Kafka Der Proceß Protokoll_05.12. - UK-Online

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Kafka Der Proceß Protokoll_05.12. - UK-Online
Universität zu Köln
Institut für deutsche Sprache und Literatur I
Proseminar: Kafkas Romane und Erzählungen
WS 2012/13
Dozent: Sebastian Goth
Protokollantin: Stefanie Flam
Stundenprotokoll zur Sitzung vom 05.12.2012
Textgrundlage: „Der Proceß“ von Franz Kafka
Entstehungskontext:
- Zeitraum der Entstehung: 11.08.1914 – 20.01.1915
- Anders bzw. bewusster konzipiert als Der Verschollene: Anfang und Ende wurden zuerst
geschrieben, um einen Rahmen zu schaffen; erst danach sollte der Mittelteil entstehen.
Dieses Vorhaben führte jedoch nicht zum Erfolg, da es im Widerspruch zu Kafkas
eigenem Anspruch als Schriftsteller stand. „Der Proceß“ ist also ebenfalls ungewollt
Fragment geblieben.
→ Kafka scheitert an seinen eigenen Großwerken
- Konstrukt des Herausgebers: Die Reihenfolge der Kapitel wurde vom Herausgeber
festgelegt, nicht von Kafka selbst. Der Status der fertigen Kapitel ist hingegen klarer, da
Kafka sie mit Deckblatt und Titel versehen hatte.
Biographischer Kontext:
- Juni 1914: Verlobung Kafkas mit Felice Bauer
- 12. Juli 1914: Auflösung der Verlobung im Berliner Hotel „Askanischer Hof“. Kafka
hatte einer Freundin von Felice Bauer (Grete Bloch) Briefe geschrieben, in denen er seine
Zweifel an der Verlobung mit Felice zum Ausdruck bringt. Die Freundin hatte Felice die
Briefe zensiert gezeigt und so wurde die Verlobung im Rahmen eines Treffens zwischen
Kafka, Felice Bauer, besagter Freundin und Felices Schwester Erna gelöst.
→ „Gerichtshof im Hotel“ beschreibt Kafka diese Szene später im Tagebuch
→ Hält Kafka eventuell Gericht mit sich selbst?
→ Text enthält mehr Perspektiven als nur die familiäre/biographische
Beginn des Textes:
- Völlig unvermittelter Einbruch (medias in res = mitten in die Dinge) des Gesetzes in
geordneten Ablauf der Dinge bzw. Tagesablauf des Josef K.
- Grund für den Besuch der Wächter bleibt unklar
- Einbruch verläuft parallel: Einerseits der Einbruch des Gesetzes in Josef K.’s geregelten
Tagesablauf, andererseits der unvermittelte Anfang für den Leser.
- Größtenteils personale Erzählperspektive (unterstützt den unvermittelten Anfang für den
Leser), aber auch auktoriale Einschübe vorhanden („wurde er eines Morgens verhaftet.“)
→ Die begrenzte Perspektive charakterisiert den Anfang des Werkes
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Gerichtswelt:
- Merkmale: Intransparenz, Hierarchie, Unzugänglichkeit, Anonymität, keine klare
Markierung (Reiseanzüge; jeder könnte mit dem Gericht verbunden sein), Willkür
- Kanzleien auf Dachböden: Unprofessionalität, Bestechlichkeit, Beeinflussung, Diebstahl,
kaum Beachtung der Sachlage, Schmutz
→ Gerichtswelt wirkt wie verschlagener „Klüngel“
- Schmutz im doppelten Sinne: Dreck (Staub) und Verkommenheit (pornografische
Zeichnung) fällt aus Gesetzestext; Triebhaftigkeit im Gerichtswesen („alles Frauenjäger“)
- Totalitäre Macht, braucht sich nicht legitimieren
→ Macht wirkt immanent, bleibt aber inhaltsleer
→ Ausdruck einer Krise in der kleinbürgerlichen Welt: Bürokratie, Kapitalismus,
Verlust von Individualität, Subjekt geht unter
Was für ein Subjekt wird dargestellt?
- Indizien für Schuld(-gefühle):
• Einlassen auf den Prozess (Schuldeingeständnis?)
• Selbstreflexion lehnt er ab, wird nahezu tabuisiert: das Gericht befindet ihn für
schuldig, er sich selbst aber für unschuldig; kein Hinterfragen
• Gerichtsprozess = Wiederkehr des Verdrängten?
• Zu Beginn sofort Suizidgedanken
• Sündenfallmotiv: Josef K. isst Apfel (Erbschuld?)
• Schuld der Familie gegenüber? Oder in der Bank bzw. im Beruf?
→ Mögliche Schuld ließe sich in viele Richtungen denken
- Indizien für Nähe zwischen Josef K. und der Gerichtswelt:
• Gericht wird durch Josef K.’s eigenes Läuten gerufen
• Gericht bzw. Über-Ich bricht am Morgen herein – Teil seines Selbst? Unbewusstes
Schuldgefühl?
→ Ob Gerichtswesen oder Über-Ich: beides intransparent
• Gericht (das radikal Andere): Macht, Strafe, Begehren vs. geordnete Welt
→ Triebhaftigkeit des Gerichts und Josef K.’s eigene Triebhaftigkeit, plötzlich
Begehren nach jeder Frau
• Frauen werden wie Prostituierte dargestellt (Josef K. besucht auch selbst regelmäßig
eine)
→ phantasmatischer Charakter von Gericht und Frauen
• Freundschaft mit Staatsanwalt Hastererund anwesende Zuschauer sprechen für Gericht
als Über-Ich
→ Inszenierungscharakter, Projektion von eigener Angst
→ Einbrechen des Gerichtswesens ins Private, weil es als Teil seines Selbst privat ist
• Alte Frau im Fenster = das Andere des Selbst, bedrückend, Überwachung
• Josef K. spielt die Anhörung vor Fräulein Bürstner in verteilten Rollen nach
→ Phantasie, Inszenierung, Projektion von innen nach außen, Traumlogik
• Kenntnis vom Prozess („Es ist doch noch nicht die Hauptverhandlung“)
• Ende: Er erwartet Henker, Verurteilung ist ihm also bekannt
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Zwei Seiten einer zusammengehörenden Welt:
Josef K.
Berufswelt
Alltag
Franz
Gerichtswelt
Elsa
F.B.
Frau des Gerichtsdieners
Leni
= Franz K(afka)
Frauen entsprechen alle Prostituierten, gehören zur Gerichtswelt; Strafphantasien in der
Rumpelkammer → Welt der Triebe, Projektionsraum, Medium des Unbewussten
Portrait des Richters im Kapitel mit dem Gerichtsmaler:
Allegorie der Gerechtigkeit:
Justitia + Siegesgöttin + Göttin der Jagd = kein gerechtes Urteil, kein Entkommen, Tod
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