Projektmanagement konkret – Nachschlagen
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Projektmanagement konkret – Nachschlagen
Gutes Textverständnis ist eine Schlüsselkompetenz, die wesentlich zum schulischen und beruflichen Erfolg beiträgt. Eine solide Lesekompetenz ist heute unabdingbar. Wer bereits am Textverständnis scheitert, hat in verschiedenen Lebensbereichen enorme Nachteile. »Texte knacken« bietet vielfältige Möglichkeiten, das Textverständnis zu trainieren und damit zu verbessern. Das Buch richtet sich an Lernende verschiedener Ausbildungsrichtungen sowie an Erwachsene in der Weiterbildung. Es enthält eine Anleitung, wie sich Texte einfach »knacken« lassen, und vermittelt prägnant das wichtigste Textsortenwissen. TEXTE KNACKEN Alex Bieli Bieli Das Kernstück dieses Lehr- und Lernmittels bildet der praktische Teil: An 30 Trainingseinheiten kann das Textverständnis geübt werden. Die Texte sind in drei Niveaus eingeteilt; damit kann die Arbeit zum Textverständnis strukturiert und aufbauend erfolgen. Lösungen sowie ein Lernjournal dienen dem selbstständigen Lernen und der Selbstkontrolle. Alex Bieli ist freischaffender Lehrmittelautor, Textberater und Referent in der Weiterbildung von Lehrpersonen sowie Inhaber von Textsupport: www.textsupport.ch. Er verfügt über langjährige Unterrichtserfahrung an Handelsschulen sowie in der Erwachsenenbildung und ist Autor von mehreren Lehrwerken, u. a. »Deutsch Kompaktwissen« und »Sprachklar.« (im hep verlag erschienen). www.hep-verlag.com/texte-knacken Mit gen Lösun stlb zur Se le! l kontro ! TEXTE KNACKEN 30 Übungen zum besseren Textverständnis Texteknacken_Arbeih_1A_14_U1+U4_H.indd 1 30.01.14 15:36 Vorwort Das differenzierte, vertiefte Verstehen von Texten ist eine Schlüsselkompetenz und trägt wesentlich zum schulischen und beruflichen Erfolg bei. Nicht nur bei den Sprachfächern, auch in allen anderen Fachbereichen ist eine solide Lesekompetenz unabdingbar. Hinzu kommt: Fast alle Prüfungen basieren auf schriftlichen Grundlagen. Wer bereits am Textverständnis scheitert, hat enorme Nachteile. »Texte knacken« bietet vielfältige Möglichkeiten, die Textverständniskompetenz zu erhöhen. Das Buch richtet sich an Lernende verschiedener Ausbildungsrichtungen sowie an Erwachsene. Es enthält eine Anleitung dazu, wie sich Texte einfach »knacken« lassen, beinhaltet das Wichtigste zum Textsortenwissen und listet Grundbegriffe der Literatur und Rhetorik auf. Das Kernstück bildet der praktische Teil: An 30 Trainingseinheiten – Sachtexten sowie literarischen Texten – kann das Textverständnis geübt werden. Es werden Fragen zu Begriffen und Zusammenhängen, aber auch zu möglichen Interpretationen gestellt. Die Texte sind in drei Niveaus eingeteilt; damit kann die Arbeit zum Textverständnis strukturiert und aufbauend erfolgen. Punkteraster, Lösungen sowie ein Lernjournal dienen dem selbstständigen Lernen und der Selbstkontrolle. Die Zuteilung der Niveaus ist wie folgt zu verstehen: Texte mit einem Stern (*) Das sind Texte, die sowohl vom Vokabular als auch vom Satzbau her einfach sind. Auch thematisch sind sie leicht zugänglich. Die Fragen sind zumeist einfache Verständnisfragen. Texte mit zwei Sternen (**) Diese Texte sind inhaltlich und strukturell ein wenig komplexer; sprachlich sind sie überdies etwas schwieriger. Zudem sind die Aufgaben und Fragen anspruchsvoller. Texte mit drei Sternen (***) Hier handelt es sich sowohl inhaltlich als auch sprachlich um anspruchsvolle Texte. Die Aufgaben dazu sind entsprechend herausfordernder; oft geht es auch um Interpretation und mögliche Lesarten. Im Januar 2014 Alex Bieli 5 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 5 30.01.14 17:32 Theoretische Grundlagen 1. Wie knackt man Texte?.......................................... 11 2. Textsortenwissen...................................................... 15 3. Grundbegriffe der Literatur................................ 21 4. Rhetorische Figuren................................................ 25 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 9 30.01.14 17:32 Inhaltsverzeichnis Theoretische Grundlagen........................................ 9 Übungstexte................................................................. 27 Lösungen....................................................................... 91 Lernjournal. .....................................................................123 7 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 7 30.01.14 17:32 1. Wie knackt man Texte? Die vier wichtigsten Voraussetzungen für das erfolgreiche Knacken von Texten sind: systematisch vorgehen Stifte und Marker verwenden konzentriert arbeiten Fragen stellen... und beantworten Systematisch vorgehen Für das »Entschlüsseln« von Texten gibt es verschiedene Methoden. Hier werden zwei Lesemethoden vorgestellt. Entscheiden Sie selber, welche für Sie besser geeignet ist. Die SQ3R-Methode 1. Schritt 2. Schritt 3. Schritt 4. Schritt 5. Schritt Survey Question Read Recite Review sich einen Überblick Fragen stellen den Text genau den Inhalt verschaffen (W-Fragen) durchlesen rekapitulieren (wiedergeben) das Gelernte repetieren Drei-Ü-Lesemethode 1. Schritt 2. Schritt 3. Schritt Überfliegen: diagonales Lesen Überblicken: konzentriertes Lesen Überarbeiten: systematisches Lesen Den Text als Ganzes erfassen: Inhalt und Form überblicken: Den Text bearbeiten: • Thema • Leitfragen (W-Fragen) • Leitfragen (W-Fragen) • Umfang • Wort- und Textverständnis • Markierungen • Gliederung • Personen • Randnotizen • Schreibabsicht • Aufbaustruktur • Visualisierungen • Textsorte • Schlüsselstellen • Antworten zu den Fragen • Bilder, Grafik u. a. • Sprache • Detailverständnis 11 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 11 30.01.14 17:32 Stifte und Marker verwenden Stifte (Bleistift, Farbstifte u. a.) und Marker sind die wichtigsten Werkzeuge beim Lesen von Texten. Damit können einzelne Wörter und Textstellen hervorgehoben, Randnotizen gemacht und Visualisierungen angefertigt werden. Hervorhebungen len mit e Textstel Visualisierungen heben. ig hervor riften farb Markierst einer wichtig Linie, mit örter und richelter Schlüsselw nie, gest Li ist mehr.« er er ig en en ezog tz:»W it durchg Grundsa eichen m n unterstr ie Textstelle in nl Mit einfachen le el Zeichen ie oder W Punktelin en hm umra er od kreisen Wörter um Kurze Wörter Einzelne un Randnotizen !?ⅴ und Symbolen arbeiten wie: ap zeichnen • Eine Mindm oder einen , ein Diagramm ild • Ein Schaub n lle Zeitstrahl erste anfertigen te Zeichnung • Eine geeigne Arg. Gut Neiürzungen verwenden: n Ja Wichtig! Wor d Abbk terklärungen (z. B. für Fach- un d Fremdwörte r) Konzentriert arbeiten Richten Sie Ihre Konzentration ganz auf den Text und gehen Sie strukturiert vor (siehe Lesemethoden). Bewahren Sie die innere Ruhe auch in Prüfungssituationen. Sorgen Sie für eine ruhige Lernumgebung. Fragen stellen Stellen Sie Fragen an den Text. Es handelt sich dabei primär um sogenannte W-Fragen: Was? Wer? Wo? Wann? Weshalb? Wie? usw. Die folgenden beiden Analyse-Instrumente zeigen Ihnen, um was für Fragen es sich dabei konkret handeln kann. Je nach Text können aber nicht immer alle Leitfragen beantwortet werden. Analyse-Instrument für Sachtexte Fragen zum Kontext Fragen zum Inhalt • Wann ist der Text entstanden? • Welches ist das zentrale Thema? • Wer hat den Text verfasst? • Welches sind Nebenthemen? • Wo wurde der Text publiziert? • Welche Aspekte des Themas werden behandelt? • Was ist die Schreibabsicht? • Welche Argumente werden genannt? • Um welche Textsorte handelt es sich? • An wen richtet sich der Text? Fragen zum Aufbau Fragen zur Sprache • Wie ist der Text aufgebaut • Wie umfangreich sind die einzelnen Abschnitte? •Wie ist die Wortwahl? (einfach, klar, umgangssprachlich, fachsprachlich ...) • Wie ist der Text angereichert (Bilder, Grafik, Zeichnungen ...)? •Wie ist der Satzbau? (einfach, kompliziert) •Wie lässt sich der Schreibstil einordnen? (Umgangssprache, Fachsprache, gehobener Stil ...) •Welche sprachlichen Besonderheiten fallen auf? (direkte / indirekte Rede, Wiederholungen, Sprachbilder ...) Aus: Alex Bieli: Sprachklar. Band 2 © hep verlag, Bern, 2013. S. 21. 12 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 12 30.01.14 17:32 Analyse-Instrument für literarische Texte Bei literarischen Texten wird die Analyse mit einer Interpretation ergänzt. Das Wort »interpretieren« stammt aus dem Lateinischen und bedeutet »etwas erklären«, »auslegen«. Es geht also um mehr als um das reine Verstehen des Inhalts. Es geht auch darum, herauszufinden, was »zwischen den Zeilen« gemeint sein könnte. Im Vergleich zu einem Sachtext müssen vor allem die Fragen zum Inhalt noch differenzierter formuliert werden. Je nach Text können auch hier nicht immer alle Fragen beantwortet werden. Fragen zum Kontext Fragen zum Inhalt • Wann ist der Text entstanden? Thema • Wer hat den Text verfasst? • Welches ist das zentrale Thema? • Wo wurde der Text publiziert? • Welches sind Nebenthemen? • Um welche Textsorte handelt es sich? • Welche Absicht verfolgt der Autor / die Autorin? • Welche Haltung des Autors / der Autorin kann man erkennen? Handlung • Was passiert (Aktionen)? • Wann findet das Geschehen statt (Zeit)? • Wo findet das Geschehen statt (Ort)? Personen • Welche Personen kommen vor (Personenkonstellation)? • Welche Person steht im Mittelpunkt (Hauptfigur)? • Welche Gefühle und Ideen hat die Hauptfigur? • Wie verändern sich die Figuren? Fragen zum Aufbau Fragen zur Sprache Wie ist der Text aufgebaut? • Wie ist die Wortwahl? Wo gibt es Überraschungen? • Wie ist der Satzaufbau? Wo ist der Höhe- bzw. Wendepunkt? • Welche Sprachbilder werden verwendet? Welche sprachlichen Besonderheiten fallen auf? • Welche sprachlichen Besonderheiten fallen auf? Aus welcher Perspektive wird das Geschehen dargestellt? • Welche Beziehung zwischen Sprache und Inhalt kann festgestellt werden? Aus: Alex Bieli: Sprachklar. Band 2 © hep verlag, Bern, 2013. S. 26. 13 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 13 30.01.14 17:32 Beispiel einer Textbearbeitung Zeilen Randnotizen Am Eisweiher 1 Ich war mit dem Abendzug aus dem Welschland nach Hause gekom- 2 men. Damals arbeitete ich in Neuchâtel, aber zu Hause fühlte ich 3 mich noch immer in meinem Dorf im Thurgau. Ich war zwanzig Jahre 4 alt. 5 Irgendwo war ein Unglück geschehen, ein Brand ausgebrochen, ich 6 weiß es nicht mehr. Jedenfalls kam mit einer halben Stunde Verspä- 7 tung nicht der Schnellzug aus Genf, sondern ein kurzer Zug mit alten 8 Wagen. Unterwegs blieb er immer wieder auf offener Strecke stehen, 9 und wir Passagiere begannen bald, miteinander zu sprechen und die 10 Fenster zu öffnen. Draußen roch es nach Heu, und einmal, als der 11 Zug eine Weile gestanden hatte und das Land um uns ganz still war, 12 hörten wir das Zirpen der Grillen. 13 Es war fast Mitternacht, als ich mein Dorf erreichte. Die Luft war noch 14 warm, und ich trug die Jacke über dem Arm. Meine Eltern waren 15 schon zu Bett gegangen. Das Haus war dunkel, und ich stellte nur 16 schnell meine Sporttasche mit der schmutzigen Wäsche in den Flur. Es 17 war keine Nacht zum Schlafen. 18 Vor unserem Stammlokal standen meine Freunde und berieten, 19 was sie noch unternehmen sollten. Der Wirt hatte sie nach Hause 20 geschickt, die Polizeistunde war vorüber. Wir redeten eine Weile 21 draußen auf der Straße, bis jemand aus dem Fenster rief, wir sollten 22 endlich ruhig sein und verschwinden. Da sagte Stefanie, die Freun- 23 din von Urs: »Warum gehen wir nicht an den Eisweiher baden? Das 24 Wasser ist ganz warm.« 25 Die anderen fuhren schon los, und ich sagte, ich würde nur schnell 26 mein Fahrrad holen und dann nachkommen. Zu Hause packte ich 27 meine Badehosen und ein Badetuch ein, dann fuhr ich den anderen 28 hinterher. Der Eisweiher lag in einer Mulde zwischen zwei Dörfern. 29 Auf halbem Weg kam mir Urs entgegen. 30 »Stefanie hat einen Platten«, rief er mir zu. »Ich hole Flickzeug.« 31 Kurz darauf sah ich dann Stefanie, die an der Böschung saß. Ich stieg 32 ab. 33 »Das kann eine Weile dauern, bis Urs zurückkommt«, sagte ich. »Ich 34 gehe mit dir, wenn du magst.« 35 Wir schoben unsere Fahrräder langsam den Hügel empor, der hinter 36 dem Weiher lag. Ich hatte Stefanie nie besonders gemocht, vielleicht 37 weil es hieß, sie treibe es mit jedem, vielleicht aus Eifersucht, weil Urs 38 sich nie mehr ohne sie zeigte, seit die beiden zusammen waren. Aber 39 jetzt, als ich zum erstenmal mit ihr alleine war, verstanden wir uns 40 ganz gut und redeten über dies und jenes. Ich-Erzähler Hauptfigur 20-jährig Panne 1 Rückblende Sommer Mitternacht / Dorf Treffen mit Freunden Polizeistunde? Stefanie und Urs Paar Panne 2 Ich-Erzähler und Stefanie Beziehung? 14 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 14 30.01.14 17:32 Beispiel einer Textvisualisierung 2. Textsortenwissen Es existieren verschiedenste Formen von Texten. Sie unterscheiden sich in der Funktion, der Schreibabsicht, hinsichtlich des Umfangs, des Aufbaus und der Sprachen. So sieht ein Stelleninserat ganz anders aus als eine Erzählung und ein Gedicht hat andere Formelemente als ein Zeitungsbericht. Eine wichtige Unterscheidung ist die Einteilung in Sachtexte und fiktionale (= erfundene) Texte. Fiktionalen Texten begegnen wir vor allem in der Literatur; sie werden daher auch als literarische Texte bezeichnet. Doch eine klare Trennung der verschiedenen Textmuster ist nicht immer möglich. Vor allem in der modernen Literatur werden häufig Mischformen verwendet. Textsorte Sachtexte Fiktionale Texte Epik Dramatik Lyrik Abbildung der Wirklichkeit Fantasie, Dichtung, Erfundenes sachliches, genaues Schreiben kreatives, fantasievolles Schreiben »Handwerk-Texte« »Kunstwerk-Texte« Bericht, Protokoll, Inhaltsangabe, Gesuch, Leserbrief, Erzählung, Fabel, Märchen, Roman, Hörspiel, Theater- Bedienungsanleitung u. a. stück, Spielfilmtext, Gedicht u. a. 15 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 15 30.01.14 17:33 Übungs texte Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 27 30.01.14 17:33 Übungstexte Titel Niveau Seite Fünfzehn ** S. 30 »Bleibt hungrig, bleibt verrückt« ** S. 32 Als Berufsfischer hast du kaum ein Privatleben * S. 34 »So schreibe ich« ** S. 36 Aus dem Leben eines Taugenichts *** S. 38 San Salvador *** S. 40 »Die Persönlichkeit wird vernachlässigt« * S. 42 Eine Schönheitskönigin muss kein Tiefflieger sein ** S. 44 Die ewige Seligkeit *** S. 46 Gehen, bleiben *** S. 48 Wie man Kunden beeindruckt ** S. 50 Das Baby im Arm, die Zukunft in der Hand * S. 52 Die Spracherfinder ** S. 54 Die Kaninchen, die an allem schuld waren *** S. 56 Das scheinbar Unmögliche schaffen ** S. 58 Lothar Ott *** S. 60 Faszinosum Musical ** S. 62 Die Sterntaler * S. 64 Ramseier – natürlicher Erfrischungsgenuss * S. 66 Der König von Olten ** S. 68 Die besseren Zeiten *** S. 70 Die Geister, die sie riefen ** S. 72 Kann man jeden Nächsten lieben? *** S. 74 Die Entwicklung der Menschheit ** S. 76 Die Mutter, das Mädchen und der Polizist ** S. 78 Volksinitiative: »6 Wochen Ferien für alle« * S. 80 Gegen den Strom nach vorn ** S. 82 Lass dich nicht leben – lebe! ** S. 84 Im Spiegel *** S. 86 Evolutionsgeschichte: Frauen & Fußball *** S. 88 Niveau: * = einfach ** = mittel *** = anspruchsvoll 29 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 29 30.01.14 17:33 1 Literatur Niveau: ** Datum: Erreichte Punkte: von 26 Zeilen Fünfzehn 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 Sie trägt einen Rock, den kann man nicht beschreiben, denn schon ein einziges Wort wäre zu lang. Ihr Schal dagegen ähnelt einer Doppelschleppe: lässig um den Hals geworfen, fällt er in ganzer Breite über Schienbein und Wade. (Am liebsten hätte sie einen Schal, an dem mindestens drei Großmütter zweieinhalb Jahre gestrickt haben – eine Art Niagara-Fall aus Wolle. Ich glaube, von einem solchen Schal würde sie behaupten, dass er genau ihrem Lebensgefühl entspricht. Doch wer hat vor zweieinhalb Jahren wissen können, dass solche Schals heute Mode sein würden.) Zum Schal trägt sie Tennisschuhe, auf denen jeder ihrer Freunde und jede ihrer Freundinnen unterschrieben haben. Sie ist fünfzehn Jahre alt und gibt nichts auf die Meinung uralter Leute – das sind alle Leute über Dreißig. Könnte einer von ihnen sie verstehen, selbst wenn er sich bemühen würde? Ich bin über Dreißig. Wenn sie Musik hört, vibrieren noch im übernächsten Zimmer die Türfüllungen. Ich weiß, diese Lautstärke bedeutet für sie Lustgewinn. Teilbefriedigung ihres Bedürfnisses nach Protest. Überschallverdrängung unangenehmer logischer Schlüsse. Trance. Dennoch ertappe ich mich immer wieder bei einer Kurzschlussreaktion: Ich spüre plötzlich den Drang in mir, sie zu bitten, das Radio leiser zu stellen. Wie also könnte ich sie verstehen – bei diesem Nervensystem? Noch hinderlicher ist die Neigung, allzu hochragende Gedanken erden zu wollen. Auf den Möbeln ihres Zimmers flockt der Staub. Unter ihrem Bett wallt er. Dazwischen liegen Haarklemmen, ein Taschenspiegel, Knautschlacklederreste, Schnellhefter, Apfelstiele, ein Plastikbeutel mit der Aufschrift »Der Duft der großen weiten Welt«, angelesene und übereinandergestülpte Bücher (Hesse, Karl May, Hölderlin), Jeans mit in sich gekehrten Hosenbeinen, halb- und dreiviertel gewendete Pullover, Strumpfhosen, Nylon und benutzte Taschentücher. (Die Ausläufer dieser Hügellandschaft erstrecken sich bis ins Bad und in die Küche.) Ich weiß: Sie will sich nicht den Nichtigkeiten des Lebens ausliefern. Sie fürchtet die Einengung des Blicks, des Geistes. Sie fürchtet die Abstumpfung der Seele durch Wiederholung! Außerdem wägt sie die Tätigkeiten gegeneinander ab nach dem Maß an Unlustgefühlen, das mit ihnen verbunden sein könnte, und betrachtet es als Ausdruck persönlicher Freiheit, die unlustintensiveren zu ignorieren. Doch nicht nur, dass ich ab und zu heimlich ihr Zimmer wische, um ihre Mutter vor Herzkrämpfen zu bewahren – ich muss mich auch der Versuchung erwehren, diese Nichtigkeiten ins Blickfeld zu rücken und auf die Ausbildung innerer Zwänge hinzuwirken. Einmal bin ich dieser Versuchung erlegen. Sie ekelt sich schrecklich vor Spinnen. Also sagte ich: »Unter deinem Bett waren zwei Spinnennester.« Ihre mit lila Augentusche nachgedunkelten Lider verschwanden hinter den hervortretenden Augäpfeln, und sie begann »Iix! Ääx! Uh!« zu rufen, so dass ihre Englischlehrerin, wäre sie zugegen gewesen, von soviel Kehlkopfknacklauten – englisch »glottal stops« – ohnmächtig geworden wäre. »Und warum bauen die ihre Nester gerade bei mir unterm Bett?« »Dort werden sie nicht oft gestört.« Direkter wollte ich nicht werden, und sie ist intelligent. Am Abend hatte sie ihr inneres Gleichgewicht wiedergewonnen. Im Bett liegend, machte sie einen fast überlegenen Eindruck. Ihre Hausschuhe standen auf dem Klavier. »Die stelle ich jetzt immer dorthin«, sagt sie. »Damit keine Spinnen hineinkriechen können.« Kontext, Hintergrund, lexikalisches Wissen Kurzgeschichte von Rainer Kunze, deutscher Schrift- Niagara Fall (Z. 4): Große Wasserfälle des Niagara-Flusses steller, geb. 1933 an der Grenze zwischen dem US-amerikanischen Bundesstaat New York und der kanadischen Provinz Ontario. Trance (Z. 13): Rauschzustand, Hypnose Alex Bieli: Texte knacken © hep verlag, Bern 2014 30 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 30 30.01.14 17:33 Aufgaben und Fragen Nr. 1. 2. Aufgaben und Fragen Lösungen, Antworten Erklären Sie die Bedeutung lässig dieser Begriffe mit einem Unlustgefühlen Z.25 anderen Wort (Synonym). Nichtigkeiten Z.28 Gleichgewicht Z.38 Z. 2 2 Welches Thema steht im Vordergrund? 4. 5. 4 Aus welcher Perspektive wird die Geschichte erzählt? 3. Pt. 2 Welche zwei Beschreibun- A) einsam, unglücklich, launisch gen passen am besten auf B) selbstbewusst, eigenwillig, intelligent die 15-Jährige? Kreuzen Sie C) passiv, konservativ, frech an. D) modisch, locker, belesen 2 Was hat der Erzähler mit der Geschichte von der Spinne beabsichtigt? 6. 2 Interpretieren Sie den Schluss (Z. 38–40). 3 7. Der Autor verwendet oft A) Sie trägt einen Rock, den kann man nicht beschreiben, denn schon ein Übertreibungen, die humor- voll wirken. Nennen Sie zwei B) einziges Wort wäre zu lang (Z. 1) weitere Stellen im ersten Abschnitt (Z. 1–9). C) 4 8. Kurzgeschichte. Eine Kurzgeschichte beleuchtet einen kurzen ....................................................... Ergänzen Sie. Typisch sind der direkte ............................ und der offene ..................... mit einem Höhepunkt, auch ........................ genannt. Das Wort »Kurzgeschichte« ist eine Übernahme aus dem englischen Begriff ................................ Sprache: leicht verständliche ..................................., sehr knapp, minimalistische Ausdrucksweise. Vieles wird nur ........................ 7 Alex Bieli: Texte knacken © hep verlag, Bern 2014 31 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 31 30.01.14 17:33 Sachtext 3 Niveau: * Datum: Erreichte Punkte: von 26 Zeilen Als Berufsfischer hast du kaum ein Privatleben 1 Adrian Gerny, 24, ist der einzige Berufsfischer in der Stadt Zürich und beliefert mit seinen Forellen, 2 Eglis und Felchen Dutzende Restaurants und Lebensmittelbetriebe in Zürich. Wenn andere von der 3 Party nach Hause gehen, beginnt er mitten auf dem dunklen See seine Netze auszulegen. 4 Während die meisten 24-Jährigen sich samstagnachts zu Techno-Bässen die Nächte um die Ohren 5 schlagen, packt Adrian Gerny seine Gerätschaften auf das Fischerboot und fährt auf den 6 stockdunklen See hinaus. Dort ist es still wie an keinem anderen Ort in Zürich. Genau das mag 7 Gerny: »Wenn an einem schönen Wintermorgen die Sonne aufgeht, der See spiegelglatt ist und 8 ganz ruhig, dann möchte ich am liebsten die Zeit anhalten.« 9 Und dennoch: Gernys Job ist nichts für Weicheier. Denn der Fischer fährt das ganze Jahr auf den 10 See hinaus. Bei klirrender Kälte, Eisregen, Stürmen und Gewitter. »Im Winter muss ich mit einem 11 Eispickel die Eisbrocken vom Boot abschlagen.« Gerny hält das aus. Wenn er im Winter mitten in 12 der Nacht losfährt, ist niemand da, der ihn sehen oder hören könnte. Würde er von einer Welle ins 13 Wasser gespült, ist es vorbei. »Wenn du im Winter draußen bist, gibt es kein Zurück.« Daran denkt 14 er aber kaum, sondern genießt den Moment, wenn er bei dichtem Nebel glaubt, alleine auf der Welt 15 zu sein. »Ich bin schon ein Einzelgänger«, lacht er. 16 Die Hauptsaison des Berufsfischers ist im Sommer: Dann steht Gerny um zwei Uhr nachts auf und 17 kommt selten vor neun Uhr abends nach Hause. Sieben Tage pro Woche. Ferien gönnt sich der 18 Fischer nur gerade drei Wochen im Jahr. »Als Berufsfischer hast du kaum ein Privatleben.« Für 19 seine Selbständigkeit und seine »Produkte«, wie er sagt, nimmt er dieses Exotenleben in Kauf. 20 Seine tägliche Beute variiert zwischen fünf und hundert Kilogramm Fisch. Hat er die Netze 21 eingesammelt, nimmt Gerny die Fische selbst aus und bereitet sie für die Restaurants und 22 Lebensmittelhändler fast pfannenfertig vor. 23 Gerny bietet wohl das frischeste Produkt an, das man sich auf einem Teller wünschen kann. Des 24 Zürchers Lieblingsfische wie Eglis, Forellen, Hechte oder Felchen werden am Morgen gefangen 25 und abends gegessen. »Wenn ich sehe, wie die Leute die Qualität und Frische beim Essen spüren, 26 macht mich das glücklich.« Sein Job sei Stress und Erholung zugleich. Den Zürichsee kennt der 24- 27 Jährige wie seine Westentasche. Trotzdem ist jeder Tag anders. »Die meisten Zürcher kennen den 28 See als Erholungsraum. Dabei hat er viel mehr zu bieten und kann manchmal sehr widerspenstig 29 sein.« Kontext, Hintergrund, lexikalisches Wissen Der Text stammt aus dem »Gentlemen’s Report«, dem chronisch (Z. 9): dauernd, ständig andauernd, permanent Magazin der Neuen Zürcher Zeitung. Alex Bieli: Texte knacken © hep verlag, Bern 2014 34 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 34 30.01.14 17:33 Aufgaben und Fragen Nr. 1. 2. Aufgaben und Fragen Lösungen, Antworten Erklären Sie die Bedeutung Weicheier Z.9 dieser Begriffe mit einem Exotenleben Z.19 anderen Wort (Synonym). fast pfannenfertig Z.22 widerspenstig Z.28 Pt. 4 Um was für eine Textsorte handelt es sich? 3. Was erfährt man über Adrian 2 Alter: Gerny? Füllen Sie die Tabelle aus. Beruf: Arbeitsort: Erwerbsform: Hauptarbeitszeit: Kunden: 6 4. 5. 6. Welche Aussagen stimmen A) Adrian Gerny hat einen sehr speziellen Beruf. nicht? Kreuzen Sie an. B) Bei Nebel fährt er nicht gerne auf den See hinaus. C) Er bedauert es, dass er kaum ein Privatleben hat. D) Gerny kritisiert, dass es in der Stadt zu laut sei. E) Die Zürcher essen am liebsten Forellen. F) Die tägliche Fangquote schwankt stark. Ordnen Sie die Zwischentitel Kaum Freizeit passt zu den Zeilen den passenden Abschnitten Gefährlicher Arbeitsplatz passt zu den Zeilen zu. Mit der Natur verbunden passt zu den Zeilen Direkt in die Pfanne passt zu den Zeilen Der Autor verwendet ver- Sprachliche Mittel: 4 4 Beispiel: schiedene sprachliche Mittel, damit der Text möglichst lebendig wirkt. Nennen Sie drei mit je einem Beispiel. 6 Alex Bieli: Texte knacken © hep verlag, Bern 2014 35 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 35 30.01.14 17:33 Literatur 5 Datum: Niveau: *** Erreichte Punkte: von 27 Zeilen Aus dem Leben eines Taugenichts 1 Das Rad an meines Vaters Mühle brauste und rauschte schon wieder recht lustig, der Schnee 2 tröpfelte emsig vom Dache, die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen; ich saß auf 3 der Türschwelle und wischte mir den Schlaf aus den Augen; mir war so recht wohl in dem warmen 4 Sonnenscheine. Da trat der Vater aus dem Hause; er hatte schon seit Tagesanbruch in der Mühle 5 rumort und die Schlafmütze schief auf dem Kopfe, der sagte zu mir: »Du Taugenichts! Da sonnst du 6 dich schon wieder und dehnst und reckst dir die Knochen müde und lässt mich alle Arbeit allein tun. 7 Ich kann dich hier nicht länger füttern. Der Frühling ist vor der Tür, geh auch einmal hinaus in die 8 Welt und erwirb dir selber dein Brot.« – »Nun«, sagte ich, »wenn ich ein Taugenichts bin, so ists gut, 9 so will ich in die Welt gehen und mein Glück machen.« Und eigentlich war mir das recht lieb, denn 10 es war mir kurz vorher selber eingefallen, auf Reisen zu gehen, da ich die Goldammer, welche im 11 Herbst und Winter immer betrübt an unserm Fenster sang: »Bauer, miet mich, Bauer, miet mich!« 12 nun in der schönen Frühlingszeit wieder ganz stolz und lustig vom Baume rufen hörte: »Bauer, 13 behalt deinen Dienst!« 14 Ich ging also in das Haus hinein und holte meine Geige, die ich recht artig spielte, von der Wand, 15 mein Vater gab mir noch einige Groschen Geld mit auf den Weg, und so schlenderte ich durch das 16 lange Dorf hinaus. Ich hatte recht meine heimliche Freude, als ich da alle meine alten Bekannten 17 und Kameraden rechts und links, wie gestern und vorgestern und immerdar, zur Arbeit 18 hinausziehen, graben und pflügen sah, während ich so in die freie Welt hinausstrich. Ich rief den 19 armen Leuten nach allen Seiten stolz und zufrieden Adjes zu, aber es kümmerte sich eben keiner 20 sehr darum. Mir war es wie ein ewiger Sonntag im Gemüte. Und als ich endlich ins freie Feld 21 hinauskam, da nahm ich meine liebe Geige vor und spielte und sang, auf der Landstraße 22 fortgehend: 23 Wem Gott will rechte Gunst erweisen, 32 Die Bächlein von den Bergen springen, 24 Den schickt er in die weite Welt, 33 Die Lerchen schwirren hoch vor Lust, 25 Dem will er seine Wunder weisen 34 Was sollt ich nicht mit ihnen singen 26 In Berg und Wald und Strom und Feld. 35 Aus voller Kehl und frischer Brust? 27 Die Trägen, die zu Hause liegen, 36 Den lieben Gott lass ich nur walten; 28 Erquicket nicht das Morgenrot, 37 Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld 30 Sie wissen nur vom Kinderwiegen, 38 Und Erd und Himmel will erhalten, 31 Von Sorgen, Last und Not um Brot. 39 Hat auch mein Sach aufs best bestellt! Kontext, Hintergrund, lexikalisches Wissen Beginn der Erzählung »Aus dem Leben eines Taugenichts« von Ein Müller schickt seinen Sohn, den er für einen Taugenichts Joseph Freiherr von Eichendorff (1788–1857). hält, hinaus in die Welt. Dieser nimmt seine Geige und verlässt Die Erzählung wurde 1826 veröffentlicht. Das Werk gilt als das Dorf, ohne ein Ziel vor Augen zu haben. Auf seiner Reise, beispielhaft für die romantische Literatur. die ihn bis nach Rom führt, erlebt er allerlei Abenteuer und findet am Ende sein Liebesglück. Alex Bieli: Texte knacken © hep verlag, Bern 2014 38 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 38 30.01.14 17:33 Aufgaben und Fragen Nr. 1. 2. Aufgaben und Fragen Lösungen, Antworten Erklären Sie die Bedeutung emsig Z. 2 dieser Begriffe mit einem (hatte) rumort Z. 4/5 anderen Wort (Synonym). recht artig Z.14 im Gemüte Z.20 Pt. 4 Aus welcher Perspektive wird erzählt? 3. 1 Ordnen Sie die Begriffe kor- Welt des Vaters: Welt des Sohnes: rekt zu. Vier Begriffe passen nicht. Welche? Begriffe: Träumereien, Sicherheit, Natur, Arbeit, Armut, Dorf, Studium, weite Welt, Konventionen, Angst, Bodenständigkeit, Abenteuer, Religion, Individualität 4. 5. Begriffe, die nicht passen: Welche Aussagen zum Text A) Aus der Perspektive des Sohnes ist der Titel ironisch gemeint. sind korrekt? Kreuzen Sie B) Die Vater-Sohn-Beziehung ist zerrüttet. an. C) Die meisten Kameraden arbeiten auf dem Feld. D) Der Sohn verlässt sein Dorf mit Wehmut. E) Das Gedicht verdeutlicht die schwärmerischen Ideen des Sohnes. Beantworten Sie die Fragen stichwortartig oder mit einem kurzen Satz. 7 (je ½) 3 Mit welchem wiederkehrenden Motiv wird die Freiheit dargestellt? Welches Motiv symbolisiert die Alltagsrealität des Vaters? Welche Bedeutung hat Gott für den Sohn? Welcher Bezug zum heutigen Leben lässt sich herstellen? 8 6. Beschreiben Sie stichwortar- Wortwahl: tig die verwendete Sprache Satzbau: und erklären Sie die Wirkung der beiden Besonderheiten. Besonderheit 1: Es kommen viele Sätze mit »ich« vor. Wirkung: Besonderheit 2: Das Gedicht. Wirkung: 4 Alex Bieli: Texte knacken © hep verlag, Bern 2014 39 Texteknacken_Arbeih_1A_14.indd 39 30.01.14 17:33