9. Fall: Wenn der Postmann zweimal klingelt a) Anspruch auf

Transcription

9. Fall: Wenn der Postmann zweimal klingelt a) Anspruch auf
9. Fall: Wenn der Postmann zweimal klingelt
a) Anspruch auf Kaufpreiszahlung für eine Flasche Rasierwasser
Die Fun AG (F) könnte einen Anspruch auf Zahlung von 69 € gegen Kuhl (K) aus §
433 Abs. 2 BGB haben. Dann müsste zwischen der F und K ein Kaufvertrag
zustande gekommen sein.
Verträge sind zweiseitige Rechtsgeschäfte, die durch Abschluss zweier
übereinstimmender Willenserklärungen – Antrag und Annahme – zustande kommen.
In der Zusendung des Rasierwassers durch F an K könnte ein Antrag auf Abschluss
eines Kaufvertrages liegen. Dazu ist es erforderlich, dass der Antragsteller die
wesentlichen Bedingungen des angestrebten Vertrages so zusammenfasst, dass der
Empfänger der Erklärung durch ein bloßes Ja den Vertrag zustande kommen lassen
kann. Die Sendung mit der zughörigen Rechnung bringen den Willen der F zum
Ausddruck über eine bestimmte Flasche Rasierwasser einen Kaufvertrag zum
Kaufpreis von 69 € zustande kommen zu lassen. Der Antrag müsste, damit er
wirksam wird, dem K zugegangen sein. Ein Antrag ist zugegangen, wenn er so in den
Herrschaftsbereich eines anderen gelangt, dass unter gewöhnlichen Umständen mit
der Kenntnisnahme gerechnet werden kann. Im vorliegenden Fall geht der Antrag
dadurch zu, dass der Postmann das Päckchen an K aushändigt. Zwischenergebnis:
F hat K einen wirksamen Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrages gemacht.
Dieser Antrag müsste von K auch angenommen worden sein, d. h. er müsste eine
Willenserklärung abgegeben haben, in der sein Wille zu den angegebenen
Konditionen das Rasierwasser zu erwerben zum Ausdruck gekommen ist. Eine
ausdrückliche Erklärung hat K der F gegenüber nicht abgegeben. Zwar könnte sein
Verhalten – die Verwendung des Rasierwassers – dahingehend gedeutet werden,
dass er dieses behalten will. Dem Zustandekommen eines Vertrages könnte jedoch §
241a Abs. 1 BGB entgegenstehen. Danach wird durch die Zusendung unbestellter
Waren durch einen Unternehmer an einen Verbraucher kein Anspruch begründet. Bei
der A müsste es sich dann um einen Unternehmer handeln. Unternehmer i. S. d. § 14
BGB ist eine Person, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung einer
gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit handelt. Eine AG ist eine juristische
Person, als Versandhandelsunternehmen für Kosmetika verfolgt sie auch eine
gewerbliche Tätigkeit. K müsste Verbraucher sein. Dies ist nach § 13 BGB eine
natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft abschließt, das überwiegend weder ihrer
gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden
kann. Bei K handelt es sich um eine natürliche Person. Würde er im vorliegenden Fall
ein Rechtsgeschäft – entgeltlicher Erwerb von Rasierwasser für die persönliche
Verwendung – abschließen, so wäre dies weder einer gewerblichen noch beruflichen
Tätigkeit sondern seiner außerberuflichen Privatsphäre zuzurechnen. Bei K handelt
es sich also um einen Verbraucher. Demzufolge kommt, auch wenn er das
Rasierwasser verwendet, kein Anspruch aus Kaufvertrag zustande.
Ergebnis: Zwischen F und K ist kein Kaufvertrag zustande gekommen, deshalb kann
F auch nicht Zahlung des Kaufpreises verlangen.
b) Gesetzgeberische Motivation zu § 241a BGB
Normalerweise erhält der Verbraucher im Versandhandel nur Waren, die er zuvor
bestellt hat. Vor Inkrafttreten des § 241a im Jahr 2002 haben einige Unternehmen
Verbraucher dadurch unter Druck gesetzt, dass sie ihnen ohne vorherige Bestellung
Waren übersandt hatten. Dazu gaben sie dann eine Erklärung ab, dass bei
Nichtrücksendung der Ware innerhalb einer bestimmten Frist ein Kaufvertrag
geschlossen sei und die Ware bezahlt werden müsste. Viele Verbraucher nahmen
daraufhin die Ware an und zahlten den geforderten Preis, weil sie den mit einer
Rücksendung verbundenen Aufwand (Verpackung der Ware, Zur-Post-bringen)
scheuten und glaubten, auch ohne Bestellung zur Zahlung des Kaufpreises
verpflichtet zu sein. Durch Mahnschreiben sahen sie sich zusätzlich eingeschüchtert.
Folge der gesetzlichen Regelung ist, dass für den Verbraucher keinerlei
Verpflichtungen im Falle der Zusendung unbestellter Ware entstehen. Der
Verbraucher wird zwar – weil die zur Eigentumsübertragung nach § 929 S. 1
erforderliche Eingung über den Eigentumsübergang fehlt – nicht Eigentümer der
Waren, kann sie aber dennoch entsorgen oder verbrauchen, ohne dass für ihn eine
Verpflichtung entsteht. Aus der absoluten Gesetzesformulierung „kein Anspruch“
folgert eine Mehrheit der Literatur, dass jegliche Gebrauchs-, Verbrauchs-,
Zueignungs- oder gar Zerstörungshandlungen für den Verbraucher ohne
Konsequenzen bleiben. Der Ausschluss jeglicher Ansprüche wird in der
Gesetzesbegründung als wettbewerbsrechtliche Sanktion gegen den Unternehmer
bezeichnet und soll auf eine Schenkung hinauslaufen. Das Eigentum des
Unternehmers hat bei unbestellter Zusendung von Waren hinter den Interessen des
Verbrauchers – der vor einer wettbewerbswidrigen Belästigung geschützt werden soll
– zurückzutreten.
c) Rechtfertigungsgründe
Rechtfertigungsgründe spielen im Zivilrecht eine Rolle im Rahmen des Rechts der
unerlaubten Handlungen (Deliktsrecht). Grundtatbestand des Deliktsrechts ist die
Schadensersatzpflicht für unerlaubte Handlungen in § 823 Abs. 1 BGB. Diese
entsteht in Folge der schuldhaften Verletzung eines fremden absoluten Rechtsguts.
Grundsätzlich indiziert die Rechtsgutverletzung die Rechtswidrigkeit. Im
Ausnahmefall kann allerdings die Verletzung eines fremden Rechtsguts nicht
rechtswidrig sondern erlaubt sein.
Ein solcher Ausnahmefall besteht z. B. bei der in § 227 BGB gleichlautend mit § 32
StGB geregelten Notwehr. Danach handelt nicht rechtswidrig, wer in einer
Notwehrlage mit geeigneten und gebotenen Mitteln aus Verteidigungswillen ein
fremdes Rechtsgut, z.B. die körperliche Unversehrtheit eines Angreifers, verletzt.
„Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“ – deshalb wird auch im Rahmen
der Notwehr bzw. Nothilfe grundsätzlich von demjenigen der sich selbst oder einen
Dritten verteidigt, nicht verlangt, dass er eine Abwägung zwischen dem Wert des
verteidigten Rechts und der möglichen Rechtsgutverletzung beim Angreifenden
vornimmt. Er muss lediglich für den Fall, dass ihm mehrere geeignete
Verteidungsmittel zur Verfügung stehen, das mildest mögliche einsetzen. Beispiel: A
wird von B mit einem Knüppel bedroht, damit er dem B seine Armbanduhr übergibt. A
verfügt über eine Kleinkaliberpistole in der rechten und eine Großkaliberpistole in der
linken Hosentasche. Ein Schuss mit der Kleinkaliberpistole würde den B
kampfunfähig machen und evtl. schwer verletzen, aber nicht töten, ein Schuss mit der
Großkaliberpistole könnte den Tod des B zur Folge haben. A darf sich der
Kleinkaliberpistole bedienen um sein Eigentum zu verteidigen.
Ein weiterer Rechtfertigungsgrund ist § 228 BGB – der rechtfertigende Notstand. Die
Zerstörung oder Beschädigung einer fremden Sache ist dann gerechtfertigt, wenn
von dieser Sache eine Gefahr ausgeht und der Schaden nicht außer Verhältnis zu
dieser Gefahr steht. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass nach § 90a
S. 2 BGB auch Tiere im Rechtsverkehr als Sachen behandelt werden. Geht also z. B.
von einem Hund eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit eines Menschen aus,
weil der Hund beißen will, so ist eine Gewalteinwirkung auf den Hund mit einer
Distanzwaffe gerechtfertigt, wenn sie zur Gefahrabwehr erforderlich ist. Gerechtfertigt
ist es z. B. auch, ein ferngesteuertes Flugzeugmodell, das auf einen zufliegt und zu
verletzen droht, zum Absturz zu bringen, selbst wenn es dadurch zerstört wird. Weil
in diesen Fällen die Abwehrhandlung genau gegen die Sache gerichtet ist, von der
eine Gefahr ausgeht, sprechen wir von „Defensivnotstand“.
§ 904 BGB regelt den Fall des „Offensivnotstandes“. Beispiel: A erleidet auf einem
Parkplatz einen lebensbedrohlichen Herzinfarkt. B möchte ihn in ein Krankenhaus
bringen. Ihm steht kein Telefon zur Verfügung, er entscheidet sich deshalb ein
parkendes Auto aufzubrechen und kurzzuschließen, um in das Krankenhaus zu
fahren. § 904 verlangt, dass der drohende Schaden, der durch die Verletzung
fremden Eigentums abgewehrt werden soll, unverhältnismäßig groß ist im Verhältnis
zur Eigentumsverletzung (Güterabwägung!). Im Beispiel geht es darum das Leben
des A zu retten. Im Vergleich dazu hat das Aufbrechen des Pkw geringes Gewicht.
Weitere Rechtfertigungsgründe sind die Einwilligung des Verletzten, zulässige
Amtshandlungen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichtsvollziehern, richterliche
Anordnung oder die rechtfertigende Pflichtenkollission.
d) Das Schild
Der Eigentümer eines Weihers hat das Recht dort zu angeln. Allen anderen
Personen kann er dies untersagen. Der erste Satz des Schildes bringt diese Befugnis
des Eigentümers zum Ausdruck, Dritte von jeder Einwirkung auf die dem Eigentümer
gehörende Sache auszuschließen. Diese Befugnis kommt in § 903 S. 1 BGB zum
Ausdruck. Ihre Grenze hat die Eigentümerfreiheit nur im Gesetz und in eventuell
entgegenstehenden Rechten Dritter.
Rechtlich betrachtet ist der zweite Satz auf dem Schild falsch. Eltern haften
grundsätzlich nicht für Schäden, die ihre Kinder anrichten. Eine Verschuldenshaftung
setzt grundsätzlich eigenes Verschulden voraus. Eltern können allenfalls dann für das
Handeln ihrer Kinder zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie ihre
Aufsichtspflicht verletzt haben. 

Documents pareils