Der gefallene Engel Mephisto

Transcription

Der gefallene Engel Mephisto
Háskóli Íslands
Hugvísindasvið
Þýska
Der gefallene Engel Mephisto
Mephistos realitätsferner Optimismus in der Wette mit Gott
in Goethes Faust I & II
Ritgerð til BA-prófs í þýsku
Árný Stella Gunnarsdóttir
Kt.: 091091-2089
Leiðbeinandi: Jessica Guse
5/2015
Ágrip
Í þessari lokaritgerð til BA prófs við Háskóla Íslands er tekist á við hina
þverstæðukenndu persónu Mephistopheles (einnig nefndur Mephisto) úr meistaraverki
Johanns Wolfgangs Goethe, Faust I & II. Þetta bókmenntaverk hefur verið
margrannsakað og virðast margir fræðimenn eiga erfitt með að skilja hvað það er sem
knýr Mephisto áfram í gegnum söguna. Hann segist vera hluti af hinu illa sem
framkvæmir góða hluti og virðist Guð í formálanum á himnum vera honum sammála.
Hvernig getur vera sem álítur sig illa haldið áfram að berjast fyrir hinu illa ef hún veit
að með því er hún að hjálpa því góða? Til að svara þessari spurningu var Mephisto
skoðaður nánar út frá þremur punktum: heiminum sem hann býr í og þeim reglum sem
þar gilda; út frá uppruna sínum, kröftum og gerðum; og að lokum var hann skoðaður í
samhengi við umhverfi sitt og söguþráð Faust I & II. Með þessu móti var hægt að finna
út í hvaða aðstæðum Mephisto var þegar saga hans hófst, hvaða möguleika hann hafði
til að fá sínu fram og að lokum hvert markmið hans er og að hvaða leiti hann nær því
markmiði í lok sögunnar. Niðurstaðan var sú að Mephsto veðji við Guð og geri svo
samninginn við Faust í tilraun til að fá Guð til að afneita mannkyninu og vinna þar með
lítinn sigur í baráttunni gegn hinu góða. Sem fallinn engill með sært stolt getur
Mephisto ekki leyft sér að gefast upp þrátt fyrir að vita fullvel að Guð er honum
sterkari. Hann veit ekkert smánarlegra en djöful sem efast og mun því halda áfram að
leika sama leikinn, þrjóskunnar vegna.
2
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
S. 4
2. Mephistos Welt: Ein Ort der Erfahrung, des Wollens, der Tätigkeit
S. 8
3. Mephistos Wesen und Taten in der Faust-Dichtung
S. 13
3.1. Mephistos Ursprung
S. 13
3.2. Mephistos Kräfte
S. 15
3.3. Mephistos Einschränkungen
S. 17
3.4. Mephistos Taten
S. 18
4. Mephistos Ziel und Zielerreichung
S. 22
4.1. Mephistos Ziel
S. 22
4.2. Mephistos Plan: Die Wette und der Pakt
S. 24
4.3. Mephistos Zielerreichung
S. 27
4.4. Mephistos Schicksal
S. 29
5. Zusammenfassung
S. 31
Literaturverzeichnis
S. 33
3
1. Einleitung
Nicht viele Literaturfiguren werden so berühmt, dass ihre Namen als Adjektive im
Wörterbuch vorkommen. Mephistopheles, hier einfach Mephisto genannt, ist eine dieser
Figuren. Dieser charmante, verführerisch kluge Teufel spielt die Hauptrolle in Johann
Wolfgang Goethes Magnum Opus: der Faust Tragödie in zwei Teilen. Im Duden wird
das Adjektiv mephistophelisch als „teuflisch, voll boshafter List“ definiert und wird
nicht so selten verwendet: im Dudenkorpus erreicht es die zweite Häufigkeitsstufe von
fünf.1 Der Name Mephistopheles wird also für mancherlei teuflische Dinge verwendet.
Teufel heißt jedoch nicht gleich Teufel; es gibt viele verschiedene Versionen und
Vorstellungen von dieser Figur. Diese haben auch verschiedene Kräfte und
Einschränkungen, je nachdem, wer sie beschreibt.
Goethes Mephisto ist ein lauterer Charakter, der sich hohe Ziele gesetzt hat: Er
will das Licht der Welt vernichten und sich damit an Gott rächen, der ihn aus dem
Himmel verbannt hat. Er kann dieses Ziel aber nie erreichen, egal wie sehr er sich
bemüht. Mephistos will Gott durch eine Wette über die Wertig- oder Nichtigkeit der
Menschen zeigen, dass die Menschen ein Fehler sind. Mephisto kann diese Wette aber
nicht gewinnen, weil die Weltordnung Gottes es nicht erlaubt und weil Mephisto selbst
nicht die Kraft dazu hat, gegen Gott zu kämpfen. Obwohl er sich dessen bewusst ist,
wird Mephisto immer engstirnig und geflissentlich nach der Vernichtung weiter streben,
zumal er als stolzer, gefallener Engel Gott nicht verzeihen kann.
Obwohl Mephisto anderthalb mal so viele Verse zu sprechen hat wie sein
Gegenspieler Faust, gibt es viel weniger Literatur über ihn als über Goethes Faust
Figur.2 Das ist merkwürdig, besonders weil Mephisto nicht nur mehr sagt als Faust, er
schließt auch mehr als doppelt so viele Male wie Faust die Szene ab.3 Wegen dieser
mangelhaften Literaturlage mussten auch ältere Forschungsarbeiten mitgelesen werden
und sogar in dieser Arbeit zitiert werden. Eine von diesen, Friedrich Paulsens
Schopenhauer, Hamlet, Mephistopheles, die 1926 publiziert wurde, hat sich als eines
der besten Bücher über Mephisto erwiesen, weil es nicht nur eine der längsten Studien
über ihn ist, sondern auch, weil es eine der wenigen Studien ist, die seinen Charakter in
1
Mephistophelisch. In: Duden Online. URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/mephistophelisch
Johannes Anderegg: Wie böse ist der Böse? Zur Gestalt des Mephisto in Goethes Faust. Monatshefte,
Vol. 96, No. 3 (Fall 2004). University of Wisconsin Press. 2004. S. 343-359, hier S. 343.
3
Ebd.
2
4
ihrer Ganzheit behandelt. Paulsens Absatz will zeigen, dass Mephisto gemein ist,
gemein sieht und gemein handelt. Um dies zu beweisen betrachtet Paulsen die Figur
Mephistos im Kontexte der Faust-Dichtung, im Zusammenhang mit Goethes Leben und
im Vergleich mit zwei anderen Verneinern: Hamlet und Schopenhauer. Paulsen kommt
zu dem Entschluss, dass Mephisto die Inkarnation des negativen Geistes sei.4 Besonders
die Argumente Paulsens über die Menschliche Natur und den Gegenstand der FaustDichtung sind für diese Arbeit nützlich gewesen.
Johannes Andereggs Wie böse ist der Böse? Zur Gestalt des Mephisto in
Goethes Faust behandelt auch die Frage, wie gemein Mephisto ist. Anderegg kommt
aber zu dem Entschluss, dass Mephistos Gemeinheit den Menschen Erfahrung und
Fortschritt schafft, obwohl es manchmal „ins Unbeherrschbare führt, zu Hilflosigkeit
und Verfehlung und in letzter Konsequenz sogar zu Vernichtung; insofern ist es dann
doch richtig, dass „Zerstörung“ das „eigentliche Element“ Mephistos sei [...]“5
Andereggs Argumente über Mephistos positiven Einwirkungen auf die Menschen und
seine Rolle in Gottes Weltordnung waren beim Schreiben dieser Arbeit unschätzbar.
Die dritte und letzte Literatur, die beim Schreiben dieser Arbeit sehr nützlich
gewesen ist, ist Harry Steinhauers Aufsatz Faust´s Pact with the Devil, der Mephistos
zwei Wetten ausführlich behandelt hat. Steinhauer erklärt die Bedingungen der Wette
Mephistos mit Gott sowie die Bedingungen seiner Wette mit Faust; den Zusammenhang
zwischen den zwei Wetten; und wieso Mephisto die beiden Wetten verloren hat.
Steinhauer gibt außerdem einen weiteren Einblick in die Motive und Erwartungen der
drei Wettern. Sein Ergebnis gegenüber Mephisto ist, dass Mephisto Gottes Vorschriften
kennt und dass er danach strebt, die Menschen davon abzuhalten, nach diesen
Vorschriften zu leben.6
Mephisto wird oft als paradox beschrieben, weil seine Rolle, Ziele und
Denkweise nicht offenbar sind. Vielleicht gibt es deshalb so wenig Literatur über ihn,
weil er als zu unverständlich gesehen wird? Es wird behauptet, Mephisto sei aus Fausts
Friendrich Paulsen: Schopenhauer Hamlet Mephistopheles – Drei Auffäße zur Naturgeschichte des
Pessimismus. J.G. Cotta´sche Buchhandlung Nachfolger. Stuttgart/Berlin 1926, S. 257.
5
Anderegg: Wie böse ist der Böse? a.a.O., S. 358.
6
Harry Steinhauer: Faust´s Pact With the Devil. PMLA, Vol. 71, No. 1 (Mar., 1956), S. 180-200. Modern
Language Association. 1956, S. 200.
4
5
dramatischen Schizophrenie entronnen, oder dass er sein Alter Ego ist,7 was den Prolog
im Himmel und die Wette mit Gott zu einem Traum oder sogar zur Fausts Einbildung
reduzieren würde. In einer Interpretation der Faust-Dichtung wird behauptet, dass
Mephisto „nicht sinnvoll als psychologische Figur“ betrachtet werden könne:
Denn diese Person wäre sich der Vergeblichkeit all ihrer subjektiven Anstrengungen
(das Böse) von vornherein bewusst, und es wäre nicht zu erklären, woher sie noch das
Motiv und die Kraft nähme, in diesem Vollbewusstsein der Aussichtslosigkeit ihre Ziele
überhaupt noch zu verfolgen [...]8
Solche Interpretationen zeigen schwarz auf weiß, dass der Interpret Mephistos
Innenleben, Ursprung und Ziele nicht genau genug erforscht hat. In dieser Arbeit wird
die Antwort auf solche scheinbare Paradoxe gegeben.
Im Vordergrund dieser Arbeit steht deshalb die Frage: Wenn Mephisto sich
dessen bewusst ist, dass er Gott hilft, indem er Böses tut, und wenn er wirklich böse ist,
wie kann er dann weitermachen ohne in eine Existenzkrise zu geraten? Um diese Frage
zu beantworten mussten weitere Fragen gestellt werden. Was für eine Weltordnung gibt
es in der Faust-Dichtung, die Böses dazu zwingt, Gutes zu schaffen? Weiß Mephisto,
wie paradox seine Rolle ist? Und wenn so, welche Charakterzüge erlauben ihm, diese
Paradoxe zu ignorieren oder zu akzeptieren? Welche Einstellung gegenüber der
Paradoxe wählt er?
Um die Antworten auf all diese Fragen zu bekommen, müssen zuerst die
Grundregel der faustischen Welt dargestellt werden, indem Gottes Plan mit den
Menschen, dem Teufel und der Welt bekannt gemacht wird. Dies wird im zweiten
Kapitel gemacht. Im dritten Kapitel werden Mephistos Charakter, Ursprung und seine
Taten in der Faust-Dichtung analysiert, um die genauen Ursachen seines Verhaltens zu
finden.9 Im vierten Kapitel, wenn die Spielregel (Gottes Plan) und der Spieler
(Mephisto) bekannt sind, wird das Spiel selbst (die Ereignissen in der Faust-Dichtung)
analysiert. Mephistos Schicksal wird gefunden, indem sein Verhältnis zum Spiel
Theo Buck: Goethe Handbuch – Dramen – Herausgegeben von Theo Buck. Band 2. Verlag J.B.
Metzler. Stuttgart/Weimar 1997, S. 375.
8
Ralf Sudau: Johann Wolfgang Goethe – Faust I und Faust II. Oldenbourg Interpretation, Band 64. 2.
überarb. u. korr. Auflage 1998. München 2010, S. 51.
9
In diesem Bereich zur Forschung in Goethes Faust gibt es noch einige Forschungslücken und könnte
deswegen nicht auf aktuelle und vielfältige Literatur zurückgegriffen werden.
7
6
deutlich gemacht wird und dabei die Frage beantwortet, wie er weiter Spielen kann,
obwohl er damit gegen sich selbst arbeitet.
7
2. Mephistos Welt: Ein Ort der Erfahrung, des Wollens, der Tätigkeit
Die Worte, mit denen Mephisto sich in der Faust-Dichtung vorstellt sind verwirrend.
Als Mephisto aus der Pudelgestalt in Erscheinung getreten ist und Faust ihn gefragt hat,
wer er sei, sagte Mephisto, er sei „Ein Teil von jener Kraft, / Die stets das Böse will und
stets das Gute schafft.“10 Dies scheint ein Paradox zu sein. Wie kann das Böse gutes
schaffen? Oskar Seidlin hat vorgeschlagen, der Paradox könne gelöst sein, wenn man
sich einbildet, dass wenn Mephisto „das Gute“ sagt, meine er eigentlich das, was er als
gut sehen könnte, nämlich das Böse, und wenn er „das Böse“ sagt, meine er das, was
wir „das Gute“ nennen.11 Diese Vorschlage einkalkuliert nicht die tiefen und
komplizierten Hintergründe Mephistos, die hinter seinen Worten stecken. Die richtige
Antwort auf die Frage, was Mephisto mit diesen Worten meine, basiert auf den
Gegenseiten, die in seinen Worten vorkommen: dem Guten und dem Bösen und in dem,
wie diese zwei Seiten sich in der Menschenseele gegenüberstehen.
„[Der] Gegenstand der Faustdichtung ist der Gegensatz und Kampf der beiden in
der menschlichen Natur angelegten Seiten, der geistig-sittlichen und der sinnlichbegehrlichen Seite.“12 hat Paulsen geschrieben. Die erste Seite sei, ihm nach, den
„hohen Vorstellungen von Menschenwürde und Menschheitsbestimmung angezogen“
und führt damit „zur Arbeit, zum Kampf, zur Aufopferung für Ideen und Ideale.“13 Dies
ist die Seite der menschlichen Natur, die die Menschen näher zu Gott bringt: Faust
wurde nur gerettet, weil er nie aufgehört hat, zu streben. 14 Wie Gott selber im Prolog im
Himmel gesagt hat: „Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, / Ist sich des rechten
Weges wohl bewußt.“15 Die andere Seite der menschlichen Natur soll, nach Paulsen,
zum „sinnlichen Genießen und Behagen“ ziehen und strebt „der Anstrengung, dem
Kampf, dem Leiden auszuweichen.“ Diese Seite ist die Seite des Teufels, der die
Johann Wolfgang Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil. Deutscher Taschenbuch Verlag. 13.
Auflage. München 2012, S. 43.
11
Oskar Seidlin: Das Etwas und das Nichts – Versuch zu Neuinterpretation einer “Faust”-Stelle (1944).
In: Aufsätze zu Goethes Faust I. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt. Darmstadt 1974. S. 362
– 368, hier S. 365.
12
Paulsen: Schopenhauer Hamlet Mephistopheles, a.a.O., S. 231.
13
Ebd.
14
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 346: „Wer immer strebend sich bemüht, / Den
können wir erlösen!“ sagen die Engel, als sie Faustens Unsterbliches zum Himmel tragen.
15
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 16.
10
8
Menschen weg vom Wege Gottes lockt und sie zum tierischen Genießen führt; nicht um
sonst gelten Wollust, Völlerei und Faulheit als einige der Todsünden.
Den Kampf dieser beiden Seiten kennt jeder in sich selbst: Als Menschen haben
wir Träume und Ziele, die sich nicht erfüllen, weil wir sie nicht fest genug gehalten
haben. Anders gesagt: wir sind zu faul, um sie zu verwirklichen; Wir geben unsere
Kräfte und Zeit zu oft und zu gerne für Behagen aus. Goethes Gott weiß das, und hat
deswegen die Teufel geschaffen: „Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,
/ Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu, / Der reizt und wirkt und muß als Teufel
schaffen.“16 Reizen und wirken, das ist die Aufgabe der Teufel. Sie schaffen die nötige
Dynamik, um die Welt vorwärts zum Gott zu bringen. Wie Goethes Gott es gewollt hat,
ist die faustische Welt eine Welt der Dynamik – und damit auch Mephistos Welt.
Im Duden ist Dynamik als eine auf „Veränderung, Entwicklung gerichtete Kraft,
Triebkraft“ definiert.17 Wie oben schon erläutert wurde, ist es die Aufgabe der Teufel,
Dynamik zu schaffen, indem sie die Menschen reizen. Wie aber funktioniert dieses
Reizen? Was müssen die Teufel tun, um der Menschen Tätigkeit wieder anzutreiben?
Die Antwort liegt in der Zwiespältigkeit der menschlichen Natur. Wie Faust schon
Wagner gegenüber erwähnt hat:
Du bist dir nur des einen Triebs bewußt;
O lerne die den andern kennen!
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen:
Die eine hält in derber Liebeslust
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen. 18
Die eine Seele in Faust ist die, die mit seinem Körper und dessen „klammernden
Organen“ verbunden ist: eine tierische, instinktive Seele, die nur „derbe Liebeslust“
interessiert, das heißt körperliche Funktionen und sinnliches Genießen. Die andere
Seele ist die, die in Fausts Gehirn lebt und den Mensch von anderen Tierarten
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 16.
Dynamik. In: Duden Online. URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/Dynamik
18
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 37.
16
17
9
entscheidet: eine ehrlich wundernde, philosophisch denkende Seele, die nach der
Ursache aller Dinge fragt. Wie Paulsen die zwei Seiten schon benannt hat, ist erste die
sinnlich-begehrliche Seite und die zweite die geistig-sittliche Seite. Weil diese Namen
eher unhandlich sind, wird hier die erste Seite Instinkt und die zweite Verstand genannt.
Diese beiden Seelen treiben den Mensch in zwei verschiedene Richtungen: die eine
führt zur Tätigkeit, die andere zum Überleben und Genießen; beide sind aber nötig, um
den Mensch als solchen zu definieren. Dies ist ein besonderer Fall des Dualismus, der
sowohl feindlich als auch ergänzend wirkt.
Dualismus ist, laut Duden, eine „philosophisch-religiöse Lehre von der Existenz
zweier Grundprinzipien des
Seins,
die sich ergänzen oder sich feindlich
gegenüberstehen (z.B. Gott – Welt; Leib – Seele).“19 Im Fall der menschlichen Natur
sind
Instinkt
–
Verstand
sowohl
ergänzend
als
auch
feindlich
einander
gegenüberstehend, weil sie die Menschen in zwei verschiedene Richtungen treiben und
auch weil die Menschen nur durch diesen Dualismus als Mensch identifiziert werden
können. Mensch, laut Duden, ist ein „mit der Fähigkeit zu logischem Denken und zur
Sprache, zur sittlichen Entscheidung und Erkenntnis von Gut und Böse ausgestattetes
höchstentwickeltes Lebewesen.“20 Kurz gesagt sind Menschen instinktive Lebewesen
mit Verstand. Genau dies erlaubt den Teufeln, sie zur Tätigkeit zu reizen.
„Da nur Tätigkeit und Irrtümer den Menschen weiterbringen, bedarf es eines
Antreibers, und dies ist der Teufel...“21 Reizteufel wie Mephisto reizen die Menschen,
indem sie versuchen, die Menschen ganz auf ihre instinktive Seite zu reduzieren. Weil
ein Mensch aber aus zwei Seelen bestehen muss, hat dies die genau umgekehrte
Wirkung: die Reizteufel ziehen die Menschen zum Instinktiven, die Menschen aber
wehren sich dagegen, indem sie mehr zum Verstand und dabei zur Tätigkeit lenken. Für
Menschen, deren Tätigkeit schon erschlaffen ist, kann dies ein Ansporn für eine
zugenommene Tätigkeit bedeuten - zumindest eine Weile.
Dies wirft eine Frage auf: Wieso will Gott, dass die Menschen eher ihrem
Verstand gehorchen? Schmidt zufolge, soll die Antwort in den Worten von Augustinus
zu finden, die „im Hintergrund der Verse, die von Fausts nie zu befriedigendem Streben
19
Dualismus. In: Duden Online. URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/Dualismus
Mensch – Lebewesen – Individuum. In: Duden Online. URL:
http://www.duden.de/rechtschreibung/Mensch_Lebewesen_Individuum
21
Dieter Breuer: Mephisto als Theologe – Faust Studien. Verlag Rimbaud, S. 88.
20
10
und seiner Unruhe sprechen“, vorhanden sind.22 Diese Worte von Augustinus lauten so:
„...denn geschaffen hast du uns im Hinblick auf dich, und unruhig ist unser Herz, bis es
ruhet in dir.“23 Die Mensch soll also nicht ruhen, bis sie tot ist und ihre zwei Seelen bei
Gott sind. Während sie leben, sollen sie streben, aber wieso und wonach?
Im Kontext einer solchen existentiellen Unruhe und eines nie aufhörenden
Unbefriedigtseins kann das zur Sentenz verdichtete Wort des „Herrn“ „Es irrt der
Mensch, solang´ er strebt“ nur meinen, daß der Mensch von einem Beschränkten zum
andern strebt, weil er sich immer nur eine konkrete, bestimmte und also beschränkte
Erfüllung seines Daseins vorstellt, und daß eben dies immer ein Irrtum ist, weil er
nirgends im Beschränkten endgültige Erfüllung findet. 24
Der Mensch soll streben, aber nicht nach dem Beschränkten. Gott sagt in der FaustDichtung nichts darüber, wonach der Mensch wirklich streben sollte. Um die Antwort
auf diese Frage zu bekommen, muss eine andere gestellt werden: Wieso wurde Fausts
Seele, die Seele eines Tors, der immer nach dem Beschränkten gestrebt hat, am Ende
der Dichtung gerettet? Weil er am Ende sich verändert hat, und zwar in der Art und
Weise, die Gott gewollt hat: „It is practical activity that now commands Faust´s
attention, not „what holds the world together at its core.“ The activity is not for his
selfish ends; it provides opportunity for others to be active.“25 Tätigkeit wird von den
Menschen erwartet, aber nur eine Tätigkeit die zur positiven Entwicklung der Person
selber und ihrer Mitmenschen führt. Indem die Menschen einander helfen, können sie
sich alle schneller und besser entwickeln. Könnte dies die Aufgabe der Menschen auf
der Erde sein? Der Faust-Dichtung nach könnte es sein. Wie Anderegg es ausgedrückt
hat: „Dementsprechend ist die Welt, zu der unabdingbar das Mephistophelische gehört,
nicht der Ort der Bewährung für den Menschen, sondern Ort der Erfahrung, des
Wollens, der Tätigkeit.“26
Jochen Schmidt: Goethes Faust, Erster und Zweiter Teil, Grundlagen – Werk – Wirkung. C.H. Beck.
München 2011, S. 67.
23
Hofmann, Alfred: Augustinus (354-430) - Bekenntnisse (Confessiones) - Erstes Buch. In: Bibliothek
der Kirchenväter - Eine Auswahl Patristischer Werke in Deutscher Übersetzung (Januar 2012). URL:
http://www.unifr.ch/bkv/kapitel63.htm
24
Schmidt: Goethes Faust, a.a.O., S. 67.
25
Steinhauer: Faust´s Pact With the Devil, a.a.O., S. 197.
26
Anderegg: Wie böse ist der Böse? a.a.O., S. 356.
22
11
Also ist eine Interpretation von Mephistos Worten, er sei ein Teil des bösen, der
das Gute schafft, vorhanden. Indem Mephisto seine Rolle als Reizteufel erledigt, hilft er
den Menschen, sich zu verbessern, indem sie gegen ihn kämpfen, weil Gottes
Meisterplan eben dies fordert. Wie Mephisto dieses Reizen macht, wird erst in seinen
Handlungen im Faust I & II zu sehen. Er ist ja kein normaler Reizteufel, sondern einer,
der es wagt, mit Gott selbst zu wetten. Um im vierten Kapitel herausfinden zu können,
welche Motive Mephisto hat, werden zunächst seine Taten, sein Wesen und sein
Ursprung analysiert, um seine Möglichkeiten zu sehen, seine Ziele zu erreichen, und
daraus zu sehen, wieso er das tut, was er in der Faust-Dichtung tut.
12
3. Mephistos Wesen und Taten in der Faust-Dichtung
Im Metzlers Goethe Lexikon wird über Goethes Mephisto gesagt, dass er in der FaustDichtung „mehrfach in der Funktion als Teufelsfigur ausgewiesen“27 ist; diese
Teufelsgestalt sei aber nicht „theologisch festgelegt“,28 denn Mephisto ist „uneinheitlich
in Erscheinungsbild und Funktion.“29 Was dies zu bedeuten hat, steht nicht geschrieben.
Mephisto soll also manchmal als eine Teufelsfigur fungieren, anderenfalls als
irgendetwas anderes, was nicht genannt wird. Vielleicht fungiert er neben seiner Rolle
als Teufel auch als seine eigene Figur, mit seinem Charakter und seinen eigenen
Absichten? In einem anderen Lexikon wird er als „ein Teufel, aber nicht der Teufel“
beschrieben, und „keiner von den Großen“.30 Er ist also nicht Satan selbst, obwohl er
sich häufig Satan und den Teufel nennt. Ein Beweis dafür ist, dass Mephisto und Satan
in Walpurgisnacht beide vorkommen, und zwar als getrennte Figuren.31 Was für einen
Teufel ist Mephisto? Um dies zu erfahren wird in diesem Kapitel ein grobes Bild von
Goethes Mephisto geschaffen, indem sein Wesen (d.h. sein Ursprung, seine Kräfte,
seine Einschränkungen) und seine Taten beschrieben werden. Dieses grobe Bild wird
auch dabei helfen, Mephisto im vierten Kapitel dieser Arbeit in der Welt der FaustDichtung zu lokalisieren.
3.1. Mephistos Ursprung
Seinen eigenen Ursprung gibt Mephisto selbst an: Nachdem der Akt mit Helena und
Euphorion vorbei ist tauchen Mephisto und Faust in einem Hochgebirge auf, das
Mephisto den Grund der Hölle nennt.32 Er erzählt, wie Gott ihn und die anderen Teufel
„aus der Luft in tiefste Tiefen bannte“ und wie die Hölle zu einem Gipfel des Gebirges
geschwollen sei.33 Er selber soll dabei gewesen sein.34 Vermutlich ist Mephisto ein
Gerhard Gönner: Mephisto(pheles). In: Metzler Goethe Lexikon – Mit 150 Abbildungen.
Herausgegeben von Benedikt Jeßing, Bernd Lutz und Inge Wild. Verlag J.B. Metzler, S. 328.
28
Ebd.
29
Ebd.
30
Gero von Wilpert: Goethe-Lexikon. Alfred Kröner Verlag Stuttgart. Stuttgart 1998, S. 692.
31
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 119.
32
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 293.
33
Ebd.
34
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 294.
27
13
gefallener Engel, der seinen verlorenen Rang als solcher nicht vergessen kann.35 Seine
neue Stellung in der Hierarchie der Teufel ist eine mittlere: Mephisto ist nicht einer der
Großen, wie er selber sagt;36 er kennt aber Gott und Satan persönlich und hat viele
kleinere Teufel und Naturgeister unter sich.37 Diese Hierarchie ähnelt der in einer
Firma: Satan ist Chef, Mephisto ein Angestellter mittleren Ranges und die kleinen
Teufel und Naturgeister sind sowohl Satan als auch Mephisto untergestellt. Mephistos
Rolle als Teufel kann also als ein Posten in einem teuflischen Unternehmen gesehen
werden. Als Satans Handlanger und Stellvertreter trägt Mephisto die traditionellen
Namen seines Chefs als eine Art Uniform: in der Faust-Dichtung wird er Fliegengott38,
Junker Voland39, der Teufel40 und sogar Satan41 genannt. Unter einer solcher Uniform
steckt aber eine Person, die eine eigene Existenz außerhalb der Arbeit besitzt. Mephisto,
obwohl Teufel, ist am Ende auch einfach Mephisto: ein Teufel mit Charakter.
Trotz seiner nur mittleren Stelle in der Teufelshierarchie ist Mephisto ein alter,
erfahrener Teufel. Dies erzählt er dem Baccalaureus: „Bedenkt: Der Teufel, der ist alt; /
So werdet alt, ihn zu verstehen!“42 Wie alt er ist sagt er nie, er spielt aber darauf an,
älter als unsere Zeitrechnung zu sein: „Das kenn ich schon seit hunderttausend
Jahren.“43 Mephisto hat viel Erfahrung und hat in seinem langen Leben viel gesehen,
sogar einen Homunculus hat Mephisto vorher gesehen. Seine Erfahrung scheint aber auf
ein Gebiet, das Nordwesten, und auf das Christliche (nicht Antike oder Klassische)
beschränkt zu sein: „Nordwestlich, Satan, ist dein Lustrevier, / Südöstlich diesmal aber
segeln wir [...]“44 Diese Erfahrung erlaubt Mephisto, die Untugenden der menschlichen
Natur meisterlich gegen sie zu wenden: seine besten Waffen sind das Lügen, Betrügen,
Schmeicheln, Bitten und Debattieren. Er redet viel und gerne, oft mit einer Prise
Sarkasmus und Frechheit, und muss nicht gezwungen sein, seine Meinungen zu allem
Albert Fuchs: Mephistopheles – Wesen, Charakterzüge, Intelligenz – Seine geheime Tragödie – Das
Problem seiner Rettung (1968). In: Aufsätze zu Goethes Faust I. Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Darmstadt. Darmstadt 1974. S. 348 – 361, hier S. 358.
36
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 50.
37
Paulsen: Schopenhauer Hamlet Mephistopheles, a.a.O., S. 205.
38
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 43.
39
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 119.
40
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 71.
41
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 75.
42
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 199.
43
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 296.
44
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 203.
35
14
zu offenbaren. Mephisto ist die Figur, die in beiden Teilen der Faust-Dichtung die
meisten Verse hat und die, die am häufigsten das letzte Wort hat.45
3.2. Mephistos Kräfte
Vielleicht verwendet Mephisto den Mund so viel, um seine Ziele zu erreichen, weil
seine magische Kraft als Teufel ziemlich gering ist. Die ganze Dichtung durch zeigt
Mephisto nur sieben seiner magischen Fähigkeiten: Er schließt den Pakt mit Faust46 und
verbirgt sein teuflisches Wesen vor den meisten Menschen;47 er redet mit Flammen48
und behauptet, er könne magische Tränke brauen;49 er benutzt seinen Pferdefuß, um den
erfrornen Fuß eines Braunes zu heilen50 und kann auch durch Zauberformel Menschen
halluzinieren lassen51 und Flammen aus dem Nichts schaffen, die Wein zu sein
scheinen.52 Alle andere magischen Erscheinungen, die Mephisto in der Dichtung
verursacht, sind auf sein Befehl von seinen vielen Helfer geschaffen.
Ratten, Insekten, Geister, Satane, Hexen, Gewaltige, Undinen, Zwerge und zwei
Raben helfen Mephisto in der Dichtung. Diese Helfer besitzen manche selbst magische
Kräfte, können auf sie einwirken oder können Mephisto einfach in verschiedenen
Situationen helfen. Z. B. hilft eine Ratte ihm bei der Flucht aus Fausts Studie am
Anfang der Dichtung, indem sie die Schwelle mit dem Drudenfuß nagt.53 Die Hexe hilft
ihm, indem sie ihm den Verjüngungstrank für Faust gibt
(ein Gefallen für den
Hexenmeister, sagt sie).54 Die Gewaltigen helfen Mephisto, den Krieg gegen den
Gegenkaiser zu gewinnen;55 die Raben helfen Mephisto dabei, die Hilfe der Undinen
und der Zwerge zu bekommen;56 und die Satane versuchen mit ihm Fausts Seele zu
fangen.57 Mephisto selber zählt die Kräfte seiner Helfer zu den seinen: „Wenn ich sechs
45
Anderegg: Wie böse ist der Böse? a.a.O., S. 343.
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 52.
47
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 65.
48
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 68.
49
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 71.
50
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 185-186.
51
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 69.
52
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 67-68.
53
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 47.
54
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 75-78.
55
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 299-300; 305; 312-314.
56
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 310-311.
57
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 337-338.
46
15
Hengste zahlen kann, / Sind ihre Kräfte nicht die meine?“58 Er selber mag mit seinen
eigenen magischen Kräften wenig zu leisten, aber mit der Hilfe anderer, kann er vieles
hervorbringen. Lebendige Wesen sind aber nicht seine einzigen Hilfsmittel.
Mephisto besitzt auch magische Dinge, oder hat Zugang zu magischen Dingen,
die ihm weitere Fähigkeiten leihen: zum Beispiel benutzt Mephisto einen Mantel, um
mit Faust zum Auerbachs Keller zu fliegen, der keine große Schwere tragen kann.59 Das
Fliegen scheint er ohne magische Gegenstände nicht zu können: er kann nicht zu
Blocksberg fliegen, weil er keinen Besenstiel hat.60 Die Siebenmeilenstiefel benutzt er
um Faust, der auf einer Wolke aus Helenas Kleid fliegt, nachzuholen.61 Er scheint auch
nicht die Kraft zu haben, echte Gegenstände aus seinen Flammen zu schaffen: Als Faust
ein Geschenk für Gretchen benötigt, muss Mephisto ein altes verstecktes Kästchen aus
der Erde graben.62 Diese Schatzsuche scheint Mephisto ziemlich viel gekostet zu haben.
Als der Pfaffe das Kästchen wegnimmt ist Mephisto aufgeregt: „Bei aller verschmähten
Liebe! Beim höllischen Elemente!“63 und als Faust ein neues Geschenk beansprucht,
sagt Mephisto: „O ja, dem Herrn ist alles Kinderspiel!“64 Aus irgendeinem Grund hat
Mephisto aber einen Schlüssel, der zum Reich der Mütter führt, bereit, als Faust ihn
verlangt.65
Mephisto wandelt sich zweimal in der Dichtung: Einmal erscheint er als Pudel,
einmal als Phorkyas. Im Fall Phorkyas muss er sich die Verkleidung von den echten
Phorkyaden ausleihen.66 Im Fall Pudel ist er schon ein Pudel, als er erscheint, und wird
deshalb nicht zu beschließen, ob er sich diese Gestalt auch geliehen hat, statt sich aus
eigener Kraft in einen Pudel umzuwandeln.67 Seine anderen Gestalten sind eher
Rollenspiel als Wandlung, weil sie auf Lügen und Betrügen bauen: Mephisto erscheint
als Skolastikus und Junker, als er Faust die ersten Male begegnet; er spielt einen Boten,
um Marthe die traurige Lüge über das Schicksal ihres Mannes zu liefern; dem Kaiser ist
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 55.
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 61.
60
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 114.
61
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 292-293.
62
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 80.
63
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 84.
64
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 86.
65
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 183.
66
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 232-233.
67
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 38.
58
59
16
er ein nützlicher Narr und am Ende der Dichtung dient er Faust als Seehändler, der
Waren aus fremden Ländern holt.
Wenn Mephisto eine große magische Kraft besitzen würde, würde er sie nicht
verwenden, um die Wette mit Gott zu gewinnen? Es wäre eher unwahrscheinlich, dass
Mephisto nicht sein eigentliches Potenzial zu diesem Zweck ausschöpfen würde. Daher
muss davon ausgegangen werden, dass Mephisto selber wenig magische Kraft besitzt.
Seine vielen Helfer, seine magischen Dinge sowie sein eigenes Intellekt sind Mephistos
besten Waffen.
3.3. Mephistos Einschränkungen
Als Teufel hat Mephisto viele Einschränkungen. Er, wie andere Teufel und Gespenster,
kann ein Haus nur auf der Stelle, an der er hereingekommen ist, verlassen.68 Ein
einziger Drudenfuß kann ihm den Weg versperren.69 Faust muss ihn auch dreimal ins
Haus einladen, bevor er eintreten kann.70 Sagt Mephisto das als Scherz oder darf er
wirklich kein Haus betreten, ohne zuerst dreifach eine Erlaubnis dazu zu bekommen?
Und gilt dieses Gebot für alle Häuser, oder nur für die Wohnsitze anderer? Auf diese
Fragen sind in der Faust-Dichtung keine Antworten vorhanden. Außer diesem Gebot
des Betretens von Häusern muss Mephisto auch einer Art teuflischer Bürokratie folgen,
indem er den Pakt mit Faust schriftlich und mit Blut unterzeichnet benötigt.71 Mephisto
scheint auch Gegenstände nur aus Flammen schaffen zu können, über die er
beschränkte Kontrolle zu haben scheint (wie der Wein, der zu Flammen wird, wenn er
den Boden berührt)72 und er kann ohne Mittel nicht fliegen. Das Heilige schafft ihm
auch Probleme: Mephisto hat über Gläubige keine Gewalt73 und als die Engel Fausts
Seele von ihm wegnehmen, kann Mephisto sich gegen sie nicht wehren.74
Mephisto ist auch ganz verwirrt und hilflos in anderen Ländern, die er nicht so
gut kennt wie seinen eigenen Nordwesten. In der klassischen Walpurgisnacht fühlt er
sich fremd, unruhig und spürt, dass er dort nicht hingehört, obwohl er am Anfang
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 45.
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 44.
70
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 47.
71
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 52-53.
72
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 68.
73
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 79.
74
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 338-342.
68
69
17
hoffnungsvoll wirkt: „Wie leicht und gern ich mich hierher gewöhne! / Denn ich
verstehe Mann für Mann.“75 Er versucht, mit den Antiken zu reden, die ihn aber nicht
mögen: „Der Garstige gehöret nicht hierher!“76 Bald spürt Mephisto dies selber. Er
findet das Antike zu lebendig77 und beschwert sich, dass er hier nicht Schwefel riechen
kann.78 Er bekommt Heimweh: „Man denkt an das, was man verließ; / Was man
gewohnt war, bleibt ein Paradies.“79 Dies scheint Mephistos erster Besuch zu
klassischer Walpurgisnacht zu sein; vielleicht ist es auch seine erste Reise außerhalb
seiner Heimat, dem Nordwesten, in ein fremdes Gebiet. Mephistos Unwissen über die
Magie der Antike wird vorher klar, als er Faust aus Helenas Bann nicht befreien kann.
Er kann sogar Fausts Träume, die er in seiner Ohnmacht träumt, nicht sehen, vermutlich
weil er in nordeuropäischem Mittelalter jung geworden ist.80
3.4. Mephistos Taten
Mephisto scheint die Menschen genau wie die Antiken nicht zu mögen: In der FaustDichtung erscheint Mephisto erstmals im Prolog im Himmel, wo er sich über die
Menschen beschwert und wettet, dass er Gottes Knecht, Faust, weg vom Schein des
Himmelslichts verführen wird.81 Damit will er beweisen, dass seine Klagen nicht nur
unbegründeter Jammer sind: Gott soll sehen, „wie sich die Menschen plagen“ und dass
sie wirklich „tierischer als jedes Tier“ sind.82 Faust wird zum Prüfstein der Wertig- oder
Nichtigkeit der Menschen.83 Aber wieso mag Mephisto die Menschen nicht? Er
behauptet, sie würden besser leben, wenn sie den Schein des Himmelslichts nicht
hätten.84 Der Schein des Himmelslichts – kann das der Verstand sein, oder sogar die
Willensfreiheit? Ohne sie wären die Menschen nur Tiere. Mephisto scheint jedoch
keines von beiden zu meinen, weil er kurz danach behauptet, die Menschen haben zu
viel Wissensdurst um sich jemals zu befriedigen und das Leben einfach zu genießen:
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 208.
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 209.
77
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 207.
78
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 231.
79
Ebd.
80
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 202.
81
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 15.
82
Ebd.
83
Sudau: Johann Wolfgang Goethe – Faust I und Faust II, Band 64, a.a.O., S. 30.
84
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 15.
75
76
18
„In jeden Quark begräbt er seine Nase.“85 Faust gilt als ein extremes Exemplar dieser
Meinung: „Ihn treibt die Gärung in die Ferne; / Er ist sich seiner Tollheit halb bewusst: /
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne / Und von der Erde jede höchste Lust, /
Und alle Näh und Ferne / Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.“86 Die Triebkraft und
Wissensbegierde der Menschen stören Mephisto, weil diese menschliche Qualitäten das
Erscheinungsbild des Lichts in den Menschen sind. Dies wird im vierten Kapitel näher
behandelt.
Vielleicht deswegen weigert Mephisto sich nicht, die Menschen in einen
Nullzustand zu bringen: er bringt sie dazu, sich zu betrinken, sich in fleischliches
Verderben zu stürzen oder sich auch gegenseitig zu töten. Mit Faust zeigt Mephisto,
was er kann – Faust ist ja der wichtige Teil seines Plans, die Menschen zu vernichten.
Zuerst bringt Mephisto Faust in eine Kneipe, in der Menschen trinken und singen und
Spaß haben. Faust ist aber nicht begeistert, also muss Mephisto sein Plan B
verwirklichen. Bei einer Hexe bekommen sie einen Trank, der Faust wieder jung macht.
Der Trank hat aber eine Nebenwirkung: „Du siehst mit diesem Trank im Leibe / Bald
Helenen in jedem Weibe.“87 So hat Mephisto Fausts Liebe zu Gretchen, einem viel zu
jungen Mädchen für ihn, künstlich geschaffen. Diese Liebesgeschichte kostet viele
Opfer: 4 von 6 von den von Mephisto verursachten Tode in der Dichtung sind Gretchen,
ihr Kind, ihre Mutter und ihr Bruder. Die anderen zwei Toten sind die Alten, Philemon
und Baucis. Die Schuld an allen diesen Sterbefällen könnte auch Faust gegeben werden.
Um Faust bei Gretchen einzuführen, lügt Mephisto die wehrlose Marthe an: er
sagt, ihr Mann sei gestorben und dass es einen anderen Zeuge gibt, der vor dem Richter
den Tod ihres Mannes bestätigen könne und das sei Faust.88 Martha und Gretchen sollen
beide kommen, um den Zeugen zu treffen. Später wird Gretchens Mutter mit einem
Schlafgetränk ermordet, so dass Faust mit dem jungen Mädchen schlafen kann. Als des
Mädchens Bruder gekommen ist, um seine schwangere Schwester zu beschimpfen,
verursacht Mephisto dessen Tod, indem er Faust zu schlagen befehlt. Um die Lage noch
schlimmer zu machen bringt Mephisto Faust zur Walpurgisnacht auf dem Blocksberg
und verursacht damit, dass Faust nicht die Möglichkeit hat, Gretchen davon abzuhalten,
85
Ebd.
Ebd.
87
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 78.
88
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 87-90.
86
19
ihr Kind aus Verzweiflung zu töten. Als Faust und Mephisto Gretchen aus dem Kerker
retten wollen, behauptet Mephisto, er habe nicht die Kraft dazu, Gretchen zu retten, also
muss Faust es selber tun.89
Die Situation könnte für Mephisto nicht besser sein. Gretchens ganze Familie ist
gestorben und das fromme Mädchen ist teilweise schuld daran. Mephisto weiß genau,
wie fromm Gretchen ist und kann daher auch wissen, dass Gretchen aus dem Kerker
nicht gerettet werden will, weil sie ihre Sünden anerkannt hat und jetzt das Richtige tun
will. Um das Mädchen noch weiter zu erschrecken, zeigt Mephisto sein wahres Gesicht
als der Teufel, der hinter Faust steckt.90 Das alles hat nur ein Ziel: Das religiöse
Mädchen in eine Situation zu bringen, die sie aus Gerechtigkeitsgefühl nicht entfliehen
will und Faust, der sie liebt, damit zur Verzweiflung zu treiben. Ohne Hoffnung, ohne
Rat, wird er vielleicht wünschen, dass dieser letzte Augenblick mit seiner Liebe ewig
bleiben wird, weil sie in wenigen Momenten hingerichtet wird. Dieser Plan aber
scheitert: Weil Gretchen sich dem Gericht Gottes übergeben hat, ist ihre Seele gerettet
und Mephisto kann nichts anderes, als mit Faust zu verschwinden.
Nachdem Mephistos Plan gescheitert ist, dauert es eine Weile bis er sich einen
neuen Plan ausgedacht hat. Er muss sich an den Pakt mit Faust halten, wenn er eine
Chance haben will, die Wette mit Gott zu gewinnen. Also beschafft er Faust einen
Posten beim Kaiserhof, indem er des Kaisers ökonomisches Problem mit Papiergeld
scheinbar löst. Hier fängt Mephisto an, nach Gehör zu spielen, weil die Ereignisse, die
nachkommen, von ihm nicht geplant sind und ihn sogar in Verlegenheit bringen. Die
Sache mit den Müttern überrascht Mephisto. Der König hat Faust gebeten, Helena und
Paris in deutlichen Gestalten in sein Hof zu bringen und scheint dies Mephisto zu
irritieren: „Unsinnig wars, leichtsinnig zu versprechen“.91 Zum Glück weiß Mephisto,
wie Faust die zwei Urbilder der Schönheit finden kann. Er gibt Faust den Schlüssel zu
den Müttern, ohne zu wissen, was danach passieren wird, womöglich aus Neugierde:
„Neugierig bin ich, ob er wiederkommt.“92
Nachdem Faust Helena in ihrer Geistergestalt angefasst hat, gerät Mephisto in
Schwierigkeiten, weil er nicht weiß, wie er Faust aus dem Erstarren wecken soll. Für
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 130.
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 136.
91
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 181.
92
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 184.
89
90
20
Mephisto ist dies die größte Gefahr in der Dichtung, die Wette mit Gott zu verlieren.
Wenn Faust nicht aus dem Erstarren aufwacht, kann Mephisto ihn nicht verführen und
daher sein Argument, die Menschen seien nicht wertig, Gott nicht beweisen. Durch
Glück trifft Mephisto den Homunculus, den Wagner just in dem Augenblicke, in dem
Mephisto mit ihm Reden möchte, erschaffen hat. Dieser Deus ex Machina schickt
Mephisto zur klassischen Walpurgisnacht, bei der er eine weitere Gelegenheit bekommt,
Faust in eine Liebesgeschichte zu verwickeln: Die Phorkyaden.
Mephisto leiht sich die Gestalt der Phorkyaden, anfangs um „Im Höllenpfuhl die
Teufel zu erschrecken“.93 Dieses Eulenspiegelei hilft ihm unerwartet: Später rettet er
Helena mithilfe der Gestalt, um sie zu Faust zu bringen und ihn in seinem Zustand der
Liebe genug zu befriedigen, um den Satz zu sagen, der Mephisto Fausts Seele gewinnen
soll. Als dieses Plan gescheitert ist, beschafft Mephisto ein Besitz für Faust, um ihn faul
und machtgierig zu machen. Faust, von Sorge erblindet, stirbt. Bis zum letzten Atem
aber strebt er immer noch. Mephisto hat verloren.
Alles, was Mephisto versucht, geht schief. Deshalb ist er am Ende der Dichtung auch
der bittere Verlierer, der keinem anderen die Schuld auf sein Schicksal geben kann.
„Bei wem soll ich mich nun beklagen? / Wer schafft mir mein erworbenes Recht? / Du
bist getäuscht in deinen alten Tagen, / Du hasts verdient, es geht dir grimmig
schlecht!“94 Mephisto scheitert immer wieder, weil seine magischen Kräfte, sein Wissen
und seine Erfahrung nicht ausreichen, um eine rastlose Seele wie Faust zu kontrollieren.
Mephistos Ziele sind ihm unerreichbar und bleiben auch so, wie im nächsten Kapitel
ausführlicher begründet wird.
93
94
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 233.
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 342.
21
4. Mephistos Ziel und Zielerreichung
Jetzt da Mephistos wichtigsten Eigenschaften, Taten und Kräfte klar sind, und da die
Weltordnung der faustischen Welt vorhanden ist, kann Mephisto in dieser Welt
eingeordnet werden. Welche Rolle spielt Mephisto in der faustischen Weltordnung?
Welche Ziele hat er persönlich, was tut er um sie zu erreichen und wie erreicht er sie?
4.1. Mephistos Ziel
Wie im zweiten Kapitel schon herausgefunden wurde, ist es in Gottes Interesse, dass
Mephisto die Menschen plagt. Damit hilft Mephisto dabei, das Gleichgewicht der
Weltordnung zu halten und die Menschen gezielt Richtung Entwicklung zu treiben. Als
Reizteufel und verneinender Geist arbeitet Mephisto an der vordersten Front in Gottes
Plan gegenüber den Menschen. Er scheint sich seiner Rolle bewusst zu sein. Hat er sie
aber akzeptiert? Wie Mephisto selber auf dem Blocksberg gesagt hat wurde er nicht als
Teufel geboren, sondern ist er aus dem Himmel verbannt worden. Er ist ein gefallener
Engel und er hat Groll auf Gott, wie später besprochen wird.
Wie Resenhöfft in Mephistos Masken schreibt: „Durch [Mephistos] Wirken
werden die schaffenden Kräfte zu neuer Anspannung veranlaßt, aber diese
schöpferische Leistung ist in keiner Weise sein Verdienst.“95 Um dies zu beweisen
zitiert Resenhöfft die Pläne Goethes, die nie verwirklicht wurden, Mephisto in diesen
Worten seine Rolle hinterfragen zu lassen: „[Schafft] das Böse das Gute? / Ich weiß es
nicht, doch ist mir schlecht zumute.“96 Mephisto, der Geist mit Verstand, scheint sich
einigermaßen seiner Nützlichkeit für Gott bewusst zu sein, er aber will es sich nicht
eingestehen. Dazu hat er viel zu viel Bewunderung für sein eigentliches Element,
nämlich das Böse.
Wilhelm Resenhöfft: Existenzerhellung des Hexentums in Goethes „Faust“ - (Mephistos Masken,
Walpurgis) Grundlinien axiomatisch-pschychologischer Deutung. Verlag Herbert Lang & Cie AG Bern.
Bern 1970, S. 33.
96
Ebd.
95
22
Mephisto redet von seiner Mitgliedschaft im Bösen mit einem Hauch von Stolz:
Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht.
Und doch gelingts ihm nicht, das es, soviel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt:
Von Körpern strömts, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmts auf seinem Gange;
So, hoff ich, dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wirds zugrunde gehn. 97
Mephisto behauptet, die Finsternis sei die Mutter des Lichts und sei am Anfang alles
gewesen. Interessant ist, dass er nicht ein Teil dessen, das am Anfang alles war zu sein
behauptet, sondern nur ein Teil des Teils. Das Licht, aus der Finsternis geboren, ist doch
ihr Teil? Und soll Mephisto nicht aus dem Himmel gebannt worden sein, mit den
anderen Teufeln? Wie kann ein gefallener Engel wie Mephisto behaupten, er sei ein Teil
der ursprünglichen Finsternis gewesen, wenn er einst an der Seite Gottes gelebt hat? So
müssen diese Zeilen so verstanden werden, dass Mephisto dabei zugelassen hat, er sei
ein Teil des Lichtes gewesen; er aber ist sich dessen bewusst, dass das Licht ein
Nachwuchs der Finsternis sei und dass er jetzt der Mutter des Lichts diene.
Die letzten Zeilen zeigen, wie sehr Mephisto hofft, dass das Licht zugrunde
gehen wird und dass die Welt damit zur ewigen Finsternis zurückkehren wird. Mephisto
verbindet das Licht mit Körpern, und zwar mit Menschenkörpern. Das Leben der
Menschen scheint ihm eine Urquelle des Lichts zu sein, das er so sehr hasst. „Es mag
Mephistos Wunsch sein, „daß nichts entstünde“; aber er selbst ist Teil der Schöpfung,
gegen die er argumentiert, ja, ihm wird, wie schon der Prolog zeigt, vom Herrn Platz
und Aufgabe in dieser Schöpfung zugewiesen.“98 schreibt Anderegg. Wie kann
Mephisto, der selber aus dem Licht geboren worden ist, nach dessen Vernichtung
wünschen? Damit wünscht er aber nach der eigenen Vernichtung, oder glaubt er, dass er
97
98
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 43.
Anderegg: Wie böse ist der Böse? a.a.O., S. 348.
23
als jetziger Diener der Finsternis irgendwie den Niedergang des Lichtes überleben
könnte?
In jedem Fall ist Mephisto nicht in Gefahr, dies jemals herauszufinden. „Wie der
Satan der alttestamentlichen Erzählung, so erhält auch Mephisto nur einen bedingten
Aktionsradus innerhalb der göttlichen Ordnung, die er durch seine planvoll zugelassene
Destruktivität letzlich bestätigen hilft.“99 Mephisto hat nicht die Kraft, das Licht
vollends zu zerstören. Wie im dritten Kapitel schon herausgefunden worden ist, ist
Mephistos eigene magische Kraft eher schwach, weswegen er sich die Dienste anderer
magischen Wesen verdienen muss. Wie er selber gesagt hat, kann er nur hoffen, dass
das Licht mit den menschlichen Körpern zugrunde gehen wird. Um dabei zu helfen
versucht Mephisto die Menschen zu vernichten.
4.2. Mephistos Plan: Die Wette und der Pakt
Dies bringt uns zu einem der wichtigsten Punkte in der Faust-Dichtung: Mephistos
Wette mit Gott. Wieso ist es für Mephisto so wichtig, dass Gott die Nichtwertigkeit der
Menschen bejaht? Weil nur Gott die Menschen vernichten kann und mit ihnen das
Licht, das Mephisto in ihnen sieht, und weil Gott die Menschen nur vernichten würde,
wenn er sie als nutzlos sehen würde. Herrgott scheint Mephistos Trivialität schon
mehrmals gehört zu haben. Als Mephisto anfängt, von den Plagen der Menschen zu
reden, sagt Gott: „Hast du mir weiter nichts zu sagen? / Kommst du nur immer
anzuklagen? / Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?“100 Mephisto antwortet, dass die
Menschen in ihren „Jammertagen“ Mitleid in ihm erwecken und dass er sogar die
Armen nicht zu Plagen mag.101 Wenn diese Äußerungen Mephistos mit seiner Meinung
wirklich im Zusammenhang ständen, hätte man sich vorgestellt, dass Gott versuchen
würde, Mephisto von der Wahrheit zu überzeugen, nämlich, dass die Menschen nicht so
sehr leiden, wie Mephisto behauptet und dass alles nach Gottes Plan läuft. Vielleicht hat
er dies schon mehrmals versucht und hat die Hoffnung aufgegeben, Mephisto werde die
Wahrheit jemals annehmen. Aber vielleicht hat Gott verstanden, dass Mephisto nichts
als lauter Lügen redet, wie es seine Gewohnheit ist. Gott versucht nicht, Mephistos
99
Buck: Goethe Handbuch, a.a.O., S. 374.
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 15.
101
Ebd.
100
24
Meinung zu ändern, weil er schon weiß, was Mephisto von ihm will: eine Wette. Gott,
der Allwissende, weiß schon vorher, wie die Wette enden wird und erzählt es Mephisto:
„Und steh beschämt, wenn du bekennen mußt: / Ein guter Mensch, in seinem dunklen
Drange, / Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.“102 Mephisto ignoriert diese Worte,
nicht weil er an die Menschen nicht glaubt, sondern weil er noch hoffen wagt, dass er
irgendwie recht haben wird. Sein kindischer Hass gegenüber dem Licht macht ihn
dickköpfig.
Mephisto mag die Menschen zu ihrer instinktiven Seite führen wollen, er aber
weiß genau, was für ein Licht in ihnen lebt und deswegen mag er sie nicht. Und weil er
dieses Licht so klar sieht, versucht er, Faust davon zu überzeugen, dass die Menschen in
genau denselben Spuren stehen wie die Teufel, nämlich ohne Licht und ohne Hoffnung
auf etwas Besseres:
O glaube mir, der manche tausend Jahre
An dieser harten Speise kaut,
Daß von der Wiege bis zur Bahre,
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
Glaub unsereinem: dieses Ganze
Ist nur für einen Gott gemacht!
Er findet sich in einem ewgen Glanze,
Uns hat er in die Finsternis gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.103
Diesen Schicksal findet Mephisto schwer zu schlucken. Dies wirft eine Frage auf: Wenn
Mephisto der Finsternis treu ist und alles für sie macht, weswegen findet er es so
schlimm, nicht mehr zum Licht zu gehören? Hasst er das Licht nur aus Eifersucht
darüber, dass er aus dessen Schein verbannt worden ist? Wenn ja, was hält ihn davon,
Gott Honig um den Mund zu schmieren, um wieder ans Licht zu kommen? Stolz?
Hartnäckigkeit? Gottes Plan mit der Wette mit Mephisto scheint der zu sein, Mephisto
zum Schämen zu treiben. Diese Scham könnte Mephisto genug demütigen, um seinem
tiefsten Wunsch endlich zu gestehen: Der gefallene Engel Mephisto wünscht sich seine
102
103
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 16.
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 54.
25
Stelle zurück, die er einst hatte.104 Als Engel hatte er vielleicht mehr Würde und Kraft
als er nun in Teufelsgestalt hat.
Als Mephisto die Wette mit Gott gemacht hat, hat er sich ein Plan ausdenken
müssen, wie er Faust ins Verderben stürzen wird. Das, was ihm eingefallen ist, ist
genial: Er schließt einen Pakt mit Faust, deren beiden einander gegenüberstehenden
Ziele Mephisto den Sieg in der Wette mit Gott versichern. Der Pakt lautet so: Wenn
Faust jemals seinem Wissensdrang satt wird, hat Mephisto seine Seele gewonnen;
wenn er aber weiter nach dem Kern aller Dinge strebt, hat Faust gewonnen, und obwohl
er in diesem Falle von Mephisto nichts bekommt, hat er dann Mephistos Hilfe in seiner
Suche nach Aufgeklärtheit schon bekommen. Fausts Seele ist aber nicht das, was
Mephisto gewinnen möchte: egal ob Mephisto oder Faust den Pakt gewinnt, glaubt
Mephisto, er habe die Wette mit Gott gewonnen, denn wenn Faust weiterhin nach dem
falschen Ziele strebt, nämlich dem Wissen, dann hat Gott die Wette ebenso verloren,
wie wenn Faust Mephisto zur Finsternis gefolgt wäre. Eine dritte Möglichkeit kann
Mephisto sich entweder nicht vorstellen, oder er macht den Pakt mit Faust, um ihn weg
von einer dritten Möglichkeit zu führen, weil Faust des Paktes wegen nur die zwei
vorhandenen Möglichkeiten im Kopf hat.
Dieser Pakt gibt Faust die Gelegenheit, mehr zu erfahren, als er jemals hätte
erfahren können und weil ihn das, was nach seinem Tod passiert, nicht interessiert, hat
er keinen Grund, diesen für ihn äußerst günstigen Pakt abzulehnen. „Das Drüben kann
mich wenig kümmern,“ sagt Faust. „Aus dieser Erde quillen meine Freuden, / Und diese
Sonne scheinet meinen Leiden: / Kann ich mich erst von ihnen schneiden, / Dann mag,
was will und kann, geschehn.“105 Mephisto kann schon gewusst haben, dass Faust diese
Meinung hat. Als Gott Faust zum ersten Mal erwähnt hat, wusste Mephisto schon, wer
er ist und wie wissensgierig er ist.106 Dass Gott zugegeben hat, dass Faust ihm nur
verworren diene, kann Mephisto nur in seiner Gewissheit, er könne die Wette gewinnen,
verstärkt haben. Das Spiel scheint ihm von Anfang an gewonnen, und doch verliert er,
weil er Faust nicht so gut kennt, wie er selber geglaubt hat.
104
Fuchs: Mephistopheles, a.a.O., S. 358.
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 51.
106
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 15.
105
26
4.3. Mephistos Zielerreichung
Wie schon im zweiten Kapitel gezeigt worden ist, hat Faust sein Lebensziel verändert,
kurz bevor er gestorben ist. Er strebt am Ende der Dichtung nicht mehr nach Wissen für
sich selbst, sondern nach der Entwicklung anderer, wie er selber sagt:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß!
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn!
Zum Augenblicke dürft ich sagen:
„Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nich in Äonen untergehn.“ –
Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick. 107
Nachdem Faust seine letzten Worte gesprochen hat, stirbt er, den höchsten Augenblick
genießend. In diesen Worten, die seine Seele gerettet haben, ist Gottes Wille zu finden:
Die Menschen sollen tüchtig sein, sie sollen streben, aber nicht nach Einsicht, sondern
nach Freiheit - Willensfreiheit, Entwicklungsfreiheit – Freiheit, Mensch zu sein und am
Leben zu sein. Diese Freiheit sollte ihnen genug Glück bringen, um sie bis zum Tode zu
sättigen. “Faust has been converted to the view which both God and the Devil agree to
be the right one.”108 Mephisto weiß genau, welche Werte Gott hat, denn wenn er es
nicht wüsste, könnte er nicht gegen sie kämpfen.
Weil Mephisto schon weiß, was Gott von den Menschen will, ist es komisch,
dass er die wahre Meinung in Fausts letzten Worten nicht versteht. Mephisto hat Fausts
letzte Rede ja gehört. Trotzdem sagt er, in direkter Antwort zu Fausts Rede: „Ihn sättigt
keine Lust, ihm gnügt kein Glück, / So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten; / Den
107
108
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 335.
Steinhauer: Faust´s Pact With the Devil, a.a.O., S. 198.
27
letzten, schlechten, leeren Augenblick, / Der Arme wünscht ihn festzuhalten.“109 Als er
diese Worte spricht, glaubt Mephisto, er habe die Wette mit Gott gewonnen, weil er
glaubt, Faust habe bis zum Ende nach seinem närrischem Ziel gestrebt. “Mephisto is
obviously not aware of the change in attitude that has occurred in Faust.” 110 Wie kann
das sein? Er weiß doch, was Gott von den Menschen will und er hat Fausts Rede gehört.
Mephisto ist der Geist mit Verstand; er ist nicht dumm. Wie Albert Fuchs über ihn
geschrieben hat, soll seine Intelligenz Tief- und Weitblick besitzen:
Der Teufel weiß sehr wohl, daß „Vernunft und Wissenschaft“ authentische positive
Kräfte sind, daß der Mensch nicht ganz unfähig ist, die Wahrheit zu erkennen, und daß
es Reinheit wirklich gibt. Er sieht auf das klarste, wer er ist, und gesteht, er sei
gezwungen, „das Gute“ zu schaffen. Mit Intelligenz beurteilt er die eigene Intelligenz
und gibt zu, daß sie zu beschränkt ist, um Ordnung, Gefüge und Sinn der Schöpfung in
ihrer Grenzenlosigkeit zu verstehen. Er ist sich eines Zustands und einer Lage bewußt
die er – von Zeit zu Zeit – als persönliches trübes Schicksal empfindet. Trotz aller
grundsätzlichen Verneinung erfaßt er, daß die Werke des Herrn dauerhaft und
unzerstörbar sind. Mephistopheles ist eindringendsten Scharfsinns und vollkommener
Sachlichkeit fähig.111
Trotz seines Scharfsinns und seiner Sachlichkeit hat Mephisto Fausts Worte völlig
verkannt. Wie kann das sein?
Weil Mephisto der Geist der Verneinung ist. Er ist halsstarrig und will nicht
anerkennen, dass er verloren hat. Er interpretiert Fausts Worte bewusst falsch, weil er
nicht glauben kann, dass Faust sich verändert hat. Wie Steinhauer in seinem Fausts Pact
with the Devil geschrieben hat, ist Mephisto schon davon überzeugt worden, dass Faust
seine Meinung nie verändern wird.112 „Just as Faust felt certain that he would never
deviate from his way of life, so Mephistopheles hopes that Faust may never do so“113
schreibt Steinhauer und zitiert Mephistos eigene Worte: “Verachte nur Vernunft und
Wissenschaft, / Des Menschen allerhöchste Kraft, / Laß nur in Blend- und
Zauberwerken / Dich von dem Lügnergeist bestärken, / So hab ich dich schon
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 335-336.
Steinhauer: Faust´s Pact With the Devil, a.a.O., S. 199.
111
Fuchs: Mephistopheles, a.a.O., S. 353.
112
Steinhauer: Faust´s Pact With the Devil, a.a.O., S. 189.
113
Steinhauer: Faust´s Pact With the Devil, a.a.O., S. 190.
109
110
28
unbedingt!“114 Mephisto beendet seine Rede mit den Worten, dass obwohl Faust sich
dem Teufel nicht übergeben hätte, müsse er doch von selbst untergehen – weil er sich
selbst durch seine Wissensgierde zum Untergehen schon verdammt hat.115 Einer, der so
siegesgewiss gewesen ist, erkennt seine Niederlage nicht bis wirklich alle Hoffnung
weg ist. Für Mephisto ist dies der Moment, in dem die Engel Fausts Seele weggetragen
haben.
4.4. Mephistos Schicksal
Ein Grund dessen, wieso Mephisto so vorwitzig handelt, ist die Tatsache, dass er das
Zweifeln hasst. Zweimal im Buch bespricht er das: „Ich sag es dir: ein Kerl, der
spekuliert, / Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide / Von einem bösen Geist im Kreis
herumgeführt, / Und ringsumher liegt schöne, grüne Weide.“116 Und auch: „Nichts
Abgeschmackters find ich auf der Welt / Als einen Teufel, der verzweifelt.“117 Nur
einer, der sich das zum Ziel gemacht hat, immer ohne Zweifel zu handeln, könnte etwas
so dämmliches tun, wie mit dem Herrn selbst zu wetten, obwohl der Herrgott viel besser
weiß, wie die Wette enden wird. Nur so ein Teufel wie Mephisto könnte alle Ansätze
über seine drohende Niederlage so geflissentlich ignorieren. Und genau deswegen hat er
die Wette mit Gott verloren, deswegen kann er die Menschen nicht vernichten und
deswegen wird Mephisto, nachdem Faust ihm entschlüpft ist, sich wieder fangen und
erneut blindlings nach Vernichtung und Finsternis streben. Wie Erich Trunz es
ausdrückte:
Gott setzt den Teufel; nicht sich selbst, sondern dem Leben zur Belebung. Damit Farbe
sei, bedarf es der Mithilfe des Finsteren. Immer neu muß Mephisto den nur für ihn,
nicht im höheren Platz sinnlosen Ansturm gegen die Baugewalten der Natur beginnen.
Im ganzen umsonst; doch gibt es Baufälligkeiten der Monade. Vernichten kann er
keine, aber eine schwache kann er sich selbst entfremden, sie zur Hörigkeit unter
Stärkeres entführen durch den Tod... Der Haushalt, der ihn einschränkt, sichert ihn
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 56.
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 56.
116
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 55.
117
Goethe: Faust – Erster und zweiter Teil, a.a.O., S. 101.
114
115
29
auch. Er wird immer kleine Spiele gewinnen und große Spiele verlieren, vor allem: er
wird immer spielen.118
Mephisto ist klug und er weiß, was Gottes Plan ist. Daher muss er auch seine eigene
Rolle in diesem Plan erraten haben. Seine Unverträglichkeit gegenüber Zweifeln so wie
seine eigene Halsstarrigkeit erlauben Mephisto, immer dasselbe Spiel erneut zu spielen,
immer auf Sieg hoffend, obwohl er tief in seinem Bewusstsein weiß, dass er nie siegen
wird. Er fantasiert, er baut sich ein Luftschloss in dem er ein Teil der siegenden Seite ist
und er hofft, irgendwann die Chance zu haben, sich an Gott und seinem Licht zu rächen.
Mephisto ist der gefallene Engel, der so etwas wie Niederlage niemals akzeptieren wird.
Seine letzten Worte in der Dichtung, als er sich einen Toren nennt, gelten seinem
Fehler, sich in die Engel verliebt zu haben, und nicht der Tatsache, dass er die Wette
niemals hätte gewinnen können.
Erich Trunz: Goethe, Faust – Der Tragödie erster und zweiter Teil – Urfaust. Verlag C.H. Beck.
Sonderausgabe, 10. Auflage. München 1976, S. 510.
118
30
5. Zusammenfassung
Goethes charmante Teufel Mephisto ist von vielen Faust-Forschern übersehen worden,
vielleicht, weil sein Wesen zu unvereinbar und imperfekt scheint. Diese Arbeit hat seine
Beweggründe näher betrachtet und herausgefunden, dass Mephisto das Licht der Welt
vernichten will und sich damit an Gott rächen, der ihn aus dem Himmel verbannt hat. Er
kann dieses Ziel aber nie erreichen, egal wie sehr er sich bemüht, weil er Gott hilft,
indem er die Menschen täuscht und weil Gott viel mächtiger ist als er. Eines der
wichtigsten Paradoxa in Mephistos Figur ist genau das, dass er gegen Gott arbeitet,
obwohl er weiß, dass er Gott dabei hilft. Um dieses Paradoxon zu lösen musste nicht
nur Mephisto, sondern auch Mephistos Welt und seine Ziele ausführlich analysiert
werden.
Im zweiten Kapitel wurde herausgefunden, dass Mephisto in einer Welt des
göttlichen Lichtes lebt, die von Gott aus der Finsternis geschaffen wurde, um dessen
Ebenbilder, die Menschen, zu einer ewigen Entwicklung zu treiben. Mephisto spielt
eine wichtige Rolle in Gottes Plan, weil er die Menchen zur Tat und Entwicklung treibt,
indem er versucht, sie auf Abwege zu führen.
Im dritten Kapitel wurde Mephistos Wesen genau betrachtet und sein Ursprung,
seine Kräfte und Taten wurden analysiert, um seine Figur in ihrer Ganzheit vorstellen zu
können. Mephisto erwies sich als ein Mittelrangiger Teufel in einer Hierarchie von
Teufeln, der aber Arrogant genug ist, eine Wette mit Gott zu machen und zu versuchen,
sich an Gott zu rachen.
Im vierten Kapitel wurden Mephistos Ziele dann mit seiner Zielerreichung
verglichen und herausgefunden, dass Mephisto, seiner Arroganz wegen, niemals
zugeben wird, dass sein Streben hoffnungslos ist, und dass er weiter nach seinem Ziel
streben wird, weil er sonst sein Stolz hinunterschlucken müsste und Gott öffentlich
dienen müsste. Mephisto arbeitet gegen Gott, obwohl er dabei Gott eigentlich hilft,
weil er die Hoffnung nicht aufgegeben hat, eine Lücke in Gottes Weltordnung zu
finden, die ihm erlauben wird, das Licht zu vernichten oder zuminsdest der Finsternis
unterwürfig zu machen.
31
„Das Gute vermag nur im Kampf mit dem Bösen sich innerlich zu vollenden“119
hat Paulsen geschrieben. Vielleicht geht das auch umgekehrt, dass das Böse sich nur im
Kampf mit dem Guten sich vollenden könne? Zumindest ist Mephisto dem Guten eng
verbunden, erstens in seinem Ursprung als ein Engel, der aus dem Himmel gebannt
worden ist, und zweitens als einer der Teufel, die die Menschen zur Tat und
Entwicklung reizt. Sein stolzer, engstirniger Charakter, sein Verstand und sein Groll auf
Zweifeln erlauben ihm, immer weiterzumachen, ohne sich zu viele Gedanken über die
Hoffnungslosigkeit seiner Taten zu machen.
Denn sie sind hoffnungslos: Obwohl Mephisto, aus Boshaftigkeit gegenüber
Gott, der ihn gebannt hat, das Licht in den Menschen löschen will, ist Gott viel
mächtiger und weiser als er. Mephisto ist nur ein Teufel mittleren Ranges, ein eher
kraftloser Teufel dazu, der sich die Kräfte anderer bedienen muss, um komplizierte
magische Zauber zu bewirken. Selber hat er einen scharfen Verstand und eine
jahrhundertelange Erfahrung im Umgang mit Menschen, Hexen und allerlei teuflischem
Gesindel Nordwesteuropas, die er verwendet, um sein Ziel zu erreichen: seine
persönliche Rache an Gott.
Um diese Rache zu verwirklichen, macht Mephisto eine Wette mit Gott. Diese
Wette hätte er aber nie gewinnen können, weil Gott schon gewusst hat, dass Mephisto
verlieren würde, weil Gott die Menschen besser kennt als er. Obwohl Gott Mephisto
dies schon am Anfang erzählt hat, hat Mephisto den Hinweis ignoriert, weil er das
schon Bestimmte nicht akzeptieren will.
119
Paulsen: Schopenhauer Hamlet Mephistopheles, a.a.O., S. 230.
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Literaturverzeichnis
Primärliteratur
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Verlag. 13. Auflage. München 2012.
Sekundärliteratur
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Gönner, Gerhard: Mephisto(pheles). In: Metzler Goethe Lexikon – Mit 150
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Paulsen, Friendrich: Schopenhauer Hamlet Mephistopheles – Drei Auffäße zur
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Resenhöfft, Wilhelm: Existenzerhellung des Hexentums in Goethes „Faust“ –
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Trunz, Erich: Goethe, Faust – Der Tragödie erster und zweiter Teil – Urfaust. Verlag
C.H. Beck. Sonderausgabe, 10. Auflage. München 1976.
33
Von Wilpert, Gero: Goethe-Lexikon. Alfred Kröner Verlag Stuttgart. Stuttgart 1998.
Internetquellen
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(zuletzt abgerufen am 29.03.2015).
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In: Bibliothek der Kirchenväter - Eine Auswahl Patristischer Werke in
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Mephistophelisch. In: Duden Online. URL:
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