Kreatives Schreiben zum Thema „Kurzprosa verstehen“ (Jg. 9)
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Kreatives Schreiben zum Thema „Kurzprosa verstehen“ (Jg. 9)
Kreatives Schreiben zum Thema „Kurzprosa verstehen“ (Jg. 9) Aus einer anderen Perspektive schreiben: Die Kurzgeschichte „Die Tochter“ von Peter Bichsel aus der Perspektive des Vaters erzählen: Zur Unterrichtsreihe: In der Unterrichtsreihe „Kurzprosa“ verstehen, haben wir die Kurzgeschichte „Die Tochter“ von Peter Bichsel gelesen. In der Geschichte geht es darum den Ablösungsprozess der Eltern von ihrer Tochter, die sich als erwachsen werdende junge Dame immer mehr von ihren Eltern entfernt. Sie arbeitet in der Stadt, ist kaum noch zu Hause. Die Eltern wiederum leben ihr Leben trotzdem für ihre Tochter. Man fragt sich als Leser, ob die Eltern überhaupt einen anderen Sinn im Leben sehen. Diese Wirkung erzielt Bichsel dadurch, dass er das Warten der Eltern auf die Tochter am Abendbrottisch beschreibt. Es wird vorwiegend aus der Außensicht erzählt, aber immer wieder gesagt, dass die Eltern „warten“ und sich „vorstellen“, was ihre Tochter gerade macht, dabei sprechen sie kaum miteinander. Welche Gedanken Vater und Mutter tatsächlich durch den Kopf gehen, spart er aus. Um diese Leerstelle zu füllen und herauszufinden, wie die Geschichte wirkt, wenn man sie aus der Perspektive des Vaters oder der Mutter erzählt, schrieben wir sie um. Hier ist ein Textbeispiel von Franziska Erhard: Er und seine Frau saßen am gedeckten Abendbrottisch. Es war zwar noch eine Stunde hin, bis sie essen konnten, schließlich war Monika noch nicht da, doch es machte keinen Unterschied, ob sie hier oder im Wohnzimmer saßen. Außerdem machte es die Gewohnheit, denn früher hatten sie schon um halb sieben gegessen. Doch nun arbeitete Monika in der Stadt. Sie war nun eine richtige Lady; Sie ging über Mittag in einen Tearoom, rauchte und arbeitete als Bürofräulein. Von ihrem Lohn konnte sie sich viele tolle Sachen kaufen, wie einen Hocker aus marokkanischem Leder und die verschiedensten Fläschchen und Döschen. All das hatten sie sich nie leisten können und hätten auch nie zu träumen gewagt, dass ihre Tochter es einmal könnte. Er hätte sich gerne darüber gefreut, doch seit Monika arbeitete, war er unglaublich einsam. Klar hatte er seine Frau, doch das war nicht dasselbe, wie in die strahlenden Augen seiner Tochter blicken zu können. Doch die sah er jetzt nur noch ganz selten. Sie ging morgens früh aus dem Haus und abends kam sie erst spät wieder, zu müde, um ihnen von ihrem Tag zu erzählen. Sie verschwand immer schnell ins Bett oder telefonierte noch mit einer Freundin. Nein, sie verbrachten nicht viel Zeit miteinander. Also musste er sich vorstellen, was sie so den Tag über machte. Wie sie beiläufig in der Bahn ihr rotes Etui mit dem Abonnement aufschlägt und vorweist, wie sie sich auf dem Weg ins Büro angeregt mit ihren Freundinnen unterhält, wie sie den Gruß eines Herrn lächelnd erwidert. Doch am liebsten mochte er die Vorstellung, wie sie heimkommt und mit ihnen essen würde. Ohne dass sie sich beeilte, weil sie noch in ihrem Modejournal lesen wollte. Wie sie ihnen von ihrem Tag erzählte und sagte, dass sie sie lieb hatte und sie nie verlassen würde. Ja, das wäre schön. Er wusste, dass seine Frau dasselbe dachte. Er sah es an ihrem melancholischen Gesichtsausdruck. Überhaupt wusste er viel zu viel über sie. Dreißig Jahre verheiratet, das war eine lange Zeit. Wenn sie redeten, dann über ihre Tochter. Sie beide hatten Angst davor, dass sie ausziehen und heiraten würde. Dann würden sie sie noch seltener sehen. Auf einmal sprang die Mutter auf. „Ich habe den Zug gehört“, rief sie und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.