kostenloses Unterrichtsmaterial zu FGM

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kostenloses Unterrichtsmaterial zu FGM
TERRE DES FEMMES e.V. (Hg.)
Unterrichtsmappe
WEIBLICHE
GENITALVERSTÜMMELUNG
TERRE DES FEMMES
Mit einem Vorwort von Waris Dirie
www.frauenrechte.de
IMPRESSUM
Herausgeberin
TERRE DES FEMMES –
Menschenrechte für die Frau e.V.
Brunnenstraße 128
13355 Berlin
Telefon 030/40 50 46 99-0
Telefax 030/40 50 46 99-99
[email protected]
www.frauenrechte.de
Redaktion
Franziska Gruber, Luana König, Anne Lenz
Gestaltung und Umschlagentwurf
Regina Maultzsch
Titelfotos (v.l.n.r.)
Regine Bouédibéla-Barro, Fatma Bläser
Comics
Isa Collien
Druck und Gesamtherstellung
Gulde-Druck, Tübingen
Unterrichtsmappe:
Weibliche Genitalverstümmelung,
herausgegeben von TERRE DES FEMMES –
Menschenrechte für die Frau e.V.,
Tübingen 2007
Gefördert von der InWEnt gGmbH
aus Mitteln des BMZ
Vom Evangelischen Entwicklungsdienst
gefördert
Vom Katholischen Fonds gefördert
1. Auflage 2007
ISBN 978-3-936823-14-1
© 2007 TERRE DES FEMMES –
Menschenrechte für die Frau e.V.
© für die Abbildungen
siehe Bildnachweise
© für die Texte
siehe Textnachweise bzw. TERRE DES FEMMES
Alle Rechte vorbehalten.
NETZWERK GEGEN WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG
TERRE DES FEMMES ist Mitglied des
Netzwerkes Integra.
Mehr dazu unter www.frauenrechte.de
Beim Kauf der Unterrichtsmappe erhalten Sie
das Recht, einmalig Kopien für Ihre Klasse oder
Lerngruppe anzufertigen. Kopien zu anderen
Zwecken oder in anderer Menge sind nicht
gestattet.
Dieses Buch ist gedruckt auf
100% chlorfrei gebleichtem Papier.
IMPRESSUM
| 02
INHALT
05
06
08
Vorwort Waris Dirie
Vorwort TERRE DES FEMMES
Vorschläge für Unterrichtseinheiten
09
Kapitel I
10
11
12
13
14
15
17
18
19
20
21
22
23
24
1.1 Afrika - ein bunter Kontinent
1.1.1 Karte: Afrika und Europa
1.1.2 Was wisst Ihr über Afrika und Europa?
Afrika ist ein ganzer Kontinent mit ...
Europa ist im Vergleich dazu ...
1.1.3 Die vielen Gesichter Afrikas
1.2 Kinderalltag in Afrika
1.2.1 Wie lebt ein Mädchen in Westafrika?
1.2.2 Wie lebt ein Junge in Westafrika?
1.3. Erwachsenwerden
1.3.1 Fadumo Korn: Geboren im Großen Regen
1.4 Westliche Schönheitsideale
1.4.1 Der Preis der Schönheit
1.4.2 Auswirkungen westlicher Schönheitsideale
25
Kapitel II FGM: EINE MENSCHENRECHTSVERLETZUNG
26
27
28
29
31
32
33
34
36
37
2.1
2.1.1
2.1.2
2.1.3
2.1.4
2.1.5
2.1.6
2.1.7
2.1.8
2.1.9
40
41
42
43
44
45
2.2
2.3.
2.3.1
2.4
2.4.1
2.4.2
46
2.4.3
FGM: ALLTAG, IDEALE, HINTERGRÜNDE
Weibliche Genitalverstümmelung
Zahlen zu FGM
Verbreitungskarte
Formen weiblicher Genitalverstümmelung
Anatomische Abbildungen
Gesundheitliche Folgen
Begründungen für FGM
FGM in Deutschland
Zahlen zu FGM in Deutschland
Warum ist FGM eine Menschenrechtsverletzung?
Die Menschenrechte und ihre Geschichte
Häufig gestellte Fragen
Rollenspiel: Talkshow
Argumentationsleitfäden
Gewalt gegen Mädchen und Frauen
Meinungen zur Situation von Mädchen und Frauen
FGM als eine Form der Gewalt an Mädchen und Frauen
Zur Situation von Frauen in Deutschland
Frauenrechte und Frauenbewegung
INHALT
| 03
47
48
49
50
64
2.5
2.5.1
2.6
2.6.1
2.6.2
Warum Jungs für Frauenrechte?
Gemeinsam für Mädchen- und Frauenrechte
Was ist „normal“?
Comic: „Diariatou angesichts der Tradition“
Nura Abdi: Tränen im Sand
65
Kapitel III HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN
66
67
68
69
71
3.1
3.2
3.2.1
3.3
3.4
72
Kapitel IV INFORMATIONSMÖGLICHKEITEN
73
74
77
79
4.1
4.2
4.3
4.4
Film: Moolaadé
Projekte in afrikanischen Ländern
Burkina Faso - Bangr-Nooma – „Es gibt nichts Besseres als Wissen“
Was könnt IHR tun?
Aktionstage für Mädchen- und Frauenrechte
(6.Februar, 8.März, 25. November)
TDF-Publikationen zu FGM
Weitere Literatur
Filmtipps zu FGM
Wichtige Adressen für Information und Beratung
INHALT
| 04
VORWORT WARIS DIRIE
Liebe Schülerinnen und Schüler!
Mindestens 150 Millionen Mädchen und Frauen sind weltweit von der weiblichen Genitalverstümmelung betroffen. Wie viele von euch wissen, weiß ich sehr genau wovon ich spreche. Information und
Bildung sind unsere stärksten Waffen im Kampf gegen dieses frauenverachtende Ritual. Deshalb freue
ich mich sehr, dass ihr euch mit dem Thema FGM beschäftigt und uns aktiv im Kampf dagegen unterstützt.
Aufklärung kann nie heißen, mit dem Finger auf praktizierende Kulturen zu zeigen, sie soll Verständnis
und Solidarität mit den Betroffenen erzeugen. Natürlich nicht für die fundamentale Menschenrechtsverletzung der Genitalverstümmelung an sich, dafür soll und kann es keine Toleranz geben.
Die Rahmenbedingungen und Ideen, die hinter FGM stehen, sind aber keineswegs nur „dort unten“ in
Afrika zu finden. Wie ihr sehen werdet, gibt es auch hier in Europa sogenannte „Schönheitsideale“, die
sich gegen die Natur des weiblichen Körpers richten. Es geht hier aber auch nicht darum aufzurechnen,
was schlimmer oder ebenso schlimm ist, sondern darum, Verständnis zu erzeugen, dass wir alle das
Bedürfnis haben „normal“ zu sein und „dazu zu gehören“.
Für Kinder und Jugendliche, die aus einem anderen Kontinent nach Europa gekommen sind, ist es
besonders wichtig mit euch gemeinsam zu lernen und zu leben. Ich hoffe, dass die Auseinandersetzung
mit diesem Thema euch dabei hilft auch den Kindern und Jugendlichen, die euch vordergründig als
„fremd“ und „anders“ erscheinen, mit offenen Armen und ohne Vorurteile gegenüber zu treten.
Wenn es uns gelingt unsere Grenzen im Kopf zu überwinden, können wir alles erreichen!
Auch eine Welt, in der FGM nur mehr in den Geschichtsbüchern vorkommt.
Gemeinsam können wir vieles verändern!
Love,
Waris Dirie
VORWORT WARIS DIRIE
| 05
VORWORT TERRE DES FEMMES
Weltweit gibt es 150 Millionen Mädchen und Frauen, die an ihren Genitalien verstümmelt sind. Bei
dieser fundamentalen Menschenrechtsverletzung werden ihnen meist ohne Narkose und häufig unter
unhygienischen Bedingungen Teile der äußeren weiblichen Genitalien entfernt. Die Mädchen und
Frauen, die den Eingriff überleben, leiden oft ihr Leben lang unter den Folgen. Traditionellerweise ist
weibliche Genitalverstümmelung in 28 afrikanischen Ländern und im Süden der arabischen Halbinsel
verbreitet. Durch Migration ist die Praxis jedoch nicht mehr auf ihre Herkunftsländer beschränkt. Nach
Berechnungen von TERRE DES FEMMES leben in Deutschland mindestens 19.000 bereits betroffene
Frauen, 4.000-6.000 Mädchen sind gefährdet. Sie brauchen unsere besondere Unterstützung.
TERRE DES FEMMES setzt sich seit über 25 Jahren dafür ein, dass Mädchen und Frauen selbstbestimmt
und frei, in fairer Partnerschaft mit Männern auf dieser Erde leben können. Wir möchten erreichen,
dass die Öffentlichkeit in Deutschland weibliche Genitalverstümmelung als schwere Menschenrechtsverletzung an Mädchen und Frauen wahrnimmt und aktiv wird. Mit Spenden unterstützen wir drei
Projekte zur Überwindung von Genitalverstümmelung in afrikanischen Ländern, die von Frauen und
Männern vor Ort ins Leben gerufen wurden. In Burkina Faso, Kenia und Tansania konnten so Tausende
von Mädchen vor dem lebensgefährlichen Eingriff bewahrt und in ihren Rechten gestärkt werden. Es ist
uns ein besonderes Anliegen, die Situation betroffener Frauen und gefährdeter Mädchen auch in
Deutschland zu verbessern. TERRE DES FEMMES hat deshalb eine Aufklärungsbroschüre speziell für
Migrantinnen und Migranten entwickelt. Sie klärt über die negativen Folgen der Genitalverstümmelung
sowie die Rechtslage in Deutschland auf und ist in Deutsch, Englisch, Französisch, Arabisch, Kiswaheli
und Somali bei TERRE DES FEMMES erhältlich. Sie bietet eine gute Grundlage für Beratungsgespräche
für alle, die mit Betroffenen in Kontakt kommen. In der Aufklärung und Prävention kommt ÄrztInnen
und ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen und LehrerInnen eine Schlüsselrolle zu.
Mit dieser Unterrichtsmappe möchten wir Lehrerinnen und Lehrer dazu ermutigen, das Thema
der weiblichen Genitalverstümmelung im Unterricht aufzugreifen. Ziel ist es, Jugendliche über diese
Menschenrechtsverletzung an Mädchen und Frauen zu informieren, sie zu sensibilisieren und zum
Engagement zu motivieren.
Zu einem bewussten Umgang mit dem Thema gehört auch die Frage nach den verwendeten Bezeichnungen. Bei weiblicher Genitalverstümmelung handelt es sich um eine schwere Menschenrechtsverletzung und um einen wesentlich gravierenderen Eingriff als bei der männlichen Vorhautbeschneidung.
Daher hat sich international die Bezeichnung „Female Genital Mutilation“, kurz FGM, auf Deutsch
„Weibliche Genitalverstümmelung“ durchgesetzt. Im direkten Kontakt mit Betroffenen ist es jedoch
angemessen, den Ausdruck „Beschneidung“ zu verwenden. Viele Mädchen und Frauen sehen sich nicht
als „verstümmelt“, insbesondere weil in den Verbreitungsländern FGM traditionellerweise positiv
besetzt ist.
Sind in Ihrer Klasse oder Schule Mädchen oder Jungen aus einem Land, in dem Genitalverstümmelung
verbreitet ist, erfordert dies besondere Sensibilität, damit die Jugendlichen nicht zusätzlich diskriminiert
werden. Sprechen Sie daher mit der Schülerin oder dem Schüler darüber, wie es für sie oder ihn ist,
wenn das Thema im Unterricht behandelt wird, und nehmen Sie Kontakt mit den Eltern auf. Beziehen
Sie – wenn möglich – das Mädchen oder den Jungen und die Eltern in die Vorbereitung des Unterrichts
ein. So erfahren Sie vielleicht, ob das Mädchen oder die Schwestern des Jungen bereits betroffen sind
oder nicht, denn es sind nicht unbedingt alle Mädchen aus einem Verbreitungsland beschnitten. Der
VORWORT TERRE DES FEMMES
| 06
Kontakt zu den Eltern ist wichtig, um ihre Einstellung zum Thema zu erfahren und darauf hinzuwirken,
dass sie von einer eventuell geplanten Genitalverstümmelung Abstand nehmen. Wird das Thema sensibel behandelt, kann dies das Mädchen in dem Gefühl stärken, mit der Problematik nicht allein gelassen
zu werden. Unter „Informationsmöglichkeiten“ finden Sie Anlaufstellen für Betroffene.
Die Unterrichtsmappe möchte Verständnis für afrikanische Kontexte fördern, gleichzeitig aber deutlich
machen, dass Genitalverstümmelung eine nicht tolerierbare Verletzung der Rechte von Mädchen und
Frauen darstellt.
Die Unterrichtsmappe
Das erste Kapitel widmet sich dem Alltag und den Idealen in den Verbreitungsländern von FGM. Die
Schülerinnen und Schüler sollen erkennen, dass europäische Gesellschaften afrikanischen nicht überlegen sind und dass es auch in Europa (Schönheits-)Ideale gibt, die die Gesundheit und das Leben, insbesondere von Mädchen, gefährden.
Das zweite Kapitel gibt grundlegende Informationen über FGM und zeigt auf, dass sie eine schwere
Menschenrechtsverletzung ist.
Im dritten Kapitel werden den Schülerinnen und Schülern verschiedene Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, sich für die Beendigung weiblicher Genitalverstümmelung einzusetzen.
Die „Informationsmöglichkeiten“ im vierten Kapitel weisen auf Beratungsstellen, Organisationen und
Medien hin, die weitere Informationen zur Thematik geben können.
Zeichenerklärung
Jeder Text ist mit einem Buchstaben versehen, der die Art des Textes kennzeichnet:
G
L
HMS
HOS
K
Grundlagen
Anregungen für Lehrerinnen und Lehrer zur Gestaltung einer Unterrichtseinheit
Hintergrundtext für die Mittelstufe (zum Kopieren für alle)
Hintergrundtext für die Oberstufe (zum Kopieren für alle)
Kopiervorlage (z.B. auf Folie)
Die folgende Tabelle soll eine Orientierung geben, welche Unterrichtseinheiten sich bevorzugt in
welche Unterrichtsfächer integrieren lassen. Für die Behandlung des Themas im Deutschunterricht sind
die Bücher von Waris Dirie „Wüstenblume“, „Nomadentochter“ und „Schmerzenskinder“ sehr zu
empfehlen. Die englischen Ausgaben „Desert Flower“, „Desert Dawn“ und „Desert Children“ eignen
sich als wichtige Texte zum Thema für den Englischunterricht.
Es ist zu empfehlen, in jedem Fall die Grundlagentexte zu berücksichtigen. Als Einstieg in das Thema
kann eine Unterrichtseinheit aus dem ersten Kapitel gewählt werden.
Bei diesem sensiblen Thema bietet es sich an, eine externe Referentin, z.B. von TERRE DES FEMMES,
einzuladen oder mit einer Kollegin/einem Kollegen die Klasse (evtl. sogar die Schule) zu tauschen, um
eine unbefangenere Unterrichtsatmosphäre zu ermöglichen.
VORWORT TERRE DES FEMMES
| 07
VORSCHLÄGE FÜR UNTERRICHTSEINHEITEN
GRUNDLAGEN
(3-4 h)
DEUTSCH
(9-12 h)
ERDKUNDE
(6-8 h)
GESCHICHTE
(5-6 h)
POLITIK/SOZIALKUNDE
(10-14 h)
RELIGION/ETHIK
(9-12 h)
2.1
2.2
2.5
3.3
3.4
Weibliche Genitalverstümmelung
Häufig gestellte Fragen
Warum Jungs für Frauenrechte?
Was könnt IHR tun?
Aktionstage für Mädchen- und Frauenrechte
2h
1-2 h
1.2
1.3
2.3
2.4
2.6
3.1
3.2
Kinderalltag in Afrika
Erwachsenwerden
Rollenspiel: Talkshow
Gewalt gegen Mädchen und Frauen
Was ist „normal“?
Film: Moolaadé
Projekte in afrikanischen Ländern
1h
1h
1-2 h
1h
1-2 h
3h
1-2 h
1.1
2.6
3.1
3.2
Afrika – ein bunter Kontinent
Was ist „normal“?
Film: Moolaadé
Projekte in afrikanischen Ländern
1h
1-2 h
3h
1-2 h
1.1
1.3
1.4
2.4
2.5
Afrika – ein bunter Kontinent
Erwachsenwerden
Westliche Schönheitsideale
Gewalt gegen Mädchen und Frauen
Warum Jungs für Frauenrechte?
1h
1h
1h
1h
1-2 h
1.1
1.3
1.4
2.3
2.5
2.6
3.1
3.2
Afrika – ein bunter Kontinent
Erwachsenwerden
Westliche Schönheitsideale
Rollenspiel: Talkshow
Warum Jungs für Frauenrechte?“
Was ist „normal“?
Film: Moolaadé
Projekte in afrikanischen Ländern
1h
1h
1h
1-2 h
1-2 h
1-2 h
3h
1-2 h
1.3
1.4
2.3
2.4
2.5
2.6
3.1
Erwachsenwerden
Westliche Schönheitsideale
Rollenspiel: Talkshow
Gewalt gegen Mädchen und Frauen
Warum Jungs für Frauenrechte?
Was ist „normal“?
Film: Moolaadé
1h
1h
1-2 h
1h
1-2 h
1-2 h
3h
VORSCHLÄGE FÜR UNTERRICHTSEINHEITEN
| 08
2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG
G|L
Weibliche Genitalverstümmelung ist eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, von der weltweit
etwa 150 Millionen Mädchen und Frauen betroffen sind. Täglich kommen 8.000 Mädchen und Frauen
hinzu. Die Betroffenen leiden oft lebenslang unter den negativen physischen und psychischen Folgen.
Trotz Gesetzen und internationalen Konventionen wird Genitalverstümmelung weiter praktiziert, da sie
eng mit traditionellen Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit verknüpft ist.
Im Zusammenhang mit dem Thema weibliche Genitalverstümmelung taucht immer wieder die Frage
nach Fotos oder Bildern einer beschnittenen Vagina auf. Oft soll mit Bildern die Grausamkeit der Praxis
belegt und die Umwelt schockiert werden. Es hat sich allerdings gezeigt, dass Fotos oder Bilder eines
verstümmelten Genitals die Gefahr bergen, dass Betroffene vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer
Geschlechtsorgane wahrgenommen werden. Aus Respekt vor den Betroffenen sind in der Unterrichtsmappe keine Bilder beschnittener Geschlechtsorgane abgedruckt. Mit der Darstellung intakter weiblicher und männlicher Geschlechtsorgane sollen sich Jugendliche beider Geschlechter sowohl mit der
weiblichen Genitalverstümmelung als auch der männlichen Beschneidung und ihren jeweiligen Formen
und Folgen auseinandersetzen.
Themen
Ziele
Gruppengröße
Zeit
Vorbereitung
Weibliche Genitalverstümmelung (Zahlen, Verbreitung, Formen, anatomische
Abbildungen, gesundheitliche Folgen, Begründungen), FGM in Deutschland,
FGM als Menschenrechtsverletzung
Die Schülerinnen und Schüler sollen sich im Folgenden Hintergrundwissen über
FGM aneignen und sich damit beschäftigen, warum die Praxis eine fundamentale
Menschenrechtsverletzung an Mädchen und Frauen darstellt.
zunächst Kleingruppen, u.U. Mädchen und Jungen getrennt, dann ganze Klasse
2 Unterrichtsstunden
Kopieren Sie die Kopiervorlagen (2.1.1, 2.1.2, 2.1.4, 2.1.8) und die Hintergrundtexte (2.1.3, 2.1.5, 2.1.6, 2.1.7, 2.1.9) für jede Schülerin und jeden Schüler.
Teilen Sie die jeweiligen Texte zunächst nur an die „Expertengruppen“ aus.
Vorschläge zur Umsetzung:
Bilden Sie „Stamm-“ und „Expertengruppen“. Teilen Sie die Klasse auf, indem Sie die Schülerinnen und
Schüler von eins bis fünf durchzählen lassen. Immer fünf Schülerinnen und Schüler von „Eins“ bis „Fünf“
sind eine „Stammgruppe“. Gleichzeitig sind alle Schülerinnen und Schüler Teil einer „Expertengruppe“.
Diese kommt folgendermaßen zustande: Alle „Einser“ aus den „Stammgruppen“ gehen in eine „Expertengruppe“, alle „Zweier“ in eine weitere usw. Jede „Expertengruppe“ bearbeitet ein Thema der Grundlagentexte (1. Gruppe: 2.1.1 - 2.1.4, 2. Gruppe: 2.1.5, 3. Gruppe: 2.1.6, 4. Gruppe: 2.1.7 – 2.1.8, 5. Gruppe:
2.1.9) und hält die wichtigsten Informationen und Ergebnisse der Gruppendiskussion in Stichpunkten
fest. Anschließend gehen die Schülerinnen und Schüler in „ihre“ „Stammgruppe“ zurück. Als Expertin
oder Experte für das zuvor erarbeitete Thema soll die Schülerin/der Schüler es den anderen nahe bringen. Anschließend werden die Kopien aller Texte verteilt, so dass jede Schülerin und jeder Schüler alle
Grundlagentexte hat.
Oder: Teilen Sie die Klasse so auf, dass in einer Expertengruppe nur Mädchen oder nur Jungen sind.
Oder: Die in den Grundlagentexten enthaltenen Informationen können auch von einer externen
Referentin, z.B. von TERRE DES FEMMES vorgestellt werden.
In jedem Fall sollte anschließend Raum für Fragen und eine gemeinsame Diskussion sein. Antworten
auf häufig gestellte Fragen zum Thema finden Sie in Punkt 2.2.
2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG
| 26
2.1.1 ZAHLEN ZU FGM
Von FGM betroffenes Land
Ägypten
Äthiopien
Benin
Burkina Faso
Dschibuti
Elfenbeinküste
Eritrea
Gambia
Ghana
Guinea
Guinea Bissau
Jemen
Kamerun
Kenia
Kongo Dem. Rep.
Liberia
Mali
Mauretanien
Niger
Nigeria
Senegal
Sierra Leone
Somalia
Sudan
Tansania
Togo
Tschad
Uganda
Zentralafrik. Republik
Summe:
G|K
Prozentzahl der von
FGM Betroffenen1
(UNICEF 2005)
97%
80%
17%
72%
98%
45%
89%
89%
5%
99%
50%
23%
20%
38%
5%
60%
92%
71%
5%
19%
20%
90%
98%
90%
18%
50%
45%
5%
36%
FGM in Zahlen2
(gerundet)
35806.000
31134.000
712.000
4736.000
389.000
4016.000
1994.000
681.000
546.000
4538.000
402.000
2075.000
1887.000
6499.000
1450.000
987.000
6239.000
1101.000
341.000
12344.000
1185.000
2521.000
4064.000
16198.000
3100.000
1555.000
2216.000
720.000
745.000
150.181.000
Die hiermit errechnete Gesamtzahl von über 150 Millionen betroffenen Mädchen und Frauen allein in
afrikanischen Staaten entspricht den Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO, die von insgesamt bis zu 170 Millionen Betroffenen weltweit ausgeht.
1
2
Vgl. Zur Situation der Kinder in der Welt 2005, herausgegeben von Unicef, Fischer Taschenbuch Verlag 2005, Tabelle 9, S. 238-243.
Als Grundlage für die weibliche Bevölkerung des jeweiligen Landes in absoluten Zahlen diente: World Population Prospects. The 2004 Revision,
United Nations (Ed.), 2005.
2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG
| 27
2.1.2 VERBREITUNGSKARTE
G|K
Tunesien
ASIEN
Marokko
Algerien
Libyen
Ägypten
West-Sahara
SaudiArabien
Kap
Verde
Mauretanien
Oman
Niger
Mali
1
2
3
18
Burkina
Faso
Guinea
8
Elfen4
7
bein- 6
5 küste
Sudan
Tschad
9
Jemen
10
Nigeria
Príncipe
S ão Tomé
Äthiopien
Zentralafrikan.
Kamerun Republik
14
11
Kongo
Gabun
Somalia
Kenia
12
DR Kongo 13
Tansania
Seychellen
AFRIKA
Komoren
Angola
15
Sambia
St. Helena
Simbabwe
Namibia
Mosambik
Madagaskar
Botswana
Mauritius
Réunion
16
Südafrika
17
EXZISION
Karte: © Regina Maultzsch
INFIBULATION
1
2
3
4
5
6
Senegal
Gambia
Guinea-Bissau
Sierra Leone
Liberia
Ghana
7
8
9
10
11
12
Togo
Benin
Eritrea
Djibouti
Uganda
Ruanda
13
14
15
16
17
18
Burundi
Äquatorialguinea
Malawi
Swasiland
Lesotho
Verein. Arab. Emirate
2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG
| 28
2.1.3 FORMEN
WEIBLICHER GENITALVERSTÜMMELUNG
G|HMS|HOS
Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert weibliche Genitalverstümmelung als „alle Verfahren, die die teilweise oder vollständige Entfernung der weiblichen äußeren Genitalien oder deren
Verletzung zum Ziel haben, sei es aus kulturellen oder anderen, nichttherapeutischen Gründen.“
MenschenrechtsaktivistInnen und -aktivisten bezeichnen diese Praktik nicht als „Beschneidung“ sondern
als weibliche Genitalverstümmelung (= FGM: Female Genital Mutilation). Dieser Begriff hat
sich inzwischen international durchgesetzt. Damit soll deutlich werden, dass FGM wesentlich schwer
wiegendere Folgen hat als die Vorhautbeschneidung bei Jungen.
Im direkten Gespräch mit Betroffenen ist es jedoch angemessener, den Begriff „Beschneidung“ zu verwenden, da sich viele Mädchen und Frauen nicht als verstümmelt wahrnehmen und nicht so bezeichnet
werden möchten. FGM wird traditionellerweise von Beschneiderinnen mit Messern, Rasierklingen oder
anderen scharfen Gegenständen vorgenommen. Es lassen sich folgende Formen von FGM unterscheiden:
„Milde Sunna“
Die Sunna steht im Islam für das, was der Religionsstifter Mohammed gesagt, geduldet oder bewusst
nicht getan haben soll. Deshalb haben auch viele MuslimInnen, die sich gegen FGM aussprechen, ein
besonderes Problem mit dieser Bezeichnung und bemühen sich, dieses Wort nicht im Zusammenhang
mit FGM zu verwenden. Diese Form von FGM bedeutet, dass die Vorhaut der Klitoris eingestochen,
geritzt oder entfernt wird.
Klitoridektomie oder abgewandelte Sunna
Hier wird die Klitoris der Frau oder des Mädchens teilweise oder ganz entfernt.
Die Exzision
Bei der Exzision werden zusätzlich zur Klitoris die inneren Schamlippen teilweise oder ganz abgetrennt.
Diese Form von FGM ist neben der Klitoridektomie eine der häufigsten. 80% der Mädchen und Frauen
sind von einer der beiden Formen betroffen.
Die Infibulation oder pharaonische Beschneidung
Bei der Infibulation, die auch als pharaonische Beschneidung bekannt ist, werden neben der Klitoris die
inneren und zum Teil äußeren Schamlippen entfernt. Anschließend werden die Innenseiten der Vulva
zusammengenäht. Um das Wasserlassen und die Menstruation zu gewährleisten, wird ein kleines Stück
Holz eingenäht, damit eine Öffnung bleibt. In der Regel werden den Mädchen nach dem Eingriff die
Beine zusammengebunden, bis die Wunde verheilt ist, was meist mehrere Wochen dauert. Etwa 15 %
aller Betroffenen weltweit sind infibuliert.
2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG
| 29
Die Defibulation
Wurden Frauen wie eben beschrieben infibuliert, so ist es ihnen meist nicht möglich, Geschlechtsverkehr zu haben oder ein Kind zu gebären. Aus diesem Grund wird die Defibulation durchgeführt,
was bedeutet, dass die zugenähte Vagina wieder geöffnet wird.
Die Reinfibulation
Eine Reinfibulation bedeutet, dass die Defibulation (also die Öffnung der Vagina) nach einer Geburt
wieder rückgängig gemacht wird. Dabei werden die verbleibenden Narbenränder entfernt und das übrige Gewebe wird erneut zugenäht. Nach mehreren Entbindungen ist unter Umständen jedoch kein
Gewebe mehr vorhanden, um die Vagina erneut zuzunähen.
Bei der männlichen Beschneidung wird die Vorhaut vollständig oder teilweise entfernt. Dies kann
Reizzustände des Harnröhrenendes und der Eichel zur Folge haben. Männliche Beschneidung ist im
Judentum und im Islam aus religiösen Gründen verpflichtend und wird meist kurz nach der Geburt
oder im Kindesalter durchgeführt. In Europa und den USA galt sie im 18. Jahrhundert als „Heilung“
gegen Selbstbefriedigung.
Heute wird sie aus nicht religiösen Gründen fast ausschließlich in den USA praktiziert. Gegenwärtig
liegt der Anteil der – auch heute noch überwiegend ohne Betäubung durchgeführten – Beschneidungen an männlichen Neugeborenen in den USA bei ca. 55 %. Untersuchungen haben das Argument
verbesserter Genitalhygiene nicht bestätigt.
Zum Weiterlesen:
Petra Schnüll, Weibliche Genitalverstümmelung in Afrika, in: Schnitt in die Seele. Weibliche Genitalverstümmelung – eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, herausgegeben von TERRE DES FEMMES, Mabuse-Verlag 2003, S. 23-64.
Tim Hammond, Der Zusammenhang zwischen weiblicher und männlicher Genitalverstümmelung, in: in: Schnitt in die Seele.
Weibliche Genitalverstümmelung – eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, herausgegeben von TERRE DES FEMMES,
Mabuse-Verlag 2003, S. 269-295.
2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG
| 30
2.1.5 GESUNDHEITLICHE FOLGEN
G|HMS|HOS
Weibliche Genitalverstümmelung stellt einen Eingriff dar, der nicht wieder rückgängig zu machen ist. Er
hat zahlreiche kurz- und langfristige Folgen für die körperliche, seelische und sexuelle Gesundheit der betroffenen Mädchen und Frauen. Hinzu kommt, dass FGM in der Regel von Beschneiderinnen durchgeführt wird, die kaum medizinische Kenntnisse über den menschlichen Körper
haben und nicht über sterile Instrumente verfügen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht sich
dagegen aus, dass Genitalverstümmelungen von ÄrztInnen vorgenommen werden. Nach Schätzungen
der WHO sterben 10 % der Betroffenen an den akuten und 25 % an den langfristigen Folgen von FGM.
Da Genitalverstümmelungen meist ohne Narkose durchgeführt werden, leiden die Betroffenen währenddessen unter enormen Schmerzen. Direkte Folgen sind oft schwere Blutungen und Schockzustände.
Da FGM häufig unter unhygienischen Bedingungen stattfindet, kann es zu Blutvergiftung und Wundstarrkrampf kommen. Wenn mehrere Mädchen mit dem gleichen Werkzeug beschnitten werden, besteht die
Gefahr, dass HIV übertragen wird.
Aus Angst vor den Schmerzen beim Wasserlassen kann es vorkommen, dass die Mädchen den Urin
zurückhalten und zu wenig trinken. Zusammen mit Verletzungen der Harnröhre ist dies ein Grund für
dauerhafte Infektionen im Harnbereich und Unterleib. Bei infibulierten Frauen staut sich meist die
Monatsblutung, was langfristig zu Unfruchtbarkeit führen kann. Dies ist in vielen Teilen Afrikas für den
Mann ein Scheidungsgrund, weil Kinderreichtum ein wichtiges Ideal ist. Somit haben die negativen
Folgen von FGM großen Einfluss auf das soziale Leben von Frauen.
Außerdem kann es an der Narbe zu Eiterungen (Abszessen), Zysten und Narbenwucherungen (Keloiden) kommen. Diese können das Wasserlassen, den Geschlechtsverkehr und den Geburtsverlauf
erschweren. Da das Narbengewebe der Vagina weniger elastisch ist, besteht die Gefahr eines Geburtsstillstandes, wodurch das Kind nicht mit ausreichend Sauerstoff versorgt wird und sterben kann.
Dadurch steigt auch die Müttersterblichkeit unter betroffenen Frauen. Bei einem Geburtsstillstand
kann es passieren, dass der kindliche Körper auf weibliche Organe drückt, die Blutversorgung unterbricht und Gewebe im Unterleib der Frau abstirbt. Dies kann zur Bildung von Fisteln - das sind häutig
ausgekleidete Verbindungen zwischen Blase, Scheide und Mastdarm - führen. Die betroffenen Frauen
können den Abgang von Urin und Stuhl nicht mehr kontrollieren. Inkontinenz bedeutet für die betroffenen Frauen soziale Ausgrenzung.
Obwohl mit dem Entfernen der Klitoris das sexuelle Empfinden eindeutig eingeschränkt ist, sind die
Folgen für die Sexualität für die einzelnen Frauen sehr unterschiedlich. Es gibt Frauen, die beim
Geschlechtsverkehr Schmerzen haben und an die Genitalverstümmelung erinnert werden und daher
keine Lust empfinden. Es gibt aber auch betroffene Frauen, die mit ihrem Sexualleben zufrieden sind,
denn sexuelle Erfüllung hängt von vielen Faktoren ab.
Für die meisten Frauen bedeutet FGM eine seelische Verletzung. Vermehrt erleben sie psychische
Nachwirkungen, wie zum Beispiel Depressionen, Schlaf- und Essstörungen. LehrerInnen berichten, dass
die betroffenen Mädchen häufig durch einen unerklärlichen Leistungsabfall, Konzentrationsstörungen
und ein geringes Interesse am Lernen auffallen. Sie versäumen den Unterricht und brechen daher – für
Außenstehende häufig unerklärlich - die Schule vorzeitig ab. So erleiden die Mädchen aufgrund körperlicher und seelischer Folgen von FGM auch soziale Einschränkungen. Dies erschwert es den jungen
Frauen, ein selbstständiges Leben aufzubauen.
Zum Weiterlesen: Christina Bauer und Marion Hulverscheidt, Gesundheitliche Folgen der weiblichen Genitalverstümmelung,
in: Schnitt in die Seele. Weibliche Genitalverstümmelung – eine fundamentale Menschenrechtsverletzung, herausgegeben von
TERRE DES FEMMES, Mabuse-Verlag 2003, S. 65-81.
2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG
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2.1.6 BEGRÜNDUNGEN FÜR FGM
G|HMS|HOS
Es gibt verschiedene traditionelle Begründungen dafür, warum weibliche Genitalverstümmelung durchgeführt wird. Diese unterscheiden sich von Ethnie zu Ethnie und Land zu Land. Die wichtigsten Begründungen sind:
Genitalverstümmelung stellt eine Tradition dar. Wer sie missachtet wird von der Gesellschaft ausgegrenzt. Dies bedeutet, dass Nichtbeschnittene weder soziale Anerkennung noch Respekt bekommen.
Da Genitalverstümmelung als Voraussetzung für eine Heirat gilt, bringen Mütter ihre Töchter zur
Beschneiderin. Eine Hochzeit bedeutet sowohl für das Mädchen als auch für die Familie die zukünftige
gesellschaftliche und wirtschaftliche Absicherung; ohne diese kann ein Mädchen oder eine Frau häufig
nicht selbstständig leben. Der Brautpreis, den die Familie der Braut bei der Heirat der Tochter erhält,
ist in vielen Ethnien umso höher, je stärker das Mädchen genitalverstümmelt wurde.
In manchen afrikanischen Gesellschaften wird die Zeit, in der sich der Übergang vom Kind zum Erwachsenen vollzieht, mit Ritualen und Festen begangen. In einer Art „Buschschule“ werden die Mädchen von
den älteren Frauen unterrichtet. Die Genitalverstümmelung ist die Initiation [lat.: initiare = beginnen,
einweihen; Einführung einer Person in eine bestimmte Gruppe durch Riten und Feierlichkeiten]
zum Erwachsenwerden, welche oft mit einem großen Fest, an dem alle Gemeindemitglieder beteiligt
sind, abgeschlossen wird.
Von Frauen wird in vielen afrikanischen Gesellschaften die Rolle als Ehefrau und Mutter erwartet.
Dazu gehört unter anderem auch ein eingeschränktes Sexualverhalten. Durch FGM soll garantiert werden, dass die Frau bis zur Ehe ihre Jungfräulichkeit bewahrt. Anschließend soll ihre eheliche Treue gewährleistet werden, indem durch die Verstümmelung ihr sexuelles Interesse eingeschränkt ist. Dies bedeutet, dass mit der Genitalverstümmelung die Sexualität von Frauen kontrolliert werden soll.
Zudem werden die äußeren weiblichen Genitalien als schmutzig und hässlich angesehen. Sie entsprechen
nicht dem Schönheitsideal vieler afrikanischer Gesellschaften. Was ein Schönheitsideal ausmacht, ist
weltweit unterschiedlich und liegt immer im Auge der Betrachterinnen und Betrachter. Überall gibt es
Ideale, denen Frauen und Männer nacheifern. Man denke nur an die zahlreichen Schönheitsoperationen,
die tagtäglich weltweit v.a. Frauen vornehmen lassen, um geltenden Schönheitsidealen gerecht zu werden.
In den Gesellschaften, in denen FGM praktiziert wird, geht man oftmals davon aus, dass die Genitalverstümmelung die Fruchtbarkeit der Frauen erhöht und die Schwangerschaft sowie Geburt erleichtert.
Dies beruht jedoch auf biologischer und medizinischer Unkenntnis, denn FGM kann sich sehr negativ
auf die Gesundheit der Mädchen und Frauen auswirken und schwere Folgen für Schwangerschaft und
Geburt haben (vgl. „Gesundheitliche Folgen“).
In vielen Gebieten wird FGM als Gebot der Religion angesehen. Dass FGM nicht mit der Religionszugehörigkeit zusammenhängt, zeigt sich daran, dass Genitalverstümmelungen sowohl bei ChristInnen,
MuslimInnen und AnhängerInnen traditioneller Religionen verbreitet ist. Unter FGM praktizierenden
MuslimInnen gibt es die Vorstellung, dass der Islam FGM verlangt. Doch weder im Koran noch in der
Bibel findet die weibliche Genitalverstümmelung Erwähnung. Befürworterinnen und Befürworter von
FGM im Islam berufen sich vielmehr auf ein sogenanntes Hadith (arabisch: Rede, Bericht), welches neben
dem Koran eine Gesetzesquelle darstellt. Hadithe sind Aussprüche des Propheten Mohammed, welche
allerdings unterschiedlich interpretiert werden können. Es gibt zahlreiche Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, in denen Genitalverstümmelung nicht verbreitet ist, wie z.B. Iran und Afghanistan.
Zum Weiterlesen: Petra Schnüll, Weibliche Genitalverstümmelung in Afrika, in:
Schnitt in die Seele. Weibliche Genitalverstümmelung – eine fundamentale Menschenrechtsverletzung,
herausgegeben von TERRE DES FEMMES, Mabuse-Verlag 2003, S. 23-64.
2.1 WEIBLICHE GENITALVERSTÜMMELUNG
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