Sexarbeit. Prostitution - Lebenswelten und Mythen
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Sexarbeit. Prostitution - Lebenswelten und Mythen
SEXARBEIT. Prostitution – Lebenswelten und Mythen Mit der Sonderausstellung „SEXARBEIT. Prostitution – Lebenswelten und Mythen“ bis März 2006 im Hamburger Museum der Arbeit ist es Elisabeth von Dücker gelungen, facettenreich ohne Tabu Besucher zu berühren. Unterstützung erhielt sie durch Beate Leopold (Prostitutionsforschung) und Christiane Howe (Schwerpunkt Frauen- und Menschenhandel und freiersein.de) sowie Leihgeber des Milieus. Die so sehr notwendige Begriffsdifferenzierung beim „informellen Sektor“: soziales Phänomen, rechtliche Ebene und Politik ergibt sich bei dem Gang durch diese Ausstellung. Von Frauke Helwes Im Aufzug ein Lock-Angebot, der Eingangsraum in rot, mit runden Bankgelagen, darauf das Utensil, das die Besucher ungeniert zur Hand nehmen - und eine weiß laszive Dame an der Wand. Drum herum die Facetten, die schockieren oder auch zart anrühren - das Geschlecht und die Seele: der Brief an eine Domina (der Herrin, gewollt ohne Gegenliebe), die Sado-Maso-Folterbank, vom LKA beschlagnahmt, Moulagen zur Geschlechtskrankheit, „Rote Laterne“ als ein Heft, Persönliches von Frauen, denen in Hamburg der Award von p.o.n.y., den Prostitutes of New York durch Annie Sprinkle gereicht wurde: ausgezeichnet mit Aphrodite die sexuelle Leistung für Gemeinschaft. Ein Verbotsschild und Fetische ergänzen Stiefellage und reizende Dessous. In dem Programm komplett drei Kissen, die O-Töne skandieren: selbst bewusstes Aussagen zu dem Tun, ganz beiderseits – „drück mich/ touch me“ – der Auslöser. Es folgt ein grauer Gang mit, links, Szenen vom Straßenstrich; rechts vitriniert das Inventar von Handtaschen, dann inszenierte Körper, Menschen, Geld, Alkohol; links Telefon zum Sex am Draht und Bordell-Schild „Philippines Seemans store“ – der Hafen Hamburg´s grüßt. Und dann kommen die Zimmer: unhierarchisch gestuft die Themen in den Räumen: zu allererst die ARBEIT, dann ARBEITSMIGRATION, dem gegenüber KAMPF UM RESPEKT, dann wieder links GESUNDHEIT und rechts KUNDE-GAST-FREIER, zur Linken RECHT UND SITTE, zur Rechten DROGENPROSTITUTION, dann FRAUEN-, MENSCHENHANDEL, links gegenüber die Vitrine mit gleichgeschlechtlichem Material aus einem Stricheralltag, dann die GESCHICHTE in EUROPA ÜBERSEE, also in einer Welt mit öffentlichem Nahverkehr und schließlich am Kopf des Flurs die KUNST! Indikativ vor allem, dass in der Stadt Hamburg, einer Globalisierungsvorhut und Hochburg von gekauftem Sex, das Hansebürgertum sich über Sperrgebietsverordnungen wohl ordnet, zugleich sich die Geschäftsinteressen mit denen der Prostituierten koppeln können, wenn es um Stadtökonomie geht. So beantragten Geschäftsleute beim Senat 1921 die Beibehaltung der Bordelle und so weicht die Position der Hamburger CDU zur Prostitution von der im Bunde ab. Dass zumeist die nicht reich sind oder werden, die lockend Sex anbieten, dass aber die Entscheidung zur Sexarbeit so freiwillig sein kann wie andere zum Broterwerb, gehört zu der Geschichte. Als Objekt von hygienischer Bevölkerungspolitik spitzt sich Objektivierung zu beim Wehrmachts-Bordell im nationalistischen Staat als Zuhälter. Im genau dem Punkt des patriarchalischen Zugriffs auf den Frauenkörper als Ware und Objekt ringen feministische Positionen in der Solidarität mit der Hurenbewegung. Die reizend aus der Rolle „gefallen-d-en Mädchen“ forderten die Gleichstellung mit anderen Erwerbstätigen. Ein Ansatz zur Gestaltung guter Arbeitsbeziehungen ist mit dem deutschen Prostitutionsgesetz 2002 erreicht. Dass die Rechtsdurchsetzung von Prostituierten angesichts der sexualisierten Gewaltverbrechen im globalisierten Menschenhandel noch zu untermauern ist, zeigte die Europäischen Konferenz zu Sexarbeit, Menschenrechten, Arbeit und Migration im Oktober 2005 in Brüssel mit ihrer „Weltcharta für die Rechte der Prostituierten“. Dass in Europa der Bedarf an dem Jahrtausende alten Gewerbe anerkannt wird, dass zugleich die Freierseite über Anzeichen des Menschenhandels an einer Frau Kenntnis erlangt (d.h. Mittelaufstockung für Aufklärungskampagnen für „Frauenrecht ist Menschenrecht“, freiersein.de u.a. - s.u.) sowie die rechtliche Belangung von unterlassener Hilfeleistung, Nichtanzeige der Straftat also de facto Vergewaltigung sind mit einer diskussionswürdigen Kronzeugenregelung schon bestehende oder angemessene Ansätze gegen die organisierte Kriminalität. Die Kriminalisierung nur auf ausdrückliche Verbrecher zu beschränken, möge die neue Koalition im Blick behalten. Denn eine christliche Kultur, die globalisiert die Verbindung zur Kultur indischer Tempeldienerinnen mit ihrem Schwerpunkt im Göttlichen in Menschen und ihrer Begegnung erkennen kann, könnte auch mit Wahrhaftigkeit in den Verhältnissen Recht schaffend die Körper - Kommerzialisierung transzendieren. Liebe da, wo du bist! Ansichtig noch im Detail sind in der Ausstellung: Zur Arbeit eine Fotoreihe hin zum Geschlechtsakt im „Hamburger Berg“ und Huren an der Herbertstraße; unter Anschaffe-Stiefeln und vor WandSehschlitzen Hörer mit Äußerungen von Prostituierten über die Biographie ihrer Arbeit, dabei John, der nach Einführung ins Münchner Schwulenmilieu mit 18 bis in die 90er anschaffte; nach Aufkommen von Aids organisierten er und Rosamunde e.V. in Stuttgart den 1. Hurenball; ein Massage-Separée, Kästen mit Fachbegriffen, Getränke und Preiskarte im Kleinen Hotel (BSC). Videos von Migrantinnen beschreiben ihren Weg und den Zusammenhang von Nachfrage und Arbeitssuche wegen Armut und Zukunftslosigkeit; Broschüren der Hilfsorganisationen der Zentralen Beratungsstelle beim Gesundheitsamt, KOOFRA, LEFÖ, TAMPEP und Dr. Georg für Stricher hängen neben einem Comic. Sie ergänzen sich im Bereich Frauen- und Menschenhandel um agisra, KOBRA, BAN YING, terre des femmes, La Strada, KOK, kirchliche und zwischenstaatliche Institutionen wie Diakonisches Werk, CONTRA, KARO, FIM und IDM/BAMF. Im Kampf um Respekt durch die Hurenbewegung international erscheint die Ahninnengalerie als Juwel: Rosemarie Nitribitt, Margo St. James, Joe d´Alesandro, Christine Keeler, Domenica Niehoff, Gabrielea Silva Leite, Emma Flegel, Cora Molloy. Felicitas Weigmann und die Anwältin Margarete von Galen mit ihrem Kampf gegen den Widerruf der Gaststättenerlaubnis für Cafe Pssst in Berlin (bei Anbahnung für sexuelle Dienstleistungen) lassen den Blick nach Berlin streifen; die Abweichung von Hamburger und Bundes-CDU und das Parteienspektrum in der Position zu dem Gewerbe, die Untersuchungen über die Auswirkungen des Prostitutionsgesetz vom 1.1.2002 vom SOFFI K. sowie der Anhurung 1999 im Bundestag und der verdi-Muster-Arbeitsvertrag lassen sich bei Recht und Sitte einsehen. Dass die Kontrolle durch die Gesundheitsbehörden in Form des sog. Bockscheins der professionellen Kondombenutzung, ausdrücklicher Prävention und Freierkampagne gewichen ist, weist sich bei Gesundheit aus. Letztere, Kunde-Gast-Freier orientieren sich über die Stadtpläne für Männer, treffpunkte.de und mit dem Knigge für Freier der Arbeitsgemeinschaft Gesunder Kunde 2004 Berlin sicher in dem Milieu. Die Kunst möchte sich selbst erschließen ebenso wie die Tragik in Drogenprostitution. Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Geschichte systematischer staatlicher Reglementierung von Prostitution einschließlich von Zwangsbordellen für die Armeen und bewegte sich stets um die Eindämmung von Schleusung von Mädchen und Frauen in die Prostitution sowie gegen Geschlechtskrankheiten und eben Schutz vor der „Unzucht“. Franziska Menkes Stimme singt dazu zwischendurch „Alle meine Freier hießen alle Meyer“ und umspielt herb die schön-zentral platzierten Puppen auf Barhocker und in Pailettenschürze. In Europa und Übersee sind in plakativer Form die Politiken von Holland und Schweden zu sehen und die vom Chicagoer Policement im Internet ausgewiesenen Freier, das japanische Lovehotel mit Spielzeug, figürlich der mexikanische Totenkult für eine Prostituierte, jamaikanische Gigolos, Beach Boys und ihre Rede durch die Muschel sowie antik: klassischer Schmuck - indische Tempeldienerinnen. Berlin, den 10.11.2005, 8 Uhr Sie möchten diesen Text verwerten? Dann bitte ich um Rücksprache: Dipl. pol. Frauke Helwes c/o Leonard - Freie Bildjournalistin – Kaiserstuhlstr. 27a 14129 Berlin Tel. 030/ 80 48 29 88 Mobil 0129/ 2 99 99 25 Email: [email protected] www.sex-art-politics.de