Frauenarzt und Schule
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Frauenarzt und Schule
Frauenarzt und Schule Gisela Gille, Christine Klapp Nicht zuletzt aus Scheu vor der gynäkologischen Untersuchung finden Mädchen häufig erst dann den Weg in die Praxis des niedergelassenen Gynäkologen, wenn es für Gespräche und Informationen im Sinne primärer Prävention schon fast zu spät ist. Der Gedanke, die Mädchen früher z.B. im Rahmen der schulischen Sexualerziehung erreichen zu wollen, ist da nur konsequent. Die Vorteile und Nachteile frauenärztlichen Engagements in der Schule werden diskutiert, und die Einladung von Mädchengruppen in die Praxis soll als überlegene Alternative vorgestellt werden. Lassen Sie uns mit einer Parabel beginnen: Ein Arzt steht am Ufer eines schnell fließenden Flusses und hört die verzweifelten Schreie eines ertrinkenden Jugendlichen. Er springt ins Wasser, holt den Jugendlichen heraus und beginnt die künstliche Beatmung. Als der gerade anfängt zu atmen, hört er einen weiteren Hilfeschrei. Der Arzt springt abermals ins Wasser und holt einen weiteren Ertrinkenden, trägt ihn ans Ufer und beginnt mit der künstlichen Beatmung. Und als der gerade anfängt zu atmen, hört er einen weiteren Hilferuf. Das geht immer so weiter und weiter in endlosen Wiederholungen. Der Arzt ist so sehr damit beschäftigt, ertrinkende Jugendliche herauszuholen und wiederzubeleben, dass er keine Zeit findet, stromaufwärts hinter der Biegung des Flusses nachzusehen, warum denn so viele ins Wasser stürzen. Vielleicht gibt es stromaufwärts eine Brücke ohne Geländer oder einen brüchigen Uferweg. Vielleicht bringt niemand den Jugendlichen das Schwimmen bei. Vielleicht fehlen auch nur einige Warntafeln am Ufer. Vielleicht ist das Spiel mit der Gefahr auch eine Krücke, mit deren Hilfe sich Jugendliche auf untaugliche Art ihrer Selbstzweifel zu entledigen suchen. Fände der Arzt Zeit, stromaufwärts zu suchen, könnte er wahrscheinlich gemeinsame Ursachen für die vielen individuellen Unglücksfälle entdecken und diese verringern oder gar abstellen (1). Wie der Arzt in der Parabel nimmt der niedergelassene Frauenarzt/die niedergelassene Frauenärztin die gesundheitliche Situation junger Mädchen zunehmend häufig aus der Perspektive versäumter oder gescheiterter Prävention wahr – sei es die ju- gendliche Schwangere, die ihr Kind abtreiben lassen möchte, sei es die frische Chlamydieninfektion bei einer 15-Jährigen oder sei es auch nur die immer wieder bange Frage anlässlich der Pillenverschreibung, wie dieses kindlich wirkende Mädchen mit dem Sex zurechtkommen will, oder der Eindruck, dass eine jugendliche Patientin ganz eindeutig viel zu dünn ist. Wenn aber die gesellschaftliche Entwicklung zu Ungunsten der Mädchengesundheit an Fahrt gewinnt und ärztliche Prävention ein klassisches Feld ärztlichen Handelns ist, ist es da nicht konsequent, wenn Ärztinnen und Ärzte, die sich dieser Altersgruppe widmen, auch präventiv handeln möchten? Die Kinder- und Jugendärzte bieten im Rahmen der J1 ärztliche Unterstützungsangebote für 12- bis 14-Jährige an. Die Initiative MädchenSprechstunde (2) möchte Frauenärztinnen und Frauenärzte dabei unterstützen, gynäkologisch ausgerichtete präventive Informations- und Gesprächsangebote für Mädchen in ihrer Praxis zu etablieren. FORTBILDUNG + KONGRESS FRAUENARZT-SERIE MÄDCHEN-SPRECHSTUNDE Warum sind frühzeitige kompetente ärztliche Informationen so wichtig? Zum einen haben wir es mit dem Phänomen der Akzeleration zu tun, d.h. einer Vorverlegung der Pubertät und damit hormonell gesteuerter geschlechtsspezifischer Triebimpulse in sehr junge Jahrgänge. Eine Jugend, die früh sexuelle Beziehungen aufnimmt, hat sich aber nicht selbst erschaffen. Sie ist das Abbild einer Gesellschaft, die mit einem großen Werte- und Strukturwandel zu kämpfen hat und deren Familien- und Hilfsstrukturen, die für eine gesunde Entwicklung wichtig sind, zurzeit sehr geschwächt sind. In die Lücke springt die Medien- und Konsumindustrie, die natürlich keinem pädagogischen Auftrag verpflichtet ist. FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 8 733 FORTBILDUNG + KONGRESS Über welche Themen wird beim ersten Frauenarztbesuch gesprochen? Mehrfachnennungen möglich Verhütung Zyklus/Regelblutung gyn. Untersuchung Regelschmerzen Liebe und Sexualität Hautprobleme mit Frauenarzt-Erfahrung (n=1.073) Frage: „Über welche Themen hast du mit der Frauenärztin/dem Frauenarzt gesprochen?“ körperl. Entwicklung sexuell übertragbare Krankheiten Ausfluss/Weißfluss Schwangerschaft bisher ohne Frauenarzt-Besuch (n=1.104) Frage: „Welche Themen interessieren dich am meisten im Gespräch mit einer Frauenärztin oder einem Frauenarzt?“ Tampongebrauch allgemeine Hygiene Impfungen 0 10 20 30 40 Anteil Mädchen 50 60 70 % Themenschwerpunkte beim ersten Frauenarztbesuch. Ergebnisse einer Online-Befragung der Initiative Mädchen-Sprechstunde. Das hat zu neuen Stress- und Belastungssituationen für Jugendliche geführt, die sexuellen Erfahrungen Gleichaltriger werden grandios überschätzt („man liest doch immer, dass man möglichst viel ausprobieren soll“). Und es bedingt eine große intellektuelle, emotionale und soziale Orientierungslosigkeit vieler Jugendlicher. Damit nimmt die Nachfrage nach qualifizierter und Orientierung bietender Information und Beratung zu. Was möchten Mädchen mit der Ärztin/dem Arzt besprechen? Die Ärztin/der Arzt gilt bei Jugendlichen sehr wohl als eine präferierte Person zur Wissensvermittlung (3), weit vor den Lehrern, Beratungsstellen, Geschwistern und dem Vater. Zusätzlich zu den Themen, für die die Frauenärztin/der Frauenarzt in den Köpfen der Mädchen traditionell als kompetent ausgewiesen ist (Menstruationsbeschwerden/Kontrazeption), erhoffen sich junge Mädchen aber noch ganz andere Gesprächsinhalte: 734 deunterricht ist schon in der Grundschule verbindlicher Bestandteil des Lehrplans. Allerdings wird dieser Unterricht nur in Ausnahmen als erhellend und vor dem Hintergrund gefühlter oder gar gelebter Sexualität eher als lebensweltlich fremd empfunden. FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 8 konkrete Fragen zur körperlichen Entwicklung, zu Liebe und Sexualität, zum Ausfluss/Weißfluss, zur richtigen Verwendung von Tampons, zur allgemeinen Hygiene und zu Hautproblemen sowie orientierende Fragen zu den Modalitäten bei der gynäkologischen Untersuchung. Es geht Mädchen bei ihrem Wunsch, die Praxis des Frauenarztes aufzusuchen, also nicht vorrangig um eine durch die gynäkologische Untersuchung abgesegnete intakte Weiblichkeit, sondern vor allem darum, auf eine Vertrauensperson für ihre Fragen zu treffen. Hierfür war die Ärztin/der Arzt aber bisher nicht ausgewiesen (3). Das sollte sich in Zukunft ändern, die Initiative Mädchen-Sprechstunde macht hier einen ganz entscheidenden Vorstoß in die richtige Richtung. Zwischen schulischem Sexualkundeunterricht und BRAVO-Wissen Selbstverständlich sind Jugendliche heute „aufgeklärt“, der Sexualkun- Das ist die Stunde der BRAVO. Wir haben es mit einer medienerfahrenen Generation zu tun, die mit Sicherheit alles gehört und gesehen hat. Aber das Gehörte und Gesehene ordnet sich nicht von allein zu einer Information, die ein hohes Maß an Verbindlichkeit und Verlässlichkeit signalisiert. Inmitten der Flut an widersprüchlichen Informationen in den Medien zum Konsumartikel „Sex“ suchen Jugendliche mehr denn je nach Informationen, die das erklärbar und vorhersehbar machen, was sie ganz persönlich an inneren und äußeren Eindrücken verarbeiten müssen. Frauenarztinformation in der Schule Was liegt in dieser Situation näher, als einen Schritt auf die Mädchen hin zu tun und sie dort aufzusuchen, wo sie ohnehin sind: in der Schule? Die Vorteile liegen scheinbar auf der Hand: Anders als im Einzelgespräch kann man im Klassengespräch vielen Mädchen die Informationen in derselben Zeiteinheit zuteil werden lassen, und auch diejenigen Mädchen, die sich nicht zu fragen trauen, können von dem Gespräch mit den anderen Mädchen profitieren. Und vor allem kann man auch diejenigen erreichen, die die Angebote des Gesundheitswesens in den Praxen (J1, Mädchen-Sprechstunde) nicht selbstständig wahrzunehmen in der Lage sind. Wird der Arzt/die Ärztin von einer Lehrerin, die häufig sogar die eigene Patientin ist, eingeladen, dann entfallen alle organisatorischen Hürden, die Veranstaltung steht unter dem Schutz einer engagierten Großer Informationsbedarf – Frage eines 15-jährigen Mädchens an die Autorin. tiert („Wie viele Stellungen gibt es, wie heißen einige davon, und wie gehen sie?“, „Wo befindet sich der GPunkt, und was ist das überhaupt?“, „Wie bläst man einen?“, „Wie machen Schwule und Lesben Sex?“) – Fragen, deren Beantwortung zwar leistbar ist, aber nicht der primären Intention Ihres Besuches in der Schule entspricht. Gehen Sie stattdessen lieber offen auf die Mädchen zu, indem Sie ihnen sagen, dass Sie in Ihrer Praxis immer wieder Mädchen erleben, die nicht genau wissen, woher die Bauchschmerzen bei der Regel kommen, wie man einen Tampon genau einführt, ob das Jungfernhäutchen beim Reiten kaputt gehen kann, wie die Praxis Grundschule 5/2000 Aus der jahrzehntelangen Erfahrung der ÄGGF mit Gesprächen im Sinne gynäkologisch ausgerichteter Prävention in Schulen bewährt es sich, keinen vorbereiteten Vortrag zu halten, sondern die Jugendlichen in ein Gespräch zu ziehen, das sich an ihren Fragen und Interessen orientiert. Förderlich dafür ist die Trennung von Mädchen und Jungen vor allem in jüngeren Jahrgängen: Mädchen trauen sich im Beisein der Jungen nicht, die wirklich intimen Fragen zu stellen, und Jungen buhlen oftmals um die Rolle des Wortführers. Nicht immer ist es von Vorteil, wenn der Lehrer/die Lehrerin schon im Vorfeld Fragen auf Zetteln einsammelt. Oftmals wissen die Jugendlichen nicht so konkret, was sie eine Frauenärztin/einen Frauenarzt fragen sollen und Sie sehen sich dann mit dem Infoschrott aus den Medien konfron- Arzt-Besuche bei Schulklassen können eine didaktische Herausforderung darstellen. Pille eigentlich genau wirkt, oder die noch nie davon gehört haben, dass sie ihre Fähigkeit, mal Kinder bekommen zu können, vor Chlamydien schützen müssen – dann sind Sie automatisch im Thema. Die Anwesenheit des Klassenlehrers kann im Einzelfall die Offenheit der Mädchen beeinträchtigen, generell aber hat der Lehrer die Verantwortung für das, was in dieser Veranstaltung passiert und u.U. ein berechtigtes Interesse daran, dem Unterricht beizuwohnen. Bei einem ersten Kontakt mit einer Schule sollte man dem stattgeben, bei weiteren Kontakten hat sich diese Frage dann in der Regel erledigt. Anders dagegen werden meistens die Erfahrungen mit der aktiven Akquisition von Schulklassen beurteilt: Kollegen beklagen das aktive Akquirieren immer wieder als sehr zeitaufwändiges Unterfangen, Schulen reagieren nicht oder nur sehr verhalten auf das Angebot, und besonders schwierig ist es häufig, ein eventuelles Interesse seitens des Schulleiters auf der Ebene des einzelnen Fachlehrers dann auch in eine konkrete Veranstaltung umzusetzen. Es empfiehlt sich im Vorfeld die Absprache mit den Eltern, u.U. auch mit dem Schulamt und dem Gesundheitsamt, denen die Verantwortung für die Schulgesundheit untersteht, sowie die Themenabsprache mit dem Biologielehrer. Und natürlich sollten Sie im Vorfeld immer auch die möglicherweise skeptischen oder restriktiven Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen vor Ort mit in Ihre Überlegungen und Aktivitäten einplanen. FORTBILDUNG + KONGRESS Lehrerin, und der gelegentliche Schulbesuch wird dann von Ärztinnen/Ärzten auch persönlich als Bereicherung des Praxisalltags erlebt. Jugendliche empfinden darüber hinaus den schulischen Rahmen als mit Regeln und Schranken besetzt, und die Pausenklingel setzt Zäsuren. FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 8 735 FORTBILDUNG + KONGRESS Zudem haben Jugendliche in der Schule Hausrecht, undiszipliniertes Verhalten ist zunehmend oft an der Tagesordnung; dies um so mehr, wenn man ungeübt darin ist, gruppendynamische Prozesse didaktisch geschickt zu lenken. Die überlegene Alternative: Gruppengespräche in der Praxis Wie wäre es deshalb, wenn Sie anfragenden Schulen stattdessen anbieten würden, dass Sie die Mädchen einer Klasse in Ihre Praxis einladen? Über Posteraushänge im Wartezimmer können Sie Mütter, Lehrerinnen oder die Mädchen selbst darauf aufmerksam machen. Hier in Ihrer Praxis agieren Sie in Ihrem gewohnten Rahmen und sind in höchstem Maße authentisch. Das Zeitmanagement können Sie dem Praxisablauf anpassen (z.B. Mittwoch Nachmittag), während Schulveranstaltungen zwangsläufig überwiegend während der vormittäglichen Sprechstunde stattfinden müssen. Die Atmosphäre der Praxis macht die Kompetenz und die besondere Glaubwürdigkeit des Arztes/der Ärztin für die Mädchen unmittelbar fühlbar. Die unbekannte Situation in der Praxis fördert darüber hinaus die Neugier und das Interesse der Jugendlichen. Insbesondere lassen sich ab- struse Vorstellungen vom Besuch beim Frauenarzt ausräumen, die oft gerüchteweise unter jungen Mädchen kursieren. Mädchen lernen die Frauenarztpraxis als Ort für Gespräche kennen. Allein der informierte Umgang mit den Angeboten in der gynäkologischen Praxis ermöglicht es ihnen, konkret zu handeln, wenn Eile geboten sein sollte (z.B. Pille danach). Und es entfallen die externe Abstimmung und die Orientierung am Lehrplan. Unschätzbar wertvoll für die Entwicklung eines jungen Mädchens ist es aber, dass Mädchen so den selbst intendierten Arztkontakt als einen wichtigen emanzipatorischen Schritt in Richtung Eigenverantwortung gehen können – zwar noch unter dem Schutz der Gruppe, aber sie werden nicht aus der Obhut der Mutter direkt in die Obhut des Frauenarztes weitergereicht. Was sollte der Frauenarzt/ die Frauenärztin beachten? Das wichtigste Ziel ist es, dass Mädchen nach dem Gruppengespräch die Praxis mit dem Gefühl wieder verlassen: „Der/die ist aber nett gewesen“, „Das habe ich gut verstanden“ und „Da ist jemand, der das toll findet und schätzt, was mein Körper kann“. Dass für diesen ersten Eindruck Blickkontakt, Zuwendung, Aufmerksamkeit und Freundlichkeit des gesamten Praxisteams Voraus- setzung sind, versteht sich von selbst. Begrüßen Sie die Mädchen im Kittel, denn sie erwarten einen Arzt/eine Ärztin. Während des Gruppengesprächs können Sie den Kittel über einen Stuhl legen, ziehen Sie ihn dann aber wieder an, wenn Sie die Mädchen durch die Praxis führen wollen – Jugendliche brauchen für diese Gespräche eine Beziehungsperson, der die Gratwanderung zwischen bekömmlicher Nähe und auch notwendiger Distanz gelingt. Der Arzt/die Ärztin, der/die, um besonders gut anzukommen, Kaffee und Kuchen vor dem Gruppengespräch anbietet und mit umgedrehter Baseballkappe auf dem Kopf agiert, mag vielleicht auf einige Mädchen cool wirken, verlässt aber die Verantwortungsebene der eigenen Profession und hinterlässt ein Fragezeichen in Bezug auf die Glaubwürdigkeit. Mädchen brauchen die Sicherheit durch ein gut abgegrenztes Gegenüber. Wissen gibt Sicherheit Damit Sexualität nicht schon auf der Wissensebene scheitert, brauchen Mädchen umfassende Kenntnisse über n den eigenen Körperbau und über die Veränderungen, die sie an sich bemerken; n die große Variabilität im Bereich der Norm; Was bei Gesprächen in der Schule und in der Praxis zu beachten ist Arzt-Stunde in der Schule Gruppengespräche in der Praxis – Wissen schaffen und Fragen induzieren – Absprache mit Eltern und ggf. Schulamt und/oder Gesundheitsamt – Themenabsprache mit dem Lehrer – Parallele Jungenbetreuung organisieren – Jugendliche haben in der Schule „Hausrecht“ – Aktive Akquisition oft sehr zeitaufwändig – Reaktion der KollegInnen vor Ort einplanen – Wissen schaffen und Fragen induzieren – Absprache mit Eltern in der Regel nicht nötig – Adaptation an den Lehrplan entfällt – Mädchen in die Praxis einladen – Die Praxisumgebung fördert Interesse/Neugier – Selbstintendierter Arztkontakt der Mädchen – Akzeptanz in authentischer Praxisatmosphäre – Die Scheu vor dem gynäkologischen Stuhl senken – Praxis ist vertraut, wenn mal Eile geboten sein sollte Die eigene Praxis bietet den vorteilhafteren Rahmen für Gruppengespräche mit Mädchen. 736 FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 8 Die Initiative Mädchen- Sprechstunde unterstützt Gynäkologinnen und Gynäkologen dabei, in der Praxis auf die besonderen Bedürfnisse von Teenagern einzugehen: Speziell zugeschnittene Beratungsangebote vermitteln Orientierung und helfen, das Wissen und die Handlungskompetenz der jungen Mädchen zu fördern. Gegründet wurde die Initiative von der Grünenthal GmbH mit wissenschaftlicher Unterstützung der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau (ÄGGF). Der Berufsverband der Frauenärzte empfiehlt und unterstützt die Initiative. Neben bundesweiten Fortbildungsveranstaltungen für Frauenärzte/ -ärztinnen und speziellem Infomaterial (Praxisleitfäden für Gynäkologen, Service-Materialien wie Poster und Praxisaufsteller, Info-Heften für Mädchen und Informationsbroschüren für Mütter) umfasst das Angebot auch die Website www.maedchensprechstunde.de. Hier können sich Jugendliche über den Besuch beim Frauenarzt informieren und nach Adressen von Frauenarztpraxen mit speziellen Angeboten für Mädchen suchen. Informationen zur Fortbildungsreihe für Gynäkologen und die Materialien zur Initiative sind über die Mitarbeiter der Grünenthal GmbH erhältlich, per Fax 0241/569-1112 oder per Mail: [email protected] n die zyklischen Abläufe im Mädchenkörper; n den Kontext der Körpersignale mit der eigenen Fruchtbarkeit; n Wissenswertes zu Menstruationsbeschwerden und praktisch umsetzbare Tipps zur Menstruationshygiene; n die geschlechtsspezifische Ausprägung von Sexualität; n das „erste Mal“; n die Möglichkeiten sicherer Kontrazeption; n sexuell übertragbare Krankheiten (Hepatitis B, Chlamydien, HPV); n Impfungen. „Ich hätte da noch eine Frage…“ – so einfach machen es einem die Mädchen allerdings nur selten. Denn das Formulieren eigener Fragen setzt Erfahrungen voraus und die Erkenntnis, dass man etwas nicht weiß. Wer nicht weiß, was er alles nicht weiß, wird nicht fragen können. Entwicklungspsychologische Kenntnisse und Kenntnisse der Gesprächsführung mit Jugendlichen sind von Vorteil und können im Rah- men der bundesweit angebotene Seminare der Initiative MädchenSprechstunde erlernt werden. Stellen Sie offene Fragen, geben Sie Fragen zurück, sichern Sie den Lernerfolg geschickt und ohne dass die Mädchen sich dabei ertappen, wie erschreckend wenig sie über sich und ihren Körper wissen. Mädchen überschätzen die sexuelle Erfahrung Gleichaltriger in der Regel grandios, halten Sie deshalb nicht mit Ihrer ehrlichen Meinung zurück, dass es nicht uncool ist, wenn man sich mit dem ersten Sex Zeit lässt: „Wisst ihr eigentlich, wie viele der Gleichaltrigen schon einmal mit einem Jungen geschlafen haben?“ Mädchen sind sehr unsicher und brauchen die Bestätigung, dass sie nicht die letzte Jungfrau des Universums sind. Berufen Sie sich bei eigenen Einschätzungen rhetorisch auf das, was Sie in Ihrer Praxis immer wieder erleben: „Mädchen fragen mich oft, …“ oder „Viele Mädchen, denen ich die Pille verschreibe, wissen nicht, ob …“ Und geben Sie den Mädchen vor allem eine adäquate und respektvolle Sprache für die Vor- gänge im weiblichen Körper, allzu oft lassen die Worte der Mädchen noch den Rückschluss auf Tabus, Ekel- und Schamgefühle zu. Fazit Ziel von Gruppengesprächen mit Mädchen ist das aufgeklärte Mädchen, das seinen Körper zu verstehen und zu akzeptieren gelernt und ihn als schützenswert begriffen hat. Nur wenn auch Frauenärztinnen und Frauenärzte sich gezielt präventiv engagieren, kann die Zahl der Mädchen reduziert werden, die über Ausweichverhalten in der Pubertät (Rauchen/ Essstörungen) gesundheitliche Schäden erleiden, die ungewollt schwanger werden oder sich ahnungslos oder aufgrund mangelnden Selbstbewusstseins z.B. mit Chlamydien infizieren. Umfragen zeigen, dass insbesondere die sehr jungen Mädchen sich den geschützten Rahmen von speziellen Mädchenangeboten in der Frauenarztpraxis (Mädchen-Sprechstunden, Info-Nachmittage, Gruppengespräche) dringend wünschen. Literatur FORTBILDUNG + KONGRESS Die Initiative Mädchen-Sprechstunde 1. Rosenbrock R: Krankheiten vermeiden – Gesundheit fördern. Psychomed 12 (2000) Nr. 2, 99–107. 2. Gille G: Die Initiative MädchenSprechstunde. Frauenarzt 46 (2005), 388–392. 3. Jugendsexualität. Wiederholungsbefragung von 14- bis 17-Jährigen und ihren Eltern. BzgA, 2001. 4. Albring C: Der erste Besuch beim Frauenarzt. Frauenarzt 47 (2006), 320– 325. Für die Autorinnen Dr. med. Gisela Gille Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau e.V. Drögenkamp 1 21335 Lüneburg FRAUENARZT n 47 (2006) n Nr. 8 737