Historie 4 - Agrarheute

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Historie 4 - Agrarheute
80 JAHRE AGRARTECHNIK
Die goldenen Jahre
Teil 4: Der Zeitraum von 1951 bis 1960
Eigentlich hätten die deutschen Bauern zu Beginn der
50er Jahre allen Grund gehabt, stolz auf ihre Leistungen
zu sein. Mehr als zehn Städter vermochte jeder von ihnen
zusätzlich satt zu machen, was Garant dafür war, dass die
unmittelbare Nachkriegszeit friedlich gemeistert wurde.
Um dieses Ziel zu erreichen, hatten Bäuerinnen und
Bauern sich nicht geschont und länger gearbeitet als die
meisten anderen Beschäftigten.
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ichtige Freude wollte dennoch
nicht aufkommen. Strukturelle
Probleme belasteten den
Berufsstand zu einem Zeitpunkt, da Ludwig Erhard nicht müde wurde,
die Segnungen der Sozialen Marktwirtschaft zu preisen. Wirtschaftlichkeit war
nun das Gebot der Stunde, doch was sollte
man machen bei zu vielen und zu kleinen
Betrieben, bei engen Dörfern und einer
allemal unwirtschaftlichen Parzellierung
der Flur? Ohne Zweifel, da standen der traditionellen Landwirtschaft massive Umbrüche bevor, die berechtigten Anlass zur
Sorge boten. Drei Landwirtschaftsminister
– Niklas, Lübke und Schwarz – setzten im
Verlauf der 50er Jahre alles daran, strukturelle Anpassungsprozesse in Gang zu
setzen und sozialverträglich durchzuführen.
Strukturwandel –
kein „neuer“ Trend
Erste Erfolge dieser Maßnahmen blieben
nicht aus. Die Zahl der Betriebe sank binnen eines Jahrzehnts um fast 300 000 auf
1,36 Millionen (1960). Im Gegenzug hatte
die Fläche je Betrieb von acht auf 9,3 Hektar zugenommen und auch die Flurbereinigung schritt voran. Weniger Bauern bewirtschafteten nun größere und – häufiger
als zuvor – arrondierte Felder mit dem
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Ergebnis, dass im Jahre 1960 laut Statistik
jeder westdeutsche Landwirt 17 Städter
zusätzlich mit Nahrung zu versorgen imstande war.
Über alle diese Sachverhalte erhielt man
nun präzise Auskunft! Seit der Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes
vom 3. September 1955, aus dem heraus
sich später der „Grüne Plan“ entwickelte,
war die Landwirtschaft durchsichtig geworden wie ein Glashaus. Über Enten, Gänse
und Hühner wusste man ab sofort ebenso genau Bescheid wie über Hektarerträge,
Milchleistungen und bäuerliche Einkommen.
Da lag es nahe, auch der Mechanisierung breite Aufmerksamkeit zu widmen.
Mehr denn je schlugen die DLG-Ausstellungen mit Maschinenfeld und Landmaschinen-Lehrschau, mit Schleppergeschicklichkeitsfahren und Demonstrationen
zum „bäuerlichen Werken“ innovationsbereite Landwirte in ihren Bann. 817 000
Besucher, so viele wie nie wieder, wurden
1951 in Hamburg gezählt, 560 000 waren
es 1953 in Köln und auf der Theresienwiese in München kamen 1955 immer noch
mehr als 510 000 Menschen zusammen,
um Schlepper und Mähmaschinen, Häcksler sowie Roder zu bestaunen. Und sie beließen es nicht beim Schauen. Wer unter
den Bauern etwas auf sich hielt, der orderte
den neuen Traktor, die neue Maschine
gleich auf der Messe. Auf zahlreichen Exponaten klebte bei Ausstellungs- ende der
Hinweis: „Verkauft an...“ und kein Kunde
hatte etwas dagegen, wenn er als Käufer
genannt wurde.
Rekorde bei den Neuzulassungen
Besonders hoch in der Gunst der Landwirte aber standen die Traktoren. Bei den
Neuzulassungen waren Rekorde an der
Tagesordnung. 1955 wäre um ein Haar
sogar die magische HunderttausenderGrenze erreicht worden, wobei es der
Marktführer Hanomag allein auf 12 793
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Dieser Lanz-Bulldog mit
Dreischar-Anbaupflug
war eine Mechanisierungslösung für große
Betriebe.
Neuzulassungen brachte. Es folgten auf
den Plätzen zwei und drei KHD sowie
Lanz, während die Ränge vier und fünf von
den bayerischen Schlepperschmieden
Fendt und Eicher eingenommen wurden.
Importierte Traktoren spielten dagegen
nur eine untergeordnete Rolle. Ferguson
und Ford standen mit bescheidenen Markt-
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Bilder: Herrmann, Archiv
der Landtechnik
anteilen von 1,1 Prozent und 0,2 Prozent
noch am besten da.
Viele der Schlepperhersteller überboten
sich mit Produktionsrekorden. Kaum
teilte Fendt 1952 die Auslieferung des
20000sten Dieselrosses mit, da ließ Lanz
1953 die Bauern wissen, der 150 000ste
Bulldog sei vom Band gelaufen. Daimler-
Benz wiederum feierte in
Gaggenau 1954 die Produktion des 10 000sten Unimogs
und geradeso ging es bei Allgaier, Eicher und Schlüter
zu. Als „Schlepperitis“ wurde gelegentlich die Begeisterung für den Traktor bezeichnet, die aber auch
Kritik hervorrief. So wurde vor einer überbordenden Typenvielfalt gewarnt, die so
lange als Ärgernis empfunden wurde, wie
Anhänge- und Anbauvorrichtungen nicht
aufeinander abgestimmt waren. Typisierung und Standardisierung waren gefragt
und ließen dank des vereinten Einsatzes
von Verbänden, Herstellern und Nutzern
nicht lange auf sich warten.
Die „Schlepperwelle“ der 50er Jahre hatte viele Väter. So legte der Zwang zum
rationellen Wirtschaften den Einsatz eines
Traktors nahe. Berechnungen hatten
ergeben, dass dank seiner Hilfe eine
Arbeitskraft ihr Leistungsvermögen von
1951 mit 5,3 Hektar auf 1960 mit 13 Hektar aufzustocken vermochte. Überdies
arbeitete der Traktor schneller und ließ sich
einfacher und vielseitiger einsetzen als die
konkurrierenden Zugtiere. Hier wirkten sich
die Vorzüge von Luftbereifung, Dreipunktaufhängung, Zapfwelle und Regelhydraulik aus. Sie hatten bloße Zugmaschinen zu
selbstfahrenden Antriebs- und Kraftzentralen werden lassen, ohne die es seitdem
in der Landwirtschaft nicht mehr geht.
Investitionen vervielfacht
Allerdings benötigten die Landwirte die
dazu passenden Anbaugeräte, wie sie in
rascher Folge von den Landmaschinenherstellern entwickelt wurden. Und die
Landwirte nahmen das Angebot an. Die
Aufwendungen der westdeutschen Landwirtschaft für Landmaschinen und Schlepper vervielfachten sich von 1950/51 mit
0,725 Milliarden Mark auf 1960/61 mit 2,650
Milliarden Mark und entwickelten sich zu
einer Größe von beachtlicher wirtschaftliA
cher Bedeutung.
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es kein Halten mehr. Im Jahre 1960 standen bereits 54 000 Mähdrescher auf den
westdeutschen Betrieben, die einen ständig größer werdenden Teil der Getreidefläche abernteten. Die Entwicklung ging in
diesem Fall eindeutig zulasten von Mähund Dreschmaschinen, deren technisches
Potenzial offensichtlich ausgereizt war.
Wenn es an den landtechnischen Instituten der fünfziger Jahre ein Zauberwort gab,
dann lautete es „Mechanisierungskette“.
Doch was verbarg sich dahinter? Jedem
Landwirt sollten für alle Tätigkeiten in Hof
und Flur passende, aufeinander abgestimmte Maschinen an die Hand gegeben
werden. Diese Abstimmung galt sowohl
für die Technik als auch für den Tätigkeitsablauf. Da wurden Zeitberechnungen
angestellt und Bedarfswerte ermittelt, da
ging es um Synergieeffekte und Harmonisierung. „Von oben nach unten“ sollte gearbeitet werden und wehe, es wurde getragen, was rollen konnte. Der „EinmannBetrieb“ wurde Realität, vorausgesetzt, der
Bauer konnte die erforderlichen Investitionen finanzieren.
Geschicklichkeitswettbewerbe mit Schleppern
waren auf den DLG-Ausstellungen stets ein
riesiger Erfolg.
1955. Und als 1958 in Darmstadt-Kranichstein das neue Schlepper-Prüffeld unter
der Leitung von Prof. R. Franke in Betrieb
genommen werden konnte, da bestand
kaum mehr ein Zweifel, dass die Bauern
technisch gute, funktional ausgereifte Fahrzeuge zur Verfügung gestellt bekamen.
Die Mechanisierung der 50er Jahre erschöpfte sich keineswegs mit dem Traktor.
Landmaschinen aller
Art erlebten eine nie
gekannte Konjunktur.
So wurde zum einen
Bewährtes verbessert,
zum anderen aber
gelang die Konstruktion völlig neuer Maschinentypen. Staunend registrierten die
Landwirte, wie Jahr
um Jahr bessere
Kartoffel- und Rübenernter, Feldhäcksler,
rotierende Bodenbearbeitungsgeräte oder Bestellkombinationen Praxisreife erlangten.
Mähdrescher boomten
In besonderer Weise fiel der Siegeszug
des Mähdreschers auf. 1951 nur in geringer Stückzahl vorhanden, erlebte er in der
gezogenen Version eine erste Blüte. So
richtig Furore jedoch machte er, als Mitte
der 50er Jahre selbstfahrende Mähdrescher auf die Betriebe gelangten. Nun gab
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Mähdrusch in den
50er Jahren: Unimog
plus Claas-Super.
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Die Motorisierung der Landwirtschaft der
frühen 50er Jahre wäre ohne ungezählte
Vortragsveranstaltungen, Vorführungen
und Maschinenvergleiche kaum zustande
gekommen. Landwirtschaftskammern, Hersteller, Forschungseinrichtungen, Händler
und immer wieder auch LandmaschinenFachbetriebe präsentierten sich als Veranstalter und stießen bei den neuerungswilligen Bauern auf beste Resonanz.
Unvergessen sind in diesem Zusammenhang unter anderem die großen Demonstrationen von Maschinen des Kartoffelbaus auf dem ESSO-Hof in Dethlingen.
Bahnbrechend wirkte ferner in Süddeutschland Paul Mertznich mit seiner landtechnischen Schulungseinrichtung auf dem
Baldenweger Hof bei Freiburg. Breitenwirkung entfaltete schließlich auch die ERPKleinschlepper-Vergleichsprüfung von
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Wenn Technik erklärt wurde, hörten die Bauern Anfang der 50er Jahre begierig zu.
Einen weiteren Mechanisierungssprung nach vorne brachten die selbstfahrenden Mähdrescher,
hier der MD 18 S von
Lanz.
Innenwirtschaft zog nach
Die Mechanisierungsketten blieben keineswegs nur auf die Außenwirtschaft begrenzt. Sie bezogen das ländliche Bauen
ebenso ein wie den gesamten Katalog der
Tätigkeiten in Haus und Hof. Für die Arbeiten im Milchviehstall war dies naheliegend. Mit dem vermehrten Einsatz von
Melkmaschinen und Kühlanlagen wurde
nicht nur Zeit gespart, es wurde vielmehr
der gesamte Arbeitsablauf konditioniert. A
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Doch der Mechanisierungsboom wirkte
noch umfassender. Längst hatte er, wie
es zeitgenössisch hieß, „das Reich der
Bäuerin“ erfasst. Elektrogeräte, vom Bügeleisen bis zum Herd, Waschmaschinen,
Gefriertruhen, kurzum, nichts aus der Welt
der „weißen Ware“ blieb dem landwirtschaftlichen Haushalt fremd. Dort standen
die Geräte der Bäuerin und dem Bauern
gleichermaßen zur Verfügung. Und siehe
da, wie die Technik zur Emanzipation der
Frauen in der Außenwirtschaft beigetragen hatte, so bildeten technische Geräte
umgekehrt die beste Voraussetzung für
ein verstärktes Engagement der Bauern in
der Hausarbeit. Ob auf dem Feld oder im
Haus, unaufhaltsam schritt die Technik
voran, bis Visionäre keine Bedenken mehr
hatten, die Landwirtschaft der Zukunft im
Zustand der Vollmechanisierung zu sehen.
Rasantes Wachstum
Der Maschinenbestand hatte 1960 eine
zuvor nicht gekannte Höhe erreicht.
Nimmt man nur die Traktoren, so war
ihre Zahl in Westdeutschland binnen
eines einzigen Jahrzehnts von 139 000
auf 855 000 geradezu explodiert. Auch
in der DDR fasste die Mechanisierung
Fuß. Aus den 39 000 Traktoren von
1950 waren 1960 rund 71 000 Zugmaschinen geworden, was als großer
Fortschritt gewertet wurde. Nicht anders sah es bei Düngerstreuern,
Hackmaschinen, Höhenförderern,
Kartoffelerntern, Melkmaschinen
und vielen anderen Maschinengattungen
aus. Nimmt man die Zahlen für Westdeutschland, dann existierten sie jeweils
Melkmaschinen
eröffneten den Kunden neue Perspektiven und enorme
Zeitersparnis.
in etlichen hunderttausend Exemplaren auf
den Betrieben.
Der starke Maschinenbesatz hatte aber
auch die Konsequenz, dass die Zahlen an
Aussagewert einbüßten. Pflug war eben
doch nicht gleich Pflug und Sämaschine
Mit
Karikaturen warben
viele Anbieter für die Mechanisierung der
Haus- und Hofwirtschaft.
Mit dem Roder VR 1 revolutionierte Lanz die Kartoffelernte.
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nicht gleich Sämaschine. Die Differenzierung innerhalb einzelner Maschinengattungen hatte solche Ausmaße angenommen, dass die bloße Auflistung unter einem
Gattungsnamen keinen Sinn mehr machte. Im öffentlichen Interesse standen jetzt
die Bestände an Flugzeugen und Hochseeschiffen – Pflüge und Eggen kamen den
Statistikern eher selbstverständlich vor.
So konzentrierten sie sich fortan auf die
Erfassung einiger weniger landwirtschaftlicher „Leitmaschinen“ wie Ackerschlepper, Mähdrescher und Melkmaschinen,
was ausreichte, um den Umfang der
landwirtschaftlichen Mechanisierung zu
erfassen.
3 500 LandmaschinenFachbetriebe
Hersteller und Anwender von Landtechnik
fungieren seit jeher wie Pole, die erst durch
leistungsstarke Unternehmen des Handels
und der Service-Einrichtungen zu einer
funktionierenden Abstimmung gelangen.
Reibungsverluste der Mechanisierung minimieren, das war denn auch in den 50er
Jahren eine der zentralen Aufgaben der –
damals noch nicht so genannten – Landmaschinen-Fachbetriebe. Ottmar Schweizer (Limburgerhof), Franz Kleine (Salzkotten), Müller (Nordstemmen) und Tiemann
(Bremen) zählten zu jenen 3 500 Betrieben, die mit ihren annähernd 25 000 Mitarbeitern alles daran setzten, Landmaschinenindustrie und Landwirte in ihren
Wünschen und Forderungen aufeinander
abzustimmen. Und sie blieben nicht an
den nationalen Grenzen stehen. 1953
bereits wurde in Paris das „Centre International de Liaison des Merchands Reparateurs de Machines Agricoles (CLIMMAR)
gegründet und der Blick damit zu einem
Zeitpunkt auf die internationale Entwicklung
gerichtet, als das Denken in Wirtschaftsräumen andernorts noch in den Kinderschuhen steckte.
Dr. Klaus Herrmann
AGRARTECHNIK APRIL 2001