Küssen verboten?! - Sexuelle Tabus im Bollywood-Kino

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Küssen verboten?! - Sexuelle Tabus im Bollywood-Kino
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Küssen verboten?! - Sexuelle Tabus im Bollywood-Kino
Beigesteuert von Julia Wessel
Wednesday, 15. September 2010
Sie und Er blicken sich tief in die Augen, ihre Münder kommen sich näher und dann...fällt entweder ein mysteriöser
Schatten auf das Geschehen, weil der Kameramann einen undankbaren Kamerawinkel gewählt hat oder ein Song
ersetzt das, was man visuell lieber nicht darstellt. Der Song, der jetzt kommt, ist bevorzugt von der nasseren Sorte, so
dass die Kleidung der Heldin ihren Körper eng umschmeichelt. Wenn es richtig zur Sache ging im Bollywood-Kino der
70er wurde an dieser Stelle im Film auch gerne mal das Bild zärtlich schnäbelnder Vögel eingeblendet, zwei sich
berührende Blumen, ein Zug, der einen Tunnel durchfährt, Oswald Kolle-Poster etc.
Diese ausgefeilte Metaphorik hat Bollywood heute längst nicht mehr nötig, denn ein regelrechtes Kussverbot existiert in
der Form überhaupt nicht.
Allerdings, jeder Film, der in Indien gezeigt wird, muss vom „Central Board of Film Certification“ abgesegnet werden,
umgangssprachlich wird diese Institution auch zu Recht die Zensurbehörde genannt. Diese legt fest, ob der Regisseur
Szenen aus seinem Film entfernen muss. Die Bestimmungen der Zensurbehörde sind schwammig. Alles, was vulgär ist
und möglicherweise frauenfeindlich, fällt der Schere zum Opfer. Was als vulgär definiert wird, ist dabei durchaus eine
Definitionsfrage, die dehnbar ist.
Der Kontext einer intimen Szene ist ebenfalls entscheidend. Als man so den Romanklassiker „Parineeta“ („Die verheira
Frau“) verfilmte, in dem sich trotz gesellschaftlicher Schranken der Sohn aus reichem Hause und die Nachbarstochter
näher kommen, da entschärfte man die Handlung ein wenig, um konservative Zuschauer nicht zu verprellen. Bevor die
beiden miteinander schlafen durften, heirateten sie im Film zumindest symbolisch durch das Umhängen von Ketten.
Damit war der Tradition genüge getan und der Song/Sex durfte folgen.
Tabu Nacktheit
Küssen ist schon lange alles andere als selten im indischen Kino, Nacktheit ist allerdings weiterhin ein Tabu, auch
außerhalb des sexuellen Kontexts. So durfte „Schindlers Liste“ in Indien nie in den Kinos starten, da Spielberg sich
weigerte, nackte Leichen aus seinem Film zu schneiden. Der indische Regisseur Anurag Kashyap scheiterte ebenfalls
mit seinem Debütfilm Paanch an der indischen Zensur. Eine Masturbationsszene, das ginge gar nicht, erklärte man
ihm, so etwas gäbe es in Indien nicht und man wolle die Jugend nicht auf dumme Ideen bringen.
Beide Vorfälle liegen einige Jahre zurück und die indische Zensurbehörde gibt sich heute bedeutend liberaler, viel
gefährlicher ist in Indien die von politischen Parteien betriebene Zensur, die mit dem Filmstart kommt und regelmäßig
Kinobesitzer und Produzenten in Bedrängnis bringt. Der nackte Rücken von Bollywoodstar Kareena Kapoor auf dem
Filmplakat zu Kurbaan geriet so etwa für eine Gruppierung von Hindunationalisten zum Stein des Anstoßes:
Medienwirksam schickte man der Schauspielerin Saris zu, auf dass sie sich bedecken solle und protestierte so gegen
diese („westliche“) Unsitte der totalen Entblößung. Tritt eine Filmdiva im Bikini auf die Leinwand, so ist dies immer noch
Grund für Diskussionen in den indischen Medien und regelmäßig erklären weibliche Stars, dass sie aus Rücksicht auf
ihre Familie niemals einen Bikini vor der Kamera tragen werden.
Wer Tabus bricht, stirbt
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Dies erinnert an die früheren Jahrzehnte des Bollywood-Kinos, als die Heldin als jungfräulich reines Wesen inszeniert
wurde. Da man aber auch damals schon den Grundsatz des „Sex sells“ kannte, gab es immer auch ein weibliches
Gegenstück, die Femme fatale, mit aufreizenden, westlichen Kleidern, die wild und lasziv tanzen durfte. Eine ganz
andere Kategorie von Schauspielerinnen kam für diese Rolle in Frage, Überschneidungen zwischen den beiden
weiblichen Kategorien gab es eigentlich nie. Sogar andere Sängerinnen übernahmen diesen Part wie etwa die –
geschiedene – Playbacksängerin Asha Bhosle. Für ihren Tabubruch musste die Femme fatale im Film natürlich
bestraft werden und so findet sie im Kino der 60er und 70er fast ausnahmslos den Tod.
Inzwischen ist der Tabubruch nicht mehr tödlich, aber indische Schauspielerinnen tun gut daran, das Spiel mit dem sexy
Image nicht zu übertreiben, wenn sie auch für andere Rollen in Frage kommen wollen. Die männlichen Stars sind da
weniger starken Zwängen unterworfen, aber auch hier finden sich einige, die Kussszenen etwa kategorisch ausschließen.
Tabubruch light
Zu guter Letzt sollte man meinen, dass auch Homosexualität ein unüberwindbares Tabu im Hindi-Kino wäre, schließlich
ist diese erst seit dem letzten Jahr in Indien offiziell kein Strafbestand mehr. Im Bollywood-Kino jedoch tauchen schon
länger homosexuelle Charaktere oder Männer in Frauenkleidern (Hijras) auf, wenn auch hauptsächlich zur Belustigung
des Publikums.
Als sich zwei kommerzielle Stars wie John Abraham und Abhishek Bachchan 2008 in der Komödie „Dostana“ für eine
Pointe auf den Mund küssen sollten, wählte der Kameramann aber wieder den alten Trick mit dem Kamerawinkel.
Derzeit wird das Sequel in London gedreht und lädt zu Spekulationen ein, ob sich Bollywood diesmal wohl weiter aus
dem Fenster lehnen wird.
Grundsätzlich weiß das indische Kino das gekonnte Spiel mit dem Tabu durchaus zu schätzen. Als Filmemacher Karan
Johar einen opulenten Liebesfilm vorstellte, in dem sich zwei anderweitig Verheiratete ineinander verlieben, Ehebruch
begehen und sich scheiden lassen (Titel: „Kabhi Alvida Naa Kehna“), da umschrieb er seine Arbeit so: Er versuche nicht,
Tabus zu brechen, er würde sie nur dehnen. Diese Aussage fasst gut zusammen, wie der Bollywood-Film beständig
den goldenen Mittelweg sucht zwischen Tabu und Tabubruch, zwischen Tradition und Moderne.
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