- Evangelische Kirchengemeinde Gedern

Transcription

- Evangelische Kirchengemeinde Gedern
Bericht im Kreisanzeiger vom 30.11.2007
Anders als alles, was Läuferszene so kennt"
Pfarrer Kurt Johann lief Marathon in Beirut - Organisationschaos und große Hitze - Lauf
in Land, das am Abgrund steht
GEDERN/BEIRUT (KA). Der Gederner Kurt Johann ist einer von fünf Pfarrern der
Evangelischen Landeskirche Hessen-Nassau, der sich für eine dreimonatige Studienreise bis
zum Jahresende im Libanon aufhält. Die erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen sollen die
Fortführung des Dialoges zwischen den Religionen auch in der hiesigen Region möglich
machen. Regelmäßig berichtet Kurt Johann von seinen Erfahrungen und Eindrücken aus Beirut.
"Jetzt bin ich den Beirut-Marathon gelaufen und möchte kurz davon berichten, denn dieser
Marathon ist ganz bestimmt anders als alles, was die Läuferszene so kennt. Zum Beispiel, dass
er wegen der Hitze (es waren 25 Grad) schon um sieben Uhr in der Frühe gestartet wurde. Ich
will aber weder von meiner Zeit schreiben (na gut, wen es interessiert: 4.55 Stunden), noch von
dem selbst für arabische Verhältnisse nicht üblichen Organisationschaos, das seinen
Höhepunkt darin hatte, das es ab Kilometer 24 kein Wasser mehr gab. Denn der Marathon über
die 42, 195 Kilometer war eigentlich auf zweifache Weise nur ein Randereignis.
Zum einen, weil der Hauptlauf ein Zehn-Kilometer-Lauf war, an dem etwa 10 000 Menschen
teilnahmen, Die meisten gingen mit ihren Freunden fröhlich die Strecke ab, während nur
geschätzte 500 Läufer für den Marathon gemeldet waren. Alle aber wollten ein Zeichen setzen
für den Lebenswillen und das Lebensrecht dieser Stadt. Die Marathonstrecke war an so einem
frühen Sonntagmorgen natürlich entsprechend leer. Immerhin hatte man die Straßen
abgesperrt. Und wer kann schon sagen, dass er quer durch Beirut auf autofreien Straßen
gejoggt ist?
In einer Stadt, in der man Fußgänger als natürliches Hindernis betrachtet und in der jeden Tag
aufs Neue ein Verkehrschaos ausbricht, das den Fremden aus Deutschland fragen lässt:
Warum setzen die sich überhaupt ins Auto, wenn sie ohnehin nur rumstehen?
Ein Randereignis war dieser Marathon aber auch noch auf ganz andere Weise für die Beirutis,
denn dieser Tag läutete die Woche der Wahrheit ein, in der der Präsident gewählt werden
musste. Auch wenn den meisten Beirutis Politik bis zum Halse steht und das Vertrauen in
Politiker weit unter dem Nullpunkt ist, sprach man von nichts anderem mehr. Vielleicht, weil
man so wenig Vertrauen in Politik und Parteien hat, dass man völlig verunsichert ist, was
geschehen wird. Nachdem die Wahl schon drei Mal verschoben worden war, ist die Wahl des
neuen libanesischen Präsidenten mittlerweile auch zum letztmöglichen verfassungsgemäßen
Zeitpunkt nicht zustande gekommen. Für viele, mit denen wir sprachen, war klar, dass in dieser
Woche der Libanon als unabhängiger Staat am Abgrund stehen wird. In einer Bar gibt es einen
Cocktail Libanon. "Nicht schütteln, sonst stürzt er ab", sagt mir einer. Das besondere
Kennzeichen: Das Glas hat keinen Stil, kann nicht von alleine stehen und muss von außen
gehalten werden.
Überall war die Nervosität deutlich zu spüren, selbst bei denen, die gerade gegenüber
Ausländern den Coolen raushängen, um zu zeigen, dass nicht einmal Beirut sie verängstigt.
Etwa 200 00 Soldaten waren in der Hauptstadt des Libanon zusammengezogen, alle ledigen
Armeeangehörigen hatten Urlaubssperre. Das erklärte mir dann auch, warum während des
Marathons, alle paar hundert Meter, freundlich winkende und nicht weniger gut bewaffnete
Soldaten standen.
Regierungstreue Abgeordnete, die gegen den Einfluss Syriens und Irans durch die Hizbollah
sind, waren wieder sicherheitshalber in das Hotel Phoenizia gebracht worden, das einer
Festung gleicht. Manche der Politiker sind schon wochenlang in diesem Hotel, zum Teil mit sehr
wenig Möglichkeiten, das Hotel auch nur einen Moment zu verlassen.
Das also sind die Rahmenbedingungen für den Marathon gewesen. Ein Lauf in einem Land,
das am Abgrund steht. Ein Lauf, bei dem die Bevölkerung zeigen wollte, dass die Menschen
leben und Sport machen wollen, dass Beirut wieder eine ganz normale Stadt werden soll.
Viele tragen ein T-Shirt mit dem arabischen Schriftzug für "khallas" , was zu gut Deutsch
"genug" oder " Ich habe es satt" heißt. Die Leute haben es satt, von kriegstreibenden
Egozentrikern geführt zu werden, haben es satt, als Land so klein wie Hessen ein Spielball der
weltpolitischen Mächte zu sein, haben genug davon, dass die meisten Libanesen im Ausland
leben, immer mehr wandern aus und immer mehr bleiben die ungebildeten Schichten zurück,
die nicht auswandern können und die sich von politischen und religiösen Scharfmachern leicht
steuern lassen.
Wir als Läufer haben unser Ziel erreicht. Mit Disziplin, Freude und Anstrengung. Ich war dabei
und darauf bin ich stolz. Die Medaille dieses Marathons wird einen Ehrenplatz bekommen. Aber
ich weiß auch, dass es Wichtigeres gibt . "