Protokoll NDL Proseminar „Kafkas Romane und - UK

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Protokoll NDL Proseminar „Kafkas Romane und - UK
Universität zu Köln
Institut für deutsche Sprache und Literatur I
Proseminar NDL: Kafkas Romane und Erzählungen
Wintersemester 2012/13
Dozent: Sebastian Goth
Protokollant: Nils Aßmus
07.12.2012
Protokoll zur Sitzung vom 04.12.12
Thema der Sitzung: Kafkas Der Proceß
1. Entstehungszusammenhang
• Franz Kafka verfasste das Romanfragment Der Proceß zwischen dem 11. August 1914
und dem 20. Januar 1915.
• Einen Monat vor dem Beginn seiner Schreibarbeiten wurde seine Verlobung mit Felice
Bauer aufgelöst. In seinem Tagebuch beschreibt er das Trennungsgespräch, dass im
Berliner Hotel „Askanischer Hof“ stattfand als „Gerichtshof im Hotel“. Die
Gerichtsmetaphorik liegt also in der Biografie Kafkas begründet.
• Nach der nicht gelungenen Vollendung des Romanfragments Der Verschollene verfasst
Kafka beim Proceß zunächst den Beginn des Werkes sowie das Ende als einen Rahmen,
der die Geschichte begrenzen soll. Damit will er dem Ausufern der Geschichte
entgegenwirken.
• Gründe dafür, dass Kafkas Romane fragmentarisch blieben, nie abgeschlossen wurden
sind: 1. Widerspruch von Kafkas Anspruch an seine Werke (Genieästhetik/Geburtsmetaphorik und spontane Schaffung eines Textes in einem schöpferischen Akt) und der
Realität, die einen solchen Schaffensprozess bei dem Verfassen von so umfangreichen
Texten wie Romanen ausschließt. 2. Kafkas Schreiben bricht mit literarischen Traditionen
und richtet sich nicht nach dem Handlungsverlauf konventioneller Romane.
• Kafka betitelte fertig gestellte Kapitel im Gegensatz zu Fragmenten. Er legte jedoch keine
strikte Reihenfolge fest. Die Reihenfolge der Abschnitte klärt sich zum Teil durch die
Chronologie der Handlung, ansonsten ist sie ungeklärt (Bsp: „Der Prügler“).
• Als Max Brod Kafkas Der Proceß 1925 veröffentlicht, versucht er, den Text geschlossen
zu präsentieren, um damit eine breitere Leserschaft zu erreichen.
2. Anfang des Romans
• Das Gericht, bzw. das Gesetz, welches K. im ersten Kapitel verhaftet, bricht medias in res
in Josef K.’s Welt ein. Der Erzähleinstieg erfolgt unvermittelt.
• Der Protagonist lässt die Wächter mit einem Läuten gewissermaßen selber in sein Zimmer
und damit in seine Welt.
• Mit dem Biss in den Apfel findet sich auch hier das Sündenfallmotiv.
• Während K.’s Welt sehr geordnet und strukturiert ist, präsentiert sich das Gesetz als
intransparent (Undurchschaubarkeit als Machtinstrument), wenig offiziell, bestechlich und
verkommen.
• Das Gesetz ist klar hierarchisiert. Auf K.’s Fragen wird immer auf eine nächsthöhere
Instanz verwiesen. Niemand scheint ihm Rechenschaft schuldig zu sein und dadurch gibt
es immer wieder einen Aufschub.
• Zugleich wirkt das Gericht verkommen im Sinne des Schmutzes den K. überall vorfindet
(Dachboden, Lage in der Vorstadt) und im sittlichen Sinne (pornographische Zeichnung
im Gesetzbuch und Umgang mit der Frau des Gerichtsdieners).
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3. Einfluss des Prozesses auf K.
• Scheinbar setzt die Verhaftung K.’s seine eigene verkommene Seite frei. Sexuelles
Begehren (der eindeutige Kontakt zu den Frauenfiguren im Roman) tritt durch den
Einbruch der Gerichtswelt in die Welt des Protagonisten zutage.
• Das sexuelle Verlangen wird zu einem triebhaften und animalischen Begehren (Kussszene
mit Fräulein Bürstner).
• Dabei erscheinen die Frauenfiguren alle gleich. Sie sind entweder Bedienstete,
Sekretärinnen oder Prostituierte. Fräulein Bürstner kann für die Initialen von Kafkas
ehemaliger Verlobten Felice Bauer stehen.
• Während der Annäherungsversuche K.’s gegenüber Fr. Bürstner taucht die Figur des
Hauptmanns Lanz auf, der sowohl eine Art ödipaler Vaterfigur darstellt, als auch aufgrund
seines Namens als Phallussymbol verstanden werden kann.
• Während K. die Bestechung zunächst verurteilt, unternimmt er selbst einen Versuch, den
Prügler zu bestechen.
• Seine Ordnungsliebe scheint verloren zu gehen. Schiebt K. nach seiner Verhaftung den
Verlauf des Morgens auf die Überraschung und die damit verbundene fehlende
Vorbereitung, erscheint er zu seinem ersten Anhörungstermin selber unvorbereitet und zu
spät.
• Die Unmoral des Gerichtes/Gesetzes überträgt sich auf Josef K. – oder auch andersherum.
4. Der Proceß und die Schuldfrage
• Die Frage nach einer Schuld des Protagonisten kann zu Beginn nicht geklärt werden.
Möglicherweise können die weiteren Handlungen K.’s als Schuldanhäufung gesehen
werden. Er gleich sich den Gerichtsbeamten an.
• Ist die Tatsache der Teilnahme am Prozess ein Eingeständnis einer Schuld und warum
erscheint K. sogar nach seiner ersten Anhörung bei Gericht ohne das eine Anhörung
vorgesehen ist?
• Woher weiß K. genau, wann er bei Gericht zu erscheinen hat, obwohl ihm keine Uhrzeit
mitgeteilt wird und weist das möglicherweise auf eine größere Nähe des Gesetzes zu K.
und umgekehrt hin?
• Der Prozess ist auch ein Spiegel des Unbewussten. Die Handlung geht teilweise an der
Realität vorbei (bsp: Strafphantasien in dem Prügler-Kapitel). Die Rumpelkammer steht in
diesem Zusammenhang für das Unbewusste.
• Durch diese Passagen und Deutungen stellt sich die Frage, wie real der Prozeß ist. Er
unterliegt einer Traumlogik, die den Einstieg des Romans beispielsweise in starke
Verbindung mit dem Handlungsablauf in Kafkas „Die Verwandlung“ bringt. Die
Unterscheidung zwischen Realität und Traum fällt schwer.
5. Die Macht hinter dem Prozess und das Thema des Romanfragments
• Die Macht, die hinter dem Prozess steht, ist eine omnipräsente Macht, zu der jeder in
Verbindung steht.
• Die Macht als äußere Macht: Fremdbestimmtheit des Subjektes in der
Disziplinargesellschaft
• Die Macht als Projektion des Inneren: Gerichtswelt als Spiegel und Teil des Protagonisten
(Der Wächter Franz und Josef K. geben zusammen Franz K.)
• Zunächst scheint die Gerichtswelt ein radikales Anderes in der Welt K.’s zu sein, sie
spiegelt jedoch auch unbewusste Triebe wider.
• Das Thema des Romans ist die Krise des modernen Subjektes bzw. des fremdbeherrschten
Subjektes.
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Gleichzeitig stellt sich auch die Frage nach Selbsterkenntnis. Auf S. 20 wird K. geraten:
„Denken Sie lieber mehr an sich.“
Zuletzt kann man die Bilder des Malers, die alle gleich sind, auf Kafkas literarisches
Schaffen von gleichen Reihen beziehen: erzählerische Serialisierung.
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