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Milena Oda - www.milenaoda.com Copyright © Milena Oda 2009 Voices of the Audience - Stimmen der Leserschaft ________________________________________________________________________________ Beste Gesellschaften - Milena Odas junge Prosa von Sylke Kirschnick Würde Milena Oda eine kulturelle Landkarte ihres Werdegangs skizzieren, sie wäre auch hörenswert, nicht nur ansehnlich. Geboren wurde die tschechische Nachwuchsautorin im Jahre 1975 in Ji?ín. Wie Karl Kraus, weshalb der Professor in Bayreuth, wo sie einen Teil ihres Germanistikstudiums absolvierte, die Kommilitonin aus Tschechien ausdrücklich hervorhob. Das amüsiert sie heute noch sichtlich. Litomyšl, wo sie in den späten 80er Jahren die Mittelschule besuchte, war der Geburtsort des Komponisten Bed?ich Smetana. In Olmütz begann Milena Oda ihr Studium und begeisterte sich für die deutschen Expressionisten. Als Gasthörerin am Mozarteum machte sie in Salzburg Station. Inzwischen lebt die junge Autorin und Übersetzerin in Berlin. Während ihres Bayreuther Aufenthalts wohnte Milena Oda in der Jean-Paul-Straße. Nicht von ungefähr taucht der Name des Autors in Odas Prosatext Schritt und Tritt aus dem Jahre 2002 auf. Jean Paul nennt dort der parlierende Literaturprofessor, der ein mathematisch-psychologisches Schrittsystem entwirft, seinen Sekretär. Als Assistent und Forschungsobjekt bringt Jean Paul seinen Brotgeber fortwährend aus dem seelischen Gleichgewicht, braucht er doch für die zurückzulegenden Wegstrecken immer mehr Schritte als nach den Berechnungen des Professors vonnöten sind. Die Ich-Erzähler in Milena Odas Prosa erschöpfen sich in ihren verstiegenen Obsessionen, ob es sich um das Zählen und Begutachten menschlicher Schritte handelt wie in Schritt und Tritt, um das Sammeln und Arrangieren von Sukkulenten wie in Aus dem Tagebuch eines Kakteenjägers (2004) oder um die Perfektionierung der Unterwürfigkeit wie im Text Ich heiße Diener (2005). Es sind namenlose Funktionsträger, die sich in ihren Monologen inszenieren und in ihrem Größenwahn bloßstellen. Sie kreisen in ihren Passionen wie Hamster im Laufrad. Und sie tun, worauf sie fixiert sind, ohne Rücksicht auf Verlust. Der Kakteenjäger erwürgt seine Frau, weil sie seinem Ehrgeiz als Sammler im Weg steht, und der Diener entledigt sich der „Last“ seines „freien Selbst“. Unermüdlich variieren Odas Erzählungen Typen, Rollen und Perspektiven. Spiegelverkehrt wiederholt sich in Ich heiße Diener die Konstellation von Herr und Knecht aus Schritt und Tritt. Milena Oda schreibt auf deutsch. Weil diese Sprache und Kultur in Tschechien einmal präsent war und dies allmählich auch wieder wird, wie sie beiläufig bemerkt. Dabei hat sie die Zeit vor dem Nationalsozialismus im Blick, die kulturelle Achse Berlin, Prag und Wien. Die schlimmen Erfahrungen ihrer Großeltern als Zwangsarbeiter während des Protektorats haben ihre Vorstellungen von Deutschland nicht geprägt. Das waren vielmehr die Urlaubsaufenthalte an der Ostsee, mit ihren Eltern als Kind. Denn Böhmen ist zwar ein Paradies, liegt aber nicht am Meer. Entscheidend war schließlich die Kunst: „Ich habe immer in der Literatur gelebt und so habe ich dann die Welt, habe ich Deutschland wahrgenommen“, bringt Milena Oda das für sie selbstverständlich Gegebene auf den Punkt. Mit Hilfe eines Lehrbuchs lernt sie die Sprache zunächst autodidaktisch. Hinzu kommen Reisen nach Österreich und in die Schweiz, wohin eine Verwandte zu Beginn der Normalisierung nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahre 1968 emigriert war. 1/2 Milena Oda - www.milenaoda.com Copyright © Milena Oda 2009 Mit dem Ende der 60er Jahre verbindet Milena Oda vor allem die Geburt ihres Bruders. Politik ist in ihrem Leben und Schreiben kaum von Belang. In guter Erinnerung hat sie jedoch die samtene Revolution von 1989. Auf dem Marktplatz von Litomyšl rief die damals Vierzehnjährige mit ihren Mitschülern im Chor: „Václav Havel“ und „Masaryk auf den Hunderter“. Wer das war, wusste sie damals ebenso wenig wie ihre Schulkolleginnen. Über Masaryk, Integrationsfigur und Staatspräsident der Ersten Republik las sie erst später. Nach und nach wurde sie mit den Büchern Havels, Bohumil Hrabals oder Pavel Kohouts vertraut. Von der inoffiziellen Geschichte der ?SSR erfuhr sie durch einen guten Freund, den Sohn des oppositionellen Dramatikers Josef Topol. Anders als Oda wurde der dreizehn Jahre ältere Jáchym Topol, der als Autor früh auf sich aufmerksam machte, im politischen und kulturellen Milieu der Charta 77 sozialisiert. Bekannt sind seine Werke inzwischen auch in Deutschland. Im unveröffentlichten Prosatext Der Briefschreiber, aus dem Milena Oda inzwischen mehrfach öffentlich las, paradieren die Geister Europas: „Ich gehe um 22.30 Uhr ins Bett wie Lessing. Ich stehe um 5.30 Uhr am frühen Morgen auf wie Dante. (Wie Kant reichen auch mir 7 Stunden Schlaf.) Ich frühstücke Eier, Speck mit Brot wie Bismarck. ... Ich phantasiere so wie Kafka. Ich spreche so langsam wie Dostojewskij. ... Ich bin sarkastisch wie Bernhard. Ich bin so kritisch wie Voltaire. Und so ernsthaft wie Joyce. .... Ich bin hässlich wie Helmholtz ... Ich beschreibe alle Genies genauso gut wie mich selbst. ... Ich bin von der Gesellschaft umgeben, die ich auch selbst sein könnte.“ Sein Profil gewinnt dieses Ich als Collage fremder Gewohnheiten und Merkmale und in der Korrespondenz mit Autoren querbeet durch die europäischen Zeiten und Räume. Dabei sind die mitunter direkten Zitate in das Selbstporträt des Briefschreibers, der wie alle Figuren Odas hochproblematisch ist, so einmontiert, als seien sie an ihn adressiert. Seinen Versuch, mit den Toten zu kommunizieren, zelebriert der Briefschreiber in den wechselnden historischen Kostümen seiner Adressaten. Bemerkenswert an diesem mehrdeutigen, phantasievollen Mummenschanz ist Odas ironischer Umgang mit dem literatur- und kulturhistorischen Material. Dieses erschließt sie auf eine ganz frische und neue Weise. Selbstbewusst bewegt sie sich in den Traditionen des modernen Europa mit ihren vielfältigen kulturellen Bezügen. Denn für Milena Oda ist Europa ein ungeteilter Raum. Die Trennung in ‚Ost’ und ‚West’ hält sie für entbehrlich. Die habe mitunter einen geringschätzigen Beiklang, so, als gehörten Karel ?apek und Jaroslav Hašek nicht zur westlichen Kultur. Mit ‚Mitteleuropa’ verhält es sich anders. Aber hier ist sie inzwischen so heimisch als wechselte sie nur die Zimmer einer Wohnung, wenn sie von einer Lesung zur anderen eilt. Im letzten Jahr lud das österreichische Literaturhaus Krems die Autorin zu einem Gaststipendium ein. In Berlin trägt sie heute schon regelmäßig vor. Demnächst wird sie im mährischen Brünn einer szenischen Lesung ihres Theaterstücks Mehr als Meer beiwohnen. Man wünscht sich, daß dieser produktive Austausch mitteleuropäischer Autoren in Zukunft noch alltäglicher wird, als er es bislang ist. Und man hofft, daß die junge Prosa Milena Odas einen Verleger findet, der sie ihren Lesern leichter zugänglich macht. © Sylke Kirschnick 2/2