Rezensionen - new academic press

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Rezensionen - new academic press
an.lesen
Diskussionen über geschlechtergerechte
Konzepte und Visionen. Denise Beer
Brigitte Lehmann, Sibylle Summer (Hg.):
­Weiblicher Eigensinn und Gesellschaftspolitik
ÖGB Verlag 2014, 24,90 Euro
Ohne Mitwirkung
• In Anbe­
tracht der harschen Prostituti­
on-versus-Sexarbeit-Debatten
kommt dieses Buch wie gerufen.
Ausgehend von einem interna­
tionalen Forschungsprojekt
liegt die erste österreichische
Studie vor, die sich mit den Auswirkungen von
Gesetzen und Maßnahmen auf die Arbeits- und
Lebensbedingungen von Sexarbeiterinnen
beschäftigt. In Österreich sind neunzig Prozent
der legal Arbeitenden Migrantinnen. Und
erstmals in Österreich wurden in dieser Studie
Sexarbeiterinnen in großem Umfang interviewt
– neben der Berücksichtigung von Prostitutions­
forschung, politikwissenschaftlicher Literatur,
der Analyse von Statistiken, Gesetzen, Landtagsund Gemeindeprotokollen, Gesprächen mit
Zuständigen aus Politik, Verwaltung, Exekutive,
Gesundheit und NGOs. Zum allgemeinen
Resümee gehört, dass es an einer Inklusion von
Sexarbeit ins gesamte gesetzliche Spektrum
mangelt und stattdessen Sonderregelungen
greifen. Die Erkenntnis der breiten Heterogeni­
tät der Sexarbeit/erinnen und die Forderung
von Mitspracherechten bei sie betreffenden
Maßnahmen gehören ebenfalls zu den Schluss­
folgerungen der Autorin. Die Lektüre verhilft zu
Perspektiven abseits von Moralisiererung. Birge Krondorfer
Helga Amesberger: Sexarbeit in Österreich. Ein
Politikfeld zwischen Pragmatismus, Moralisierung und Resistenz
New Academic Press 2014, 28,- Euro
Ausgesprochene Wahrheit
• Die
Journalistin, Autorin und
Aktivistin Laurie Penny meldet
sich mit ihrem Neuling „Unsagba­
re Dinge: Sex, Lügen und
Revolution“ zurück. Nach ihrem
Erfolg „Fleischmarkt“ bespricht sie
feministische Themen in ihrer gewohnt unver­
frorenen, kritischen Art. Zu sagen, ihre Sprache
sei unverblümt, wäre noch untertrieben: Sie
schreibt über Debatten wie Sexarbeit, Vergewal­
tigungskultur und Cybersexismus in einem
realitätsnahen Ton. „Als ein Leitfaden für Glück
in einer abgefuckten Welt kann sich dieses Buch
nicht bewähren“, macht sie bereits in der
Einleitung klar und distanziert sich von
neoliberalen Feminismen, zumal diese von
Klassismus betroffene Frauen*, Schwarze
Frauen* und Women* of Color, Sexarbeiterin­
nen* und alleinerziehende Mütter* nicht nur
ausschließen, sondern auch weiterhin unterdrü­
cken würden.
Ihr Buch ist keine Anleitung für weiße
Karrierefrauen, die Ehe, Job und Kinder unter
einen Hut bekommen und für ihre Leistungen
belohnt werden wollen. Von vermeintlich fe­
ministischen Positionen gegen Pornografie und
Sexarbeit distanziert sie sich ebenso. Vielmehr
geht es ihr um Wut, um die Dekonstruktion
von Natürlichkeit, um Maskulinität als Krise,
Sex und Sluthood, Liebe und um die Kritik an
Silencing-Strategien gegenüber mehrfachunter­
drückten Frauen*.
Penny gesteht ihre Privilegien als weiße und
überwiegend als Hetera lebende Cisfrau zwar
ein. Das hindert sie leider nicht daran, ihren
häufig kritisierten Kurs weiterzufahren, in dem
sie sich die Überlebenskämpfe marginalisier­
ter Gruppen aneignet. In ihren Ausführungen
über diese Unterdrückungsformen schließt sie
Betroffene oft aus und nimmt innerhalb des
Diskurses viel Raum ein – eine Tatsache, die in
der englischsprachigen Blogosphäre mehrfach
bemängelt wurde. Hengameh Yaghoobifarah
Laurie Penny: Unsagbare Dinge: Sex,
­Lügen und Revolution
Edition Nautilius 2015, 15,40 Euro, erscheint
am 25.2.2015
bonustrack: Squalloscope
Quit Playing Games
40
Als Vorpubertierende in den Neunzigern saß
ich eines Nachmittags auf meinem Bett unter
der Dachschräge mit der Buckelwalposter­
sammlung, als A. mein Zimmer betrat. A.
war jünger als ich, aber dank einer älteren
Cousine immer stets irgendwie eingeweihter
in die Geheimnisse darüber, was man als
Vorpubertierende am besten tun sollte. Mit
strahlenden Augen öffnete sie verschwöre­
risch das CD-Deck meiner kleinen Boombox,
legte eine CD ein, drückte „Play“ – und trat
eine Lawine los.
Es blieb keine Zeit, um skeptisch
zu sein! Das gesamte Marketingteam
der Backstreet Boys rieb sich irgendwo
anders auf der Erde die Hände, machte
einen Strich auf einer geheimen Liste und
flüsterte „Eine mehr …“, während meine
Hormone mich Kopf voraus in einen Stru­
del warfen, in dem kein Kinderzimmer groß
genug für alle Boybandposter dieser Erde
war und es vollkommen inakzeptabel schien,
• an.schläge I 2015
wenn beim „Bravo“-Starschnitt noch zwei
Teile fehlten. In meinem Tagebuch findet sich
der mit zitternder Hand gekritzelte Eintrag :
„AJs LINKES BEIN FEHLT NOCH IMMER WO
IST AJs LINKES BEIN?!?“
Die Zeit mit Nick, Kevin, Howie, AJ und
Brian war kurz und verwirrend. Meine
Schulfreundin C. sagte, ich müsste mir einen
Lieblingsboy aussuchen,
aber ich konnte mich nicht entscheiden.
Wie konnte es sein, dass Nicks Mittelscheitel
sonntags am coolsten war, montags allerdings
nur Brians Diamantohrring hell genug fun­
kelte? War es okay, Kevin gut zu finden, ob­
wohl er der Älteste war? Und war AJ wirklich
so gesetzlos wie alle behaupteten, und wenn
ja, würde er mich überhaupt cool finden?
Als ich mir mit 13 eines Sommers in Dub­
lin meine erste eigene Kassette für meinen
neuen metallic-grünen Walkman kaufte,
griff ich zu Hansons „MMMBop“ und fühlte
mich wochenlang wie eine Verräterin. Zu
Hause nahm ich BSB still von der Zimmer­
wand und hielt Nick und Howie dabei die
Augen zu. Es tat mir ehrlich leid.
Anna Kohlweis hörte ein Jahr nach der
Hanson-Kassette zum ersten Mal
Radiohead und ritt selig grinsend
mit Thom Yorke auf einem Einhorn
in den Sonnenuntergang.