Endlich Pflegegeld für Muttermilchernährung von Babys mit LKGS

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Endlich Pflegegeld für Muttermilchernährung von Babys mit LKGS
Informationen
Endlich Pflegegeld für
Muttermilchernährung von
Babys mit LKGS
von Christine Spötzl
Felicitas
Felicitas war auf die Welt gekommen und konnte aufgrund ihrer
einseitig durchgehenden LGKS
keine Muttermilch aus der Brust
ihrer Mama trinken. Nun bedeutet ihr Name aber „die Glückliche“ und Glück hatte sie, denn
ihre Mama begann tapfer ihren
gesamten Milchbedarf zu pumpen und ihr liebevoll wieder mit
Spezialsaugern zu füttern. Da
dieses sogenannte Pumpstillen
aber enorm zeit- und kraftaufwändig ist, mussten sich Felicitas
Eltern bald nach Hilfe umsehen
und beantragten deshalb eine
Pflegestufe für ihr Kind bei der
Pflegekasse, um sich mit dem
Pflegegeld eine Hilfe für die
Haushaltsbereiche und das Geschwisterchen leisten zu können,
die wegen der Pumpzeiten und
sonstigen aufwändigen Pflege
von Felicitas zu kurz kamen. Nun
lehnte die Pflegekasse aber die
Anerkennung der Pumpzeiten als
Grundpflegezeiten ab und es begann ein langes und komplexes
Rechtsverfahren. In seinem Verlauf zeigte sich zum zweiten Mal,
wer „die Glückliche“ ist, als – soweit wir wissen – erstmals ein
rechtskräftiges Sozialgerichtsurteil erging, das genau das Abpumpen von Muttermilch für ein
Baby mit LKGS als Grundpflege
im Rahmen der Einstufung in die
Pflegestufen anerkannte. Dass
nun so viele Babys mit LGKS wie
möglich das Muttermilchglück
von Felicitas mit Unterstützung
der Eltern durch die Pflegekasse
haben können, stelle ich Ihnen
mit Felicitas Eltern nachfolgend
die wichtigsten Informationen
zusammen.
Die Muttermilch
Da die Muttermilch für das
Spaltbaby hier im Mittelpunkt
des Verfahrens steht, soll zunächst ihre Bedeutung herausgestellt werden, wie sie Márta
Guóth-Gumberger,
Dipl.Ing,
Still- und Laktationsberaterin
IBCLC und Autorin des bekannten GU Ratgeber Kinder „Stillen“(5.Auflage), für das Sozialgericht mit detaillierten wissenschaftlichen Nachweisen formulierte:
„Die Ernährung mit Muttermilchersatznahrung führt zu einem erhöhten Risiko für eine
Reihe von Infektionskrankheiten, insbesondere für Infektionen
des Magen-Darm-Trakts und der
Atemwege, sowie Ohr- und
Harnwegsinfekte und andere allgemeine Infektionen; zu einem
erhöhten Risiko für eine Reihe
nicht-infektiöser und chronischer
Erkrankungen
(beispielsweise
Diabetes Typ I und II, Allergien).
Aber auch für den Plötzlichen
Kindstod (SIDS), Hypertonie
und einige Krebserkrankungen
(zum Beispiel Lymphome, Leukämie, Morbus Hodgkin) besteht
erhöhtes Risiko. Das erhöhte Ri-
siko für Mittelohrentzündungen bei künstlicher Ernährung ist besonders bei Babys mit
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte bedeutsam,
weil diese mehr Ohrenentzündungen haben
als die Gesamtheit der Säuglinge. Weiter
wird berichtet, dass die antibakteriellen
Komponenten in Muttermilch postoperative
Heilung unterstützen und im Vergleich zu
künstlicher Säuglingsernährung die Irritation der Schleimhäute reduzieren. Die verbesserte Wundheilung ist bei LGKS besonders wegen der erforderlichen Operationen von Bedeutung.“
Die Pflegestufen
Wer pflegebedürftig ist, hat nach §§ 36, 37
SGB XI Anspruch auf häusliche Pflegehilfe
oder Pflegegeld. Umfang und Höhe richten
sich danach, welcher Pflegebedarf für mindestens drei Monate besteht. Liegt der Pflegebedarf täglich bei mindestens 90 Minuten
wird die Pflegestufe I, bei mindestens drei
Stunden die Pflegestufe II und bei mindestens 5 Stunden die Pflegestufe III gewährt,
wenn es sich größtenteils um Grundpflege
handelt und hauswirtschaftliche Hilfe nur
einen kleineren Teil ausmacht. Das Pflegegeld für die Pflegestufe I beträgt derzeit 235,Euro, 440,-Euro für die II , und 700,- Euro
monatlich für die Pflegestufe III. Das System
der Begutachtung des Pflegebedarfs und die
Einstufung in die Pflegestufen ist leider
ziemlich komplex, so dass wir uns hier auf
diejenigen Details beschränken müssen, die
gerade für die Anerkennung einer Pflegestufe aufgrund des Pumpstillens bei Säuglingen
mit LGKS entscheidend sind.
Unterschieden wird beim Pflegebedarf zwischen sogenannter Grundpflege und Hilfen
bei der hauswirtschaftlichen Versor-
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Informationen
gung. Zur Grundpflege gehört die Ernährung, insbesondere die mundgerechte Zubereitung der Nahrung und die Hilfe bei der
Aufnahme. Nach den maßgeblichen Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur
Begutachtung der Pflegebedürftigkeit zählt zur
mundgerechten Zubereitung der Nahrung
die letzte Maßnahme vor der Nahrungsaufnahme, z.B. das Einfüllen von Getränken in
Trinkgefäße. Erfasst werden nur solche Maßnahmen, die dazu dienen die bereits zubereitete (also z.B. fertig gekochte) Nahrung so
aufzubereiten, dass sie vom Pflegebedürftigen aufgenommen werden kann, beim alten
Menschen etwa Schneiden des Brotes oder
Mixen des Fleisches.
Das neue Urteil
Im Urteil vom 6. Oktober 2011 hat das Sozialgericht München AZ S 17 P 206/08 nun
anerkannt, dass „im Fall des Fütterns von
Muttermilch .... der letzte Schritt vor der
Fütterung, nämlich Abpumpen in ein
Trinkgefäß, zur mundgerechten Zubereitung und nicht zur hauswirtschaftlichen
Versorgung zu zählen ist.“ Der Vorgang
wird vom Gericht als vergleichbar mit
dem Einfüllen eines Getränkes in ein
Trinkgefäß etwa bei Funktionsstörungen
der Hände, angesehen. Das Gericht führt
daher weiter aus: „Ein Säugling mit einer
noch nicht vollständig operierten LippenKiefer-Gaumenspalte kann behinderungsbedingt nicht über die mütterliche
Brust gestillt werden; hierzu ist ein spezieller Sauger erforderlich. Die Muttermilch kann also in diesen Fällen - anders
als bei nicht behinderten Kindern - nur
dann von dem Säugling getrunken werden, wenn sie zuvor abgepumpt und in ein
Trinkgefäß mit speziellem Sauger eingefüllt wurde.“
Entscheidend für diese Auslegung ist, dass
die Muttermilch direkt für das Kind abgepumpt wird, ohne eine Bevorratung. Das
zunächst sehr kritische Gericht war in
dem Moment überzeugt, als im Gerichtssaal gezeigt wurde, wie in ein Fläschchen
gepumpt wird, dem nach Abschluss des
Pumpvorganges nur anstatt des Pumpaufsatzes ein Spezialsauger aufgeschraubt
und das Kind gefüttert wird.
Pflegestufe für jedes
pumpgestillte Spaltbaby
Soll ein Baby mit LGKS ausschließlich mit
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Muttermilch ernährt werden, ist
nach der erfahrenen Stillberaterin
Frau Márta Guóth-Gumberger
mindestens mit Pumpzeiten von
120 Min./ 24 Stunden (acht mal
15 Min.) zu rechnen, wenn eine
qualitativ hochwertige elektrische
Brustpumpe mit Doppelpumpset
verwendet wird. Unsere eigenen
Erfahrungen liegen eher bei höheren Pumpzeiten.
Das bedeutet, dass allein für das
Pumpen von Muttermilch nach
der zitierten neuen Rechtsprechung die Pflegestufe I, also 235,Euro von der Pflegekasse als
Unterstützung zu gewähren ist.
Ein verhältnismäßig geringer
Aufwand von weiter erforderlicher Grundpflege, etwa das Reinigen der Gaumenplatte oder erhöhte Fütterzeiten oder hauswirtschaftliche Hilfen wie hoher
Waschaufwand wegen vermehrten Spuckens reichen dann schon
aus, um die Pflegestufe II, also
440,- Euro Unterstützungsleistung zu erhalten. Eine Kinderbetreuung oder Haushaltshilfe für
etwa 12,-Euro/Stunde könnte damit immerhin jeden zweiten Tag
zwei Stunden bezahlt werden.
Bei ausgeprägten LGKS oder
sonstigen pflegerischen Besonderheiten ist auch eine Pflegestufe III zu erhalten.
Die Broschüre zum Stillen bei
LGKS: „Lasst uns etwas Zeit“ von
C. Herzog, ist gegen einen frankierten A5 Rückumschlag bei der
Medela AG, Postfach 1148,
85378 zu erhalten.
Weil das Pflegegeld frühestens ab
dem Datum der Antragsstellung
(gegebenenfalls rückwirkend) bezahlt wird, ist so schnell wie möglich nach der Geburt ein schriftlicher Antrag auf Einstufung in
eine Pflegestufe bei der Pflegekasse zu stellen. Er kann handschriftlich und ganz kurz sein,
etwa:
Sehr geehrte Damen
und Herren,
Wir beantragen für unser
Kind......geboren am ..... mit
LGKS die Einstufung in die
Pflegestufen, da wir täglich
mindestens ..............Stunden
Grundpflege (Pumpen von
Muttermilch, Füttern mit
Spezialsauger, Reinigen der
Gaumenplatte.........)
und
Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung zu leisten
haben. Bitte veranlassen Sie
umgehend einen Besuch des
MDK durch eine qualifizierte
Fachkraft (mindestens Kinderkrankenschwester, besser Facharzt).
Mit freundlichen Grüßen
So geht´s
Zur Ernährung des Babys mit
Muttermilch ist eine gute Pumpe
und fachkundige Anleitung erforderlich. Die Pumpe verschreibt der Frauenarzt/ die Frauenärtzin (auch schon kurz vor der
Geburt), Hilfestellung kann die
Hebamme nur geben, wenn sie
speziell ausgebildet ist.
Erste Informationen und auch
Hilfen bei der Suche nach Beraterinnen finden sich auf den Seiten
www.stillunterstuetzung.de
www.bdl-stillen.de
Unterschrift
Es wird dann schriftlich der Besuch eines Vertreters des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) angekündigt, der
dann zu Hause stattfindet. Leider
sind diese Vertreter nach unserer
Erfahrung oft sehr unerfahren in
der Begutachtung von Babys mit
LKGS, und es ist gut, wenn während der Begutachtung noch
fachlich kompetente Begleiter
anwesend sind wie z.B. die Hebamme, die im Zweifel die Situation auch bezeugen kann, wenn
Informationen
Unklarheiten oder Streitigkeiten
entstehen. Der MDK fertigt
ein Gutachten, leitet es an die
Pflegekasse, und sie macht den
Bescheid, welche Pflegestufe gewährt wird. Da es sich um
ganz neue Rechtsprechung handelt, die vielleicht auch nicht immer versehentlich übersehen
wird, ist eine kritische Prüfung
des Bescheids unbedingt zu empfehlen. Möglicherweise kann
auch ein Widerspruch gegen
einen zu Unrecht ablehnenden
Bescheid erforderlich werden.
Da die erste Zeit mit einem Baby
mir LGKS leicht sehr anstrengend ist, mag vielleicht auch die
Abgabe der Verfahrenssachen in
zuverlässige Hände eine große
Hilfe sein.
Wir haben uns für das zitierte
Urteil Jahre (!) durch das Rechtsverfahren gekämpft, vorwiegend
um für alle, die nach uns kommen, ein erstes Urteil zu erstreiten und geben deshalb gerne unsere Erfahrungen und unser
Wissen weiter.
Die Autorin ist Juristin und selbst Mutter eines Spaltkindes. Sie kennt die Besonderheiten von Spaltkindern und deren Rechte. Das
oben zitierte Urteil sowie eine weitere
Grundsatzentscheidung gehen wesentlich
auf ihren Einsatz und Sachverstand zurück.
Sie steht für Fragen gerne zur Verfügung und
ist telefonisch (08051/9658177) und per
email unter
[email protected]
zu erreichen.
Pressemitteilung Medizin/Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie
Stressbewältigung:
Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ticken anders.
Neue Studie gibt
Aufschluss
Hofheim, Juni 2011. Spaltbildungen an Lippe, Kiefer und
Gaumen sind weltweit die zweithäufigsten angeborenen Fehlbildungen. In Europa kommt eines
von 500 Babys mit einer solchen
Spalte zur Welt. Durch die rasante Entwicklung mikrochirurgischer Techniken können LippenKiefer-Gaumenspalten (LKGSpalten) mit funktionell und ästhetisch guten Ergebnissen behandelt werden. Das Behandlungskonzept von Patienten mit
LKG-Spalten beschränkte sich
bisher vor allem auf die chirurgische Rekonstruktion der angeborenen Fehlbildung. Im Gegensatz
dazu ist nur wenig über die
psychosozialen Veränderungen
der betroffenen Patienten bekannt. Jetzt wurde eine Untersuchung durchgeführt, die das
Stress-Coping
(Stressbewältigungsverhalten) von Spaltpatienten untersucht. Die Ergebnisse
dieser Studie wurden erstmals anlässlich der 61. Jahrestagung der
Deutschen Gesellschaft für
Mund-, Kiefer-und Gesichtschirurgie (DGMKG) vom 16. - 18.
Juni 2011 in Bamberg vorgestellt.
Das Team um Dr. Dr. V. Gaßling
(Klinik für Mund-, Kiefer-und
Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,
Campus Kiel, Direktor: Prof.
Dr. Dr. J. Wiltfang) in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit
weiteren fachmedizinischen Abteilungen des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein verglich dabei 30 erwachsene Spaltpatienten mit einer gleich großen
gesunden Kontrollgruppe.
Der Test
Mit Hilfe des so genannten Trierer Social Stress Tests, einem speziellen Konzept zur Stressauslösung, wurde ein moderater psychischer Stress unter Laborbedingungen bei den Probanden
ausgelöst. Zu verschiedenen
Zeitpunkten vor, während und
nach der Testphase wurden Speichelproben mit einem Watteträger aus der Mundhöhle entnommen und damit der Cortisolspiegel bestimmt, der Aufschluss
über den aktuellen, jeweiligen
„Stresspegel“ gibt.
Darüber hinaus musste jeder
Proband nach dem Test spezielle,
wissenschaftlich bewährte Frage-
bögen zur Lebensorientierung und Stressbewältigung beantworten.
Das Ergebnis
Der Test belegt, dass Spaltpatienten im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe unterschiedliche Stressbewältigungsstrategien zeigen. Überdies wurde ein Zusammenhang
zwischen Stressbewältigung, Krankheitsverarbeitung und Lebensorientierung sichtbar.
So konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass nach Stressauslösung der Cortisolspiegel im Speichel von Spaltpatienten und
Kontrollpersonen zunächst gleichmäßig ansteigt. Nach 10 Minuten kommt es dann jedoch in beiden Gruppen zu einem Abfall der
Cortisolwerte, wobei dies bei den Spaltpatienten signifikant schneller erfolgt. Die
Auswertung von 19 Stressbewältigungsstrategien zeigte beim Aspekt „Gedankliche
Weiterbeschäftigung mit dem Stressereignis“ unterschiedliche Ergebnisse für die beiden Gruppen. So scheint es, dass Menschen
mit einer Spaltbildung deutlich kürzer über
ein Stressereignis nachdenken als eine
gesunde Vergleichsgruppe.
In Bezug auf die positive Grundhaltung
bzw. Lebenseinstellung fanden sich keine
Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Die Beurteilung der Krankheitsbewältigung erfolgte durch Vergleich mit einer
Gruppe chronisch niereninsuffizienter
Patienten als Prototyp schwer kranker
Gesichter 2/2012
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