Freitag 15.7.2016

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Freitag 15.7.2016
Mathematische Probleme, SS 2016
Freitag 15.7
$Id: sphaere.tex,v 1.18 2016/07/15 18:27:28 hk Exp $
§5
Sphärische Trigonometrie
5.6
Berechnung der Tageslänge
Wir beschäftigen uns gerade mit der Berechnung der Tageslänge. Wir betrachten momentan einen fixierten Tag an dem der Einstrahlpunkt Q, also der Schnittpunkt der
Erdoberfläche mit der Verbindungsstrecke vom Sonnenmittelpunkt zum Erdmittelpunkt, zum Äquator den Winkel δ hat. Wir hatten δ auch die Deklination genannt. Wir
betrachten den Fall das die Nordhalbkugel der Sonne zugewandt ist und dies bedeutet
δ ≥ 0. Die Tageslänge hängt dann vom Breitengrad ϕ ab, wobei wir hier einen Breitenkreis der nördlichen Halbkugel betrachten auf dem überhaupt ein Wechsel zwischen
Tag und Nacht stattfindet, also mit 0 ≤ ϕ ≤ π/2 − δ. In einer ersten Näherung hatten
wir eingesehen das die Tageslänge auf diesem Breitenkreis gemessen in Stunden als
T1 = T1 (ϕ, δ) =
24
arccos(− tan ϕ tan δ)
π
gegeben ist. Hierzu wurde das sphärische Dreieck gebildet aus Q, dem Sonnenaufgang
P längs unseres Breitenkreises und dem Nordpol N betrachtet, der Winkel H in diesem Dreieck beim Nordpol ist dann der sogenannte Stundenwinkel und gibt die Zeit
zwischen Sonnenaufgang und Mittag an.
Diese geometrische Tageslänge“ weicht aber noch recht deutlich von der wirk”
lich beobachteten Tageslänge ab. Dies liegt an zwei Hauptgründen. Zum einen ist die
Sonne keine punktförmige Lichtquelle sondern hat eine Ausdehnung und nimmt eine
Winkel von etwa 160 ein. Die Sonne ist also schon um den Winkel 160 vor Erreichen
des Punktes P sichtbar. Weiter hat die Erde eine Atmosphäre an der sich die eingehenden Lichtstrahlen brechen, und Messungen dieses Effekts ergeben einen weiteren
Korrekturwinkel 340 . Insgesamt kommen wir auf den Korrekturwinkel
◦
5
0
0
0
:= 16 + 34 = 50 =
≈ 0, 83◦ .
6
In unserem Dreieck P QN haben wir bei Sonnenaufgang also tatsächlich |P Q| = π/2+
im Winkelabstand und der Seitencosinussatz ergibt
π
− sin = cos
+ = sin ϕ sin δ + cos ϕ cos δ cos H
2
und somit
cos H = − tan ϕ tan δ −
26-1
sin .
cos ϕ cos δ
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Als genaueren Wert für die Tageslänge in Stunden erhalten wir
24
sin e
e
arccos − tan ϕ tan δ −
.
T1 = T1 (ϕ, δ) =
π
cos ϕ cos δ
Dies ist allerdings noch nicht die gewünschte Form dieser Formel. Wir wollen die kor”
rigierte Tageslänge“ als eine Störung der geometrischen Tageslänge interpretieren, sie
also als eine Summe von T1 und einem Korrekturterm schreiben. Dieser Korrekturterm beschreibt dann im wesentlichen die Dauer der Dämmerung. Um den Wert von
Te1 mit T1 zu vergleichen machen wir eine kleine Approximationsüberlegung. Zunächst
erinnern wir uns daran das die Differenzierbarkeit einer Funktion f in einem Punkt x
bedeutet das für kleine Inkremente h die Näherung
f (x + h) ≈ f (x) + f 0 (x)h
gilt. Die Ableitung des Arcus Cosinus ist
d
1
arccos x = − √
,
dx
1 − x2
also haben wir
arccos(x + h) ≈ arccos x − √
h
.
1 − x2
Der Wert sin /(cos ϕ cos δ) ist vergleichsweise klein, also wird
24
sin Te1 ≈ T1 + p
·
.
π 1 − tan2 ϕ tan2 δ cos ϕ cos δ
Weiter haben wir für kleine Winkel φ die übliche Näherung sin φ ≈ φ und es wird
◦
5 π
π
5
= ·
=
,
sin ≈ =
6
6 180
216
und somit
1
1
1
1
Te2 ≈ T2 := T1 + · p
= T1 + · p
.
2
2
2
2
2
9
9
cos ϕ cos δ − sin ϕ sin δ
cos ϕ − sin2 δ
Der Dämmerungsterm ist sowohl im Breitengrad ϕ als auch in der Deklination δ monoton steigend, die Dauer der Dämmerung nimmt also für weiter nördlich gelegene
Breitenkreise und hin zur Sommersommenwende zu. Die kürzeste Dämmerung tritt
also im Frühlings- und im Herbstpunkt bei δ = 0 auf und hat den Wert 1/(9| cos ϕ|)
während die längste Dämmerung bei Sommer- beziehungsweise der Wintersonnenwende mit δ = ±δ0 ist. Für den Äquator ϕ = 0 ergibt sich eine Dämmerung von mindestens
6, 8 Minuten und höchstens 7, 4 Minuten während für Kiel beim Breitegrad ϕ = 54◦ 200
die Dämmerung mindestens 11, 4 und höchstens 15, 6 Minuten dauert.
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Wir wollen uns die bisher hergeleiteten Formeln einmal am Beispiel des durch Kiel
laufenden Breitenkreises anschauen. Kiel liegt südlich des Polarkreises bei 66, 56◦ also
gibt es stets eine Tag und eine Nachtphase. In der folgenden Tabelle geben wir die
Tageslänge in Kiel als Funktion der Deklination δ für einige Werte von δ in Stunden
an
δ
0◦
4, 69◦ 9, 37◦ 14, 06◦ 18, 75◦ δ0 = 23, 44◦
T1 12 : 00 12 : 52 13 : 46 14 : 43 15 : 45
16 : 57
T2 12 : 11 13 : 03 13 : 58 14 : 55 15 : 59
17 : 12
Diese Tabelle gibt uns Werte zwischen dem Frühlingsanfang und der Sommersonnenwende, für andere Werte der Deklination δ lassen sich die Werte durch Symmetrieüberlegungen gewinnen. Die Tageslänge zwischen Sommersonnenwende und dem Herbstpunkt durchläuft dann dieselben Werte in die andere Richtung. Zwischen Herbstpunkt
und Frühlingspunkt ist die Deklination negativ und die Nacht ist länger als der Tag.
Die hierbei auftretenden Werte von T1 und T2 wollen wir uns über Symmetriebetrachtungen herleiten. Für 0 ≤ φ ≤ π gilt cos(π − φ) = − cos φ und 0 ≤ π − φ ≤ π, also ist
für alle −1 ≤ x ≤ 1 auch arccos(−x) = π − arccos x. Mit dieser Formel ergibt sich für
0 ≤ δ ≤ δ0
24
24
T1 (ϕ, −δ) =
arccos(tan ϕ tan δ) = (π − arccos(− tan ϕ tan δ)) = 24 − T1 (ϕ, δ)
π
π
Der Länge des Tages zur negativen Deklination −δ ist also die Länge der Nacht bei
Deklination δ. Diese Formel gilt allerdings nur für die geometrische Tageslänge T1 , die
korrigierte Tageslänge ergibt sich dann analog zur obigen Rechnung als
1
1
T2 (ϕ, −δ) = T1 (ϕ, −δ) + · p
.
9
cos2 ϕ − sin2 δ
Damit haben wir die Tageslänge als Funktion der Deklination beschrieben.
Um jetzt die Tageslänge als Funktion der Jahreszeit zu berechnen muss also nur noch die Deklination als eine solche bestimmt werden und hierzu
beginnen wir mit einer vorbereitenden Überlegung.
Ekliptik
Zunächst einmal wollen wir den Fortlauf der JahH
reszeit als den Winkel α zwischen dem FrühlingsM
punkt F und dem Einstrahlpunkt Q bezüglich des
α
Erdmittelpunkts M messen, also als den WinkelabÄquator
stand zwischen F und Q. Sei Q0 der Schnittpunkt
des Meridians durch Q mit dem Äquator. Dann betrachten wir das sphärische Dreieck ∆ = F Q0 Q.
Dieses Dreieck hat bei Q0 einen rechten Winkel und
sein Winkel bei F ist δ0 . Weiter sind in ∆ die Winkelabstände |F Q| = α und |QQ0 | = δ, der sphärische Sinussatz Satz 6 ergibt also
sin δ
sin α
= sin α,
=
sin δ0
sin π2
26-3
Q
δ0
F
Q’
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und wir haben sin δ = sin δ0 sin α. Schreiben wir jetzt
sin δ
tan δ = p
1 − sin2 δ
sin δ0 sin α
=p
1 − sin2 δ0 sin2 α
=q
sin δ0
1
sin2 α
− sin2 δ0
sin δ0
=p
cot2 α + 1 − sin2 δ0
=p
sin δ0
cot2 α + cos2 δ0
,
so ergibt sich
24
tan ϕ sin δ0
T1 = T1 (ϕ, α) =
arccos − p
π
cot2 α + cos2 δ0
!
und für die korrigierte Tageslänge ergibt sich
T2 = T2 (ϕ, α) = T1 (ϕ, α) +
1
1
p
.
2
9 cos ϕ − sin2 δ0 sin2 α
Für die weiteren Rechnungen ist es bequemer anstelle von α den Winkel ω von der
Wintersonnenwende zu Q zu verwenden, also α = ω − π/2. Dann werden
!
tan ϕ sin δ0
24
,
arccos − p
T1 = T1 (ϕ, ω) =
π
tan2 ω + cos2 δ0
T2 = T2 (ϕ, ω) = T1 +
1
1
p
.
9 cos2 ϕ − sin2 δ0 cos2 ω
Nehme wir als eine erste noch recht ungenaue Näherung an, dass die Sonne die Erde mit gleichbleibender Winkelgeschwindigkeit umläuft, so sind der Winkel ω und die
Zeit seit der Wintersonnenwende proportional. Zur Bestimmung der Proportionalinätskonstante beachte das einem vollen Umlauf von ω der Winkel 2π entspricht und das
dieser ein Jahr benötigt. Als ein tropisches Jahr Tt bezeichnet man die Dauer zwischen
zwei aufeinanderfolgenden Wintersonnenwenden beziehungsweise gleichwertig zwei aufeinanderfolgenden Frühlingspunkten. In Tagen ist die Dauer eines tropischen Jahres
Tt = 365, 2422. Ist also N die Zeit seit der Wintersonnenwende in Tagen, so wird
ω = ω1 (N ) =
2π
·N
Tt
und als Dauer des Tages N bei Breitengrad ϕ ergibt sich in Stunden


tan ϕ sin δ0
24
.
arccos −
T1 = T1 (ϕ, N ) =
π
tan2 2π N + cos2 δ
Tt
0
Diese Formel ist allerdings noch recht ungenau, für den Breitenkreis durch Kiel weicht
sie bis über eine Viertelstunde von der wirklichen Tageslänge ab. Dies liegt im wesentlichen daran das die Winkelgeschwindigkeit der Erde um die Sonne eben nicht konstant
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ist, um jetzt weiter zu kommen müssen wir uns das System aus Erde und Sonne etwas
genauer anschauen. Das erste Keplersche Gesetz besagt das die Erde sich auf einer
Ellipse e um die Sonne bewegt und das die Sonne einer der beiden Brennpunkte dieser
Ellipse ist. Bezeichne S die Sonne und Z den Mittelpunkt der beiden Brennpunkte von
e. Die lannge Halbachse a und die kurze Halbachse b von e sind bekannt und haben
die Werte
a = 149 598 022 km und b = 149 577 139 km.
E
A
r
Frühlingspunkt, 21.3
Z
φ
S
P
b
Sommersonnenwende
21.6
Aphel, 4.7
Z
S
Perihel, 4.1
a
l
Wintersonnenwende
21.12
Herbstpunkt, 23.9
Die Ellipse e
Situation beim Perihel
Gemäß der Formeln aus §4.4 ergeben sich die numerische Exzentrität und der Parameter p von e als
√
2
a2 − b 2
b2
b
=
= 0, 01670863 und p =
=
a = (1 − 2 )a = 149 556 258 km.
a
a
a
Den sonnennächsten Punkt auf e nennt man das Perihel, in diesem Punkt liegt der
kleinste Abstand zwischen Erde und Sonne vor. Nach §4.Satz 6 ist
√
|ZS| = a2 − b2 = · a also ist |SP | = a − |ZS| = (1 − )a = 147 098 444 km
der kleinste Abstand zwischen Erde und Sonne. Den sonnenfernsten Punkt auf e nennen
wir dagegen das Aphel P 0 , sein Abstand zu S
|SP 0 | = 2a − |SP | = (1 + )a = 152 097 601 km
ist der größte Abstand der Erde zur Sonne. Die Wintersonnenwende ist am 21.12,
dreizehn Tage später am 4.1 erreicht die Erde das Perihel, am 21.3 sind dann der
Frühlingspunkt und am 21.6 die Sommersonnenwende erreicht. Wieder dreizehn Tage
später ist die Erde am 4.7 im Aphel und schließlich kommt sie am 23.9 am Herbstpunkt
an.
Bezeichne nun E die Erde und seien r := |SE| der aktuelle Abstand der Erde zur
Sonne und φ der Winkel zwischen SP und SE. Nach §4.Satz 6 gehört zum Brennpunkt
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S die auf der langen Halbachse von e senkrechte Leitgerade l mit d(S, l) = p/ und es
gilt
r = |SE| = · d(E, l).
Ist also E 0 der Lotfüßpunkt von E auf die lange Halbachse von e, so lesen wir im
Dreieck SEE 0
|SE 0 |
|SE 0 |
| cos φ| =
=
|SE|
r
ab und erhalten
r = · d(E, l) = · d(E 0 , l) = · (d(S, l) − r cos φ) = p − r cos φ
also ist schließlich
p
.
1 + cos φ
Damit kennen wir den Zusammenhang des Perihelwinkels φ mit dem Abstand r zwischen Erde und Sonne. Um diese beiden mit der Zeit in Verbindung zu bringen benötigen wir das zweite Keplersche Gesetz. Nach diesem überstreicht der Bahnvektor von
der Sonne zur Erde in gleichen Zeiten gleiche Flächen, die Fläche A die von SP , SE
und dem Bogen von P nach E auf e berandet wird ist also proportional zur Zeit t
seit dem Periheldurchgang. Bei einem vollen Umlauf wird die Fläche A zur Fläche der
Ellipse A und wie in §4.4 gesehen ist diese gleich
√
A(e) = πab = πa2 1 − 2 .
r=
Die Dauer eines vollständigen Umlaufs der Erde um die Sonne ist ein sognanntes siderisches Jahr, in Tagen gemessen ist dieses Ts = 365, 25636 Tage. Beachte das das
siderische Jahr etwas länger als das tropische Jahr ist wir haben also Ts > Tt , dies liegt
daran das sich der Frühlingspunkt innerhalb eines Jahres etwas verschiebt und zwar
entgegengesetzt zur Rotation der Erde um ihre Achse. Damit hängen A und t über die
Formel
√
πa2 1 − 2
A = ct mit c =
Ts
zusammen. Andererseits ist
Z φ Z p/(1+ cos ψ)
Z
p2 φ
dψ
A=
r dr dψ =
2 0 (1 + cos ψ)2
0
0
und wir erhalten
Z
0
φ
dψ
2c
= 2 · t.
2
(1 + cos ψ)
p
Das links stehende Integral kann man exakt berechnen, die entstehende Formel ist
allerdings etwas unangenehm. Daher verwenden wir die Tatsache das die numerische
Exzentrität klein ist, um die Näherungen
(1 + cos ψ)2 = 1 + 2 cos ψ + 2 cos2 ψ ≈ 1 + 2 cos ψ
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und
1 − 2 cos ψ
1 − 2 cos ψ
1
≈
=
≈ 1 − 2 cos ψ
2
(1 + cos ψ)
(1 + 2 cos ψ)(1 − 2 cos ψ)
1 − 42 cos2 ψ
sowie schließlich
2c
·t=
p2
Z
0
φ
dψ
≈
(1 + cos ψ)2
φ
Z
1 − 2 cos ψ dψ = φ − 2 sin φ
0
durchzuführen. Um φ durch t auszudrücken muss diese Gleichung nach φ aufgelöst werden. Exakt ist dies nicht vernünftig möglich, daher wird dies wieder nur näherungsweise
durchgeführt. Da der Periheldurchgang dreizehn Tage nach der Wintersonnenwende ist
haben wir ausßerdem t = N − 13 und es ergibt sich schließlich
2π
2π
2
ω = ω2 (N ) =
·N +
sin
(N − 13) .
Ts
1 − 2
Ts
Setzen wir dies in die Formel für T2 = T2 (ϕ, ω) ein so ergibt sich die Tageslänge
T2 = T2 (ϕ, N ) in Stunden. Umgeschrieben auf Minuten ergibt sich die Tageslänge in
Kiel als
Datum
20.1
20.2
21.3
21.4
21.5
21.6
21.7
21.8
21.9
21.10
21.11
21.12
T1
752
948
1153
1407
1601
1657
1610
1415
1201
951
754
703
T2
808
1006
1213
1427
1620
1713
1626
1433
1221
1013
813
718
Beobachtete Tageslänge
807
1008
1215
1429
1621
1713
1625
1430
1218
1009
812
719
26-7

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