Weibliche Genitalverstümmelung und HIV
Transcription
Weibliche Genitalverstümmelung und HIV
Länderbereich Afrika - Westafrika II, Angola und Afrika überregional T H E M E N FA C T S H E E T ÜBERWINDUNG DER WEIBLICHEN GENITALVERSTÜMMELUNG Weibliche Genitalverstümmelung und HIV Einleitung Schätzungen zufolge sind weltweit rund 140 Millionen Frauen, Mädchen und Babies an ihren Genitalien verstümmelt. Jedes Jahr sind etwa weitere drei Millionen Mädchen gefährdet, genital verstümmelt zu werden. Weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) wird vor allem in 28 Ländern Afrikas praktiziert, in geringem Umfang auch in einigen Ländern Asiens, des Mittleren Ostens und durch Migration in Einwanderungsländern des Westens. Wurde die Überwindung von FGM zunächst als eine Frage gesundheitlicher Aufklärung verstanden, so weiß man heute: FGM ist ein gesellschaftlich-kulturelles Problem und tief in den betroffenen Gesellschaften verankert. Um die Praktik nachhaltig zu beenden, ist gesellschaftlicher Wandel unabdingbar. Ein Engagement zur Überwindung von FGM steht dabei repräsentativ für die Stärkung von Frauen und ihrer Rechte, denn FGM ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung, deren Überwindung fast alle Millenniumsentwicklungsziele positiv befördern würde. KL A S S I F IK AT IO N D E R W E LT G E S U N D H E I T S O R G A N I S AT IO N : Typ I: Partielle oder vollständige Entfernung der Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut (Klitoridektomie) Typ II: Partielle oder vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen Schamlippen, mit oder ohne Entfernung der großen Schamlippen (Exzision) Typ III: Verengung der vaginalen Öffnung mit Herstellung eines bedeckenden, narbigen Hautverschlusses durch das Entfernen und Zusammenheften oder -nähen der kleinen und/oder großen Schamlippen, mit oder ohne Entfernung der Klitoris (Infibulation) Typ IV: Alle anderen Eingriffe, die die weiblichen Genitalien verletzen und keinem medizinischen Zweck dienen, zum Beispiel: Einstechen, Durchbohren, Einschneiden, Ausschaben und Ausbrennen oder Verätzen In der Arbeit für die Überwindung der genitalen Verstümmelung stellt sich immer wieder die Frage, ob diese Praktik das Risiko von Frauen und Mädchen erhöht, sich mit HIV zu infizieren. Nachfolgend werden zunächst allgemeine Risikofaktoren von Frauen und Mädchen im Hinblick auf eine HIV-Infektion zusammengefasst, bevor FGM als weiterer Risikofaktor beleuchtet wird. R i s i k o fa k t o ren Biologisch-anatomische Faktoren führen dazu, dass das Infektionsrisiko mit HIV beim ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr für Frauen deutlich höher ist als für Männer. So ist beim Sexualverkehr bei Frauen eine größere Körperoberfläche (Schleimhäute) als bei Männern involviert, die mit infizierten Sekreten in Kontakt kommen kann. Die Schleimhäute von Frauen sind außerdem dünner. Spermien infizierter Männer enthalten darüber hinaus eine stärkere Konzentration von HI-Viren als sexuelle Sekrete infizierter Frauen, und beim Sexualverkehr werden mehr Samen als Scheidensekrete ausgetauscht. Dies erklärt, warum Frauen stärker gefährdet sind, sich mit dem HI-Virus zu infizieren. B i o l o g i sch - anat o m i sche Weltweit tragen auch die benachteiligte Stellung der Frau in der Gesellschaft, geschlechtsspezifische Rollen und Normen sowie ökonomische Faktoren zur Verbreitung von HIV unter Frauen und Mädchen bei. S o z i o - ö k o n o m i sche R i s i k o fa k t o ren Geschlechtsspezifische Rollen, die z.B. nur eine geringe Selbstbestimmung über den eigenen Körper zulassen, können bei Frauen zu Passivität und Unwissen in Bezug auf ihr Sexualleben führen, dessen Kontrolle dann in die Hände von Männern gelegt wird. So berichten Frauen in zahlreichen Studien, dass sie es nicht wagen, Sexualverkehr zu verneinen oder auf geschütztem Verkehr zu bestehen. Durch frühe und arrangierte Ehen können junge Frauen ihre Partner nicht selbst wählen. Zudem haben junge Mädchen aufgrund ihrer körperlichen Anatomie durch vermehrte Verletzungen ein erhöhtes HIV-Risiko beim Geschlechtsverkehr, ebenso Frauen und Mädchen, bei denen Sexualverkehr mit Gewalt erzwungen wird. Ökonomische Abhängigkeit und die Angst vor Gewalt erschweren es Frauen außerdem, selbstbestimmt mit ihrem Körper umzugehen oder Bedingungen für sexuelle Beziehungen festzulegen. Wirtschaftliche Gründe führen oft dazu, dass junge Mädchen risikobehaftete Beziehungen mit älteren Männern eingehen. Auch stehen mangelnde Bildung und das allgemein geringere Bildungsniveau im Vergleich zu Jungen und Männern in engem Zusammenhang mit der Fähigkeit, sich vor HIV zu schützen. F G M u nd H I V Zusätzlich zu den bereits genannten Risikofaktoren kann die weibliche Genitalverstümmelung die Gefahr einer HIV-Infektion erhöhen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt an, dass bisher kein direkter Zusammenhang dokumentiert wurde, FGM jedoch einen Risikofaktor für eine HIVÜbertragung darstellen kann: Bei der Durchführung von FGM werden oft unsterile Instrumente an mehreren Betroffenen benutzt, wodurch sie in Kontakt mit infiziertem Blut kommen können. Dies kann das Risiko einer HIV-Infektion erhöhen (WHO 2008). Schwere Blutungen direkt nach dem Eingriff, aber auch während und nach Entbindungen (WHO 2008) sind eine sehr häufige Komplikation bei FGM, die Bluttransfusionen nötig machen können. Der Mangel an sicheren Blutkonserven in Afrika südlich der Sahara, insbesondere außerhalb großer Städte, kann ebenso das Risiko einer HIV-Infektion erhöhen. Studien beschreiben ein erhöhtes Vorkommen von Genitalherpes bei beschnittenen Frauen. Dies kann das Risiko für eine HIVInfektion erhöhen, da Genitalherpes die Übertragung von HIV befördert (WHO 2008). Weitere Annahmen, die für eine Verbindung zwischen FGM und HIV sprechen, werden im Folgenden vorgestellt: Verletzungen beim Geschlechtsverkehr gehören zu den mittelfristigen Komplikationen von FGM und sind abhängig von der Schwere der Verstümmelung. Gerade wenn eine Verstümmelung des Typs III vorliegt oder Vernarbungen die Vaginalöffnung erheblich verkleinern, kann es durch vaginale Verengung zu Verletzungen und Blutungen beim Verkehr kommen. Diese vergrößern die Gefahr einer HIV-Infektion. Paare greifen deshalb auch auf analen Geschlechtsverkehr zurück. Ungeschützter Analverkehr gilt als besonders riskant, da die Darmschleimhaut HIV direkt aufnehmen kann. Durch FGM können auch Drüsen verletzt werden, die bei sexueller Erregung ein Sekret absondern, das für die Befeuchtung der Vagina während des Geschlechtsverkehrs unerlässlich ist. Eine trockene Vagina birgt während des Sexualverkehrs ein erhöhtes Verletzungs- und HIV-Übertragungsrisiko. M ä nn l i che B eschne i d u n g u nd H I V Verschiedene Studien weisen für beschnittene Männer ein um bis zu 60% geringeres Risiko einer HIV-Infektion nach. Freiwillige und sichere männliche Beschneidung kann daher als ein Bestandteil umfas- Impressum Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH Sektorvorhaben und überregionales Projekt „Überwindung der weiblichen Genitalverstümmelung“ Dag-Hammarskjöld-Weg 1-5 65760 Eschborn/Deutschland E [email protected] I www.giz.de/fgm Foto: magann - Fotolia.com Januar 2011 sender Präventionsprogramme eingesetzt werden. Sie muss jedoch mit anderen Präventionsmethoden wie Aufklärung und Kondomgebrauch kombiniert werden und kann diese nicht ersetzen. Zu beachten ist dabei, dass das Risiko von Frauen und Mädchen, sich beim ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr mit HIV zu infizieren, durch die Beschneidung des Mannes nicht sinkt. Trifft es zu, dass sich Männer risikofreudiger verhalten, wenn sie beschnitten sind und seltener Kondome benutzen, würde dies sogar das Infektionsrisiko von Frauen steigern. Sowohl Aufklärung zur Prävention von HIV als auch zu FGM sind geeignet, Kenntnisse über Sexualität zu verbessern und gesunde Verhaltensweisen und Einstellungen zu fördern. Zudem können sich Informationen darüber, wie schädliche Praktiken wie FGM das HIV-Übertragungsrisiko für Frauen und Mädchen erhöhen können und die Aufklärung über die Prävention von HIV wirkungsvoll ergänzen. Initiativen zur Überwindung von FGM sollten deshalb auch die Verflechtung mit dem Thema HIV berücksichtigen. In der Praxis gibt es bereits Beispiele dafür. So beziehen HIV/Aids-Mainstreaming-Komponenten der GIZ in Mali und Burkina Faso in ihre Aktivitäten auch erfolgreich Sensibilisierungsaktivitäten zu FGM ein. A ns ä t z e FGM wird von komplexen sozialen, kulturellen und geschlechtsspezifischen Faktoren bestimmt, die auch das Risiko von HIV-Infektionen und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten begünstigen können. Bislang stützen lediglich wenige Forschungsergebnisse die These von einem erhöhten Infektionsrisiko für HIV aufgrund von FGM. Der Kontext von biologisch-anatomischen und sozio-ökonomischen Sachverhalten spricht jedoch für einen Zusammenhang zwischen FGM und HIV-Übertragung. Fazit Quellen: WHO, UNAIDS: New Data on Male Circumcision and HIV Prevention: Policy and Programme Implications, 2007. WHO: Eliminating Female Genital Mutilation: An interagency statement, OHCHR, UNAIDS, UNDP, et. al., 2008. Wawer, M. J.; Makumbi, F.; Kigozi,, G., et. al.: Circumcision in HIV-infected men and its effect on HIV transmission to female partners in Rakai, Uganda: a randomised controlled trial. In: Lancet 2009; Vol 374, July 18, 2009, pp. 229-237.