen ausüben.
Durch die Handelsregistereintragung wird der Firmenname gegenüber gleich- oder
ähnlich lautenden Firmierungen geschützt, denn jede Firma muß sich von allen
bereits im Handelsregister derselben Gemeinde eingetragenen Firmennamen deutlich unterscheiden (§ 30 HGB).
Auch hinsichtlich der Angaben auf dem Geschäftsbriefen gibt es besondere Regelungen.
Grundsätzlich gilt, daß die im Handelsregister eingetragene Firma (Firmenbezeichnung) einschließlich des Rechtsformzusatzes vollständig und korrekt angegeben sein muß.
Der Ort der Niederlassung oder des Sitzes, sowie das Registergericht und die
Handelsregisternummer müssen genannt werden. Die GmbH muß außerdem noch
zusätzlich den vollen Familiennamen mit mindestens einem Vornamen aller Geschäftsführer angeben.
Ähnliches gilt für die AG und die GmbH & Co. KG, welche zusätzlich zu den
eigenen Angaben noch die entsprechenden Angaben der persönlich haftenden
GmbH auf den Geschäftsbriefen zu machen hat.
Aufgaben der Industrie- und Handelskammer
Die Kammern sind verpflichtet, die Registergerichte bei der Verhütung unrichtiger
Eintragungen, bei der Berichtigung und Vervollständigung des Handelsregisters
sowie beim Einschreiten gegen unzulässigen Firmengebrauch zu unterstützen (§
126 FGG). In zweifelhaften Fällen hat das Registergericht eine gutachtliche Stellungnahme der Kammer einzuholen (§ 23 HRV). Um eine Zurückweisung der
Anmeldung durch das Registergericht zu vermeiden, ist es ratsam, sich schon vor
Antragstellung durch die örtlich zuständige Industrie- und Handelskammer beraten zu lassen.
Die Kammer prüft insbesondere, ob bereits in der gleichen Gemeinde ansässige
und eingetragene Unternehmen eine Firma führen, die zu Verwechslungen führen
könnten.
Um auszuschließen, daß überregional Firmen existieren, die nach wettbewerbsrechtlichen Vorschriften wegen Verwechslungsgefahr eventuell Unterlassungsansprüche geltend machen könnten, kann eine zusätzliche überregionale Überprüfung der Verwechslungsgefahr sinnvoll sein. Dies kann auch durch Einschaltung
eines gewerblichen Informationsdienstes geschehen.
Bei reinen Handelsbetrieben werden nur die Industrie- und Handelskammern von
den Amtsgerichten zur Stellungnahme aufgefordert. Bei Handwerksbetrieben, die
einen Antrag auf Eintragung in das Handelsregister stellen, werden auch die örtlich zuständigen Handwerkskammern gutachterlich beteiligt.
Mit welchen Kosten ist zu rechnen?
98
Beim Amtsgericht entstehen für die Eintragung in das Handelsregister Gebühren.
Da die Anträge zur Eintragung der öffentlichen, d.h. der notariellen Beglaubigung
bedürfen, ist die Einschaltung eines Notars erforderlich. Auch dieser erhebt für die
Beurkundung Gebühren. Die Höhe der Gebühren für das Gericht und für den Notar hängen ab vom sog. Geschäftswert, der sich wiederum nach dem Wert des Betriebsvermögens richtet. Bei größeren Betriebsvermögen steigt naturgemäß auch
der Geschäftswert.
Die Gebührentabellen sind veröffentlicht im Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Kostenordnung (KostO)).
Fall 83: Welchen Zweck hat das Handelsregister?
Offenkundigkeitsprinzip: Es dient der Offenlegung von wichtigen Rechtsverhältnissen, die für den rechtsgeschäftlichen Verkehr zwischen dem Kaufmann und
Dritten von Interesse sind, z.B. Firma und Prokura (§§ 29, 53 HGB). Es nützt allen Beteiligten. Der Außenstehende erfährt, wer haftet, wer vertritt usw.; der
Kaufmann selbst schützt sich vor unbefugter Vertretung, Mißbrauch seiner Firma
usw. Wichtige Vorschriften sind die §§ 8, 9 Abs. 1, 10, 12 und 14 HGB. Bei § 9
HGB fällt der Unterschied zum Grundbuch auf: Einsicht auch ohne Nachweis des
Interesses.
Fall 84: Am 1.1. wird dem X Prokura erteilt, am 2.1. schließt er als Prokurist ein
Geschäft ab, am 3.1 wird die Prokura im Handelsregister eingetragen. Ist das Geschäft gültig?
Eintragung deklaratorisch: Die Prokura wird durch einseitige Erklärung erteilt
(§ 48 Abs. 1 HGB). Die gem. § 53 vorgeschriebene Eintragung ist rein deklaratorisch. Eine konstitutive Registereintragung enthalten z.B. die §§ 2 und 3 HGB.
Die Vertretung war also wirksam.
Fall 85: Am 1.1. wird bei einer Firma der Prokurist P gefeuert. Dies wird am 4.1.
im Handelsregister eingetragen und bekanntgemacht. Am 8.l. kassiert P bei dem
gutgläubigen Kunden K einen Außenstand von 1.000 DM. Hat X befreiend gezahlt?
Publizität des Handelsregisters: Gem. § 15 Abs. 2 HGB hat X nicht befreiend
gezahlt, wenn ihm nicht der Beweis gelingt, daß seine Unkenntnis des Handelsregisters nicht auf Fahrlässigkeit beruhte. Dieser Beweis wird nur selten zu führen
sein, da man im allgemeinen die einschlägigen Veröffentlichungen lesen muß,
wenn man in Kaufmannskreisen verkehrt.
99
Fall 86: Am 1.2. entläßt die Firma wieder einen Prokuristen (P). Am 8.2. wird das
Erlöschen der Prokura im Handelsregister eingetragen. Noch am 4.2. nimmt P bei
gutgläubigen Kunden im Namen der Firma Kredite auf und setzt sich mit dem
Geld nach Amerika ab. Können sich die Kunden an die Firma halten?
Eintragung der Prokura und deren Erlöschen erforderlich: Nach § 53 Abs. 3
HGB ist auch das Erlöschen der Prokura eine im Register einzutragende Tatsache.
Gem. § 15 Abs. 1 HGB muß der Prinzipal das Geschäft gegen sich gelten lassen.
Für § 15 Abs. 1 HGB gilt der Satz: Dem Schweigen des Registers ist zu trauen.
Fall 87: Wie wäre es, wenn P erst am 15.1. Prokura erhalten hätte und weder die
Erteilung noch der Widerruf im Register eingetragen waren?
Das Erlöschen muß auch eingetragen werden, selbst wenn die Erteilung bisher
noch nicht im Register stand (§ 53 Abs. 3 HGB). Die Firma haftet also wieder
über § 15 Abs. 1 HGB.
Fall 88: Infolge einer Verwechslung wird nicht A, sondern der unbeteiligte B als
Prokurist der Firma X eingetragen und bekanntgemacht. B erfährt zufällig davon
und schließt gleich namens des X ein größeres Geschäft mit einem gutgläubigen
Dritten ab. Ist der nichtsahnende X dadurch verpflichtet?
Haftung auch bei unrichtiger Eintragung: Ist eine einzutragende Tatsache unrichtig bekanntgemacht, so kann sich ein Dritter demjenigen gegenüber, in dessen
Angelegenheiten die Tatsache eingetragen war, auf die bekanntgemachte Tatsache
berufen, es sei denn, daß er die Unrichtigkeit kannte (§ 15 Abs. 3 HGB). X haftet
auch ohne Verschulden. Für § 15 Abs. 3 HGB gilt der Satz: Dem Reden des Registers ist zu trauen.
Fall 89: Der Dorf-Figaro F wird gem. § 2 HGB im Handelsregister eingetragen. F
bestellt seinen einzigen Lehrling L zum Prokuristen. L geht gegenüber X, der den
Sachverhalt kennt, eine Wechselverbindlichkeit über 100 000 DM zu Lasten des F
ein. Nun beruft sich F darauf, daß für ihn das HGB mangels kaufmännischer Einrichtung gem. § 2 HGB nicht anwendbar sei und daß eine Prokura nicht vorliege.
Hat er recht?
100
Haftung des Kaufmanns i.S. von § 2 HGB: Ist eine Firma im Handelsregister
eingetragen, so kann gegenüber demjenigen, welcher sich auf die Eintragung beruft, nicht geltend gemacht werden, daß das unter der Firma betriebene Gewerbe
kein Handelsgewerbe sei (§ 5 HGB). Da in § 5 HGB vom guten Glauben nicht die
Rede ist, haftet F als sog. Scheinkaufmann über die §§ 5 und 49 HGB.
Fall 90: Der im Handelsregister eingetragene S verlangt von einem säumigen Geschäftsfreund, dem Kaufmann A, gem. § 352 HGB 5% Verzugszinsen statt den
gem. § 288 BGB üblichen 4%. Zulässig?
Kaufmann in vollem Umfang: S gilt gem. § 5 HGB in jeder Beziehung als
Kaufmann. Irgendeine Einschränkung, etwa, daß die Kaufmannsfiktion nur zuungunsten des S gelte, ist im Gesetz nicht enthalten. S kann also 5 % Zinsen verlangen.
Die positive Publizität (§ 15 III HGB)
Voraussetzungen:
• eintragungspflichtige Tatsache
• Bekanntmachung
• Unrichtigkeit der Bekanntmachung, str.
a.A.:
nur Bekanntmachungsfehler
h.M.:
Unrichtigkeit = keine Übereinstimmung mit den
Tatsachen
• h.M.: Veranlassung
der Eintragung und Bekanntmachung (nicht der Fehlerhaftigkeit)
a.A.: Steckhahn: „in dessen Angelegenheiten“
Frage: hat die betroffene Person solche Angelegenheiten?
• Guter Glaube des Dritten
(–), wenn Kenntnis der Unrichtigkeit
Die negative Publizität (§ 15 I HGB)
Voraussetzungen:
• Eintragungspflichtige Tatsache
deklaratorische, nicht konstitutive
• Schweigen des Registers
Positive Unwahrheit nicht entscheidend
Keine Voreintragung erforderlich
• „in dessen Angelegenheiten“
Grund der fehlenden Eintragung
101 unerheblich
• Gutgläubigkeit des Dritten
Abstrakter Vertrauensschutz
Fall 91: Der Minderjährige X ist zum selbständigen Betrieb einer Handelsfirma
ermächtigt (§ 112 BGB). Ohne die erforderliche Genehmigung gem. §§ 112 Abs.
1 Satz 2, 1822 Nr. 11 BGB bestellt er einen Prokuristen. Versehentlich wird die
ungültige Prokura auch noch im Register eingetragen. Wird X durch die Handlungen des Prokuristen verpflichtet?
Vorrang des Minderjährigenschutzes: Die Rechtsprechung räumt dem Minderjährigenschutz absoluten Vorrang ein. Daher kommt hier § 15 Abs. 3 HGB nicht
zur Anwendung. X wird nicht verpflichtet.
3. Rechtsscheinshaftung
Fall 92: Der kleine Landfriseur F möchte in der Großstadt einmal als Mann von
Welt auftreten - besonders, weil ihn seine neue Freundin begleitet. In einem
Münchner Lokal trifft er eine Gruppe von Kaufleuten. Ihnen erzählt er von seiner
Firma und seinen großen Umsätzen. Unter anderem kauft er bei einem aus der
Gruppe seinen Rasierseifenbedarf für die nächsten fünf Jahre, bei einem anderen
gibt er eine mündliche Bürgschaftserklärung ab. Ist sie gültig?
Scheinkaufmann kraft Auftretens: An sich ist die mündliche Bürgschaftserklärung gem. §§ 766 BGB, 350 HGB nichtig, da F gem. §§ 1, 2 HGB gar kein Kaufmann ist. Auch § 5 HGB ist nicht einschlägig, da von einer Registereintragung
nicht die Rede ist. Hier hat die Rechtsprechung als Sonderform der allgemeinen
Lehre vom Rechtsschein die Figur des Scheinkaufmanns kraft Auftretens anerkannt. D.h., wer als Kaufmann auftritt, muß sich vom gutgläubigen Dritten als
solcher behandeln lassen. F haftet daher als Bürge.
102
Unterschied zum Kaufmann kraft Eintragung: Die Lehre vom Kaufmann kraft
Auftretens gilt nur bei Gutgläubigkeit und nur zugunsten des Gutgläubigen, während § 5 HGB (Kaufmann kraft Eintragung) Gutgläubigkeit nicht voraussetzt
und für und gegen jedermann gilt. Diese Grundsätze gelten aber nicht, wenn der
Geschäftsinhaber nicht voll geschäftsfähig ist.
Teil D:
Grundzüge des Gesellschaftsrechts
Gesellschaft ist jede privatrechtsgeschäftlich begründete Vereinigung von Personen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks.
I. Rechtsquellen des Gesellschaftsrechts
• BGB:
Rechtsfähiger Verein (§§ 21-53, 55-79 BGB)
Nichtrechtsfähiger Verein (§ 54 BGB)
BGB-Gesellschaft (§§ 705-740 BGB)
• HGB:
Offene Handelsgesellschaft - OHG (§§ 105-160 HGB)
Kommanditgesellschaft - KG (§§ 161-177a HGB)
Stille Gesellschaft - StG (§§ 230-237 HGB)
Reederei (§§ 489-509 HGB)
• GmbHG: Gesellschaft mit beschränkter Haftung - GmbH (§§ 1 ff. GmbHG)
• AktG:
Aktiengesellschaft - AG (§§ 1 ff. AktG)
Kommanditgesellschaft auf Aktien - KGaA (§§ 278-290 AktG)
• GenG:
Eingetragene Genossenschaft - eG (§§ 1 ff. GenG)
• VAG:
Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit - VVaG
(§§ 7, 15-53 VAG)
Die wichtigsten Gesellschaften sind BGB-Gesellschaft, OHG, KG, GmbH und
AG.
II. Rechtsnatur der wichtigsten Gesellschaften
• Keine juristischen Personen:
BGB-Gesellschaft
103
( aber Rechtssubjekte )
• Juristische Personen:
OHG
KG
GmbH, AG
Juristische Person
Voraussetzung um am Rechtsverkehr teilnehmen zu können ist die Rechtsfähigkeit. Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit von natürlichen und juristischen Personen ( sowie nach der neuesten Rspr. des BGB auch die GbR ) Träger von
Rechten und Pflichten zu sein.
Sie ist die Zusammenfassung von Personen oder Sachen zu einer rechtlich selbständigen und von den Personen getrennten Einheit. Nach der Rechtsordnung ist
die juristische Person rechtsfähig und somit Träger von Rechten und Pflichten; die
Rechtsfähigkeit und damit die Qualität einer juristischen Person geschieht durch
einen staatlich sanktionierten Akt. Die Rechtsordnung behandelt sie soweit möglich wie natürliche Personen (Menschen). Das bedeutet z.B., dass sie einen eigenen rechtlich geschützten Namen tragen, mit dem eigenen Vermögen haften und
Grundrechte geltend machen können. Juristische Personen sind vom Bestand ihrer
Mitglieder unabhängig, d.h. selbst wenn alle Gesellschafter sterben, "stirbt" die
juristische Person nicht. Juristische Personen handeln durch Ihre Organe, z.B. den
Vorstand. Dieser besteht aus natürlichen Personen.
Deshalb sind Gesamthandsgemeinschaften und Gemeinschaften zu Bruchteilen
keine juristischen Personen, weil in diesen Fällen nur die Mitglieder der Gemeinschaft Träger von Rechten und Pflichten sind.
Man unterscheidet zwischen juristischen Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts. Zu den juristischen Personen des Privatrechts gehören insbesondere
die
•
Vereine (§ 21 BGB: Ein Verein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, erlangt Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister des zuständigen Amtsgerichts), die
•
Stiftungen ( § 88 BGB: Zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung ist
außer dem Stiftungsgeschäfte die Genehmigung des Bundesstaats erforderlich, in dessen Gebiete die Stiftung ihren Sitz haben soll. Soll die Stiftung
ihren Sitz nicht in einem Bundesstaate haben, so ist die Genehmigung des
Bundesrats erforderlich.), die
•
Aktiengesellschaften (§ 1 Aktiengesetz : (1) Die Aktiengesellschaft ist
eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit. Für die Verbindlich-
104
keiten der Gesellschaft haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen.), die
•
Gesellschaften mit beschränkter Haftung (§ 13 GmbHG: Die GmbH
ist juristische Person: (1) Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als
solche hat selbständig ihre Rechte und Pflichten; sie kann Eigentum und
andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen
und verklagt werden. (2) Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet
den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen),. die
•
Genossenschaften sowie die
•
Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA).
Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind Rechtssubjekte, die sowohl
auf privatrechtlichem als auch auf öffentlich-rechtlichem Gebiet Rechtsfähigkeit
besitzen. Das BGB setzt gewissermaßen voraus, daß sie auf Grund öffentlichrechtlicher Anerkennung (z.B. die Kirchen) bestehen und nur durch Gesetz oder
Hoheitsakt errichtet werden können. Die juristischen Personen des öffentlichen
Rechts teilt man ein in:
• Körperschaften des öffentlichen Rechts (= mitgliedschaftlich organisierte
Verbände, wie z.B. Gemeinden, Industrie- und Handelskammer, Ärztekammer usw.),
• Anstalten des öffentlichen Rechts (= Einrichtungen, die zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben mit personellen und sachlichen Mitteln ausgestattet
sind, wie z.B. die Deutsche Bundesbank, öffentliche Sparkassen, Schulen
usw.),
• Stiftungen des öffentlichen Rechts (= Organisationen mit dem Zweck der
Verwaltung eines Bestandes an Vermögenswerten, wie z.B. Stiftung Warentest, Stiftung preußischer Kulturbesitz usw.).
Strukturunterschiede
Personengesellschaften
Kapitalgesellschaften
Bei den Personengesellschaften entsteht kein voll selbständiges Rechtssubjekt. Die OHG und die KG sind
gem. §124 HOB (i.V.m. § 161 II HGB)
teilrechtsfähig. Eine entsprechend §124
HGB bestehende Teilrechtsfähigkeit
Die Kapitalgesellschaft ist als juristische Person rechtlich voll verselbständigt. Sie ist selbst Trägerin von Rechten und Pflichten
(§ 111 AktG, § 13 I GmbHG).
105
der GbR ist umstritten (Stichwort: Wesen der Gesamthand).
Eine GbR ist vom Bestand ihrer jewei- Ein Mitgliederwechsel berührt den
ligen Mitglieder abhängig, vgl. § 727 I Bestand einer Kapitalgesellschaft nicht.
BGB. Von diesem dispositiven Recht
kann aber abgewichen werden (Stichwort: Fortsetzungsklausel). Anders bei
OHG/ KG, vgl. §§ 131 II, III, 177
HGB.
Aus der persönlichen Bindung der Ge- Geltung des Mehrheitsprinzips (§ 133
sellschafter einer Personengesellschaft I AktG, § 47 I GmbHG).
folgt im Grundsatz das Einstimmigkeitsprinzip (§ 709 I BGB, § 119 I
HGB). Abweichungen hiervon sind
üblich und zulässig (Stichwort: Bestimmtheitsgrundsatz).
Haftung der Gesellschafter mit persönlichem Vermögen unmittelbar und
gesamtschuldnerisch für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (Ausnahme
bei der KG: Kommanditisten, §§ 171
ff. HGB).
Keine persönliche Haftung der Mitglieder, vgl. § 1 I 2 AktG, § 13 11
GmbHG (Ausnahme: Komplementär
der KGaA, § 278 I AktG).
Eine Personengesellschaft handelt Kapitalgesellschaften handeln durch
durch ihre Gesellschafter (Prinzip der ihre Organe (Prinzip der FremdorganSelbstorganschaft).
schaft).
Bei den Personengesellschaften haben
die Gesellschafter vollen Einfluß auf
die Geschäftsführung, vgl. §§ 114116 HGB (Ausnahme: § 164 HGB).
Bei der AG ist ein Einfluß der Aktionäre auf die Geschäftsführung weitgehend ausgeschlossen (vgl. § 119 n
AktG). Dahingegen hat die Gesellschafterversammlung der GmbH vollen
Einfluß auf die Geschäftsführung (vgl.
§ 37 I GmbHG).
Im Personengesellschaftsrecht gilt Das Recht der AG ist weitgehend
weitgehend dispositives Recht (Aus- zwingend, vgl. § 23 V AktG; bei der
GmbH findet sich zwingendes und
nahmen z.B. §§ 128, 170 HGB).
dispositives Recht.
Die Einlagepflicht jedes Gesellschafters kann beliebigen Inhalt haben, auch
z.B. Arbeitsleistung (modifiziert für
Hafteinlage des Kommanditisten einer
KG).
Die Einlagepflicht jedes Gesellschafters muß ihrem Inhalt nach der Gesellschaft liquidierbare Vermögenswerte
zuführen, die mindestens dem übernommenen Nennbetrag entsprechen.
106
Kein Verbot der Grenzverschiebung
zwischen Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen (beliebige Entnahme
zulässig auch bei KG, umstritten bei
GmbH & Co. KG).
Vermögensbindung: bei AG ist Ausschüttung nur des Bilanzgewinns erlaubt (§ 57 III AktG), bei GmbH sind
Entnahmen nur bis zur Grenze des
Stammkapitals gestattet (§ 30 I
GmbHG).
Übertragbarkeit der Gesellschafter- Grundsätzlich freie Übertragbarkeit der
stellung grds. nur mit Zustimmung Mitgliedschaft (Ausnahmen: § 68 II
AktG für Namensaktien, § 15 V
aller Gesellschafter möglich.
GmbHG für GmbH-Anteile).
Eintragung ins Handelsregister: wo
sie überhaupt stattfindet (OHG, KG),
hat sie nur deklaratorischen Charakter
(Ausnahme: § 123 n i.V.m. §§ 2, 3. 105
n HGB); daher findet auch keine genauere Kontrolle durch Rechtspfleger
statt.
Eintragungen im Handelsregister
sind konstitutiv; daher bestehen umfangreiche Kontrollrechte und pflichten des Registerrichters.
Besteuerung nur der Einkünfte der Besteuerung nur der Einkünfte der GeGesellschafter (bei der ESt der Gesell- sellschafter (bei der ESt der Gesellschafter).1
schafter).
Fall 93: Die Arbeiter A und B erwerben gemeinschaftlich einen Pkw, um damit
gemeinsam zur Arbeit zu fahren. Wer wird Eigentümer des Pkw?
Lösung: A und B haben sich zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammengeschlossen (§§ 705 ff. BGB).
Die BGB-Gesellschaft ist keine juristische Person, aber nach neuester Auffassung
des BGH ( siehe unten ) (teil-)rechtsfähig, soweit sie eigene Rechte und Pflichten
begründen kann. Dies sind z. B. die Fähigkeit der GbR, sich als Gründerin und
Gesellschafterin an einer Genossenschaft, HGB oder GbR zu beteiligen sowie die
Scheck- und Wechselfähigkeit. Unter Rechtsfähigkeit in diesem Sinn versteht der
1
Nach Timm, Handels- und Wirtschaftsrecht, Band 1, 2.Aufl. 1999, S.73 – 75 (§ 4 Rz.22)
107
BGH die Möglichkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Der BGH hält
die BGB-Gesellschaft prinzipiell für rechtsfähig, es sei denn, besondere gesetzliche Bestimmungen würden dies verbieten. Es muß nach der Ansicht des BGH also
eine Norm geben, deren Zweck es ausschließt anzunehmen, daß die BGBGesellschaft auf den Anwendungsbereich dieser Norm bezogen Trägerin von
Rechten sein kann. Jedenfalls das Scheckgesetz verbiete die Annahme der Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft nicht. Daher ist die BGB-Gesellschaft scheckfähig, aber nicht fähig, Eigentum zu erwerben.
Aus Geschäften, die im Rahmen der Gesellschaft vorgenommen werden, ergeben
sich stets nur Rechte und Pflichten für die Gesamtheit der Gesellschafter. Das
Gesellschaftsvermögen wird gemeinschaftliches Vermögen der Gesellschafter.
Es ist Gesamthandsvermögen (§§ 718, 719 BGB).
Excurs: Der BGH hat mit einem bahnbrechenden Urteil vom 29.1.20011 seine
frühere Rechtsmeinung aufgegeben und damit eine Annäherung der GbR an eine
jur. Person fortgeschrieben.
Leitsätze
1. Die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts besitzt Rechtsfähigkeit, soweit
sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet.
2. In diesem Rahmen ist sie zugleich im Zivilprozeß aktiv- und passiv parteifähig.
3. Soweit der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft bürgerlichen Rechts persönlich haftet, entspricht das Verhältnis zwischen der Verbindlichkeit der Gesellschaft und der Haftung des Gesellschafters derjenigen bei
der OHG (Akzessorietät) - Fortführung von BGHZ 142, 315.
Aus den Gründen ( Auszüge ) :
Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Gesamthandsgemeinschaft ihrer Gesellschafter im Rechtsverkehr grundsätzlich, das heißt soweit nicht spezielle Gesichtspunkte entgegenstehen, jede Rechtsposition einnehmen (BGHZ 116, 86, 88; 136, 254, 257; im
Ansatz auch bereits BGHZ 79, 374, 378 f.). Soweit sie in diesem Rahmen eigene
Rechte und Pflichten begründet, ist sie (ohne juristische Person zu sein) rechtsfähig (vgl. § 14 Abs. 2 BGB). Über die Rechtsnatur der Gesellschaft bürgerlichen
Rechts finden sich im Gesetz keine umfassenden und abschließenden Regeln.
Die Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung und das erkennbare Bestreben
des historischen Gesetzgebers, eine konkrete Festlegung zu vermeiden, lassen
Raum für eine an den praktischen Bedürfnissen der Verwirklichung des Ge1
BGH, II ZR 331/01, in NJW 2001, 1056
108
samthandsprinzips orientierte Beurteilung der Rechtsnatur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Danach verdient die Auffassung von der nach außen bestehenden beschränkten Rechtssubjektivität der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft den
Vorzug. Diese Auffassung geht auf die deutsch-rechtliche Gesamthandslehre des
19. Jahrhunderts zurück
Dieses Verständnis der Rechtsnatur der gesellschaftsrechtlichen Gesamthandsgemeinschaft bietet ein praktikables und weitgehend widerspruchsfreies Modell für
die vom Gesetz (§§ 718-720 BGB) gewollte rechtliche Absonderung des Gesellschaftsvermögens vom Privatvermögen der Gesellschafter. Die sogenannte traditionelle Auffassung, die ausschließlich die einzelnen Gesellschafter als Zuordnungssubjekte der die Gesellschaft betreffenden Rechte und Pflichten ansieht
Ein für die Praxis bedeutsamer Vorzug der nach außen bestehenden Rechtssubjektivität der Gesellschaft bürgerlichen Rechts im oben beschriebenen Sinne besteht
darin, daß danach ein Wechsel im Mitgliederbestand keinen Einfluß auf den Fortbestand der mit der Gesellschaft bestehenden Rechtsverhältnisse hat (vgl. Senat,
BGHZ 79, 374, 378 f.). Bei strikter Anwendung der traditionellen Auffassung
müßten Dauerschuldverhältnisse mit der "Gesellschaft" bei jedem Wechsel im
Mitgliederbestand von den Vertragsparteien neu geschlossen bzw. bestätigt werden.
Die hier vertretene Auffassung ist zudem eher in der Lage, identitätswahrende
Umwandlungen von Gesellschaften bürgerlichen Rechts in andere Rechtsformen
und aus anderen Rechtsformen zu erklären. Betreibt eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein Gewerbe, dann wird sie von Gesetzes wegen ohne jeden Publizitätsakt zu einer personen- und strukturgleichen OHG, sobald das Unternehmen
nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert (§ 105 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 HGB). Da der OHG jedenfalls
Rechtssubjektivität im oben beschriebenen Sinne zukommt (vgl. § 124 Abs. 1
HGB), würden sich bei konsequenter Anwendung der traditionellen Auffassung
die Eigentumsverhältnisse an den zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenständen mit der Umwandlung zur OHG ändern. Dies würde für die Praxis insbesondere deshalb schwierige Probleme bereiten (vgl. Reiff, ZIP 1999, 517, 518
f.), weil für den Übergang von der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zur OHG infolge des wertungsabhängigen Kriteriums des Erfordernisses eines kaufmännischen Geschäftsbetriebs ein genauer Zeitpunkt der Umwandlung kaum ausgemacht werden kann.
Schließlich unterstützt die Tatsache, daß der Gesetzgeber mittlerweile die Insolvenzfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts anerkannt hat (§ 11 Abs. 2 Nr.
1 InsO wie auch schon § 1 Abs. 1 GesO), die Gesellschaft mithin als Träger der
Insolvenzmasse ansieht, ebenfalls die Annahme der Rechtssubjektivität.
Erkennt man die Fähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts an, Träger von
Rechten und Pflichten zu sein, kann ihr die Parteifähigkeit im Zivilprozeß, die
gemäß § 50 ZPO mit der Rechtsfähigkeit korrespondiert, nicht abgesprochen werden.
Die Gesamthandsgemeinschaft: Sie kann unter ihrem Namen gewisse Rechte
erwerben und Pflichten eingehen. Aus Geschäften, die im Rahmen der Gemein-
109
schaft vorgenommen werden, ergeben sich stets nun Rechte und Pflichten für die
Gesellschaft. Das Gesellschaftsvermögen wird gemeinschaftliches Vermögen der
Gesellschafter. Es ist Gesamthandsvermögen (§§ 718, 719 BGB). Im Gegensatz
zur Bruchteilsgemeinschaft stehen bei einer Gesamthandsgemeinschaft die Vermögensteile als Ganzes den Mitgliedern gemeinschaftlich zu. Die Mitglieder der
Gemeinschaft können also auch nur gemeinsam über den Vermögensgegenstand
verfügen. Eine Gesamthandsgemeinschaft entsteht bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, einer Erbengemeinschaft und bei einer Gütergemeinschaft.
Fall 94: Die X-GmbH erwirbt einen Pkw. Wer wird Eigentümer des Pkw?
Lösung: Die GmbH, da sie eine juristische Person ist.
Die GmbH ist eine Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (juristische Person), die ein in Stammeinlagen zerlegtes Stammkapital hat und ihren Gläubigern
mit ihrem gesamten Vermögen (unbeschränkt) haftet. Ihre Geschäftsanteile können von einem oder mehreren Gesellschaftern gehalten werden, die den Gesellschaftsgläubigern nicht persönlich haften. Aus ökonomischer Sicht hat der Gesetzgeber also auch mit den Vorschriften über die GmbH eine gewisse Externalisierung von Risiken ermöglicht, die von den Gesellschaftern auf Dritte verlagert
werden können. Die Rechtsform der GmbH wurde im 19. Jahrhundert geschaffen.
Seither ist das GmbH-Recht trotz zahlreicher Novellierungen im Kern nicht verändert worden. Die GmbH ist die bei weitem häufigste Form der Kapitalgesellschaft. Ende 1992 existierten in Deutschland insgesamt 549.659 Gesellschaften
mit beschränkter Haftung gegenüber nur 3.219 Aktiengesellschaften.
Als Körperschaft ist die GmbH von ihrem Mitgliederbestand unabhängig. Als
juristische Person ist sie Trägerin von allen Rechten und Pflichten (rechtsfähig)
und kann wie eine natürliche Person am Rechtsverkehr teilnehmen. Sie kann also
Verträge schließen, als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen, klagen oder verklagt werden. Geschäftsführung und Vertretung können durch Nichtgesellschafter
wahrgenommen werden (Fremdorganschaft). Mit Eintragung in das Handelsregister wird die GmbH Handelsgesellschaft (§ 13 Abs. 3 GmbHG). Sie unterliegt damit den für Kaufleute geltenden Vorschriften auch dann, wenn sie kein Grundhandelsgewerbe oder überhaupt kein Gewerbe betreibt. Als Kapitalgesellschaft muß
die GmbH ein gesetzlich vorgegebenes (Mindest-) Stammkapital haben, zu dessen
Aufbringung sich die Gesellschafter bei ihrer Gründung verpflichten müssen und
das während ihres Bestehens geschützt und erhalten wird. Sie haftet ihren Gläubigern mit ihrem gesamten Vermögen. Die Bezeichnung "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" ist also irreführend und mißverständlich. Eine Haftungsbeschränkung besteht nicht für die GmbH, sondern lediglich für die GmbHGesellschafter. Sie haften den Gesellschaftsgläubigern nicht persönlich, wenn sie
ihre Einlage erbracht haben. Sie müssen also nicht mit ihrem Privatvermögen für
die Gesellschaftsschulden einstehen.
110
III. BGB-Gesellschaft
1. Anwendungsbereich - Abgrenzung zu OHG und KG
Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist die Grundform der Personengesellschaft.
Sie liegt vor, wenn mehrere Personen sich in Verfolgung eines gemeinsamen
Zwecks zusammenschließen, ohne ein Handelsgewerbe zu betreiben und ohne
eine andere, spezielle Rechtsform für die Kooperation zu vereinbaren. Im Wirtschaftsleben kommt diese Gesellschaftsform häufig im kleingewerblichen Bereich, bei Sozietäten von Ärzten, Rechtsanwälten und anderen Freiberuflern und
bei Kooperationen mehrerer Unternehmen anläßlich eines gemeinsamen Projekts,
wie beispielsweise der bauwirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaft (ARGE), vor.
Fall 95: Die Studenten der Betriebswirtschaft A und B wollen im Sommersemester gemeinsam einen Coca-Cola-Stand vor der Fachhochschule Landshut betreiben, um ihr Stipendium aufzubessern. A, der gerade die erste Stunde seiner HGBVorlesung hinter sich gebracht hat, meint, als Kaufleute müßten sie wohl eine
offene Handelsgesellschaft (OHG) gründen. Stimmt das?1
Keine OHG bei geringem Geschäftsbetrieb: Eine Gesellschaft, deren Zweck auf
den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist,
ist eine OHG, wenn bei keinem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den
Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist. Auch für die OHG gilt die Begriffsbestimmung des § 1 HGB. Wenn die OHG nicht in das Handelsregister eingetragen
ist, handelt es sich um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BGB-Gesellschaft;
§§ 705 ff. BGB). Bei einer BGB-Gesellschaft verpflichten sich die Gesellschafter
gegenseitig, auf einem bestimmten Gebiet alles gemeinsam zu tun. Die Gesellschaft ist also eine auf Vertrag beruhende Personenvereinigung zur Erreichung
eines gemeinsamen Zwecks.
Beispiele für BGB-Gesellschaft: Gemeinsame Anwaltskanzlei; selbständige Musikergruppe; auch vorübergehende Zweckgemeinschaften, z.B. Hausfrauen, die
gemeinsame Sammelbestellungen aufgeben; Studenten, die gemeinsam ein Auto
zur Fahrt an die Universität kaufen.
2. Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht
1
Ein Teil der Fälle und Lösungen abgewandelt aus Schwind/Hassenpflug/Nawratil, HGB.
111
Fall 96: Die Bauunternehmer Stein und Erdmann schließen sich zusammen, um
im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft eine Straße zu bauen. Wer kann bestimmen, was in der Gesellschaft passiert?
Lösung: Hier ist Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht zu unterscheiden.
Unter Geschäftsführungsbefugnis ist die Befugnis zu verstehen, den anderen
Gesellschaftern gegenüber zur Besorgung der Geschäfte der Gesellschaft berechtigt zu sein. Die Geschäftsführungsbefugnis beinhaltet ein besonderes Recht zur
Verwaltung des Gesellschaftsvermögens, das den Gesellschaftern aufgrund ihrer
Zugehörigkeit zur Gesellschaft zusteht. Die Berechtigung zur Geschäftsführung
und ihr Umfang ergeben sich aus dem Verhältnis der Gesellschafter untereinander (Innenverhältnis). Nach der gesetzlichen Regelung steht die Geschäftsführungsbefugnis den Gesellschaftern gemeinschaftlich zu; für jedes Geschäft ist die
Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich (§ 709 BGB; zur Ausnahme § 710
BGB).
Die Vertretungsmacht stellt das Recht eines Gesellschafters dar, die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit Dritten gegenüber zu berechtigen und zu verpflichten
(Außenverhältnis). Die Rechtsgeschäfte, die ein vertretungsberechtigter Gesellschafter innerhalb seiner Vertretungsmacht mit Dritten abschließt, wirken unmittelbar für und gegen alle Gesellschafter, nicht nur für und gegen die geschäftsführenden und vertretungsberechtigten Gesellschafter. Zur Vertretung sind grundsätzlich die geschäftsführenden Gesellschafter befugt (§ 714 BGB). Die Gesellschafter sind Gesamtschuldner (§§ 714, 709, 164, 420, 427, 421 BGB).
Die gesetzlichen Regelungen können abbedungen werden.
Die aktive und passive Parteifähigkeit wird neuerdings vom BGH1 anerkannt,
d.h. eine GdB kann, vertreten durch einen Geschäftsführer, im eigene Namen vor
Gericht klagen und verklagt werden.
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, daß die Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (BGB-Gesellschaft, neuerdings auch GbR abgekürzt) rechtsfähig und parteifähig ist, soweit sie als Teilnehmer am Rechtsverkehr eigene (vertragliche) Rechte und Pflichten begründet.
Das Reichsgericht und später der Bundesgerichtshof standen zunächst auf dem
Standpunkt, daß die Gesellschaft selbst nicht rechtsfähig sei, sondern daß aus den
von der Gesellschaft geschlossenen Geschäften ausschließlich die Gesellschafter
selbst berechtigt und verpflichtet würden. Im Laufe der Zeit ging der Bundesgerichtshof aber zunehmend dazu über, die Gesellschaft als Gruppe der in ihr zusammengeschlossenen Gesellschafter selbst als Träger der in ihrem Namen begründeten Rechte und Pflichten anzusehen. So hat er die Gesellschaft beispiels1
BGH vom 29.1.2001; II ZR 331/00
112
weise für fähig erachtet, Mitglied in anderen Gesellschaften zu werden oder
Scheckverbindlichkeiten einzugehen. Gleichwohl hat es auch der Bundesgerichtshof bisher abgelehnt, die Gesellschaft selbst im Zivilprozeß als klagende oder beklagte Partei zuzulassen. Infolgedessen mußten im Zivilprozeß bisher immer
sämtliche Gesellschafter selbst (als sog. Streitgenossen) verklagt werden, wenn
anschließend in das Gesellschaftsvermögen vollstreckt werden sollte. Dies hatte
im Klage- und Vollstreckungsverfahren, wenn die genaue Zusammensetzung des
Gesellschafterkreises nicht bekannt oder umstritten war, immer wieder zu erheblichen praktischen Problemen bei der Rechtsverfolgung geführt, so beispielsweise
bei Publikumsgesellschaften in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen
Rechts, die über eine Vielzahl von Mitgliedern verfügen und deren Mitgliederbestand sich kontinuierlich verändert.
Mit der jetzt verkündeten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof diese praktischen Probleme für die Rechtssuchenden beseitigt. Wenn die Gesellschaft selber
und nicht ihre einzelnen Gesellschafter als Träger der in ihrem Namen begründeten Rechte und Pflichten anzusehen ist, so kann ihr insoweit eigene Rechtsfähigkeit nicht abgesprochen werden. Konsequenterweise muß sie diese Rechte auch
selber (vertreten durch den oder die jeweils geschäftsführenden Gesellschafter)
vor Gericht als Klägerin geltend machen (sog. aktive Parteifähigkeit) oder vor
Gericht als Beklagte auf die Erfüllung ihrer Pflichten verklagt werden können
(sog. passive Parteifähigkeit). Infolgedessen ist zur Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen künftig nicht mehr die Erwirkung eines Urteils gegen sämtliche,
möglicherweise gar nicht bekannten Gesellschafter erforderlich. Es genügt ein
Urteil (oder ein sonstiger Vollstreckungstitel) gegen die Gesellschaft selber.
Der Erwirkung eines Urteils gegen einen Gesellschafter persönlich bedarf es nur,
wenn auch in dessen Privatvermögen vollstreckt werden soll. Dazu stellt das jetzt
verkündete Urteil in Fortführung einer früheren Entscheidung klar, daß die Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (vorbehaltlich einer anderweitigen
Absprache mit dem Gläubiger) für die während ihrer Zugehörigkeit zu der Gesellschaft begründeten vertraglichen Verbindlichkeiten der Gesellschaft in ihrem jeweiligen Bestand, z.B. auch bei Erhöhung durch Verzugszinsen, auch persönlich
mit ihrem privaten Vermögen haften (sog. Prinzip der Akzessorietät der Gesellschafterhaftung). Die Haftung der Mitglieder jedenfalls einer wirtschaftlich tätigen
Gesellschaft bürgerlichen Rechts gestaltet sich insoweit ähnlich derjenigen einer
offenen Handelsgesellschaft.
Konkret ging es in dem entschiedenen Fall darum, daß die Klägerin eine ARGE in
der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts neben ihren Gesellschaftern
auf Zahlung einer in ihrem Namen begründeten Wechselverbindlichkeit in Anspruch genommen hat. Das Oberlandesgericht Nürnberg als Vorinstanz hat die
gegen die Gesellschaft gerichtete Klage auf der Grundlage der bisherigen Auffassung als unzulässig abgewiesen, weil die ARGE als Gesellschaft bürgerlichen
Rechts im Zivilprozeß nicht parteifähig sei. Diese Entscheidung konnte nach Anerkennung der Parteifähigkeit der Gesellschaft durch den Bundesgerichtshof keinen Bestand haben.
Urteil vom 29. Januar 2001 - II ZR 331/00
113
3. Beendigung der Gesellschaft
Fall 97: Wie lange besteht die Gesellschaft?
Lösung: Das Gesetz sieht mehrere Beendigungsgründe vor:
• Kündigung durch Gesellschafter (§§ 723, 724 BGB)
• Kündigung durch Pfändungspfandgläubiger (§ 725 BGB)
• Auflösung wegen Erreichens oder Unmöglichwerden des Zwecks (§ 726
BGB)
• Auflösung durch Tod eines Gesellschafters (§ 727 BGB)
• Auflösung durch Konkurs eines Gesellschafters (§ 728 BGB)
Zur Auseinandersetzung vgl. §§ 730 ff. BGB.
4. Ausscheiden eines Gesellschafters
Fall 98: Eine Gesellschaft besteht aus A, B und C. Jeder ist zu 1/3 beteiligt. A
möchte aus der Gesellschaft ausscheiden.
Lösung: Hinweis auf die §§ 736 ff. BGB. Der Anteil des A wächst B und C zu.
Sie sind dann zu ½ beteiligt. Zur Ausgleichspflicht vgl. §§ 738-740 BGB.
IV. OHG
1. Anwendungsbereich
Fall 99: Frau Holz und Frau Wurm wollen gemeinsam eine große Möbelhandlung betreiben. Um welchen Personenzusammenschluß handelt es sich hierbei?
OHG bei Mußkaufmann: Wenn sie sich zu einer Gesellschaft unter gemeinsamer Firma zusammenschließen, bilden sie eine OHG, denn sie betreibt das Handelsgewerbe eines Mußkaufmanns (§ 1 Abs. 2 HGB).
114
2. Unterschiede zur BGB-Gesellschaft
Fall 100: Eines Tages entdecken Sie, daß im Grundbuch eine Fa. Meier und Co.
OHG als Eigentümer eines Grundstücks eingetragen ist. Handelt es sich um einen
Irrtum des Grundbuchbeamten?
Eigentumserwerb durch OHG möglich: Eine Gesellschaft des bürgerlichen
Rechts (BGB-Gesellschaft) kann im Gegensatz zu den juristischen Personen nicht
selbst Träger von Rechten sein; denn bei ihr steht das Eigentum den Gesellschaftern in ihrer gesamthänderischen Verbindung zu. § 124 HGB verankert für die
OHG eine wichtige Abweichung hiervon; die OHG tritt nach außen wie eine juristische Person auf. Nach herrschender Meinung kann sie sogar Erbe werden. Aus
der Titelüberschrift vor § 123 HGB („Rechtsverhältnisse der Gesellschafter zu
Dritten“) folgt aber, daß dies nur im Außenverhältnis gilt. Für das Innenverhältnis
ist in §§ 109 ff. HGB nichts geregelt, also bleibt es hier beim Gesamthandseigentum. Die OHG nimmt also eine seltsame Zwitterstellung zwischen juristischer
Person und BGB-Gesellschaft ein.
Fall 101: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen BGBGesellschaft und OHG?
Lösung: Es bestehen folgende Gemeinsamkeiten: Auch die OHG ist
• keine juristische Person und
• eine Gesamthandsgemeinschaft.
• Die gesetzlichen Vorschriften können weitgehend abbedungen werden.
Es bestehen jedoch folgende Unterschiede zur BGB-Gesellschaft:
• Die OHG wird weitgehend wie eine juristische Person behandelt (§ 124 HGB)
und haftet daher neben den Gesellschaftern (§ 128 HGB).
• Sie wird im Handelsregister eingetragen (§§ 106 ff. HGB).
• Die Gesellschafter sind allein geschäftsführungsbefugt (§§ 114 ff., insbesondere § 115 Abs. 1 HGB).
• Sie sind auch allein vertretungsbefugt (§ 125 Abs. 1 HGB).
115
3. Persönliche Haftung der Gesellschafter (§ 128 HGB)
Fall 102: Die Vollkaufleute A und B haben sich zum Betrieb eines Fleischhandels
zusammengeschlossen. A hat Kapital, B Verkaufstalent. B verkauft ohne Wissen
des A leichtfertig nicht ganz einwandfreie Fleischwaren an X. Dieser erleidet einen Gesundheitsschaden. Durfte B überhaupt handeln? Kann der geschädigte X
den gutsituierten A auf Schadensersatz verklagen?
Vertretung der Gesellschaft (Außenverhältnis): Zur Vertretung der Gesellschaft ist jeder Gesellschafter ermächtigt, wenn er nicht durch den Gesellschaftsvertrag von der Vertretung ausgeschlossen ist (§ 125 Abs. 1 HGB). Im Gesellschaftsvertrag kann bestimmt werden, daß alle oder mehrere Gesellschafter nur in
Gemeinschaft zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigt sein sollen (Gesamtvertretung). Die zur Gesamtvertretung berechtigten Gesellschafter können einzelne
von ihnen zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften ermächtigen. Ist der Gesellschaft gegenüber eine Willenserklärung abzugeben, so genügt die Abgabe gegenüber einem der zur Mitwirkung bei der Vertretung befugten Gesellschafter (§ 125 Abs. 2 HGB).
Bei OHG also grundsätzlich Einzelvertretung: Da keine Einschränkung der
Vertretungsmacht ersichtlich ist, durfte B - anders als der Gesellschafter im BGB die Gesellschaft nach außen allein vertreten.
Umfang der Vertretungsmacht: Die Vertretungsmacht der Gesellschafter erstreckt sich auf alle gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäfte und Rechtshandlungen einschließlich der Veräußerung und Belastung von Grundstücken sowie der Erteilung und des Widerrufs einer Prokura (§ 126 Abs. 1 HGB). Eine Beschränkung des Umfangs der Vertretungsmacht ist Dritten gegenüber unwirksam;
dies gilt insbesondere von der Beschränkung, daß sich die Vertretung nur auf gewisse Geschäfte oder Arten von Geschäften erstrecken oder daß sie nur unter gewissen Umständen oder für eine gewisse Zeit oder an einzelnen Orten stattfinden
soll /(§ 126 Abs. 2 HGB).
Geschäftsführung (Innenverhältnis): Zur Führung der Geschäfte der Gesellschaft sind alle Gesellschafter berechtigt und verpflichtet (§ 114 Abs. 1 HGB). Die
Befugnis zur Geschäftsführung erstreckt sich auf alle Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt. Zur
Vornahme von Handlungen, die darüber hinausgehen, ist ein Beschluß sämtlicher
Gesellschafter erforderlich (§ 116 Abs. 1 und 2 HGB; zur Beschlußfassung vgl.
§ 119 HGB). B ist im Rahmen geblieben, da der Verkauf kein außergewöhnliches
Geschäft war. Er durfte also allein handeln.
Ansprüche des X gegen A aus positiver Forderungsverletzung (pFV) und unerlaubter Handlung: Da die Gesellschaft den Kaufvertrag schlecht erfüllt hat, ist
- neben der Sachmängelhaftung (§§ 459 ff. BGB) für den Mangelschaden - für den
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Mangelfolgeschaden ein Anspruch aus pFV gegeben (§ 242; §§ 280, 286; 325,
326 BGB) gegeben. Daneben kann sich X auf die §§ 823 Abs. 1 sowie Abs. 2
BGB stützen. die Gesellschafterhaftung ergibt sich aus § 128 HGB. Danach haften
die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als
Gesamtschuldner persönlich. Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam. § 128 HGB gilt für alle Verbindlichkeiten einer OHG, gleich
aus welchem Rechtsgrund, z.B. aus Vertrag, ungerechtfertigter Bereicherung, Delikt, Gefährdungshaftung, arbeitsrechtlichen Pensionszusagen, sonstigem privaten
oder öffentlichem Rechts, auch Steuerschulden Baumbach/Hopt, § 127 Rz. 2).
4. Innenverhältnis (Geschäftsführung; §§ 109 ff. HGB)
Fall 103: Seit Jahren besteht zwischen A, B und C eine OHG. A veräußert an die
OHG eines seiner Grundstücke, das diese zu einer Geschäftserweiterung braucht,
um 30.000 DM. Was kann A tun, um zu seinem Geld zu kommen?
Anspruch gegen Gesellschaft, subsidiär gegen Gesellschafter: Da A hier der
OHG wie ein Fremder gegenübertritt und nicht in seiner Eigenschaft als Gesellschafter, kann er entweder gegen die Gesellschaft selbst vorgehen (§ 124 HGB)
oder seine Mitgesellschafter verklagen (§ 128 HGB). Aus der gegenseitigen
Treuepflicht der Gesellschafter ergibt sich aber, daß A seine Mitgesellschafter nur
in Anspruch nehmen darf, wenn bei der Gesellschaft nichts mehr zu holen ist oder
das Vorgehen gegen das Gesellschaftsvermögen der Gesellschaft unverhältnismäßigen Schaden zufügen würde. Wenn die Gesellschaft den Betrag nicht zahlen
kann, muß aber A, entsprechend dem Gedanken des § 120 HGB, seinen
Verlustanteil, im Zweifel ein Drittel, selbst tragen. A kann daher seine
Gesellschafter nur in Höhe von je 10.000 DM in Anspruch nehmen.
Fall 104: Der OHG-Gesellschafter A macht eine Geschäftsreise von Stuttgart nach
Landshut. Von wem erhält er die Reisekosten?
Ersatz für Sozialverpflichtungen durch Gesellschaft: Gem. § 110 HGB wird er
sich wegen des Ersatzes von Aufwendungen oder Verlusten an die Gesellschaft
halten. Die Mitgesellschafter haften nicht für die Erstattung, denn das wäre ein
Verstoß gegen §§ 105 Abs. 2 HGB, 707 BGB („keine Beitragserhöhung“). Man
spricht bei den Ansprüchen auf Aufwendungsersatz, Gewinnanteil und den anderen im Gesellschaftsverhältnis wurzelnden Ansprüchen von Sozialverpflichtungen
der Gesellschaft im Gegensatz zu den außergesellschaftlichen Verpflichtungen,
wie sie im Fall vorher abgehandelt wurden.
117
Fall 105: Bei einer OHG wird der Gesellschafter A von Herrn X, einem Gläubiger
der OHG, gem. § 128 HGB haftbar gemacht. Von wem kann A Erstattung verlangen?
Regreß gegen Gesellschaft: Hier handelt es sich zwar nicht direkt um einen Verlust im Sinne des § 110 HGB, doch werden §§ 110 HGB, 670 BGB analog als
Grundlage des Erstattungsanspruchs des A gegen die OHG herangezogen.
Regreß gegen Mitgesellschafter: Von seinen Mitgesellschaftern kann A wegen
der Befriedigung des Gesellschaftsgläubigers ähnlich wie bei den außersozialen
Schuldverhältnissen anteilige Erstattung nach dem Grundsatz der Verlustbeteiligung gem. § 120 HGB verlangen, wenn bei der Gesellschaft nichts zu holen ist.
Das Nachzahlungsverbot des § 707 BGB steht hier nach herrschender Meinung
nicht im Wege. Diese Lösung ist nur recht und billig; denn die Klage
des X hätte jeden der Gesellschafter treffen können, und die Mitgesellschafter
sollen nicht von dem Pech des A profitieren.
Fall 106: In der OHG ABC ist C von der Vertretung und Geschäftsführung ausgeschlossen. Am 1.1. bestellt A eigenmächtig seinen geschäftlich völlig ungewandten Freund, den Studienrat und Altphilologen D, zum Prokuristen. Als B das am
8.1. hört, widerruft er sofort D's Prokura. D hatte aber schon am 4.1. ein Geschäft
für die OHG abgeschlossen, das - wie vorherzusehen - mit einem größeren Verlust
endet. Waren Erteilung und Widerruf der Prokura wirksam? Hat sich A gegenüber
der Gesellschaft schadenersatzpflichtig gemacht und wer kann gegebenenfalls den
Schaden einklagen?
Erteilung und Widerruf der Prokura: Gem. §§ 125 Abs. 1, 126; 48, 52 HGB
sind Bestellung und Widerruf wirksam. Im Innenverhältnis stellte die eigenmächtige Bestellung einen groben Verstoß gegen die Gesellschafterpflichten dar (§ 116
HGB). Der Widerruf war zulässig (§ 116 Abs. 3 Satz 2 HGB).
Haftung des A: A hat durch sein gesellschaftswidriges Handeln einen Schaden
verursacht. Da A seine Befugnisse überschritten und dem mutmaßlichen Willen
der Mitgesellschafter zuwider gehandelt hat, haftet er aus den §§ 105 Abs. 2 HGB,
678 BGB auch ohne Verschulden.
Geltendmachung des Schadens durch B: Den Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen A kann jedenfalls der vertretungsberechtigte B geltend machen.
Ein Widerspruchsrecht (§ 115 HGB) gegen diese Geltendmachung steht dem A
nach herrschender Meinung in eigener Sache nicht zu.
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Geltendmachung des Schadens durch C: Auch der von der Vertretung und Geschäftsführung ausgeschlossene C kann in eigenem Namen auf Leistung an die
Gesellschaft klagen; denn die Verpflichtung des A beruht auf einer Verletzung des
Gesellschaftsvertrages, und die Einhaltung des Vertrages kann auch der nichtvertretungsberechtigte Gesellschafter, der ja auch Vertragspartner ist, überwachen.
Diese Klage eines einzelnen Gesellschafters auf Leistung an die Gesellschaft
nennt man traditionsgemäß actio pro socio.
5. Außenverhältnis (Vertretung; §§ 123 ff. HGB)
Fall 107: Ein Gläubiger der ABC-OHG hat ein rechtskräftiges Urteil gegen die
OHG erstritten. Da die Gesellschaftskassen leer sind, erhebt er jetzt neue Klage
gegen A. Ist das überhaupt nötig? Kann A einwenden, die Forderung sei der OHG
auf ein Jahr gestundet worden?
Zusätzliche Klage gegen Gesellschafter: Aus einem gegen die Gesellschaft gerichteten vollstreckbaren Schuldtitel findet die Zwangsvollstreckung gegen die
Gesellschafter nicht statt (§ 129 Abs. 4 HGB). Durch das rechtskräftige Urteil hat
die OHG die Einrede der Stundung verloren. A könnte sich nur dann auf Stundung
berufen, wenn der Gläubiger ihm versprochen hätte, ihn persönlich im nächsten
Jahr nicht in Anspruch zu nehmen.
Fall 108: Der Vollkaufmann V nimmt seinen erwachsenen Sohn in seine bisherige
Einzelfirma als gleichberechtigten Gesellschafter auf. Der alte Firmenname wird
beibehalten. Haftet S für alte Schulden des V?
Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns: Tritt jemand als persönlich
haftender Gesellschafter oder als Kommanditist in das Geschäft eines Einzelkaufmanns ein, so haftet die Gesellschaft, auch wenn sie die frühere Firma nicht
fortführt, für alle im Betrieb des Geschäfts entstandenen Verbindlichkeiten des
früheren Geschäftsinhabers. Die in dem Betrieb begründeten Forderungen gelten
den Schuldnern gegenüber als auf die Gesellschaft übergegangen (§ 28 Abs. 1
HGB). Nicht einschlägig ist § 130 HGB, da er eine schon bestehende Gesellschaft
voraussetzt.
V. KG
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Fall 109: Welche Unterschiede bestehen zwischen der OHG und der KG?
Beschränkte Haftung der Kommanditisten: Einzelne Gesellschafter haften
den Gläubigern der Gesellschaft in der Regel nur beschränkt. Diese Gesellschafter heißen Kommanditisten (§ 161 Abs. 1 HGB), die anderen Gesellschafter heißen Komplementäre. Die KG kommt oft in der Form der GmbH & Co. KG vor.
Hierbei haften alle beteiligten Personen nur beschränkt, da die GmbH die Funktion des Komplementärs übernimmt.
Geschäftsführung, Vertretungsmacht: Bei der OHG besteht Alleingeschäftsführung und Alleinvertretungsmacht. Der Kommanditist hat keine Geschäftsführungsbefugnis und keine Vertretungsmacht.
Fall 110: Der kapitalgewaltige A und der wortgewaltige B haben eine Großhandels-KG gegründet. A ist Kommanditist. B beginnt die Geschäfte mit A's Zustimmung noch vor der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister. B entlockt
dem Bankier X mit dem Hinweis auf die Beteiligung des A einen großen Kredit.
Als die KG in Zahlungsschwierigkeiten kommt, will sich X an A halten. Kann A
sich auf seine beschränkte Haftung berufen, wenn X geglaubt hatte, A hafte unbeschränkt?
Haftung des Kommanditisten in Höhe der Einlage: Auf die KG finden die §§
162 ff. HGB, ergänzend die Vorschriften über die OHG (§§ 106 ff. HGB), ergänzend die §§ 705 ff. BGB (§ 105 Abs. 2 HGB) Anwendung (§ 161 Abs. 2 HGB).
Nach § 171 Abs. 1 HGB haftet der Kommanditist bis zur Höhe seiner Einlage
unmittelbar; die Haftung ist ausgeschlossen, soweit die Einlage geleistet ist. Soweit die Einlage eines Kommanditisten zurückbezahlt wird, gilt sie den Gläubigern als nicht geleistet (§ 172 Abs. 4 Satz 1 HGB).
Haftung vor Eintragung: Bei einer Geschäftsaufnahme vor Registereintragung
haftet jeder Kommanditist, der dem Geschäftsbeginn zugestimmt hat, für die bis
zur Eintragung begründeten Verbindlichkeiten unbeschränkt. Er haftet nicht unbeschränkt, wenn seine Beteiligung als Kommanditist dem Gläubiger bekannt war
(§ 176 Abs. 1 Satz 1 HGB).
VI. Stille Gesellschaft
Fall 111: Der Rentner R gibt dem Inhaber eines kleineren, nicht im Handelsregister eingetragenen Schuhgeschäfts ein Darlehen von 20.000 DM. R erhält dafür
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einen gewissen Prozentsatz des in der Jahresbilanz ausgewiesenen Reingewinns;
R darf die Bilanz samt den ihr zugrunde liegenden Büchern usw. einsehen. Um
welche Art der Beteiligung handelt es sich? Wie wäre es, wenn es sich um ein
größeres Schuhgeschäft handeln würde?
Stille Gesellschaft nur bei Handelsgewerbe: In Betracht kommt eine stille Gesellschaft oder ein Darlehen mit Gewinnbeteiligung (sog. partiarisches Darlehen).
Für eine stille Beteiligung ist nach § 230 HGB ein Handelsgewerbe erforderlich.
Eine stille Gesellschaft mit einem, der kein Kaufmann ist, ist nicht möglich. Beim
Inhaber eines kleineren Schuhgeschäfts dürfte kein Kaufmann vorliegen. Die folgenden Ausführungen gelten daher nur für die Abwandlung, daß es sich um ein
größeres Schuhgeschäft handelt.
Unterschiede zwischen stiller Gesellschaft und Darlehen: Die Abgrenzung von
stiller Gesellschaft und Darlehen ist oft nicht leicht. Weniger ausschlaggebend ist
die Bezeichnung des Verhältnisses durch die Parteien. Wie die Prüfung der §§ 230
ff. HGB ergibt, ist feste Verzinsung ein sicheres Indiz für das Darlehen. Verlustbeteiligung dagegen spricht eindeutig für das Vorliegen einer stillen Gesellschaft.
Keines von beiden Kriterien liegt aber hier vor. Im gegebenen Fall ist abzustellen
auf das Kontrollrecht des R, welches charakteristisch für die stille Gesellschaft ist.
R ist also stiller Gesellschafter.
Unterschied zwischen stiller Gesellschaft und KG: Typisch für die KG sind
gemeinsame Firma und gemeinsames Vermögen. Die stille Gesellschaft ist dagegen reine Innengesellschaft, d.h. sie tritt nach außen nicht hervor.
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