Die Verwandlung - THEATER PADERBORN

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Die Verwandlung - THEATER PADERBORN
Die Verwandlung
von Franz Kafka
Materialien zur Inszenierung von Katharina Kreuzhage
Empfohlen ab 12 Jahren
Fächer: Deutsch, Literatur
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„Er war der Dichter des 20. Jahrhunderts, er wird auch im 21. bestehen. Da mögen sie alle, von George Orwell bis Dave Eggers,
mit ihren Negativprognosen, ihren Dystopien mehr oder weniger
der Zeit voraus sein – Kafka ist immer schon da. Es sieht ganz so
aus, als würde seine visionäre Durchdringungskraft sich jetzt erst
voll entfalten und zur Geltung kommen. Die anonymen Mächte,
denen sich die Kafka-Helden namens K. aus den Romanen „Der
Prozess“ und „Das Schloss“ ausgeliefert sehen und sich selbst
ausliefern, ja geradezu aufdrängen, sind in einer Weise so bedrückend aktuell, dass ihre Darstellung als Vorwegnahme dessen erscheinen will, was sich erst lange nach Kafkas Tod entwickelte.
(…) Tatsächlich geht es über Vorahnung hinaus, was Kafka an
Schwingungen einzufangen und literarisch umzusetzen vermochte.
Er verfügte offensichtlich über die Fähigkeit, in technischen, sozialen und bürokratischen Neuerungen das Entwicklungspotenzial
aufzuspüren, die immanente Dynamik zu erfassen und zukünftige
Weiterungen zu erahnen: Vision und Hochrechnung gleichermaßen. Es gibt eine schöne Formulierung von ihm, freilich nur als
mündliche Äußerung. Ein jüngerer Bekannter, der spätere Autor
und Komponist Gustav Janouch, begleitete Kafka auf vielen Spaziergängen in Prag und machte sich, gewissermaßen als Kafkas
Eckermann, danach Notizen. Einmal ging es im Gespräch um Picasso, und Kafka soll über den Zeitgenossen irritierenden Maler
gesagt haben: „Er notiert bloß die Verunstaltungen, die noch nicht
in unser Bewusstsein eingedrungen sind. Kunst ist ein Spiegel,
der „vorausgeht“ wie eine Uhr – manchmal.“
Quelle: „Der Dichter unserer Zukunft“ von Volker Hage in DER SPIEGEL 40/2014, S. 122.
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Liebe Lehrer/innen,
mit Kafkas düsterer Novelle präsentieren wir Ihnen einen der unruhigsten Träume der Weltliteratur. Die Geschichte des Angestellten Gregor Samsa, der sich eines Morgens in ein riesenhaftes
Insekt verwandelt hat, ist ein beliebtes Werk literaturwissenschaftlicher Analyse. Bis heute wurden zahlreiche verschiedene Interpretations- und Deutungsvarianten des berühmten Textes veröffentlicht. Die Inszenierung rückt Kafkas Text in den Vordergrund und unterlegt ihn mit Bildern
einer graphischen Bearbeitung des Stoffes. In der Mappe finden Sie neben Kafkas Biographie,
verschiedene Auszüge aus der Sekundärliteratur sowie Bilder aus der Graphic Novel des Szenaristen Eric Corbeyran und des Zeichners Richard Horne.
Ihr Theaterpädagogik-Team des Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele
Nächste Premiere im Großen Haus: PIAF. KEINE TRÄNEN von Juliane Kann, Premiere am
20.12.2014, empfohlen ab 14 Jahren
Nächste Premiere im Studio: MÄRTYRER von Marius von Mayenburg, Premiere am 27.02.2015,
empfohlen ab 12 Jahren
Nächste Empfehlung für Sie: DER GUTE MENSCH VON SEZUAN von Bertolt Brecht, Premiere
am 16.01.2015 im Großen Haus, empfohlen ab 12 Jahren
Zu dieser Inszenierung bieten wir eine Materialmappe sowie stückbegleitende Workshops an.
Kontakt unter [email protected]
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Besetzung
Erzähler
Max Rohland
Regie
Katharina Kreuzhage
Bühne, Kostüm &
Video-Animation
Matthias Strahm
Mitarbeit Video-Animation
Michael Schade
Dramaturgie
Birgit Lindermayr
Anne Vogtmann
Regiehospitanz
Ilka Zänger
Bühnenmeister
Michael Bröckling
Paul Discher
Beleuchtung
Fabian Cornelsen
Ton & Video
Till Petry
Leitung Kostümabteilung
Christina Pantermehl
Bühnenbild unter Verwendung der Zeichnungen von Richard Horne aus der Graphic Novel DIE
VERWANDLUNG
Premiere: Freitag, 05.12.2014 / 19:30 Uhr im Studio
Dauer: ca. 70 Minuten, keine Pause
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Inhalt
Die Verwandlung & Franz Kafka
Stückinhalt & biographische Informationen
Seite 6-8
Auszug aus „Gegen Interpretation“ von Susan Sontag
Seite 9-14
Auszug aus „Kafka. Die frühen Jahre“ von Rainer Stach
Seite 15
Theateraktiv DIE VERWANDLUNG
Zusammenstellung verschiedener Übungen
Seite 16-22
Sekundärmedienpool: Literatur / Filme
Impressum
Seite 24
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Die Verwandlung
„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett
zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“
Und was zunächst wie ein böser Traum erscheint, entpuppt sich bald als erbarmungslose Realität: Gregor muss von nun an als Insekt leben. Aus der unentbehrlichen Stütze der verschuldeten
Familie ist ein Wesen von monströser Nutzlosigkeit geworden, ein Fremdkörper, ein Parasit.
Doch Gregor findet Gefallen an seiner Andersartigkeit, während seine Familie sich immer mehr
von ihm abwendet und ihn ins Nebenzimmer verbannt. Sie hatten mal einen Sohn, einen Bruder.
Jetzt wohnt nebenan ein ekelerregendes Insekt, das ein normales Leben unmöglich macht. Wenn
man „es“ doch einfach loswerden könnte...
DIE VERWANDLUNG beschreibt in alptraumhaften Bildern den Einbruch des Anderen in eine
streng abgeschottete Welt – den Mikrokosmos der Familie.
Franz Kafka
Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 in Prag geboren, dort verbrachte er auch den größten Teil
seines kurzen Lebens. Sein Vater Hermann Kafka war ein jüdischer Geschäftsmann, stammte
aus denkbar einfachsten ländlichen Verhältnissen und musste als Kind im Elternhaus mitarbeiten.
Er hatte aus persönlichem Stolz eine klare Vorstellung davon, wie sein Sohn hätte beschaffen
sein sollen: aufgeschlossen, hart und arbeitsam – ganz sein Ebenbild.
Franz Kafka schrieb in späteren Jahren einen rund hundertseitigen Brief an den Vater (1919),
den er allerdings niemals abschickte. Darin schilderte er aus der – scheinbaren – Distanz von
dreißig Jahren, sein Kindheits-Trauma: den übermächtigen Vater, der alles kategorisch bestimmte und in jeder Frage von vornherein Recht hatte und den er deshalb grenzenlos bewunderte –
der jedoch seine Kinder nur mit abschätziger Ironie behandelte.
Im Gegensatz zu handwerklichen Fähigkeiten entwickelte Franz Kafka außerordentliche intellektuelle Fähigkeiten und ein ausgeprägtes Interesse für Bücher. Er durchlief ohne Probleme die
fünf Klassen des Altstädter Gymnasiums. Unter seinen Mitschülern galt der literarisch ausgerichtete und einzelgängerische Atheist als souverän und distanziert. Eine rege Freundschaft verband
ihn über Jahre mit dem Zionisten Hugo Bergmann, dem späteren Rektor der Hebrew University
von Jerusalem, sowie mit dem vielseitig interessierten Oskar Pollak, der später Kunstgeschichte
studierte und schon während seines Studiums als Koryphäe in seinem Fach galt.
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Kafka schrieb sich an der Prager Universität zunächst für Chemie ein – doch für die praktische
Arbeit in einem Laboratorium zeigte er sich wenig tauglich und wechselte nach 14 Tagen erst zur
Jurisprudenz, dann zur Germanistik, um im dritten Semester enttäuscht zu „Jus“ zurückzukehren.
Nebenher hörte der junge Student Vorlesungen in Philosophie, war vorübergehend Mitglied der
Prager Lese- und Redehalle der deutschen Studenten und hielt sich als stiller Beobachter in diversen Literatencafés auf – u. a. im Café Arco in dem Kreis um den jungen Franz Werfel sowie
im Café Louvre, wo sich die Anhänger des Philosophen Franz von Brentano versammelten. In
diese umtriebige Zeit fallen Kafkas erste längere Prosatexte.
Nachdem er sich 1905 endlich dazu durchringen konnte, Max Brod das Manuskript der „Beschreibung eines Kampfes“ zum Lesen zu geben, brach dieser in Begeisterung aus, lobte in einem Zeitungsartikel den noch völlig unbekannten Franz Kafka als einen der hoffnungsvollen jungen Schriftsteller und brachte seinen Schützling mit dem Literaten und Herausgeber Franz Blei
zusammen, in dessen Zeitschrift Hyperion – gleich in der ersten Ausgabe und neben Rilke, Hofmannsthal und Heinrich Mann – Kafkas erste Texte (die er später in den Erzählband „Betrachtung“ aufnahm) gedruckt wurden.
Familie und Kinder sah Kafka als eines der höchsten Güter. Doch für seine eigene Person glaubte er, dieses bürgerliche Glück ausschließen zu müssen. Gleichwohl hatte er sich – nach jeweils
heftigen inneren Kämpfen – dreimal verlobt und nach einer kurzen Spanne jedes Mal die Verlobung wieder aufgelöst: zweimal mit Felice Bauer, einmal mit Julie Wohrycek.
Felice Bauer – Tochter eines Versicherungsagenten – war den Zeugnissen nach eine unkomplizierte, lebenslustige und praktisch veranlagte junge Frau, die mit ihren Eltern in Berlin lebte. Als
Kafka sie 1912 auf einer Gesellschaft bei Max Brod kennenlernte, arbeitete sie gerade als Prokuristin in einer Firma, die Diktiergeräte herstellte. Zwischen den beiden auch äußerlich grundverschiedenen Menschen entfaltete sich binnen weniger Wochen ein reger Briefwechsel, der mit
kurzen Unterbrechungen fünfeinhalb Jahre anhielt und dessen eine – Kafkasche – Hälfte uns
erhalten geblieben ist. Felice Bauer hatte offenbar wenig Sinn für die Skrupel und literarischen
Ambitionen ihres Briefpartners, was Kafka aber nicht davon abhielt, ihr alle diese Skrupel und
Pläne minutiös auseinanderzulegen. Bald wurden sie vertraut miteinander, doch eigentlich niemals intim, auch als sie schon ein Paar waren. Das lag wesentlich daran, dass sich diese (Liebes-)Geschichte fast ausschließlich auf dem Papier abspielte – Kafka schickte mitunter dreimal
täglich einen Brief oder eine Karte los, ohne die Antworten abzuwarten. Gesehen haben sich die
beiden Liebesleute lediglich einige Male in Berlin, in Prag, in der Böhmischen Schweiz und während eines kurzen gemeinsamen Aufenthaltes in Marienbad; körperlichen Kontakt dürften sie
wohl so gut wie keinen miteinander gehabt haben.
Kafka erkrankte 1917 an einer schweren Lungen- und Kehlkopftuberkulose.
Noch ein halbes Jahr vor seinem Tod schrieb der inzwischen frühpensionierte und von den Ärzten aufgegebene Dichter an der humorvollen, essayistischen Erzählung „Josefine, die Sängerin
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oder Das Volk der Mäuse“ – ein Text, der sich um die Definition seines Gegenstandes bemüht:
Im Zentrum steht eine Sängerin, die sich für eine große Diva hält, im Grunde aber gar nicht singen, sondern nur – ganz ordinär – pfeifen kann und von der Bevölkerung bewundert wird, obwohl oder gerade weil ihr das Publikum nicht richtig zuhört und heute niemand mehr etwas von
Gesang versteht – was Josefine zu ahnen scheint.
Am 3. Juni 1924 starb Franz Kafka, kurz vor seinem 41. Geburtstag.
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Auszüge aus „Gegen Interpretation“ von Susan Sontag
[…]
2.
Wenngleich die derzeitige Entwicklung in vielen Kunstgattungen von der Vorstellung wegzuführen scheint, daß ein Kunstwerk primär aus seinem Inhalt besteht, bleibt diese Vorstellung dennoch weiterhin vorherrschend. Das hat, wie ich meine, seinen Grund darin, daß sie in Gestalt
einer bestimmten Art der Betrachtung von Kunstwerken fortwirkt, die in der Mehrzahl der Menschen, die irgendeine Kunst ernst nehmen, tief verwurzelt ist. Diese Überbetonung des Inhaltsbegriffs bringt das ständige ,nie erlahmende Streben nach Interpretation mit sich. Und umgekehrt
festigt die Gewohnheit, sich dem Kunstwerk in interpretierender Absieht zu nähern, die Vorstellung, daß es tatsächlich so etwas wie den Inhalteines Kunstwerks gibt.
3.
Natürlich spreche ich nicht von Interpretation in jenem weitesten Sinne, in dem Nietzsche das
Wort gebraucht, wenn er (zu Recht) sagt, es gäbe keine Fakten, es gäbe nur Interpretationen.
Unter Interpretation verstehe ich hier vielmehr einen Bewußtseinsakt, der einen bestimmten Kodex, bestimmte «Regeln» der Interpretation veranschaulicht. Auf die Kunst bezogen bedeutet
Interpretation das Herausgreifen einer Reihe von Elementen (das X, das Y, das Z und so weiter)
aus dem Werkganzen. Die Arbeit der Interpretation ist im Grunde eine Übersetzungsarbeit.
Der Interpret sagt: Schaut her, seht ihr nicht, daß X in Wirklichkeit A ist - oder bedeutet? Daß Y
in Wirklichkeit B ist? Daß Z in Wirklichkeit C ist?
Welche Situation konnte dieses merkwürdige Verlangen nach Umformung des Textes wecken?
Die Geschichte liefert uns das Material zur Beantwortung dieser Frage. Die ersten Beispiele
einer Interpretation tauchen in der Kultur der spätklassischen Antike auf, zu einer Zeit also, da
die Kraft und Glaubhaftigkeit des Mythos durch die «realistische» Betrachtung der Welt, die eine
naturwissenschaftliche Aufklärung mit sich gebracht hatte, gebrochen waren. War die Frage, die
das nachmythische Bewußtsein bewegt - die Frage nach der Stimmigkeit der religiösen Symbole
-, einmal gestellt, dann waren die Texte des Altertums in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr
tragbar. Damals griff man zur Interpretation und brachte auf diese Weise die alten Texte mit den
«modernen» Ansprüchen in Einklang. So allegorisierten die Stoiker, ihrer Vorstellung von der
moralischen Lauterkeit der Götter entsprechend, die derben Züge hinweg, die Zeus und seinem
ungestümen Clan in Homers Epen eigen sind. Was Homer mit dem Ehebruch des Zeus mit der
Leto zum Ausdruck bringen wollte, so erklärten sie, war die Vereinigung von Macht und Weisheit. Auf die gleiche Weise interpretierte Philo von Alexandria die wahrheitsgetreuen historischen
Geschichten der hebräischen Bibel als religiöse Paradigmen. Die Geschichte vom Auszug aus
Ägypten, von der vierzigjährigen Wanderung durch die Wüste und dem Einzug ins Gelobte Land
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deutet Philo als Allegorie der Befreiung, der Leiden und der Erlösung der Einzelseele. Die Interpretation basiert demnach auf einer Diskrepanz zwischen der offensichtlichen Bedeutung des
Textes und den Ansprüchen des (späteren) Lesers. Die Situation ist die folgende: aus irgendeinem Grunde ist ein Text unannehmbar geworden; dennoch kann er nicht fallengelassen werden.
Die Interpretation ist eine radikale Taktik der Konservierung eines alten Textes, der für zu kostbar
gehalten wird, als daß er einfach abgelehnt werden könnte, und der deshalb neu aufpoliert wird.
Der Text wird durch den Interpreten nicht wirklich ausgelöscht oder neu geschrieben, wohl aber
verändert. Freilich kann er das nicht offen zugeben. Er gibt vor, ihn nur verständlich zu machen,
indem er seine wahre Bedeutung aufdeckt. Bis zu welchem Grade die Interpreten den Text auch
ändern (ein anderes nur zu bekanntes Beispiel sind die «religiösen» Deutungen des eindeutig
erotischen Hohelieds Salomons durch Rabbiner und Christen): sie müssen den Anspruch, erheben, einen Sinn daraus abzulesen, der bereits vorgegeben ist. In unserer Zeit ist die Interpretation sogar noch komplexer. Denn die zeitgenössische Begeisterung für die Interpretation hat ihren
Grund häufig nicht in der Ehrfurcht vor dem beschwerlichen Text (hinter der sich ein aggressives
Element verbergen könnte), sondern in einer offenen Aggressivität, einer offenkundigen Verachtung des äußeren Erscheinungsbildes.
Die Interpretation alten Stils war hartnäckig, aber respektvoll; sie errichtete über der tatsächlichen Bedeutung eine neue Bedeutung. Die Interpretation im modernen Stil gräbt aus i und im
Akt der Ausgrabung zerstört sie; sie gräbt sich «hinter» den Text, gleichsam um den Untertext
freizulegen, der für sie der eigentliche Text ist. Die meistgepriesenen und einflußreichsten modernen Lehren, die von Marx und Freud, laufen letztlich auf ein wohldurchdachtes hermeneutisches System hinaus, auf aggressive und pietätlose Interpretationstheorien. Alle wahrnehmbaren
Phänomene werden, wie Freud sagt, als manifester Inhalt klassifiziert.
Dieser manifeste Inhalt muß untersucht und beiseite geräumt werden, damit die wahre Bedeutung - der latente Inhalt - darunter sichtbar wird. Für Marx sind gesellschaftliche Phänomene wie
Revolutionen und Kriege, für Freud Phänomene des individuellen Lebens (wie neurotische Symptome und Ausrutscher der Zunge) ebenso wie Texte (zum Beispiel der Traum oder das Kunstwerk) Anlaß zur Interpretation. Ja, all dies gewinnt erst seinen Sinn durch Interpretation. Verstehen heißt interpretieren. Und interpretieren heißt das Phänomen neu formulieren, letztlich ein
Äquivalent für das Phänomen finden. Daher ist Interpretation nicht (wie die meisten glauben) ein
absoluter Wert, eine Geisteshaltung im zeitlosen Bereich der Fähigkeiten. Die Interpretation muß
im Rahmen einer historischen Prüfung des menschlichen Bewußtseins selbst bewertet werden.
In manchen kulturellen Umgebungen ist die Interpretation ein befreiender Akt. In anderen kulturellen Zusammenhängen ist sie reaktionär, trivial, erbärmlich, stickig.
4.
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Heute erleben wir eine solche Zeit, in der interpretatorische Unternehmungen größtenteils reaktionär, stickig sind. Wie die Abgase der Autos und der Schwerindustrie, die die Luft der Städte
verunreinigen,
vergiftet heute der Strom der Kunstinterpretationen unser Empfindungsvermögen.
In einer Kultur, deren bereits klassisches Dilemma die Hypertrophie des Intellekts auf Kosten der
Energie und der sensuellen Begabung ist, ist Interpretation die Rache des Intellekts an der
Kunst. Mehr noch: Sie ist die Rache des Intellekts an der Welt. Interpretieren heißt die Welt arm
und leer machen - um eine Schattenwelt der «Bedeutungen» zu errichten. Es heißt, die Welt in
diese Welt verwandeln. («Diese» Welt! Als ob es eine andere gäbe.) Die Welt, unsere Welt, ist
leer und verarmt genug. Weg mit all ihren Duplikaten, bis wir wieder unmittelbarer erfassen, was
wir haben.
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In den modernsten Fällen läuft die Interpretation auf die philisterhafte Weigerung hinaus, die Finger von der Kunst zu lassen. Wirkliche Kunst hat die Eigenschaft, uns nervös zu machen. Indem
man das Kunstwerk auf seinen Inhalt reduziert und diesen dann' interpretiert, zähmt man es. Die
Interpretation macht die Kunst manipulierbar bequem. Dieses interpretatorische Philistertum ist in
der Literatur stärker verbreitet als in jeder anderen Kunstgattung. Schon seit Jahrzehnten haben
es Literaturkritiker als ihre Aufgabe betrachtet, die Elemente des Gedichts, des Dramas, des
Romans oder der Erzählung in etwas anderes zu übersetzen. Manchmal ist dem Schriftsteller
angesichts der nackten Kraft seiner Kunst 50 unbehaglich zumute, daß er - ein wenig schüchtern
freilich und mit einem Anflug wohltuender Ironie - in das Werk selbst seine klare und ausdrückliche Interpretation einbaut. Thomas Mann ist ein Beispiel für diesen allzu entgegenkommenden
Autorentyp.
Bei widerspenstigeren Autoren ist der Kritiker nur zu gern bereit, die Arbeit zu übernehmen.
Das Werk Kafkas zum Beispiel ist zum Opfer einer Massenvergewaltigung durch nicht weniger
als drei Armeen von Interpreten geworden. Diejenigen, die Kafkas Werk als soziale Allegorie
lesen, sehen in ihm Fallstudien der Frustration und des Irrsinns der modernen Bürokratie.
Diejenigen, die es als psychoanalytische Allegorie lesen, sehen in ihm den verzweifelten Ausdruck von Kafkas Angst vor dem Vater, seiner Kastrationsangst, seines Gefühls der eigenen
Impotenz, seiner Traumhörigkeit. Diejenigen schließlich, die sein Werk als religiöse Allegorie
lesen, erklären, daß K. in Das Schloß Zugang zum Himmel sucht, daß Josd K. in Der Prozeß von
der unerbittlichen und geheimnisvollen Gerechtigkeit Gottes gerichtet wird ... Ein anderes Oeuvre, das Interpreten wie Blutegel angezogen hat, ist das von Samuel Beckett. Becketts komplexe
Dramen des introvertierten Bewußtseins - auf das Wesentliche reduziert, isoliert, oft als physisch
immobilisiert dargestellt – werden als Aussage über die Entfremdung des modernen Menschen
von Sein und Gott oder als Allegorie der Psychopathologie gelesen.
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Proust, Joyce, Faulkner, Rilke, Lawrence, Gide - man könnte Autor um Autor nennen; die Liste
derer, an denen sich eine dicke Kruste von Interpretationen abgesetzt hat, ist endlos. Aber es
sollte angemerkt werden, daß die Interpretation nicht einfach nur die Verbeugung der Mittelmäßigkeit vor dem Genie ist. Sie stellt in der Tat die moderne Weise des Verstehens dar, und sie
wird auf Werke jeder Qualität angewandt. So wird in den Anmerkungen, die Elia Kazan zu seiner
Verfilmung von A Streetcar Named Desire [Endstation Sehnsucht] veröffentlicht hat, deutlich,
daß Kazan, um das Drama inszenieren zu können, entdecken mußte, daß Stanley Kowalski das
sinnliche und rachsüchtige Barbarentum repräsentierte, während Blanche Du Bois die westliche
Zivilisation war, Dichtung, elegante Kleidung, schwache Beleuchtung, verfeinertes Gefühl und so
weiter - wenn auch alles ein wenig verstaubt. Damit wurde Tennessee Williams' kraftvolles psychologisches Melodrama verständlich: es war ein Drama über etwas, nämlich über den Untergang der westlichen Zivilisation. Offenbar wäre es nicht handlich genug, wenn es weiterhin
nichts als ein Stück über einen brutalen Beau namens Stanley Kowalski und eine verblichene,
lädierte Belle namens Blanche Du Bois wäre.
[…]
7.
Natürlich trägt die Interpretation nicht immer den Sieg davon. Als Motivation eines Großteils der
Gegenwartskunst kann geradezu die Flucht vor der Interpretation genannt werden. Um der Interpretation aus dem Wege zu gehen, kann die Kunst zur Parodie werden. Aus dem gleichen
Grunde kann sie abstrakt, («bloß») dekorativ oder zur Nicht-Kunst werden.
Die Flucht vor der Interpretation scheint besonders ausgeprägt in der modernen Malerei.
Abstrakte Kunst ist der Versuch, keinen Inhalt im gewöhnlichen Sinn zu haben; da sie keinen
Inhalt hat, kann es auch keine Interpretation geben. Pop Art erreicht mit entgegengesetzten Mitteln das gleiche Resultat; indem sie einen so marktschreierischen Inhalt wählt, ist auch sie letztlich nicht interpretierbar. Nicht anders hat sich - seit den großen Versuchen in der französischen
Dichtung (zu denen auch die Experimente jener Bewegung gehören, die mißverständlicherweise
Symbolismus genannt wird), im Gedicht dem Schweigen seinen Ort zu geben und das magische
Wort wieder einzuführen- ein großer Teil der modernen Lyrik dem rauhen Zugriff der Interpreten
entzogen. Die jüngste Geschmacksrevolution in der zeitgenössischen Lyrik - jene Revolution, die
Eliot entthront und Pound auf den Schild gehoben hat - stellt eine Abwendung vom Inhalt im hergebrachten Sinne in der Dichtung dar; sie ist der Ausdruck der Unzufriedenheit mit dem, was die
moderne Lyrik zum Opfer des Interpreteneifers gemacht hat. Ich habe natürlich vor allem die
Situation in Amerika im Auge. Hier nimmt die Interpretation in jenen Kunstgattungen überhand,
die sich durch eine schwache und unbedeutende Avantgarde auszeichnen: im Roman und im
Drama. Die meisten amerikanischen Romanautoren und Dramatiker sind im Grunde entweder
Journalisten oder Sonntagssoziologen und -psychologen. Sie schreiben das literarische Gegen12
stück zur Programmmusik. Und der Sinn für die formalen Möglichkeiten des Romans und des
Dramas ist stets so rudimentär, stumpf und träge, daß der Inhalt selbst dann, wenn er über die
bloße Information und Berichterstattung hinausgeht, merkwürdig sichtbar, greifbar und exponiert
ist. In dem Maße, in dem Roman und Drama (in Amerika) – anders als Lyrik, Malerei und Musik keinerlei bemerkenswertes Interesse an der Form erkennen lassen, bleiben diese Gattungen der
Bedrohung durch die Interpretation ausgesetzt. Programmatischer Avantgardismus jedoch - der
zumeist auf Experimente mit der Form auf Kosten des Inhalts hinausläuft - ist nicht die einzige
Verteidigung gegen die Heimsuchung der Kunst durch die Interpretationen.
[…]
8.
Welcher Art sind die Kunstkritik und der Kunstkommentar, die wir heute brauchen? Denn ich
sage nicht, daß Kunstwerke schlechterdings unbeschreibbar, daß sie nicht zu erläutern sind. Sie
können durchaus erläutert werden. Die Frage ist nur: wie? Wie müßte die Kritik aussehen, die
dem Kunstwerk diente, statt sich an seinen Platz zu drängen? Was zunächst vonnöten ist, ist ein
verstärktes Interesse für die Form in der Kunst. Während eine übertriebene Betonung des Inhalts
die Arroganz der Interpretation provoziert, ist eine intensivere und umfassendere Beschreibung
der Form dazu angetan, diese Arroganz zum Schweigen zu bringen. Was wir brauchen, ist ein
Vokabular - ein beschreibendes und kein vorschreibendes Vokabular - zur Erfassung der Formen." Die beste Kritik ist die, in der inhaltliche Erwägungen mit formalen verschmelzen.
(Ein Beispiel für die Formanalyse, die gleichzeitig Gattung und Autor einbezieht, ist Walter Benjamins Aufsatz «Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Leskovs».) Aber ebenso wertvoll
sind kritische Versuche, die eine wirklich präzise, scharfsichtige und liebevolle Beschreibung der
äußeren Erscheinungsform eines Kunstwerks bieten. Das jedoch scheint noch schwieriger als
eine Formanalyse.
9.
[…] Irgendwann in der Vergangenheit (sagen wir zur Zeit Dantes) muß es einmal ein revolutionärer und schöpferischer Akt gewesen sein, Kunstwerke zu schaffen, die auf verschiedenen Ebenen erlebt werden konnten. Heute ist das nicht mehr der Fall. Heute wird dadurch ein Prinzip
des Übermaßes gefördert, das das größte Problem des modernen Lebens darstellt.
Irgendwann in der Vergangenheit (zu einer Zeit, als hohe Kunst selten war) muß es einmal ein
revolutionärer und schöpferischer Akt gewesen sein, Kunstwerke zu interpretieren. Heute ist das
nicht mehr der Fall. Was wir sicherlich nicht mehr brauchen, ist die Umsetzung von
Kunst in Gedanken oder (was noch schlimmer ist) von Kunst in Kultur.
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Die Interpretation setzt ein sinnliches Erlebnis des Kunstwerks als selbstverständlich voraus und
basiert darauf. Aber dieses sinnliche Erlebnis läßt sich heute nicht mehr ohne weiteres voraussetzen. Man denke allein daran, daß jedem von uns heute ein Vielfaches an Kunstwerken zugänglich ist, dazu die zahllosen widersprüchlichen Geschmacks- und Geruchsempfindungen und
die optischen Eindrücke der Stadtschaft, die unsere Sinne bombardieren. Unsere Kultur beruht
auf dem Übermaß, der Überproduktion; das Ergebnis ist ein stetig fortschreitender Rückgang
der Schärfe unserer sinnlichen Erfahrung. Sämtliche Bedingungen des modernen Lebens - sein
materieller Überfluß, seine ÜberIadenheit - bewirken eine Abstumpfung unserer sensorischen
Fähigkeiten. Und im Hinblick auf diesen Zustand unserer Sinne, unserer Fähigkeiten (und nicht
derer einer anderen Zeit) muß die Aufgabe des Kritikers bestimmt werden. Heute geht es darum,
daß wir unsere Sinne wiedererlangen. Wir müssen lernen, mehr zu sehen, mehr zu hören und
mehr zu fühlen. Es ist nicht unsere Aufgabe, ein Höchstmaß an Inhalt in einem Kunstwerk zu
entdecken. Noch weniger ist es unsere Aufgabe, mehr Inhalt aus dem Werk herauszupressen,
als darin enthalten ist. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, den Inhalt zurückzuschneiden, damit die
Sache selbst zum Vorschein kommt.
Das Ziel aller Kommentierung der Kunst sollte heute darin liegen, die Kunst - und analog dazu
unsere eigene Erfahrung - für uns wirklicher zu machen statt weniger wirklich. Die Funktion der
Kritik sollte darin bestehen aufzuzeigen, wie die Phänomene beschaffen sind, ja selbst, daß
sie existieren, aber nicht darin, sie zu deuten.
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Auszug aus „Kafka. Die frühen Jahre“ von Reiner Stach
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Theateraktiv DIE VERWANDLUNG, für Schulklassen / Gruppen ab 12 Jahren
a) Vor dem Vorstellungsbesuch, falls Sie die Novelle noch nicht im Unterricht gelesen haben



Zur Auseinandersetzung mit dem Thema der Novelle
gut geeignet
Überschaubare Gruppengröße für regen Austausch
Kreative Übungsaufgabe
Die Schüler/innen finden sich in Dreier- oder Vierergruppen zusammen und überlegen sich wofür
der Titel DIE VERWANDLUNG stehen kann. Was wird von der Geschichte erwartet? Es sollen
so viele kreative Einfälle wie möglich aufgeschrieben werden. Fragen Sie ihre Schüler/innen
auch nach ihren Erwartungen zum Theaterbesuch.
b) Vor dem Vorstellungsbesuch, der Text wurde bereits gelesen
 Zur Auseinandersetzung mit der Theatervorstellung gut
geeignet


Die Schüler/innen sind in kleine Gruppen geteilt. Innerhalb der Gruppe werden zu folgenden
Punkten Ideen gesammelt:
 Kafkas DIE VERWANDLUNG ist im Theater Paderborn als Einpersonenstück zu sehen.
Wie könnte das Stück mit nur einem Schauspieler inszeniert worden sein?
 Was erwartet Ihr von dem Bühnenbild? (Ist z.B. die Bühne als definierter Raum zu erkennen? Wie wird das Licht eingesetzt? Usw.)
 Was für technische Mittel kennt Ihr von Theaterinszenierungen? (z.B. Ton- und Lichttechnik)
 Wie stellt Ihr Euch die Körperlichkeit / Darstellungsweise des verwandelten Gregors vor?
(Wird z.B. tatsächlich ein Käfer auf der Bühne zu sehen sein? Werden technische Mittel
für die Umsetzung benutzt? Wird es gar nicht thematisiert, weder in Kostüm noch Spielweise?)
 Wie könnte das Kostüm des Schauspielers aussehen?
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c) Nach dem Vorstellungsbesuch, Bewegungscharakteristika, Hoch- und Tiefstatus



Als Warm Up gut geeignet
Beliebige Gruppengröße, ein größerer freier Raum wird benötigt
Schwerpunkt auf Wahrnehmung des eigenen Körpers und soziales Umfeld
Status bezeichnet beim Improvisationstheater das Machtgefälle in der Beziehung zwischen zwei
Bühnenfiguren. Eine Figur im Hochstatus verhält sich dominant gegenüber einer Figur im Tiefstatus. Eine Figur im Tiefstatus ordnet sich der Person im Hochstatus unter, passt ihr Handeln an
deren Vorgaben an. Der momentane Status der Figuren zueinander ist erkennbar an der Körpersprache und Haltung.
Die Schüler/innen laufen zunächst in einer neutralen Haltung durch den Raum. Spielaufgabe ist:
Jede/r sucht sich einen Status aus und verkörpert ihn in seinem Gang. Die Schüler/innen begegnen sich im Raum in den verschiedenen Statusrollen. Wie fühlt es sich an der Erhabene / der
Untergebene zu sein? Wie unterscheiden sich die Status in der Bewegung?
Leiten Sie ein Ratespiel ein. Die Schüler/innen stehen in einem Kreis. Eine Person sucht sich
einen Status aus und läuft geradeaus zur anderen Seite des Kreises. Die anderen raten welchen
Status er/sie sich ausgesucht hat und erklären woran er zu erkennen war.
Art der Bewegung
 Hochstatus: zielgerichtet, ruhig, geschmeidig, bestimmt, fest, geschickt, Kopfbewegung
langsam und sicher
 Tiefstatus: unsicher, fahrig, ruckartig, steif, eng, tollpatschig
Art der Körperhaltung
 Hochstatus: aufrecht, straff, frei, ungezwungen, locker
 Tiefstatus: gebeugt, schlaff, verkrampft, starr
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d) Nach dem Vorstellungsbesuch, Bewegungscharakteristika der Figuren der Erzählung,
Hoch- und Tiefstatus



Praktische Auseinandersetzung mit der Textvorlage
Beliebige Gruppengröße, ein größerer freier Raum wird benötigt
Als nachfolgendes Element zu Übung a)
Sprechen Sie über die Charaktere der Erzählung (Gregor, Vater, Schwester, Mutter, Prokurist).
In „Die Verwandlung“ gibt es abhängige- und unabhängige, starke und schwache Figuren. Einige
machen im Laufe des Stückes eine Entwicklung durch, andere nicht. Die Schüler/innen sollen
jeder Figur einen Status zuordnen und anschließend als Figur durch den Raum laufen. Gibt es
Unterschiede in der Umsetzung? Sind alle der gleichen Meinung oder gibt es Meinungsverschiedenheiten? Diskutieren Sie diese.
e) Auseinandersetzung mit der beruflichen Situation der Hauptfigur
 Vertiefung der Arbeitsstruktur von Gregor Samsas Beruf
 Auseinandersetzung mit persönlichen Zielen
 Beliebig große Gruppe, konzentrierte Arbeitsatmosphäre
„Ach Gott was für einen anstrengenden Beruf habe ich gewählt! Tag aus, Tag ein auf der Reise.
Die geschäftlichen Aufregungen sind viel größer, als im eigentlichen Geschäft zu Hause, und
außerdem ist mir noch diese Plage des Reisens auferlegt, die Sorgen um die Zuganschlüsse,
das unregelmäßige, schlechte Essen, ein immer wechselnder, nie andauernder, nie herzlich werdender menschlicher Verkehr. Der Teufel soll das alles holen.“
Diese Gedanken hat Gregor Samsa am Tag seiner Verwandlung. Stellt Euch das Leben von
Handlungsreisenden, heute würde man eher Vertreter sagen, vor. Diskutiert Vor- und Nachteile
dieser Lebensweise. Welche verschiedenen Arbeitsstrukturen gibt es sonst noch? Welchen
Beruf streben die Schüler/innen an? Welche Punkte sind ihnen dabei wichtig?
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Persönlicher Text aus der Sicht der Figuren der Erzählung
f)



Themengebundene Improvisation
Einzelübung, konzentrierte Arbeitsatmosphäre
Zettel und Stift
Manche Figuren der Novelle erleben verschiedene berufliche Stationen. Im Folgenden wird die
Situation jeder Hauptfigur näher beleuchtet.
Die Schüler/innen sollen sich einen Charakter der Geschichte aussuchen und einen persönlichen Text, wie etwa einen Tagebucheintrag, aus Sicht der Figur und ihrer Haltung gegenüber
ihrer Arbeit schreiben (zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Erzählung).
Gregor ist der Alleinverdiener der Familie Samsa. Sein Ziel ist es, die Schulden des Vaters abbezahlen zu können.
In seinem Beruf ist Gregor sehr unglücklich. Zum einen kann er seinen Vorgesetzten nicht ausstehen, zum anderen empfindet er den Kontakt mit anderen Menschen während der Arbeit als
distanziert.
(„…Wenn ich mich nicht wegen meiner Eltern zurückhielte, ich hätte längst gekündigt, ich wäre vor den Chef hin getreten und hätte ihm meine Meinung von
Grund des Herzens aus gesagt. Vom Pult hätte er fallen müssen! Es ist auch eine
sonderbare Art, sich auf das Pult zu setzen und von der Höhe herab mit dem Angestellten zu reden… Es war eine Kreatur des Chefs, ohne Rückgrat und Verstand…“)
Sehr problematisch ist auch, dass die Arbeit nahezu seine gesamte Zeit in Anspruch nimmt.
(Mutter: „Der Junge hat ja nichts im Kopf als das Geschäft. Ich ärgere mich schon
fast, dass er abends niemals ausgeht; Dadurch kann er weder Freundschaft knüpfen, noch eine Partnerin finden…“)
Dennoch akzeptiert er seine Aufgabe, die Familie zu ernähren, die sein Geld nach einiger Zeit als
selbstverständlich annimmt.
(„Man hatte sich eben daran gewöhnt, sowohl die Familie, als auch Gregor, man
nahm das Geld dankbar an, er lieferte es gern ab, aber eine besondere Wärme
wollte sich nicht mehr ergeben…“)
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Der Vater ist vor einiger Zeit mit einer Geschäftsidee pleite gegangen und hat dadurch hohe
Schulden angehäuft. Seitdem hat er die Rolle des Versorgers an Gregor abgegeben und ist mit
der Zeit körperlich schwächer geworden.
(„…Gregor erfuhr nun zur Genüge, (…) daß trotz allen Unglücks ein allerdings
ganz kleines Vermögen aus der alten Zeit noch vorhanden war, das die nicht angerührten Zinsen in der Zwischenzeit ein wenig hat anwachsen lassen. Außerdem
aber war das Geld, das Gregor allmonatlich nach Hause gebracht hatte – er selbst
hatte nur ein paar Gulden für sich behalten – , nicht vollständig aufgebraucht worden und hatte sich zu einem kleinen Kapital angesammelt…“)
Die Schwester Grete arbeitet nicht und wird von ihren Eltern wie ein Kind behandelt.
Nach Gregors Verwandlung übernimmt sie die Aufgabe für Gregor zu sorgen.
Sie traut sich in sein Zimmer zu gehen und bringt ihm Essen.
Am Ende nimmt Grete einen Beruf als Verkäuferin an und lernt Französisch sowie Stenographie
(Stenographie: Das handschriftliche Mitschreiben von in normalem Tempo vorgetragener Sprache, z.B. im Parlament). Von ihrem Lernen erhofft Sie sich vielleicht später eine bessere Anstellung zu bekommen. Im Laufe der Erzählung wird Grete reifer und übernimmt immer mehr Verantwortung.
g) Die Körperlichkeit nach der Verwandlung
 Beliebig große Gruppe, benötigt wird ein größerer, freier Raum zum
Liegen
„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett
zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und
sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich
dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen…“Wie wäre es, wenn ich noch ein wenig
weiterschliefe und alle Narrheiten vergäße“, dachte er, aber das war gänzlich undurchführbar,
denn er war gewöhnt, auf der rechten Seite zu schlafen, konnte sich aber in seinem gegenwärtigen Zustand nicht in diese Lage bringen. Mit welcher Kraft er sich auch auf die rechte Seite
warf, immer wieder schaukelte er in die Rückenlage zurück.“
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So beschreibt Gregor Samsa seinen hilflosen Zustand nach der Verwandlung in ein Insekt.
Die Schüler/innen sollen eine liegende Position im Raum einnehmen. Die Aufgabe ist, sich in eine
starre Körperhaltung zu begeben. Um diese Haltung den Schüler/innen zu erleichtern, sollen Sie
sich zum Beispiel einen Stock oder eine Holzpuppe ohne Finger und Zehen vorstellen und ihren
Körper ähnlich steif wie diese Gegenstände machen. Es soll jetzt versucht werden, in dieser
starren Haltung aufzustehen.
Die Schüler/innen sollen beobachten, welche Bewegungen möglich sind und welche nicht.
Wenn die Schüler/innen in eine aufrechte Körperposition gekommen sind, sollen sie menschliche
Aktionen in der starren Haltung durchführen (wie z.B. Fenster und Türen öffnen, etwas aufheben
usw.), immer mit dem Bewusstsein für die eingeschränkte Bewegungsqualität.
Nach der Übung werden die Erfahrungen besprochen. Welche Aktionen konnten durchgeführt
werden, welche nicht?
h) Ausgrenzung
 Bühnensituation
 Gruppen á 4-5 Personen
 Dynamische Gruppenübung
Gregor Samsa wird von seiner Familie ausgegrenzt, weil sie nicht mit seiner Veränderung umgehen kann. Fragen Sie die Schüler/innen: War das eine nachvollziehbare Handlung? Wie hätte
Gregors Familie noch reagieren können?
Es werden Gruppen gebildet und anschließend soll innerhalb der Gruppe über Gregors Verwandlung diskutiert werden. Eine Person kann die Rolle des Moderators annehmen und Protokoll über genannte Vorschläge sowie Sorgen/Bedenken der Familie für die abschließende Zusammenfassung führen.
Rollen:
1.
Vater
2.
Mutter
3.
Schwester
4.
Gregor
Die Ergebnisse sollen am Ende der Übung den anderen vorgetragen werden.
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i)
Die Textform auf der Bühne
Die Inszenierung von Katharina Kreuzhage ist ein Einpersonenstück. Der Schauspieler fungiert
als Erzähler. Kafkas Novelle wird erzählt und mit animierten Bildern kombiniert. Befragen Sie ihre
Schüler/innen warum wohl diese Form gewählt wurde. Worin liegen die Unterschiede des epischen Textes von Kafka im Vergleich zu dramatischen Texten?
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Sekundärmedienpool: Literatur / Filme
Joachim Pfeiffer: „Franz Kafka. Die Verwandlung / Brief an den Vater-Interpretation“, Oldenbourg
Interpretation Bd. 91, 1998
Corbeyran / Horne: „Die Verwandlung“ als Graphic Novel, Ex-Libris, Guy Delcourt Productions,
Paris 2009, Deutsche Erstausgabe 2010 von der Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, München
Jan Němec: „Die Verwandlung“, Deutschland 1975
 Verfilmung von „Die Verwandlung“ des Regisseurs der tschechischen Nouvelle Vague
Jan Němec
Impressum
Herausgeber Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele GmbH
Intendanz und Geschäftsführung Katharina Kreuzhage
Vorsitzender des Aufsichtsrates Michael Dreier
Redaktion Dramaturgie & Theaterpädagogik
Gestaltung Theaterpädagogik / Zeichnungen von Richard Horne aus der Graphic Novel DIE VERWANDLUNG
Förderer der Theater Paderborn Westfälische Kammerspiele GmbH
Stadt Paderborn / Kreis Paderborn / Ministerium für Familie, Kinder, Jugend und Sport des Landes NRW / Theaterfreunde e.V.
Quellen
Pfeiffer, Franz Kafka. Die Verwandlung / Brief an den Vater-Interpretation, Oldenbourg Interpretation, 1998.
http://www.xlibris.de/Autoren/Kafka/Biographie/Seite1
Stach, Franz Kafka. Die frühen Jahre, S. Fischer, 2014.
Sontag, Susan. Kunst und Antikunst, Carl Hanser Verlag, 1980.
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