Historie 2 - Agrarheute
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Historie 2 - Agrarheute
80 JAHRE AGRARTECHNIK Acht Jahrzehnte Teil 2: Von der Weltwirtschaftskrise bis zum Zweiten Weltkrieg Als am 5. Februar 1931 der Verband der Deutschen Landmaschinen-lndustrie in Berlin tagte, war die Stimmung der Herren um Fabrikbesitzer Otto Sack, Leipzig, gedrückt. Sinkende Nachfrage und Preisverfall auf der einen bei gestiegenen Kosten auf der anderen Seite waren untrügliche Anzeichen einer schweren wirtschaftlichen Krise. Z u hausgemachten Problemen wie Überlastung der Wirtschaft, massiven staatlichen Eingriffen und politischer Instabilität kamen internationale Faktoren hinzu. Beklagt wurde vor allem die “Übererzeugung der großen überseeischen Getreideländer, die unter forcierter Anwendung weitestgehender Mechanisierung ihre Erträge außerordentlich erhöht” hatten. Zollschutz gegen billige Importe wurde deshalb von den Bauernvertretern eingefordert und gewährt. Bei Weizen betrug er zeitweise 150 Prozent des Warenwertes und bei Futtergerste waren es fast 200 Prozent. “Ohne Moos nichts los” Doch dies reichte nicht aus, um die Lage der Bauern zu stabilisieren. Zwangsversteigerungen waren an der Tagesordnung 6 und wer denkt nicht an den Roman von Hans Fallada “Bauern, Bonzen und Bomben”, in dem die traurige Lage der schleswig-holsteinischen Landwirte eindrucksvoll gewürdigt wurde. ”Ohne Moos nichts los”, heißt es heute, gleiches galt auch für das Jahr 1931. Im Vergleich zu 1927/28 sank der Landmaschinenumsatz im Erntejahr 1930/31 auf ein Drittel, was bei den Technikproduzenten Betriebsstillegungen und Unternehmenskonkurse zur Folge hatte. Auch die agrartechnische Forschung blieb nicht ungeschoren. An allen Landmaschinen-Instituten, von Königsberg bis Bonn, von Halle bis Breslau, überall wurden Projekte gestrichen und Personal abgebaut. Das 1929 voller Erwartungen für einen der hoffnungsvollsten jüngeren Landtechniker, Carl Heinrich Dencker, in Landsberg/Warthe eingerichtete Landmaschinen-Institut mußte 1932 sogar ganz geschlossen werden. Häcksler waren Verkaufsschlager Dennoch, die reichsweite landwirtschaftliche Betriebszählung von 1933 zeigte, dass sich allen Widrigkeiten zum Trotz der Mechanisierungsgrad der deutschen Landwirtschaft weiter erhöht hatte. Auf einem neuen Höchststand befanden sich sowohl die Maschinenverwendung als auch der Bestand an Landmaschinen. Hinzu kam, dass neue Maschinengattungen eingeführt worden waren, die sich sogleich als “Renner” beim Verkauf erwiesen. Dies galt zum Beispiel für Höhenförderer, Greiferaufzüge und Gebläse, die 1933 bereits in rund 60 000 Betrieben zum Einsatz kamen. Strohbinder und -pressen wurden sogar schon auf 175 000 Betrieben verwendet. Die Zahl der Melkmaschinen schnellte von etwa 50 im Jahre 1924 auf nunmehr rund 12 000 hoch. Die mit Abstand am weitesten AGRARTECHNIK FEB 2001 voller Dynamik geräte begannen den Alltag der Bäuerin zu erleichtern. Dampfpflüge als Verlierer verbreiteten “Hilfsmittel” stellten jedoch die Häckselmaschinen dar, die auf rund 1,8 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben arbeiteten. Gut entwickelt hatten sich auch die Bestandszahlen bei Heuwendern, Kartoffelerntem, Sämaschinen, Düngerstreuern sowie Dreschmaschinen mit Kraftantrieb. Bei den Kraftmaschinen hatte der Elektromotor seinen Siegeszug fortgesetzt. Über ihn verfügte am Ende der Weimarer Republik mehr als jeder dritte Betrieb. In seinem Gefolge kamen erste Tiefkühlanlagen für Milch auf die Bauernhöfe, und die bäuerliche Hauswirtschaft wurde – zuerst behutsam, dann jedoch vehement – revolutioniert. Wasserpumpen, Elektroherde, Waschmaschinen und sonstige Elektro- AGRARTECHNIK FEB 2001 Hinsichtlich des absoluten Zuwachses konnten Schlepper und Motorpflüge nicht mit den Elektromotoren konkurrieren. Aber 16 600 betriebseigene Schlepper zeigen an, dass das Vertrauen in die neue Technik zunahm. Verlierer hingegen waren die Dampfpflüge. 994 dieser Ackergiganten wurden noch gezählt, die sich vor allem auf Großgrundbesitzen oder im überbetrieblichen Einsatz zu bewähren hatten. Doch was zählte dies alles angesichts der großen politischen Veränderungen des Jahres 1933? Walter Darre, am 29. Juni 1933 zum Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft geworden, stand der Technik auf dem Land mehr als skeptisch gegenüber. Er machte sie mitverantwortlich für die hohe Arbeitslosigkeit und forderte in Reden das Verbot solcher Landmaschinen, “die menschliche Arbeitskraft ersetzen”. So gehörte schon Mut dazu, als die Landmaschinen-Industrie auf der Berliner DLG-Ausstellung von 1933 etwa 6000 verschiedene Maschinen und Geräte präsentierte. Genutzt hätte dies jedoch wenig, wenn es nicht innerhalb der nationalsozialistischen Agrarpolitiker eine starke Fraktion mit Staatssekretär Herbert Backe an der Spitze gegeben hätte, die nichts von einem “Landmaschinensturm” hielten. Ihre Position gewann in dem Maße an Gewicht, wie die Ziele der 1934 verkündeten “Erzeugungsschlacht” nicht erreicht werden konnten. Auch kam ihnen die ungebrochen anhaltende Landflucht zugute. Sie betraf übrigens besonders die Betriebe in der Größenordnung zwischen fünf und 20 Hektar, die eigentlich unter ideologischen Gesichtspunkten am meisten gefördert werden sollten. Zeit sparen und Verluste verringern Und Backe setzte sich durch mit seinem Bekenntnis zur Technik, die “Zeit zu ersparen, Arbeit zu erleichtem, Arbeit zu verbessern, Verluste herabzusetzen” habe. Ab 1935 erfasste eine neue Mechanisierungswelle die landwirtschaftlichen Betriebe, die allerdings nach politischen Vorgaben “geplant” verlaufen sollte. Mechanisierungskonzeptionen wurden entwickelt und auf den Reichsnährstandsschauen unter die Bauern gebracht. “Kampf um die Nahrungsfreiheit” lautete die übergeordnete Losung, die durch den Einsatz von Kartoffel- und Rübenrodern ebenso erreicht werden sollte wie durch die vermehrte Verwendung von Schleppern und luftbereiften Ackerwagen. Und der Staat beließ es nicht bei der bloßen Ankündigung. Er traf vielmehr etliche Maßnahmen, die die Mechanisierung beschleunigen sollten. So wurden die Aktion “Beispielswirtschaften” und die “RKTL-Elektrodörfer” finanziell unterstützt. Auch gab es ab 1937 im Rahmen einer Reichsbeihilfe zur Förderung des Maschineneinsatzes Zuschüsse für solche Betriebe, die neue Maschinen kauften, und ein Jahr später (1938) wurde eine generelle Preissenkung für Landmaschinen veranlasst. Unterstützt Der “Elfer-Deutz” FIM 414 von 1936, ein so genannter “Bauernschlepper”. 7 A 80 JAHRE AGRARTECHNIK Lanz-Bulldog mit “Stahlbereifung” um 1935. wurde die Landmaschinen-Industrie bei Typisierung, Normung von Maschinen und Teilen, Spezialisierung in der Herstellung, Konstruktion von Vielfachgeräten sowie bei der Rationalisierung der Produktion. Beachtliche Fortschritte Dieses breit angelegte Maßnahmenbündel blieb nicht ohne Wirkung. Mitte 1939 sprach man von unübersehbaren Fortschritten auf allen Feldern der Mechanisierung, schränkte allerdings ein, dass das Optimum nicht erreicht sei. Offensichtliche Lücken sah man unter anderem bei Schleppern, Ackerwagen, Vielfachgeräten, Elektromotoren und Düngerstreuern, doch mehr war wohl angesichts der seit 1936 massiv betriebenen Rüstungsgüterproduktion nicht zu erreichen. Im Mai 1939, also unmittelbar vor Kriegsbeginn, führte das Statistische Reichsamt erneut eine Betriebszählung durch. Der dabei sichtbar gewordene Mechanisierungsfortschritt war beachtlich. Gegenüber 1933 war die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe, die sich zum Maschineneinsatz bekannten, um 120 000 angewachsen. Hier wirkte sich unter anderem die überbetriebliche Verwendung von Drillmaschinen, Düngerstreuern und Bindemähern in Maschinengemeinschaften oder Maschinengenossenschaften aus. Daneben hatte aber auch der Bestand an betriebseigenen 8 Landmaschinen stark zugenommen. So war binnen sechs Jahren die Zahl der Greiferaufzüge, Höhenförderer und Gebläse von 63 000 auf 157 000 hochgeschnellt und auch bei Hackmaschinen, Kartoffelund Rübenrodern, bei Dreschmaschinen mit Kraftantrieb sowie Düngerstreuern boomte die Konjunktur. Große Fortschritte hatte ferner die Ausstattung der deutschen Landwirtschaft mit Kraft- und Antriebsmaschinen zu verzeichnen. Elektromotoren rangierten mit 1,65 Millionen Stück an erster Stelle, bei stationären Verbrennungsmotoren und Ackerschleppern konnten sich die Zuwachsraten ebenfalls sehen lassen. Von letzteren befanden sich inzwischen übrigens 60 000 im Einsatz, wobei sich trotz gegebener Typenvielfalt einige Trends bei der Motorisierung der Außenwirtschaft abzeichneten. So hatten die so genannten “Großschlepper” – im zeitgenössischen Sprachgebrauch handelte es sich hier um Traktoren mit mehr als 22 PS – weit weniger stark zugenommen als die politisch geförderten “Bauernschlepper” mit einer Motorleistung zwischen acht und 22 PS. Auch wuchs die Zahl der luftbereiften Traktoren im Vergleich zu eisenbereiften Zugmaschinen weiter. Die im Jahre 1934 aus den USA übernommene Luftbereifung fand dank der verbesserten Einsatzmöglichkeiten umgehend den Beifall deutscher Bauern. Die letzte Ausstellung vor dem Krieg fand 1939 in Leipzig statt, hier die Einladungsanzeige von IHC. Variabel einsetzbar, robust Der starke Zuspruch für die so genannten Bauernschlepper, darunter vor allem auch der 1936 erstmals auf den Markt gebrachte 11-PS-Deutz, erklärte sich durch ihre offensichtlichen Vorzüge. Variabel im Einsatz, reparaturunanfällig und für die damalige Zeit bedienungssicher, leiteten sie für zahlreiche Betriebe die Motorisierung ein. Besonders seit den 1937/38 in PotsdamBornim durchgeführten KleinschlepperVergleichsprüfungen gab es an der Eignung dieser Zugmaschinen als “Spitzenbrecher” kaum mehr Zweifel. Daneben existierten schließlich eine größere Anzahl von “Kleinschleppern”, Traktoren mit weniger als acht PS. Ihre bevorzugte Heimat war Süddeutschland, wo sie sich unter Bezeichnungen wie “Dieselroß” oder “Allesschaffer” als Zugmaschinen ebenso zu bewähren hatten wie als selbstfahrende Mähmaschine. Handel und Hersteller waren zufrieden Dies alles registrierten LandmaschinenHersteIler und -Handel mit Genugtuung. Spätestens ab 1937 galten ihre Kapazitäten als ausgelastet, nicht wenige Bauern mussten sich auf Wartezeiten einstellen. Binnen kürzester Zeit hatte die Landtechnik ihr positives Image wieder zurückerobern können. Landauf landab stand sie für Innovation und Effizienz, und wer es sich unter den Landwirten leisten konnte, griff auf ihre Möglichkeiten zurück. Entsprechend lang ist die Liste der in den 1930er Jahren realisierten neuen Landmaschinen. Sie reicht von der Welger’schen Der Claas-Mähdrescher MDB im Einsatz mit LanzBulldog (um 1936). AGRARTECHNIK FEB 2001 Schwingkolbenpresse über den Lanz Allzweck-Bauern-Bulldog bis hin zum ersten mitteleuropäischen Mähdrescher, dem bei Claas im westfälischen Harsewinkel gebauten Typ MDB. Zusammen mit vielen anderen Neukonstruktionen markiert jede dieser Maschinen einen eindrucksvollen und bis in das 21. Jahrhundert nachwirkenden Meilenstein der landtechnischen Entwicklung. Zusammen stehen sie für das Bemühen von Ingenieuren, Herstellern und Bauern, sich trotz politischer Gängelei von dem Ziel der qualifizierten technischen Unterstützung der Nahrungsmittelerzeugung auch in schwerer Zeit nicht abbringen zu lassen. Die im Juni 1939 in Leipzig durchgeführte Reichsnährstandsschau schien der landwirtschaftlichen Mechanisierung beste Perspektiven zu eröffnen. Ihr Angebot faszinierte und ihr Potenzial war unbestritten. Doch die Freude währte nur kurz. Wenige Wochen nach der Ausstellung begann der 2. Weltkrieg. Schlagartig erhielt die Rüstung absoluten Vorrang, Landwirtschaft und Landtechnik hatten ins hintere Glied zurückzutreten. Daran vermochte auch der AGRARTECHNIK FEB 2001 Rau-Einzelparallelogramm-Hackmaschine mit Vorderwagen für den Gespannzug (1938). unmittelbar nach Kriegsbeginn einsetzende Arbeitskräftemangel auf dem Lande nichts zu ändern. Berechnungen ergaben, dass allein im Jahr 1939 kriegsbedingt eine Million männliche Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft abgezogen worden sind. Auch wurden rund 20 Prozent der sonst landwirtschaftlich eingesetzten Arbeitspferde für Kriegszwecke requiriert. Diesen im Zuge des Westfeldzugs 1940 weiter ansteigenden gewaltigen Aderlass zu kompensieren, war – wenn überhaupt – nur durch Technik möglich. Doch die Kriegswirtschaft hatte nun einmal ihre eigenen Gesetze. Dr. Klaus Herrmann 9