Redemanuskript: Betriebsversammlung CT und

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Redemanuskript: Betriebsversammlung CT und
Redemanuskript: Betriebsversammlung CT und SiCED am 9.11.2004
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
A. Aufgabe des Betriebsrates – Zwischenbilanz nach 2 Jahren
Als ich vor zwei Jahren aus dem Personalreferat in den Betriebsrat
gewechselt habe, hatte ich rückblickend betrachtet eine vage und zugegeben
recht theoretische Vorstellung von dem, was da auf mich zukommen würde.
Meine Erwartungen waren demgegenüber relativ konkret und gut
beschreibbar.
Jetzt, in der Mitte der Amtsperiode angelangt, habe ich bei der Vorbereitung
auf diese Betriebsversammlung die seit dem Wechsel vergangene Zeit
Revue passieren lassen um zu sehen, was in diesem Zeitraum tatsächlich
geschehen ist und in welche Richtung sich das Verhältnis zwischen Realität
und Erwartungen entwickelt hat.
Betriebsrat zu sein, heißt ein öffentliches Amt innehaben. Es wird oft
vergessen oder übersehen, dass es der Wille des Gesetzgebers ist, dass es
Betriebsräte gibt. Der Betriebsrat handelt, demokratisch gewählt und
legitimiert im öffentlichen Interesse zur Wahrung der Interessen der
Arbeitnehmer eines Betriebes und existiert nicht aus reinem Selbstzweck
oder gar weil es schön ist, einen Betriebsrat zu haben.
Mitbestimmung und Mitwirkung in den Betrieben ist nicht selbstverständlich,
sondern bis zum heutigen Betriebsverfassungsgesetz hart errungen und
erkämpft. Seit 1891 gibt es so etwas wie Betriebsräte, anfangs dazu gedacht,
die Arbeitnehmer eines Betriebes zu disziplinieren und die damals immer
stärker werdende Arbeitnehmerbewegung aus den Betrieben fern zu halten.
Die Geschichte bis heute ist gekennzeichnet von vielen harten
Auseinandersetzungen und Rückschlägen – man denke nur an die aktuellen
Vorgänge bei Opel oder VW. Ich will dies nicht hier weiter ausführen, sondern
lediglich auf dieses wertvolle Erbe hinweisen, das nur dann weiterlebt, wenn
die aktuelle Generation es in die eigene Wirklichkeit umsetzt, ggf. verändert
oder es verantwortungsbewusst weiterentwickelt.
Ich werde ihnen hier auch nicht aufzählen, welche Aufgaben das Gesetz
heute vorsieht. Wen dies interessiert, der findet dies ausführlich im §80
BetrVG
beschrieben.
Aber
was
neben
diesen
allgemeinen
Aufgabenbeschreibungen für mein Selbstverständnis und als Richtschnur für
meine Arbeit besonders wichtig geworden ist, dies steht im gleichen Gesetz
im §75, wo es um die Grundsätze für die Behandlung der
Betriebsangehörigen geht. Dort heißt es:
„(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im
Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit
behandelt werden, insbesondere, dass jede unterschiedliche Behandlung von
Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft,
politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen
ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt. Sie haben darauf
zu achten, dass Arbeitnehmer nicht wegen Überschreitung bestimmter
Altersstufen benachteiligt werden.
(2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der
Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen
und zu fördern. Sie haben die Selbständigkeit und Eigeninitiative der
Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.“
Gerade die in Absatz 2 genannten Punkte sind ein wichtiges Kriterium für
meine Arbeit geworden.
Eine meiner ersten starken Eindrücke in der konkreten Arbeit als BR war die
Erfahrung von Misstrauen, Vorurteilen und vermutlich Unwissen.
Eine Führungskraft, mittlerweile nicht mehr im Hause, mit der ich in den
Jahren zuvor oft zu tun hatte, sprach mich nach meinem Wechsel mit den
Worten an: „Na, Herr Mai, wie geht es Ihnen? Sind Sie denn mit der neuen
Aufgabe nicht unterfordert?“ Wie gesagt, ich kannte den Kollegen gut, es war
nicht ironisch, sondern durchaus ernst gemeint. Ich habe wahrheitsgemäß
geantwortet, dass zwar auch nicht das Gegenteil, die Überforderung
eingetreten ist, ich aber deutlich belastendere Situationen und komplexe
Einzelfälle zu bewältigen habe. Wer geht schon zum Betriebsrat, es sei denn
er hat wirklich ein ernstes Problem, das schon so festgefahren ist, dass er
diesen Gang wagt, weil alle anderen Wege ausgeschöpft sind?
Einige der gängigen Vorurteile:
-
Was wollen/machen die Betriebsräte eigentlich?
Die sind gegen unsere Interessen
Die machen nur Unruhe, wollen den Arbeitgeber schlecht aussehen
lassen, wittern überall Unrat
Die kosten eine Menge Geld, wollen überall mitreden, haben aber
keine Ahnung
Halten den Betrieb auf
Natürlich gibt es auch – wie immer, wenn man mit Menschen zu tun hat –
solche und solche Einstellungen und erfreulicherweise mehren sich die
Anzeichen dafür, dass man auch auf Seite des Unternehmens und der
Führungskräfte die positiven Aspekte einer Mitarbeitervertretung anerkennt
und im Begriff ist, diese eben aufgeführten Haltungen zu verändern.
Ich möchte ein Beispiel bringen, das für diese Aussage steht:
Dieses Beispiel ist die jetzt abgeschlossene Vermittlung von rund 300
Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich I&S, die infolge interner
Umstrukturierungen mit ihren Qualifikationen im Portfolio der Aufgaben bei
I&S nicht mehr gefragt waren, die man in einer Kostenstelle
zusammengefasst hat („MIS“) und die nun die alleinige Aufgabe hatten, sich
eine neue Stelle innerhalb oder außerhalb des Unternehmens zu suchen. Die
ursprüngliche Planung der Firma war hier ein allein von ihr gesteuertes und
geplantes Vorgehen, nämlich alle diese nicht mehr benötigten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in eigenen Räumen bzw. Gebäuden
zusammenzufassen, sie aus den laufenden Projekten körperlich abzuziehen
und zu dokumentieren, dass ein weiterer Einsatz an dieser Stelle nicht länger
erwünscht ist.
Davon betroffen waren nicht etwa die viel zitierten „Minderleister“ (ich habe
dieses Wort schon als Personaler nie ausstehen können, weil es auf
Schwächen und nicht auf Stärken fokussiert, und durch die implizierte Bebzw. Abwertung einer Person auf Konfrontation statt auf konstruktiven Dialog
und Lösung hinarbeitet), betroffen waren also nicht etwa die „Minderleister“,
sondern Mitarbeiter aller Qualifikationen und Verdienste. Ohne Ansehen der
Person hat es jeden getroffen, der nicht ins Portfolio passte. Ich werde so
schnell nicht vergessen, wie ein Mitarbeiter nach einem langen
Auslandseinsatz den Tränen nahe und völlig konsterniert mit dem Brief der
Versetzung in diese Abteilung kam und für den eine Welt
zusammengebrochen war. Er konnte gar nicht begreifen, was da geschah
und dass die Firma, für die er sich unter schwierigsten Verhältnissen
engagiert hat bis zum Umfallen, dass diese Firma ihn per Versetzungsbrief
mitteilte, er sei nicht mehr vonnöten. Ich will hier nicht weiter auf die ganzen
Begleitumstände eingehen, die dieses Vorgehen der Firma für die Mitarbeiter
eingebracht hätte und teilweise auch eingebracht hat, wenn sie es weiter in
der geplanten Weise durchgeführt hätte. Von drohender Dequalifizierung
durch Ausgliederung aus dem Arbeitsprozess bis hin zu den Folgen der
Separierung und „Internierung“ für die Psyche und Gesundheit der
betroffenen Menschen reicht die Palette der aufgetretenen, teils
dramatischen, Probleme, deren Belastungen für die einzelnen ich hier nicht
auszumalen brauche, weil sie es sich, denke ich, gut selbst vorstellen
können.
Hier jedenfalls ist es gelungen, auf Initiative und auf zum Teil entschiedenes
und deutliches Drängen des Betriebsrates durch eine konzertierte Aktion
zwischen dem BR, dem Personalausschuss und den Firmenvertretern eine
für die allermeisten Betroffenen verträgliche Lösung zu erreichen, die es ohne
Kooperation sicher nicht gegeben hätte. Die Kosten, die in diesem Falle für
Prozesse und für Abfindungssummen hätte ausgegeben werden müssen –
ganz zu schweigen von dem entstandenen Schaden für das Image des
Standortes Erlangen -, wurde hier sinnvoll in die Förderung der
Weiterbeschäftigung der Kollegen investiert. Es geht also und es ist durch die
Praxis bewiesen: durch gemeinsames Handeln
und vertrauensvolle
Zusammenarbeit kann Schaden für das Unternehmen und für die Mitarbeiter
abgewendet und viel Gutes für beide Seiten bewirkt werden.
Es lohnt, sich zu engagieren. Auch wenn es manchmal hart und beschwerlich
ist, dieses Engagement ist sinnvoll, die Herausforderungen sind es wert,
angegangen zu werden.
Vielleicht sogar ist Mitbestimmung über die Verhältnisse im Betrieb heute
wichtiger denn je, denn die derzeitige Politik scheint sich als ordnende Macht
immer mehr aus der Verantwortung zu verabschieden. Im Zuge der
Globalisierung übernehmen die Wirtschafts- und Finanzmärkte und mit ihr die
in diesen Systemen handelnden und bestimmenden Personen das Ruder. Im
Gegensatz zu einer demokratischen Grundordnung handelt es sich dabei
aber nicht um gewählte Vertreter, sondern um durchsetzungsfähige
Einzelpersonen und Gruppen, die gelernt haben, sich durch Geschick und
Findigkeit durchzusetzen. Diese Menschen treffen die Entscheidungen über
unsere Zukunft und die Qualität des Zusammenlebens, obwohl sie dafür nicht
legitimiert sind. Daher ist es wichtig, sich gerade auch „vor Ort“, im Betrieb,
einzumischen, mitzureden, mitzudenken und mitzumachen.
Wie sich im Falle von I&S gezeigt hat, ist die Voraussetzung jeder
gelingenden menschlichen Kommunikation und Zusammenarbeit das
Vertrauen der handelnden Personen. Diese allgemeine Lebenserfahrung gilt
auch für den Betrieb. Nur ist es im Betrieb ungleich schwerer, Vertrauen zu
stiften bzw. zu gewinnen. Zum einen wegen bestehender Vorurteile und
vorgefasster Meinungen, zum anderen wegen der strukturellen Ungleichheit
in den bestehenden Hierarchien. Man kann Vertrauen definieren als die
„Fähigkeit, sich ohne Absicherung in die Obhut eines anderen zu begeben“.
Da erhebt sich die Frage, ob ich das als Mitarbeiter (und auch als Betriebsrat)
so einfach wagen kann. Vor allem dann, wenn die Meinung nicht konform der
herrschenden Meinung ist. Schließlich verfügt man in der Hierarchie mittels
Direktion, Beurteilung und Förderung über die Macht, den Weg der
Mitarbeiter entscheidend zu beeinflussen, im positiven wie im negativen
Sinne. In diesen kritischen Situationen zeigt sich, ob wirklich eine
Vertrauenskultur vorhanden ist, nämlich wenn man ohne Angst zu haben
sagen kann, was man denkt. Ich denke, dass der Gesetzgeber, der im §75
die Förderung von Selbständigkeit und Eigeninitiative fordert und die freie
Entfaltung der Persönlichkeit als Grundsatz der Zusammenarbeit im Betrieb
definiert und festgelegt hat, genau diese Art von Kultur einfordert, ohne es
explizit zu nennen, denn ohne Vertrauen sind diese Eigenschaften nicht zum
Blühen zu bringen.
Der Betriebsrat arbeitet nicht gegen seinen Betrieb und seinen Arbeitgeber.
Im Gegenteil, er setzt sich für seinen Betrieb ein. Wer sägt schon an dem Ast,
auf dem er sitzt? Nur tut er dies von anderer Warte aus. Ich war immer
verwundert, als man mir sagte, mit dem Wechsel vom Personalreferat in den
Betriebsrat hätte ich die Seiten gewechselt. Ich dagegen habe es immer
anders gesehen, nämlich als einen Perspektivenwechsel. Ich sehe die
Angelegenheit aus der Perspektive der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um
das Wohl des Betriebes zu fördern. Denn unabdingbare Voraussetzung für
den nachhaltigen Erfolg ist eine gesunde, zufriedene und motivierte
Belegschaft. Andernfalls betreibt man Raubbau zur Erzielung kurzfristiger
Profite.
B. Situation der Mitarbeiter CT - Dialog über Arbeitsbedingungen
Ich möchte im Folgenden auf die Situation in der CT zu sprechen kommen.
Wenn ich an die eben geschilderten Erlebnisse bei I&S zurückdenke und mir
dann die Situation der CT und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor
Augen halte, so kann ich feststellen, dass wir es gegenüber den Bereichen in
der CT sehr gut haben. Wenn wir daher bei CT uns über die Arbeitssituation
als Forscher und Entwickler in der CT Gedanken machen, so tun wir dies im
Bewusstsein dieses qualitativen Unterschiedes. Niemand beschwert sich,
dass es ihm bei CT schlecht geht, im Gegenteil, es ist gut, bei CT an
interessanten und herausfordernden Themen arbeiten zu können, und wenn
man sich oft kritisch und nachdenklich äußert, so geschieht dies wie es
immer so schön heißt als „Klagen auf hohem Niveau“. Dies soll die geäußerte
Kritik nicht in der Qualität herunterspielen, aber doch in Relation zur übrigen
Realität in vielen Unternehmensbereichen der Siemens AG setzen, die in
vielerlei Hinsicht nun wirklich nicht die Güte hat, die wir in der CT gewohnt
sind.
Es geht als nicht darum, die Lage schlecht zu reden. Wir sehen durchaus die
Beispiele von gelungener Kooperation mit den Bereichen, von gelingender
Innovation wie etwa die Feldeffekttransistor-Gassensoren in Handys, die
Nominierung des Projektes zu elektronischen Biochiptechnologie für den
deutschen Zukunftspreis, zu der auch wir hier ganz herzlich gratulieren und
für die Wahl die Daumen drücken.
Und es geht weiters nicht darum, einzelnen Personen ein Fehlverhalten
vorzuwerfen. Im Gegenteil: denkt man an die Lage Anfang bis Mitte der
neunziger Jahre zurück, so muss man mit hoher Anerkennung feststellen,
dass es gelungen ist, die CT in ihrer Bedeutung für das Haus zu festigen und
die dazu notwendigen Veränderungen ohne große Umbrüche und Friktionen
umzusetzen. Die Anerkennung, Herr Prof. Weyrich, die sie bei ihren
Mitarbeitern genießen, hat neben ihrer Menschlichkeit im Umgang
miteinander sicher auch den Hintergrund, dass ihre unternehmerische
Tätigkeit von Erfolg gekrönt ist, sie die CT sicher durch schwierige Zeiten
manövriert und mit der heutigen Organisation eine hervorragende, solide
Basis für die Zukunft der F&E bei Siemens geschaffen haben. Das ist sicher
nicht leicht gewesen. Ich weiß es nicht, aber bin mir sicher, dass es auch
andere Richtungen im Vorstand zur Existenz bzw. zur Ausrichtung einer
zentralen F&E gab. Sie haben sicher manches abgepuffert und nicht an die
CT-Mitarbeiter weitergegeben und das verdient unser aller Respekt.
Es geht den Verbindungsleuten und uns als Betriebsräten allein darum, in
einen Dialog zu treten mit dem Ziel, miteinander die aufgeworfenen Fragen
zu klären, die Sorgen und Befürchtungen zu äußern und einer mancherorts
auftretenden Verunsicherung über die zukünftige Entwicklung Raum und
Sprache zu geben.
Ich hatte auf der Betriebsversammlung im Dezember letzten Jahres
angekündigt, dass wir mit den Verbindungsleuten der CT ein Thesenpapier
erstellen werden, das zusammenfasst, wie die Kolleginnen und Kollegen ihre
Arbeitssituation und die Lage der CT beurteilen. In den vorangegangen
Gesprächen hatte sich wachsender Unmut darüber gezeigt, wie – zumindest
aus Sicht der Mitarbeiter – das Finanzierungsmodell der CT mit dem
Schwerpunkt
auf
der
Verrechnung
der
Projekte
mit
den
Unternehmensbereichen Folgen zeitigt, die als kritisch betrachtet werden und
vielleicht sogar negative Folgen für die CT zeitigen könnten.
Wir haben die Rückmeldungen zusammengefasst, Herr Hannemann und ich
haben das dabei entstandene Papier gemeinsam mit Prof. Weyrich, Frau
Fischer und Herrn Fritsch diskutiert. Wir sind dabei übereingekommen, aus
diesen Beschreibungen Fragen zu entwickeln, die zum Teil hier auf der
Betriebsversammlung diskutiert werden können. Weil in der Form der
Betriebsversammlung nicht alles zur Sprache kommen kann, hat Prof.
Weyrich vorgeschlagen und sich dazu bereit erklärt, im Rahmen einer eigens
dafür anzusetzenden Gesprächsrunde den Dialog fortzusetzen. Die Fragen
liegen Ihnen, zum Teil jedenfalls vor, sodass ich nicht auf jede einzelne
einzugehen brauche.
Bevor wir in die Diskussion hier auf der Betriebsversammlung einsteigen,
möchte ich noch kurz auf die letzte Mitarbeiterbefragung eingehen.
Wie vorhin bereits erwähnt, arbeiten die Kolleginnen und Kollegen gerne bei
CT. Dies zeigt auch die Mitarbeiterbefragung eindrucksvoll. 57% bejahen
dies, weitere 29% sagen dazu „eher ja“, das ist ein Ergebnis, das sich wirklich
sehen lassen kann!
Was aber auffällt, ist die Rückmeldung zu der Aussage „Ich kenne die
langfristige Strategie von CT so gut, dass ich sie einem Kollegen erklären
könnte“. Nach dem vorliegenden Ergebnis scheint dies vielen Kollegen
schwer zu fallen. Ich glaube, dass dieses Item in der Mitarbeiterbefragung
sehr gut die Spannung ausdrückt, in der sich die viele Mitarbeiter der CT
bewegen. Denn auf der einen Seite arbeiten sie sehr gerne hier, auf der
anderen Seite geraten sie bei dem Zukunftsaspekt, den die Frage nach der
langfristigen Strategie ausdrückt, in Schwierigkeiten. Man fühlt sich wohl und
gleichzeitig unwohl – zumindest wenn man an die Strategie denkt. Genau um
diese Widersprüchlichkeit geht es. Dabei glaube ich persönlich nicht, dass
niemand die einschlägigen strategischen Aussagen der CT kennt. Dies ist
jedermann
über
Intranet
und
über
Informationen
auf
den
Abteilungsversammlungen zugänglich.
Woher kommt diese Unsicherheit und Widersprüchlichkeit? Ich bin zwar auch
kein Hellseher, kenne die Gründe daher letztlich auch nicht genau und mag
mich daher irren. Aber ich vermute folgende Gründe für dieses
widersprüchliche Empfinden:
1.
Die Glaubwürdigkeit der positiven Aussagen über die Zukunft der
CT gerät angesichts des Verrechnungsdrucks ins Wanken. Das
Vertrauen in die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer langfristigen
Ausrichtung schwindet angesichts der herrschenden Realitäten.
Dabei steht nicht die Verrechnung an sich im Vordergrund, sondern
dass der Aufwand, der betrieben werden muss, um Verrechnung
zu bekommen, in keinem angemessenen Verhältnis zum Ergebnis
steht. Klar ist, Verrechnung drückt Annerkennung der Leistung aus.
Die Bereiche überlegen sehr genau, wohin sie ihr Geld fließen
lassen. Insofern zeigt hohe Verrechnung den guten Stand, den das
Knowhow der CT bei den Bereichen hat.
Befürchtet und manchmal auch festgestellt wird aber auch, dass
eben dieses eben beschriebene Missverhältnis die notwendige Zeit
für Innovation, Weiterentwicklung und Zukunftssicherung raubt.
2.
Die CT versteht sich als Netzwerk der Kompetenzen. In der von
den Kollegen erlebten Praxis aber werden verstärkt Signale für
Konkurrenz und wie es manchmal formuliert wird, für gegenseitigen
„Kannibalismus“ wahrgenommen. Da gibt es ein Ringen um
Aufträge, da erleben die Kollegen, dass Zuarbeit, gegenseitige
Unterstützung keine Verrechnung bringt, sich daher nicht lohnt und
unterlassen wird.
Die Befürchtung hier ist, trotz Erreichung und Optimierung der
eigenen Zielvorgaben, insgesamt, also auf CT bezogen, zu einem
schlechteren Ergebnis zu gelangen, sich in Summe „suboptimal“ zu
verhalten. Ganz zu schweigen vom zwischenmenschlichen Klima,
das unter diesen Bedingungen sicher keine Besserung erfährt.
3.
Die Kultur eines zunehmenden persönlichen Egoismus, eines rein
an Zahlen orientierten kurzfristigen ökonomischen Denkens,
gefördert durch entsprechend angepasste Führungssysteme wie
etwa Zielvereinbarung und variable Zieleinkommen, wird als
Gefahr, zumindest mit starkem Unbehagen wahrgenommen. Das
Vertrauen in die Entgeltfindung sehen manche Kollegen als
gefährdet an. Sie zweifeln z.B. an, ob ein Ziel, das sich auf
Verrechnung bezieht, den Kriterien von Zielvereinbarungen
überhaupt genügen kann, wenn es entweder nicht realistisch bzw.
die Zielerreichung nicht beeinflusst werden kann.
4.
Was zwar nicht Thema der Mitarbeiterbefragung sein kann, aber
sicher auch zur Verunsicherung beiträgt, sind die Aktivitäten, die
CT zum Aufbau im Ausland begonnen hat. Die geplanten
Mitarbeiterzahlen sind (vor allem für China) beeindruckend und
viele fragen sich, wie es dort weitergehen soll. Dabei wird
differenziert
wahrgenommen,
dass
dieses
internationale
Engagement nicht nachteilig sein muss, die Mitarbeiterzahlen im
Inland bleiben ja konstant. Nur wie lange?
5.
Ich musste bei den Gesprächen mit den Kollegen immer daran
denken, was der kürzlich leider verstorbene Unternehmensberater
Michael Kielbassa, den wir im letzten Herbst als Referenten des
Seminars „Wertschöpfung in der Forschung“ eingeladen hatten,
geäußert hatte. Er sagte: „F&E determiniert – zusammen mit
Marketing und Vertrieb – alle Gestaltungsparameter des Nutzens
und des Gebrauchswertes eines Produktes oder einer
Dienstleistung. Sie entscheidet sie jedoch nicht! F&E wird daher
zunehmend nicht mehr als Kernkompetenz gesehen, sondern als
outsourcebare Nicht-Kernkompetenz.“ Soweit das Zitat. Der Wert
der F&E taucht – ähnlich wie Kompetenz, Erfahrung, Wissen und
Können der Mitarbeiter - in den Zahlenwerken des heute
herrschenden betriebswirtschaftlichen Denkens nicht als positiver
Wert auf. Im Gegenteil: der F&E-Aufwand schmälert das Ergebnis.
Wir fragen uns, wenn diese Aussagen stimmen, wie die
Verantwortlichen handeln werden, die einmal in der Nachfolge
eines Herrn v. Pierer und eines Herrn Prof. Weyrich, die beide
wissen, was sie an ihrer CT und ihrer F&E haben, handeln
werden? Welchen Stellenwert werden diejenigen der F&E und
einer Corporate Technology bei Siemens wohl beimessen, die sich
vermutlich viel stärker diesem knallharten, am Geschäft orientierten
Denken verschrieben haben? Werden sie Kennzahlen für
Innovationen verlangen? Werden sie die gewachsenen Strukturen
und Themenfelder belassen? Wenn wir die Strukturierung und
Ausrichtung der Bereiche bedenken und beobachten, wird sich die
CT dann nicht noch mehr vertrieblich ausrichten müssen? Welche
Konsequenzen wird das für die Mitarbeiter haben?
Ich vermute in dieser Gemengelage die Gründe für dieses „Unwohlsein im
Wohlbefinden“.
Da man aber kein entsprechendes Item für diese Stimmungen in der
Mitarbeiterbefragung hat (was ja nebenbei bemerkt durchaus auch nicht
leicht zu erfassen ist, sondern sich erst im ständigen Dialog
herauskristallisiert hat), deshalb kondensieren sich die Angst, die
Befürchtungen und die Verunsicherung in diesem Punkt „Strategie“. So
jedenfalls wird für mich ein Schuh daraus.
Wenn es uns gelingt, darüber einen Dialog zu stiften, dann hätten wir unser
Ziel erreicht. Um nichts mehr, aber auch um nichts weniger geht es uns.
Eine Überlegung noch zum Schluss: Vielleicht muss die CT sich der Frage
stellen, wer denn wirklich ihr Kunde ist. Sind es die heutigen Bereich oder ist
es nicht vielleicht die Siemens AG in 10 Jahren, eine Art „virtueller Kunde“?
Welche Produkte wird er brauchen? Auf welchen Märkten wird er tätig sein
und Unterstützung brauchen?
Wie Sie vielleicht wissen, bin ich Mitglied im Arbeitskreis Forschung und
Entwicklung der IG Metall. Hier sind Mitarbeiter aus den zentralen F&EEinheiten der deutschen Industrie (z.B. VW, Philips, DaimlerChrysler, Alcatel
etc.) vertreten. Der gegenseitige Erfahrungsaustausch ist dabei jedes Mal
wichtiger und erhellender Bestandteil der Treffen.
Bei diesen Blicken über den Tellerrand lassen sich auch Tendenzen im
Handeln der Unternehmen entdecken. Eine der derzeitigen Tendenzen ist
das Fokussieren auf Kernthemen und Kernfelder und das Abtrennen bzw.
Verlagern des nicht zum Kernfeld Gehörenden z.B. ins Ausland. Die Frage,
die sich hier erhebt: ist das Fokussieren eine Form innovativen Handelns,
oder nicht vielmehr eine sichere, konservative oder gar rückwärts gerichtete
Sichtweise, die sich nicht am Neuen, sondern am Bestehenden orientiert?
Damit verbunden – oder vielleicht sogar der Grund für dieses Verhalten ist
das, was uns als Arbeitnehmervertretern oft vorgeworfen wird, nämlich eine
mangelnde Risikobereitschaft. Aber was wir demgegenüber feststellen,
verhält es sich genau anders herum: Das Management der großen deutschen
Firmen meidet das Risiko, sich langfristig auf Neues einzulassen, nachhaltige
Innovationssicherung zu betreiben, indem auf den kurzfristigen Erfolg in
bereits sicheren Feldern abgehoben wird.
Wie lange wird das gut gehen, wo doch gerade Innovationen, unser Wissen,
die Erfahrung und das Knowhow unserer gut ausgebildeten und qualifizierten
Menschen nahezu das einzige Pfund sind, mit dem wir Deutschen wuchern
können?
Dies anzugehen ist nicht primär die Aufgabe der CT, sondern der Siemens
AG überhaupt. Wenn dem so wäre, dann dürfte die Devise der Siemens AG
und der CT schon heute nicht mehr lauten: Verrechnung, Verrechnung,
Verrechnung, sondern vielmehr: Innovation, Innovation, Innovation!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Wolfgang Mai)

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