Unverkäufliche Leseprobe
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Unverkäufliche Leseprobe Nur wer aufgibt, hat verloren von Henry Maske mit Detlef Vetten Autobiografie ISBN 978-3-431-03690-9 © 2006 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG 9 N ichts mehr zu machen. Aus der Nummer komme ich nicht mehr raus, da muss ich jetzt durch. Wie oft habe ich dieses Gefühl gehabt? Hundertmal? Zweihundertmal? Egal, in diesen Tagen vor dem Kampf gegen Virgil Hill durchlebe ich die Ohnmacht des Fighters vor der Schlacht. Das Training ist abgeschlossen. Um geschmeidig zu bleiben, kurble ich mit ein paar leichten Sparringsrunden den Kreislauf an. Ich jogge morgens um den Bayerischen Hof. Die Tage wollen kein Ende nehmen. Irgendwann ist Pressekonferenz. Dann das Wiegen. Virgil Hill sieht gut aus, hat verdammt hart an sich gearbeitet. Kein Gramm Fett, gute Muskulatur. Und er macht einen starken Eindruck. Geht locker mit den Jungs von der Presse um, haut ein paar freche Sprüche raus, guckt mir direkt in die Augen. Nein, der Junge hat keine Angst, den muss ich wirklich ernst nehmen. Eine öde Zeit. Frühstück, Mittagessen, Abendessen. Dazwischen leichtes Training, immer wieder der Gang auf die Waage. Im Restaurant bestelle ich irgendwas Gesundes, Nudeln, Fleisch, Gemüse. Wie ich es immer gehalten habe in den letzten Jahren als Profi. Ich esse was und weiß nachher nicht, wonach es geschmeckt hat. Manchmal hat es den Anschein, als ob ich überhaupt nichts mitbekomme. Wie in Trance bewege ich mich. Eine lange, hässliche Phase ist das. Ich bin allein. Ziehe mich aufs Zimmer zurück, kann nicht schlafen. Tingle zwischen Lobby und Hotelzimmer. Große Ausflüge in die Stadt kann ich nicht mehr unternehmen. Das tut nicht gut, so kurz vor dem Kampf durch die Stadt zu stromern. Macht nur harte Muskeln. Und wohin soll ich auch gehen? Mich interessiert sowieso nichts. Ich hocke auf meinem Bett und bin diesem elenden Ge- 10 fühl ausgeliefert: Nichts mehr zu machen. Da muss ich jetzt durch. Später tigere ich durch die Hotelhalle. Ist aber auch blöd. Muss aufpassen, dass ich nicht irgendwelchen Leuten über den Weg laufe, die mich anquatschen: »Ach, Henry, hallo, erzähl mal.« Dazu habe ich nun wirklich keine Lust. Sonst ist das in Ordnung. Ich bin ziemlich belastbar und treffe gern andere Menschen. Meistens kann man ganz gut mit mir reden. Aber in den Tagen vor einem Kampf möchte ich mich am liebsten verkriechen. Wer mich kennt, weiß genau: Den Henry darfst du vor einem Fight nicht ansprechen. Der will dann mit sich allein gelassen werden. Aber die mich nicht kennen, machen einen auf guter Kumpel und reißen mich damit aus der Konzentration. Also, ich bin da in meinem Gehege (das in Wirklichkeit der feinste Schuppen von München ist), komme nicht raus und bin nur mit mir beschäftigt. Warte, dass die Zeit vergeht. Schalte das Fernsehen an und gucke eigentlich nicht richtig hin. Zappe rum und bin froh, wenn es Sport ist, aber irgendwie fesselt der mich auch nicht. Meine Gedanken drehen sich im Kreis, ich kann sie nicht einfangen oder steuern, bin immer nur mit meiner eigenen Sache beschäftigt. Immer wieder dieses Aufbäumen. Der letzte Kampf, der letzte Kampf, der letzte Kampf. Mann, Mann, Mann. Es ist der letzte Kampf deines Lebens, danach wird alles anders sein. Danach bist du kein Boxer mehr. Vergiss das, das ist ein Kampf wie jeder andere. Konzentriere dich auf den Gegner. Hill, immer wieder. Hill, Hill. Ich kenne ihn, habe ihn studiert. Aber kenne ich ihn wirklich? In der letzten Phase vor dem Kampf tauchen die Zweifel auf. Was muss ich tun, wie werd ich’s machen, was hat er vor? Was für ein elendes Warten, was für fiese Gedanken! Ich 11 kriege sie nicht in den Griff. Die kann ich nicht einfach rausschieben aus dem Hotelzimmer und die Tür zumachen. Das geht ja nicht. Eigentlich müsste ich mich an diese Gefühle gewöhnt haben. Aber in diesen Tagen vor meinem letzten Kampf kriecht eine seltsame Unruhe in mir hoch. Noch einmal, Henry, sage ich mir, noch ein letztes Mal. Mach deinen Job, mach ihn gut. Danach hast du es hinter dir. *** Und dann steigen wir irgendwann ins Auto. Manfred Wolke und ich sprechen nicht mehr viel, jeder ist mit sich beschäftigt. Wie sagen die Engländer? Same procedure as every year. Plötzlich sehe ich auch keinen Unterschied mehr. Die gleichen Gefühle, die gleiche Angespanntheit, dieselben vertrauten Menschen um mich herum. Meine Bodyguards, Furcht einflößend. Mein Trainer, der Cutman, die Leute vom Fernsehen. Wolke und ich sind in uns gekehrt. Wir gucken uns an mit dem Blick, den wir seit Jahren voneinander kennen: So, Junge, jetzt mal nischt wie ran. Komm, Kleener, wird schon, muss werden. Und dann werden wir in die Trainingshalle rübergefahren. Dort versuche ich, die gewohnten Abläufe durchzuziehen. Werfe einen kurzen Blick in die Arena. Voll ist sie, brechend voll. Das summt und raunt, das wabert und wummert. Es törnt immer an, wenn ich merke, dass der Saal ausverkauft ist und dass die Menschen bereit sind für den Kampf. Ein bisschen schnuppern muss sein. Dann ziehe ich mich wieder in mich zurück. Ich vermeide jetzt jeden Kontakt zu den anderen, habe mit der Außenwelt 12 nichts mehr zu schaffen. Ich bin allein mit mir. Henry Maske, der einsamste Mensch auf dem Globus. Klingt pathetisch, ist aber so. Nicht mal mein Trainer Manfred Wolke erreicht mich jetzt noch wirklich. Zurück in die Kabine. Erst einmal alles in Ruhe hinpacken. Immer mit der Ruhe. Mit langsamen, fast andächtigen Bewegungen. Habe mal im Film einen Pfarrer gesehen, der hat sich die Sachen für seinen Gottesdienst genau so hingelegt. Mit diesem Ritual machte er sich bereit für seine Aufgabe. Ich kontrolliere, ob alles da ist, ob nichts vergessen wurde. Der wunderschöne Wettkampfmantel von Gunter Sachs, der ganz früher mal Playboy war. Ist längst vorbei, jetzt macht er ernsthafte Kunst. Herrliche Fotos. Und hat meinen Mantel kreiert. Dann kommt Hako Sevecke, mein Sekundant, rein – kurzes Lächeln. Dennie Mancini, der Cutman, ist vorübergehend da. Die vertrauten Gesichter. Beiläufig bekommt man mit, dass draußen schon geboxt wird. Scheinen ganz ordentliche Kämpfe zu sein – danach zu urteilen, wie die Leute mitgehen. Gut für unseren Fight. Wir haben eine relativ große Kabine. Manfred Wolke hatte es sich zum Prinzip gemacht – anders als viele andere Trainer –, gerade bei solchen Höhepunkten auch noch weitere Sportler zu betreuen. Das hat mich immer gestört. Ich will beim wichtigsten Partner am Ring, dem Trainer, spüren, dass seine Gedanken nur um meinen Kampf kreisen. Sonst kann ich nicht sicher verstehen, was ihn bewegt. Da braucht er nicht viel zu reden. Wir haben so viel gemeinsam durchgemacht – ein kurzer Blick, und ich weiß, was er denkt. Und gerade bei einem so wichtigen Kampf wie heute will ich ihn für mich allein haben. Nur nicht kalt werden, denke ich. Ich gehe kurz noch einmal 13 raus und fange an, ein bisschen rumzuzappeln. Die Jungs vom Fernsehen mögen das ganz gern, aber für die mache ich das nicht. Wünsche mir nur, dass die Zeit vergeht. Der Trainer kommt auf mich zu und bremst mich. »Mach mal ein bisschen ruhig«, sagt er. »Alles okay?« Ich nicke. Eigentlich hat er Recht. Ich schlurfe zurück zu der langen Bank, lege die Ellbogen auf die Oberschenkel und stiere auf den Boden. Fühlen sich meine Muskeln müde an, oder rede ich mir da was ein? Habe ich einen leeren Kopf? Ich ziehe mir die Kapuze noch weiter ins Gesicht. Einen Moment darauf streife ich sie wieder zurück und schaue auf die Uhr an der Kabinenwand. Die Situation ist fürchterlich angespannt. Jedes Mal beunruhigt mich die Empfindung, dass gleich irgendwas explodieren könnte. Aber nichts passiert – und das scheußliche Gefühl steigert sich noch. Soll es doch, zum Teufel, endlich losgehen! Lasst mich endlich raus! Noch einmal suchen mich die Gedanken heim, die ich jetzt überhaupt nicht brauchen kann. Wie kurze Blitzlichter sind sie, nicht zu greifen, nicht zu jagen. Reize, die mit dem Boxen nichts zu tun haben. Unwichtige Gedanken: an ein anderes, ein normales Leben mit Frau und Kindern und einem Garten und der nächsten Reparatur am Auto. Die schwirren rum und bedrohen mich, könnten mich aus meiner Konzentration reißen. Wahrscheinlich will mein Unterbewusstsein mich noch einmal zur Flucht verführen. Ich schüttle alles ab. Noch einmal – wie oft habe ich das in den letzten Tagen getan? – mache ich das, was Piloten auch tun: Ich checke die Vorbereitungen. Ist alles bereit fürs Abheben? Nur: Ich bin die Maschine, die gecheckt wird. Waren die Trainingseinheiten auch hart genug? Habe ich die richtigen Sparringspartner gehabt? Habe ich geschlampt? Habe ich den 14 Gegner gründlich genug studiert? Bin ich bereit? Bin ich bereit? Bin ich bereit? Ja, sage ich mir. Ja! Ja! Ja! *** Endlich ist es an der Zeit, den Oberkörper frei zu machen. Zug um Zug, Ritual für Ritual nähere ich mich der Sekunde null. Dennie fängt an mit dem Bandagieren. Gut, dass er es macht, der hat die Ruhe weg. Manfred Wolke würde das nicht so hinbekommen. Der soll sich auf sich konzentrieren – auf uns! Nicht auf das Bandagieren. Und Dennie macht es klasse. Also, er ist eine Person, der man bei diesem Job hundert Prozent Vertrauen schenken kann. Es muss ja auch absolut korrekt sein, weil nachher ein Sekundant des Gegners meine bandagierten Fäuste betrachten wird. Als ob ich mir Hufeisen in die Handschuhe stecken würde! Dennie wickelt langsam und sorgfältig. Ich nehme nicht wahr, wie Knöchel, Handrücken und Unterarm regelgerecht gerüstet werden: »Die Handbandagen dürfen nicht länger als neun Meter und nicht breiter als fünf Zentimeter sein und dürfen mit medizinischem Klebeband nicht länger als fünf Meter vierzig und nicht breiter als zweieinhalb Zentimeter gehalten werden. Ab Supermittelgewicht sind folgende Bandagenlängen erlaubt: neun Meter sechzig lang, fünf Zentimeter breit; medizinisches Klebeband sechs Meter lang, fünf Zentimeter breit.« So steht es im Regelwerk. Und so macht es Dennie. Seelenruhig, ohne die Augen von seiner Arbeit zu heben. Er strahlt eine wunderbare Entspannung aus. Er glaubt an mich. Ehrenwirth in der Verlagsgruppe Lübbe Originalausgabe Copyright © 2006 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG , Bergisch Gladbach Ein Projekt der Montasser Medienagentur, München Textredaktion: Dr. Bernd Rullkötter, Hamburg Vor- und Nachsatz, Frontispiz: Fotos © by Charlie M., Düsseldorf (www.charlie-m.com) Sämtliche Fotos im Tafelteil stammen, wenn nicht anders vermerkt, aus dem Privatarchiv von Henry Maske Satz: Bosbach Kommunikation & Design GmbH, Köln Gesetzt aus der Weiss Druck und Einband: Ebner & Spiegel GmbH, Ulm Alle Rechte, auch die der fotomechanischen und elektronischen Wiedergabe, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert oder übermittelt werden, weder in mechanischer noch in elektronischer Form, einschließlich Fotokopie. Printed in Germany I S B N -13: 978-3-431-03690-9 (ab 01.01.2007) I S B N -10: 3-431-03690-2 5 4 3 2 1 Sie finden die Verlagsgruppe Lübbe im Internet unter www.luebbe.de Besuchen Sie Henry Maske auf seiner Homepage www.henry-maske.de