Vortrag Eickel

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Vortrag Eickel
Braucht Sexarbeit Beratung? –
Aufgaben und Selbstverständnis der
Beratungsstelle Madonna e.V.
Fachtagung: Prostitution in SchleswigHolstein –die soziale und rechtlichen
Situationen von Prostituierten und die
Prävention von Menschenhandel
29. August 2013
Mechthild Eickel - Madonna e.V. Bochum
Der Verein Madonna e.V. Bochum
• Selbsthilfeeinrichtung
• In Tradition der Hurenbewegung
• Frauen mit und ohne Erfahrungen in der
Sexarbeit
• Männer können Fördermitglied werden
Selbsthilfe
• Treffpunkt in den Räumen der Beratungsstelle
• Vermittlung von Mentorinnen aus der
Sexarbeit
• gegenseitige/kollegiale Beratung von
Sexarbeiterinnen
Lobbyarbeit
• Aufklärung der Öffentlichkeit über Lebens- und
Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen
• Aktivitäten gegen die Diskriminierung von Sexarbeiterinnen
(in regionalen, nationalen und europäischen Netzwerken)
• Archiv „Prostitution und Prostituierte“ mit angeschlossener
Bibliothek und Videothek
Service für Sexarbeiterinnen:
• Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen am
Bochumer Bordell
• Information, Beratung, Unterstützung für
Frauen, die in der Prostitution arbeiten wollen,
bereits arbeiten oder in andere Tätigkeiten
umsteigen wollen
• aufsuchende Arbeit in Prostitutionsstätten
• Begleitgänge, Kontaktbesuche
Landesweite Aufgaben
In Kooperation mit der Beratungsstelle KOBER des SKF
Dortmund (KoopKoMa)
Aufbau einer Landesfachstelle für die berufliche Integration
von Sexarbeiter_innen
•Standortunabhängige Information, Beratung, Bildungsangebote für
–Sexarbeiter_innen / Betreiber_innen
–Akteure am Arbeitsmarkt
–andere Beratungsstellen
–Politik/Verwaltung/Behörden
•Internetauftritt www.koopkoma.de
2012
• 4848 informelle Kontakte
– aufsuchende Arbeit
– in der Beratungsstelle
• 125 Frauen in längerfristigen Beratungsprozessen
– 81 Migrantinnen
– 77 wünschten eine berufliche Umorientierung
• 1623 Beratungsgespräche
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–
–
–
833 in der Beratungsstelle
150 Gänge mit Klientinnen
5 Kontaktbesuche
635 telefonisch
• 296 landesweite Anfragen
• Ausrichtung von Arbeitskreisen/Seminaren
• Teilnahme in Netzwerken auf Landes- und Bundesebene
Stellenumfang /Finanzierung
• Berufliche Integration von Prostituierten (Projekt
Neustart/KoopKoMa)
– 1,5 Sozialarbeit
– 1,0 Projektleitung
– 0,5 Verwaltung
Land NRW/Stadt Bochum/Spenden
• Gesundheitsberatung
– 0,5 Sozialarbeit
Stadt Bochum
• Allgemeine Verwaltung/Archiv
– 0,75 Verwaltungskraft
– 0,50 Empfangskraft
Stadt Bochum/Sparkassenfond/Arbeitsagentur/Spenden
Madonna e.V. – Verein für die kulturelle und berufliche Bildung von Prostituierten
www.madonna-ev.de, www.koopkoma.de
Sprecherin der LAG-Recht/Prostitution NRW – Verbund von Fachberatungsstellen für
Sexarbeiter_innen und STD-Beratungsstellen der Gesundheitsämter in NRW und
drei Fachberatungsstellen für männliche Prostituierte (ca. 13 Einrichtungen)
bufaS e.V. – Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter
- schließt bundesweit Organisationen zusammen, die Sexarbeiterinnen und
Sexarbeiter beraten. Ziel des Bündnisses ist die nachhaltige Verbesserung der
Arbeits-und Lebensbedingungen von Sexarbeiter_innen. Dabei wird es durch einen
Beirat von Sexarbeiterinnen unterstützt. (www.bufas.net)
Madonna e.V. und bufaS sind Mitglieder in internationalen Netzwerken
Statement ist nicht ausdrücklich abgestimmt spiegelt aber die vielfältigen
gemeinsamen Diskussionen, Erfahrungen und Aktionen wider.
Mechthild Eickel - Madonna e.V. Bochum
Konsens der Beratungsstellen ist:
• die soziale und rechtliche Situation der Sexarbeiter_innen muss
verbessert werden
• Diskriminierung und Kriminalisierung müssen beendet werden
• Sexarbeit ist mit anderen Erwerbsarbeiten gleichzustellen
• das kann viele der Probleme lösen, die in Beratung als Probleme
der Sexarbeiter_innen erscheinen
• In der Sexarbeit Tätige müssen bei allen Regelungen bezüglich ihrer
Tätigkeit beteiligt werden
Die Funktion der Beratungsarbeit
• Ursprung: Hurenbewegung
• Anlauf- und Kontaktstellen für Sexarbeiterinnen
• Anknüpfen an Probleme, die sich aus der
gesellschaftlichen Ausgrenzung der
Sexarbeiterinnen ergeben
• Organisierung für gemeinsame Initiativen gegen
Stigmatisierung, Diskriminierung und für die
Anerkennung der Sexarbeit als Beruf
Mechthild Eickel - Madonna e.V. Bochum
Gesellschaftliche Erwartungen an Beratungsstellen
(Geldgeber, Träger, Politik, Medien):
• Abfederung der psychosozialen Probleme, die sich (auch) in
der Sexarbeit ergeben
• Fokussierung auf „Opferproblematiken“ (Armutsmigration,
ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, Abhängigkeiten, Gewalt)
• Zielrichtung aller Tätigkeiten auf den „Ausstieg aus der
Prostitution“
Mechthild Eickel - Madonna e.V. Bochum
Aktuelle Situation in der Sexarbeit
• Sexarbeit bewegt sich im Spannungsfeld
Sexualität/Arbeit/Migration
• Sexarbeit agiert in einer langen Tradition von Illegalisierung und
Kriminalisierung
• Die Gesetze des Marktes herrschen mit nur sehr geringen
regulierenden Einschränkungen
• Interessensvertretungen haben sich nur rudimentär entwickelt und
werden bei Entscheidungen über die Sexarbeit nicht einbezogen
• Sexarbeit bietet deshalb Nischen für Profiteure, die sich aufgrund
der relativ rechtlosen Stellung der Sexarbeiter_innen an ihnen
bereichern können.
Sexarbeit ist gesellschaftlich nicht anerkannt
• Sexarbeit wird diskriminiert, kriminalisiert und
stigmatisiert.
• Viele Sexarbeiter_innen wollen deshalb
anonym bleiben und führen ein belastendes
Doppelleben.
• Das macht sie erpressbar.
• Sexarbeiter_innen, die sich outen, müssen das
Stigma bewältigen.
Sexarbeit kann ein rechtloses, risiko- und
konkurrenzreiches Terrain sein
• Ausbeutung, schlechten Arbeitsbedingungen,
Übervorteilung
• Risiken, Opfer von Eigentums-, Vermögens-,
Erpressungs- und Gewaltdelikten zu werden
• gesundheitliche Risiken, die sich aus schlechten
hygienischen Verhältnissen, unangemessenen
Arbeitsmitteln und Konkurrenzdruck ergeben
In der Sexarbeit gibt es
• keine Berufsbeschreibung
• keine Mindeststandards
• keine Ausbildung
• keinen Berufsschutz – jede/r kann einsteigen
und nach Gutdünken arbeiten
• keinen Arbeitsschutz und Korrektive wie in
anderen Branchen
Sexarbeit ist dennoch für viele eine
attraktive Erwerbstätigkeit:
• Einstieg unkompliziert möglich
• Verdienste vergleichsweise lukrativ
• relativ hoher Grad an Unabhängigkeit und
Selbständigkeit
• anonyme Verdienste möglich
Sexarbeit bietet Nischen für Bevölkerungsgruppen, die
auf dem regulären Arbeitsmarkt chancenlos bleiben
• Menschen in prekären sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen
• Menschen, die nur eingeschränkt arbeiten können, z.B. allein
erziehende Mütter
• Menschen, die nur gelegentlich und/oder neben Bezug von
staatlichen Transferleistungen arbeiten wollen
• Migrant_innen ohne oder mit nur eingeschränkter Arbeitserlaubnis
oder ohne legalen Aufenthaltsstatus
• Drogengebraucher_innen, die ihren Konsum anders nicht
finanzieren können oder wollen
• Minderjährige auf Trebe
Risiken für Sexarbeiter_innen
• typische Belastungsaspekte von Selbständigen
• lange Arbeitszeiten
• mangelnde Freizeit- und Entspannungsphasen
• Selbstüberforderung
• wirtschaftliche Unsicherheit
• erhöhter Wettbewerbs- und Konkurrenzdruck
• chronischer Stress
• Zwang zur permanent erfolgreichen Selbstvermarktung
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Gefährdung ist um so höher
• je ungünstiger die Marktposition in der selbständigen
Tätigkeit
• je geringer die fachliche und unternehmerische
Kompetenz
• je höher der Refinanzierungsdruck aus der jeweiligen
Lebenslage (hohe laufende Kosten, alleinerziehend,
Zwang ganze Familien zu ernähren …)
• je prekärer die persönliche, wirtschaftliche und soziale
Situation
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Die in der Sexarbeit zu beobachtenden
negativen Phänomene
• sind Folgen des ungeregelten Marktes und der
Stigmatisierung der Tätigkeit
• führen dazu, dass Sexarbeiter_innen ausgebeutet
und unter Druck gesetzt werden können.
• führen dazu, dass nicht die üblichen Institutionen
wie Gewerkschaften, Kammern, Berufsverbänden,
Behörden oder Arbeitsverwaltung beraten und
unterstützen
Folgen für die soziale Beratung von
Sexarbeiter_innen
Sie muss (vorerst) Funktionen anderer sonst
üblicher Institutionen für Erwerbstätige ersetzen.
Sie muss Sexarbeiter_innen bei den alltäglichen
Problemen unterstützen
und Wege
–
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–
–
zur Professionalisierung
zur Legalisierung
zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen
zur Selbstorganisation
aufzeigen
Ist im Beratungsalltag dieses Selbstverständnis
umsetzbar?
•
Die konkreten Alltagsprobleme der Sexarbeiter_innen in der Beratung
drehen sich um: Probleme mit Behörden, ungesicherter Aufenthalt,
Schulden, Ehe- und Familienprobleme, Wohnungssuche, Schwangerschaft
oder Gesundheitsprobleme, geringe Einkünfte, Burn-out, berufliche
Umorientierung bis hin zu existentiellen ökonomischen und psychischen
Krisen.
•
Gefragt ist Wissen in Sozialrecht, Ausländerrecht, prostitutionsspezifischen
Rechtsfragen, Gesundheit, Arbeitsrecht, Bildungsförderung und
Beratungskompetenzen.
•
Gefragt ist vor allem die Fähigkeit und Bereitschaft, Sexarbeiter_innen als
Personen wahrzunehmen, die wie alle anderen das Recht haben, selbst zu
entscheiden, wie sie leben und arbeiten wollen.
Beispiel aus der sozialen Arbeit: Sozialrecht
Frau X arbeitet seit einigen Wochen in der Sexarbeit. Sie
wollte nur einige Tage arbeiten, um eine finanzielle
Notlage zu überbrücken. Sie bezieht Grundsicherung für
Arbeitsuchende. Gestern hat eine Razzia stattgefunden,
bei der ihre Papiere überprüft wurden. Sie befürchtet,
wegen Leistungsbetrug belangt zu werden.
Anmeldung der Sexarbeit als Nebentätigkeit
Anmeldung beim Finanzamt
Begleitung zu den Behörden
berufliche Beratung und Vermittlung von Kolleg_innen und Netzwerken
Hinwirken darauf, dass die zuständigen Behörden verständliche
Informationen darüber ausgeben, wie Sexarbeit als legale Nebentätigkeit
angemeldet werden kann.
Beispiel aus der sozialen Arbeit:
Ausländerrecht / Strafrecht
Frau A. aus Rumänien hat die Miete in einem Laufhaus
nicht bezahlt. Der Vermieter droht, sie dem
Ausländeramt zu melden, wenn sie nicht bei ihm die
Schulden abarbeitet. Sie befürchtet abgeschoben zu
werden, weil sie ihre Rechte nicht kennt.
Information über ausländerrechtlichen Status
Information über mögliche strafrechtliche Folgen für den Vermieter
Schutz organisieren
Rücksprache mit dem Vermieter, wenn Frau A. einverstanden ist
Begleitung zur Ausländerbehörde
berufliche Beratung und Vermittlung von Kolleg_innen und Netzwerken
Behörden anregen, umfassend und muttersprachlich über Rechte und
Pflichten aufzuklären, möglichst auch an den Prostitutionsstätten
Beispiel aus der sozialen Arbeit:
Krankenversicherung
Frau B. hat seit Wochen Unterleibsschmerzen und kann
jetzt nicht mehr arbeiten. Sie hat Schulden aufgehäuft
und will nicht zum Arzt gehen, weil sie keine
Krankenversicherung gefunden hat. Ihre Tätigkeit war
nicht angemeldet. Sie hat keinerlei Mittel mehr für den
Lebensunterhalt.
Grundsicherung für Arbeitsuchende beantragen
Schuldenberatung anbieten
Angebot, bei Wiederaufnahme der Arbeit bezüglich der Anmeldung der
Tätigkeit, der Suche nach einem angemessenen Arbeitsplatz und einer
bezahlbaren Krankenversicherung behilflich zu sein
berufliche Beratung und Vermittlung von Kolleg_innen und Netzwerken
Einwirken auf Politik und Krankenversicherungsträger, im Preis
angemessene Versicherungsmöglichkeiten zu sichern und darüber
offensiv zu informieren
Steuerrecht
Frau O. ist beim Finanzamt angezeigt worden. Sie hat
am Düsseldorfer Verfahren teilgenommen, hat aber nie
Quittungen erhalten und nie eine individuelle
Steuererklärung abgegeben. Das Finanzamt verlangt bei
Drohung einer Schätzung eine Steuererklärung für die
letzten 5 Jahren, weil sie in einem anonymen Schreiben
beschuldigt wurde, ein hohes unversteuertes
Einkommen zu haben.
Informationen über die Versteuerung von Einkünften aus der Prostitution
Verhandlung mit den Betreiber_innen, bei denen sie tätig war, um
Herausgabe der Quittungen
Einschalten eines Steuerberaters
berufliche Beratung und Vermittlung von Kolleg_innen und Netzwerken
Einwirken auf die Finanzbehörden und Politik, die Nachteile des
Düsseldorfer Verfahrens auszuräumen und ein gerechtes Steuerverfahren
für Sexarbeiter_innen einzuführen und darüber aufzuklären
Beispiel aus der sozialen Arbeit: Strafrecht
Frau E., 19 Jahre, arbeitet nach 4 - wöchiger Sexarbeit
auf dem Straßenstrich in einem Laufhaus. Bei einem
polizeilichen Kontrollbesuch erhält sie einen
Platzverweis.
Gegen den Betreiber wird ein Ermittlungsverfahren
wegen Menschenhandel eröffnet.
Information über Gesetzeslage: Sexarbeit ist ab 18 Jahre erlaubt. Wenn
vorher bereits in der Sexarbeit gearbeitet wurde, darf der Betreiber ihr ein
Zimmer vermieten
ggf. Rechtsanwalt einschalten,
berufliche Beratung und Vermittlung von Kolleg_innen und
Netzwerken
Einwirken auf Politik Behörden, hier Regelungen zu finden, die jungen
Sexarbeiter_innen zwischen 18 bis unter 21 Jahren sichere Arbeitsplätze
ermöglichen
Müssen Beratungsstellen für Sexarbeiter_innen und
Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel strikt getrennt
werden?
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Prostitution ist eine freiwillig erbrachte sexuelle Dienstleistung, die einen einvernehmlichen
Vertrag zwischen erwachsenen Geschäftspartner_innen voraussetzt.
Wird eine Person durch physische oder psychische Gewalt oder Erpressung dazu
gezwungen, sexuelle Handlungen gegen Entgelt zu vollziehen, handelt es sich nicht um
Prostitution, sondern um sexualisierte Gewalt, verkaufte Vergewaltigung, Nötigung…
Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung sollte nur die Tatbestände erfassen,
in denen Menschen in Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft gebracht werden
oder in Beschäftigungen zu Arbeitsbedingungen, die in einem auffälligen Missverhältnis zu
den Arbeitsbedingungen anderer Sexarbeiter_innen stehen, die gleiche oder vergleichbare
Tätigkeiten ausüben.
Nur wenn wie in anderen Erwerbszweigen Tarifparteien und Interessensvertretungen
Arbeitsbedingungen festlegen, kann ein solches Missverhältnis konstatiert und beurteilt
werden.
Nur wenn Sexarbeiter_innen sich trauen können, solche Tatbestände ohne negative Folgen
für sich selbst anzuzeigen, kann Menschenhandel wirksam begegnet werden.
Deshalb sollten beide, Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel wie
Beratungsstellen für Sexarbeiter_innen , in allen Fragen rund um die Sexarbeit parteilich
beraten und müssen dafür ausgestattet werden.
Ich danke für Ihre
Aufmerksamkeit

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