kostenloses Unterrichtsmaterial zu FGM
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kostenloses Unterrichtsmaterial zu FGM
TERRE DES FEMMES e.V. (Hg.) Unterrichtsmappe WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG TERRE DES FEMMES Mit einem Vorwort von Waris Dirie www.frauenrechte.de IMPRESSUM Herausgeberin TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V. Brunnenstraße 128 13355 Berlin Telefon 030/40 50 46 99-0 Telefax 030/40 50 46 99-99 [email protected] www.frauenrechte.de Redaktion Franziska Gruber, Luana König, Anne Lenz Gestaltung und Umschlagentwurf Regina Maultzsch Titelfotos (v.l.n.r.) Regine Bouédibéla-Barro, Fatma Bläser Comics Isa Collien Druck und Gesamtherstellung Gulde-Druck, Tübingen Unterrichtsmappe: Weibliche Genitalverstümmelung, herausgegeben von TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V., Tübingen 2007 Gefördert von der InWEnt gGmbH aus Mitteln des BMZ Vom Evangelischen Entwicklungsdienst gefördert Vom Katholischen Fonds gefördert 1. Auflage 2007 ISBN 978-3-936823-14-1 © 2007 TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V. © für die Abbildungen siehe Bildnachweise © für die Texte siehe Textnachweise bzw. TERRE DES FEMMES Alle Rechte vorbehalten. NETZWERK GEGEN WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG TERRE DES FEMMES ist Mitglied des Netzwerkes Integra. Mehr dazu unter www.frauenrechte.de Beim Kauf der Unterrichtsmappe erhalten Sie das Recht, einmalig Kopien für Ihre Klasse oder Lerngruppe anzufertigen. Kopien zu anderen Zwecken oder in anderer Menge sind nicht gestattet. Dieses Buch ist gedruckt auf 100% chlorfrei gebleichtem Papier. IMPRESSUM | 02 INHALT 05 06 08 Vorwort Waris Dirie Vorwort TERRE DES FEMMES Vorschläge für Unterrichtseinheiten 09 Kapitel I 10 11 12 13 14 15 17 18 19 20 21 22 23 24 1.1 Afrika - ein bunter Kontinent 1.1.1 Karte: Afrika und Europa 1.1.2 Was wisst Ihr über Afrika und Europa? Afrika ist ein ganzer Kontinent mit ... Europa ist im Vergleich dazu ... 1.1.3 Die vielen Gesichter Afrikas 1.2 Kinderalltag in Afrika 1.2.1 Wie lebt ein Mädchen in Westafrika? 1.2.2 Wie lebt ein Junge in Westafrika? 1.3. Erwachsenwerden 1.3.1 Fadumo Korn: Geboren im Großen Regen 1.4 Westliche Schönheitsideale 1.4.1 Der Preis der Schönheit 1.4.2 Auswirkungen westlicher Schönheitsideale 25 Kapitel II FGM: EINE MENSCHENRECHTSVERLETZUNG 26 27 28 29 31 32 33 34 36 37 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7 2.1.8 2.1.9 40 41 42 43 44 45 2.2 2.3. 2.3.1 2.4 2.4.1 2.4.2 46 2.4.3 FGM: ALLTAG, IDEALE, HINTERGRÜNDE Weibliche Genitalverstümmelung Zahlen zu FGM Verbreitungskarte Formen weiblicher Genitalverstümmelung Anatomische Abbildungen Gesundheitliche Folgen Begründungen für FGM FGM in Deutschland Zahlen zu FGM in Deutschland Warum ist FGM eine Menschenrechtsverletzung? Die Menschenrechte und ihre Geschichte Häufig gestellte Fragen Rollenspiel: Talkshow Argumentationsleitfäden Gewalt gegen Mädchen und Frauen Meinungen zur Situation von Mädchen und Frauen FGM als eine Form der Gewalt an Mädchen und Frauen Zur Situation von Frauen in Deutschland Frauenrechte und Frauenbewegung INHALT | 03 47 48 49 50 64 2.5 2.5.1 2.6 2.6.1 2.6.2 Warum Jungs für Frauenrechte? Gemeinsam für Mädchen- und Frauenrechte Was ist „normal“? Comic: „Diariatou angesichts der Tradition“ Nura Abdi: Tränen im Sand 65 Kapitel III HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN 66 67 68 69 71 3.1 3.2 3.2.1 3.3 3.4 72 Kapitel IV INFORMATIONSMÖGLICHKEITEN 73 74 77 79 4.1 4.2 4.3 4.4 Film: Moolaadé Projekte in afrikanischen Ländern Burkina Faso - Bangr-Nooma – „Es gibt nichts Besseres als Wissen“ Was könnt IHR tun? Aktionstage für Mädchen- und Frauenrechte (6.Februar, 8.März, 25. November) TDF-Publikationen zu FGM Weitere Literatur Filmtipps zu FGM Wichtige Adressen für Information und Beratung INHALT | 04 VORWORT WARIS DIRIE Liebe Schülerinnen und Schüler! Mindestens 150 Millionen Mädchen und Frauen sind weltweit von der weiblichen Genitalverstümmelung betroffen. Wie viele von euch wissen, weiß ich sehr genau wovon ich spreche. Information und Bildung sind unsere stärksten Waffen im Kampf gegen dieses frauenverachtende Ritual. Deshalb freue ich mich sehr, dass ihr euch mit dem Thema FGM beschäftigt und uns aktiv im Kampf dagegen unterstützt. Aufklärung kann nie heißen, mit dem Finger auf praktizierende Kulturen zu zeigen, sie soll Verständnis und Solidarität mit den Betroffenen erzeugen. Natürlich nicht für die fundamentale Menschenrechtsverletzung der Genitalverstümmelung an sich, dafür soll und kann es keine Toleranz geben. Die Rahmenbedingungen und Ideen, die hinter FGM stehen, sind aber keineswegs nur „dort unten“ in Afrika zu finden. Wie ihr sehen werdet, gibt es auch hier in Europa sogenannte „Schönheitsideale“, die sich gegen die Natur des weiblichen Körpers richten. Es geht hier aber auch nicht darum aufzurechnen, was schlimmer oder ebenso schlimm ist, sondern darum, Verständnis zu erzeugen, dass wir alle das Bedürfnis haben „normal“ zu sein und „dazu zu gehören“. Für Kinder und Jugendliche, die aus einem anderen Kontinent nach Europa gekommen sind, ist es besonders wichtig mit euch gemeinsam zu lernen und zu leben. Ich hoffe, dass die Auseinandersetzung mit diesem Thema euch dabei hilft auch den Kindern und Jugendlichen, die euch vordergründig als „fremd“ und „anders“ erscheinen, mit offenen Armen und ohne Vorurteile gegenüber zu treten. Wenn es uns gelingt unsere Grenzen im Kopf zu überwinden, können wir alles erreichen! Auch eine Welt, in der FGM nur mehr in den Geschichtsbüchern vorkommt. Gemeinsam können wir vieles verändern! Love, Waris Dirie VORWORT WARIS DIRIE | 05 VORWORT TERRE DES FEMMES Weltweit gibt es 150 Millionen Mädchen und Frauen, die an ihren Genitalien verstümmelt sind. Bei dieser fundamentalen Menschenrechtsverletzung werden ihnen meist ohne Narkose und häufig unter unhygienischen Bedingungen Teile der äußeren weiblichen Genitalien entfernt. Die Mädchen und Frauen, die den Eingriff überleben, leiden oft ihr Leben lang unter den Folgen. Traditionellerweise ist weibliche Genitalverstümmelung in 28 afrikanischen Ländern und im Süden der arabischen Halbinsel verbreitet. Durch Migration ist die Praxis jedoch nicht mehr auf ihre Herkunftsländer beschränkt. Nach Berechnungen von TERRE DES FEMMES leben in Deutschland mindestens 19.000 bereits betroffene Frauen, 4.000-6.000 Mädchen sind gefährdet. Sie brauchen unsere besondere Unterstützung. TERRE DES FEMMES setzt sich seit über 25 Jahren dafür ein, dass Mädchen und Frauen selbstbestimmt und frei, in fairer Partnerschaft mit Männern auf dieser Erde leben können. Wir möchten erreichen, dass die Öffentlichkeit in Deutschland weibliche Genitalverstümmelung als schwere Menschenrechtsverletzung an Mädchen und Frauen wahrnimmt und aktiv wird. Mit Spenden unterstützen wir drei Projekte zur Überwindung von Genitalverstümmelung in afrikanischen Ländern, die von Frauen und Männern vor Ort ins Leben gerufen wurden. In Burkina Faso, Kenia und Tansania konnten so Tausende von Mädchen vor dem lebensgefährlichen Eingriff bewahrt und in ihren Rechten gestärkt werden. Es ist uns ein besonderes Anliegen, die Situation betroffener Frauen und gefährdeter Mädchen auch in Deutschland zu verbessern. TERRE DES FEMMES hat deshalb eine Aufklärungsbroschüre speziell für Migrantinnen und Migranten entwickelt. Sie klärt über die negativen Folgen der Genitalverstümmelung sowie die Rechtslage in Deutschland auf und ist in Deutsch, Englisch, Französisch, Arabisch, Kiswaheli und Somali bei TERRE DES FEMMES erhältlich. Sie bietet eine gute Grundlage für Beratungsgespräche für alle, die mit Betroffenen in Kontakt kommen. In der Aufklärung und Prävention kommt ÄrztInnen und ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen und LehrerInnen eine Schlüsselrolle zu. Mit dieser Unterrichtsmappe möchten wir Lehrerinnen und Lehrer dazu ermutigen, das Thema der weiblichen Genitalverstümmelung im Unterricht aufzugreifen. Ziel ist es, Jugendliche über diese Menschenrechtsverletzung an Mädchen und Frauen zu informieren, sie zu sensibilisieren und zum Engagement zu motivieren. Zu einem bewussten Umgang mit dem Thema gehört auch die Frage nach den verwendeten Bezeichnungen. Bei weiblicher Genitalverstümmelung handelt es sich um eine schwere Menschenrechtsverletzung und um einen wesentlich gravierenderen Eingriff als bei der männlichen Vorhautbeschneidung. Daher hat sich international die Bezeichnung „Female Genital Mutilation“, kurz FGM, auf Deutsch „Weibliche Genitalverstümmelung“ durchgesetzt. Im direkten Kontakt mit Betroffenen ist es jedoch angemessen, den Ausdruck „Beschneidung“ zu verwenden. Viele Mädchen und Frauen sehen sich nicht als „verstümmelt“, insbesondere weil in den Verbreitungsländern FGM traditionellerweise positiv besetzt ist. Sind in Ihrer Klasse oder Schule Mädchen oder Jungen aus einem Land, in dem Genitalverstümmelung verbreitet ist, erfordert dies besondere Sensibilität, damit die Jugendlichen nicht zusätzlich diskriminiert werden. Sprechen Sie daher mit der Schülerin oder dem Schüler darüber, wie es für sie oder ihn ist, wenn das Thema im Unterricht behandelt wird, und nehmen Sie Kontakt mit den Eltern auf. Beziehen Sie – wenn möglich – das Mädchen oder den Jungen und die Eltern in die Vorbereitung des Unterrichts ein. So erfahren Sie vielleicht, ob das Mädchen oder die Schwestern des Jungen bereits betroffen sind oder nicht, denn es sind nicht unbedingt alle Mädchen aus einem Verbreitungsland beschnitten. Der VORWORT TERRE DES FEMMES | 06 Kontakt zu den Eltern ist wichtig, um ihre Einstellung zum Thema zu erfahren und darauf hinzuwirken, dass sie von einer eventuell geplanten Genitalverstümmelung Abstand nehmen. Wird das Thema sensibel behandelt, kann dies das Mädchen in dem Gefühl stärken, mit der Problematik nicht allein gelassen zu werden. Unter „Informationsmöglichkeiten“ finden Sie Anlaufstellen für Betroffene. Die Unterrichtsmappe möchte Verständnis für afrikanische Kontexte fördern, gleichzeitig aber deutlich machen, dass Genitalverstümmelung eine nicht tolerierbare Verletzung der Rechte von Mädchen und Frauen darstellt. Die Unterrichtsmappe Das erste Kapitel widmet sich dem Alltag und den Idealen in den Verbreitungsländern von FGM. Die Schülerinnen und Schüler sollen erkennen, dass europäische Gesellschaften afrikanischen nicht überlegen sind und dass es auch in Europa (Schönheits-)Ideale gibt, die die Gesundheit und das Leben, insbesondere von Mädchen, gefährden. Das zweite Kapitel gibt grundlegende Informationen über FGM und zeigt auf, dass sie eine schwere Menschenrechtsverletzung ist. Im dritten Kapitel werden den Schülerinnen und Schülern verschiedene Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, sich für die Beendigung weiblicher Genitalverstümmelung einzusetzen. Die „Informationsmöglichkeiten“ im vierten Kapitel weisen auf Beratungsstellen, Organisationen und Medien hin, die weitere Informationen zur Thematik geben können. Zeichenerklärung Jeder Text ist mit einem Buchstaben versehen, der die Art des Textes kennzeichnet: G L HMS HOS K Grundlagen Anregungen für Lehrerinnen und Lehrer zur Gestaltung einer Unterrichtseinheit Hintergrundtext für die Mittelstufe (zum Kopieren für alle) Hintergrundtext für die Oberstufe (zum Kopieren für alle) Kopiervorlage (z.B. auf Folie) Die folgende Tabelle soll eine Orientierung geben, welche Unterrichtseinheiten sich bevorzugt in welche Unterrichtsfächer integrieren lassen. Für die Behandlung des Themas im Deutschunterricht sind die Bücher von Waris Dirie „Wüstenblume“, „Nomadentochter“ und „Schmerzenskinder“ sehr zu empfehlen. Die englischen Ausgaben „Desert Flower“, „Desert Dawn“ und „Desert Children“ eignen sich als wichtige Texte zum Thema für den Englischunterricht. Es ist zu empfehlen, in jedem Fall die Grundlagentexte zu berücksichtigen. Als Einstieg in das Thema kann eine Unterrichtseinheit aus dem ersten Kapitel gewählt werden. Bei diesem sensiblen Thema bietet es sich an, eine externe Referentin, z.B. von TERRE DES FEMMES, einzuladen oder mit einer Kollegin/einem Kollegen die Klasse (evtl. sogar die Schule) zu tauschen, um eine unbefangenere Unterrichtsatmosphäre zu ermöglichen. VORWORT TERRE DES FEMMES | 07 VORSCHLÄGE FÜR UNTERRICHTSEINHEITEN GRUNDLAGEN (3-4 h) DEUTSCH (9-12 h) ERDKUNDE (6-8 h) GESCHICHTE (5-6 h) POLITIK/SOZIALKUNDE (10-14 h) RELIGION/ETHIK (9-12 h) 2.1 2.2 2.5 3.3 3.4 Weibliche Genitalverstümmelung Häufig gestellte Fragen Warum Jungs für Frauenrechte? Was könnt IHR tun? Aktionstage für Mädchen- und Frauenrechte 2h 1-2 h 1.2 1.3 2.3 2.4 2.6 3.1 3.2 Kinderalltag in Afrika Erwachsenwerden Rollenspiel: Talkshow Gewalt gegen Mädchen und Frauen Was ist „normal“? Film: Moolaadé Projekte in afrikanischen Ländern 1h 1h 1-2 h 1h 1-2 h 3h 1-2 h 1.1 2.6 3.1 3.2 Afrika – ein bunter Kontinent Was ist „normal“? Film: Moolaadé Projekte in afrikanischen Ländern 1h 1-2 h 3h 1-2 h 1.1 1.3 1.4 2.4 2.5 Afrika – ein bunter Kontinent Erwachsenwerden Westliche Schönheitsideale Gewalt gegen Mädchen und Frauen Warum Jungs für Frauenrechte? 1h 1h 1h 1h 1-2 h 1.1 1.3 1.4 2.3 2.5 2.6 3.1 3.2 Afrika – ein bunter Kontinent Erwachsenwerden Westliche Schönheitsideale Rollenspiel: Talkshow Warum Jungs für Frauenrechte?“ Was ist „normal“? Film: Moolaadé Projekte in afrikanischen Ländern 1h 1h 1h 1-2 h 1-2 h 1-2 h 3h 1-2 h 1.3 1.4 2.3 2.4 2.5 2.6 3.1 Erwachsenwerden Westliche Schönheitsideale Rollenspiel: Talkshow Gewalt gegen Mädchen und Frauen Warum Jungs für Frauenrechte? Was ist „normal“? Film: Moolaadé 1h 1h 1-2 h 1h 1-2 h 1-2 h 3h VORSCHLÄGE FÜR UNTERRICHTSEINHEITEN | 08 2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG G|L Weibliche Genitalverstümmelung ist eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, von der weltweit etwa 150 Millionen Mädchen und Frauen betroffen sind. Täglich kommen 8.000 Mädchen und Frauen hinzu. Die Betroffenen leiden oft lebenslang unter den negativen physischen und psychischen Folgen. Trotz Gesetzen und internationalen Konventionen wird Genitalverstümmelung weiter praktiziert, da sie eng mit traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit verknüpft ist. Im Zusammenhang mit dem Thema weibliche Genitalverstümmelung taucht immer wieder die Frage nach Fotos oder Bildern einer beschnittenen Vagina auf. Oft soll mit Bildern die Grausamkeit der Praxis belegt und die Umwelt schockiert werden. Es hat sich allerdings gezeigt, dass Fotos oder Bilder eines verstümmelten Genitals die Gefahr bergen, dass Betroffene vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer Geschlechtsorgane wahrgenommen werden. Aus Respekt vor den Betroffenen sind in der Unterrichtsmappe keine Bilder beschnittener Geschlechtsorgane abgedruckt. Mit der Darstellung intakter weiblicher und männlicher Geschlechtsorgane sollen sich Jugendliche beider Geschlechter sowohl mit der weiblichen Genitalverstümmelung als auch der männlichen Beschneidung und ihren jeweiligen Formen und Folgen auseinandersetzen. Themen Ziele Gruppengröße Zeit Vorbereitung Weibliche Genitalverstümmelung (Zahlen, Verbreitung, Formen, anatomische Abbildungen, gesundheitliche Folgen, Begründungen), FGM in Deutschland, FGM als Menschenrechtsverletzung Die Schülerinnen und Schüler sollen sich im Folgenden Hintergrundwissen über FGM aneignen und sich damit beschäftigen, warum die Praxis eine fundamentale Menschenrechtsverletzung an Mädchen und Frauen darstellt. zunächst Kleingruppen, u.U. Mädchen und Jungen getrennt, dann ganze Klasse 2 Unterrichtsstunden Kopieren Sie die Kopiervorlagen (2.1.1, 2.1.2, 2.1.4, 2.1.8) und die Hintergrundtexte (2.1.3, 2.1.5, 2.1.6, 2.1.7, 2.1.9) für jede Schülerin und jeden Schüler. Teilen Sie die jeweiligen Texte zunächst nur an die „Expertengruppen“ aus. Vorschläge zur Umsetzung: Bilden Sie „Stamm-“ und „Expertengruppen“. Teilen Sie die Klasse auf, indem Sie die Schülerinnen und Schüler von eins bis fünf durchzählen lassen. Immer fünf Schülerinnen und Schüler von „Eins“ bis „Fünf“ sind eine „Stammgruppe“. Gleichzeitig sind alle Schülerinnen und Schüler Teil einer „Expertengruppe“. Diese kommt folgendermaßen zustande: Alle „Einser“ aus den „Stammgruppen“ gehen in eine „Expertengruppe“, alle „Zweier“ in eine weitere usw. Jede „Expertengruppe“ bearbeitet ein Thema der Grundlagentexte (1. Gruppe: 2.1.1 - 2.1.4, 2. Gruppe: 2.1.5, 3. Gruppe: 2.1.6, 4. Gruppe: 2.1.7 – 2.1.8, 5. Gruppe: 2.1.9) und hält die wichtigsten Informationen und Ergebnisse der Gruppendiskussion in Stichpunkten fest. Anschließend gehen die Schülerinnen und Schüler in „ihre“ „Stammgruppe“ zurück. Als Expertin oder Experte für das zuvor erarbeitete Thema soll die Schülerin/der Schüler es den anderen nahe bringen. Anschließend werden die Kopien aller Texte verteilt, so dass jede Schülerin und jeder Schüler alle Grundlagentexte hat. Oder: Teilen Sie die Klasse so auf, dass in einer Expertengruppe nur Mädchen oder nur Jungen sind. Oder: Die in den Grundlagentexten enthaltenen Informationen können auch von einer externen Referentin, z.B. von TERRE DES FEMMES vorgestellt werden. In jedem Fall sollte anschließend Raum für Fragen und eine gemeinsame Diskussion sein. Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Thema finden Sie in Punkt 2.2. 2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG | 26 2.1.1 ZAHLEN ZU FGM Von FGM betroffenes Land Ägypten Äthiopien Benin Burkina Faso Dschibuti Elfenbeinküste Eritrea Gambia Ghana Guinea Guinea Bissau Jemen Kamerun Kenia Kongo Dem. Rep. Liberia Mali Mauretanien Niger Nigeria Senegal Sierra Leone Somalia Sudan Tansania Togo Tschad Uganda Zentralafrik. Republik Summe: G|K Prozentzahl der von FGM Betroffenen1 (UNICEF 2005) 97% 80% 17% 72% 98% 45% 89% 89% 5% 99% 50% 23% 20% 38% 5% 60% 92% 71% 5% 19% 20% 90% 98% 90% 18% 50% 45% 5% 36% FGM in Zahlen2 (gerundet) 35806.000 31134.000 712.000 4736.000 389.000 4016.000 1994.000 681.000 546.000 4538.000 402.000 2075.000 1887.000 6499.000 1450.000 987.000 6239.000 1101.000 341.000 12344.000 1185.000 2521.000 4064.000 16198.000 3100.000 1555.000 2216.000 720.000 745.000 150.181.000 Die hiermit errechnete Gesamtzahl von über 150 Millionen betroffenen Mädchen und Frauen allein in afrikanischen Staaten entspricht den Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO, die von insgesamt bis zu 170 Millionen Betroffenen weltweit ausgeht. 1 2 Vgl. Zur Situation der Kinder in der Welt 2005, herausgegeben von Unicef, Fischer Taschenbuch Verlag 2005, Tabelle 9, S. 238-243. Als Grundlage für die weibliche Bevölkerung des jeweiligen Landes in absoluten Zahlen diente: World Population Prospects. The 2004 Revision, United Nations (Ed.), 2005. 2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG | 27 2.1.2 VERBREITUNGSKARTE G|K Tunesien ASIEN Marokko Algerien Libyen Ägypten West-Sahara SaudiArabien Kap Verde Mauretanien Oman Niger Mali 1 2 3 18 Burkina Faso Guinea 8 Elfen4 7 bein- 6 5 küste Sudan Tschad 9 Jemen 10 Nigeria Príncipe S ão Tomé Äthiopien Zentralafrikan. Kamerun Republik 14 11 Kongo Gabun Somalia Kenia 12 DR Kongo 13 Tansania Seychellen AFRIKA Komoren Angola 15 Sambia St. Helena Simbabwe Namibia Mosambik Madagaskar Botswana Mauritius Réunion 16 Südafrika 17 EXZISION Karte: © Regina Maultzsch INFIBULATION 1 2 3 4 5 6 Senegal Gambia Guinea-Bissau Sierra Leone Liberia Ghana 7 8 9 10 11 12 Togo Benin Eritrea Djibouti Uganda Ruanda 13 14 15 16 17 18 Burundi Äquatorialguinea Malawi Swasiland Lesotho Verein. Arab. Emirate 2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG | 28 2.1.3 FORMEN WEIBLICHER GENITALVERSTÜMMELUNG G|HMS|HOS Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert weibliche Genitalverstümmelung als „alle Verfahren, die die teilweise oder vollständige Entfernung der weiblichen äußeren Genitalien oder deren Verletzung zum Ziel haben, sei es aus kulturellen oder anderen, nichttherapeutischen Gründen.“ MenschenrechtsaktivistInnen und -aktivisten bezeichnen diese Praktik nicht als „Beschneidung“ sondern als weibliche Genitalverstümmelung (= FGM: Female Genital Mutilation). Dieser Begriff hat sich inzwischen international durchgesetzt. Damit soll deutlich werden, dass FGM wesentlich schwer wiegendere Folgen hat als die Vorhautbeschneidung bei Jungen. Im direkten Gespräch mit Betroffenen ist es jedoch angemessener, den Begriff „Beschneidung“ zu verwenden, da sich viele Mädchen und Frauen nicht als verstümmelt wahrnehmen und nicht so bezeichnet werden möchten. FGM wird traditionellerweise von Beschneiderinnen mit Messern, Rasierklingen oder anderen scharfen Gegenständen vorgenommen. Es lassen sich folgende Formen von FGM unterscheiden: „Milde Sunna“ Die Sunna steht im Islam für das, was der Religionsstifter Mohammed gesagt, geduldet oder bewusst nicht getan haben soll. Deshalb haben auch viele MuslimInnen, die sich gegen FGM aussprechen, ein besonderes Problem mit dieser Bezeichnung und bemühen sich, dieses Wort nicht im Zusammenhang mit FGM zu verwenden. Diese Form von FGM bedeutet, dass die Vorhaut der Klitoris eingestochen, geritzt oder entfernt wird. Klitoridektomie oder abgewandelte Sunna Hier wird die Klitoris der Frau oder des Mädchens teilweise oder ganz entfernt. Die Exzision Bei der Exzision werden zusätzlich zur Klitoris die inneren Schamlippen teilweise oder ganz abgetrennt. Diese Form von FGM ist neben der Klitoridektomie eine der häufigsten. 80% der Mädchen und Frauen sind von einer der beiden Formen betroffen. Die Infibulation oder pharaonische Beschneidung Bei der Infibulation, die auch als pharaonische Beschneidung bekannt ist, werden neben der Klitoris die inneren und zum Teil äußeren Schamlippen entfernt. Anschließend werden die Innenseiten der Vulva zusammengenäht. Um das Wasserlassen und die Menstruation zu gewährleisten, wird ein kleines Stück Holz eingenäht, damit eine Öffnung bleibt. In der Regel werden den Mädchen nach dem Eingriff die Beine zusammengebunden, bis die Wunde verheilt ist, was meist mehrere Wochen dauert. Etwa 15 % aller Betroffenen weltweit sind infibuliert. 2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG | 29 Die Defibulation Wurden Frauen wie eben beschrieben infibuliert, so ist es ihnen meist nicht möglich, Geschlechtsverkehr zu haben oder ein Kind zu gebären. Aus diesem Grund wird die Defibulation durchgeführt, was bedeutet, dass die zugenähte Vagina wieder geöffnet wird. Die Reinfibulation Eine Reinfibulation bedeutet, dass die Defibulation (also die Öffnung der Vagina) nach einer Geburt wieder rückgängig gemacht wird. Dabei werden die verbleibenden Narbenränder entfernt und das übrige Gewebe wird erneut zugenäht. Nach mehreren Entbindungen ist unter Umständen jedoch kein Gewebe mehr vorhanden, um die Vagina erneut zuzunähen. Bei der männlichen Beschneidung wird die Vorhaut vollständig oder teilweise entfernt. Dies kann Reizzustände des Harnröhrenendes und der Eichel zur Folge haben. Männliche Beschneidung ist im Judentum und im Islam aus religiösen Gründen verpflichtend und wird meist kurz nach der Geburt oder im Kindesalter durchgeführt. In Europa und den USA galt sie im 18. Jahrhundert als „Heilung“ gegen Selbstbefriedigung. Heute wird sie aus nicht religiösen Gründen fast ausschließlich in den USA praktiziert. Gegenwärtig liegt der Anteil der – auch heute noch überwiegend ohne Betäubung durchgeführten – Beschneidungen an männlichen Neugeborenen in den USA bei ca. 55 %. Untersuchungen haben das Argument verbesserter Genitalhygiene nicht bestätigt. Zum Weiterlesen: Petra Schnüll, Weibliche Genitalverstümmelung in Afrika, in: Schnitt in die Seele. Weibliche Genitalverstümmelung – eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, herausgegeben von TERRE DES FEMMES, Mabuse-Verlag 2003, S. 23-64. Tim Hammond, Der Zusammenhang zwischen weiblicher und männlicher Genitalverstümmelung, in: in: Schnitt in die Seele. Weibliche Genitalverstümmelung – eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, herausgegeben von TERRE DES FEMMES, Mabuse-Verlag 2003, S. 269-295. 2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG | 30 2.1.5 GESUNDHEITLICHE FOLGEN G|HMS|HOS Weibliche Genitalverstümmelung stellt einen Eingriff dar, der nicht wieder rückgängig zu machen ist. Er hat zahlreiche kurz- und langfristige Folgen für die körperliche, seelische und sexuelle Gesundheit der betroffenen Mädchen und Frauen. Hinzu kommt, dass FGM in der Regel von Beschneiderinnen durchgeführt wird, die kaum medizinische Kenntnisse über den menschlichen Körper haben und nicht über sterile Instrumente verfügen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht sich dagegen aus, dass Genitalverstümmelungen von ÄrztInnen vorgenommen werden. Nach Schätzungen der WHO sterben 10 % der Betroffenen an den akuten und 25 % an den langfristigen Folgen von FGM. Da Genitalverstümmelungen meist ohne Narkose durchgeführt werden, leiden die Betroffenen währenddessen unter enormen Schmerzen. Direkte Folgen sind oft schwere Blutungen und Schockzustände. Da FGM häufig unter unhygienischen Bedingungen stattfindet, kann es zu Blutvergiftung und Wundstarrkrampf kommen. Wenn mehrere Mädchen mit dem gleichen Werkzeug beschnitten werden, besteht die Gefahr, dass HIV übertragen wird. Aus Angst vor den Schmerzen beim Wasserlassen kann es vorkommen, dass die Mädchen den Urin zurückhalten und zu wenig trinken. Zusammen mit Verletzungen der Harnröhre ist dies ein Grund für dauerhafte Infektionen im Harnbereich und Unterleib. Bei infibulierten Frauen staut sich meist die Monatsblutung, was langfristig zu Unfruchtbarkeit führen kann. Dies ist in vielen Teilen Afrikas für den Mann ein Scheidungsgrund, weil Kinderreichtum ein wichtiges Ideal ist. Somit haben die negativen Folgen von FGM großen Einfluss auf das soziale Leben von Frauen. Außerdem kann es an der Narbe zu Eiterungen (Abszessen), Zysten und Narbenwucherungen (Keloiden) kommen. Diese können das Wasserlassen, den Geschlechtsverkehr und den Geburtsverlauf erschweren. Da das Narbengewebe der Vagina weniger elastisch ist, besteht die Gefahr eines Geburtsstillstandes, wodurch das Kind nicht mit ausreichend Sauerstoff versorgt wird und sterben kann. Dadurch steigt auch die Müttersterblichkeit unter betroffenen Frauen. Bei einem Geburtsstillstand kann es passieren, dass der kindliche Körper auf weibliche Organe drückt, die Blutversorgung unterbricht und Gewebe im Unterleib der Frau abstirbt. Dies kann zur Bildung von Fisteln - das sind häutig ausgekleidete Verbindungen zwischen Blase, Scheide und Mastdarm - führen. Die betroffenen Frauen können den Abgang von Urin und Stuhl nicht mehr kontrollieren. Inkontinenz bedeutet für die betroffenen Frauen soziale Ausgrenzung. Obwohl mit dem Entfernen der Klitoris das sexuelle Empfinden eindeutig eingeschränkt ist, sind die Folgen für die Sexualität für die einzelnen Frauen sehr unterschiedlich. Es gibt Frauen, die beim Geschlechtsverkehr Schmerzen haben und an die Genitalverstümmelung erinnert werden und daher keine Lust empfinden. Es gibt aber auch betroffene Frauen, die mit ihrem Sexualleben zufrieden sind, denn sexuelle Erfüllung hängt von vielen Faktoren ab. Für die meisten Frauen bedeutet FGM eine seelische Verletzung. Vermehrt erleben sie psychische Nachwirkungen, wie zum Beispiel Depressionen, Schlaf- und Essstörungen. LehrerInnen berichten, dass die betroffenen Mädchen häufig durch einen unerklärlichen Leistungsabfall, Konzentrationsstörungen und ein geringes Interesse am Lernen auffallen. Sie versäumen den Unterricht und brechen daher – für Außenstehende häufig unerklärlich - die Schule vorzeitig ab. So erleiden die Mädchen aufgrund körperlicher und seelischer Folgen von FGM auch soziale Einschränkungen. Dies erschwert es den jungen Frauen, ein selbstständiges Leben aufzubauen. Zum Weiterlesen: Christina Bauer und Marion Hulverscheidt, Gesundheitliche Folgen der weiblichen Genitalverstümmelung, in: Schnitt in die Seele. Weibliche Genitalverstümmelung – eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, herausgegeben von TERRE DES FEMMES, Mabuse-Verlag 2003, S. 65-81. 2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG | 32 2.1.6 BEGRÜNDUNGEN FÜR FGM G|HMS|HOS Es gibt verschiedene traditionelle Begründungen dafür, warum weibliche Genitalverstümmelung durchgeführt wird. Diese unterscheiden sich von Ethnie zu Ethnie und Land zu Land. Die wichtigsten Begründungen sind: Genitalverstümmelung stellt eine Tradition dar. Wer sie missachtet wird von der Gesellschaft ausgegrenzt. Dies bedeutet, dass Nichtbeschnittene weder soziale Anerkennung noch Respekt bekommen. Da Genitalverstümmelung als Voraussetzung für eine Heirat gilt, bringen Mütter ihre Töchter zur Beschneiderin. Eine Hochzeit bedeutet sowohl für das Mädchen als auch für die Familie die zukünftige gesellschaftliche und wirtschaftliche Absicherung; ohne diese kann ein Mädchen oder eine Frau häufig nicht selbstständig leben. Der Brautpreis, den die Familie der Braut bei der Heirat der Tochter erhält, ist in vielen Ethnien umso höher, je stärker das Mädchen genitalverstümmelt wurde. In manchen afrikanischen Gesellschaften wird die Zeit, in der sich der Übergang vom Kind zum Erwachsenen vollzieht, mit Ritualen und Festen begangen. In einer Art „Buschschule“ werden die Mädchen von den älteren Frauen unterrichtet. Die Genitalverstümmelung ist die Initiation [lat.: initiare = beginnen, einweihen; Einführung einer Person in eine bestimmte Gruppe durch Riten und Feierlichkeiten] zum Erwachsenwerden, welche oft mit einem großen Fest, an dem alle Gemeindemitglieder beteiligt sind, abgeschlossen wird. Von Frauen wird in vielen afrikanischen Gesellschaften die Rolle als Ehefrau und Mutter erwartet. Dazu gehört unter anderem auch ein eingeschränktes Sexualverhalten. Durch FGM soll garantiert werden, dass die Frau bis zur Ehe ihre Jungfräulichkeit bewahrt. Anschließend soll ihre eheliche Treue gewährleistet werden, indem durch die Verstümmelung ihr sexuelles Interesse eingeschränkt ist. Dies bedeutet, dass mit der Genitalverstümmelung die Sexualität von Frauen kontrolliert werden soll. Zudem werden die äußeren weiblichen Genitalien als schmutzig und hässlich angesehen. Sie entsprechen nicht dem Schönheitsideal vieler afrikanischer Gesellschaften. Was ein Schönheitsideal ausmacht, ist weltweit unterschiedlich und liegt immer im Auge der Betrachterinnen und Betrachter. Überall gibt es Ideale, denen Frauen und Männer nacheifern. Man denke nur an die zahlreichen Schönheitsoperationen, die tagtäglich weltweit v.a. Frauen vornehmen lassen, um geltenden Schönheitsidealen gerecht zu werden. In den Gesellschaften, in denen FGM praktiziert wird, geht man oftmals davon aus, dass die Genitalverstümmelung die Fruchtbarkeit der Frauen erhöht und die Schwangerschaft sowie Geburt erleichtert. Dies beruht jedoch auf biologischer und medizinischer Unkenntnis, denn FGM kann sich sehr negativ auf die Gesundheit der Mädchen und Frauen auswirken und schwere Folgen für Schwangerschaft und Geburt haben (vgl. „Gesundheitliche Folgen“). In vielen Gebieten wird FGM als Gebot der Religion angesehen. Dass FGM nicht mit der Religionszugehörigkeit zusammenhängt, zeigt sich daran, dass Genitalverstümmelungen sowohl bei ChristInnen, MuslimInnen und AnhängerInnen traditioneller Religionen verbreitet ist. Unter FGM praktizierenden MuslimInnen gibt es die Vorstellung, dass der Islam FGM verlangt. Doch weder im Koran noch in der Bibel findet die weibliche Genitalverstümmelung Erwähnung. Befürworterinnen und Befürworter von FGM im Islam berufen sich vielmehr auf ein sogenanntes Hadith (arabisch: Rede, Bericht), welches neben dem Koran eine Gesetzesquelle darstellt. Hadithe sind Aussprüche des Propheten Mohammed, welche allerdings unterschiedlich interpretiert werden können. Es gibt zahlreiche Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, in denen Genitalverstümmelung nicht verbreitet ist, wie z.B. Iran und Afghanistan. Zum Weiterlesen: Petra Schnüll, Weibliche Genitalverstümmelung in Afrika, in: Schnitt in die Seele. Weibliche Genitalverstümmelung – eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, herausgegeben von TERRE DES FEMMES, Mabuse-Verlag 2003, S. 23-64. 2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG | 33