Chinas Wandel vom Generikahersteller zum Innovator im
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Chinas Wandel vom Generikahersteller zum Innovator im
550_604_BIOsp_0510.qxd 586 19.08.2010 7:55 Uhr Seite 586 B I OT E CH NO LO G I E Wachstumsmärkte Chinas Wandel vom Generikahersteller zum Innovator im Gesundheitsmarkt HOLGER BENGS 1 , LIN BAI 2 1 DR. HOLGER BENGS BIOTECH CONSULTING, FRANKFURT a. M. 2 YANGTSE BIOTECH CONSULTING, NIEDER-OLM ó Anders als in der Solarbranche sucht man unter den weltweit führenden Unternehmen in der Pharma- und Biotech-Industrie vergeblich nach chinesischen Unternehmen. Das könnte allerdings nur die Ruhe vor dem Sturm sein! Noch ist der Gesundheitsmarkt in China zwar stark zersplittert und wird durch eine hohe Anzahl von Wettbewerbern geprägt. Doch die Wachstumsraten sind beachtlich. Prognosen zufolge wird China bald zum drittgrößten Pharma-Markt aufsteigen. Bisher ist kaum bekannt, dass die chinesische Regierung Innovationen sehr stark fördert und auf Unternehmertum setzt. Die Zeiten als China als verlängerte Werkbank der Welt allein mit niedrigen Lohnkosten im Vorteil war, neigen sich dem Ende: Um ein Vielfaches attraktiver wird China als Absatzmarkt. Chinas Pharma-Markt im Wachstum Der weltweite Pharma-Markt, also der Umsatz mit chemischen und biopharmazeutischen Wirkstoffen, betrug 2009 nach Aussagen des führenden internationalen Marktforschers IMS Health 837 Mrd. USD. Er wird mit jährlich durchschnittlichen Wachstumsraten zwischen 5 und 6 Prozent auf über 1,1 Bio. USD im Jahr 2014 anwachsen. Dabei stagniert das Wachstum in den Industrieländern. Unter den Schwellenländern wird China mit Wachstumsraten zwischen 15 und 20 Prozent jährlich Spitzenreiter sein: Bis 2013 werden aus 25 Mrd. USD für den schulmedizinischen Pharma-Markt bestehend aus klassisch-chemischen Wirkstoffen und Biopharmazeutika 80 Mrd. USD, bis 2020 wird sich der Wert sogar auf 220 Mrd. USD fast verzehnfachen. Die Zahlen des China Information Industry Net (CNII) weisen für 2008 einen Gesamtproduktionswert im Bereich Gesundheit von 866,7 Mrd. RMB aus, das sind etwa 100 Mrd. Euro. Der Wert liegt für 2009 bei 1 Bio. RMB und damit 15 Prozent höher, ein überdurchschnittlicher Anstieg im Vergleich zum industriellen Gesamtwachstum von 12,9 Prozent. Damit gehört die pharmazeutische Industrie in China zu den Branchen mit den höchsten Wachstumsraten (siehe Tabelle 1). Chinas Volkswirtschaft hat sich in den letzten zehn Jahren bereits vervierfacht: die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers geht weiterhin davon aus, dass China die USA spätestens 2050 als führende Wirtschaftsmacht eingeholt haben wird. Neben Themen wie Ernährung, Energie, nachwachsende Rohstoffe oder Umwelt steht bei der Entwicklung wie selbstverständlich der Gesundheitssektor im Blickpunkt der chinesischen Regierung: Erfindungen im Bereich Tab. 1: Brutto-Produktionswerte der chinesischen pharmazeutischen Industrie im Jahr 2008 [2] Branche Produktionswert (Mrd. RMB) Wachstumsrate gegenüber 2007 Pharmazeutische Wirkstoffe 185,4 23,2 % Chemische Zubereitungen 233,6 23,9 % Traditionelle Chinesische Medizin 177,9 21,2 % Medizinische Geräte und Hilfsmittel 75,4 31,4 % Biopharmazeutika 76,9 30,6 % 866,7 25,7 % Summe der Biotechnologie werden genauso gefördert wie Unternehmertum. Insgesamt, über den Sektor Gesundheit hinaus, hat sich das chinesische Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MoST, Ministry of Science & Technology) 40.000 Unternehmensgründungen jährlich zum Ziel gesetzt. Gesundheitsreform treibt Wachstum Eine Triebkraft ist die Gesundheitsreform von 2009: In den nächsten drei Jahren sollen 90 Prozent der chinesischen Bevölkerung über ein Krankenversicherungssystem erfasst werden, darunter 200 Millionen bisher nicht versicherte Chinesen, also die 2,5-fache Zahl an Bundesbürgern. Darüber hinaus soll ein nationales Grundversorgungssystem etabliert und der Bau neuer Krankenhäuser auf dem Land forciert werden. Bis 2012 werden dafür umgerechnet 100 Mrd. Euro investiert. Für die internationale pharmazeutische Industrie bedeutet das einen immensen Zuwachs bei den zu Therapierenden. Allerdings werden die Patienten über eine Vielzahl von Versorgungseinrichtungen verstreut sein und auch westliche Preise werden internationale Pharma-Konzerne kaum durchsetzen können. Insofern gelten im chinesischen Gesundheitsmarkt die gleichen Spielregeln wie im Westen: Diagnostische Test-Kits oder auf bestimmte Patientengruppen zugeschnittene Medikamente – beides um die Gesundheitskosten zu kontrollieren – dürften ihren Weg finden. So sieht sich etwa der Bayer-Konzern gut gerüstet: In den nächsten fünf Jahren will die Nummer 13 der Big Pharma 20 Arzneimittel in China auf den Markt bringen. Das Unternehmen machte 2009 in China bereits 530 Mio. Euro Umsatz: ein Zuwachs von 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Industrieregionen und Biotechparks Das kommunistische Land begann bereits in den 1980er Jahren mit dem Aufbau von Hightech-Regionen und Industrieparks. Zunächst gedacht zur Ansiedlung ausländischer Unternehmen sie heute auch chinesischen Innovationen Raum zu geben. Inzwischen gibt es über einhundert solcher Parks. Darunter sind 53 nationale Hightech-Entwicklungszonen. BIOspektrum | 05.10 | 16. Jahrgang 550_604_BIOsp_0510.qxd 19.08.2010 7:55 Uhr Seite 587 587 Tab. 2: Die 10 größten chinesischen Pharma-Unternehmen nach den Umsätzen in 2008 [1] (RMB: chinesische Währung Renminbi, auch Yuan; 1 RMB entspricht aktuell ca. 0,117 Euro; 1 Euro = 8,5 RMB, Stand 10. Juli 2010) (TCM = traditional chinese medicine, API = active pharmaceutical ingredients) Rang Unternehmen Produkte 1 Shanghai Pharmaceutical (Group) Co., Ltd Antibiotika, TCM, Handel 22,37 2 Guangzhou Pharmaceutical (Group) Co., Ltd TCM, Schulmedizin, medizinische Geräte, Lebensmittel 12,63 3 Yangtze River Pharmaceutical (Group) Co., Ltd TCM 10,00 4 Tianjin Pharmaceutical (Group) Co., Ltd TCM, Schulmedizin, Geräte, Anlagenbau 6,56 5 Shijiazhuang Pharmaceutical (Group) Co., Ltd Antibiotika, Vitamine, u.a. 6,00 6 Sichuan Kelun Industry Group API’s, Infusionen, Verpackungen 5,52 7 Hangzhou Huadong Medicine Group Co.,Ltd TCM, API’s 4,48 8 North China Pharmaceutical KANGXIN CO., LTD. API’s, biologische Präparate 4,40 9 Tianjin Tasly Pharmaceutical Co., Ltd TCM, API’s, biologische Präparate 3,35 10 Northeast Pharmaceutical Group Co., Ltd API’s, Kosmetik, Zusatzstoffe 2,96 Sie funktionieren nach westlichem Muster, nur die Größenordnung ist eine andere: Der Zhangjiang Hi-Tech Park in Shanghai, zweitgrößter Hightech-Park in China, wurde 1992 gegründet. Er ist auf 54 km2 ausgelegt, 23 km2 davon sind bereits besiedelt. Mit über 6.000 Unternehmen – vom kleinen Startup bis zum Weltunternehmen – und mehr als 130.000 Mitarbeitern ist es ein eigener Stadtteil. Im Vergleich dazu wirkt der Industriepark Höchst in Frankfurt mit 4,5 km2, 90 Unternehmen und 22.000 Beschäftigten bescheiden. In Zhangjiang hat sich bereits ein beachtlicher internationaler Chemie-Pharma-Cluster mit Abbott, AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, DSM, GlaxoSmtihKline, Henkel, Lilly, Novartis, Pfizer und Roche entwickelt. Daneben gibt es in China derzeit 22 Biotech-Stützpunkte. Die vier Zentren im Yangtse-Delta (Shanghai), im Perlfluss-Delta (Kanton), in der Bohai-Bucht (Tianjin) und in Chongqing (Westchina) decken dabei 80 Prozent des chinesischen Biotech-Potentials ab; für 2010 werden bereits Umsätze in Höhe von umgerechnet bis zu 95 Mrd. Euro erwartet. Spezielle Biotech-Inkubatoren, wie der Juke Biotech Park in Shanghai, verschaffen dabei jungen Unternehmen Zugang zu Laboratorien und vereinfachen den Austausch mit Partnern, vor allem auch mit Kapitalgebern. In dem im April 2003 ins Leben gerufenen Inkubator stehen insgesamt für 120 Biotech-Unternehmen mit 1.200 Beschäftigten 12.000 m2 Labor- und Büroraum zur Verfügung. Die weiteren 34.000 m2 des Parks stellen Ver- und Entsorgung, sowie Lagerhaltung sicher. Aber auch Tierställe, Fermentationskapazitäten und Tablettenformulierung gehören zum Angebot für den Unternehmensmix aus traBIOspektrum | 05.10 | 16. Jahrgang ditionellen Pharma- und Plattformunternehmen der Genom-, Proteom- und Antikörperforschung sowie Bioinformatik-Startups. Umsatz (Mrd. RMB) könnte schon bald weit im Osten liegen. Eine Grundkenntnis chinesischer Sprache und Kultur ist sicher kein Fehler: Warum nicht einmal einen Postdoc in China machen? Vom Generikum zur Innovation China ist weltweit größter Produzent von pharmazeutischen Wirkstoffen, pharmazeutischer Vorstufen und chemischer Zubereitungen. Noch stehen die traditionelle chinesische Medizin (TCM) und Generika im Fokus. In über 7.000 pharmazeutischen Produktionsbetrieben werden mehr als 1.500 verschiedene Wirkstoffe produziert. Biopharmazeutika sind im Kommen: Das erste rekombinante Interferon alpha-1b wurde bereits 1993 durch die chinesische Food and Drug Administration (SFDA) zugelassen. Gemäß der OECD haben bis Ende 2007 allein 21 rekombinante Pharmazeutika den Markteintritt geschafft. Hohe Priorität in Forschung und Entwicklung (F&E) liegt auf den Plattformtechnologien Genomics und Proteomics sowie der personalisierten Medizin. Auch Wirk- und Impfstoffe gegen Krebs, Hepatitis und AIDS stehen oben, ebenso die Stammzellen-Forschung. 2008 gab es 661 biopharmazeutische Unternehmen in China. Life Sciences-Ausblick China China ruht sich auf seinen Wettbewerbsvorteilen niedriger Herstellungskosten und großer Produktionskapazitäten nicht aus, sondern entwickelt sich als Absatzmarkt und F&E Standort. Viele westliche Pharmahersteller verlagern bereits Teile ihrer F&E-Aktivitäten nach China und sind mit eigenen Forschungszentren vor Ort. Das Reich der Mitte im Auge zu behalten scheint lohnenswert: So mancher Arbeitsplatz westlicher Forscher Korrespondenzadressen: Dr. Holger Bengs (Dipl.-Chemiker) Dr. Holger Bengs Biotech Consulting Varrentrappstraße 40–42 D-60486 Frankfurt a. M. [email protected] Dr. Lin Bai (Dipl.-Ernährungswissenschaftler) Yangtse Biotech Consulting Oppenheimer Straße 30 D-55268 Nieder-Olm [email protected] Die Autoren gehörten Anfang Juni zu einer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) initiierten Delegationsreise nach Beijing und Shanghai zur Förderung des Austausches zwischen Biotech-Unternehmen. Die Organisation der Reise mit Kooperationsgesprächen und Biotech-Park-Besichtigungen wurde durch Brücke-Osteuropa e.V. organisiert. Literatur [1] Analyse der Medizin- und Pharma-Branche in Beijing 2008/2009, Beijing Pharmaceutical Profession Association, www.bppa.org.cn [2] China’s Pharmaceutical Economic Newspaper, 2009, www.ccpie.org [3] Brücke-Osteuropa e.V., www.bruecke-osteuropa.de [4] Zhangjiang Hi-Tech Park, www.zjpark.com/zjpark_en [5] Juke Biotech Park, www.jkbp.com [6] China National Center for Biotechnology Development, www.echinabio.com [7] OECD, Biotech Regulation in the Health Sector 2008, www.oecd.org