Grauzone Indonesien
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Grauzone Indonesien
Süd-Süd-Beziehungen Bericht über die ILGA Asien Konferenz 2010 in Surabaya Aktivist_innen aus über 20 Ländern sind angereist, um an der vierten regionalen Konferenz der ILGA Asien, des Asien-Zweigs der International Lesbian and Gay Association, teilzunehmen. Mechthild von Vacano Es ist der 25. März 2010, ein Donnerstagabend. Im Kellerraum des Oval-Hotels Surabaya sitzen, hocken, stehen gedrängt gut 150 Menschen und warten. Die Atmosphäre ist angespannt, alle wissen, dass etwas nicht stimmt, kaum eine_r weiß, was los ist. Sie alle sind als Aktivist_innen aus insgesamt über 20 Ländern angereist, um an der vierten regionalen Konferenz der ILGA Asien, des Asien-Zweigs der International Lesbian and Gay Association, teilzunehmen. Wie in anderen Jahren zuvor in Mumbai (Indien), Cebu (Philippinen) und Chiang Mai (Thailand) sollte diese Konferenz im ostjavanischen Surabaya dem Austausch und der Vernetzung von LSBTI – Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Intersex-Aktivist_innen aus asiatischen Ländern dienen. Das dreitägige Programm versprach Workshops und Diskussionsforen zu Themen wie »Strategising for Regional LGBT Advocacy« oder »Action Research in Asia« sowie ein unterhaltsames Rahmenprogramm mit festlichem Abendessen und ausgelassener Drag-Show. Von einer öffentlichen Demonstration/Pride-Parade hatten die Organisator_innen jedoch, anders als in den Jahren zuvor, abgesehen. Und auch bezüglich der Pressearbeit hatten sich der internationale ILGA Asia Vorstand mit den indonesischen Partnerorganisationen auf eine zurückhaltende Strategie geeinigt: Erst am letzen Tag der Konferenz sollte mit einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit gegangen werden, um nicht all zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und gegebenenfalls den Verlauf der Konferenz zu gefährden. Doch alles kam anders: Denn entgegen der Planung hatte zunächst die nationale, später auch die lokale Presse von der ILGA-ASIA Konferenz erfahren und wenige Tage zuvor von der Konferenz berichtet. Prompt hatte dies heftige Reaktionen hervorgerufen. Eine solche Konferenz laufe »der Kultur des indonesi- Die Autorin promoviert zum Thema Lesben, lesbische Netzwerke und Internet in Indonesien an der Goethe Universität in Frankfurt a.M. 3 2010 südostasien schen Volkes« zuwider, erklärte Abdusshomad Buchori als Vorsitzender des Ost-Java Komitees des Rats der Muslime (MUI) der Presse. Sollten die Veranstalter dennoch auf der Konferenz bestehen, drohte Burchori weiter, sei mit sozialen Unruhen zu rechnen. Darum habe er die nationalen und regionalen Polizeiverantwortlichen dazu aufgerufen, der Konferenz keine Veranstaltungserlaubnis zu erteilen. Sollten diese Schritte nicht ausreichen, um des Ereignis zu verhindern, würde seine Organisation nicht zögern, »ihre eigenen Methoden anzuwenden«. Kurz darauf verweigerte die Polizei der ILGA Asien die Versammlungsgenehmigung und auch das ursprünglich gebuchte Hotel Mercure reagierte »aus Sicherheitsgründen« mit einer Absage an die Veranstalter. Am geplanten Anreisetag versammelten sich mehrere Dutzend wütender Protestierender im Namen der islamischen und nationalen Moral vor dem Mercure Hotel, um sicherzustellen, dass die Konferenz tatsächlich nicht stattfindet. Währenddessen fanden sich nur unweit davon die Konferenzteilnehmer im Ausweichhotel Oval ein. Am Abend erst wurden die Teilnehmenden auf jener klandestinen Kellerversammlung über die Situation unterrichtet. Besorgte Aufregung machte sich breit. Ungeduldig wurde Indonesisch-Englisch und als Flüsterübersetzung ins Russische übersetzt, während man über das weitere Vorgehen beriet. Letztendlich lautete der Plan, die fehlende Versammlungsgenehmigung zu umgehen, indem das Programm als »freundschaftliche Gesprächsrunden« in privaten Hotelzimmern durchgeführt würde. Tatsächlich konnte am nächsten Morgen eine erste Workshop-Phase in dieser Form stattfinden. Doch bereits am Mittag mussten alle Konferenzaktivitäten aus Sicherheitsgründen unterlassen werden, da sich pünktlich mit dem Ende des Freitagsgebets erneut ein wütender Mob von Moralaposteln am neuen Ort eingefunden hatte. Die 50 bis 80 aufgebrachten Männer treten im Namen eines spontanen Bündnisses auf, das sich unter Beteiligung des MUI Ostjava, der Front Pembela Islam (FPI, Front zur Verteidigung des Islams) sowie des indonesischen indonesien Grauzone Indonesien 63 indonesien Süd-Süd-Beziehungen 64 Zweigs der Hizb ut-Tahrir Indonesia (HTI) zusammengefunden hatte. Es begannen stundenlange »Verhandlungen« zwischen den ILGA-Veranstaltern, Vertretern des belagernden Bündnisses und der Polizei. Zu verhandeln gab es eigentlich nichts. Die islamischen Hardliner forderten die sofortige Auflösung der Konferenz sowie die Deportation aller ausländischen Gäste. Währenddessen hielten sich die meisten Konferenzteilnehmenden unauffällig in Zweier- und Dreier-Gruppen in ihren Hotelzimmern auf, abgeschlossen von jeglichen Informationen über die Ereignisse in der Lobby des Hotels. Über die Internetberichterstattung der lokalen Presse konnten sich manche über die Lage informieren und erfuhren so, dass an einem anderen Ort in Surabaya eine Gruppe von 20 FPIlern das Büro des lokalen Veranstalters GAYA Nusantara mit einem Vorhängeschloss versiegelt hatten. »Teroris Moral« – Moralterroristen hatten sie auf die Außenmauer des Büros gesprüht. Unter scharfer Aufsicht der Belagerer wurden die Konferenzteilnehmenden schließlich am späten Abend aus dem Oval-Hotel evakuiert und dezentral anderweitig untergebracht. Doch für die meisten Teilnehmenden war der Spuk erst vorbei, als sie in den nächsten Tagen die Stadt Surabaya beziehungsweise das Land Indonesien ganz verlassen hatten. Für viele der indonesischen Teilnehmenden hielt das Bedrohungsgefühl dieses Nachmittags jedoch noch lange an. Der indonesische Kontext Die Ereignisse der ILGA Asien Konferenz zeigen die Situation von LSBTI in Indonesien nur allzu gut auf: Grundsätzlich ist Homosexualität zwar legal, da sie in der nationalen Gesetzgebung Indonesiens keine Erwähnung findet. Doch handelt es sich bei dieser Nicht-Kriminalisierung in erster Linie um eine NichtErwähnung, aus der sich im Alltag keinerlei Schutz für die Rechte von LSBTI herleitet. »Indonesien ist einfach eine einzige Grauzone«, resümiert eine indonesische Aktivistin. Bei genauerer Betrachtung ist das Grau-Bild höchst komplex und in Bewegung: Seit der politischen Dezentralisierung des Landes haben mehrere Provinzen, wie zum Beispiel die Provinz Südsumatra, von ihren neu gewonnenen Befugnissen Gebrauch gemacht und Verordnungen erlassen, welche Homosexualität mit bis zu mehreren Jahren Haft unter Strafe stellen. Auch in der Provinz Aceh wird Homosexualität seit der Einführung der Scharia 2001 gesetzlich geahndet. Auf nationaler Ebene hatte der Entwurf des umstrittenen Anti-Pornografie-Gesetzes lange Zeit bis zu zwölf Jahre Haft für »lesbischen oder homosexuellen« Sex als einer Form »devianten Geschlechtsverkehrs« vorgesehen. Erst kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes am 30.Oktober 2008 war jener Paragraph jedoch gestrichen worden. Dennoch behielt es viele umstrittene Punkte bei, so zum Beispiel das weit auslegbare Verbot von öffentlichem Auftreten, das zu Obszönitäten führt. Bemerkenswerterweise waren in den Protesten gegen das Gesetz vor allem Frauen- und Menschenrechtsaktivist_innen sowie Vertreter der Regionen sichtbar geworden, kaum jedoch hatten die Stimmen von LSBTI die Öffentlichkeit erreicht. Die Bestrafung von homosexuellen sexuellen Handlungen hatte offensichtlich nicht im Zentrum des Gesetzesvorhabens gestanden: Im Zusammenhang mit dem Gesetz war sie kaum öffentlich diskutiert worden, so fiel sie dann auch ohne größeren öffentlichen Druck wieder unter den Tisch. Homophobie schien zu diesem Zeitpunkt kein Vehikel für populistische Politik gewesen zu sein, um an die Moral der Nation zu appellieren. Auch ohne gesetzliches Verbot werden LSBTIThemen jedoch in der indonesischen Gesellschaft weitgehend tabuisiert. Die gesellschaftliche Norm akzeptiert Sexualität überhaupt nur in einem sehr eng gesteckten Rahmen: zum Zweck der Reproduktion innerhalb der heterosexuellen Ehe. Für Lesben gilt zudem das partiarchale Familienideal, demzufolge eine Frau immer in der Obhut eines Mannes, des Vaters und später des Ehemannes, stehen müsse. Die gesellschaftliche Tabuisierung von Homosexualität wirkt dabei wie ein stilles Abkommen: Homosexualität, die nicht zu sehr in Erscheinung tritt, wird in gewisser Weise geduldet beziehungsweise ignoriert. Dieses Prinzip gilt im Kleinen – im familiären Umfeld, auf der Arbeit, in der Nachbarschaft, wie im Großen – der Politik und Öffentlichkeit. Wäre die ILGA Asien Konferenz im März 2010 nach Plan verlaufen, hätte sie sich im Rahmen eben dieses stillen Abkommens bewegt: Sie wäre nicht weiter aufgefallen und hätte, so schätzen es die meisten indonesischen Aktivist_innen ein, ungestört und sogar mit Genehmigung der Polizei stattfinden können. Doch kaum waren die Pläne der Konferenz an die Öffentlichkeit geraten, fehlte dem Anliegen der Veranstaltenden jeglicher offizieller Rückhalt: Es wurde deutlich, dass die Gesetzeslage für LSBTI in Indonesien im besten Fall als neutral zu beschreiben ist, sich daraus jedoch keinerlei effektiver Schutz für LSBTIRechte ableitet. Es war die Konferenz, welche als Bedrohung der öffentlichen Ordnung kriminalisiert wurde und nicht die Drohgebärden jener Angreifer von MUI, FPI und Co. Absurderweise hat, wie indonesische LSBTIAktivist_innen berichten, die indonesische Polizei jüngst eine nationale Richtlinie verfasst, in der als explizite Aufgabe der Polizei benannt wird, sexuelle Minderheiten als gesellschaftlich marginalisierte Gruppen vor Gewalt und Diskriminierung zu schützen. Doch Papier ist geduldig und Indonesien schillernd grau. südostasien 3 2010 Süd-Süd-Beziehungen Die Tatsache, dass es sich bei der ILGA-Asien-Konferenz um eine internationale und zugleich regionale AsienKonferenz handelte, schien die Empörung ihrer Gegner intensiviert zu haben: Ausgerechnet Indonesien, insbesondere das ostjavanische Surabaya hatten sich die »Perversen ganz Asiens« für ihre Versammlung aussuchen müssen. Als internationale Organisation wurde die ILGA 1978 150 Menschen warten. Die Atmosphäre ist angespannt, kaum eine_r weiß, was los ist. gegründet und ist nach eigeFoto: S. Tan (fridae.com) nen Angaben die einzige Ordere als einig. So wird auch das Konferenz-Ereignis ganisation mit weltweiter föderaler Struktur, die sich an sich sehr unterschiedlich ausgewertet: Für die eifür die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, nen steht im Vordergrund, dass durch die GeschehTransgender und Intersex einsetzt. Mit gezielten Unnisse um die Konferenz eine öffentliche Debatte über terstützungs- und Protestaktionen, diplomatischem die Rechte von LSBTI in Indonesien angestoßen wurDruck, Aufklärung sowie Kooperationen mit internade, die bisher im Konsens des Schweigens untergetionalen Organisationen möchte die Assoziation kongangen war. Durch die öffentliche Debatte wurden kreten Fällen von Diskriminierung gegenüber LSBTI Gegner wie Bündnispartner sichtbar und Positionen öffentliche und politische Aufmerksamkeit verschafim Grau deutlich. fen. Dabei stellt die enge Zusammenarbeit mit lokaAndere sehen die Konferenz als großen Rücklen Partnerorganisationen eine wichtige Voraussetschritt an, da durch den Medienrummel um die zung dar. So umfasst der regionale Zweig ILGA Asien Konferenz Gruppen wie die FPI dazu animiert wurüber 160 Mitgliedorganisationen in mehr als 17 asiden, auch in Zukunft weitere Aktivitäten der LSBTIatischen Ländern, darunter unter anderem BanglaBewegung zu bedrohen, welche sie zuvor nicht aktiv desch, China, Kirgisistan, Indien, Indonesien, Monauf dem Radarschirm ihres Moralalarms hatten. So golei, Philippinen, Singapur, Thailand, Taiwan und wurden beispielsweise in den Wochen nach der SuVietnam. Ziel dieser Struktur ist es, gemeinsame rerabaya-Konferenz am 30. April ein von der Nationagionale Strategien zu entwickeln, um die einzelnen len Kommission für Menschenrechte organisiertes nationalen Bewegungen trotz ihrer unterschiedlichen Training für Waria, male-to-female-Transgender, in Ausgangsbedingungen zu bündeln. Eine gemeinsame Depok, West Java gestürmt; am 11. Mai ein Erfahrung besteht zum Beispiel darin, dass in fast alHIV/AIDS-Seminar in Bandung bedroht; und am 22. len Ländern Homosexualität als ein westlicher Import Mai in Yogyakarta die öffentliche Bühne zur Feier markiert und abgelehnt wird. des Internationalen Tags gegen Homophobie verhinIm Fall der Surabaya-Konferenz musste die interdert. Ohne Surabaya, so lauten die Einschätzungen, nationale ILGA-Struktur im spezifischen nationalen wäre dies alles nicht geschehen. Kontext agieren. Als in der akuten Krisensituation In einer Strategiefrage sind sich jedoch fast alle schnelle Entscheidungen gefragt waren, war die Hereinig: Um erfolgreich für die Anerkennung der ausforderung groß, in der Zusammenarbeit von inRechte von LSBTI zu kämpfen, wird man in Indoneternationalem Vorstand und indonesischen Partnersien nicht an der Religion vorbeikommen. Bündnisse organisationen Einschätzungen und Strategien vermit religiösen Gruppen, zum Beispiel mit Gruppen antwortungsvoll abzuwägen. Auch im Nachhinein des moderaten Islams, sind unabdingbar. Um in diewar für das Vorgehen die besondere Gefährdung der ser Hinsicht voranzukommen vernetzen sich indoneAktivist_innen vor Ort zu berücksichtigen. So wurde sische Aktivist_innen seit einigen Jahren verstärkt sich sowohl während als auch unmittelbar nach der auch mit LSBTI-Gruppen aus anderen islamisch geKonferenz mit der Mobilisierung internationalen prägten Ländern, um spezifische Erfahrungen und Drucks zurückgehalten, um die Situation vor Ort Strategien auszutauschen. nicht weiter eskalieren zu lassen. Es wurde versucht, in enger Absprache mit den Wünschen und Bedürfnissen der indonesischen Aktivist_innen zu agieren. Doch diese wiederum waren und sind sich alles an- 3 2010 südostasien indonesien Süd-Süd-Kooperationen 65