Katzenjammer« zwischen Nachbarn

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Katzenjammer« zwischen Nachbarn
SchiedsamtsZeitung
Online-Archiv
34. Jahrgang 1963, Heft 04
Seite 57a-59
Organ des BDS
Bund Deutscher Schiedsmänner und
Schiedsfrauen e.V. -BDSPostfach 100452 ‹ 44704 Bochum
www.schiedsamt.de ‹ [email protected]
AUS DER RECHTSPRECHUNG
Das Verhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und seinem
Mandanten bewegt sich grundsätzlich nicht im Bereich einer
sogenannten Intimsphäre, innerhalb deren strafbare Beleidigungen
eines Dritten mangels Kundgebungswillens nicht angenommen
werden können.
OLG Stuttgart, Urt. v. 2. 2. 1962 — 1 Ss 893/61 —
Aus den Gründen:
Der Angeklagte wurde in einer Verhandlung vor dem AG wegen einer Übertretung zu Strafe verurteilt. Im Flur vor dem Sitzungssaal äußerte er im Anschluss
an die Urteilsverkündung zu seinem Verteidiger über AGRat P., der das Urteil
gefällt hatte: „Dieser dämliche Richter" und kurz darauf über den Vertreter der
StA, Gerichtsreferendar K.: „Dieser Lümmel, dieser 20jährige Staatsanwalt." Das
AG hat ihn deshalb wegen Beleidigung in zwei Fällen zu je 100.— DM Geldstrafe
verurteilt und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von je
einem Tag Haft für je 10.— DM der Geldstrafe festgesetzt. Mit seiner Revision rügt
der Angeklagte auch die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel erweist
sich als unbegründet.
Mit Recht hat das AG den Beschwerdeführer der Beleidigung nach § 185 StGB
für schuldig befunden. Beleidigung ist die Bekundung der Missachtung oder Nichtachtung, die nach außen an einen anderen gerichtet, also zur Kenntnisnahme durch
den Beleidigten oder durch einen Dritten bestimmt ist. Angriffsobjekt ist die Ehre, d.
h. der Anspruch auf Achtung, der letztlich jedermann zukommt. Die Äußerungen des
Angeklagten über AGRat P. und Gerichtsreferendar K. verletzten diesen Anspruch der Betroffenen. Sie waren auch an einen anderen gerichtet. Die Revision
meint allerdings, die Beziehungen zwischen dem RA und seinem Klienten bewegten
sich im Bereich einer sog. Intimsphäre, innerhalb deren strafbare Beleidigungen
eines Dritten nicht angenommen werden könnten. Auch das AG hat diese Frage
angeschnitten; es hat jedoch eine solche Sphäre für den vorliegenden Sachverhalt
zu Recht für nicht gegeben erachtet. Es kann dahinstehen, ob herabsetzende
Äußerungen über Dritte, wenn und weil sie im engsten Kreise geschehen, strafbare
Beleidigungen sind oder nicht. Denn auch wenn man grundsätzlich die
Möglichkeit anerkennt, sie unter bestimmten Voraussetzungen von der
Strafdrohung der §§ 185 ff. StGB auszunehmen, kann das Verhältnis zwischen
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Nachdrucke, auch auszugsweise, sowie fototemechanische Vervielfältigungen, auch von Teilen eines Heftes, gleichgültig in welcher Anzahl,
auch für innerbetrieblichen Gebrauch, sind nicht gestattet. Die vorbehaltenen Urheber- und Verlagsrechte erstrecken sich auch auf die
veröffentlichten Gerichtsentscheidungen und ihre Leitsätze; sie sind vom Einsender oder von der Schriftleitung bearbeitet oder redigiert. Der
Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung der ausdrücklichen Einwilligung
des Carl Heymanns Verlages.
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dem RA und seinem Klienten eine solche Ausnahme nicht allgemein
rechtfertigen. Auch diejenigen, welche bestimmte Intimsphären bejahen, halten
eine strenge Beschränkung auf die Familie (Kohler, GoltdA 47 (1900), 20), den
engsten Familienkreis (Niethammer, Lehrb. des besonderen Teils des Strafrechts
S. 195), Ehegatten, Eltern und ältere Kinder sowie Geschwister (Mezger JW 37,
2332; Leppin JW 37, 2887) für angezeigt. Engisch (GA 57, 331) und Leppin
(aaO) sind darüber hinaus der Meinung, dass eine enge Freundschaft familiären
Beziehungen gleichgesetzt werden dürfe. Auch die Rechtsprechung hat, soweit
ersichtlich, den Bereich nicht weiter ausgedehnt (BayObLG, MDR 56, 182; OLG
Oldenburg, GA 54, 284). Stets wird dabei auf die Vertraulichkeit des Kreises
abgestellt. Fehlt sie, weil beispielsweise die Ehegatten in Zwietracht leben oder etwa
die mithörenden Kinder noch jung sind, so dass dem Beleidiger nicht die Gewähr
gegeben ist, seine Äußerung werde nicht an Personen außerhalb des
Familienkreises gelangen, oder ist sie etwa deshalb nicht gegeben, weil das
Gespräch unter Umständen stattfindet, die einem Außenstehenden ermöglichen, es
mitzuhören oder zu belauschen, und nimmt der Äußernde dies billigend in Kauf, so
sind die Grenzen des engsten Kreises bereits überschritten (vgl. die erwähnten
Entscheidungen). Daraus kann aber nicht geschlossen werden, es komme allein
auf die Vertraulichkeit an, und sie bestimme, was engster Kreis sei. Wollte man dies
annehmen, so könnten sogar schlicht vertrauliche Gespräche auch zwischen
Personen, die zueinander keine engeren Beziehungen haben, zur Straflosigkeit
dabei geäußerter Beleidigungen Dritter führen. Das hieße die Strafbestimmungen
über die Beleidigung aushöhlen (vgl. auch BGH bei Dallinger MDR 54, 335). Eine
solche Auffassung würde auch nicht mit dem anerkannten Merkmal „engster
Kreis" zu vereinbaren sein. Zur schutzwürdigen Intimsphäre — ihre grundsätzliche
Anerkennung einmal unterstellt — gehört mehr. Sie setzt auf jeden Fall voraus, dass
zwischen den Gesprächspartnern eine tiefe innere, also insbesondere seelische,
Verbundenheit besteht, wie sie in der Regel nur zwischen Familienangehörigen
gegeben ist. Die Familie ist der naturgegebene, den ganzen Lebensbereich
ihrer Glieder in allen Beziehungen umfassende Hort. Für sie trifft die Erwägung
Leppins zu (aaO), dass der Mensch einen Kreis brauche, in dem er sich restlos
aussprechen könne, einen Menschen, demgegenüber er kein Blatt vor den Mund
zu nehmen nötig habe, wenn er sich gelegentlich seinen Unmut von der Seele
reden zu müssen glaubt. Für ihren Bereich mag deshalb ein Bedürfnis bestehen,
beleidigende Äußerungen über Dritte von dem Rechtsgebot der §§ 185 ff. StGB
auszunehmen, damit sich der einzelne äußern kann, ohne jedes Wort auf die
Goldwaage legen zu müssen, und damit die Naivität und Ursprünglichkeit des
häuslichen Lebens nicht beeinträchtigt wird (Kohler aaO). Gleiches mag vielleicht
noch für sehr enge Freundschaften gelten. Wo aber diese inneren Bindungen
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auch für innerbetrieblichen Gebrauch, sind nicht gestattet. Die vorbehaltenen Urheber- und Verlagsrechte erstrecken sich auch auf die
veröffentlichten Gerichtsentscheidungen und ihre Leitsätze; sie sind vom Einsender oder von der Schriftleitung bearbeitet oder redigiert. Der
Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung der ausdrücklichen Einwilligung
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fehlen, da besteht dieses Bedürfnis nicht, mag die Äußerung auch als vertraulich
bezeichnet und die Erwartung, sie werde als solche behandelt werden, noch so
gerechtfertigt oder gar durch die Strafbestimmung des § 300 StGB geschützt sein.
Das Verhältnis zwischen dem RA und seinem Mandanten kann deshalb grundsätzlich nicht dem engsten Kreis zugerechnet werden. Es kann dabei dahingestellt
bleiben, ob in besonderen Fällen — etwa bei einer Aussprache zwischen Klient und
Anwalt in einer den Klienten seelisch besonders erschütternden Rechtssache —
Ausnahmen gelten können. Denn so lagen die Dinge hier nicht. Es kommt daher im
vorliegenden Falle nicht darauf an, ob der Angeklagte die Möglichkeit, seine Äußerungen könnten von Außenstehenden vernommen werden, billigend in Kauf genommen hat oder nicht.
Dieses Ergebnis mag zunächst unerträglich scheinen, wenn der Klient seinen Anwalt unterrichtet und dabei in Beziehung etwa auf den Prozessgegner oder Zeugen
Tatsachen behauptet, die sich als üble Nachrede nach 5 186 StGB darstellen.
In diesem Falle wird aber dem Beleidiger vielfach die Bestimmung des § 193
StGB zur Seite stehen. Dies reicht aus. Bei Formalbeleidigungen — wie hier — hilft
sie freilich nicht; doch besteht hierfür auch kein Bedürfnis.
Das AG hat nicht erörtert, ob der Angeklagte das Unrechtsbewusstsein gehabt
hat. Indes gefährdet diese Unterlassung den Bestand des Urteils nicht; denn der
Amtsrichter ist ersichtlich davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte bewusst
gewesen ist, mit seinen beleidigenden Bemerkungen Unrecht zu tun. Ein
etwaiger Irrtum des Angeklagten in dieser Hinsicht wäre im Übrigen so wenig
entschuldbar, dass er die an sich schon mäßige Strafe nicht beeinflussen würde.
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