Was guckst du, was denkst du

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Was guckst du, was denkst du
Was guckst du, was denkst du?
Der Einfluss des Fernsehens auf das Ausländerbild von Kindern und Jugendlichen
Ziel
Zur Entwicklung von Welt- und Menschenbildern ziehen Heranwachsende auch die Medien
heran. Ziel der Untersuchung war es, Hinweise dafür zu erhalten, inwiefern das Fernsehen
einen Einfluss auf die Ausbildung der Ausländerbilder von Kindern und Jugendlichen hat.
Vorgehen
Die Untersuchung bestand aus zwei Teilen, in denen qualitative und analytische Verfahren
zum Einsatz kamen. Auf der Medienseite wurden 30 verschiedene Sendungen der Genres
Daily Talk, Gerichtsshow, Boulevardmagazin und Daily Soap daraufhin analysiert, welche
Vorstellungen von Ausländerinnen und Ausländern Heranwachsenden durch das Fernsehen
vermittelt werden.
Auf Seiten der Heranwachsenden wurden mit 41 Kindern und Jugendlichen im Alter von 9 bis 14 Jahren, von denen zehn einen Migrationshintergrund haben, Intensivinterviews geführt.
Die zentralen Fragestellungen bezogen sich darauf, wie die Mädchen und Jungen
Ausländerinnen und Ausländer im Fernsehen, und zwar in den untersuchten Genres, und in
der Realität wahrnehmen, und inwiefern diese Wahrnehmung sich in ihren Vorstellungen von
Menschen ausländischer Herkunft wiederfindet.
Beide Untersuchungsteile wurden anschließend zusammengeführt.
Zentrale Ergebnisse …
… der Programmanalyse:
Das Bild von Menschen mit Migrationshintergrund im Fernsehen ist von ausländischen
Männern geprägt.
Ausländerinnen und Ausländer werden im Fernsehen durch bestimmte Typen
repräsentiert. Die wichtigsten und am häufigsten vorkommenden Typen sind der
„südländische Macho“ und der „kriminelle Ausländer“.
Hintergründe zur Herkunft und Situation von Migrantinnen und Migranten spielen nur in
den wenigsten Fällen eine Rolle.
…der Nutzungsuntersuchung:
Ab dem elften Lebensjahr beginnen Heranwachsende, sich ein Bild von Menschen mit
ausländischem Hintergrund zu machen. Dazu suchen sie nach Informationen in ihrem
Umfeld, aber auch im Fernsehen, ihrem wichtigsten Orientierungsmedium.
Was die mediale Präsenz von Ausländerinnen und Ausländern angeht, konzentriert sich
die Wahrnehmung der Heranwachsenden vornehmlich auf türkische Männer, die arrogant
bis aggressiv auftreten und ein tradiertes Frauenbild vertreten. Sie fallen den Kindern und
Jugendlichen besonders in den Daily Talks und Gerichtsshows auf.
Dort, wo sie das Fernsehangebot kritisieren, wünschen sich die 9- bis 14-Jährigen mehr
Hintergründe und Erklärungen zum Alltag von Migrantinnen und Migranten und deren
Zusammenleben mit Deutschen.
Konsequenzen …
… für das Programm
Daily Talks und Boulevardmagazine sollten mit Begründungen, Erklärungen und
Hintergründen angereichert werden. Die Intention, gesellschaftliche Zusammenhänge
verständlich zu machen, sollte der Intention, Sensationen des Alltags zu präsentieren,
übergeordnet werden.
Verbesserungsvorschläge für Gerichtsshows lassen sich aufgrund der vorliegenden
Ergebnisse nicht formulieren. Das Genre insgesamt ist unter dem Aspekt der Ausbildung von
Vorurteilen gegenüber Ausländern zur Diskussion zu stellen. Interkulturelle Konflikte werden
hier nicht differenziert, sondern durch die gewählte Dramaturgie eher zugespitzt.
… für die Forschung
Die Ausbildung von Vorurteilen beginnt im Alter von etwa 11 Jahren. Welche Rolle
spielen mediale Bilder bei der Entwicklung von differenzierten Sichtweisen bzw.
hinsichtlich der Verfestigung von Vorurteilen gegenüber Menschen mit ausländischem
Hintergrund bei Heranwachsenden ab 14 Jahren?
Die Studie gibt Hinweise darauf, dass ausländische Kinder und Jugendliche ihre eigene,
wie auch andere Nationalitäten im Fernsehen vorurteilsbehaftet wahrnehmen. Das führt zu
der Frage, welche Bedeutung Medien für die Ausbildung des Ausländerbildes von
Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund aber auch für die Entwicklung ihrer
eigenen Identität haben?
Die vorliegende wie andere Studien verweisen auf die Bedeutung der Medien – vor allem
Fernsehen und Internet – für den Integrationsprozess der Migranten und ihrer Kinder. Die
Bedeutung der Medienangebote näher zu untersuchen, ist für die Unterstützung eines
erfolgreichen Integrationsprozesses unerlässlich.
Ein Einzelmedium, das speziell und gesondert betrachtet werden sollte, ist das Internet.
Als globales wie globalisierendes Angebot ist es sowohl für die Herausbildung der
Ausländerbilder deutscher Heranwachsender von Bedeutung als auch für die Integration
der Migrantenkinder in Deutschland.
… für die medienpädagogische Praxis
Für die praktische medienpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ergeben sich
aus der vorliegenden Studie zahlreiche Anregungen. Die medienpädagogische Bearbeitung
des Themas könnte sich z.B. beziehen auf
Vorurteile gegenüber Ausländerinnen und Ausländern sowohl in den Medien wie auch
im Alltag. Durch die kritische Betrachtung von Medienangeboten und kurze Interviews
mit Betroffenen und in der Bevölkerung können Vorurteile eruiert werden. Die
Klischeehaftigkeit der Vorurteile könnte in einem Radiobeitrag aufgedeckt werden, in
dem Vorurteile dem Alltag von Migrantinnen und Migranten gegenübergestellt werden.
Folgen stereotyper Darstellungen von Ausländerinnen und Ausländern, z.B. auf der Basis
von Eigenerfahrungen. Ein Teil einer Gruppe könnte sich als Ausländer „verkleiden“ und
sich in öffentliche Räume begeben. Die Erfahrungen der „Ausländer“ können mit Video
aufgezeichnet und hinterher diskutiert werden.
die Klischeewelt des Fernsehens. Dem klischeebehafteten Fernsehalltag von
Ausländerinnen und Ausländern könnte eine Mediendokumentation entgegengesetzt
werden, die sich mit dem realen Alltag von ausländischen Familien beschäftigt. Dabei
sollte unbedingt die Möglichkeit zur Veröffentlichung bestehen, bspw. durch Streaming
im Internet.
Kooperationspartner der Studie
JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis
Universität Leipzig, Lehrstuhl für Medienpädagogik und Weiterbildung
Auftraggebende Institutionen
Unabhängige Landesanstalt für Rundfunk und neue Medien (ULR)
Bremische Landesmedienanstalt (BREMA)
Landesrundfunkzentrale Mecklenburg-Vorpommern (LRZ)
Publikation
Bernd Schorb u.a. (2003): Was guckst du, was denkst du? Der Einfluss des Fernsehens auf
das Ausländerbild von Kindern und Jugendlichen. Kiel
Kostenlos zu beziehen über [email protected]